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Gut geborgen auf Seeland lag Gasts Geburtsort, nicht dicht an der Meeresküste, sondern ein Stückchen landeinwärts, an einem geschützten Fjord auf der Seite des Großen Beltes.
Von draußen kommend, vom Meere her, ahnte man nicht, daß die Küste bewohnt war, von dort glich sie einem langen, unzugänglichen Walde, der auf den Wellen schwamm; so flach war das Land. Wo die Küste endigte, schob sich eine andere bewaldete Landzunge ins Meer, ob es nun ein Zipfel derselben Insel war, oder eine der anderen flachen dänischen Inseln, die zwischen der Ostsee und dem Kattegat schwammen.
Darüber der Himmel mit den großen Wolken, wie langsam wandernde Inseln, Insel im Meere und Inseln am Himmel, das Meer brauste, der Tag war weiß und blau, Urstille herrschte, nur Möwen und Seevögel hüllten die Küsten in eine schwache Meermusik ein; stumm kam der Seehund mit nassen Augen aus seinem Element und blinzelte zum Lande hinüber, eine Rauchsäule stieg über dem Walde auf, und der Seehund spürte einen Geruch, der ihm nicht behagte, er kniff die Nase zu und schoß kopfüber zu den großen Steinen auf dem Meeresgrunde hinab.
Wo die Rauchsäule über dem Walde aufstieg aber wohnten die Menschen. Ein steiniger Strand und ein schmaler Dünenstrich trennten den Wald vom Meere. Der äußerste Rand des Waldes bestand aus ganz niedrigen, knorrigen Büschen und kleinen Bäumen, die sich an die Erde drückten, vom Winde niedergehalten, sie waren undurchdringlicher als Dornengestrüpp; erst nach und nach wurden die Bäume höher, dadurch, daß die vorderen die hinteren schützten; vom Meere aus machte der Wald den Eindruck eines schrägen, soliden Daches, das sich vom Strande aus über das Land hob, scheinbar von oben zugänglicher als unten durch die Stämme. Es war, als ob das Land dem Meere den Rücken zukehrte.
Neben einer vorspringenden Landzunge aber ging ein Einschnitt ins Land, wenig augenfällig, wenn man nicht von ihm wußte, etwas weiter fort verbreiterte er sich zu einem Fjord, und dort öffnete sich der Wald.
Auf dem Fjord, wo fast den ganzen Tag der Sonnenschein lag, war es stiller als an der offenen Küste; in einer kleinen Bucht war das Wasser ganz flach, und der weiße Sandboden schimmerte unter den blendenden Reflexen der Mittagssonne. Der Sandboden aber war eine einzige große Austernbank.
Die Bucht wurde von einem steinigen, mit Tang besäten Strande eingefaßt, dahinter erhoben sich niedrige Abhänge, von Kies und großen herabgerollten Steinblöcken bedeckt. Oben stand der Wald. Im Gegensatz zu dem Walde draußen am Meeresstrande, der den Rücken bäumte und dornig und unzugänglich war, wölbte sich hier der Wald luftig und offen, die hohen Stämme waren wie Tore zur Bucht. Die großen vollen Kronen entfalteten sich wie Kuppeln in Windstille und Sonne; hier war das Wetter immer schön.
Tausende von Möwen tummelten sich draußen auf den flachen Sandbänken, wo das lauwarme Wasser nur wenige Zoll hoch stand; dort war es ganz weiß von ihnen, sie schrien, zankten sich und schimpften den lieben langen Tag, schlugen mit den Flügeln und flogen von Ort zu Ort, saßen draußen in der Bucht auf den großen Steinen und redeten geschwätzig auf einander ein, so daß es bis zum Walde hinüber schallte und ganz bis zur anderen Seite des Fjords, wo sich auch ein Abhang befand, der auf der Höhe von einem sonnigen, gewölbten Walde gekrönt wurde. Über allem blaute der Sommerhimmel mit seinen weißen Wolken, die sich in der Bucht spiegelten und ihre Weiße mit der der Möwen vermengten.
Ein dicker, warmer Dunst von gärendem Tang, sonnendurchwärmtem Salzwasser, gähnenden Muscheln, die durch die Ebbe aufs Trockne gesetzt waren, und dem weißen Unrat der Möwen stieg in die stille Luft hinauf, und damit vermischte sich der grüne Kräutergeruch des Waldes, Himbeersüße und Honigduft der sonnigen Lichtungen, wo wilde Blumen und Gräser sich mit langen Stengeln durcheinander reckten.
Abends wurde es hier oft lebendig. Vorsichtig kam der Seehund aus dem Meere und schob sich auf einen großen Stein in der Bucht, wälzte sich auf die Seite und wollte schlafen – plötzlich aber konnte es geschehen, daß ein oder mehrere baumstammartige Dinge, die etwas seltsam Lebendiges an sich hatten, durch die Dämmerung angekrochen kamen. Es waren die Jäger aus der Bucht, die den Meermann erspäht hatten und ihn zu umringen versuchten. Von ihrem Standpunkt aus gesehen, war der Meermann ein willkommenes Wild, viel Fleisch, und noch begehrter war sein Fell; man wollte doch den Versuch machen, ihn zu überlisten und zu harpunieren, bevor es ganz dunkel geworden war. Ahnte er aber zu früh Unrat und schoß kopfüber ins Wasser, so schlich man ebenso still wie man gekommen, nach Hause und zog die Eichenkähne an Land. Den Frauen gegenüber, die in froher Erwartung bereits ein Feuer gemacht hatten, deutete man an, daß es sich hier sicher nicht um einen richtigen Meermann, sondern um ein übernatürliches Wesen gehandelt habe, weil es sich männlicher Schlauheit so überlegen gezeigt hatte.
Nicht weit vom Strande, den Abhang hinauf, lag der Wohnplatz. Viel war nicht davon zu sehen; das Dutzend ausgehöhlter Fahrzeuge, die auf den Strand hinaufgezogen waren, konnten ebensogut umgestürzte Baumstämme sein, davon gab es genug auf dem Abhang, und die Hütten oben am Waldrande konnte man gar nicht erkennen; waren es doch nur ausgepolsterte Löcher in der Erde, mit einem Rasendach, das in den Rasen überging. Im Sommer schliefen die meisten Bewohner draußen am Feuer, unter einem Fell, das mit zwei Stöcken aufgestellt wurde; nur die Frauen und kleinen Kinder lebten das ganze Jahr unter der Erde.
Den Tag verbrachte man am Strande, wo stets ein Feuer brannte, wenn man nicht im Walde war oder draußen auf den Sandbänken fischte. Am Strande hantierte man mit seiner Arbeit, dort nahm man seine Mahlzeiten ein, auf den Resten früherer Mahlzeiten hockend, den langen, behaglich anmutenden Haufen von leeren Austernschalen und anderem Abfall; dort fühlte man sich zu Hause, wurde an frühere angenehme Mahlzeiten erinnert.
Von dem Strande unter dem Abhang, wo es fast immer windstill war, stieg ein durchdringender, herber und roher Geruch in die Sonnenhitze hinauf, ein Gemisch der Ausdünstung von faulen Fischen, Resten von toten Weichtieren und Tang, die in Gärung übergegangen waren, von moderndem Kalk und gesäuertem Salzwasser, dazu kam dann noch der Rauch des Feuers, die kräutrigen Säfte des frischen Holzes, der heiße Dunst der Glut und der Gestank von nasser Asche, der Geruch der Hunde nicht zu vergessen, und der Menschengeruch von salzwasserfeuchten Körpern und ungekämmten Haaren. Keiner näherte sich dem Wohnort ohne ein Niesen, was das Herz erfrischte; hier war es gut sein, hier war man zu Hause.
Man saß auf der Eßschüssel, dicht dabei war der offene Strand, die große Speisekammer, die sanfte Sommerbrise bildete die Wände der Stube, der freie, große Himmel war das Dach.
Ruhig und groß breitete er sich über dem flachen, warmen Strande, die Kuppeln und Abgründe der Wolken spiegelten sich im Wasser, die Seeschwalbe stürzte sich in der Mittagshitze schweigend in ihr eigenes Spiegelbild, Meer und Himmel ruhten wie Zwillingswelten ineinander.
Fern am Horizonte donnerte es, kurze, unterirdische Stöße, als ob irgendetwas im Innern der Erde zusammenstürze. Gab es etwas anderes als Mittag und Mittsommer?