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Kindheit und Lehrzeit

Mautz war der Stärkste von vier Geschwistern. Grau und schwarz gestromt, war er der einzige, der eine einheitliche Färbung hatte. Sein Bruder, der nicht alt wurde, da ihn schon als kleines Kätzchen ein Hund würgte, war schwarz mit weißen Pfoten, und die beiden Schwestern waren grau und weiß gezeichnet.

Der Wurf junger Katzen wäre kaum am Leben geblieben, wenn nicht die Kinder des Kleinbauern, auf dessen Hof sie geboren wurden, für sie gebeten hätten. Den kleinen Grauen mit dem dicken Kopf und der schwarzen Pardelzeichnung, den hatten die Kinder am liebsten. Er vereinigte geschmeidige Grazie mit rundlicher Gedrungenheit und war bei nie ermüdender Ausgelassenheit und Spielfreudigkeit doch immer liebenswürdig und sanft. Als er ein Vierteljahr alt war, verließen auch seine beiden Schwestern den Hof. Die eine nahm ein Junge mit nach Berlin, der die Ferien auf dem Lande verbracht hatte, und die andere kam auf ein Nachbargehöft.

Als er weiter heranwuchs, sah Mautz seine Mutter immer seltener. Sie war eine geschmeidige Katze, schwarz, wie der so früh ums Leben gekommene Bruder, und im Wesen scheu und zurückhaltend. Wenn der kleine graue Kater in den ersten Strahlen der Morgensonne auf der Steintreppe des Hauses saß, so geschah es recht häufig, daß seine Mutter von draußen durch den Zaun geschlüpft kam. Ihr schwarzer Pelz war, besonders an den Läufen, feucht, und wenn sich ihr Sohn, der sie an Höhe fast schon erreichte, aufstellte, einen Buckel machte und sie freundlich begrüßte, so schnurrte die Mama wohl leise, stellte auch das dünne Schwänzchen auf, aber dann huschte sie an ihm vorbei, sprang an dem alten Apfelbaum empor und von da mit einem kühnen Sprung auf das flache Dach des Schuppens. Da legte sie sich grade auf die Seite, und in den allmählich stärker werdenden Strahlen der Sonne schlief sie ein. Wenn sich ein leiser Windhauch erhob, sah der junge Kater manchmal, wie von dem schwarzen Maul seiner Mutter eine zarte braune Feder emporflog.

Mautz als Kind

Ein Schlüssel knarrt im Schloß, und als die Tür zur Vorratskammer aufgeht, huschen drei Mäuse in die Ecke. »Die Katze doocht aber reene goarnischt, da loofen ja all wedder drei Mäuse!«

Die Bäuerin holt einen Napf voll Mehl und geht in die Küche zurück.

Beim Mittagessen spricht sie mit ihrem Mann über die Mäuse. Auch der Bauer hat am Vormittag in der Scheune zwei der flinken Nager gesehen. Da wird denn der Beschluß gefaßt, »die Katzen werden ersäuft!« Doch da fangen, wie auf Kommando, der Junge und das Mädel an zu heulen. Nur die Fürsprache der Mutter rettet wenigstens den kleinen Kater.

Die Katzenmutter, die im allgemeinen die Berührung mit Menschen nicht suchte, aber auch nicht vor ihr floh, empfand sofort das Unfreundliche und Unheilverkündende im Griff des Mannes. Doch ehe es ihm gelang, sie in den bereit gehaltenen Kartoffelsack zu stecken, wurde die sonst so Sanfte rabiat, wand sich wie ein Aal und schlug zehn reißende Krallen in die schmerzhaft würgende Hand. Vor Schreck ließ der Mann los.

Die Katzenmutter, in deren Wesen das Mißtrauen gegen den Menschen nur geweckt zu werden brauchte, sprang in Sekundenschnelle aus der Küche auf den Hof. Wie ein schwarzer Schatten nahm sie den Zaun und war verschwunden, um nie wieder gesehen zu werden.

Wenn Mautz in der Küche saß, und der Hausherr zufällig hereinkam, so mußte der Graue schnell flüchten, denn Katzen gehören in die Scheune. Doch als Mautz eines Tages eine Maus zwischen den Zähnen herumtrug, wurde der Mann etwas milder gestimmt und verzieh ihm hin und wieder den Platz am Herd. Eines Tages ging der Bauer in den Schweinestall. Auf einer der Betonwände, die einen Koben vom anderen trennten, saß der junge Kater. »Nanu«, dachte der Mann, »wat macht dat Katzenvieh hier?« Er sagte aber nichts, ließ den Kater ruhig sitzen und wollte gerade nach der Sau gucken, die den Tag vorher geferkelt hatte, als an seinen Füßen eine große Ratte vorbeihuscht. Schon will sie in einem Abflußloch verschwinden, da fliegt etwas Graues durch die Luft. Ein schrilles Kreischen, Prankenhiebe, dann schmerzlich wütendes Fauchen und schließlich ein Knirschen, bei dem den Bauern eine Gänsehaut überläuft. Mautz hat der Ratte das Genick durchgebissen. Wohl blutet er an der Lippe, und auch die Vorderpfote kann er nicht aufsetzen, denn die Ratte hat sich verzweifelt gewehrt. Aber was macht das alles, er hat seine erste Ratte erledigt!

Der Bauer staunt; noch kein Jahr alt und schon eine Rattenkatze? Von jetzt ab kann Mautz in der Küche liegen, wann er will.

 

Das war die Zeit in seinem Leben, an die der Kater später oft und mit Wehmut zurückdachte. Jeder sagte ihm ein freundliches Wort, die Kinder hätschelten ihn, und jeden Morgen stand eine Untertasse voll Milch für ihn da. Er wurde immer schöner. Schwarz und glänzend hoben sich die Streifen seines Balges vom grauen Unterton ab. Die Zeichnung auf seinem Gesicht war fein und verteilte sich reizvoll um die schönen Augen. Die waren wie klare Smaragde und blickten jeden, Mensch und Tier, ruhig und geradeaus an.

Als Mautz eines Tages ein Attentat auf ein halbwüchsiges Küken verübte, warf die Bäuerin ihren Holzpantoffel nach ihm und gab ihm ein paar Tage keine Milch. Klug, wie er war, begriff er, daß die verlockenden Federtiere nicht für ihn bestimmt waren, ging ihnen fortan aus dem Wege und hielt sich an die Mäuse, besonders aber an die Ratten. So wurde er ein Rattenspezialist. Er wurde so geschickt im Erledigen der kahlschwänzigen, unheimlichen Nager, daß der Tag kam, an dem die letzte Ratte vertilgt war. Da der Hof ein sogenannter »ausgebauter« war, d. h. einsam in Feld und Wiesen lag, kamen so bald auch keine neuen Ratten hinzu. Die Mäusejagd aber erschien dem Kater längst als Kinderei, und er übte sie nur noch so nebenbei aus.

Es war ein schöner Spätnachmittag im Herbst. Der Hof lag einsam in der späten Sonne, denn alles, was Hände hatte, arbeitete bei der Kartoffelernte. Der Hund lag an der Kette und blinzelte, eine Fliege spielte um sein Gesicht. Nachdenklich kakelte eine Henne und aus dem Kuhstall, dessen Tür halb offen stand, klang das Rasseln einer Kette.

Mautz saß auf dem Schuppendach, dem Lieblingsplatz seiner verschollenen Mutter. Die Vorderpfoten eingeknickt, döste er mit halben Augen vor sich hin und schnurrte behaglich. Doch jetzt erhob er sich, streckte den geschmeidigen Leib, ließ die Krallen aus den weichen Sammetpfoten herausspringen, machte einen Buckel und stand endlich da, ebenmäßig, geschmeidig und voll verhaltener Kraft. Ein Geschöpf, jung, eben vollendet, um das Leben zu beginnen, gewissermaßen neu aus der großen Werkstatt des Schöpfers gekommen.

Mautz sah sich um. Sollte er Mäuse fangen? Nein – das wäre so, als wollte ein Mann Stichlinge greifen. Also – wieder mal in den Schweinestall geguckt. Doch es war, wie schon so oft: keine Ratte da! Die Hühner waren tabu, also nichts, als die ganz große Langeweile! Gelassen ging er am Hofhund vorbei. Der knurrte, aber Mautz würdigte ihn keines Blickes. Wie ein Herr, der auf der Höhe des Lebens wandelt und den Kettensklaven nicht steht. So kam er auf den Feldweg. Sollte er weitergehen? In ihm war so ein Gefühl, als dürfe sich eine gute Hauskatze nicht zu weit von ihrem Gehöft entfernen. Aber dort war so gar nichts los. Von den Wiesen drang ein Laut herüber – tschirrip – tschirrip und noch einmal – tschirrip! Mautz wußte nicht, daß das der Rebhahn war, der den Rest seines Volkes zusammenlockte, das Volk junger Rebhühner, das am Morgen bejagt worden war.

Der merkwürdige Vogelruf interessierte den jungen Kater. Er ging ihm nach. Doch der zum Jäger Geborene kann sein Blut nicht verleugnen. Der Kater, der eben auf dem Hof frank und frei dahinging, der schlich jetzt geduckt voran und nahm jede Deckung wahr. Warum? – Er wußte es nicht. Er fragte sich auch nicht nach Beweggründen. Ihn hat eine unbändige Lust erfaßt, herauszubekommen, wer diesen Laut ausstößt. Doch das »Tschirrip – Tschirrip« klingt mal hier – mal da, denn der Rebhahn streicht hin und her, und Mautz, jung und unerfahren, kommt nicht ans Ziel. Da – plötzlich, dicht vor ihm ein Prasseln, Knattern und Knallen, Flattern und Schimmern von Fittichen, und vier Rebhühner, ein Teil des versprengten Volkes, stehen vor dem zu Stein erstarrten Kater auf. Doch eins fällt zurück, es vergaß seinen zerschossenen Flügel. Und schon hat sich der Kater aus seiner Erstarrung gerissen.

Das erste Wild, ein Rebhuhn!

Ein Sprung – greifende Krallen, schlagende Flügel und sich sträubende, tretende Vogelständer. Aber ein Rebhuhn ist lange keine Ratte. Mautz zerbeißt den kleinen Kopf, und es ist vorbei. Dann liegt der Graue knurrend mit den Vorderpfoten auf seiner Beute und frißt. Er fühlt, auch das ist so etwas ähnliches, wie ein Huhn, aber es gehört nicht der Bäuerin.

Zum erstenmal in seinem Leben wird er von geraubtem Wild satt.


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