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Der Abend kam. In der lauen Luft erstarben allmählich die Geräusche des Tages, und Mautz verließ den Schauplatz seines ersten Jagdfrevels. Da, wo das große Kartoffelfeld an die Roggenstoppel stößt, steht eine alte Mauer. Sie ist grau und verwittert, kleine bunte Steinchen beleben hie und da ihre Farblosigkeit, und in ihren Ritzen und Fugen wachsen kleine Inselchen smaragdgrünen Mooses.
Da plötzlich ist es dem Kater, als erhielte eine Stelle des grauen Steines Leben. Ein Totenkopfschmetterling, der mit zusammengefalteten Flügeln wunderbar mit der Farbe des Steines verschwamm, ist nun deutlich zu erkennen. Sein dicker langer Leib ist hell und dunkel gestreift, und er trägt eine helle, totenkopfähnliche Zeichnung auf seinem düster behaarten Mittelleib.
Gestern noch hätte der Kater den großen Nachtschmetterling im Sprunge erhascht, doch heute ist er endgültig zum »Manne« gereift. »Laß die Jungkatzen nach Schmetterlingen greifen«, denkt Mautz und schlendert nach Hause.
Die Vorderflügel des Totenkopfes sind tiefbraun mit gelb untermischt und die Hinterflügel ockergelb mit schwarzen Querbinden. Die Fühler erbeben unter den mannigfachen Eindrücken, die ihnen die milde Luft im letzten Tageslicht zuträgt.
Der Schwärmer ist erst gestern geschlüpft. Das Kartoffelfeld gab seiner Raupe Nahrung, und im Boden desselben Feldes fand die Puppe die zur Entwicklung nötige Ruhe.
Seine Mutter kam aus Spanien zu diesem Kartoffelfeld geflogen, denn der Totenkopf überwintert nicht bei uns und kommt zu Beginn der warmen Jahreszeit aus Südfrankreich und Spanien gezogen.
Dieses so zarte Lebewesen legt diese gewaltige Entfernung in wenigen Tagen zurück. Und oft, wenn die Tiere von ungünstigem Wetter überrascht werden, findet man viele ihrer Leichen, die von Sturm oder Hagel zu Boden geschlagen worden sind.
Jetzt geht ein leises Zittern durch die Flügel des großen Nachtschmetterlings, er löst sich von der Mauer und fliegt. Die außerordentlich starke Muskulatur des Vorderleibes bewirkt, daß die Flügel nicht wie beim Tagfalter schweben und flattern sondern so schnelle, schwirrende Bewegungen machen, daß kein Auge ihnen folgen kann.
Während Mautz inzwischen zuhause angelangt war und sich ohne viel Aufhebens in der Küche einfand, so als wäre er gar nicht fortgewesen, flog der Totenkopf pfeilschnell dahin. Mit reißender Geschwindigkeit folgt er einem Duft. Wege, Schonungen und Blößen jagen unter ihm vorbei. Eine Waldstraße fliegt er entlang, niemals im Zweifel über seinen Weg, unbeirrbar dem Geruch nach, der ihn lockt und den ihn sein außerordentlich seiner Geruchssinn spüren läßt.
Da – vor ihm eine Lichtung. Er streift den Rand einer Ortschaft, und der berückende Duft, der aus den geöffneten Fenstern eines Gewächshauses kommt, irritiert den Nachtschmetterling nicht – er fliegt, ohne von den duft- und honigvollen Blüten zu nehmen, vorbei. Einen Moment irrt er hin und her. Der starke Duft ließ ihn seine Geruchsfährte verlieren, aber schon hat er sie wieder und weiter fliegt er, den keine noch so verlockende Blüte reizt.
Nun nimmt den kühnen Flieger ein Eichwald auf, und nach kurzer Zeit ist er an seinem Ziel, einer blutenden Eiche. Klatsch! – Jetzt sitzt er am Eichbaum, und wo der stark und würzig duftende, gärende Saft aus der verletzten Rinde quillt, da senkt er wieder und wieder seinen Saugrüssel hinein und trinkt so lange, bis er vollkommen berauscht, schwankenden Fluges seinen Weg fortsetzt.
In großer Erregung und doch wieder matt fliegt er ziellos durch die Nacht. Er fliegt so lange, bis er wieder einigermaßen nüchtern wird und ihn ein neuer verlockender Duft trifft. Der Duft von frischem Honig. Da nimmt er wieder sein altes Tempo auf und saust davon. Nicht lange und er ist am Bienenkorb. Ohne jede Überlegung oder Vorsicht zwängt er sich durch das Flugloch, ist schon an einer der Waben und saugt den Honig gierig ein. Da summt es, und mehrere Bienen stürzen sich auf den riesigen Räuber. Sie klammem sich fest und stechen wild auf den Totenkopf ein, aber der dichte Pelz des Schmetterlings hält die giftigen, kleinen Dolche ab. Der Schwärmer surrt mit den Flügeln, strampelt und schlägt mit dem Hinterleib, aber er kann sich seiner Angreifer nicht erwehren, und jetzt will er das Freie gewinnen. Doch es werden immer mehr Bienen. Auf einmal schreit der Totenkopf dünn und schrill aus (er ist der einzige einheimische Schmetterling, der dazu imstande ist), und mit letzter verzweifelter Anstrengung kämpft er sich zum Flugloch, zwängt sich hinaus und streift dabei die letzten der kleinen, grimmigen Messerstecher ab.
Taumelnd entflieht der Totenkopf in die Nacht. So wäre er, den der Kater verschonte, um ein Haar den Bienen zum Opfer gefallen.