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Im Namen des Gesetzes

Die kleine Maus im ersten Zimmer neben der Korridortür des Hotels erwachte von dem starken Anläuten und es wurde ihr gar nicht leicht, ihren Begleiter aufzuwecken, der am Abend vorher zuviel Sekt getrunken hatte.

»Um Gotteswillen, das ist die Polizei,« sagte sie, die schon im Unterrock und Korsett auf dem Bettrande saß und eilig die Strümpfe über ihre schlanken Beine streifte, »nu hab' ich mich so lange gehalten und nu komm' ich doch ran! … Aber nich wahr, du sagst, wir haben 'n festes Verhältnis?!«

Indem klingelte es von neuem schrill und andauernd.

Der Mann, der ein starkes Phlegma besitzen mußte, richtete seinen dicken Oberkörper in den weißen Decken und Kissen auf und stierte mit verschlafenen und trüben Augen in das elektrische Licht der Ampel, das die Kleine angedreht hatte.

»Das soll ja der Deibel holen!« sagte er, während der blonde, wirre Schnurrbart in dem pausbackigen Gesicht sich vor Entrüstung sträubte, »nich mal schlafen lassen se ein?!« Er sah nach der Uhr: »Erst einviertel viere! … was will denn das Gesindel?«

»'s is die Polizei … die revidiert!« sagte die Kleine, die schon dabei war, mit allen möglichen Verrenkungen ihres rundlichen Oberleibes die hinten zu schließende Bluse zuzuhaken.

»Mach' man, du! … mach' man! … wir müssen aufmachen!«

»Ih, fällt mir gar nich ein! … Ich habe das Zimmer für die Nacht bezahlt, und ich möchte den mal sehn, der mich hier rausbringen wird!«

Dabei stellte aber der Gute seine dicken Beine doch auf den Bettvorleger hinaus und begann, fortwährend schimpfend, seine Unterbeinkleider anzuziehen.

Inzwischen war es in den Nachbarräumen auch lebendig geworden, man hörte das leise Öffnen der Zimmertüren und gedämpftes Sprechen auf dem Korridor. Vor der Entreetür war es eine kurze Zeit still geworden, jetzt hörte man deutlich die Worte:

»Aufgemacht! … Im Namen des Gesetzes! … oder ich lasse die Tür öffnen!«

Von den Bewohnern dieser, der mehr oder weniger erlaubten Liebe geweihten Gemächer schien keiner sich berufen zu fühlen zum Amte des Pförtners. Man vernahm ein Klirren am Schloß, und dann ging, für die kleine, ängstlich lauschende Maus deutlich vernehmbar, die Korridortür auf.

Der dicke Herr hatte sich aufgerichtet und stand, mit dem schwachen Versuch, seine Haltung zu bewahren, in der Nähe der Tür, an die eben stark gepocht wurde.

»Soll ich aufmachen?« flüsterte er der Kleinen zu.

Die zuckte mit furchtsamer Miene die Achseln.

Da öffnete er und fragte kläglich:

»Was wünschen Sie denn?«

Von den beiden großen, einfach gekleideten Männern trat einer in die Stube. Der andere hatte das Gas im Entree angezündet und blieb draußen, wahrscheinlich um die übrigen Bewohner dieser »Pension für Tage, Wochen und Monate« zu bewachen.

Der Eingetretene hielt die bekannte Blechmarke in die Höhe und sagte mit amtsmäßig kalter Stimme:

»Sie sind beide verhaftet!«

»Beide?« Der Dicke warf den Kopf zurück und sah den Beamten von der Seite an, »die da mein'twegen! … « er zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf das Mädchen, »aber ich doch nicht etwa!«

Die Maus fing sofort laut an zu heulen:

»Ach, der gemeine Kerl, Herr Kommissar! … Ich bin 'n anständiges Mädchen und wohne bei meinen Eltern … ich wollte ja durchaus nicht mit! … aber er hat mich betrunken gemacht!«

»Das Frauenzimmer! … na, das sehn Sie doch selbst, Herr Kommissar, da brauch' ich Ihnen doch nichts sagen!  … Rauchen Sie vielleicht 'ne Zigarre, Herr Kommissar?«

Das Mädchen schluchzte und schimpfte dazwischen, der Beamte antwortete gar nicht, ging zur Tür und rief hinaus:

»Die andern sämtlich hier reinbringen, Müller!«

Das geschah langsam.

Zuerst kam ein Alter, dürr, klapprig, wie ein verfallenes Gebäude, in dem aber die Fenster noch glühen und leuchten. Mit diesen schwarzen, unruhvollen Augen suchte er instinktiv zuerst die kleine Brünette, als ihn der zweite Kriminalbeamte ins Zimmer schob, hinter ihm her ging eine üppige Frau von vielleicht vierzig Jahren, mit Mänteln und Hüten auf dem Arm. Ihre Taille war vorn noch nicht geschlossen, man sah über dem Hemde den gelben, schon runzligen Hals. Sie weinte, während ihr Liebhaber unverständliche Worte der Empörung in seinen weißen Bartstummeln zerquetschte.

Nun erschien im Türrahmen eine hübsche, ritterliche Gestalt, ein junger Herr in den Dreißigern, der seiner Begleiterin artig den Vortritt ließ und sich den ihm nachdrängenden Beamten vom Leibe zu halten verstand.

Im Zimmer verneigte er sich flüchtig vor den Anwesenden und trat dann mit raschem Schritt dem Beamten näher:

»Wer sind Sie?«

»Danach haben Sie nicht zu fragen, sondern ich!« schnauzte der Polizist.

»Einen Augenblick, bitte!« Der junge, elegante Herr ging etwas zur Seite und der Polizist folgte ihm unwillkürlich in die Zimmerecke.

»Hören Sie mal, indem Sie mir hier diese Unannehmlichkeiten machen, bereiten Sie sich selber welche! Ich bin Offizier, mein Name ist … « Der junge Herr dämpfte seine Stimme noch mehr zum Flüstern.

Der andere machte eine fast höhnische Gebärde:

»Das bedaur' ich sehr … haben Sie eine Legitimation?«

»Meine Karte dürfte Ihnen wohl genügen!«

Er hielt dem Kriminalbeamten das Kartonblättchen entgegen.

Der trat zurück und sagte so laut, daß alle es hörten:

»Visitenkarten kann sich jeder drucken lassen! … Wir suchen hier – damit Sie's übrigens wissen, ein Hochstaplerpaar; und gerade Sie, mein Verehrtester, haben eine verteufelte Ähnlichkeit mit dem Musjöh!«

Die Dame des jungen Kavaliers, die nicht jünger war als er, aber unzweifelhaft den ersten Kreisen angehörte, nahm den breiten Hermelintaschenmuff, mit dem sie das sowieso verschleierte Gesicht bisher bedeckt hatte, herab und sagte ungeniert:

»Eine solche Frechheit ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Halten Sie den Mund!« schnaubte der Beamte, »oder ich lasse Sie krummschließen!«

Die Dame lachte hell auf, dann meinte sie zu ihrem Geliebten:

»Verzeihe mir, Herbert, daß ich dich durch meinen Einfall, auch mal ein solches Heim kennen zu lernen, in Ungelegenheiten gebracht habe … wir sind nämlich richtige Eheleute,« wandte sie sich nachlässig an den Beamten, was diesem jedoch nur ein brutales Hohngelächter entlockte.

»Ich glaube im übrigen nicht daran,« fuhr die Dame fort, »ich glaube nicht an die Beamteneigenschaft dieser Herren! … Das sind Schwindler!«

»Um Gotteswillen, Lo! … keine Beleidigung! Das sind Beamte! Du machst dich strafbar!«

Der junge Mann legte seiner Freundin die schlanke Hand auf den Schleier und redete leise auf sie ein. Doch der Polizist hatte die letzte Äußerung der Dame kaum gehört. Ein Lärm draußen auf dem Korridor ließ ihn rasch hinauseilen.

Da widersetzte sich jemand, eine Frau, und nur den vereinten Anstrengungen beider Polizisten gelang es, sie hereinzubringen.

»Seit sechs Jahre jeh' ick hier klettan! … Un noch nie nich hat ma eena visentiert! … Wat heeßt 'n det, ick zahle doch meine Steian! … Woll'n Sie ma' in't Jewerbe pfuschen, Sie lackierta Affe, Sie!«

Der Beamte trat auf sie zu.

»Schweigen Sie! … Sie sollen schweigen!«

»Ick rede, wenn ick will! Un ick will imma! Un von Ihn' nehm' ick keene Belehrung nich an, Sie oller Polizeifatzke! Vastehn Se? … Ihn' spuck ick uff de Stiebel, det se blank wern'! … Wofor hab' ick denn mein Bäckerbuch, wat? Etwa damit Sie nachher kommen, Sie Affenarm, und vamasseln mir de Fahrt! … So'n Kujawe! So'n Polizeipopel, so'n beschissna! Will mir hier in mein Jeschäft steeren, wo't schon sowieso nich mehr jeht heitzudage! Woll'n Sie ma etwa meine Schulden beßahlen, ja, Sie olle Salatstaude, Sie … «

»Halten Sie jetzt endlich Ihr Maul,« donnerte der Kriminalbeamte, »Sie kommen ran wejen Beamtenbeleidigung!«

»Ach, Sie! … Sie! … Sie … « Die Dirne sagte ein Schimpfwort von so empörender Unanständigkeit, daß der junge Offizier sich einmengte und sie bat, dies Gespräch doch draußen, wenn sie mit »dem Herrn da« allein wäre, fortzusetzen.

Sofort wandte sich die offensichtlich berauschte Person zu dem jungen Mann und nickte ihm lachend zu.

»Recht haste, Kleena, die Kerls sind et ja nich wert, det man sich mit se abjiebt! … Aber du bist 'n netter Pussel! … Dir wer' ick ma' meine Adresse je'm, ja? … «

Sie wurde von dem Polizisten unterbrochen, der mit einem »Ruhig!« sich an ihren Kavalier wandte.

»Sie da, Herr! … was krauchen Sie denn in den Ecken herum?! Lassen Sie sich doch mal ansehn! Hierher, bitte, unters Licht, wenn's gefällig ist!«

Nur widerstrebend gehorchte der Angeredete dem Befehl. Es war ein mittelgroßer Mann, sicher über fünfzig Jahre alt, dessen glattrasiertes Gesicht mit den großen Tränensäcken unter den verdächtig niedergeschlagenen Augen seinen Beruf verriet.

»Wie heißen Sie?«

»Kohlert.«

»Was sind Sie?«

Der andere atmete in hörbarer Unruhe. Ganz leise kam es von den farblosen Lippen:

»Das möchte ich Ihnen lieber allein sagen!«

»Ach was, wir haben hier keine Geheimnisse! Man raus damit, was sind Sie?!«

Dem Manne, der den weißen Umlegekragen und den schwarzen schmalen Bindeschlips noch in der Hand trug, standen die Schweißperlen auf der Stirn, er blieb stumm.

»Also, wenn Sie Ihren Beruf nicht angeben,« sagte der Beamte streng, »habe ich auch keine Veranlassung, zu glauben, daß der mir angegebene Name stimmt, besonders da ich Sie in einer derartigen Gesellschaft angetroffen habe!«

Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Prostituierte hin, die sich ihrerseits an die Stirn tippte und grinsend von neuem losschimpfte.

»Sind das alle, Müller?« fragte der kommandierende jetzt den anderen Beamten.

»Ja, die anderen Zimmer sind leer, Herr Wachtmeister.«

»Schön, dann nehmen Sie den Leuten sämtlich die Papiere und Wertsachen ab … damit sie sich auf dem Wege nach dem Präsidium nicht etwa der wichtigsten Beweisstücke entledigen!«

»Sehr wohl, Herr Wachtmeister … Sie!« er tippte dem Dicken auf den Bauch, »machen Sie mal Ihre Taschen leer!«

Der Mann tat es widerspruchslos. Die Dirne sagte:

»Zähl man deinen Kies nach, Dicker, sonst fehlen nachher 'n paar seltene Minzen! Det is schon ofte vorjekommen bei die Faulen! Die Brieder wissen nachher von janischt!«

Der mit »Wachtmeister« titulierte sah das Weib einige Sekunden an, dann sagte er zu dem anderen Polizisten:

»Sie sind Zeuge, Müller, was das Weib da eben sagt! … Das kost' ihr sechs Monate!«

Die Dame, die mit ihrem Kavalier ans Fenster getreten war, wurde vielleicht nur durch diese Worte verhindert, laut etwas Ähnliches zu äußern. Flüsternd sagte sie zu dem schlanken Blonden fortwährend: »Ich sage dir, Herbert, es sind Schwindler, so benehmen sich keine richtigen Beamten!« Aber der Herr bat sie inständig, doch zu schweigen und sich nicht noch größeren Unannehmlichkeiten auszusetzen. Auch er gab, ohne zu murren, seine Börse, die Ringe, Uhr und Brieftasche ab.

Dann kam der alte Herr daran, der sich als pensionierter Geheimer Rechnungsrat entpuppte. Und die Damen mußten ebenfalls ihre Taschen leeren, nur die Straßendirne weigerte sich entschieden und erklärte:

»Wer seine Oogen in' Kopp behalten will, der soll mir ja von' Leibe bleiben!«

Der Herr mit dem glatten Gesicht drückte sich bis zuletzt. Nun half ihm nichts, er mußte auch seine Siebensachen hergeben. Während der zweite Kriminalbeamte ein Verzeichnis der Gegenstände in seinem Notizbuch anfertigte, blätterte der Wachtmeister in der Brieftasche des wie ein armer Sünder vor ihm Stehenden herum; er lächelte spöttisch:

»Ach, Sie sind Geistlicher! … Und obenein, wie ich sehe, Reichstagsabgeordneter! … Nun, da rat ich Ihnen, vergessen Sie in Ihrer nächsten Rede gegen die wachsende Unmoral der großen Städte nicht, diese Szene hier recht anschaulich zu schildern! … Müller, sind die Droschken da?«

»Jawohl, Herr Wachtmeister!«

»Dann holen Sie die Wirtin herauf zur Konfrontation!«

Müller marschierte ab. Die Verhafteten standen schweigsam in dem hellen Licht, in diesem von einem eigentümlichen Geruch durchwehten Alkoven, alle von dem peinigenden Gefühl der Besorgnis durchwühlt vor dem, was ihnen auf der Polizeiwache bevorstand. Nur die Prostituierte schien frei von Angst. Sie hatte ein Kästchen mit Datteln aus dem Pompadour geholt, aß und spuckte die Kerne weit von sich.

Indes verging die Zeit.

»Er scheint Schwierigkeiten da unten zu finden!« murmelte der Wachtmeister. Und wie in plötzlichem Entschluß:

»Daß mir hier keiner den Versuch macht, sich zu befreien! … Ich bin sofort wieder da!«

Damit war er schon bei der Tür, deren Schlüssel er von außen zweimal herumdrehte.

Die Verhafteten warteten. Nach einiger Zeit sagte die Dirne:

»Die komm' ja janich! … Det wird doch nich Falle sind?«

Und die Dame mit dem Hermelinmuff lachte leise und meinte:

»Wie ich es vorausgesagt habe, es sind Schwindler!«

Schließlich, als noch eine Viertelstunde vergangen war, mußten es die anderen auch glauben. Man rückte das Spind fort, das vor der Tür zum Nebenzimmer stand, und fand diese offen.

»Na, ich bleibe hier,« sagte der Dicke, »soll ich etwa noch mal Hotelgeld bezahlen?«

Die andern gingen alle. Der kleinen Maus, die keinen Blick für ihren Kavalier übrig hatte, bot der pensionierte Geheime Rechnungsrat an, sich ihm anzuschließen.


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