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Ballonfahrer

Im Zitherkeller war ein toller Betrieb. Eben kamen zwei Herren im Ballanzug mit »Susanna« die Kellertreppe herunter. Und kaum forderte der magere, sich affektiert gebende Mensch mit seiner hohen, piepsigen Stimme einen Ingwer, so kamen gleich ein paar junge Bengels an den Schanktisch, die sich bemühten, mit Worten und Gebärden die Art dieser mit einer armseligen Koketterie gekleideten Menschen jedem begreiflich zu machen.

Der Geschminkte, dessen Augen weitaufgerissen und grell in dem elenden Gesicht standen, hüpfte hin und her und zeterte:

»Pfui, du Loser! … Ich werf dich mit Sand und kleine Steinchen … Uch! … nein! … laß mich doch los! … Pfui!«

Dann kam Taubenemil, der Wirt, und sagte, sie sollten ihn in Frieden lassen, sonst gäb's 'n paar in die Fresse!

»Hier is keene sonne Kneipe nich!« sagte er erläuternd zu den beiden Herren, die »Suschen« mitgebracht hatte und die sich voll furchtsamer Neugier in dem kleinen Vorraum des Schanklokals umsahen und hineinblickten in das eigentliche Lokal.

Der Wirt hatte recht, hier verkehrten hauptsächlich Ballonfahrer, die man anderwärts auch Chanteurs oder Erpresser nennt.

Der Keller war klein. Zwei große Petroleumlampen unter Schirmen aus Spiegelglas mit daranhängenden Prismen gaben der Szene ihr Licht, und der größere Teil der Gäste, besonders die älteren, saßen ruhig an ihren mit schmutzigen Kaffeedecken belegten Tischen, zechend und plaudernd oder ins Kartenspiel vertieft.

Interessant war die Gruppe zur Rechten, wo vor einem uralten schwarzen Ledersofa, dessen Lehne ganz mit weißen Porzellanknöpfen beschlagen war, der Stammtisch stand. Dort hatten sich der rote Heini, Karlchen Bückedich und Jottlieb auf den wackeligen Rohrstühlen niedergelassen. Auf der einen Sofalehne flezte sich Popelmaxe und neben ihm die blasse Elli, die bis gestern noch gesponnen spinnen = im Arbeitshaus sitzen hatte und natürlich wütend auf die Winde Winde = Arbeitshaus schimpfte. Aber in der Mitte, so recht auf dem Ehrenplatz, thronte an der Seite seiner Braut, eines drallen, schwarzhaarigen, unglaublich frech aussehenden Mädchens, das Haupt der ganzen Erpresserbande, Husarenwilhelm.

Er erzählte eben:

» … Da seid ihr alle nischt jejen, jejen Lieschen! – Det der nach Italien jejang is, det wa direkt 'n Schlag in't Jeschäft! … Natierlich hatten wa det Dinges ooch von lange Hand anjelegt: erst ließen wa 'n mal richtig warm werden, den Fürsten …«

Wie er den Namen eines weitbekannten, uralten Geschlechts nannte, johlte der ganze Tisch über den Doppelsinn seiner Worte.

»Ach so!« Husarenwilhelm, in diesem Kreise eine anerkannte Größe, geruhte ebenfalls zu lächeln.

»Na, un denn jungen wa 'ran! … Schiefmaul – ihr kennt se ja alle! Se schwimmt jetzt in de Pletze Plätze = Plötzensee wejen Kuppelei – die hatte de Wohnung jemiet' … Un et wa 'ne proppre Bleibe Bleibe = Wohnung, det kann ick eich man flüstern! … Natierlich kletterte klettern = die Wohnung eines anderen benutzen Lieschen da ooch mit seinen Fürschten … Na, un wie der jrade dabei is un zieht seine Jacke aus …«

Der rote Heini, ein langer Mensch in schwarzem, fettigem Gehrock, verzog sein Gesicht, das von einer nicht zu beschreibenden Häßlichkeit und voll roter Bartstoppeln war, zu einem widerwärtigen Lachen, und Husarenwilhelm, in seiner Eitelkeit und Arroganz noch ganz der Ungehörige dieser buntscheckigen Truppe, fuhr auf und rief:

»Wat lachste denn, du Fuchskopp?! … Wenn ick wat azehle! … wat is'n da zu jrinsen?!«

»'n Fürst trägt keine Jacke!« meinte der ehemalige Bureaubeamte, den man auf Grund des § 175 sehr plötzlich verabschiedet hatte.

»Nee, da hat er recht!« brummte Karlchen Bückedich, der in helle Wut geriet, wenn ihn jemand mit seinem Schemen Schemen = Spitznamen. anredete, »'n Fürscht hat 'n Frack an!«

»Oda 'ne Uneform!« sagte Gottlieb, ein Mensch, dick und schwammig, wie ein alter verrotteter Schlauch, der auch maßlos trank und früher Sänger gewesen war.

Husarenwilhelm klopfte mit dem Finger an seine Stirn:

»Er wird doch nich in Uneform dahin jehn!«

»Nee, aber in Frack!« beharrte Karlchen.

»Na, also meinswejen! … meinswejen ooch in Frack! … Aba ihr laßt ein ja janich azehlen! Ihr wißt ja allens bessa … Schafskeppe!«

Husarenwilhelm stützte das Kinn in die hohle Hand und schwieg. Seine Braut und die blasse Elli setzten ihm zu, er sollte doch erzählen, aber er maulte. Schließlich gab er die Geschichte doch zum besten und schloß: »Wißta, was wa' so beileifig nach un nach von den jezogen ham? – Sechsunddreißig Mille! … ja, det wa'n Jeschäft! Damals wa noch wat zu machen! … Aba heite … nee, wißt a, wenn det nich balde anders wird, denn zieh ick ma zurück un wer Hypothekenschieba, oder ick jeh' bei de Polente un markier 'n Achtjroschenjungen!«

Wie er das sagte, sah er nach der Tür, in die eben ein kleiner Mensch mit albernem Gesicht und glattgescheiteltem Haar eintrat, der auch jetzt, wo er gewiß längst nicht mehr arbeitete, den Kellner in Aussehen und Haltung nicht verleugnen konnte.

»Bonbonjule!« sagte Husarenwilhelm leise, »der will wat!« Und stand auf.

Die Mienen der andern wurden ebenfalls gespannt, aber nur Karlchen Bückedich, dem der mit dem schwarzen Reiterschnurrbart winkte, erhob sich.

Sie verließen den Keller.

Draußen war eine warme, von sacht rieselndem Regen erfüllte Frühlingsnacht. Die Uhr einer nahen Kirche schlug drei.

»Der Sanfte hat eenen!« sagte Bonbonjule, »aber er will nich blechen … Er sprach mir an bei de Rotunde. Un kaum, det wa uff de Banke sind, kommt ooch schon der Sanfte! … Er hätte noch 'n bißken warten müssen, denn wa't bessa …«

»Na, un jetzt?« fragte Husarenwilhelm.

»Na, jetzt hat 'a 'n in'n Hain un droht'n imma, sowie se 'n Schutzmann seh'n, un sacht, er bringt'n hin – un, wenn se ran sind, denn sagt a, er wird's ihm noch mal schenken … aba wir müssen machen, det wa hinkommen!«

»Wo wa' et denn?«

»In Hain, bei'n Teich … jleich da, wo der Wech nach 't Denkmal abjeht.«

»Denn man los!«

Sie fielen in Laufschritt und waren zehn Minuten später mitten im Friedrichshain, in der Nähe des Denkmals.

»Da, da!« raunte der Kleine.

Auf einer Bank im Schatten des Gesträuchs saß der Erpresser mit seinem Opfer. Dieser arme Mensch schrie laut auf, wie er die beiden andern in der Finsternis heranschleichen sah.

Sofort kriegte er von Husarenwilhelm eine Maulschelle; der kommandierte:

»Nach de Wache!«

Der Sanfte, der nicht ohne Grund so hieß, hatte diesen zähen Homosexuellen nicht zu erleichtern verstanden. Jetzt, wo der Andersgeartete merkte, daß es Ernst würde, bot er zehn Mark, dabei weinend:

»Ich habe nicht mehr! … wahrhaftig, nein! … pfui! … faß mich doch nicht an! … pfui, ich schreie, du! … ich schreie!«

Ein zweiter Hieb gegen den Kopf, der ihn fast umwarf, brach seinen Widerstand: er lieferte schluchzend sein Portemonnaie aus. Aber das genügte den Ballonfahrern nicht.

»Brieftasche auch!«

Er gab sie heulend.

»Rock auszieh'n!«

Er tat's.

»Stiebel auch!«

Nicht einmal die Weste ließen sie ihm. In bloßem Hemd und Beinkleidern wurde der Unglückliche in die nächtigen, vom Regen durchrieselten Anlagen hineingejagt.

Bei der nächsten Laterne teilte Husarenwilhelm nach seiner Art die Beute, das heißt, er gab den andern auch ein paar Mark, sich selbst behielt er vor allen Dingen die Brieftasche, die voller blauer Scheine war. Sodann ging's zurück in den Zitherkeller.

Weste und Rock hatte Karlchen Bückedich bekommen, denn ihm paßten die Sachen am besten und er war am meisten im Bruch. Davor, daß der Beraubte sie wiedererkennen und anzeigen würde, hatten die Erpresser keine Furcht, das tun solche Leute zu selten.

Aber gerade diesen griff ein Schutzmann auf, in der Meinung, es sei ein Wahnsinniger, weil er ohne Kleider umherirrte. Und so hatte die Kriminalpolizei schon eine Stunde danach Kenntnis von dem Vorfall.

Gegen fünf Uhr stand eine Patrouille, aus acht Schutzleuten, einem Wachtmeister und einem Kommissar bestehend, vor dem Zitherkeller. Und um sechs saß die ebenfalls zehn Mann starke Erpresserbande schon hinter Schloß und Riegel. Sie erhielten, gerade, als wollte das Schicksal die Alliteration dieser Zahl auch weiter durchführen, Zuchthausstrafen von einem bis zu zehn Jahren.


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