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Wenn ich an meiner Dichtung mit derselben Sorgfalt gearbeitet habe wie ein ordentlicher Schuster an seinem Stücke Leder, dann betrachte ich den schönen Baum im Garten des Hauses, in dem Alfred de Vigny gewohnt hat, als er in Orthez Soldat war. Der Handlungsreisende, der seinen Musterkoffer in die Apotheke oder den Buchladen trägt, weiß so wenig, daß hier der Dichter Alfred de Vigny gewohnt hat, wie das Rind, das zur Weide trottet, oder der Distelfink, der an seinen Futterhalmen pickt.
Diese Unwissenheit der Städte in allem, was ihre großen Männer angeht, hat ihren guten Grund. Sie bewahren von ihnen nur das in ihrer Erinnerung, was im Einklange mit ihrem eigenen Wesen stand. Wenn nur Cervantes, der groß ist wie Homer, einmal wiederkehren wollte in die Francosgasse zu Madrid, in der er gestorben ist, und den Schatten seiner dereinstigen Hauswirtin fragte: »Habt Ihr einen Dichter des Namens Miguel Cervantes de Saavedra gekannt, der den Don Quichotte geschrieben hat?« Er bekäme zweifellos zur Antwort: »Wenn Ihr einen Einarmigen meint, den hab' ich gekannt, aber einen Dichter nicht.«
Fordert nicht Gott selber durch diese Unwissenheit, daß man die Toten ruhen lasse in Frieden und ihnen nicht allerorten marmorne Denksteine errichte? Stolzer ist kein Denkmal der Toten als das, das sich tagtäglich rings um uns erhebt. Ein jeder Pfirsichbaum, der in der Blüte steht oder die Last seiner Früchte trägt, ist Denkmal eines Dichters so wie jeder Sperling und jede Ameise. Daß im Garten des Dichters des Eloah der Tulpenbaum golden aufglänzt, daß dort bei den Akazien, wo der Brunnen fließt, die Ziegen den Schatten der Mauer entlanggehen, ist das rechte Grabmal.
Ich weiß bestimmt, daß die, die [wie Valery Larbaud, André Gide und Guillaumin] sich um das Andenken eines Dichters wie Charles Louis Philippe mühen, nur den edelsten Gefühlen gehorchen. Aber sie sollten doch nicht die Büste, die Bourdelle dem Dichter gemeißelt hat, dem Denkmale gegenüberstehen lassen, das Gott selbst ihm in Cérilly errichtet hat: der Werkstattbude [die wie der Himmel nur eine Türe hat], darin ein Handwerker Holzschuhe macht. Ich weiß wohl, daß das Erz widerstandskräftig ist wie die zähe Unbeirrbarkeit des Dichters, dessen Beruf es ist [in diesem Sinne gleicht er dem des Fliegers], niederzustürzen aus höchster Höhe und sich, wenn er den Sturz überlebt, noch höher zu erheben. Aber das Erz, das unser Gedenken weiterleben sieht, wird von der Zeit versehrt. Dreihundert Jahre werden hingehn; diese Bergketten werden nicht mehr sein, und für ihr einstiges Dasein wird nur noch die menschliche Logik Zeugnis ablegen, denn sie werden abgetragen und in die Winde verweht sein – und wie sie wird auch die Büste aus Erz dem Erdboden gleich geworden sein. Dableiben aber wird der Geruch des Buchen- oder Nußholzes, eine alte Frau wird da sein, eine kleine Katze, die sich in der Sonne wärmt, eine abgetretene Türschwelle und der Azur des Himmels, und all das Bleibende wird Zeugnis ablegen für Charles Louis Philippe wie dieser Tulpenbaum hier für Alfred de Vigny. Und der Wanderer künftiger Jahrhunderte, der die feierlichen Rhythmen des einen oder das schlichte Wort des anderen im Herzen trägt, wird, wenn sein Weg Orthez oder Cérilly berührt, auch nicht einmal mehr daran denken, daß es je eine Büste des einen oder anderen habe geben können. Aber mit einem Male werden die beiden Dichter ihm erscheinen: Vigny in einem goldenen Baum, wie ein Römer im Sturme sprechend, Philippe in einer kleinen Werkstatt, die nach Suppe riecht und deren Tür kreischt, wenn sie sich öffnet.