Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Viertes Kapitel

Vor dem Landhaus des Kardinals Alfonso Petrucci auf dem Quirinal hielten zwei Karossen. Aus der einen stieg der Kardinal Bandinello de Sauli, aus der andern Franz Soderini, Kardinal von Volterra, Bruder des Piero Soderini, des von den Medici verjagten Gonfaloniere von Florenz, der vor vier Jahren sein schweres Amt in die Hände des aus der Verbannung zurückgekehrten Geschlechtes legen mußte. Seit dieser Zeit saß Groll gegen die Medici in den Herzen der Soderini, und von diesem Groll wurde auch das Oberhaupt der Kirche, der Mediceerpapst Leo X. nicht verschont.

Die beiden Kardinäle stiegen die Marmorstufen hinauf. Sie waren beide in den besten Jahren und ihre Schritte federten über die Treppe, ihre Leiber wiegten sich im Priesterkleid, und von ihren Gesichtern strahlte Sonnenschein. Ihr Gewand stand ihnen gut, doch besser noch das schmucke Jägerkleid, das sie meist trugen, auch 52 wenn sie nicht mit dem Papst in die Campagna oder nach Viterbo auf die Jagd ritten.

Das Landhaus des Petrucci war nach altrömischen Gedanken geformt. Der Kardinal hatte sich wie viele seiner geistlichen Brüder in die antike Welt verliebt und ihre Formen in sein Leben eingebaut. So grüßten den Besucher – und es ging die ganze Gelehrtenschaft bei ihm ein und aus – im Erdgeschoß Atrium und Peristyl, Tablinum und Seitengemächer, und wenn man die Marmortreppe hinaufstieg, führte eine Galerie zu dem Triklinium, wo sich der Kardinal mit seinen Gästen am liebsten unterhielt, und dem Schlafgemach, das, von einem Netz von Gurtbogen überspannt, durch drei Apsiden anmutig gegliedert war. Die Galerie war reich an Säulen, Pilastern und Nischen, die Zimmerwände aus Marmor, die gewölbten Decken aus farbigem und vergoldetem Stuck, und überall offenbarte sich in Stein und Goldverzierung der Geschmack und Reichtum des Besitzers. In dem vom Peristyl eingefaßten Freihof, in den die Türen aus verschiedenen Gemächern mündeten, sorgte ein von Wasserkünsten umspieltes Nympheum inmitten eines Marmorteiches für die Abkühlung und Belebung des Hauses.

Der junge Kardinal Petrucci hatte die Gäste kommen sehen. Frohbeschwingt eilte er ihnen entgegen, denn ihre Gesinnungen trafen sich in 53 vielen Belangen des Alltags mit den seinen, und er fühlte sich im Umgang mit ihnen herausgehoben aus dem Zeremoniell des Papsthofes.

Petrucci ließ die Freunde ins Triklinium treten, wo er sofort für sie Obst und Wein servieren ließ.

Noch ehe sich der ältere, de Sauli, in den geschnitzten Stuhl fallen ließ, trat er ans Fenster und spähte in den Hof hinab. »Das Nympheum ist frauenrein,« lachte er vergnüglich nach dem Hausherrn hinüber. »Es ist also anzunehmen, daß Euer Gnaden Schonzeit haben.«

Der etwas gröbliche Scherz machte auch Soderini lachen, der sonst für Heiterkeit nicht viel übrig hatte, da ihn die Antipathie gegen den mediceischen Papst völlig verzehrte. Er mußte auf Schritt und Tritt seinem Feind huldigen und ging doch gegenteilig belastet durchs Leben. Was hätte er darum gegeben, in einem fernen Erzbistum sein Dasein so gemütlich als möglich gestalten zu können. »Fürwahr, Petruccis Laune ist sonnenhell, ob er nun Frauen herzt oder sie und sich schont.«

Der Gastherr lächelte überlegen. »Daß doch fast alle meine Amtsbrüder von Frauen sprechen, wenn ich über sie schweige.«

De Sauli lehnte sich behaglich im Sessel zurück und ließ eine Orange im Mund zerfließen. »Man weiß, wenn Ihr schweigt, handelt Ihr um so 54 ernsthafter, besonders auf dem Frauenmarkt.«

»Scherz beiseite, Freunde. Ich mache Genußpausen, um dann um so eifriger zuzupacken.«

Soderini spielte mit dem Petschaft auf dem Ebenholztischchen. »Die ganze Welt bedauert, daß der Adonis im Purpur nicht lieber den Kriegsmantel um seine Schultern hängt. Er stünde ihm besser, und die Welt hätte keine Ursache, die adamitischen Triebe eines Kirchenfürsten zu benörgeln.«

»Nörgelei hat den Neid zum Vater. Laßt sie spotten, meine Herren. Was gibt es sonst seit gestern? Ihr kamt vom Abendessen bei Farnese gut nach Hause?«

»Es gab die würzigsten Hühner und den trefflichsten Malvasier. Gelobt sei der Küchengeist seines Hauses!« Soderini schnalzte mit der Zunge.

»War der Kardinal Giulio de' Medici zu Gast?«

Die beiden Herren nickten mit beziehungsvollem Lächeln. Soderini unterstrich es noch mit Worten. »Geschmeidig wie immer, für alle hatte er ein gutes Wort, wenn auch nicht für alle gute Gedanken. Er kam gerade aus Florenz und brachte Nachricht, daß sein Vetter Giuliano, der Bruder des Papstes, nur mehr wenige Tage zu leben habe.«

Der Gastherr horchte auf. »Es täte mir leid, wenn der beste der Medici frühzeitig vor Gott 55 gerufen werden sollte. Über seiner Gruft würden zwei andere triumphieren, denen er immer im Weg stand: Der Kardinal Medici und sein Vetter Lorenzo, der junge herrschsüchtige Fant, der Florenz schon halb in seiner Gewalt hat.«

Soderini verbiß einen Fluch. »Alles was Medici heißt, beherbergt die Tücke im Herzen. Kommt näher, ihr Freunde. Wißt Ihr, was man sich in Florenz zuraunt? Lorenzo soll an dem Siechtum des armen Giuliano nicht ganz unschuldig sein. Ja, ja, ich meine, was Ihr denkt. Man spricht von einem schleichenden Gift –«

De Sauli tat empört. »Laßt es nicht laut werden. Es ist entsetzlich. Die Borgia haben bei den sogenannten Edlen mehr als nötig Schule gemacht. Zum Überfluß hat Machiavelli sein Rezeptbuch geschrieben, das jedes Tyrannen Schreibtisch ziert. Man muß gestehen, die Welt zerbricht langsam an den eigenartigen Ich-Gedanken der Menschen.«

»Sie mag zerbrechen, die Kirche wird bestehen,« prahlte Petrucci mit wenig Überzeugung und trank seinen Freunden zu. »So Ihr einen Mithasser braucht, Soderini, erinnert Euch meiner. Kardinal Medici oder Papst Medici – es prangen beide auf des Satanas Höllentafel. Ich wette, nicht nur Lorenzo, auch Giulio Medici betet für ein ausgiebiges Siechtum des Giuliano. Er ist der Lenker der Papstgedanken, der Steuermann auf 56 dem vatikanischen Schiff, das böse Herz des Kirchenstaates. Hätte er Fähigkeiten zu einem Condottiere, er hätte längst die Pranke nach den angrenzenden Staaten ausgestreckt.«

De Sauli strich sich behaglich die Knie. »Ihr wittert falsch, Petrucci. Der Papst selbst ist es, der mit dem Kardinal Medici die Geschicke seines Geschlechts lenkt. Dieses gilt ihm mehr als das Geschick der Christenheit. Und wenn mich nicht alles trügt, werdet Ihr, Petrucci, bald auch die lenkende Hand des Papstes zu fühlen bekommen.«

»Wohin zielt das Wort?« Der Kardinal sah betreten auf.

»Nach – Siena.«

»Meiner Stadt? Ach, Ihr meint das lächerliche Geschwätz über die Vorfälle auf dem Domplatz?«

»Euer Bruder Borghese soll im Verein mit den Novi das Volk arg knechten, die Popolari haben sich erhoben und es kam zum Tumult.«

»Nennt mir eine Stadt in Italien, die frei wäre von solchem Hader der Geschlechter. Florenz, Rom, Bologna, Perugia, Mailand, Genua, Faenza, Camerino, Imola – ach, ich müßte Euch ermüden. Wahr ist's, ihr Herren, mein Bruder Borghese hat eine harte Faust, aber der Pöbel verlangt sie.«

De Sauli lächelte. »Darüber mögen andere urteilen. Wißt Ihr, wer der Hetzgeist von Siena ist?«

»Die Piccolomini?«

57 »Weit gefehlt. Eure Brüder Borghese und Fabio sind da besser unterrichtet. Der Papst selbst schürt das Feuer.«

Petrucci rollt die Augen. »Das – kann – nicht sein –«

»Stellt Ihr Euch nur so blind, oder seid Ihr's? Bemerktet Ihr nicht, wie Euer Vetter Raffaello Petrucci, der Vogt der Engelsburg, in den letzten Wochen sich an die Fersen des Papstes heftet? Wie er ihm bei der Tafel die schönsten Anekdoten erzählt, ihm die neuesten antiken Funde zu Füßen legt, mit ihm über die Köpfe der Kardinäle hinweg die Jagdwirtschaft erörtert und ihm allerlei Geldprobleme in die Ohren bläst? Raffaello da und Raffaello dort, heißt es beim Papst. Selbst sein getreuer Spaßmacher Bibbiena hat Mühe, seine eigenen Ideen durch das Rankenwerk des Vogts durchzupressen.«

»Raffaello, der Schmeichler –« sinnt Petrucci mit gefurchter Stirn vor sich hin. »Ja, ja, jetzt wird mir manches klar, was mir früher bedeutungslos erschien. Raffaello weicht mir aus, braucht nur wenige Worte, schützt Eile vor, gibt sich gehetzt – aber was will er beim Papst? Was will dieser mit ihm?«

»Kurzsichtiger Freund! So wissen wir mehr als Ihr? In Siena pfeift man's wie ein Karnevalslied durch die Gassen: Addio, Borghese Petrucci! Benvenuto Raffaello!«

58 Kardinal Petrucci fährt empor. »Raffaello –? Das ist Wahnwitz! Er sollte? Herr und Tyrann von Siena?«

»Mit Hilfe des Papstes wird es dem Vogt ein Leichtes sein, Euern Bruder zu verdrängen.«

In diesem Augenblick trat ein Diener ein und flüsterte seinem Herrn etwas zu. Petrucci stutzte. »Führ ihn herein. Ihr entschuldigt, meine Freunde, Amerio Finese kommt mit wichtigen Nachrichten aus Siena.«

Ein vom Ritt erhitzter und verstaubter Reitersmann steht im Triklinium. »Darf ich vor den Exzellenzen frei reden?«

Petrucci hat dem Mann warm die Hand gedrückt. »Verschweigt nichts. Euch sendet Borghese?«

Der Kurier nickt. »Euer Bruder ist in höchster Gefahr.«

»Die Popolari –?«

»Haben sich erhoben. Es kam gestern zu offenem Aufruhr auf dem Domplatz. Der Ratspalast wurde gestürmt, Petrucci und Novi wurden aus den Gängen gedrängt, es gab Tote und Verwundete.«

»Wirtschaft! Wirtschaft!« Der Kardinal streckt sich. »Ich warnte Borghese, den Bogen nicht allzu straff zu spannen. Er ist heil?«

»Ist heil und mit Fabio und Euern Schwestern wohlgeborgen im Hause des Canacci. Aber das 59 Volk gleicht einem erregten Bienenschwarm und ruft nach Raffaello, Euern Vetter, dem Bischof von Grossetto.«

De Sauli triumphiert. »Da habt Ihr's! Das Kind ist geboren, die Komödie entwickelt sich, wie ich's vorausgesagt. Ich will mir ein chaldäisches Attest ausstellen lassen.«

»Und was schreit das Volk aus?«

Der Kurier zögert ein wenig. »Man klagt Borghese der Unfähigkeit an, wirft ihm Vergeudung des Zollschatzes vor, zeiht ihn der Vergewaltigung edler Frauen, aber das Gefährlichste ist, daß der Papst selbst durch seine Anhänger die Sache der Popolari unterstützt und den Raffaello zum Herrn von Siena machen will. Ihn gelüstet es, die erblichen Einkünfte Eures Bruders einzuziehen, deren Hälfte er Raffaello geben will.«

»Das meinem Bruder?! Tod und Mord!« wütet der Kardinal. Und er entreißt sich den begütigenden Armen der Freunde. »Dies der Dank an Petrucci, an meinen Vater! Er war Wegbereiter der Medici, ich selbst sammelte die Stimmen bei der Papstwahl für Leo, ich sprach warmen Herzens für den Sohn des großen Lorenzo, schob seine Verdienste in das Licht der Sonne, ich zögerte nicht, ihn den würdigsten unter den Brüdern im Purpur zu heißen, pries ihn als den einzigen, der die Tiara tragen könne, deren fleckenlose Reinheit durch ihn bewahrt werden 60 würde – oh! – und nun enttäuscht, weggeworfen, einem kriechenden Wurm zum Fraß hingelegt! Raffaello der Sieger über Alfonso! Einer aus meinem Geblüt! Und so etwas trägt die Erde noch?«

»Es ist die Schandtat eines Mediceers, aber man hat größere erlebt. Bedenkt, ihr Herren, die Kassen des Papstes sind geleert, und das Haus Petrucci ist reich, verkleinert man seine Einkünfte, so braucht es noch nicht an der Operation zu sterben. Der Papst muß die Künste fördern, den Hofstaat verweltlichen, die Nepoten versorgen – ei, der Herr der Christenheit muß eben auf Mittel sinnen, die bedenkliche Lücke in seinem Kirchenschatz zu füllen. Daß er gerade auf Petrucci verfällt, ist traurig für Euch, aber wir andern müssen froh sein, daß er bisher nur auf Euch verfallen ist. Wer kann wissen, wohin ihn sein böser Geist noch treibt. Verschluckt die bittre Pille und laßt die Zeit für Euch handeln.«

»Armseliger Tröster!« windet sich Petrucci in Qual. »Mein Bruder verjagt! Er und Fabio dem Exil ausgeliefert! Ihr Andenken bei den Sienesen geschändet! Fabio, noch halb Kind, verhätschelt und verzogen, im fremden Haus heimlich verborgen, jeden Augenblick dem Willen eines Verräters ausgeliefert! Ich sehe seine flehenden Blicke auf mich gerichtet, als ihn die Rute des Vaters bedrohte nach einem Bubenstreich – und nun 61 lauert der Mord auf ihn, und er hat keinen Beschützer.«

Finese versucht ihn zu trösten. »Man will ihn nächstens landeinwärts bringen, wo er vor Verrat und Aufruhr sicher ist. Borghese läßt Euch bitten, sein Recht beim Papst zu vertreten.«

»Kennt er diesen Papst so wenig?« lacht Petrucci bitter auf. »O ja, sein Versprechen wird groß sein, aber die Erfüllung ist beim Gott Nimmerda! Könige und Fürsten haben seine Doppelzüngigkeit, seine Unverläßlichkeit, seine Wortbrüchigkeit erfahren, wie sollte ich die Kraft haben, mit diesem Bruder des Teufels fertig zu werden.«

»Ihr geht zu weit. Steckt Euch hinter Giulio, den Kardinal,« rät Soderini.

»Das heißt vom Regen in die Traufe kommen. Nein, laßt mich meines Geschlechtes Sache übersinnen. Was Ihr gehört, verschließt es noch in Euren Herzen. Eure helfenden Hände seien gesegnet. Aber gebraucht sie jeder nach seiner Weise so, daß ihr Werk eine Tat sei.« Er schickt den Sieneser in die Küche, auf daß er sich stärke. Dann zu den Freunden: »Eure Hände! Versucht mich nicht zurückzuhalten, wenn ich bei meinem Racheamt Wege verfolge, die ungewöhnlich sein könnten –«

»Woran denkt Ihr, Kardinal?« fragt de Sauli besorgt. »Laßt die Wogen in Eurem Herzen 62 verebben. Ich rate Euch, dem Papst gegenüber so zu tun, als wüßtet Ihr nichts. Laßt Euch Zeit für Eure Rache, wenn Ihr die Verteidigung der Ehre Eures Geschlechtes so nennen wollt.«

»Rache ist ein übles Wort im Sprachschatz eines Kirchenfürsten,« meint Soderini, der Vorsichtige.

»So ersetzt es durch Selbstverteidigung. Letzten Endes kommt es auf die Tat an.«

Die Kardinäle haben sich erhoben. Der Wein war gut, das Ereignis von Siena hatte ihre Nerven prickelnd berührt. Sie kannten den leicht aufbrausenden Petrucci und hofften, daß sein Blut sich bald wieder beruhigen würde. Wie wenig kannten sie ihn.

Eben als sie die Treppen hinunterstiegen, begegnete ihnen Ascanio Aleandi, der mit einem Bild unter dem Arm sich beim Herrn des Hauses anmelden ließ.

Soderini warf einen Blick auf die Leinwand. »Ein Prachtkopf! Eine heilige Margarete?« Dann leise zu de Sauli: »Die Gebete unseres Freundes dürften inbrünstiger ausfallen, als es der Heiligen lieb ist.« 63

 


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