Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Fünfzehntes Kapitel

Der Papst war nach Rom zurückgekehrt. Als das Kardinalskollegium zusammentrat, um ihn zu seiner Erholung zu beglückwünschen, fanden die hohen Würdenträger einen bleich aussehenden, aufgequollenen Herrn vor, der mehr einem Kranken als einem Genesenen glich.

In der Stanza d'Eliodor, wo Raffaels Bild der Vertreibung des syrischen Feldherrn aus dem Jerusalemer Tempel von der Wand leuchtete und der Papst Julius als Zuschauer auf dem Tragsessel verewigt war, wie er den himmlischen Rächern mit ernstem Blick dankt, und wo der christusähnliche Dürerkopf eines Trägers die dankbare Verbundenheit des römischen Malers mit dem deutschen offenbart, in dieser Camera, wo auch das Bildnis Leos im Gemälde der Attila-Umkehr von der Verehrung des Urbinaten Zeugnis gab, waren die Kardinäle versammelt und grüßten ihren rückgekehrten Herrn, der einige Falkenjagden in Viterbo auf Wachteln und Fasanen mitgemacht und dortselbst auch die warmen Bäder gebraucht hatte, um dann an dem Bolsenasee als Gast Farneses zu fischen. Aber Jagd und Fischerei waren wenig erfolgreich gewesen, was bei Leo stets eine anhaltende Mißlaune ausgelöst hatte. Auch die Jagd auf Wildschweine in Civitavecchia war nicht 217 zufriedenstellend gewesen, und zum Überfluß hatte Leo im September beim Primieraspiel viertausend Dukaten verloren, sodaß die Kardinäle nun einen verärgerten Herrn vor sich sahen, der sich nicht einmal die Mühe gab, diesen Ärger zu verbergen. Der Oberjägermeister Giovanni Maroni, dem der Papst die Schuld an dem jagdlichen Mißerfolg gab, durfte sich überhaupt nicht sehen lassen und war nahe daran, entlassen zu werden.

Der Papst drückte jedem der Kardinäle die Hand. Als er zu Petrucci kam, überwand er mit Geschick die innere Erregung und setzte eine harmlose Miene auf. Dem Kardinal schoß das Blut in die Wangen. Aber auch er blieb scheinbar unbewegt.

»Habt Ihr Nachrichten aus Siena? fragte Leo unbefangen.

»Keine. Unter Raffaellos Regiment scheint die Stadt ruhiger zu sein.«

Auch die übrigen mißvergnügten Kardinäle begrüßte der Papst mit derselben Maske. Dann gab er über die letzten Ereignisse in Urbino Bericht. Das Land, sagte er, sei nun fest in den Händen Lorenzos, Brescia und Verona seien von den Franzosen unter Lautrec und von den Venezianern unter Andreas Gritti belagert worden. Brescia habe sich den Franzosen ergeben, Verona verteidige sich noch unter Colonna, der von Tirol her Entsatz erwarte. Dieser aber werde wohl zu 218 spät kommen. Leo verhehlte dem Kollegium nicht seine Angst, daß irgend ein fremder Staat sich der italienischen Provinzen bemächtigen könnte, denn der Kaiser und Frankreich lauerten darauf, ihre Kämpfe auf italienischem Boden austragen zu können. La Gallia versuche sich mit dem jungen spanischen König Carolus auszusöhnen, was er, Leo, dadurch verhindern wolle, daß er einen Bund mit dem Kaiser und dem König von England, ja vielleicht sogar mit Spanien selbst zu schließen gedenke.

Der Kardinal Carvajal wies den Papst darauf hin, daß dieser Bund eigentlich gegen Frankreich gerichtet sein würde, mit welchem Land doch Seine Heiligkeit ein Bündnis geschlossen habe. Der Papst lächelte beinahe schelmisch. »Man hält Bündnisse immer nur mit dem Stärkeren. Augenblicklich scheinen die drei Mächte die stärkeren zu sein.«

»Und – die Vertragstreue?« wagte der Kardinal von Ferrara einzuwenden.

»Ist ein schönes Wort von moralischer Bedeutung, das aber leider durch notwendige Taten bedeutungslos werden kann.«

Die Kardinäle sahen einander verwirrt an. Sie wurden im nächsten Augenblick gnädiglich verabschiedet. Der Optimus Maximus – mit diesem Beinamen Jupiters schmückte nicht nur der Römer den Papst, sondern auch dieser sich selbst – 219 behielt nur Giulio de'Medici und Bibbiena zurück. Er wies ihnen einen Zettel vor, den er auf der Schwelle der Stanza della Segnatura gefunden, als er zu der Kardinalsversammlung gegangen war. Auf diesem Zettel stand nur: »Das apostolische Amt ist, Gottes Wort auszusäen, nicht aber fremdes Gut zu ernten.«

»Das geht auf Urbino und Siena,« sagte Kardinal Giulio.

»Ein ähnliches Papier hat Julius II. auch bekommen,« sagte Bibbiena.

»Auch so eines wie dieses?« Der Papst holte einen zweiten Zettel aus seinem Kleid hervor.

Giulio las: »›Betet lieber für Euch und uns, anstatt Eure Nasen in Staatshändel zu stecken.‹ Wo lag dieser Zettel?«

»Auf der Schwelle zur Sixtina. Es müssen einfältige Gemüter sein, die solche Flugzettel verbreiten.«

Giulio untersuchte den zweiten Zettel näher. »Das riecht nach einem beleidigten Herzen. Ich mutmaße: der sienesische Kardinal –«

»Ah!« Der Papst stielte seine Froschaugen. »Ich hätte mit Petrucci sprechen sollen. Aber nein – jetzt noch nicht – noch nicht.«

Man vergrub sich in kuriale Dinge.

Der Kardinal, der dem Papst die heitern Stunden verdarb, verließ eben den Vatikan und ritt auf der Via Appia in die herbstmüde Campagna 220 hinaus, durch das graue Steppengras an den antiken Grabmälern vorbei. Es war das erstemal, daß er seit dem Verlust des Urbinobriefes seinem Herrn gegenübergestanden hatte. Hatte der Papst geahnt, gewußt, daß ein zum Äußersten entschlossener Mann vor ihm stand, der unter dem Kardinalspurpur den Dolch des Brutus trug?

Die letzten Tage waren für Petrucci vollgesogen mit Unheil. Seine verlorene Liebe, sein zertrümmertes Haus durchwühlten sein Gemüt. Wie Dämonen fielen die düstern Gedanken über ihn her und zerrissen den Frieden seiner Seele. Die Versuche seiner Freunde, ihn zu beruhigen, schlugen fehl. De Sauli und Soderini, mit denen er noch einmal heimlich zusammengekommen war, drangen mit christlichen Lehren in sein zerfahrenes Gemüt, aber sobald Petrucci allein war, fiel er wieder den Haßgedanken zum Raub. Der Papst verlor in seinen Augen jede Menschlichkeit, wurde zum Spießgesellen des Teufels, war beim Papst Alexander in die Lehre gegangen. So häufte er Schuld um Schuld auf das Haupt der Christenheit. Sich selbst sah er abseits der Kardinäle stehen, verfemt, gemieden. Er hatte, als er in die Kardinalsversammlung ging, unter dem Hochdruck der wühlenden Haßgedanken den Dolch zu sich gesteckt, um ihn dem Papst, wenn er ihn reizen sollte, in die Brust zu stoßen. Als aber dann Leo harmlos wie ein Tobiasengel 221 vor ihm stand, sank ihm der Mut zur entscheidenden Tat. Ein Lamm stand vor ihm, kein Teufel. Oder er trug wenigstens die Maske des Lamms, und davor hatte er, Petrucci, kapituliert! Er suchte nun auf seinem einsamen Ritt zur Klarheit zu kommen, ob er überhaupt zu dieser Mordtat fähig sei oder ob ein anderer sie für ihn begehen mußte. Sein Gewissen, seine Erziehung warnten ihn, das Gräßliche selbst zu tun.

Beim Reiten durch die schwermütige Campagna, an deren Rand die Albanerberge im Herbstdunst schimmerten, überkam ihn ein schmerzliches Gefühl der Resignation, das beinahe an Melancholie grenzte. Er fühlte sich von Gott sternenweit entfernt. Am liebsten hätte er sein Kardinalsgewand abgelegt und den einfachen Kittel eines Eselstreibers angezogen. Er überdachte sein Leben, sein durch seine Gedanken geschändetes Amt. Er war nicht würdig, Kardinal zu heißen. Aber waren es die andern? Wer unter ihnen war wert, als Nachfolger Christi zu gelten? Litten sie nicht alle an einem grenzenlosen Hochmut, ertranken sie nicht im Reichtum ihrer Pfründen und Würden? Darbte nicht neben ihnen der einfältige Christ und erstickte er nicht in seiner Armut? In welches Priesterherz auch sein Geist jetzt flog, er stieß auf eine harte Mauer, die ganze Hierarchie erschien ihm verderbt, unlauter, verworfen von dem Gerechten, gehaßt von dem 222 wahrhaft frommen Christen. Und die Ausnahmen? Sie würden nicht lange im Priesterrock bleiben, sie mußten früher oder später sich selbst aus einer Gemeinschaft ausstoßen, die den Namen der Christenheit schändete. Wo blieb die vielbesprochene und vielversprochene Reform der Kirche an Haupt und Gliedern? Ach, es genügte die Reform an dem Haupt, meinte Petrucci, die Glieder würden sich dann von selbst reformieren.

Unendliches Weh erfaßte den sonst sich so wildaufbäumenden Stürmer. Er sehnte sich in dieser Einsamkeit nach einem Herzen, an dem er friedlich sein Haupt niederlegen konnte. Lucia Impaggi besaß dieses Herz nicht, denn es schlug für einen andern. Und doch gab er sie nicht ganz verloren. Er konnte nicht völlig von ihrem Bilde loskommen. Es stand immer vor ihm, wenn er sich von seinen Haßgedanken loszumachen suchte.

Wer sollte ihm den Pfad weisen, an dessen Ziel die Bilder der Selbstzerstörung verblichen und der in ein sonniges Glücksland führte, das doch auch für ihn da sein mußte. Er dachte an die frohbesinnlichen Freunde, an de Sauli, Soderini und Adriano. Keiner drang wohl in die heilige Tiefe der Dinge, ihre Gedanken blieben in der Äußerlichkeit stecken und der Alltag war ihr Paradies. Obwohl Priester, hatten sie doch keine Fühlungnahme mit der Seele, und die Bewahrung der Zeremonien und Bräuche, die Bedachtnahme 223 auf das rein Kirchliche im Leben des Menschen, verdrängten jeden Ansatz zu einer innern Schau.

Als der Kardinal an einer Hirtencapanna vorbeiritt, flog sein Gedanke unwillkürlich zu dem alten, ehrlichen Eremiten Fabio Calvo hinüber, der da drüben hinter Rom auf dem Berge des Marius auf seine eigene Weise Gottes Nähe suchte. Ja, den wollte er aufsuchen, auf daß er ihm aus der Bedrängnis seines Herzens und Gewissens helfe.

 


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