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Die Abendtafel des Papstes in der Stanza d'Eliodoro war wie immer reich mit geistlichen Herren besetzt. Der Zeremonienmeister Paris de 117 Grassis, Bischof von Pesaro, hatte Mühe gehabt, die Sitzordnung zu regeln, um niemand vor den Kopf zu stoßen. Alt und jung, in angeregtestem Gespräch, unterhielt sich über die neuesten Ereignisse Roms, während aus dem Nebenzimmer das Spiel der päpstlichen Musikanten herüberscholl. Kardinal Bibbiena saß zur Rechten des Papstes, Giulio de' Medici zur Linken, jederzeit bereit, Seiner Heiligkeit mit irgend einem Rat zu dienen. Unter den Kardinälen befanden sich auch Petrucci, Soderini, Sauli und Raffaello Riario, die Mißvergnügten im Kollegium. Riario, der alternde Genießer aller Lebensfreude, saß in der Nähe des Papstes, um jedes aufgefangene Wort grämlich in sich zu verarbeiten. Er gönnte dem Mediceer Leo die Tiara nicht, sein eigen Haupt schien ihm würdiger, sie zu tragen.
Es gab schwere Gerichte, denn Leo hielt viel auf gastronomische Freuden, und die Papstköche hatten Mühe, immer neue Leckerbissen für den hohen Gaumen zu ersinnen. Pfauenbraten mit pikanten Soßen, Wachteln, Fisch, Zuckerwerk und Bäckereien, in phantastischen Formen serviert, dazu der dunkle Wein der Castelli aus den Albanerbergen, alles geschmackvoll aufgetragen. Die Camerieri unter der Leitung des Senescalco liefen auf und ab und sorgten für klaglose Bedienung.
Auch einige weltliche Große hatte Leo geladen. 118 Sein Bankier Agostino Chigi, der verschwenderische Mäzen Raffaels, hatte einen bevorzugten Platz beim Tisch, von wo aus er seine anregenden Kunstgespräche in das Geschwätz der Kardinäle streute. Der Dichter Accolti, der so wunderschöne Verse zu dichten und zu singen wußte, war ein Liebling des Papstes. Sein Gesangsvortrag war stets ein Ereignis für Rom. Sogar die Kaufladen wurden geschlossen, das Volk strömte zum Vatikan, die Fenster wurden geöffnet, damit die Leute dem Gesange lauschen konnten. Pietro Bembo, der Petrarkist und glänzende, aber kühle Stilist, Sekretär des Papstes und Anwärter auf höhere Weihen, war ebenfalls immer geladen, wenn der Papst mit seiner Gelehrsamkeit prunken wollte. Heute befand sich auch der junge Historiker Paul Jovius zum erstenmal in der illustren Gesellschaft. Er war eben erst aus Florenz gekommen und hatte von dort den Plan zu seinem groß angelegten Geschichtswerk mitgebracht, von dem er vor wenigen Tagen dem Papst das erste Kapitel hatte vorlesen müssen. Zwei römische Konservatoren zierten ebenfalls etwas maskenhaft die Tafel, denn sie waren nur Marionetten auf der päpstlichen Bühne Roms.
Der Papst war gut gelaunt, da augenblicklich seine Fistel nicht schmerzte. Er ließ sich von Chigi über den Fortgang der Malarbeit Raffaels berichten, der in dem Landhaus des Bankherrn 119 die liebliche Geschichte von Amor und Psyche zu malen begonnen hatte. Chigi beschwerte sich, daß Leo seinem Lieblingsmaler so wenig Zeit gebe, ihn ganz für sich in Anspruch nahm, so daß das übrige Rom nicht dazu käme, ihn zu beschäftigen.
Der Papst lächelte satt. »Was wollt Ihr, Chigi? Raffael hat Euch doch die Geburt der Galatea gemalt, er hat Euch in Eurer Kapelle in Santa Maria della Pace Propheten und Sibyllen an die Wand gezaubert, und Ihr redet über Beschränkung? Ihr habt in Eurer Galerie durch Peruzzi die liebliche Heidensache von Perseus und Medusa, im Oberstock durch Sodoma die Hochzeit Alexanders und Roxanes malen lassen, Ihr schwelgt in antiken Sammlungen und wollt nun noch Raffael ganz für Euch allein besitzen? Ei, haltet Euch an seine Schüler Giulio Romano, Giovanni da Udine, Sebastiano del Piombo, sie haben seinen Malersinn, seine Hand, seine Farben, ihr Können lobt den Meister.«
Chigi rümpfte die Nase. »Ich halte mich doch lieber an ihn selbst. Und ich glaube ein Mittel finden zu können, den Maler von Euch wegzulocken. Er ist in eine schöne Bäckerstochter sterblich verliebt und hat alle Aussicht, erhört zu werden. Wie nun, allerheiligster Vater, wenn ich das Mädchen in mein Haus nähme?«
Der Papst warf ihm einen Papierknäuel zu. 120 »Massensünder! Du willst die Damigella als Lockvogel benützen?«
»Ganz richtig,« lachte Chigi. »Ist das Weibchen erst in meinem Hause, dann stellt sich das Männchen von selber ein. Und ich bekomme zum Überfluß das Bildnis der schönsten Römerin auf meine Wand, sei es als Heilige oder als heidnische Göttin, oder vielleicht gar als Fornarina. Mir soll alles recht sein, wenn nur Raffael die Hand oder den kleinen Finger mit im Spiel hat.«
Sauli und Petrucci hatten das Gespräch aufgefangen. Der Sienese sagte leise zum Freund: »Ich wüßte ihm ein schöneres Modell als diese Bäckerstochter. Aber für Frauenschönheiten hat der Papst keinen Sinn.«
Soderini stieß Petrucci leise. »Giulio de' Medici sieht nach Euch.«
Auch Sauli bemerkte es. »Macht freundlichere Augen, Petrucci. Man liebt die düstern nicht an der Tafel Leos.«
»Ich bin nicht sein Spaßvogel,« sagte Petrucci unwillig. »Ich möchte lieber die Rolle des Chaldäers beim Gastmahl des Belsazar spielen. Möchte ihm die Wand mit den drei Worten erhellen.«
»Sprecht stiller,« mahnte de Sauli zur Vorsicht.
Petrucci erhob sich und ging zu einem kleinen Kardinal hinüber, der an einer zweiten Tafel saß. Es war Adriano da Corneto, ein Freund der Dichter, bei dessen Gastmahl einst Papst 121 Alexander vergiftet worden war. »Habt Ihr einen Augenblick Zeit?«
Adriano schlürfte schnell den blutroten Nemiwein hinunter. Er folgte Petrucci in ein Nebenzimmer. »Habt Ihr mir Besseres zu reichen als diese wunderbar geschmorten Wachtelbrüste?« Er wischte sich den fetten Mund mit dem Seidentuch ab, das er aus der Tasche zog.
»Wollt Ihr mir am nächsten Montag das Vergnügen Eurer Anwesenheit auf dem Quirinal geben?«
»Und das so heimlich zugeflüstert, Petrucci? Und mit einer Bärbeißermiene, als gälte es, eine Hinrichtung zu verkünden?«
»Es ist keine heitere Komödie, zu der ich Euch lade, Freund Adriano. Ich will mich mit Euch und andern Freunden aussprechen.«
Adriano zwinkerte ihn an. »Aha – die böse Sache von Siena. Ich bedaure Euch, Kardinal.«
»Genug – Ihr kommt?«
»Ich hoffe Euch bei besserer Laune zu treffen.« Sie traten in die Stanza zurück.
Das Gespräch wurde lauter und durch den Wein anregender. Die Musik spielte die neuesten Canzonetten, ein paar Kardinäle sangen dazu lockere Verse.
Um Petrucci sammelte sich eine Gruppe vertrauter Kardinäle. In ihrem Eifer des Gesprächs bemerkten sie nicht, daß Giulio de' Medici 122 häufig nach ihnen blickte und dann den Papst auf sie aufmerksam machte.
»Du siehst schwarz, Vetter,« sagte Leo leise.
»Die Augen dieses Sienesers gefallen mir nicht.« Giulio rümpfte die Nase.
»Hat er eine neue Liebschaft?« erkundigte sich Leo.
»Er wechselt nicht so schnell wie ein Hirsch. Sein Nymphäum steht augenblicklich leer.«
Der Papst gähnte. »Paris! Es ist Zeit für die Zitherspieler.«
»Soll auch Accolti –?« fragte der Zeremonienmeister untertänigst an.
»Er ist heute Gast und soll die andern hören. Ist der Jude Giammaria da?«
»Er spannt eben eine neue Saite auf seiner Laute.«
»Nach den Zitherspielern möge er singen.«
Vier Zitherspieler in blaugestrickten Gewändern, das Kränzlein im Haar, setzten sich an einen Seitentisch. Sie spielten zuerst zwei fromme Weisen, dann ein Scherzo und ein Stück im allerschnellsten Accelerato.
Der Papst hörte aufmerksam zu, während die Kardinäle weiterschwätzten. Nachdem die Spieler geendigt, ließ er den buckligen Juden Giammaria singen. Es war kein ambrosianischer Lobgesang, den der Jude losließ, die Worte waren der Gosse entnommen und erregten die Lachmuskeln der 123 Gäste. Auch Leo strich sich wohlbehaglich den Bauch und spendete Beifall, so daß der Jude fleißig zugab. Als er geendet, rief Leo ihn zu sich. »Ihr singt jetzt drei Jahre bei mir, Giammaria, Eure Stimme ist heller, Eure Verse sind unverschämter geworden. Als Beweis meiner Huld verleihe ich Euch den Grafentitel und ein Kastell, das auszusuchen Ihr mir noch Zeit lassen müßt.«
Das Hebräergesicht glänzte. »Gott schütze Eure Heiligkeit!« Er kniete nieder und küßte liebedienerisch den Papstfuß.
Die Kardinäle verzogen ärgerlich die Gesichter. Diese Gnade einem Judensänger! Für ein paar herausgebrüllte Frivolitäten.
Soderini sagte leise: »Man munkelt, Seine Heiligkeit sei nicht abgeneigt, dem Venezianer Pietro Aretino den Kardinalshut zu verleihen.«
»Das hieße, die Sau heiligsprechen.« empörte sich da Corneto.
»Dafür läßt er Leonardo da Vinci nach Frankreich ziehen,« kam Petrucci in Hitze.
»Der Künstler grübelt ihm zuviel,« sagte Adriano. »Er versteht es nicht, Possen zu reißen, und so ernste Männer können vor Leo nicht bestehen. Er hält ihn für einen ägyptischen Gnostiker und meint, seine Weisheit sei halb göttlich, halb teuflisch.«
Soderini lachte zynisch. »Leo hält sich lieber an die Weisheit seines Narren Fra Mariano, der 124 einmal sagte: ›Leben wir doch zu unserer Unterhaltung, alles andere beschwert die Sinne.‹«
»Es ist schwer, da ruhig zu bleiben,« empört sich Petrucci.
Und de Sauli gibt auch seinen Beitrag zur Sache. »Unlängst stand Leo vor dem Apollo im Belvedere. ›Ein schöner Mann,‹ sagte er, ›er hätte unter mir zweifellos den Kardinalshut bekommen.‹«
»Das ist leontinisch,« flüsterte Adriano. »Unlängst soll der Papst Bibbiena gegenüber geäußert haben: ›Das Märchen von Jesu Christo hat uns sehr viel genützt.‹«
Die zuhörenden Kardinäle entsetzten sich.
»Das ist zuviel,« braust Petrucci in die Höhe. »Solch ein Geschwätz erzeugt Kopfweh oder bittere Galle. Ach, hört nur, Giammaria singt wieder. Und Accolti hält sich die Ohren zu. Wir werden ihm bald folgen müssen.«
Der Jude verzerrte sein Gesicht zur schwärmerischen Fratze und dehnte die Töne schmachtend aus. Alle lasziven Worte betonte er widerlich. Endlich jagte ihn Leo freundlich hinaus. Der neuernannte Graf verbeugte sich grinsend nach allen Seiten. Nie noch wurde ein Adelstitel so billig und schändlich erworben.
Draußen warteten schon die zahlreichen Poeten, die täglich nach der Tafel vorgelassen wurden, um ihre lateinischen oder italienischen Reimereien 125 vorzutragen. Wie dressierte Affen harrten sie auf das Klingelzeichen, um dann hereinzustürzen und mit ihrem Verseschwall die gute Laune des Papstes zu erhöhen. Ein Hagel von Schmeichelei und Lobrednerei fiel dann auf Leo nieder, der den Wust geduldig, sich in seiner eigenen Eitelkeit badend, anhörte. Oft erreichten freilich die Reimschmiede das Gegenteil und der Papst ließ die Jämmerlinge zum Gelächter der Gäste durchbleuen. Bis in die vatikanischen Gärten und selbst ins Schlafgemach verfolgten die Versekünstler scharenweise den Papst, der sich ihrer nicht erwehren konnte, weil seine hoheitliche Stellung, wie er meinte, dieser Beweihräucherung bedurfte.
Heute schilderten zwei dieser Reimknechte in lateinischen Versen und Sonetten die Pracht des leontinischen Hofes, das hehre Leben der Kardinäle und Prälaten, den Triumph der Sangeskunst, ihre herrliche Entwicklung von Petrarca bis Accolti. Die Kardinäle wußten es wieder anders. Sie sahen in diesen überspannten Ausbrüchen der lobhudlerischen Reimmacher nur den Verfall der Dichtkunst, die sich als unterwürfiger Knecht in den Dienst des Papstes schmeichelte und hymnisch eine Pracht besang, die an und für sich dem Geist des wahren Christentums widersprach.
Petrucci fühlte sich angeekelt. Diese verpriesterte Hoflyrik mußte die Kirche und ihr 126 Oberhaupt in Verruf bringen. »Ich wette,« sagte er leise zu Soderini, »wenn ich diesem traurigen Poeten morgen ein gutes Nachtmahl verspreche, besingt er mich morgen als Apoll. Die Muse wird kindisch, die Freiheit Italiens siecht dahin, und diese Jämmerlinge haben nichts anderes zu tun, als den Papst und die Liebschaften der Kardinäle zu besingen.«
Die beiden Dichterlinge wurden, als sie zu langatmig wurden, vom Papst lächelnd hinauskomplimentiert.
Aber unter schallendem Gelächter erschien nun in der Saaltür Fra Mariano, der Lieblingsnarr des Papstes, als Jude gekleidet, und rollte sich mit einem Krämersack, aus dem kleine Krokodile, mechanische Spielzeuge, hervorpurzelten, über den Boden hin. Leo hielt sich den Bauch vor Lachen und schlug dem Frater mit einer langen Stangenwurst auf den Hintern. Die Musik spielte einen Triumphmarsch.
Eine zwergartige Mißgeburt, der Peruginer Fano Nero, lief auf den Händen herein und wackelte mit den Füßen in der Luft herum, wickelte sich dann mit dem Frater zu einem komischen Knäuel zusammen und beide rollten nun in einem Klumpen über den Fußboden hin, unartikulierte Laute ausstoßend, die wie Jauchzer klingen sollten.
An solchen traurigen Späßen konnte sich der 127 Papst kranklachen. Wenn sie einmal ausblieben, war er schlecht gelaunt. Nachdem die Narren ihre verschiedenen Tollheiten zum besten gegeben hatten, wurden auch sie von Leo gnädig entlassen.
Der Papst stand auf und verkündete, daß er sich in den nächsten Tagen nach Civita vecchia zurückziehen werde. Er nahm sozusagen offiziell Abschied. Als er Petrucci die Hand drückte, sah er ihm tief ins Auge, als wollte er auf den Grund seiner Seele dringen.
Die Kardinäle blieben noch beisammen, der Wein floß reichlich, und man hatte Gelegenheit, sich freier auszusprechen.
Das fadenscheinige Bündnis Leos mit Franz I. wurde durchhechelt. Spanien, meinten einige, sei darüber höchst unzufrieden, denn es hätte gern selbst den Papst zum Verbündeten gehabt. Franz werde nun sicherlich seine gierigen Hände, die an Mailand nicht genug hätten, auch nach dem Königreich Neapel ausstrecken, wozu ihn der Papst bei der Zusammenkunft in Bologna vor einigen Monaten selbst aufgefordert haben sollte.
Dann wurde Urbino hergenommen. Der verstorbene Giuliano habe den Papst angefleht, ja nichts gegen das Herzogtum zu unternehmen, dessen Fürst sich den Medici gegenüber immer als Freund gezeigt habe. Auch seine 128 Adoptivmutter, die einst durch ihre Schönheit berühmte Fürstin Elisabeth von Gonzaga, habe doch Lorenzo de' Medici als Kind auf ihrem Arm getragen, und sich dem großen fürstlichen Kaufherrngeschlecht immer freundlich erwiesen, und gerade sie könnte es nicht fassen, daß Leos heimliches Sinnen darauf abziele, dem Herzog Francesco Maria sein Land einfach wegzunehmen. Es war in Rom sogar bekannt, daß die schöne Elisabeth heimlich nach Rom gekommen war, um sich dem Papst zu Füßen zu werfen. Doch Leos Antwort soll ein entschiedenes Nein gewesen sein. Der Papst soll durch die trostlose Witwe den Herzog aufgefordert haben, sein Land zu verlassen. Raub nannten es selbst die Römer. Die Beschuldigung verstimmte den Papst, aber sein Entschluß blieb fest.
Die Kardinäle nahmen teils für, teils gegen des Papstes Absicht Stellung. Die jüngern Kardinäle scharten sich gesinnungsmäßig um Petrucci, für den Urbino nur ein Parallelfall seines eigenen Geschicks war. Er sah dieselbe Gewalt am Werk, die sein Geschlecht aus Siena vertrieben hatte. Des Papstes geleerte Kasse mußte auf irgend eine Art wieder gefüllt werden. Nicht nur die römischen und florentinischen Bankhäuser mußten ihre Schränke öffnen, Leo verfiel sogar auf den Plan, im In- und Ausland sich durch den Ablaßverkauf Geld zu verschaffen, angeblich um 129 den Bau der Peterskirche zu fördern, in Wahrheit, um die Sammlung auch für seine Privatschatulle in Anspruch zu nehmen. Besonders in Deutschland hatte er den Kurfürsten von Mainz beauftragt, diesen Ablaßverkauf in schamlosester Weise durchzuführen. Und es trafen Nachrichten aus Deutschland ein, die den Papst hätten bedenklich stimmen sollen. Aber der Schmachhandel ging weiter.
Petrucci nahm nun, da sich der Papst mit seinem Vetter Giulio entfernt hatte, für Urbino unverhohlen Partei. Die andern Kardinäle, die sich Leos Eroberungspläne zum mindesten nicht widersetzten, sahen befremdet auf den durch den Weingenuß schon etwas erhitzten Verteidiger des Herzogs von Urbino.
Alexander Farnese, ein getreuer Parteigänger der Medici, setzte sich näher an den eifernden Petrucci heran. »Ihr solltet doch den Entschließungen des Heiligen Vaters nicht vorgreifen, guter Freund. Seine Heiligkeit hat Urbino noch nicht öffentlich angeklagt.«
»Was tut denn Seine Heiligkeit öffentlich?« rief Petrucci mit erhitzten Wangen. »Die Öffentlichkeit war auch bei Siena ausgeschlossen.«
Farnese suchte zu beruhigen. »Das Schicksal Sienas traf Euch hart, ich weiß.«
De Sauli mischte sich drein. »Und nun soll auch Urbino daran glauben. Wer brächte den 130 traurigen Mut auf, sich des Mitleids mit dem Herzog zu erwehren?«
Farnese verschränkte die Arme über der Brust. »Ihr vergeßt die Vorgeschichte, Freunde. Francesco Maria war einer der ersten, der sich gegen die Wiedereinsetzung der Medici in Florenz gesträubt hatte. Er hat es auch ausgeschlagen, den Befehl über die päpstlichen Truppen zu übernehmen, als es gegen Frankreich ging. Und habt Ihr den Straßenmord von Ravenna in den Schacht der Vergessenheit geworfen? Der Herzog erdolchte den Kardinal von Pavia auf der Straße – nur weil dieser ihm die Schuld an der Niederlage der päpstlichen Truppen gibt. Und Pavia war Leo befreundet. Zum Überfluß hat Francesco Maria in den Tagen von Ravenna die römischen Flüchtlinge aus Urbino vertrieben. Nicht zu vergessen, daß sich der Herzog mit den Gesandten fremder Mächte insgeheim verbunden hatte, um gegen den Papst zu konspirieren. Das sind Posten, die addiert eine ansehnliche Schuldsumme ergeben.«
Petrucci hatte ruhig zugehört. Nun rückte er Farnese entgegen. »Die aber noch immer nicht hinreichen, ein Land zu annektieren und einen Fürsten aus seinem rechtmäßigen Besitz zu verjagen. Man durchsuche die Herzen anderer Fürsten nach Schuld und man wird größere Sünden entdecken. Auch die Medici waren nicht so 131 schuldlos, als man sie aus Florenz vertrieb. Die Erfahrung sollte Seine Heiligkeit milder stimmen.«
Ein paar Kardinäle erhoben sich. Die Stirnmung drohte gereizt zu werden. Man kannte das leidenschaftliche Temperament Petruccis, das im Weinnebel sich flammend Luft zu machen pflegte. Bald saß nur mehr Petrucci mit seinen Freunden und Farnese an einem Tisch, während sich an einem andern Chigi, Accolti und Jovius in einem Gespräch über Kunst zusammengetan hatten.
»Soll es eine Strafexpedition werden?« ereiferte sich Petrucci von neuem. »Eine Maßregelung des Herzogs? Und nach so langer Zeit des Friedens? Der Papst hat drei Jahre Zeit gehabt, den Herzog zu züchtigen. Warum erst jetzt das grausame Verfahren? Ein wirklich beleidigtes Herz handelt rascher. Es sieht wie verspätete Rachsucht aus.«
Farnese schmunzelt über den Wildling. »Sich so zu erhitzen, Petrucci. Für eine fremde Sache obendrein.«
»Den Ehrlichen empört das Unrecht auch beim Fremden. Ihr seid unterrichtet, Farnese. Wie steht die urbinatische Sache?«
»Ich nehme keinen Anstand zu erklären, daß die geheimen Verhandlungen mit dem Herzog schon überholt sind. Franscesco Maria della Rovere hat Urbino verlassen.«
Petrucci wirft den Oberleib zurück. »Verla –? Urbino verlassen?«
132 »Er hat sich zuerst nach Pesaro begeben, wo er eine Besatzung von dreitausend Mann zusammenzog. Und nun soll er nach Mantua zu seinem Schwiegervater Franz Gonzaga gegangen sein.«
Petrucci ist bestürzt. »Nachgiebiger Herzog! Ist niemand, der dir beisteht?«
Soderini unterstützt den Freund. »Sein Land so leichten Kaufes aufzugeben! Es ist eines Rovere unwürdig.«
Und Adriano: »Man müßte dem Pasquino neue Nahrung geben und ihn die Trauer des Herzogs lustig besingen lassen.«
Farnese ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Morgen wird die Bannbulle gegen den Herzog erlassen werden, sie beraubt ihn aller urbinatischen Rechte. Jede Stadt des Herzogtums trifft das gleiche Schicksal, wenn sie ihrem Herrscher noch weiter treu bleibt.«
Petrucci und de Sauli springen auf. »Es ist genug,« schreit Petrucci. »So ist die Treue strafbar, und Untreue wird zum Gesetz erhoben. Kardinäle, wir brechen auf. Könnten wir, wie wir wollten, wir würden Trauerflore auf dem Purpur tragen. Es lebe die leontinische Gerechtigkeit.«
Polternd, vom Weine dampfend, schritt Petrucci mit seinen Freunden an dem Zeremonienmeister de Grassis vorbei, der den siedenden 133 Köpfen staunend nachblickte. »Was haben sie nur?« fragte er Farnese.
»Zuviel Wein und zu wenig Verstand,« antwortete der Kardinal. »Man sollte ihre Köpfe unter eine kalte Fontäne halten und sie daran erinnern, daß sie das Brot Seiner Heiligkeit essen.«
Petrucci winkte die Kardinäle in der Galerie zu sich. Er trat mit ihnen in eine Nische. »Kommt Montag, meine Herren, zu de Sauli, denn mein Haus wird bewacht. Ich habe mich allzu sehr bloßgestellt.«
»Was soll's bei de Sauli geben?« fragte Soderini.
De Sauli rückte rasch heran. »Wir wollen Petrucci helfen, seinen Sieneser Handel zu bereinigen.«
Der bleiche Kardinal Riario stielte die Augen. »Und was habe ich dabei zu tun?«
Petrucci flüstert ihm heiß zu: »Ihr sollt eine Rolle dabei spielen, um die Euch viele beneiden werden.«
»Laßt mich doch aus dem Spiel, ich bin nicht einer der Jüngsten.«
»Eben deshalb. Ich bitte Euch, kommt.«
Alle drückten Petrucci die Hand und gingen dann durch die Galerie nach der Treppe.
Im Saal ging noch ein letztes Pokulieren an, Chigi, der Dichter und der Geschichtsschreiber 134 rückten noch mehr zusammen und ließen sich von den päpstlichen Musici fröhliche Weisen spielen. Die Kerzen brannten schon tief herab. Farnese setzte sich zu dem weltlichen Kleeblatt.