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Es kam ein Reitersmann durch einen Hohlweg in einem Walde geritten.
An beiden Abhängen hinauf standen große, kahle Tannen, ganz hoch oben hinauf, bis der Wipfel der obersten in der Sonne stand; aber da unten, da war es dunkel, und das Licht war karg.
Und der Lenzwind kam schwer durch den Weg daher.
Und der Reitersmann kam auch schwer, und er schleppte eine große Sense hinter sich drein, so daß sie mit ihrer blitzblanken Spitze in der schwarzen Erde pflügte.
Auf fahlgelbem Roß saß er, und alt saß er vornüber im Sattel, in Falten und Bauschen von Wallendem und Schwarzem, mit einer weißen, mageren Hand im Zügel und einer weißen, magern Hand um den Schaft der Sense.
Er war größer, als Menschen sind, und es war kein Weißes in seinen Augen, nur das Schwarze, das sieht.
Und wohin er ritt, da ward die Luft um ihn her erfüllt von dem modrigen, erdigherben Dunst aus dem feuchten welken Laub, das gährte, aus dem Boden, der verfaulte, aus den Baumstumpfen, die vermoderten und in Zunder übergingen, und aus dem Moos, das verwitterte. Und von den hohen Bäumen prasselten die alten trockenen Zweige nieder und machten Lärm und machten es still, so daß der Hufschlag seines Pferdes war wie der einzige Laut in der Welt.
Und der Hufschlag noch eines Pferdes, hinter ihm, weit weg.
Er hielt an und lauschte; dann nickte er, als verstünde er, und ritt wieder weiter.
Es währte eine Weile, dann kam ein anderer Reitersmann zum Vorschein auf einem Pferd, das rot war.
Auch er war größer, als Menschen sind, aber er war anzusehen wie ein Bursche von ungefähr zwanzig Jahren mit blondem Flaum auf den glatten Wangen und um den goldenen, lächelnden Mund.
Halb aus Beiderwand und aus Königspurpur zur Hälfte war seine Kleidung; aber die schlanken Glieder kamen blendend nackend hervor unter dem Beiderwand und unter dem Purpur – heidnisch nackend. Denn es war Amor, dieser Bursche mit den Locken, die sich um sein Haupt kräuselten wie güldene Spähne, und auf seinem Rücken hing der Köcher mit den Pfeilen, aber den starken Bogen hatte er in die Mähne des Pferdes geknotet.
Und wohin er ritt, da krümmten die Farnen ihre braunzottigen Schnörkel über die Erde empor, das modrige Laub ward lebend von gelben und weißen Schößlingen, und tausend Keime traten aus ihrem Winterschlaf, während überfrühe Blumen unter dem Dunkel der Winterblätter hervorblauten, während die Knospen über seinem Haupte im Schwellen lichter wurden und während Zugvögelscharen gleich schwarzen Zeichen über den graublauen Himmel dahergesegelt kamen.
Amor ritt an die Seite des Alten mit der Sense. Sie nickten einander zu und ritten dann selbander durch den Hohlweg, ohne zu reden; und als der Weg aus dem Walde herauskam und sie quer über das Feld mit sich nahm, nach der Heerstraße, und sie die große Stadt gerade vor sich hatten mit ihren braunen Dächern, ihren hochragenden und grauen Turmzinnen und ihren goldschimmernden Kuppeln, da nickten sie einander wieder zu, mit einem Lächeln.
Und sie ritten auf der Heerstraße dahin, die sich breit und grau schlängelte, schmäler und schmäler in der Ferne, bis sie als seiner, weißer Faden in das schwarze Auge an einem der roten Tore der Stadt hineinlief.
Und sie ritten.
Dicht vor dem Tor war ein großer, kahler Krautgarten mit krummästigen Apfelbäumen, und in dem ein Haus, das Giebel für Giebel aufgeschossen war unter langen steilabfallenden Ziegeln und dessen viele schwarze Schornsteine hintereinander mit eisernen Stangen und mit strammen eisernen Ketten gestützt waren.
Dort machten sie halt.
Nach Osten zu war da ein Fenster, so groß wie ein Tor, ein unendliches Dambrettmuster von winzig kleinen, in Blei gefaßten Knorren aus Glas. Es war geöffnet und an die Mauer festgehakt, und in der torgroßen Öffnung stand Doktor Faust und starrte nach der Richtung hinaus, in der, wie er wußte, der Wald und der Hohlweg lagen.
Und der Tod und Amor ritten vor das Fenster, unsichtbar, wie sie waren, ohne einen Schatten zu werfen.
Und da hielten sie, größer, als Menschen sind, und der Wind klatschte mit dem schwarzen Mantel des Todes und mit Amors Purpur, und ihre großen Pferde streckten die Hälse durch das Fenster hinein und beugten sich, halb im Schlaf, mit den schweren Köpfen über Bücher und Pergamente, auf ihrem Zaumwerk knaupelnd, und der Schaum aus ihren Mäulern tropfte in Flatschen nieder auf schwarze Schriftzeilen und farbenkräftige Initialen.
Ein Gedanke drängte sich Doktor Faust stärker auf als der andere, wie er dastand, seine Handflächen auf das breite Fensterbrett gestützt, eine ringgeschmückte Hand vor jedes Pferdes Maul. Und das Licht hob die klare Bleichheit seiner Stirn und seines Antlitzes hervor und zählte jedes Haar in seinem dunklen gelockten Bart.
Hörbar klang jeder Gedanke von ihm über die beiden Unsichtbaren da draußen.
– Jetzt bin ich vierzig Jahre, – dachte er: – zehn, zwanzig, dreißig Jahre kann ich noch leben, dann ist alles vorbei!
Wieder ist es Frühling, wieder habe ich ein Jahr weniger zu leben....
Der Tod kommt, um den vierzigjährigen Doktor Faust aufzusuchen; aber Amor bittet für ihn, und der Tod schenkt ihm neue vierzig Jahre. Nach Verlauf dieser Zeit kommen die beiden wieder geritten, um ihn zu holen. Sie finden einen Greis, dem die Jahre nichts genutzt haben: seine Kraft war vor vierzig Jahren verbraucht, die ganze letzte Hälfte seines Lebens ist ein totes Leben gewesen. (Notiz von E. Brandes.)