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Nachdem Mautz sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte, nie wieder nach Hause zu finden, erwachte sein Hunger aufs neue mit solcher Gewalt, daß ihm übel wurde. Er war in der kurzen Zeit zum Gerippe abgemagert, sein prachtvoller Balg hatte allen Glanz verloren und sah struppig und unansehnlich aus. Er setzte sich auf einen alten Stubben und leckte sich die wundgelaufenen Ballen, während er darüber nachdachte, wie er wohl zu einer Mahlzeit kommen könnte. Da hörte er einen Vogelruf, der klang ähnlich wie ein helles Lachen, Flügel sausten – und klatsch! – saß der Grünspecht ganz in der Nähe an einem Stamm. Mautz saß regungslos. Der Specht rutschte um den Stamm herum, hämmerte hier und da und war voll Eifer hinter den Larven im morschen Holz her. Seine rote Kappe leuchtete und bildete einen wirkungsvollen Kontrast zu dem sein abgetönten grünen Kleid. Jetzt rutschte der grüne Zimmermann nach unten. Als er hinter dem Stamm verschwand, duckte sich Mautz zum Sprung. Und da kam Rotkäppchen wieder zum Vorschein. Mautz spannte alle Muskeln an, und als der Specht noch ein Stück herabgerutscht war, schnellte sich der Räuber von seinem Stubben. Zehn krumme scharfe Krallen schlugen ins Holz, und nur eine grüne Feder schwebte zur Erde. Der Specht war um einen Gedanken schneller gewesen. Gellend klang sein Gelächter, als er im Wellenflug zwischen den Stämmen verschwand, Mautz zitterte vor Schwäche. Seine Nerven ließen ihn, geschwächt wie er war, nach der gewaltigen Anspannung im Stich. Aber nicht lange. Bald glitt er durch das Unterholz dahin. Nach allen Seiten aufmerksam, Lichter, Gehöre und vor allem die Nase für alles empfänglich, so pürschte der angehende Jäger durch den Wald, in dem es zu dunkeln begann. Es war ein Mischwald, und er stieß an die Wiesen.
Als Mautz Himmel und Wiese hell durch die immer düsterer werdenden Stämme schimmern sah, kam gerade der Vollmond herauf. In seinem Licht gewahrte der Kater dunkle Klumpen, die sich zu bewegen schienen, sie saßen in halber Höhe einer am Rande des Waldes stehenden Birke. Wie ein Schatten schlich der landfremde Kater heran. Jetzt sagte ihm seine Nase, daß da oben Vögel wären. Aber sie waren sehr groß und hatten lange spitze Stöße; niemals hatte er solche Vögel gesehen. Der Hunger peinigte ihn, und er wäre am liebsten drauflos gestürzt. Aber zu frisch war die Erinnerung an die Fehljagd auf den Specht. Überhaupt schämte sich der Kater, wie alle katzenartigen Tiere, wenn er fehlgesprungen war. Er brauchte nur daran zu denken, wie er damals Pak in die Hundehütte verfolgen wollte und Tyras ihn beinahe geschnappt hätte. Abgesehen von dem Schreck war ihm damals die Blamage gräßlich gewesen, und der Erpel war ihm von da an noch verhaßter als vorher geworden.
Diesmal mußte er es schaffen, und jetzt zeigte Mautz, der vor Hunger Schmerzen litt, und der in Wald und Feld nur wenig Erfahrungen gesammelt hatte, wer er war. Die Lichter unverwandt auf die großen Vögel gerichtet, kroch Mautz Schritt für Schritt vorwärts. So langsam – oh – so langsam.
Endlich war er am Fuß der Birke, deren Stamm, gottlob, etwas schräg gewachsen war. Und nun wurde die Pürsch erst schwierig. Aus dem Sammet der Pfoten mußten die Krallen treten, um sich in der Rinde einhaken zu können; aber sie durften nicht das leiseste Kratzen hören lassen. Jeder Meter, den der Kater unter größten Anstrengungen erklomm, dauerte Minuten. – Der ganze Körper wollte vor Anspannung zittern; er durfte es nicht! Und wieder einen Meter, und noch einen. Jetzt noch einen halben bis an jenen Knorren, dann mußte er springen, denn näher an den untersten der Vögel heranzukriechen war unmöglich. – Fast war es erreicht, da erscholl über dem erstarrenden Kater ein hartes »Gock – gock«, und es kam Bewegung in den Baum. Aber – ein Bündel Muskeln und Sehnen flog wie ein Geschoß durch die Luft, den Bruchteil einer Sekunde zu schnell für das Opfer, das eben im Begriff war, sich vom Ast zu werfen. Unter dem Klatschen und Knallen davonstiebender Flügel schlug polternd ein kämpfender Klumpen zur Erde nieder. Und mit Zähnen und Krallen mordete die Hauskatze, in der knurrend das Geschöpf der Wildnis erwacht war, ihren ersten Fasanenhahn. – – –
Hell schien der Mond über die Wiesen, als Mautz an seiner Beute riß und nicht artig und bescheiden, wie es sonst Katzen tun, seine Mahlzeit nahm, sondern wie ein gieriger Hund sich vollschlug.
Der nächste Tag war einer jener Tage, die voll Farbenglut und wundervoller Stille, in einen hauchzarten Schleier gehüllt, das Land und alles, was darin lebt, bezaubernd erscheinen lassen. Die Luft, so frisch und duftend, war seltsam erregend und erweckte in den Geschöpfen der Mutter Natur ein gesteigertes Lebensgefühl und Sehnsucht nach Dingen, die sie doch nicht kannten.
Mautz allerdings genoß nur die Ruhe und Wärme. Er lag in der Astgabelung einer mächtigen starken Eiche, die wohl jahrhundertelang stand. Vielleicht lag einst da, wo jetzt der verwildernde Hauskater sich sonnte, ein Wildkater? Längst sind in Deutschland diese prächtigen Räuber ausgestorben. Sie waren weit stärker als die Hauskatze, hatten breitere Backen, dickere, kürzere Lunten, und wenn auch Mautz, ähnlich wie sie, gepardelt war, – der typische schwarze Sohlenfleck fehlte ihm.
Durch das dürre, kupferfarbene Laub der Eiche fielen matte Sonnenflecken. Sie lagen auf der grünrissigen Eichenrinde ebenso wie auf dem Kater. Kein menschliches Auge hätte ihn so entdeckt, aber zwei kleinen schwarzen Äuglein, die voller Intelligenz waren und zu einem Zaunkönig gehörten, denen entging die in satter Ruhe sich streckende Katze nicht. Der kleine Kerl im rostroten Kleid, das seine hellere Flecken zierten, schimpfte gewaltig. Zeternd und wie eine gefiederte Maus hin und her schlüpfend, wippte »Grot Jochen« mit seinem winzigen Schwänzchen und gab nicht eher Ruhe, als bis ein Rotkehlchen und eine Gesellschaft Meisen ihm Beistand leisteten. Schließlich mußte Mautz das Feld räumen. Er sprang ärgerlich vom Baum und verschwand in der Dickung. Eine Weile noch folgte ihm die bunte, hartnäckige Schar, dann zerstreute sie sich.
Der Kater bummelte dahin. Nicht lange, so kam er an eine kleine Waldwiese. Mitten darauf stolzierten vier prächtige Vögel. Groß waren sie, und ihr Gefieder schimmerte wie Kupfer und Gold in der Sonne, ihre Köpfe aber wie Saphire und Smaragde. Der Wind stand gut, und so merkte Mautz bald, daß es dieselben Vögel waren, wie er einen in der vergangenen Nacht geraubt hatte. Obwohl der Kater satt war, packte ihn sofort das Jagdfieber. Wie eine Schlange, nur viel langsamer, glitt er in die Wiese hinein. Nach etwa zwanzig Metern blieb er liegen und wartete. Wartete, daß einer der bunten Vögel, die da so prachtvoll in der Sonne prahlten, in seine Nähe kommen würde. Es dauerte lange. Doch plötzlich sauste etwas über seinem Kopfe dahin und dicht vor ihm fiel ein Fasanenhahn ein. »Buff«, und der prächtige Hahn stand in der Wiese. Er fing sofort an, sich an den Grasrippen zu äsen, dabei drehte er und wandte Mautz den Rücken zu. Gleich darauf schwanden ihm Sonne und Herbst, reife Körner und rote Beeren für immer dahin. Schnell verendete er unter den reißenden Fängen des Katers.
Mautz fraß nur wenig und ließ den Rest liegen. – Mochte Nachlese halten, wer wollte. Er konnte sich alle Tage frischen Braten holen. Das tat er denn auch! Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht einen Fasan riß. Hähne, Hennen und auch diesjährige Jungvögel.
In dem Revier, das dem Raubkater Gelegenheit gab, ständig so edles Wild zu reißen, wurden aber gerade die Fasanen mit viel Mühe und Geldaufwand herangeschont. Bei den großen Herbstjagden wollte dann der Besitzer mit seinen Gästen da ernten, wo er das Jahr über gesät und gepflegt hatte. Der Förster, dem das Fasanenrevier anvertraut war, merkte bald, daß ein schlimmer Schädling über seinen Fasanen war. Und da der Fasan besonders da, wo man das ganze Revier auf ihn einstellt, indem man Füchse, Iltisse und Wiesel kurz hält, womöglich ausrottet, sich nur wenig in acht nimmt, so war es doppelt fatal, wenn ein Stück Raubwild zuwanderte. Der Förster sah an Mautz' Fährte, daß es sich um eine wildernde Katze handelte. Er setzte sich da an, wo sich besonders viel Fasanen aufhielten, und hoffte darauf, daß ihm der Kater schon mal kommen würde. Dreimal saß der Mann vergeblich auf dem Anstand. Dann aber kam ein Morgen, der sollte für Mautz bitterböse werden.
Es hingen noch vereinzelte Nebelschwaden über der Wiese, da verließ Mautz den Wald. Er stand, prüfte mit seinem feinen Näschen den Wind und richtete seine kurzen Gehöre nach vorn. Voll und geschmeidig war der Kater. Sein Balg hatte längst wieder den alten Glanz und seine hübsch geringelte Lunte zuckte leicht hin und her. Dort drüben an dem Weidenbusch müßte was zu machen sein, denn dorthin flogen gestern viele Fasanen. Wohl um sich an dem Bach, der sich dort vorbei schlängelt, zu tränken. Mautz fällt in seinen leichten, fördernden Trott und hält einen Fußsteg, der um die Wiese herumführt. Die Wiese ist noch sehr naß, und das mag keine Katze.
Eine dichtgewachsene Tannenecke springt in die Wiese vor. Dieser nähert sich der Kater. Da vernimmt sein feines Ohr einen Laut. Es ist, als wenn etwas an einen der Tannenzweige da vor ihm streicht. Der Wind steht schlecht, darum will Mautz die Tannenecke umschlagen. Plötzlich donnert es, wie es der Kater noch nie gehört hat, eine schmale Feuerzunge leckt aus den Tannen, und eine gewaltige Kraft schleudert ihn zu Boden. Wütende Schmerzen reißen in Flanke und Keule des Katers und die Sinne wollen ihm schwinden.
Doch da sieht er einen Mann auf sich zukommen, der in der Hand einen rauchenden Stock trägt. Alle Kräfte reißt Mautz zusammen und erhebt sich taumelnd. Da rennt der Mann. Seine plumpen Füße dröhnen auf dem Boden. Der Kater schwankt, seine Glieder wollen ihm nicht gehorchen, Schmerzen wüten wie Feuer in seinem Inneren. Aber die tolle Zähigkeit seines Geschlechtes läßt den Kater trotz allem schneller werden. Aber da läuft auch der Verfolger, was er kann. Doch Mautz hat sich noch einmal soweit in der Gewalt, daß seine Läufe ihm wieder parieren. Er gewinnt den Wald – das Unterholz, und der Jäger bleibt zurück. Mit letzter Kraft erreicht der Todwunde einen verlassenen Bau. Hier in der rettenden Röhre bricht er zusammen und erwartet sein Ende. – – –
Mautz starb nicht. Aber es war, als wollte er auch nicht wieder zum Leben zurückkehren. Jammervoll siechte er dahin, verließ nur, wenn die warme Mittagssonne schien, für kurze Zeit den Bau und kroch bald wieder schwach und erbärmlich zurück in die wärmende Dunkelheit und Enge des glücklicherweise verlassenen Dachsbaues.
So gingen zwei bis drei Wochen dahin. Der Kater fing sich hin und wieder eine Waldmaus und, wenn ihm das nicht glückte, die wenigen Käfer oder Falter, die er zu so später Jahreszeit noch ergattern konnte. Bei solcher Kost konnte er jedoch nicht wieder zu Kräften kommen. Inzwischen fielen die Blätter, die Winde fuhren ungehindert über die kahlen Felder und durch die leeren Wälder, und gar oft brachten die Nächte Frost. Da wäre es wohl doch mit dem halbverhungerten Mautz zu Ende gegangen – doch hatte das Geschick ein Einsehen. Als der Elendskater eines Morgens matt durch den Wald schlich, hörte er vor sich etwas rascheln. Sofort machte er sich lang und niedrig und eräugte dicht vor sich ein zu spät im Jahre gesetztes Junghäschen, das halberstarrt von der kalten Nacht im Fallaub lag. Schnell sprang Mautz zu, und traurig klang es durch den feuchtkahlen Herbstwald »ueee – – ueee – – uee – e – e –. Dann war es still. Der Buntspecht hörte für einen Moment auf zu hämmern. Unter ihm zog eine graue dürre Katze dahin, die auf gebogenem Hals den Kopf hoch hielt, denn der verendete Junghase, den sie trug, schlug ihr hindernd um die Vorderläufe. Der bunte Vogel mit dem meißelartigen Schnabel wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er suchte in den Rindenspalten und am Stamm nach irgend etwas Freßbarem.
Mautz aber fing nach dem Rekonvaleszentenbraten an, zu Kräften zu kommen. Der Mäusefang fiel ihm wieder leicht, und so wurden seine Glieder straff, sein Rücken rund und sein schöner gepardelter Balg blank. Kaum aber war er einigermaßen beisammen, als er sich auch schon auf die Wanderschaft begab. Denn das hier war keine Gegend für ihn.
Wo so etwas möglich war wie an jenem Abend, als er beinahe in die ewigen Jagdgründe hinübergewechselt wäre, da war keine Stätte für Mautzchen. So etwa empfand der Kater, als er in kalter, sternenklarer Nacht dahintrottete. Mußte er über eine freie Fläche, so prüfte er vorher aufmerksam den Wind, denn er war nun ein »gebranntes Kind«. Ohne daß der Kater viel darüber nachgedacht hätte, war ihm eines völlig klar geworden: »Hüte dich vor dem Menschen«!! Menschen waren es, die ihn aus seiner Heimat, die ihm teuer war, gerissen hatten, obwohl er ihnen treu gedient hatte, indem er ihnen die Ratten vom Halse schaffte. Und ein Mensch war es, der ihn zu Tode verwundete! So mußte er dieselben Erfahrungen, wie sein Feind, der Erpel, sammeln, und er zog, Groll im Herzen, durch die kalte Nacht, auf der Suche nach neuen Jagdgründen. Als der Morgen graute, die Sterne verblaßten, und im Osten der Himmel zart errötete, trat Mautz aus der Kiefernheide und stand vor einer großen, alten Feldscheune, einem Fachwerkbau mit Lehmwänden und hohem, überhängendem Giebeldach, das trotz ehrwürdigen Alters noch gut im Stande war. Unten am Tor war ein Stück herausgefault, gerade groß genug, um dem Kater als Einschlupfloch zu dienen. Warmer Heuduft schlug Mautz entgegen, und bald hatten sich seine Augen an die Dunkelheit, die hier herrschte, gewöhnt. Die Tenne war bis auf ein paar Balken und Bretter, die in die Ecke gelehnt standen, leer. Heu und Stroh waren rechts und links bis hoch unter das Dach untergebracht, Mautz fuhr an den Brettern hoch, und landete von da mit einem eleganten Sprung im Heu.
Hier war ihm nach der langen Wanderung wohlig und gemütlich. Auch dämmerte ihm etwas wie eine Kindheitserinnerung auf, denn als kleiner Kerl hatte er oft mit seinen Geschwistern unter der immer wachen Obhut der Mutter auf dem Heuboden gespielt. Mit einem kleinen Seufzer, der wehmütig aber auch behaglich klang, rollte sich Mautz zusammen und schlief ein.