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Verwandelte Kriechtiere

Um zum Hügel in Tibirke zurückzukehren – die Eidechse, die man dort sieht, ist eine gewöhnliche dänische Eidechse, ein kleiner Überrest, der sich unter einem nordischen Breitengrad erhalten hat aus der Zeit, da die Kriechtiere das Leben auf dem Erdball beherrschten, wie das Heidekraut, in dem sie lebt, eine Reliktflora ist.

Nur im Sommer hat die Eidechse die Bedingungen, unter denen sie eigentlich zu Hause ist, und selbst das nur an richtig warmen Tagen, mitten am Tage, wenn die Sonne brennt, dann ist die Eidechse lebendig und springt wie Feuer im Feuer, hat etwas von der Beweglichkeit, die man sich von Geschöpfen in entschwundenen, wärmeren Erdperioden, im Zeitalter der Saurier, denkt und von der man sich noch eine Vorstellung in den Tropen machen kann.

Wenn die Eidechse sich im Heidekraut schlängelt und mit dem Schwanze spielt, lenkt ihre Bewegung den Gedanken auf einen Fisch im Wasser, ein Fischchen, das am Ufer eines Gewässers aufgescheucht wird, zappelt und sich ganz auf dieselbe Art und Weise in Sicherheit bringt. Ursprünglich ist es die Bewegung der Würmer, wrickend und seitwärts, die das Kriechtier vom Fisch angenommen hat oder die sie jedes für sich vom Wurm übernommen haben; das Kriechtier hat Glieder entwickelt, macht aber noch Gebrauch von seinem Wurmschwanz, ja, einige in dem Maße vorzugsweise, daß die Glieder wieder verschwinden, sich enterben, wie bei den Schlangen. Die Natur führt zum Ziel mit der Gangart, die unter den gegebenen Umständen am meisten fördert!

Eines Sommers präsentiert die Eidechse sich auf dem Hügel mit einem Gabelschwanz. Sie hat sich den Schwanz lädiert, ein Vogel ist wohl auf unseren Freund niedergestoßen, und statt ihn wie sonst durch einen ganz neuen zu ersetzen, hat er den alten behalten und sich noch einen extra zugelegt, die Wunde ist vermutlich nicht ganz durchgegangen, und so hat ein Doppelwachstum stattgefunden. Diese Sache mit der Regenerationsfähigkeit der Kriechtiere gibt ein ganz Teil zu denken. Während man über die Eidechse zu seinen Füßen nachdenkt, hat man die Lerche über seinem Kopfe – es sollte nun doch wohl nicht nahe liegen, daß die beiden Geschöpfe auch nur im geringsten miteinander verwandt wären; und doch, sie haben gemeinsamen Ursprung!

Der Vogel ist jünger als das Kriechtier, stammt von einem Kriechtier ab, über das jedes Lehrbuch Aufklärung geben kann. Die anatomischen Vergleiche, die den an sich fernliegenden Gedanken über jeden Zweifel heben, sind an den Namen Huxleys geknüpft; der Fund des Echsenvogels aus der Jurazeit hat die Entdeckung bestätigt. Kein Naturhistoriker hat eine andere Erklärung für eben dieses Abstammungsverhältnis, das doch immer etwas Erstaunliches, etwas den verzauberten Geschöpfen und Verwandlungen des Märchens Verwandtes behalten wird. Selbst das Märchen erreicht die Natur nicht in scheinbar unmöglicher, aber doch ganz einfacher Formveränderung. Daß das Krokodil und die Nachtigall miteinander verwandt sein sollen – aber das sind sie!

Einst in der Reptilienzeit, nicht fern von dem Zeitpunkt, zu dem die Abstammung der Säugetiere beginnt, zweigte sich die später so große Klasse der Vögel ab. Sie waren – wenn man von ihnen sprechen kann, ehe sie Vögel wurden – ursprünglich eidechsenartige Tiere, die von ihrem Schicksal in die Luft geblasen wurden. Eier legen sie noch wie ihre Ahnen; in vielen anderen habituellen Zügen kehrt das Reptil in den Vögeln wieder.

Wenn man es weiß, kann man es sehen. In der Dschungel auf Malakka lebt eine große grasgrüne Eidechsenart, auf Pfaden und gebahnten Wegen in der Nähe der Dörfer, ebenso häufig wie zum Beispiel der Sperling bei uns: Wenn sie aufgescheucht wird, stürzt sie nach ihrer Höhle und kopfüber hinein, aber sie läuft nicht auf Vieren, wrickt auch nicht nach Würmerart mit dem Schwanz, eine Bewegungsart, die, wie sie entdeckt haben mag, nicht genügend auf hartem Boden fördert, wo weder gegen Stengel noch Steine anzuarbeiten ist, nein, sie erhebt sich auf die Hinterglieder allein, hebt Vorderkörper und Schwanz hoch, zu gegenseitiger Balance, und in dieser Stellung sieht man sie im Laufen den Kopf drehen und rückwärts spähen: auch ein Vorteil, den Kopf hoch zu bekommen, um die Verfolger im Auge behalten zu können; die vorderen Gliedmaßen in der Luft, läuft sie ganz wie ein Mensch, und das ist denn auch der Anfang zum aufrechten Gang auf den hinteren Gliedmaßen allein, den der Mensch mit den Vögeln gemeinsam hat. Wenn die Eidechse so auf Zweien rennt, erinnert sie lebhaft an einen kleinen Mann im Schoßrock.

Die Bewegung erkennt man wieder, die Haltung und die Balance, sobald man ein Huhn über einen Weg laufen sieht. Auf Java ist das Federvieh nackt, ein Huhn, das vor einem Automobil über den Weg läuft: wieder die Eidechse aus der Dschungel, fast als ob man sie sähe. Jeder kennt das verwirrt rennende Huhn – und ist es nicht, als entferne es sich in Geistesstörung von sich selber und würde wieder Reptil? Eilt die Eidechse einer Karriere als Vogel entgegen, so rennt das Huhn, alles was es kann, fort davon!

Jede Gemütsbewegung gibt einen Rückschlag auf eine frühere Entwicklungsstufe, einen Vorzeittyp. Der gutgekleidete Bürger stürzt auf das Niveau eines Wilden, wenn er »außer sich« gerät. Ira furor brevis est, sagt Horaz; der wütende Mann schlägt sich vor die Brust, das tut der Gorilla auch. Wenn sich uns »die Haare sträuben«, wenn wir eine »Gänsehaut bekommen« – ist das dann nicht der Pelz zottiger Vorfahren und noch älterer Schrecktiere, der uns gleichzeitig mit einem inneren Sturz in der Seele überläuft; alte Nervenreflexe in der Haut haben wir vermutlich noch, bei panischem Schrecken gefriert uns das Blut, und wir spüren etwas Schauerliches – ist es das Kriechtier, das in uns wiederkehrt? König Nebukadnezar! Was ist überhaupt Inspiration?

 

Die Arten stehen als feste gegossene Typen vor uns. Unsere Beobachtungszeit ist zu kurz, um die Neubildungen zu sehen, aber die sind jetzt auch kaum so lebendig wie in der Vorzeit, das Geschöpf ist gegen den Gipfel zu weniger variabel, gleichsam abgekühlt, die Entwicklung im ganzen sicher schwerflüssiger.

Betrachtet man hingegen die Regenerationsfähigkeit, die sich die Echsen teilweise noch bewahrt haben – die Eidechse, die den Schwanz durch einen neuen ersetzen kann – überhaupt die größere Freiheit in der Gewebebildung bei primitiveren Tieren, und erinnert man sich äußerer Umstände, früherer, unruhiger Erdperioden – auch dort noch keine Konstanz –, so versteht man besser die Möglichkeit, daß ein Kriechtier sich zu einem Vogel umwandeln kann. Die Formen müssen sich in dem Zeitalter, als die Verwandlung der Vögel stattfand, durch einen hohen Grad von Plastizität ausgezeichnet haben; gleichzeitig schlug das Kriechtier einen neuen Weg in einer ganz anderen Richtung ein, die zu den Säugetieren führte; von innen und außen drängte in der Natur die Verwandlung.

Eine allgemeine Ursache zu organischen Neubildungen liegt in einer dem Gewebe innewohnenden Neigung, auf Druck, »Reiz«, durch Gegendruck zu reagieren; ein gewisser Widerstand, und das Gewebe nimmt an Wuchs zu! Der Leichdorn, eine Neubildung, die der Kulturmensch seinem Fußzeug verdankt, gibt ein nicht appetitliches, aber sehr gutes Beispiel für eines der Grundgesetze ab, die an der Variation, wenn man will, Verwachsung der Arten schuld sind. Ein Reiz oder ein bestimmter wiederholter Druck, eine oder die andere Aufforderung von der Außenwelt irgendwo in der Haut bildet dort Zellen und läßt sie sich verhärten, es entsteht zuerst harte Haut, dann bildet sich Horn: die Klauen der Tiere entstehen durch einen Gegendruck gegen den Boden; die Nägel erkratzt man sich. Die Zähne haben keinen anderen Ursprung, als daß man kaut, bis man sie hat, sie haben sich vom ersten Augenblick an durch den Druck der Nahrung gegen die Gaumen gebildet, die zuerst hornig werden – und es, durch Rückentwicklung, bei Vögeln und Schildkröten wieder sind –, später Knochenmasse, Wurzeln und ein eigenes Nahrungssystem absetzen; da der Druck nicht aufhört, und da die Zähne immer härtere Nüsse zu knacken bekommen, wappnet sich die Knochenmasse mit Emaille, ungefähr ein Mineral und hart wie Glas. Hört man aber auf, feste Dinge zu kauen, so ziehen sich die Zähne verhältnismäßig schnell wieder zurück, seht den Ameisenfresser, seht den heutigen Menschen! Die Zähne haben wir ja im übrigen bekanntlich von einer Stammform mit Knochenbildungen in der Haut, etwa wie der Hai heute, da die Mundhöhle ursprünglich ein eingestülpter Teil der Oberhaut ist; eine allgemeine Bewaffnung des ganzen Körpers hat beim Rachen zu den Zähnen geführt; ein besonderer Gebrauch hat sie zu dem gemacht, was sie jetzt sind. Ein falsches Bild von den entwickelten Zähnen des Säugetiers hat man in den Scheren des Hummers, »Backenzähne« und »Eckzähne« von ganz derselben Form, aber es ist eben nur die Form, die dieselbe ist. Diese »Zähne« können nur durch einen Druck entstanden sein; derselbe Druck verleiht also unter ganz verschiedenen Verhältnissen dieselbe Form.

Hier wie sonst hat man einen überzeugenden Eindruck von der Fruchtbarkeit der Natur, die sich innerhalb von Regeln hält, ohne doch einen Plan zu verraten. Das Geweih des Hirsches ist durch Reiz von seiner Umgebung, dem Wald, entstanden, die Zweige haben ihn an den Kopf geschlagen, bis er einen verzweigten Aufsatz dort erhielt, im Gleichnis eines Baumes, ein merkwürdiges Beispiel für die Identität von Wachstum und Ursache, Zufall und Notwendigkeit, wohl in Verbindung mit Schutzgleichheit.

Aus Gewohnheit, und um nur einen Ausdruck zu finden, legen wir der Natur eine Absicht, Ratio, bei, unsere eigene, es ist nicht zu ersehen, daß die Natur irgendwelche Absicht hat. Sie macht keine »Versuche«, wie man zu sagen pflegt, um sich zwischen ihren unzähligen Variationen zu orientieren; was sie erzeugt, was geschieht, das sind unwillkürliche Folgen von dem Bestreben der einen Kraft, der anderen zu begegnen und sie abzubalancieren. Man schlägt auf den Amboß mit einem gewaltigen Hammer, aber der Amboß schlägt wieder; man setzt seine Haut dem Luftzuge aus, und es entsteht ein Haar. Ein Kriechtier fror und wurde behaart: die Säugetiere. Ein anderes schuf sich seinen eigenen Luftzug, ließ den festen Boden unter den Füßen; und wenn ihr die Echsenhaut lange genug einem Luftstrom aussetzt, so gibt es unter Umständen eine Feder! Blast die Eidechse an, und sie wird Vogel!

Die Verwandlung des Reptils in den Vogel kann auf zweierlei Art erklärt werden, aus einer laufenden Form, die sich zum Schweber ausgebildet hat, oder aus einer kletternden, die von Bäumen abgesprungen ist – hierüber herrscht Unklarheit; beide Erklärungen ließen sich ja übrigens gleichzeitig annehmen. Eine noch lebende alte Vogelform, der Hoatzin in Südamerika, ein bei Biologen beliebter Vogel, nach dessen Heimat Wallfahrten unternommen werden, hat sich als Junges noch zwei Krallen am Flügel bewahrt, den Rest der alten »Hand«, womit er sich hilft, wenn er auf Bäume klettert; er ist Sturztaucher, wie der Eisvogel: auch ein Fingerzeig, wie das Fliegen begonnen hat. Ob nun der Absprung von einem Baum oder irgendwo vom Boden im Laufen stattfand, jedenfalls hat die Entwicklung dieselben Ursachen gehabt: das Reptil drückt auf die Luft, und die Luft drückt wieder. Jahrtausende gehören natürlich dazu, das Tier bekommt Schuppen auf den Armen, die es bei den Schwebesprüngen ausbreitet, und die Schuppen werden zu Federn. Verfolgung durch andere Geschöpfe mit Appetit beschleunigt; die am meisten gefiederten werden am besten fertig und erhalten mehr Nachkommen als andere; wer am weitesten schwebt, kommt am weitesten, und so entstehen die Vögel. Eine Voraussetzung ist, daß sie zuerst Läufer gewesen sind, und zwar auf den Hinterbeinen allein, eine Erwerbung, die wir von anderen Echsen, gewissen Dinosauriern, kennen; mit den vorderen Gliedmaßen haben sie in die Luft gegriffen und wirklich auch Stütze von ihr erhalten; der erste Flug ist ein Gleitflug gewesen, später aber kommen all die anderen Vogeleigenschaften hinzu, Warmblütigkeit und volles Federkleid. Der Vogel kleidet sich für die Luft an und erobert alle Breitengrade. Er erhält einen Motor, eine gewaltige Entwicklung von Brustbein und Muskeln und verschwindet in den Wolken. Die ersten Vögel hatten noch Zähne im Schnabel und einen langen Eidechsenschwanz mit Federn an beiden Seiten, wie man von den beiden versteinerten Exemplaren, die man kennt, weiß.

In Dänemark findet man eine ausführliche Darstellung der Abstammungsgeschichte der Vögel, in einer ornithologischen Zeitschrift versteckt, von dem Maler und Vogelkenner Gerhard Heilmann, mit dem originellen Versuch einer Rekonstruktion der besonderen Echsenart, von der man sich den Vogel abgestammt denken muß, mit sehr belehrenden Zeichnungen, die auch andere als nur Ornithologen kennen sollten.

Die Flugfähigkeit war schon früher einmal entwickelt, ehe die Vögel das Problem lösten, und zwar von den merkwürdigen, an riesige Fledermäuse gemahnenden Flugechsen, ein ganz anderes System, das indessen keine Zukunft hatte. Im Grab der Saurier ruht jetzt die Flugechse, die doch einmal die Luft mit ihren großen empfindlichen Hautflügeln geschlagen hat. Es wurde zu kalt für die Flugechse; die Vögel hingegen paßten sich jedem Klima an. Einer von ihnen, der Pinguin, erträgt die härteste Kälte, die man überhaupt auf dem Erdball kennt. Der Flug war nicht einmal das Kostbarste, der Pinguin hat sich Flossen zugelegt wie ein Paar Fausthandschuhe und ist im übrigen auf gutem Wege, wieder zum Wassertier zu werden. Der Hesperornis, ein ausgestorbener Taucher, brachte es soweit im Wasser, daß jede Spur von vorderen Gliedmaßen verschwand, und nur ein einziger Knochen unter der Haut übrigblieb; er schwamm mit den hinteren Gliedmaßen, im Gegensatz zum Pinguin. Kann man den eigentlich noch Vogel nennen? Selbst die Fliege gilt beim Volke als »Vogel«. Der Sommervogel hat seinen Namen bewahrt, es ist also im wesentlichen die Flugfähigkeit, an die man denkt.

Aber die Entwicklung des Federkleides zum Schutz der Eigenwärme ist jedenfalls etwas, das die Vögel für sich allein haben, selbst wenn sie die Flügel zusetzen; die Daunen sind denn auch eine frühere Erwerbung als die Schwungfedern. Federn waren eine neue Mode in der Natur wie die Haare, die von den Säugetieren gewählt wurden, der Zweck war derselbe, aber das Element entschied. Das Federkleid hat die Vögel instand gesetzt, sich, auf dem Luftwege, über die ganze Erde zu verbreiten und die Jahreszeiten, von Pol zu Pol, zu überwinden, während ihre Stammes verwandten, die Kriechtiere, auf die Tropen beschränkt sind oder, wenn sie sich in der gemäßigten Zone aufhalten, Winterschlaf halten müssen; so weit führte die neue Mode doch, mit Federn statt der Schuppen.

Wenn man in der Natur von Mode reden kann, was nicht ganz ins Blaue geschwatzt ist, so hat es schon besonders lebhafte und variable Moden in der Reptilienzeit gegeben. Eine Eigenschaft bei allen Kriechtieren der Vorwelt, auf die man aus den Knochenfunden schließen kann, ist eine phantastische Verschiedenartigkeit im Äußern, in der Ausstattung gewesen; wieder muß man an die Fähigkeit der Eidechse denken, einen verlorenen Körperteil zu ersetzen. Neubildungen gehen ins Unglaubliche, das die Drachen und Ungeheuer der Volksphantasie nicht zu übertrumpfen vermögen. Die primitiven Kriechtiere haben sich alle Möglichkeiten im Gewebe bewahrt, als hätten sie Vitalität über den ganzen Körper verteilt gehabt, die Verwandlungsfähigkeit ist lebhaft gewesen, vielleicht bis zu dem Grade, daß man sich denken kann, eine Art habe sich bereits in einer oder in ganz wenigen Generationen geprägt. Aus den Skeletten der Saurier kann man auf das Äußere, die Haut schließen, die Kriechtiermode existiert nicht, mit der sie sich nicht geschmückt haben, die Haut hat auf jeden Einfluß reagiert, sich nach jeder Laune geformt, die ausgestorbenen Riesenechsen sind wie wandernde Beete gewesen, in denen Zufall, Umgebung und Gewohnheiten des Tieres jetzt ein Gewächs, dann schreckliche Dornen oder Hörner, Knochenkämme, Schwielen, Warzen und Schuppen gepflanzt haben, die zwar zum Schutze dienten, sicher aber auch Zeichen einer gewissen keimenden Eitelkeit, in primitivem Sinne, waren. Prachtentfaltung des Geschlechtes wegen, ein Charme, für den das Chamäleon noch einen Ruf genießt! Mode und Paarungswahl sind miteinander verknüpft.

Noch lebende Kriechtiere mit starker, lebhafter Färbung geben eine Vorstellung davon, welche Farben die Saurier gehabt haben können, wandernde Ungeheuer in allen Farben des Regenbogens! Und etwas von diesem Erbe ist auf die Vögel übergegangen: der Hahnenkamm, der Kopfputz des Truthahns! Der Kasuar! Ein Teil der Farbenpracht, die die Kriechtiere zweifellos auf die Haut verschwendet haben, scheint in der Federpracht der Vögel wiederzukehren.

Von der Fruchtbarkeit der früheren Formen in der Haut, die imstande war, ungefähr alles, was sie sollte, hervorzubringen, haben die Vögel ihre Federn. Sie sind durch einen ganz speziellen Reiz, Luftdruck in der Bewegung, entstanden, und der Luftdruck zeichnet sich gleichsam auf ihnen ab, vom Kiel und nach jeder Seite der Fahne, der Stempel des Windes, fast wie wenn er ein Gewässer kräuselt.

 

Die Vögel haben sich in eine Unendlichkeit von Geschlechtern, Familien und Arten verzweigt und gespalten, aber innerhalb derselben Tierklasse gibt es wenige, die einander im wesentlichen so gleich geblieben sind wie die Vögel. Sie wechseln das Element, geben sogar den Gebrauch der Flügel auf, keiner aber hat es ganz vermocht, von dem Platz in der Natur, für den ihre Verwandlung sie bestimmte, zurückzukehren, sie sind und bleiben Vögel.

Wie sie sich voneinander fort zu all den Geschlechtern, die wir kennen, entwickelt haben, die Phylogenese der Vögel hat man eingehend untersucht, anatomisch und morphologisch verglichen, ohne doch sagen zu können, daß der Stammbaum der Vögel ein für alle Male ausgearbeitet sei.

Nicht einmal systematisch sind die Vögel bisher endgültig placiert. Eine Ordnung in Gruppen und Familien, die gleichzeitig die Entwicklungsgeschichte der Vögel von unten herauf gibt, wird erstrebt, ist aber noch nicht in Einklang mit einer Einteilung gebracht, die sich auf rein äußere Kennzeichen stützt. Die neuesten zoologischen Lehrbücher, Boas, Hertwig, räumen das ein, behalten aber aus praktischen Gründen noch die alte bewährte Einteilung nach dem Habitus in Watvögel, Schreivögel usw. bei. Die Eule wird jeder, der zur Schule gegangen ist, zu den Raubvögeln rechnen, und die Systematik bringt sie noch dort, jedoch mit einer Bemerkung, daß sie in Wirklichkeit anderswohin gehört, in die Nähe des Nachtraben, Caprimulgus, der an eine große Schwalbe erinnert.

Eine Trennungslinie zwischen den Vögeln von der Hand der Natur besteht insofern, als einige als Junge voll entwickelt und imstande sind, gleich, wenn sie aus dem Ei gekommen sind, das Nest zu verlassen, während andere lange Zeit hilflos im Nest bleiben und von den Alten geätzt werden müssen, man denke an Kücken und an Schwalbenjunge; die ersteren müssen die frühesten sein, fast verwandt dem Kriechtier, dessen Junge sofort von den Eltern unabhängig sind; die anderen sind spätere Formen, mehr Vögel, mit einer Kultur, die sie weiter vom Ursprung entfernt. Schwimmvögel sind frühe Formen, die Singvögel die spätesten; am ursprünglichsten, reptilartigsten sind die Strauße. Wenn man ein ganz Teil in der Welt herumgekommen ist, nicht als Fachmann, aber mit einer allgemeinen Aufmerksamkeit ausgestattet, so erhält man mit der Zeit einen rein unmittelbaren Eindruck vom Übergang der einen Vogelart in die andere. Eine Reihe, die alle kennen, läßt das leicht sehen; sie geht von der Dohle über Saatkrähe, Elster und Krähe bis zum Raben, hier macht sich nicht viel anderes geltend als ein Unterschied in der Größe; Habitus und Wesen sind so gleichartig wie bei Mitgliedern derselben Familie; die Entwicklungslinie ist deutlich. Vor die kleinste in der Reihe, die Dohle, würde ich auf eigene Verantwortung den Star stellen, der in eine ganz andere Vogelfamilie hinüberleitet. Zwar veränderten Typ, aber Züge, die sich erhalten haben und auf gemeinsamen Ursprung deuten, findet man in der Natur und weiß nicht, ob man seinen Augen oder dem Lehrbuch trauen soll; so habe ich das Pech gehabt, in den Papageien verwandelte Tauben zu sehen. Wenn man im Tropenwald eine Papageienschar vorbeipfeifen sieht, glaubt man Tauben vor sich zu haben, der Flug hat ganz denselben Charakter. Natürlich, der Papagei hat einen Zeh umgedreht und ist Klettervogel geworden. Aber seht euch einmal die Füße an, es sind Taubenfüße! Den Schnabel hat der Papagei zu einer Zange, einem reinen Nußknacker entwickelt, aber seht euch Schnabel und Nasenlöcher genauer an, es ist doch ein Taubenschnabel! Die Federn, die Farbe haben dieselben Nuancen aus blassem Rubin und Creme, die man von den Tauben kennt. Namentlich den einfacheren Papageienformen gegenüber kann man sich nicht von dem Gedanken befreien, hier verwandelte Tauben vor sich zu haben. Die Dschungel ist voll von Turteltauben und Papageien. Man wird selbst ein wenig heiß im Kopfe und hat Visionen, sieht einen Entwicklungsnebel, in dem Vögel sich verwandeln. Die große Verwandlungsfähigkeit der Tauben ist ja im übrigen bekannt. Die vielen Variationen der zahmen Taube waren ein wichtiges Material in der Hand Darwins zur Bestimmung des Ursprungs der Arten.

Erinnerungen aus dem Osten und aus Amerika, viele verschiedene Vögel, die ich gesehen, haben mich, ergänzt durch das, was man sonst weiß, veranlaßt, Hühnervögel und Raubvögel in einer möglicherweise unerlaubten Einheit aufgehen zu lassen. Sie haben viele Züge gemein, haben Arten, die einander nahekommen. Vom Truthahn bis zu gewissen Geierarten, die in Amerika leben, wo der Truthahn auch zu Hause ist, ist der Abstand nicht so weit, wenn man sie in der Natur gesehen hat. Selbst vom Truthahn zum Kondor führt eine Brücke, wenn man beide richtig ansieht. Der »Sekretär«, der Schlangenfalke, hat etwas Hühnerartiges; viele der am wenigsten ausgeprägten Raubvögel machen den Eindruck, verwandelte Hühner, ursprünglich samen- und würmerfressende Vögel zu sein, die Fleischfresser und Jäger geworden sind. Die Beschaffenheit der Nahrung, veränderte Diät, in Verbindung mit neuen Fangmethoden, soll schon einen Vogel umprägen, wenn Umgebung und lange Zeit helfen. Daß die Hühner voll entwickelte Junge haben und daß die Raubvögel für die ihren sorgen, sollte sie also scheiden, aber das sind ja eben nur Entwicklungsstufen, Stadien von der einen Art zur anderen; d. h., daß die Raubvögel die spätesten sind und daß sich die Hühnervögel jedenfalls nicht aus ihnen entwickelt haben können.

Die kleinsten Hühnervögel, wie die Wachtel, lenken den Gedanken in andere Richtungen; man sieht vor sich gemeinsame Stammformen, alle Vögel zusammengekoppelt in einem gemeinsamen Ursprung, über den endgültige Klarheit zu erhalten man nicht einmal den Drang verspürt, die Natur selbst ist alles eher als klar. Das ist ja gerade das Neue an der Entwicklung, das ist die Entdeckung, daß die Natur die Systematik sprengt. Die Wissenschaft arbeitete eine Zeitlang mit spezies, aber die Arten sind nicht stationär; im Grunde lassen sie sich nur flüchtig bestimmen als die eine auf dem Wege zur anderen, sozusagen kinematographisch. Spezies ist eine Abstraktion: man spricht vom Adler – von welchem Adler?

Die Vögel haben die Luft in Besitz genommen und einen Stil entwickelt; der Kondor, der sich eine Meile hoch im Himmel, über dem Gipfel der Anden, in ruhigen Kreisen schwebend hält, ohne je die Flügel zu regen, hat es zu einem Adel, der vollkommenen Beherrschung der Region der Luft gebracht; die Möwe, die einem Schiff in der Nordsee folgt, Stunde auf Stunde, in schneidendem Frostwind, glatt geweht, wie eine Spindel in der Luft gestreckt, unermüdlich rudernd und gleitend, vom Schnabel bis zur Schwanzfeder in Weiß gehüllt – man kann den Blick nicht von ihr lassen – sie ist lauter Form, Form und Energie, ein Meisterstück. Die Natur hat ihre Kunst an ihr erschöpft. Große Vögel, Störche, Kraniche, haben fliegend eine unvergleichliche Majestät und sind doch zu elendem Federvieh, einem hungrigen Vogel reduziert, wenn man sie in der Gefangenschaft sieht, die Seele des Vogels ist der Flug. Vom Adler entlehnt die Königsmacht früh ihr Symbol: Schnabel und Krallen! Der Adlerblick unter einer Federbraue spricht davon, daß hier Form und Macht sich ihren eigenen Ausdruck geschaffen haben wie beim Löwen, königlich schaut der Adler hernieder vom Gipfelpunkt seines Schicksals. Die Engel und geflügelten Feen des Volksglaubens, die Genien der Kunst haben die Flügel der Vögel geliehen, höher als bis zu den Vögeln können selbst phantasiegeborene Luftwesen sich nicht emporschwingen!

Aber die Umbildung der vorderen Gliedmaßen haben die Vögel teuer bezahlt, wenn man die Karriere der Säugetiere betrachtet. Sie hatten eine Brücke hinter sich abgebrochen, als ein Vetter von ihnen unter den flügellosen Kriechtieren sich in ganz neue Bahnen hineinarbeitete, auf denen die Befreiung der Hand sie in einer ganz andern Richtung heben sollte. Die Vögel sind und bleiben Federvieh. Aber wie sie uns nun einmal folgen, weit abschweifend und doch nahe, wie sie Eier legen und in ihrer Federpracht in allen Farben des Paradieses funkeln, sind sie eine lebendige Erinnerung, die wir mitnehmen an die üppigen Wachstumszeiten in der Jugend der Erde, als der Tierbalg von tausend Möglichkeiten schwoll und in verschwenderische Formen ausbrach, nicht um ein Ziel zu erreichen, sondern um sich in Formen zu erschöpfen.

 

Mit den Geistesgaben ist es wohl so lala. Aber muß alles jetzt Weisheit haben, weil der Mensch so begabt ist? Die Marktgaukler und der Pöbel, haben sie Geist, wenn sie Tieren gegenübergestellt werden? Ihre eigene kleine lumpige Seele ist es, die sie sehen wollen – wenn sie den Schimpansen ankleiden und den unschuldigen Affen auf einen Tisch mit Bierflaschen oder den Kobold auf ein Fahrrad setzen oder ihn lehren, Tabak zu rauchen, dann erkennt man sich in der Entwürdigung wieder und bezahlt Entree, um es zu sehen. Die großen »gezähmten« Raubtiere bringt man mit der Peitsche dazu, sich zu gruppieren und hübsch auf Fässern und Pyramiden im Zirkus zu sitzen, von Scheinwerfern geblendet und unter dem leisen Wohllaut eines Orchesters – eine Kränkung aller Natur, geschmacklich unter aller Kritik, für das Gefühl widerwärtig. Die Hunde müssen auf den Hinterbeinen gehen, die Rute hängt ihnen zu den Hosen heraus, und sie gleichen dem Publikum – das Publikum gleicht ihnen! Jack London gründete in seinen letzten Jahren einen Verein gegen die Vorführung gezähmter Tiere in der Öffentlichkeit; er war selbst Hundehysteriker, aber es wäre eine zivilisatorische Tat, den Tierbändiger hängen zu lassen. Die Vögel müssen reden, Papchen bekommt Zucker, wenn er den seelenvollen Dialekt seiner Besitzerin kapiert!

Inwieweit die Tiere eine Seele haben, wurde vor einigen Jahren von mehreren Wissenschaftlern und einem Literaturhistoriker erörtert, anläßlich eines Pferdes in Deutschland, das rechnen und buchstabieren konnte – ein Betrug, wie sich später zeigte –, wie geistreich: unter Seele konnten die Gelehrten sich nur ihre eigene vorstellen! Der Stadtmensch schiebt seine Redseligkeit auf das Tier hinüber, eine andere Lebensform als unaufhörlichen Mundgalopp kennt der Edle ja selber nicht. Die ödeste Einbildungskraft muß herhalten, um Wesen ausschließlich danach zu beurteilen, wie sie sich äußern. Das Wesen der Tiere sich ins Gemüt strömen zu lassen als das Tierwesen, das es ist, dazu, zu einfacher Sympathie, ist der Kulturmensch zu gekünstelt. Und doch ist es leicht: in einem Blick auf Tiere, in der Aufnahme ihrer Form und Identität kann man sich mit ihnen unterhalten, mit ihnen leben.

 

Töricht sind die Vögel, aber sie sind Formen, die die Natur gefüllt hat, um so bewundernswerter, je reiner sie in ihrem eigenen Relief dastehen. Betrachtet die soeben ausgebrüteten Kücken, vor einem Augenblick lagen sie zusammengerollt wie ein ovaler Ball in der Schale, jetzt rennen sie tapfer umher auf erhärteten Beinchen, kopfüber in eine Aufgabe hineingestürzt, keine fünf Minuten alt! Reflexmäßig, mit einem nützlichen Drang, hacken sie auf den Boden, nach einem graupenartigen Ding, sehen es mit dem einen Auge an – ob's wohl Graupen sind? Wie an der Schnur gezogen schießen sie hinzu – der bekannte Schnellauf der Eidechsen –, wenn das Huhn scharrt, unterwegs spricht der Magen und sagt Piep; es gilt das Leben, und kommt man zuletzt, so kriegt man denn auch nichts. Im übrigen sind die Kücken wie betäubt, ein Lebensgefühl, das wir uns vielleicht vorstellen können, wenn wir einen Schlag auf den Kopf bekommen haben. Jederzeit von Nahrungssorgen benommen, mit vor Torheit aufgesperrten runden Augen, sind sie auf der Welt des Futters wegen, kennen keinen Zeitvertreib; das ist der rauhe Alltag für sie, vom Ei, bis sie mit gerupftem Hals und langen schuppigen Reptilschenkeln, zur Echse entkleidet, im Fenster einer Viktualienhandlung landen.

Seht euch einmal den Strauß im Zoologischen Garten an – der kleine flache Echsenkopf im Verhältnis zu einem Paar Pferdebeinen, die geistlosen, von Borsten umgebenen Augen, Scheiben vor dem absoluten Nichts – sich in ihn einzufühlen, würde irgendeinen groben bestialischen Akt erfordern! Der Verstand des Straußes ist sprichwörtlich ein Maß für negativen Intellekt geworden, die Geschichte, wie er sich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand gesteckt hat: einen so kleinen Kopf verborgen, und soviel draußen! Allesfresser ist der Strauß in dem Maße, daß man Verdacht schöpft, er erkenne seine Nahrung nicht; wenn alles hinuntergeht, muß auch einmal irgend etwas Nahrhaftes darunter sein, so kommt es, daß er lebt! Der Strauß ist eine der frühesten, primitivsten Vogelformen, dem Echsenursprung nahe, er hat die Flugfähigkeit wieder verloren und ist Läufer geworden; einem niedrigstehenden Typ hat er ein rudimentäres Minus hinzugefügt. Immerhin, auf einem abenteuerlicheren Geschöpf kann man seine Augen nicht ruhen lassen, es ist die wildeste Formenpracht der Natur, direkt in die Augen springend. Der Bau des Straußenfußes allein hat eine Plastik von einzig dastehender Feinheit.

Aber für den Menschen, der im Zeitalter des Films lebt, ist der Strauß natürlich nichts, ehe man ihn dressiert, das heißt, mit Damenhöschen bekleidet und ihm einen Sonnenschirm unter den Flügel gesteckt hat! Federn hat er im voraus, einen Hutladen über den ganzen Körper, fügt dazu das Tänzerinnengetue, seinen Körper über eine Bühne zu schaukeln und rosa Schenkel zu entblößen – und alle werden den Strauß kennen und lieben, die Filmdiva up to date!

 

Beispiele von starker Umformung und Anpassung an einen Platz in der Natur, wobei die Geistesgaben genügen, ihn zu behaupten, nicht aber, etwas davon wegzugeben, hat man in den Vögeln. Und doch, sie singen. Die höchstentwickelten der Vögel, an Größe die kleinsten, haben als Ersatz für andere Wege, die die Natur ihnen versperrte, die Gabe des Gesanges erhalten.

Wenn die Lerche sich mit Luft füllt und zwitschernd zu Sonne und Wolken emporsteigt, sagt eine trockene Betrachtung, daß es geschähe, um das Weibchen zu fesseln; aber es ist mehr, die Lerche begeistert sich an dem Gefühl dessen, was sie kann, sie schwingt sich hinein ins Morgengrauen, wo das Leben für sie und alle Geschöpfe beginnt. Sie ist eine Gefangene ihres Schicksals als Vogel, aber der Flug und die gefüllte Brust sind eine glückliche Welt geworden, unbekümmert um das Schicksal anderer. Was die Lerche, im Vergleich mit dem unermeßlichen Menschen, nicht erreicht hat, Stiefel und Steinpflaster zwischen sich und die Erde zu legen, u. a. m., das vollbringt sie singend, indem sie in Himmel und Sonnenschein verschwindet. So ist vielleicht doch etwas daran, daß Federvieh und Himmelreich zusammengehören!

Hat sich die Seele beim Huhn geschlossen, bei dem stets in der Erde scharrenden Vieh, dem schmerzhaft gackernden, wenn es Eier legen muß und es ihm hinten wehtut, dem Huhn, das sich nicht einmal mehr zum Fluge erhebt, einem Stück abgeschlossener Natur wie bei den Fischen, wo Appetit und Form sich zum schnellstmöglichen Vorstoß durchs Wasser nach Nahrung vereinigt haben: Rachen mit Flossen – so hebt die Lerche sich singend über ihre Begrenzung hinaus, läßt das Gewürm, von dem sie stammt, unter sich und mischt ihre Lebenswärme, das kleine heiße Herz, mit der Strahlenwärme der Sonne. Die Lerche ist ein Künstler geworden, wie die Drossel, wie die Nachtigall.

Das ist die Seligkeit der Lerche, und es gibt keine andere – das gilt von allen Tieren, den Menschen eingeschlossen, das Geschöpf kann nicht anders über den »Staub« triumphieren als so: im Universum aufgehen, eben auf dem Platz, auf den man von der Natur gestellt ist.

Seinen Raum vermag der Mensch zu erweitern, indem er sich seines Ursprungs erinnert.

In der Weitung des Gemüts, in dem Entzücken und der Verklärung findet eine Blüte, ein innerer Ausbruch aller Zeiten und Stufen statt.

Die Leidenschaft, der elementare Wutanfall, die Heftigkeit ist, wie früher erwähnt, ein Fahrstuhl, der sein Opfer in einen Schacht durch alle Etagen der Kultur, durch die Entwicklungsstufen und Stadien der Seele, bis in den Keller, die Unterwelt hinabstürzt: durch Raserei zum Barbaren, durch Wildheit zum Wilden, durch Bestialität zu den Vernunftlosen, durch Grauen, Geistesverdüsterung zu den niedrigsten Urwesen – und wieder hinauf, wenn die Hemmung gesiegt hat, mit arbeitender Brust und alle Adern pochend, die Lockerung nach der entsetzlichen inneren Konvulsion, hinauf in den Tag und die Klarheit, wieder zum Niveau des zivilisierten Menschen, wo man sich nach der Fahrt den Schweiß von der Stirn wischt, schwindlig und dankbar, wenn man unterwegs sich beherrscht und vermieden hat, Schaden anzurichten.

Elementares Lustgefühl hingegen ist die stärkste freie Freude, die mit dem Gefühl von Wachstum, Harmonie mit der Umgebung und sich selbst zusammenhängt, ein Siegesgefühl, nicht Selbsterhaltungstrieb, denn hier ist etwas, über das man gerade im Begriff steht sich zu erheben, nicht Grimmigkeit, nicht Eitelkeit, sondern Schönheit in der Seele, das ist die Entwicklungsstufe, die ihr eigenes Gleichgewicht erlangt hat. Alle Geschöpfe halte ich für gleich, wenn sie sich, jedes an seinem Platz, dieser inneren Balance in ihrem Wesen hingeben.

 

Das einfache Lebensgefühl selbst ist wohl bei allen Geschöpfen, ob sie hoch auf der Leiter der Entwicklung stehen oder nicht, ziemlich gleich, insofern, wie das Gewebe gleich ist, denn das Bewußtsein beruht ja doch auf einem Rapport vom Gewebe. Der Umfang hingegen ist verschieden.

Man kann es den Tieren ansehen, daß es ihnen körperlich wie uns anderen geht, ihr Daseinsgefühl kann sich nicht viel anders gestalten. Die Tiere kratzen sich; wenn es juckt, kratzen wir uns auch, kann das ein ungleiches Gefühl sein? Die Tiere gähnen, sperren die Kiefer auf und erschauern, schütteln hinterher den Kopf, eine seelische Skala, die man kennt. Das Pferd gähnt und zieht das Maul schief, schüttelt sich im Geschirr, gewiß, und im selben Augenblick gähnt man selbst, denn Gähnen steckt an; so identisch ist die zugrundeliegende nervöse Reaktion – wie fern ist man eigentlich dem Pferd in diesem Augenblick? Man sieht sich denn ja auch brüderlich an, wenn man gegähnt hat – nun ja, wollen wir noch einmal?

Selbst die Vögel gähnen, ein typisches Gähnen, obwohl sie nur einen Schnabel zum Gähnen haben. Es überkommt sie natürlich ganz wie uns, Unzeitigkeit, eine gewisse Ebbe in den Funktionen, die macht, daß man gähnt, mit Kribbeln im Kinnbacken und einem Stoß von Schwermut, öden Augen und der Lust, mit dem Leben Schluß zu machen. Dann hat man sich indessen erfrischt, sich geladen und kann wieder – wenn nicht ein neues Gähnen einem sagt, daß man jetzt schlafen muß.

Der Schlaf – der kommt doch gleichartig über das Geschöpf! Wenn das Kücken eine sonnige Stelle findet und stehend schlummert und sterbend blinzelt und einnickt und umfällt, wenn es ganz dahin ist, und aufwacht und aufsteht und wieder stehend schlummert und wankt, wie gut kennt man das: Eine Not, in der man sich befindet, aus der es keine andere Hilfe gibt als zu schlafen, die Süße des Verlöschens, die durch alle Adern läuft – ja, weiter ist der Mensch also nicht gekommen, was den Schlaf betrifft, als das kleine hirnlose Vieh, das im Sonnenschein nickt und sich von einer Woge Schlaf nach der anderen überspülen läßt.

In anderer Beziehung ist die Anknüpfung ans Leben durch alle Stufen des Tierreichs identisch geblieben: in der Physiologie der Fortpflanzung. Elementare Liebe, die sich daran knüpfende Nervenreaktion, ist zweifellos qualitativ dieselbe den ganzen Weg durch alle Entwicklungsstadien empor, dasselbe innere Sonnenfeuer, in einem Nervenzentrum, in der Urzelle niedergelegt, ob es nun die Fliege oder der Mensch ist, der sich paart, ein vitaler Kontakt, dessen inneres Volumen oder Farbe kaum wesensverschieden sein kann. Die meisten Tiere gebärden sich ja auch äußerlich einigermaßen gleich, was die Fortpflanzung betrifft: unlenkbare Erregung und ein Moment der Erniedrigung, elementare Hitze, Entblößung, Selbstsucht jenseits jeder Rücksicht, über die Leiche des Konkurrenten hinweg, kurz, Leben und Tod in der Luft!

Die Vögel besitzen in diesem Punkt nicht mehr Würde als andere Geschöpfe.

Als verwandelte Kriechtiere büßten sie die Hand ein. Im Stafettenlauf der Entwicklung wurde ihnen der Stab genommen und weitergetragen von einer andern schnellaufenden Echsenart, auf dem Wege zum Säugetier.


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