Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Habermanns logischer und geographischer Kursus durch Europa, von ihm selber ganz summarisch dem Erbprinzen der Milchstraße vorgetragen.

Wie sich der Kardinal Richelieu in kranken Stunden für ein Pferd ansah – ob er gleich selber Frankreich zu einem machte, und zwar zu einem Pack- und Filialgaul –, so halt' ich mich von Zeit zu Zeit für den Prinzenhofmeister des Dauphins der Milchstraße und gebe daher dem jungen Menschen geographische Stunden. Die Klarheit dieser Vision ist wunderbar-stark und ohne Schwedenborgs wache Visionen fast unerklärlich; – ich stehe auf dem Sirius da, der Hauptstadt unsers NebelfleckenEin Nebelfleck, d. h. ein zusammengehöriges Reich von Sonnen, sieht näher wie eine Milchstraße aus. Herschel hält in unserem Nebelflecken oder in unserer Milchstraße und Sternenschicht den Sirius für die regierende Sonne der andern Sonnen., und messe statt der irdischen sechs Fuß reichliche sechs ErddiameterLeibgeber wurde gewiß auf den Traum einer solchen gigantischen Statur bloß durch Lavaters seinen gebracht, daß wir nach dem Tode uns unendlich ausdehnen und zusammenziehen können. Aussichten in die Ewigkeit. II. 11. und einige Meilen, und mein goldgelbes Kopfhaar hängt neben Berenicens Haar in den Himmel hinunter und wird von Sternkundigen als Kometenschweif praeter propter ausgemessen – die Landstädte der Milchstraße, die Sonnen, liegen um den Hofmeister und Eleven deutlich herum samt den nächsten eingepfarrten Dörfern, den Erden.

Dieses physiologische Meteor, das ich näher beobachtet und gemustert wünschte, ist ein auffallender Zwitter von Vision und Traum, der mich allemal an meinem Geburtstage von eilf bis zwölf Uhr beschleicht und beherrscht, eine Börsenstunde, wo ohnehin den Geistern die Amsterdamer Börse der Erde offen steht. Warum aber gerade in diesem Jahre die Vision so hell und lang war, daß ich dem Infanten die geographischen Elementarkenntnisse der Erde in der leichten Einkleidung meines Reisejournals angenehm, obwohl äußerst fragmentarisch beizubringen vermochte – das kam daher, weil ich in Bremen war und im dasigen Bleikeller der Domkirche eine ganze Stunde lang als eine Vexierleiche auf einen reisenden kritischen Redakteur und Literator lauerte, der alle lebende große Gelehrte besieht und alles, was tot, aber erheblich ist. Ich brachte den Küster durch ein Kopfstück und ein Fettmännchen dahin, daß er dem Literator weismachte, im Bleikeller sei unter den konservierten aufgedeckten LeichenIm Bleikeller bleiben Leichen hundert Jahre lang unverweset und ohne Geruch und Änderung: sogar aufgehangne Truthühner. auch der alte niedersächsische Spottvogel Liscow befindlich (für diesen wollt' ich mich ausgeben) und sitze so rot, frisch und konservieret da, als wenn er lebte, gleichsam als ob die Natur seinem Körper die Unsterblichkeit auszahle, die seinem Namen bei dem vergeßlichen Publikum entging.

Während dem einsamen Passen auf den Literator träumt' ich mich aus dem dunkeln Gewölbe auf den Sirius vor den Erbprinzen des Nebelflecken.

»Gnädigster Herr,« redete ich ihn an, »heute haben wir Geographie. Da in meiner großen Tour so viel davon steckt, als Sie nötig haben: so brauch' ich Ihnen bloß die Tour zu geben. –

Vorzüglich vier letzte Dinge bringt ein Reisender von seiner Laufbahn zum Berichten nach Hause: seine Reisehöllen mit ihren Vorhöllen – seine Reisehimmel samt den Vorhimmeln – seine Videnda oder Visa – und seine Corrigenda (d. i. was ihm in den Städten, wodurch er passierte, gar nicht ansteht und was sie bessern müssen).

Meine Reisehöllen Ihnen abzuschatten, Gnädigster, hätte wohl nur ein Dante in seinem Höllenzwang im Vermögen: denn jeder Tag legte eine frische Erbse in das Fontanell meiner Plage, damit es offen bliebe. Schon vor mir ist es von mehrerem Reisenden bemerket worden, daß man unterweges nichts umsonst bekommt, und daß man nicht wie die Morgenstunde und QuecksilberarbeiterEinen Dukaten haben sie als Giftfang des Quecksilbers im Mund. Gold im Munde haben muß, sondern in der Hand: was ist aber das gegen meinen Judenschutz und meine Türkensteuer, von mir an Juden und Türken, nämlich an Wirte abgetragen, die nie mit doppelter Kreide schrieben, sondern allzeit mit Kreidenbergen? Mußt' ich nicht in Karlsbad einen Gulden für den bloßen Garderobeschlüssel geben, wofür ich am Beichtstuhl fünf Löseschlüssel hätte erstehen können? Mußt' ich nicht im Nenndorfer Bade meine Strafgelder erlegen, bloß weil ich den Hut ungemein höflich abgezogen – desgleichen in GrosselfingenIm Nenndorfer Bade ist Hutabnehmen verboten. In Grosselfingen (im Hechingischen) hält man jährlich ein Narrengericht, wo die in Harlekine verkleideten Einwohner jedem Fremden eine Strafe diktieren dürfen. Bloß die Kleidung des Gerichts ist dabei auffallend und ungewöhnlich., bloß weil da keine andern Räte votierten als lustige? – Und welche Summen von Einfuhrzöllen oder Sperrgeldern liegen nicht von mir in Leipzig und Wien, die ich da nachts entrichten müssen, ehe man mir die Stadt und darauf mein Logis aufmachte, indes der Janustempel die ganze Nacht in Europa offensteht! – Bloß weil der Passagier keine Familie mithat, die ihn Geld kosten könnte, bohren lauter durstige Wesen in ihn die Saugerüssel, wie man den Müttern im alten Mazedonien die Milch durch Schlangen und an andern Orten durch Hunde nehmen lässet. –

Ich lasse einige hundert Vorhöllen aus und merke nur Höllen an: wie wenig Achtung erhält man unterwegs, bloß weil man unbekannt ist! Wie wird man angeschnauzt von Grobianen, angeführt von Betrügern! – Die Pariser z. B. hingen mir einen teuern Schoßhund auf, dessen Haar zwar im Alter und Kummer die Farbe hielt – weil sie falsch war –, aber nicht im Bade, und den ich, als er abscheulich aus dem Schwenkkessel ausgestiegen war, nirgends los wurde als in Kopenhagen durch einen Ostindienfahrer, der ihn gratis und ohne mein Wissen einschiffte. – Und welchem unablässigen Wechsel von Sitten stellet man einen fixen Pilger bloß! von Tirol an, wo man ihn duzet, bis nach Holland, wo man sogar seine Effekten ihrzet! – Was soll ein Passagier sagen, wenn er ein französischer Hund genannt wird – in Hessenkassel, weil er keinen Zopf, und in London, weil er an dessen Statt einen Haarbeutel und oben darüber seinen Regenschirm trägt –, oder wenn er ausgehungert wird – in Polen am Schabbes, wo die Juden nichts hergeben als einen Christen zum Aufwarten –, oder ausgetrocknet – sowohl in Calais als in Dover, weil die feinen Weine, die er auf dem Kanal unter der Seekrankheit stehen ließ, am Ufer dem Schiffsvolk zusterben –, oder verflucht gehudelt – unter dem herrlichen Brandenburger Tor in Berlin, weil er ein gesiegeltes billet-doux, von einer hohen Person an ihn gerichtet, bei sich führt und er vor Gericht nicht gern gestehen will, daß er das Billett selber auf der vorletzten Station an sich geschrieben –, oder unerwartet examiniert – in einer würtenbergischen Nachmittagskirche, wenn er zufällig während der Kinderlehre unter stämmigen katechetischen Bauernpurschen steht und ihm der Pfarrer, der ihn darunterzählt, die Frage vorlegt (ich vergesse sie nie): wie vielerlei gibt es Himmel – – was soll da, sagt' ich, ein Pilger sagen?

Ich meines Ortes sagte eben das, worauf ich jetzt komme: es gibt viele Reisehimmel und Vorhimmel, worin man sich ganz erholen kann von Reisevorhöllen – von harten Betten – weichen Wassern – gleich Pflugscharen stumpfen Balbiermessern – scharfen Wurstschlitten – von schlechten Universitätssitten und ebenso schlechten Universitätsbieren (jene gewöhnlicher bei Professoren, diese bei ihren Zuhörern). – Auf welche Art hätt' ich je meinen Namen so groß gemacht – ausgenommen, wenn ich ihn in den wachsenden Kürbis des wachsenden Lesepublikums eingeschnitten hätte –, als mir auf Reisen gelang? Hab' ich den Namen nicht im roten Hause zu Frankfurt auf den Teller gekratzt – ihn in tausend Fenster gezogen als Steinschneider? – Hab' ich ihn nicht sitzen lassen im Brockenbuch – im Passagierbuch des Beigangschen Museums zu Leipzig – neben dem Rheinfalle – auf Schiefertafeln der Wirte im Gothaischen – auf den breiten Steinen des Münsterturms – an hundert Kanzeln neben dem Lavaterschen – in tausend Intelligenzblättern – auf Millionen Nachtzetteln? – Und wird ein Mensch mit einem solchen allgegenwärtigen Namen je nur einen Kreuzer auf eine Pränumerantenliste pränumerieren? – In London hätt' ich sogar den Kardinalshut bekommen können, aber ich gab ihn dem Hutmacher, der acht Guineen dafür haben wollte, mit der Bemerkung zurück, dafür biete mir Erfurt den Doktorhut an. – In Holland wurde sogar auf meinen Körper – den ich nur umhabe wie der hölzerne Gliedermann ein anderes Gewand, damit ich Falten damit ziehe und schlage – ein solcher Wert gesetzt, daß mir eine alte Frau den KörperFrau de la Roche erzählt, daß gewisse Weiber da Handwerkspursche zum Tanzen und Spazieren für Mägde mieten und vermieten. auf einen ganzen Sonntag abmietete, damit er mit einer jungen teils einen Spaziergang machte, teils einen Tanz. – Eine ähnliche Aufmerksamkeit auf mein Äußerliches schien es zu sein, daß man mich in Neapel sechzehn HochzeitbettenNach Gorani wird der Gast stets in das Hochzeitsbette gelegt. besteigen ließ, nachdem ich vorher mit Fischen bewirtet worden, welche die Lava mitten im Meere gesotten. – Ja meine Feinde mußten den Harm erleben, daß ich in der Residenzstadt hier – sie liegt dicht am Strome, in welchen ich eben den Zahnstocher stecke – unterwegs am hellen Tage den Thron bestieg. Denn als gerade der Thron ledig stand, weil der Fürst, für welchen er und die Ehrenpforte gebauet waren, jede Stunde kommen sollte: so wurd' ich dessen Antezessor und setzte mich darauf und schauete mich um. Aber Himmel! wie hoch ist ein Thron! Ich sah zu meinen Landeskindern herab, und sie kamen mir so abgekürzt vor wie aufgerichtete, auf dem Hintern sitzende knuspernde Spitzmäuse, und die drei Reichsstände glaubt' ich als drei gemalte Ratzen gleich der Stadt Arras in meinem Wappen zu führen. Jede Minute besorgt' ich, ich würde vor Schwindel aus meinem Mastkorb fallen. Aber ein maitre de plaisirs nahm eine am Throne hängende Pingerons-BrilleS. Kunststücke für Künstler etc., von Wiegleb übersetzt, 2. T. S. 188: Pingeron erfand eine Brille, die ferne Gegenstände unsichtbar und nahe deutlich macht, und durch welche man ohne Schwindel, d. h. ohne Furcht auf dem höchsten Seile über der unsichtbaren Tiefe tanzen kann. und setzte sie mir auf – gnädigster Herr, wenn Sie sie einmal aufheben, werden Sie sagen, daß ich recht habe, und daß man bei den besten Augen mit ihr auf dem Throne wie auf einem glattgebohnten Fußboden sitzt und nichts sieht als das Nächste, den Hofstaat, – so schön ist durchs Glas jede Klaue von einem Untertan und der ganze untere Schiffsraum des Staats wie weggeblasen.« – –


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