Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Und nun drang ich gerade über Gesträuche und Gras auf die Laube hin – und mein Freund behielt, gleichsam die fremde Seligkeit langsam durch- und nachträumend, den längern Weg eines bedeckten Laubengangs – und ich sah bald in der durchsichtigen Laubhütte eine sitzende weiße Gestalt von mir gegen den Eingang und den Mond gekehrt, ich zweifelte aber unter dem Schatten der breiten Wolke noch, ob es nicht Natalie sei, bis die Gestalt sich traurig aufrichtete und ich aus dem gehalteneren Gange und der höhern Länge sah, daß es Hermine sei. Ich rief nicht, um sie nicht zu erschrecken. Sie trat aus der Laube mit einem leisen Nachsingen, gleichsam mit einem harmonischen Ausatmen der geblasenen Liedermelodien. Aber da sie ein kurzer Bogenweg endlich gegen mich richtete – und da die fliegende Schattenschleppe der Wolke sich von mir wegzog – und da Hermine sah, zweifelte, aufhörte zu singen und zu gehen, und ich heftiger eilend den leuchtenden Regen der Freude aus den Augen schlug, und da sie mich endlich erkannte und mir nun schneller und lächelnd und wie ein Engel des Friedens mit ausgestreckter Hand entgegenging, und da sie, wie eine Sonne, aus dem zerstiebenden Wolkenschatten trat und nun im vollsten Strahlenglanze schimmerte, weinte und lächelte: – – so wurd' ich ja viel zu glücklich für meine Fehler – und das Regengewölke des irdischen Lebens wurde voll Licht – und wetterleuchtete vor ätherischer Fülle, und ich sank unter den Blitzen der Entzückungen mit den Augen an das himmlische Herz und konnte nur sagen: »Ach Hermina!« – Aber ich hob schnell die abgetrockneten Blicke auf, und da ich wieder so nahe diese auferstandne verklärte Gestalt an mir hielt und da ich das freundliche Auge, den liebenden Mund und die helle wolkenlose Stirne wieder fand: so fragt' ich nur aus Liebe: »Liebst du mich noch?« und unterbrach die gütige Lippe, weil ich nicht zweifelte – o! da wurde das ganze Herz dem warmen Regen der liebenden Wonne aufgedeckt – und die Sterne zitterten um uns wie glänzende Freudentränen – und die lichten, hintereinander gereiheten Wölkchen standen als weiße Regenbogen des Friedens im Himmel – und ein sanftes Rauschen wie das eines verwehten Gewitters blätterte den Garten auf, und irre weiße Dunstflocken des blauen Äthers wiegten sich auf den Tönen der Hörner und zerflatterten harmonisch aufgelöst in lichte Punkte, die den Mond umzingelten. –-

O fühlt ihr nicht, ihr Menschen, in den mit ewigen Flammen bezeichneten Stunden des Wiedersehens, wie der Mensch lieben kann? Ach wenn nur unsere Toten und unsere Abwesenden allein die selige, von blassem Mondlicht und von farbiger Blumennacht sanft überzogne und verworrene Zauberinsel des Ideals bewohnen: fühlt ihr nicht, daß euch in der epischen Stunde des ersten Blicks der wiedergefundne Geliebte noch auf dem Ufer dieser Insel empfängt, und daß er, eh' er mit euch von ihr weicht, in ihrem weiten Heiligenschein so geliebt und so leuchtend und erhaben steht wie die hohen Geister und Schatten um ihn? –

Ich fragte Hermine, auf welchen glänzenden Flügeln der Morgen- oder der Abendröte sie gekommen sei; aber hier in der kurzen Einsamkeit fand das übervolle Herz, durch welches alle weiche Szenen der Versöhnung und Liebe wieder zogen, die bisher in der Entfernung dadurch gegangen waren, keine Lippe und kein Wort. Allein da unser Firmian und ihre Natalie aus dem Blätterschatten traten, so konnte sie sagen: »Unserem Freunde und unserer Freundin haben wir diese Stunde zu danken.« – Die feurige Natalie ließ meine grüßende und dankende Hand bald fallen und drückte auf ihre Lippen und Augen Herminens Hände küssend und hüllete den zärtlichen Anteil in mutige Freude ein. – Durch Briefe ward nämlich der Reiseplan angelegt: Natalie, welche mehr das Reisen (wie Hermina mehr das stille Bleiben) liebte, hatte Herminen gebeten, sie zu ihrem Firmian entgegen zu begleiten; aber dieser Wunsch war nur die Blumendecke des zweiten gewesen, daß die sieche Freundin auf der Lustreise eine Bewegung, einen unbedeckten Frühling und vielleicht eine kleine Freude erlange. Hermine, deren Unruhe über meine Verwickelungen mir Firmian vorhin schonend verschwiegen, war von ihm bisher durch kleine Täuschungen beruhigt und vom Helfen abgehalten worden, weil er gern die meinige durch den Schulrat vollführen wollte. Da sie, weniger wagend und mehr schonend und zurückgezogen als Natalie, in keinen überraschenden Trug gewilligt hätte: so wurde ich und sie mit dem nämlichen überrascht. Der Schulrat hatte bloß Natalien zu Firmian gerufen, als sie mit Hermine die von meinem letzten Brief bezeichnete Laube teilte. – –

Jetzt wurden am Sternenhimmel immer größere Abgründe blau – die Töne gaben unsern Freuden, wie vorher den Schmerzen, Flug und Stimme – jeder Gedanke, der durch die erleuchtete Seele ging, zog darin, wie Schiffe im mondhellen Meer, eine lange schimmernde Straße – die Erde selber glitt mit uns als ein Lustschiff durch den Äther dahin, und die Wolken-Segel flogen am Himmel, und wir schifften eilig und tönend vor dem zurückfliegenden Monde vorbei. »Lasset uns unsern Schulrat suchen«, sagte Firmian, »und recht fröhlich zusammen sein – man sollte jede Weinlese recht abbeeren und auskeltern, denn nichts kommt ja wieder – es gibt nur bewegliche Feste der Freude – die lyrischen Stunden des Herzens sind nur einmalige Gelegenheitsgedichte, und die Wiederholung der Bravourarien im Singspiel des Lebens wird auf dem Zettel verbeten.«

»Nun, so mags!« (sagte schnell Natalie) »die Unglücksfälle lassen, wenn sie uns auch ganz abrupfen, uns doch wie die RaubvögelNach der Meinung der alten Naturforscher. das Herz übrig.«

»Und wenn auch die Freude eilig ist,« (sagte Hermine und blickte ihre Freundin recht erheitert an) »so geht doch vor ihr eine lange Hoffnung her, und ihr folgt eine längere Erinnerung nach« – »wie im Polarfrühling«, setzt' ich dazu, »lange das Bild der Sonne aufgeht, eh' sie selber kommt, und im Polarherbst ihr Bild noch scheint, wenn sie selber auf lange unterging.«

»Aber«, fuhr ich fort, »welchen Himmel braucht wohl ein Menschenherz, dem ein zweites verliehen ist? In diesem hohlen Nieten-Leben, wo unsere Wünsche und Zwecke nur Stufen und keinen Gipfel finden, wo unsere Taten mehr andere als uns beglücken können und wo die reichste Seele zuletzt als eine zerbröckelte Sandwüste voll zerschlagner Felsen und Kristalle dasteht, in diesem Leben werden wir nur von der Liebe wie von einer zweiten Welt gefüllt; und mitten im Totenhause der Vergänglichkeit und an Gräbern und auf dem eignen Sterbebette fühlet doch ein Herz, das glücklich liebet, nichts als Unsterblichkeit.« –

Und indem ich dieses sagte und indem wir den Schulrat, der unverschuldet ohne die geliebte Seele lebt, aus dem Haine kommen sahen: so dacht ich an meine Pflichten und Fehler und gelobt' es still und warm, dieser Geduldigen Hermine das Leben tragen zu helfen, wo es zu schwer auf liegt – ihr noch eine Freude zu machen, ehe sie dahin ist oder ich – mit ihr in der Jahrszeit des Lebens, wo noch die Nebel des Schicksals fallen, ins Freie unter dem warmen offnen Himmel spazieren zu gehen, eh' das wolkige Alter einbricht, wo alle Nebel steigen und den ganzen kurzen Tag verfinstern.

Ach ich sehnte mich jetzt schmerzhaft nach einer einsamen Minute, worin ich ihr das alles entzückt gelobte; da ich ihr heute ohnehin noch wenig sagen konnte.

Der Schulrat, durch fremde Bande an den Riß des seinigen erinnert, sagte zu uns, aber mit fester Stimme: »er habe heute zu oft an seine selige Lenette gedacht – er habe sich zwar längst in Gottes Fügung ergeben – aber es sei jammerschade, daß ein so junges gutes Herz verwese – und er habe sich nun fest entschlossen, ihre Leichenpredigt mit einigen Lebensumständen in den Druck zu geben, zumal da ich in den Blumenstücken oft über ihre erheblichsten leicht weggegangen sei.«

Lächle nicht zu sehr, Leser, sondern nimm wie ich mit Achtung die Provinzialismen und Hebraismen auf, womit sich das göttlich eingegebene Evangelium der Liebe ausdrückt. – Mich macht' er nur weicher und meinen Wunsch einer stillen Minute nur wärmer.

Da wir jetzt nahe an die Hornisten kamen: so riet der Schulrat, wir sollten sie die Finalkadenz und den Schwanengesang abblasen lassen und wegen der kalten Nachtluft nach Hause gehen und da in der Wärme recht fröhlich sein. Wir gehorchten willig seiner Sorge für die zärtere weibliche Gesundheit.

Und unter dem Scheiden und im letzten Annähern der Laube des Wiedersehens ergriff die Sehnsucht, Herminen mein Herz und meine Gelübde zu zeigen, mich immer heftiger, weil mein altes Gefühl der Eitelkeit aller irdischen Dinge wieder kam, das den Menschen allzeit anfället, wenn er etwas endigt, es mag nun sein eignes Buch – wie dieses hier – oder ein fremder Roman, oder ein Jahr, oder das Leben selber sein. Ja wäre nur – sagt Firmian mit Recht – bei unserem ewigen Hin- und Hergang vom Vergnügen zum Schmerz, vom Gefühle der Gesundheit zu dem der Entkräftung, vom aufstrahlenden Feuer des Kopfes und Herzens zur finstern Kälte in beiden, wäre da nur die Täuschung des allmählichen Überganges und der Zeit nicht, die durch ihren Dazwischentritt die Nachbarschaft dieser Extreme versteckt: so läge das Gefühl der Unbeständigkeit noch schwerer auf uns, wie es im Alter wirklich liegt, wo vielfachere Erfahrungen jedem Zustand die Larve seiner Ewigkeit abgezogen haben und wo der müde kalte Mensch sich nur noch im Mondlicht der zurückscheinenden Jugend sonnet. – –

Auf einmal, da ich nahe an der Blätter-Klause auf ein Mittel einer kurzen Absonderung dachte, nahm Hermine meine Hand und hielt mich sanft zum langsamern Gange – und dieser war das Mittel und schauete mich mit unaussprechlich-schönen vollgefüllten Augen an, gleichsam als fragte sie: »Hast du mir nichts zu sagen? O wenn du wüßtest, wie voll diese stumme Seele ist, und wie gern sie mit dir spräche, und wie meine Freude doch lieber weint, als spricht und lacht.« – Und als ihr Wunsch meinen erfüllte und ich langsamer ging, blickte Firmian sich ein wenig um und ging sogleich schneller mit seinen Lieben.

»Gute Hermine,« sagt' ich vor der belaubten Einsiedelei, »an was dachtest du vorhin so allein in unserer Laube des Wiedersehens?« –»An uns,« (sagte sie stockend und gerührt) »an deinen Brief, den du mir darin geschrieben hast, und mit unnennbarer Rührung an unser heiliges Verlobungsfest vor einem Jahr« – (»Mehr! Sage mir mehr, Hermine«, unterbrach ich sie.) – »Und deine Besorgnis um mein Leben rührte mich innig – und wenn ich nachts Musik höre, wie in jeder Freude, so denk' ich immer an meine gute Mutter – und dann sah' ich dich kommen.«... Sie hörte auf, aber die treueste Tochter wurde nur durch die heißen Tränen der kindlichen Sehnsucht stumm.

O du schöne Seele! eben dieses Schmachten nach der hinaufgegangnen Mutter und dieses innere Zerfließen über die irdische Einsamkeit hast du heute den Augen der Freude gern verdeckt und es in Heiterkeit verkleidet! – Ist es nicht oft größer, die eigne Träne verhehlen, als die fremde abtrocknen, und ist nicht oft das schöne weibliche Herz der Blumenkelch, worin der Tautropfe, der es kühlt und tränkt, nicht den Honigtropfen verschwemmt und verwässert, den es zeugt und der Biene vergönnt? –

Da ich jetzt ins sinnende Verstummen der gerührten Achtung geriet, und da sie in bescheidenem Irrtum fragte: »Du hast mir noch nichts über mein Schweigen in Hof gesagt, aber Natalie ist gewiß meine schönste Entschuldigung –«: so fiel ich ihr, wie von den himmlischen Gestirnen entzündet, glühend um den Hals und sagte heftig und schnell: »Sage nichts weiter, Engels-Seele! – Ich habe dir nur alles zu sagen, ach so viele Reue und Fehler und meine Liebe und meine Gelübde! – Und wie ich nie mehr dein treues gutes Herz verletzen will. – Nein, diese sanften zarten Augen sollen von keiner harten düstern Träne mehr wundgedrückt werden« – (Sie weinte stärker, aber nur aus Rührung, und sie wollte vergeblich den wilden Erguß der Liebe mildern.) – »Ich beteuere dir,« (fuhr ich fort, dadurch noch heftiger bewegt und endlich nur durch eine leidende Zuckung ihres Mundes zurechtgebracht) »daß ich deine Tage und deine Seele nicht mehr zermalmen will.... Aber wie diese Töne um uns sollen deine Stunden und Tränen über das Leben wegfließen – o wie dieser glänzende Nachthimmel muß einmal deine Vergangenheit dich umgeben – antworte nicht, Hermine, und wenn alle meine Tage vorbei sind, du Gute, dann soll deine Mutter zu mir sagen in der andern Welt: ja, du hast sie geliebt wie ich.«.... Ihr erschüttertes Herz wurde von einem stummen Weinen überwältigt, und wie die Äolsharfe dem reißenden Sturm nur eine bebende melodische Antwort gibt, so konnte sie nur leise stammeln: »Ja wir lieben uns herzlich und ewig!« –

Nun verstummte die befriedigte Seele – und wir folgten unter freudigen Nachschauern unsern Freunden nach – der Vollmond schwamm tief im gereinigten Himmelsblau, und die vorher von Wolken verschüttete Stadt Gottes lag aufgedeckt mit ihren Lichtern in der Unendlichkeit – uns als wir schon weit mit unsern Freunden hinter dem beglückenden Garten gingen, riefen uns seine Töne noch lange wie träumende Tage der ersten Liebe nach....

Ende des zweiten Bändchens


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