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Ich bin eine Schnepfe. Um die Zeit, in der der herbstliche Ozean fürchterlich wird und die Schiffe im gelben und schwarzen Himmel tanzen, wohne ich hier, denn ich mische mich nicht ein in die verschiedenen großen Angelegenheiten der Natur, ich Schnepfe, die ich nicht weiß, daß tausend und tausend Kreolenjungfrauen jetzt verblüht sind wie feurige Rosen im zerstörenden Hauche eines Vulkans. Hier wohne ich, zwischen den Binsen und einer Lache, in der Gleichförmigkeit von Tag um Tag. Mein Tal zieht von Norden nach Süden, es ist morastig, waldverwachsen und traurig. Aber es stimmt recht hübsch überein mit meinem Kleide, das wie ein totes Blatt gefärbt ist, und man könnte mich schon für eine Dame nehmen, wenn ich da mit meinem Stocke, der mein Schnabel ist, spazierengehe ... Man weiß von mir auch, daß ich die schönsten Augen auf der Welt habe und daß von ihnen die Sage geht, sie weinten, bevor ich sterbe. Kommen Sie und sehen Sie mich in meinem Salon an! Wissen Sie denn, wie der Salon einer Schnepfe aussieht? Die Jäger mögen Ihnen davon erzählt haben. Haben sie Ihnen aber auch gesagt, was ein Schnepfenspiegel ist? Das ist nämlich etwas, das ein bißchen schwierig zu erklären ist. Meine Spiegel sind aus blankem Silber und haben einen dunkeln Punkt in der Mitte – sie sind das, was ich hinter mir fallen lasse. Mein Parfüm ist das frischgeschlagene Holz. Lieben Sie den Geruch von Heu? Oh, in der Natur sind alle Gerüche vereinigt. Würziger aber riecht doch nichts als der Saft der Erle, den der Holzhauer abzapft. Das ist ein Geruch, der schön ist, während doch Gerüche für gewöhnlich nur gut sind. Aber dieser Duft ist schön wie das Blut, das in der stillen Stunde aufsteigt in die Wangen des Heidekrautes, wenn die Sonne müde ihre Haare auflöst und sich lang über den Hügel hinstreckt. Wenn ich meine Füße auf das setzte, was von einem Erlenstamme am Erdboden übrigbleibt, kommt es mir vor, als ob ich auf duftenden Purpur trete und ich die Königin von Saba bin.
Die Wohnung, die ich habe, ist gottlob recht brauchbar. Ein paar Verbesserungen täten ihr freilich schon not: der Wind hat nämlich die Dachschindel aus Blättern, die mir der Dachdecker Frühling darauf gelegt hat, schon wieder zerblasen. Der Herr Herbst hat sie durch Klematisfrüchte ersetzt – aber die saugen mit ihrem Flaum den Regen aus der Luft.
Ich habe nur ein Erdgeschoß. Der Flur ist ein Wassergraben, dunkel genug, daß ich darin ordentlich sehe. Man weiß ja, daß meine Augen das grelle Licht schlecht vertragen. Mir ist auch ein einfacher Stern lieber als die beste Kerze. Der Herr hat mir gesagt: »Geh, kleine Schnepfe. Ich schenke dir alle Sterne des Himmels, daß sie dir leuchten.«
Mein Park ist unermeßlich, er schließt die ganze Welt in sich. Aber ich gehe doch erst in die Berge, mir kleine Eisstückchen zu holen, wenn die große Hitze kommt. Denn man muß es verstehen, seine Wünsche einzuschränken – sonst muß man die Geschichte vom Weinberge des Naboth wieder von frischem beginnen. Ich wohne also hier, sage ich Ihnen, zwischen diesen Binsen und der Lache, und ich komme auch kaum fort von meinem runden moosigen Platze da und von der Quelle, deren Wasser ein Hirt in einen Dachziegel geleitet hat, von dem jetzt, durch einen Stein festgehalten, ein Kastanienblatt herunterhängt. Man darf aber nicht vielleicht glauben, daß es da weiter unten nicht eine herrliche Landschaft gibt: die Ufer und Inseln des Wildbaches, wo inmitten von rosa Nebeln der Herr Reiher auftaucht und wieder verschwindet, je nachdem der Nebel sich hebt oder sich ausbreitet. Und in einiger Entfernung von ihm unter dem silbernen Himmel schnellen über das silberne Wasser die Silberfische, auf die er lauert, empor.
Ich wünsche mir, glücklich und verborgen wie ein Veilchen zu leben. Eine Schnecke in der Schale genügt für mein erstes Frühstück, währenddessen ich entzückt bin von all dem Nebel, der von jedem Zweige fällt wie ein Hagelschauer aus lauter Regenbogen. Was brauche ich auch Luxus und Eitelkeit? Wenn ich doch lieber das große Buch der Natur lesen könnte, das Buch, von dem ich selber ein bescheidenes Exemplar bin. Sehen nicht wirklich meine Rückenfedern aus wie der Ledereinband eines ganz alten Folianten – und die Federn auf meiner Brust wie seine bunten Ränder? Ja, ich lese in mir selber, in dem wirklichen Buche, das ich bin, und ich muß nicht meine Zuflucht zu all den Mitteln nehmen, deren sich die unwissenden Schreiber bedienen. Was ich weiß, weiß ich ordentlich, weil ich es mir nicht nur vorstelle, sondern es mit dem Schnabel und den Füßen angreifen kann und weil es doch die Frucht meiner Erfahrungen und meiner Weisheit ist. Was ich weiß? Ich weiß, daß ich gerade vor mich hinmarschiere, die Füße auf der Erde und den Kopf in den Himmel. Ich weiß, daß es ganz gewöhnliche Sachen gibt, über die man sich doch sehr wundern muß. Und ich weiß, daß die Welt zusammengesetzt ist aus lauter Schnepfen, die gar keine Schnepfen sind. Ich weiß, daß ich leide, wenn man mir Blei in meine Flügel schießt. Ich weiß, daß ich glücklich bin, wenn ich im Mondschein durch das sanfte Gras der Waldränder irre, mit gezählten Schritten, den Kopf nach rechts und links drehend und bereit, mit der Spitze des Schnabels die Würmer aufzupicken. Oh, von was für wunderbaren Nächten habe ich nicht schon die Quellen singen gehört, wenn ich mir in ihnen säuberlich die Füße wasche! O das fließende Blau, das die Schatten des Gebüsches liebkost, bis sie zittern und den ersten Himmelsschlüsseln weichen!
Ich weiß, daß »es muß sein« ein großes Wort ist und daß danach mein ganzes armes Tierleben abgewandelt wird. Es muß sein, daß ich, wenn es April wird, diese wunderbaren Täler verlasse und es meinem Fluge anheimgebe, dahin zu fliegen, wohin er fühlt, daß nun geflogen werden muß. Das habe ich verstehen gelernt, daß so einfach dahinzureisen besser ist, als sich abzuquälen mit Landkarten, Kompaß und Sextant, mit alldem, wodurch die Menschen Schiffbruch leiden. Es muß sein, sage ich, ist ein großes Wort! Darum habe ich Schnepfe mir auch nicht mein Dasein durch Weltkarten, Luftballons, Dampfmaschinen und Theorien verwirrt, denn es mußte sein, daß ich Flügel habe. Und so ist meine ganze Wissenschaft ganz einfach die, daß ich mich auf meinen Schnabel, meine einzige Bussole, verlassen kann, um inmitten der Schneefelder [die die Orangenblütenhaine des Gebirges sind] die süßeste Braut wiederzufinden.
So spricht die kleine Schnepfe. Und ich beneide die kleine Schnepfe um ihren guten Sinn und um ihr Glück. Kleine Schnepfe, es gibt noch anderes Blei als das, das dir durch die Flügel schlägt: das Blei, das ich im Herzen trage. Und andere Stechpalmen gibt es als die, die sich mit Moos umgeben, so daß du verlockt bist, darauf auszuruhen: die Stechpalmen, die meine Schläfen kränzen und die mein einziger Lorbeer sind. Oh, warum hat Gott mir nicht wie dir Flügel gegeben? Oh, warum kann ich, wenn der Duft des Flieders den liebesbleichen Frühling in seinem Gewande schwanken und hinsinken macht und wenn der Seidelbast wieder blüht, nicht am Rande der durchstürmten Schlucht die erwarten, von der ich getrennt bin? O kleine Schnepfe, warum bin ich nicht lieber in deinem kleinen Salon aus welken Blättern geblieben, um im langen Regnen dem Seufzen der Winterwinde zuzuhören, anstatt in diesem Zimmer zu sitzen und meinen Betrachtungen nachzuhängen, indes der Herd braust wie der Ozean und mir im Uhrenschlagen geschieht, als ob ich eine reine und traurige Stimme wiederhörte.
Kleine Schnepfe, möge das wilde Wetter mit dir gnädig verfahren! Die Windstöße sollen deine Spuren verwischen, so daß der Hund sie morgen nicht spüren kann, sich von seinem Herrn prügeln lassen muß und endlich schlammbeschmiert, verdutzt, den Schweif eingeklemmt, zurückkommt, ohne dich gefunden zu haben!