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Der Jäger und sein Herd

Der Wolf war das erste größere Stück Wild, das Gast auf eigene Faust als Jäger erlegt hatte. Von jetzt ab wurde es seine Lust, sich mit allen Tieren des Waldes an Schnelligkeit, Witz und Kraft zu messen.

Gast hatte den Frieden im Walde zuerst dadurch gebrochen, daß er den Tieren Fallgruben grub; an den Tieren selbst lag es dann, ob sie hineingehen wollten oder nicht. Die Schuld an ihrem Verderben traf nicht ihn, sondern die Grube, denn gab es im Walde nicht Platz genug? Immerhin hatte Gast die Grube auf dem alten Tierpfade, wo die Tiere zur Trinkstelle am Bache zu gehen pflegten, gegraben; eine Chance wollte er doch auch haben.

Diese Methode war nach bekannten Mustern ausgeführt. Die Jäger in dem heimatlichen Wohnplatz kamen auf diese Weise am leichtesten zu ihrem Wild. Bisweilen jagten und umringten sie die Tiere auch mit Hilfe der Hunde und erlegten sie im Nahkampf; wenn die Tiere nicht von selbst in die Grube gehen wollten, umringten sie die Herden und zwangen sie, ihren Weg über die Stellen zu nehmen, wo die Gruben lagen. Meistens aber ging das Wild von selbst in die Falle. Es gab noch so zahlreiche Scharen im Walde, trotz vieljähriger Jagd, daß diese bequeme, das Gewissen nicht belastende Methode noch immer die beliebteste war.

Es hatte Gast und Pil viel Mühe und Zeit gekostet, die Grube zu graben. Zuerst mußte die Erde mit Stöcken aufgehackt und dann mit den Händen in einen Weidenkorb geladen werden; da sie aber zu zweien waren, machte die Arbeit ihnen Vergnügen, besonders als die Grube so tief geworden war, daß Gast auf dem Grunde stehen und graben konnte, während Pil die Erde im Korb heraufhißte. Zuerst hatten sie durch Erde, dann durch Sand und Lehm gegraben, bis sie auf Wasser stießen; da wagten sie nicht weiter zu graben, aus Angst, daß der Boden eingedrückt würde; die Erde schien hier nicht sonderlich dick zu sein, und in die Unterwelt wollten sie nicht fallen. Als sie fertig waren, legten sie die Stöcke, womit sie gegraben hatten, neben die Grube; falls jemand nachforschen würde, wer hier gegraben hatte, dann konnte jeder sehen, daß die Stöcke es getan hatten. Ihre eigenen Fußspuren aber verwischten sie sorgfältig. Als das Loch fertig war, brauchte man es nur mit Zweigen, Erde und Laub zuzudecken, dann war der Ort nicht von anderen zu unterscheiden.

Nachdem sie den Wolf gefangen hatten, verging eine ganze Woche, bevor andere Tiere in die Grube gingen; die Witterung des Wolfes klebte noch daran; endlich eines Morgens aber war ein Hirsch darin, und von da an fanden sie mehr Wild, als sie verwenden konnten. Wenn sie aber reichlich versehen waren, legte Gast zwei große Äste über die Grube, so daß die Tiere im Bogen um sie herumgehen mußten. Im Gegensatz zu den Jägern zu Hause hatte Gast keine zugespitzten Pfähle auf dem Grunde der Grube angebracht, worauf die Tiere aufgespießt wurden; diese Methode sagte Gast nicht zu, denn die Pfähle hinterließen einen häßlichen Fehler im Fell, wenn es bereitet war, und außerdem war es schade um die Tiere, denn wenn man sie am Morgen fand, waren sie häufig tot, so daß man um ihr Blut kam; nein, Pfähle verwendete Gast nicht.

Der gefällte Hirsch gab Gast und Pil genug zu schaffen. Das Fell mußte getrocknet, geschabt und bereitet werden; tausend Dinge gab es da zu beachten, wie sie sie im täglichen Leben im Wohnplatz gelernt hatten; die Zacken verwandte Gast als Werkzeug, auch die Knochen konnte er gebrauchen, ebenfalls die Därme und Sehnen, gar nicht davon zu reden, daß das Fleisch geschnitten und gespickt werden mußte. Mittlerweile hatten sie auch begonnen, ihr Winterhaus zu bauen, denn es fing an, droben im Baum viel zu kalt zu werden, und während sie mit all diesem emsig beschäftigt waren, meldete sich eine Schwierigkeit und bedrängte sie: Feuer war unentbehrlich und mußte herbeigeschafft werden.

Gleich nachdem sie ihren ersten Hirsch erlegt hatten, sah Gast diese Notwendigkeit ein; war der Hirsch doch gleichzeitig eine Gabe, mit der er das Feuer gnädig stimmen konnte, und noch bevor er ihn gehäutet hatte, rieb er sich die Hände – es war ein kalter Morgen –, rieb sie mit einem Überschuß an Kraft! Zauberte man nicht auch so mit einem Stab, wenn man Feuer machen wollte? Ohne zu zögern, griff Gast nach einem Stab, dem Ende eines runden, welken Zweiges, stemmte ihn gegen ein trockenes Holzstück und begann den Stab heftig zwischen den Handflächen zu rollen. Die Handflächen wurden heiß, am ganzen Körper wurde ihm warm, das Holz aber veränderte sich nicht. Der Stab hatte allerdings eine Vertiefung in das Holzstück gemacht und war wirklich etwas warm geworden; Gast hielt ihn gegen seine Lippen und spürte die Wärme, auch einen schwachen brenzligen Geruch, ganz falsch war seine Methode darum nicht. Er rollte weiter, lange und eifrig, schließlich mit so gewaltiger Kraftentfaltung, daß ihm Funken und Sterne vor den Augen tanzten, und als er schließlich ermattet innehielt, rauchte der Stab, wirklich, ein dünner Rauchstreifen ging von ihm aus und ein säuerlicher, herber Geruch, der an das heimatliche Herdfeuer erinnerte. Das Ende des Stabes und das Bohrloch waren angekohlt.

Weiter aber brachte Gast es nicht. Er machte Rauch, und das Holz wurde schwarz; kleine Kohlenstückchen wirbelten aus dem Bohrloch auf, das Feuer selbst aber ließ sich nicht blicken. Jedesmal, wenn er eine Pause machte, wurde der Stab wieder kalt, und Gast fing wieder von vorn an, doch immer vergebens. Er kannte ja das Zaubermittel nicht, das zum Feuermachen gehörte!

Er probierte verschiedene Sorten Holz, zerbrach sich den Kopf, worin das Geheimnis bestehen mochte, alles umsonst. Eines aber war ihm klar: Je schneller er den Stab rollte, desto mehr Rauch entstand; darum galt es etwas zu finden, womit man den Stab schneller drehen konnte als mit den Händen. Er befestigte eine Schnur um den Stab und zog abwechselnd an den Enden; da er aber keine Hand mehr frei hatte, um den Stab zu halten, nahm er ein Holzstück in den Mund und stemmte das obere Ende des Stabes dagegen. Jetzt zog er an der Schnur und drückte gleichzeitig den Stab fest gegen das Holzstück, und siehe, der Stab drehte sich schneller im Bohrloch, und bald merkte er, daß er an beiden Enden warm wurde! Immer eifriger zog er die Schnur hin und her; da sie aber nur aus Bast war, feilte sie sich selbst durch, und als er am besten im Gange war, riß sie! Mit rotem Kopf band er jetzt statt des Bastes eine Sehne um den Stab; weil sie aber eingefettet war und ihm zwischen den Fingern entschlüpfte, befestigte er sie an zwei Holzpflöcken, die ihm als Handgriffe dienen sollten. Der Stab aber drehte sich zwischen den beiden Holzstücken zu langsam, und darum vertauschte er das Holzstück, das er im Munde hatte, mit einem Knochen, in dem eine Vertiefung war, in der der Stab rollen konnte, ohne warm zu werden, und diesen Knochen hielt er zwischen den Zähnen, zog tüchtig an der Sehne, preßte den Stab mit aller Kraft in das Bohrloch, zog und zog. Rauch qualmte auf und biß ihn in die Augen – au, da entglitt ihm der Knochen zwischen den Zähnen, und er stieß sich selbst den Stab mit voller Gewalt in den Mund! Es fehlte gerade, daß Stab und Knochen Herr über ihn werden sollten; er spuckte Blut aus, nahm den Knochen wieder zwischen die Zähne und biß so fest darauf, daß seine Zähne sich in die harte Masse eingruben, zog wie wild an der Schnur, kniff wegen des beißenden Rauches die Augen zu, arbeitete, als wollte er sein ganzes Handwerkszeug aufreiben, murmelte etwas, das wie eine unheimliche Beschwörung klang, verdoppelte das Tempo noch, tat sein Äußerstes; vor seinen Augen tanzten Funken – und blaff, sagte es, plötzlich gerieten Stab und Bohrstück in Brand, eine kleine Flamme ringelte sich im Bohrloch um den Stab; als Gast nach der furchtbaren Anstrengung die Augen öffnete, sah er, daß das Feuer gekommen war!

Ganz dumm saß er da, hochrot im Kopfe vor Eifer, erstaunt und glücklich, mit dem brennenden Stab in der Hand. Da verlor er ihn, und die Flamme verlöschte. Ohne einen Laut von sich zu geben, steckte Gast den Stab wieder in das Bohrloch, überlegte einen Augenblick und begann wieder von vorn, stieß sich zum Schein den Stab in den Mund, spuckte Blut aus, wiederholte das Bohren auf genau dieselbe Weise, murmelte mit dem Knochen im Munde eine Beschwörung, die von der vorigen nicht zu unterscheiden war, schloß die Augen und erwartete, daß das Feuer »blaff« sagen würde, als er die ganze Zeremonie getreu wiederholt hatte; aber es sagte nicht »blaff«, und als er die Augen öffnete, sah er, daß der Stab wohl rauchte, das Feuer aber war nicht da.

Ärgerlich und enttäuscht dachte er nach; sollte er etwas vergessen haben? Er wiederholte das Ganze noch einmal, spuckte, bohrte, murmelte, schloß die Augen, strengte sich aufs äußerste an – kein Feuer!

Warum kam das Feuer nicht, wenn man doch alles tat, was es verlangte? Langsam, denn es ging ihm an die Ehre, wiederholte Gast das Ganze noch einmal, stieß sich den Stab in den Mund – daran sollte es nicht fehlen –, spuckte reichlich Blut aus, bohrte und murmelte mit dem Knochen im Munde, und diesmal klang die Beschwörung noch echter, unheimlicher als vorher; er verdoppelte den Takt, immer wütender, wollte sich das Feuer über ihn lustig machen? Es brauste ihm in der Seele, Sterne knisterten vor seinen geschlossenen Augen, zähneknirschend arbeitete er mit seinem Werkzeug – und »blaff« sagte es zum zweitenmal, und aus dem Bohrloch stiegen Funken und reines Feuer auf! Diesmal war Gast flinker, reichte der zarten Flamme sofort eine Handvoll welkes, trockenes Gras, und im nächsten Augenblick hatte sie es verzehrt und war groß und warm geworden. Gast gab ihr schleunigst mehr, diesmal etwas festere Kost, verfaultes Holz, dann kleine Reiser, schließlich ganze Äste; Pil kam herbeigelaufen und half, ganz verlegen vor Glück. Bald loderte ein polterndes, wildes und wärmendes Feuer im Walde!

Das Werkzeug, womit Gast das Feuer hervorgebracht, hatte er sorgfältig beiseite gelegt; Pil brauchte es nicht zu sehen; auch die Beschwörungen, die er gemurmelt hatte, behielt er für sich; die betreffenden Geister hatten ja gesehen, daß er etwas gemurmelt hatte, und waren damit zufrieden gewesen, anderen brauchte man über den Inhalt der Formeln keinen Aufschluß zu geben.

Und jetzt bekam das Feuer sein Opfer, einen reichlichen Anteil des Hirsches. Gast und Pil hatten ihn unten in der Grube zerlegen müssen, weil sie ihn nur stückweise herauftragen konnten. Das Feuer brannte gleich neben der Grube, und nach und nach bekam es den größten Teil des Hirsches; mit dem ersten Opfer wollten sie nicht knausern.

Gast wußte, daß man bei solcher Gelegenheit singen und anrufen mußte, er hatte die Erwachsenen ja von weitem dabei belauert; die Gesänge und Zauberformeln aber kannte er nicht, ging darum nur um das Feuer herum und sang eine hohle, düstere Nachahmung, ohne Worte, aber mit täuschend ähnlichen Lauten, die wie geheimnisvolle, starke Zauberei klangen. Auch in diese dunkle Kunst weihte er Pil nicht ein; Frauen brauchten nicht alles zu wissen. Sie empfand nur die Bedeutung der dunklen, wichtigen Handlung, die zwischen den Feuermächten und Gast, dem Allwissenden, vorging.

Das Feuer schien sich bei Opfer und Gesang wohlzubefinden; es wurde von all der fetten Speisung groß und herrlich, entfaltete breite schwarze Rauchschwingen und fuhr mit Wohlgeruch himmelwärts, siedete und knallte, brüllte geradezu vor Freßgenuß; alles in allem war es ein sehr wohlgelungenes Opfer. Als sie die Beschwörung begannen, war es ein wolkiger Morgen, bevor aber das Opfer beendigt war, kam die Sonne zum Vorschein, ein Zeichen, daß die lichten Mächte, sowohl im Himmel als auch auf Erden, von der Anrichtung befriedigt waren.

Als aber das Feuer seine Mahlzeit beendigt hatte, ließen Gast und Pil sich nieder, um das schiere Fleisch zu verzehren, das sie für ihren eigenen Mund zurückgelegt hatten; man wußte ja, daß das Feuer Knochen und Eingeweide vorzog, und als sie endlich wieder gebratenes Fleisch schmeckten, fühlten sie sich wie neugeboren. Ein prächtiger Bratenduft und der kräutrige Geruch des Feuers verbreitete sich im Walde. Von jetzt ab war es Pils Pflicht, das Feuer zu versorgen.

Nach dem Opfer gingen sie mit einem brennenden Ast nach Hause und errichteten ihren Herd in der Nähe der Quelle, auf einem Abhang mit vereinzelt stehenden Bäumen; dort hatten sie bereits begonnen, ihr Winterhaus zu graben. Es wurde ihr erster Wohnplatz.

 

Das Einrichten des Hauses nahm nicht viele Tage in Anspruch; es wurde ein Haus, wie es sich gehörte, halb Höhle im Abhang, mit einem engen Eingang, der nach hinten geräumiger wurde, das Ganze wurde mit Sparren und Grastorf überdeckt. An der Rückwand der Kammer, die quer vor dem Hausgang lag, war eine Bank aus Erde, die mit Rohr, getrocknetem Moos und Wollgras, allem Weichen und Behaglichen, was Pil auftreiben konnte, ausgepolstert und mit Matten belegt war; Felle hoffte man sich baldigst verschaffen zu können. Das war ihre Schlafstelle. Da sie jetzt aber Feuer hatten, das versorgt werden wollte, konnte nur einer von ihnen zurzeit schlafen. Das Feuer brannte auf dem Fußboden, und darüber im Dach war ein Loch, damit der Rauch abziehen konnte; am Tage fiel dort das Licht herein.

Die Abende wurden jetzt schon lang und dunkel; sie wußten, daß der Winter vor der Tür stand; unter der Erde aber hatten sie ihren eigenen Tag und konnten sich jederzeit soviel Wärme verschaffen, wie sie wünschten. Im Besitz des Feuers, gingen sie beide dem Winter getrost entgegen, hatten beide ganz bestimmte Vorstellungen, wie sie ihm begegnen wollten.

Fleisch konnten sie sich jederzeit verschaffen, das wußten sie, aber es gab noch viele andere Dinge, die man beizeiten hamstern mußte; das war Pils Interessengebiet, und nachdem Gast Feuer gemacht hatte, verschaffte sie sich Lehm und richtete eine Töpferei im großen ein. Einige Töpfe wurden so tief, wie ihr Arm beim Formen reichen konnte; das waren Vorratskruken, andere kleinere sollten zum Kochen dienen; alle Töpfe aber waren schlank an Form, und einige wurden bevorzugt, indem sie ein Muster bekamen, das Pil mit den Nägeln in den noch feuchten Lehm drückte. Andere bekamen Ohren, an denen man sie aufhängen und wieder andere Füße, damit sie stehen konnten; und als sie so viele Töpfe hatte, wie ihr Herz begehrte, holte sie Gast zum Brennfest; sie stellten die getrockneten Lehmtöpfe übereinander, häuften Heidekraut und Schilf um sie herum und steckten den Haufen in Brand. Als er ausgebrannt war, waren auch die Töpfe hart und zweckdienlich. Einige platzten und gingen im Feuer zugrunde, das war der Tribut des Feuers, der nicht gering zu sein pflegte; was aber heil blieb, konnte man für sich behalten; zur Feier des Tages gab es zum erstenmal Suppe.

Den ganzen langen Herbst war Pil damit beschäftigt, ihre Kruken zu füllen, mit Honig und Beeren, die zu einem lieblich duftenden, gärenden Brei vereinigt wurden, und mit Unmengen von Nüssen; sie trocknete Fleisch und hängte es unter den Sparren in der räucherigen Luft zum Räuchern auf; zwischendurch webte sie und bereitete Häute, wobei Gast ihr helfen mußte. Dies war eine weniger appetitliche Arbeit; die Felle schienen eine Art Vergänglichkeit durchmachen zu müssen; zuerst ein Begräbnis in einer Grube zusammen mit Rinde, darauf eine Auferstehung und ein Bad in Dingen, die man nicht nennen konnte, dann eine Läuterung in Asche, schließlich eine Salbung mit Fett, bis sie schließlich ein neues Leben als unvergängliches Leder beginnen konnten. Weil die Erde jetzt immer feucht und kalt war, mußte Fußzeug angefertigt werden; man stellte den Fuß in die Mitte eines passenden Stückes Fell, die behaarte Seite nach innen, und band es mit einem Riemen am Bein fest; der Fuß steckte dann in einem wasserdichten Sack, und mit der Zeit bekam der Stiefel seine Form. Zu Fußzeug und Winterbekleidung aber bedurfte man vieler Felle, und der junge Jägersmann bekam alle Hände voll zu tun.

Die Tiere begannen auf ihn aufmerksam zu werden und wurden scheu, denn er hatte ihnen ja den Frieden gekündigt. Scharfe Dinge gingen von ihm aus, vor denen man auf der Hut sein mußte, und er roch nicht mehr wie früher, ein räucheriger Nebengeruch ging von ihm aus; offenbar war er einen Bund mit dem Feuer eingegangen, dem ärgsten Feind der Tiere. Darum witterte man ihn schon von weitem und entfernte sich beizeiten.

Schlau und hinterlistig war er auch, baute allerliebste kleine Steinhäuser auf dem Felde, mit Fisch oder Vogel im Innern, recht wie ein behaglicher Tierbau, mit Nahrung versehen; wenn aber der Fischotter oder Marder vergnügt hineingingen und den leckeren Bissen berührten, plumps, fiel die ganze Stube, die nicht aus leichten Steinen gebaut war, zusammen, und es konnte geschehen, daß der Otter noch flacher wurde als er schon im voraus war. Gast legte Schlingen im Himbeergebüsch und auf der Landstraße des Hasen, und wenn der Dachs vor Sonnenaufgang seinen gestreiften Kopf aus der Grube steckte, kam es vor, daß er ihn geradeswegs in eine Laufschlinge aus Haaren steckte und sich an seiner eigenen Tür erhängte. Das Großwild ging von selbst in seine Fallgrube und saß dort am Morgen mit bangen, traurigen Augen, stumm, in der Erkenntnis, daß es den Kürzeren gezogen hatte; nur die Schweine schrien häßlich, als ob ihnen Unrecht geschehen sei, schrien Tage und Nächte, wenn man sie nicht zum Schweigen brachte. Als Fußzeug war ihr Fell besonders geeignet.

Gast aber trieb es, sich auf edlere Weise mit den Tieren des Waldes zu messen, und er verwendete all seine freie Zeit, um seine Waffen zu verbessern, besonders den Bogen. Noch waren seine Pfeile zu klein und sein Arm zu schwach, als daß er es mit den großen Tieren aufnehmen konnte, die Vögel aber begannen schon Respekt vor ihm zu bekommen und flohen vor dem Klang des Bogens, der Pfeil aber schwirrte dann schon durch die Luft, und wenn Vogel und Pfeil sich auf ihrem Wege trafen, mußte der Vogel aufgespießt zur Erde.

Die dichten Zugvögelscharen im Herbst luden zum Fang im Großen ein, ein Stock zwischen die Entenscharen auf den Waldseen geworfen oder zwischen die Rebhühner, die in lärmenden Scharen von Lichtungen und Heidestrecken im Innern der Wälder aufflogen, brachte mehr Beute als man tragen konnte. Auch als die Zugvögel in gewaltigen, wolkenähnlichen Scharen fortgeflogen waren und es in den welkenden Tälern still geworden war, blieben noch genug Vögel da, daß Gast seinen Arm und sein Auge üben konnte; er schoß all seine teuren Pfeile ab und suchte dann wohl tagelang im Gehölz nach einem, der ihm besonders wert gewesen war, machte neue und schoß auch diese ab; denn man verschoß viele Pfeile, bevor man einen Vogel traf.

Doch nicht hinter allen Vögeln war er her; die Elster, die in einem Baum in der Nähe des Hausganges wohnte und im Abfall pickte, wurde geschont, hatte sie doch auch zu Hause im Wohnort ungestört gekrächzt; Gast hatte sie von Kind auf gekannt, meinte fast, er verstehe ihre Sprache; die Elster, die den Menschen mit Verstand betrachtete, sollte nicht gegessen werden. Wenn das Elsternpaar unter Gelächter von Baum zu Baum flog, immer eines hinter dem anderen her, schwarz und weiß schimmernd, dann war es ihm, als kennte er sie aus einer anderen Welt.

Wohin aber zogen die Zugvögel? Darüber sann Gast. Die leeren Wälder standen und lauschten, der Himmel wurde blaß, die Sonne fern, sie stand schon tief im Süden, und Gast sah ihr verzagt nach; jeden Tag stand sie tiefer, und die Wolken verhüllten sie immer länger.

Die großen Stürme rasten durch den Wald, nahmen ihm all sein Laub, fegten das letzte in einem wirbelnden Haufen zusammen und jagten es aus dem Walde heraus. Die Bäume standen nackt und schwarz, und der Wind spielte in ihnen mit einem hohen, unheimlichen Ton. Kälte und Regen rasten über das Tal.

Eines Tages konnte man sehen, daß der Himmel krank war, jedes Licht hatte ihn verlassen, bereits mitten am Tage trat Dämmerung ein, und in der Grabesstille fiel der erste Schnee, fiel sachte in großen, nassen Flocken; vor Abend war die Erde weiß.

Nachts kamen noch Stürme hinzu, die ganze Natur war in Aufruhr, durch das Rauchloch trieben Schnee und Wind zu den beiden herein, die mit ihrem Feuer unter der Erde saßen; sie hörten den Wald brüllen, es donnerte in ihrer Kammer, sie fühlten, daß es kälter wurde. Unendlich lang war die Nacht, und als es schließlich zu tagen begann, war es kein richtiger Tag, es wurde gar nicht hell, Schnee und Sturm lagen sich draußen in den Armen, wirbelten aus den Baumgipfeln; ungeheuer rauschte der Wald, draußen war es eisig kalt, weiße, rauchende Dunkelheit, vor dem Hausgang lag der Schnee kniehoch.

Das junge Paar in der Erdhöhle war ganz kleinmütig geworden, trocknete sich still die Nase, kroch näher ans Feuer heran und starrte gedankenverloren in die heiße Welt der Flammen. Mehrere Tage und Nächte brüllte der Winter oben, und sie blieben unten in ihrem Versteck, aßen hin und wieder einen Bissen, schliefen abwechselnd; wer Wache hatte, mußte das Feuer versorgen und vertrieb sich die Zeit mit allerlei Arbeit, es gab immer genug zu tun, und es gehörten Tage und Wochen geduldigen Schaffens dazu, bis sie mit dem Werkzeug, das ihnen zur Verfügung stand, eine Arbeit ausgeführt hatten. Ewigkeiten lang feilte und schrabte Gast mit Flintstein auf Hirschgeweih und Knochen, hatte eine ganze Auswahl von Tierknochen um sich herum und machte sich voll Zuversicht an Aufgaben heran, die kein Ende zu nehmen schienen; Aussteuer für das Boot, Aalgabeln, jede Gabelspitze mußte mühsam aus einem Knochen herausgearbeitet, dann zugespitzt und mit Widerhaken versehen, geglättet und schließlich am Ende der Stange zusammengebunden werden; Pfeile, eine unendlich zeitraubende Arbeit, denn dünne Schößlinge konnte man nicht verwenden, obgleich sie so verlockend aussahen, man mußte altes Holz spalten, zuspitzen und glätten; und wenn Gast einen Pfeil abgeschossen hatte und nicht wiederfinden konnte, war die Arbeit eines ganzen Tages umsonst; aber er wurde nie müde, neue Pfeile zu schnitzen, und jedesmal dachte er sich eine bessere Methode aus; je hübscher der Pfeil, desto mehr erwartete er von ihm.

Auch Pil war nicht müßig. Sie hatte die Felle bereitet, in denen sie von Kopf bis Fuß gekleidet waren, hatte Löcher mit einem Pfriemen hineingebohrt und zusammengenäht; jeden ledigen Augenblick benutzte sie, um Garn zu drehen, und sie und Gast hatten begonnen, gemeinsam ein Netz zu knüpfen; eine mühsame Arbeit, wenn sie Glück hatten, würden sie es noch im Laufe des Winters fertigstellen; dann aber war der Fisch auch verloren!

Zwei und drei Tage vergingen ihnen schnell, während das Unwetter über ihrem Keller raste und in dem Rauchloch über ihrem Kopfe dumpf brummte. Schließlich war es ihnen, als ob sie hier immer gesessen hätten, als ob es nie anders gewesen wäre. Um sie herum die nackten, schwarzen Erdwände, und auf dem Boden das Feuer, das die Höhle erleuchtete; dicht neben ihnen, so daß sie alles leicht erreichen konnten, ihre Sachen; Pils Vorratskruken auf Borten und in kleinen ausgegrabenen Kammern an den Erdwänden, Rauchfleisch unter der Decke, und auf der Bank Haufen von Fellen; Gasts Werkzeug und sein Vorrat an Sehnen und Riemen waren hübsch ordentlich mit Pflöcken an der Wand aufgereiht, in einer Ecke lagen Nutzhölzer, vor dem Feuer lagen Knochen und Flintstein, unter der Decke hingen Pfeile und Stangen.

Sie verließen die Höhle nur, wenn sie die Lehmkruke mit Wasser aus der Quelle füllen mußten, und kamen wie Schneemänner zurück; der stiebende Schnee war mit seinen scharfen Eisnadeln bis tief in ihre Pelze gedrungen und die Kälte blieb noch lange darin haften. Die Quelle war an ihrem Rande mit großen hohlen und klingenden Eiskrusten umgeben; noch aber lebte das Wasser in der Tiefe. Von dem Holzhaufen vor der Höhle mußten Holzscheite geholt werden, eisig kalt, wenn man sie anfaßte, sogar das Feuer fand erst Geschmack an ihnen, wenn sie in der Wärme gelegen hatten und aufgetaut waren.

Wo war der Sommer geblieben? War er nicht eine ferne Unwirklichkeit, etwas Unmögliches, war es nicht immer Winter gewesen? Nur im Feuer war noch etwas von der Kraft des Sommers, im Honig, den sie aus ihren Kruken leckten; wie verhext blieben sie mit dem Finger im Munde sitzen, wußten selbst nicht, was sie dachten, blühende Wiesen tauchten in ihrer Seele auf, ohne daß sie sich erinnern konnten, was blühende Wiesen waren.

Gast schlug in die Saite des Bogens, er schwoll von Tönen, Sommertönen, er wußte selbst nicht, wie ihm geschah. Pil lauschte gedankenvoll, was zauberte er so seltsam?

Gast war tiefsinnig geworden und wollte spielen, eine Saite aber genügte ihm nicht, er spannte zwei auf den Bogen, eine lange und eine kurze, zum Schießen konnte er den Bogen nun nicht mehr gebrauchen; er war eine Harfe geworden, und während der langen, langen Winternächte unter der Erde spielte Gast zauberhaft vom Sommer und der schönen Welt, die untergegangen war.

Wenn aber der Schneesturm ausgerast hatte, kamen sie aus ihrer Höhle hervor und fanden das ganze Land von Schnee bedeckt, unkenntlich, weiß, soweit das Auge reichte, schwarze Bäume und einen schwarzen, tiefhängenden Himmel, die Luft aber war still geworden. Gast begab sich auf den Weg, um Spuren im Schnee zu suchen und kam mit einem Bock nach Hause, an dem er sich halbtot geschleppt hatte; aber er war so stolz, daß er lange kein Wort sagen konnte. Erst nach und nach konnte Pil das Ereignis aus ihm herauslocken: es war das erste Stück Wild, das er auf dem Anstand erlegt hatte, natürlich weil der Hirsch sich zwischen den Schneewehen verfangen hatte, so daß Gast ihm nah kommen und drei Pfeile auf ihn abschießen konnte. Aber war es denn etwas Besonderes, daß ein Jäger, der auszog, mit Beute heimkehrte? Der Gedanke, daß es ihnen an Wild fehlen könnte, lag ihnen ganz fern.

Der Schnee aber blieb nicht lange liegen, schon am folgenden Tage wich der Frost, Wind vom Meere setzte ein, der tiefe Schnee wurde naß und zerging zwischen den Händen; ein feuchter Lufthauch kam aus dem Walde, die Bäume standen mit triefenden Ästen, das Tal war unter Nebeln begraben, eine bodenlose Masse von Erde und nassem Schnee, wohin man trat. Vor Abend fing es an zu regnen!

Tage, Wochen lang regnete oder nebelte es, schneite hin und wieder, die Erde wurde weiß, taute wieder auf, einige Wochen gab es Frost, so daß alle Seen im Walde zufroren, und Gast sich auf die hartgefrorenen Moore begeben konnte, um zu untersuchen, was sich dort im Sommer verbarg; auf den Holmen fand er Wolfshöhlen, entdeckte den Bären, der scheintot unter einem hohlen Holzstoß lag; auf einem Holm fand er die Gerippe vieler Wölfe, dort gingen sie hin, um zu sterben, wenn das Leben sie nicht mehr haben wollte; ein häßlicher Ort.

Gast ging in den Wald, um zu sehen, wie das Wild jetzt lebte; es stand ganz still beisammen im tiefsten Dickicht und räusperte sich leise in der Kälte. Der Urochse dampfte, mit einer kleinen Schneewehe auf dem Rücken, käute wieder und war stumm, hielt sich Tage und Nächte auf denselben geschützten Stellen in den Tälern auf; von weitem schon konnte man hören, wenn er mit einem patschenden Geräusch im Morast die Hufe wechselte; mager war der Urochse geworden, obgleich es ihm an nichts fehlte, unter dem Schnee fand er genug welkes Gras vom vorigen Jahre; wenn er eßlustig war, stieß er den Schnee nur mit den Hufen fort. Das tiefe, klangvolle Gebrüll aber war nicht mehr in den Wäldern zu hören, der Urochse war stumm geworden. Alle Tiere schwiegen, traten von einem Fuß auf den anderen und warteten.

Worauf warteten sie, an was erinnerten sie sich? Woher wußten sie, ob es je wieder Sommer würde? Gast seinerseits begann daran zu zweifeln, die Sonne ließ sich nie mehr blicken, wer konnte wissen, ob sie überhaupt wenden würde? Er kannte ihren Gang ja nicht wie die Alten; eines Tages aber, als die Furcht ihn überkam, daß sie sich nie mehr zeigen würde, ging er mit einem brennenden Ast auf eine Anhöhe und bereitete ganz allein ein Opfer, zauberte mit Feuer und verbrannte seine besten, teuersten Pfeile, ein größeres Opfer gab es für ihn nicht. Ein Hirsch war wohl eine gute Gabe, die Pfeile aber standen höher im Wert als die Tiere, weil sie an ihnen ihren Meister gefunden hatten; Gast sah seine liebsten Pfeile, die Arbeit eines halben Winters – ganz unschätzbare waren darunter, ebenmäßige und runde, mit sauber gearbeiteten Flintsteinspitzen und sorgfältiger Darmumwicklung – in Flammen aufgehen, und meinte, daß die Mächte dafür gern ein bißchen Sonnenschein spenden könnten.

Pil war bescheiden beim Hause zurückgeblieben, in Dunkelheit auch sie, aber ohne Verbindung mit dem Übernatürlichen, die Gast zu haben schien; sie sah ihn in dem erloschenen Tage auf der Höhe mit einem einsamen, blassen Feuer, und wunderte sich über die Heimlichkeiten, die er vorhatte; schweigend, mit blutendem Munde kehrte er zurück.

Als Gast aber die Sonne anrief, hatte sie schon gewendet. Und als sie sich das erstemal zeigte, nachdem sie wochenlang begraben gewesen war, stand sie wohl niedrig, aber mit funkelnd neuem Glanz am Himmel, man konnte sehen, daß sie sich verjüngt hatte und wieder auf dem Wege zum Norden war.

Und als sie das nächste Mal die Wolken nach einem Regenguß teilte, stand ein Regenbogen über den nassen Tälern, ein luftiger, kalter Bogen, der Erde und Wolken verband. Der Himmel schloß sich allerdings wieder, die Wolke schleuderte ihre Dunkelheit herab, es schneite und der Tag ertrank von neuem; aber er hatte doch gelächelt, der Regenbogen hatte seine Farben gezeigt, die Erde wollte leben.

Der Winter aber verweilte noch lange mit Schnee, Frost und scharfen Winden, Regen, Nebel, milden Tagen, und wieder Rückfällen, wochen-, monatelang; die Jahreszeiten schienen in Rückstand geraten zu sein; die lange, beängstigende Winterdunkelheit aber war gebrochen, wieder einmal kam der Sommer.

Noch einen zweiten Winter erlebten Gast und Pil am selben Orte, dieselbe zunehmende Dunkelheit, dasselbe Schwinden aller Hoffnung, bis sie, noch mit Zweifel im Herzen, entdeckten, daß wieder Frühling in der Luft war.

Als es aber zum zweitenmal Sommer wurde, da war die Zeit gekommen, wo sie das Land der Kindheit verlassen und in neue Welten eingehen sollten.


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