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Wohnstube bei Direktor Hein. Luxuriöse, schwere Winterausstattung. Größere Möbelgruppe rechts im Hintergrund, eine kleinere links vorne. Zwischen kleineren Bildern an der Hintergrundwand ein lebensgroßes Porträt von dem Vater der Hausfrau. Trauerrosette über dem Rahmen.
De Geer. Anne Charlotte
Anne Charlotte sitzt links hinter dem Tisch, auf dem Bücher und Broschüren liegen. De Geer, der eine Visite macht, hat eben, rechts von ihr, Platz genommen. Das Profil ist dem Zuschauer zugekehrt.
De Geer. Also Sie haben sich gestern wirklich amüsiert. Ja, das dachte ich mir doch!
Anne Charlotte. Freilich. – Und sollte es nicht außer dem Amüsement genug für einen Ballabend sein, ganz unerwartet einen alten Freier zu treffen, den man seit vier langen Jahren nicht gesehen hat?
De Geer. Ja, vier Jahre sind lang. – Es ist viel hier geschehen, während ich weg gewesen bin.
Anne Charlotte (melancholisch, zu dem Porträt des Vaters aufsehend). Ja, es ist viel geschehen.
De Geer (dem Porträt zugewandt). Wie ähnlich es ist! (Erhebt sich halb.) Ja, das ist ganz das liebe, mutige, alte Gesicht. (Zu der Frau des Hauses.) Ich habe niemals einen alten Mann wie Ihren Vater gekannt, einen Mann, der eine so gute Meinung von dem Leben und den Menschen hatte wie er. Wenn man mit seinen jugendlichen Plänen und Hoffnung zu ihm kam, so hatte er nie diese trostlosen, erfahrnen Redensarten für unsereins, mit denen alte Leute sonst immer zu kommen pflegen; da war keine Rede von überlegenem Lächeln oder mitleidigem Kopfschütteln; er nahm unsere Pläne auf und ließ sie in seiner Phantasie gelingen; und Schwierigkeiten! Schwierigkeiten und Hindernisse, auf die hieb er los, so daß sie nach allen Seiten fielen und die Zukunft vor einem dastand wie ein geöffnetes festliches Tor und man sich nur zusammenzunehmen brauchte, um da hindurchzuspazieren. ... Immer ging man erfrischt von ihm fort, seines Glückes sicherer, seiner selbst sicherer.
Anne Charlotte. Und nicht wahr, er hatte recht?
De Geer. Er hatte recht, er bekam nicht immer recht. Sie glichen ihm in so vielem, gnädige Frau, und gleichen ihm vielleicht noch jetzt?
Anne Charlotte. Ja, weswegen sollte ich verändert sein?
De Geer. Vier Jahre! – Es kommt selten vor, daß ein Mensch sich selber so lange treu bleibt.
Anne Charlotte. Das haben Sie nicht von Vater gelernt.
De Geer. Nein, – das haben mich – andere gelehrt.
Anne Charlotte. Wer?
De Geer. Man soll niemals Namen nennen.
Anne Charlotte. Ich verstehe Sie nicht.
De Geer. Nein.
Anne Charlotte. Aber vielleicht werden Sie einräumen, daß es in einer Unterhaltung am angenehmsten ist, wenn man sich versteht?
De Geer. Ja, ist das eigentlich so sicher?
Anne Charlotte. Auf alle Fälle ziehe ich es vor.
De Geer. Ja, sehen Sie, gnädige Frau, das, was ich meine, ist ja nichts anderes, als daß wir, wenn wir ganz jung sind und den Kampf mit dem Leben aufnehmen sollen, daß wir dann, wenigstens die meisten von uns, von der Hand der Natur mit einer Menge schöner Eigenschaften ausgerüstet sind. Wir sind uneigennützig, vertrauensvoll, bereit, für die Wahrheit zu leiden, unversöhnlich allem gegenüber, was gemein ist, unerschütterlich in unserm Glauben, daß das, was recht ist, siegen muß, wir sind ritterlich, mutig, alles, was mutig, fein und edel ist.
Anne Charlotte. Ja!
De Geer. Aber all die Herrlichkeit ist von der Natur gar nicht dazu bestimmt, von Dauer zu sein, nicht mehr als es die beiden Reihen Zähne sind, die man als ganz kleines Kind bekommt. Es liegt nämlich ein Trieb in uns, der sich nicht recht bemerkbar gemacht hat bis jetzt, wo man als erwachsener Mensch mit dem Leben ins Handgemenge geraten ist, und das ist der Selbsterhaltungstrieb, – und das ist sonderbar ...
Anne Charlotte. Soll ich Ihnen meine aufrichtige Meinung sagen?
De Geer. Meinetwegen nicht. Ich weiß nur zu gut, daß, wenn man seine Meinung aufrichtig nennt, sie unangenehm ist.
Anne Charlotte. Ja, Ihre ganze lange Geschichte ist meiner Meinung nach nichts weiter als Geschwätz.
De Geer (nach einer Pause, nachdenkend). Ach ja, es mag etwas Wahres darin liegen. Solche allgemeine Theorien, mit denen man den treffen kann, den man nicht offen anzugreifen wagt. –
Anne Charlotte. Meinen Sie mich?
De Geer (sieht nieder). Sagen Sie mir doch, gnädige Frau, haben Sie nie darüber nachgedacht, welchen Eindruck es da unten in Venedig auf mich machen mußte, als ich erfuhr, daß Sie sich mit Frederik Hejn verlobt hatten?
Anne Charlotte. Nein, hat das denn einen so besonderen Eindruck auf Sie gemacht?
De Geer. Freilich hat es das getan, gnädige Frau, denn es war ein ganzer Flor von lichten, glücklichen Hoffnungen und feinen Träumen, der dadurch vernichtet wurde, wie man zu sagen pflegt, allein dadurch.
Anne Charlotte. Aber ich bitte Sie, wollen Sie sich nun wirklich die Mühe machen, mir einzubilden, daß Sie sich mit unglücklicher Liebe zu mir getragen haben? Das ist ja doch völlig überflüssig. Ich bin gar nicht so anspruchsvoll, ich gestatte, daß man mir gegenüber seinen Herzensfrieden bewahrt.