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Die »Ratte«

Außer der Spitzmaus mit zwei Unterarten, der Wasserspitzmaus und der Zwergspitzmaus, findet man in Dänemark noch zwei andere Geschlechter von der Ordnung der Insektenfresser, den wohlbekannten Maulwurf und den Igel. Unzählige Variationen kennt man anderswo in der Welt, die Insektenfresser haben nicht allein alle anderen Ordnungen abgegeben, sondern sind innerhalb ihrer eigenen in einen Reichtum von Formen gespalten. Die Fledermäuse stehen für sich, aber aus keinem anderen wesentlichen Grunde, als weil sie Flieger sind; der auffallende Unterschied in der Funktion hat ihnen einen Platz für sich angewiesen, aber sie sind in einem gewissen potenzierten Grade Insektenfresser, jagen in der Luft.

Zwischen den Insektenfressern und der Fledermaus »schwebt« der Galeopitek, der Kaguang der Malaien, ein Geschöpf mit Flughaut, das zu den Halbaffen gerechnet worden ist, nicht zu den Fledermäusen gehört, sondern eher ein verwandelter Insektenfresser ist; als eine ursprüngliche Form zeigt er im Habitus eine Stufe, die von den Insektenfressern zu den Fledermäusen hinüberführt. Gleichzeitig ist man einem Stammort nahe, der auf anderen Wegen in die Bäume zu den Affen führt.

Innerhalb der Fledermäuse ist der Formenreichtum bedeutend, die insektenfressenden halten sich klein, erst die fruchtfressenden beginnen an Größe zuzunehmen. Die Fledermäuse sind Nachttiere; eine finstere Vorzeit, in der auch der Mensch wurzelt, knüpft sich an die Vorstellung von ihnen. Von dem lautlos flatternden Dämmerungstier hat man Züge zur Ausstattung des Bösen selbst, des Fürsten der Finsternis, entliehen, die Kunst verleiht dem Teufel Fledermausflügel. Der kleine schwarze Geist, den man gern auf dem Hintergrund eines feuergelben Himmels sieht, kann schon an die Hölle denken lassen, namentlich auf Kirchhöfen, wo er im Turm haust; es ist, als führe er das Mittelalter unter den Flügeln mit sich. Aber seine Welt ist älter, eine ferne, urzeitdunkle und gedankenlose Welt.

Die Insektenfresser sind die grimmigsten aller Tiere im Verhältnis zu ihrer Größe. Sie kommen noch geradeswegs aus der Unterwelt, mit etwas von der Seele der Echsen und Fische, die nur auf Fraß ausgeht, auf Jagd, etwas für den Zahn, der Magen, der fordert, der nie ruhende Hunger, der Beine bekommen hat.

Unverständig sind die Insektenfresser keineswegs, obwohl die Gier und das einfache Ziel des Kriechtiers, die Krokodilseele, noch in ihnen steckt; hierzu haben sie die Initiative gefügt. Der Urappetit hat sich durch Erdperioden vererben können, ohne geschwächt zu werden, und sie haben die Möglichkeiten, ihn zu stillen, durch ganz andere Fähigkeiten, zum Futter zu gelangen, durch eine unbegrenzte Umformungsfähigkeit vermehrt; sie schufen sich je nach der Anforderung der Umgebung um, machten die Zunge lang nach der Fliege, schwangen sich in die Luft, ihr nach, wenn sie flog, in der bewahrten Vitalität blieben sie sich gleich, sogar unter Verhältnissen, wo sie fast das Gepräge verloren und unterwegs zu ganz anderen Tieren wurden.

Schon die drei bis vier Arten, die wir hierzulande kennen, haben die Elemente unter sich geteilt, wenn man die Fledermaus mitrechnet. Die eine der Spitzmausarten hält sich ans Wasser und hat flugs ihre Füße mit Schwimmhäuten versehen. Eine ihrer Künste ist, auf einem Süßwasserfisch zu reiten, der zehn- bis zwanzigmal so groß wie sie selber ist, und ihm Augen und Hirn herauszufressen. Das ist kein für die Liebe von Damen geeignetes Schoßtier, es könnte ihm, trotz einer Übermacht von 1000 zu 1, gut einfallen zu beißen, und es würde dann ja ekelhaft sein. Die Wasserspitzmaus befindet sich auf einem Wege, der unter anderen Himmelsstrichen in Afrika zur Otterspitzmaus geführt hat, einem großen, schwimmenden Raubfresser mit fast schlangenartiger Beweglichkeit im Wasser – zurück zum Aal! Der Desman, ein großer otterartiger Insektenfresser, der in Flüssen, Wolga und Don, lebt, ist gut auf dem Wege, einen Rüssel wie ein kleiner Elefant zu entwickeln; aus der Schnauze der Insektenfresser hat sich das verschiedenartigste Mundwerk gebildet.

Im Gegensatz zum Wasserwege ist der Maulwurf in die Erde gegangen–eine Neigung, die bereits die Feldspitzmaus besitzt – und hat aus diesem Anlaß die vorderen Gliedmaßen zu Spaten umgebildet. Er ist halbwegs blind, denn wozu soll er sehen, da er doch des Auskommens halber ungefähr ins Grab gegangen ist? Fressen und fressen tut der Maulwurf. Der Igel bleibt auf der Erde, ein Waldtier kleinsten Stils, liebt Dornbüsche, Kletten und anderes stechendes Unkraut, das ihm selber gleicht. Er hat den Weg der Hautarmierung eingeschlagen, wie so manche andere Tiere, die der Welt einen Buckel machen, das Gürteltier, das ein Zahnlücker ist, das Stachelschwein, das ein Nager ist, der Ameisenigel, ein Halbsäugetier – ein sicherer Weg, um in Frieden gelassen zu werden, aber gefährlich für die Initiative, wie z. B. weiter unten im Tierreich für die Schildkröte; unangetastet ist sie sich seit Jahrmillionen gleichgeblieben, hat aber allmählich vergessen, wozu sie da ist. Die Schildkröten geben im übrigen ein vorzügliches Beispiel der Entwicklung, sie offenbaren die Geschichte, wenn man alle Arten durchgeht, von den frühesten, noch echsenartigen Reptilien mit in der Mitte zu einem Panzer umgebildeten Schuppen bis zu den späten, ganz fertigen Schildkröten, bei denen Glieder und Kopf eingezogen werden können. Eine entsprechende Veränderung im Temperament macht sich bemerkbar, die frühen sind noch unruhig, bissig und beweglich, die späten in einer passiven Ruhe erstarrt. Ein Fort ist natürlich beschützt, kann ja aber nicht auf einen sich nähernden Feind losspringen.

Das kann der Igel noch gut, er ist geschickt und erinnert sich stets, wozu er da ist; nachts trudelt er einher wie ein Quecksilbertropfen und versorgt sich mit Käfern und allerhand Larven, einigen wenigen Vogeljungen und Fröschen, einer Kreuzotter, wenn er Glück hat, gefräßig und wahllos, wie es das wandernde Nadelkissen ist und immer war. Nach dem skrupellosen Appetit der Insektenfresser und ihrer Willigkeit, sich im Fluge mit der Lebensweise umzuschaffen, nach ihrer Allseitigkeit kann man sich eine Vorstellung von den noch ursprünglicheren Formen in der Vergangenheit machen, von denen die heute lebenden Insektenfresser und ihre Nachkommen, alle Säugetiergeschlechter, abstammen. Der Keim zu ihnen allen lag in der Urmaus, einer beispiellosen Gefräßigkeit und Beweglichkeit.

Das junge, eruptive Gepräge, in tierischem Sinne, hing zusammen mit etwas Gewaltsamem, Neubildendem in der Erdperiode, als die Kriechtiere sich verwandelten. Die üblichen Namen für die Zeitalter der Erde, Jurazeit, Kreidezeit, Tertiärzeit, sperren die Phantasie aus, statt sich ihr zu öffnen, man muß sich jedesmal, wenn man sich eine wirkliche Vorstellung von der Macht und Üppigkeit dieser Zeiten machen will, mit Material sättigen. In der Schöpfungszeit der Säugetiere nahmen Klima und Pflanzenwuchs in Europa an Variationen zu, eine Vielfältigkeit von Bedingungen, die auch das Tierleben prägte, teils in Form größeren Reichtums, teils in lebhafterer Nuancierung; außer den alten, einfachen Gewächsen, Farren und Schachtelhalmen, die dereinst Wälder bildeten und als kräuterartige Restformen übriggeblieben sind, sowie den Nadelbäumen kamen die Laubbäume auf, eine Folge davon, daß die Jahreszeiten sich bemerkbar zu machen begannen; die Wälder trugen andere Früchte, an denen die Tiere ihre Zähne erprobten. Kauen war eine Kunst, die sie immer mehr von den Kriechtieren schied, welche ihre Nahrung nur verschlingen; das Krokodil hat nicht einmal eine Zunge. Es gab unruhige Zeiten mit feuerspeienden Bergen und dem Untergang der einen Welt hier zugunsten der anderen Welt dort, Wälder vergingen und wurden zu Steppen und Steppen zu Bergketten, Festländer senkten sich ins Meer, und Meeresboden wurde zu Bergen; die Tiere wurden eingesperrt unter Verhältnissen, die sie zwangen, sich zu verwandeln, um zu bestehen, oder sie wanderten und formten sich auch unterwegs um.

Krieg führten sie miteinander und wappneten sich auf verschiedene Weise gegeneinander, einige mit gefährlichen Angriffswaffen, andere mit überlegenen Fähigkeiten, vor allem anderen Lebendigen davonzurennen, hier lange Zähne, dort lange Beine. Sich verstecken, sowohl um einander zu überlisten wie um selbst dem Gesehenwerden zu entgehen, schuf ein Äußeres, das mit der Umgebung, Wald, Dschungel oder Gras, zusammenfiel, die meisten legten sich Streifen zu, die viele von ihnen noch haben; und haben sie sie nicht mehr selbst, so kehren die Streifen doch bei den Jungen wieder; Streifen scheinen allgemein Mode gewesen zu sein in der bewegten Zeit, als der Grund zu den Säugetieren gelegt wurde. In scharfem Wettstreit miteinander besetzten die Nachkommen der Insektenfresser allmählich alle Plätze und alle Zukunftswege, durch ungeheuer lange Zeiten getragen oder gehindert, jedenfalls aber verändert und wachsend durch Fruchtbarkeit, Gewitterluft, Überschwemmungsjahre, Überfluß oder Hunger der starken Zeit. Die heutige Tierwelt im äquatorialen Afrika kann eine Vorstellung von der Tertiärzeit geben; im Vergleich dazu ist sie eine idyllische Pause, hat aber doch etwas von derselben Vielfältigkeit, demselben Tiergedränge; keine Tierwelt jedoch ist mehr sich selbst überlassen, ein Schicksal, das keine Vorzeit kannte, bedroht die freie Entfaltung der Tiere: der Mensch.

 

Mäusegröße ist noch bei einigen der Beuteltiere, bei Fledermäusen, Insektenfressern und Nagern bewahrt; auf dieser praktischen Stufe haben wahrscheinlich die Übergänge von einer Art zur anderen stattgefunden.

Macht, Vorstoß erwarben sich die neuen Formen hingegen, indem sie wuchsen: der Typ der Ratte hat etwas, das auf einer gewissen Stufe an alle Säugetiergeschlechter erinnert. Der Typ kehrt wieder im Volksbewußtsein, nicht ganz zufällig; auch Zoologen haben sich nicht davon befreit, er ist eine Idee, eine von den Sammelformen der Natur. Man findet den Namen an Tiere von einigermaßen gleicher rattenartiger Größe geknüpft, die jedoch zu weit verschiedenen Ordnungen gehören. Verbindet man die Vorstellung von einem gewissen Größenverhältnis mit der Ratte, so scheint auch ein bestimmtes, gegebenes Temperament dem Typ anzuhaften.

Da ist die Beutelratte, das Opossum, eine »Ratte«, noch mit vielen Zügen aus der Kellerwelt des Reptils, ein kleines, hirnschwaches, aber zählebiges Geschöpf, mehrere Male das berühmte siebenfache Leben der Katze im Leibe, ein Rückenmarkwesen, auch mit Reptilkünsten zur Verteidigung; sie macht sich steif und epileptisch, verfällt, wenn sie gejagt wird, in einen Scheintod oder sucht sich durch einen besonders häßlichen Geruch zu schützen, gibt sich im voraus als Brechmittel ein, wie der Skunk, eine der frühen Formen zuunterst auf der Treppe der Raubtiere. Hier in der Nähe die Pharaoratte, der Ichneumon, ein unermüdlicher Jäger und Schlangentöter, ebenso wie der Mungo: kleine Raubtiere, an Größe zwischen Wiesel und Marder, aber mit Rattengepräge, den Insektenfressern nahe an Temperament und mit etwas Nacktem, Reptilartigem, das den Gedanken noch weiter zurück in der Abstammung führt. Endlich die Ratte, der Nager, den jeder kennt. Die großen Huftiere, Wiederkäuer und Dickhäuter haben einmal ein ähnliches Stadium durchgemacht, sie wurden Pflanzenfresser und entwickelten ein anderes Temperament. Ursprünglich aber haben Gefräßigkeit und elementare Rücksichtslosigkeit alle Tiere im »Ratten«stadium ausgezeichnet; man versteht, daß sich jedes für sich seinen Platz verschafft hat und imstande gewesen ist, sich zu den großen Stammformen emporzufressen.

Ungeachtet des Umstandes, daß die Ratte ein Nager ist, ist sie vielleicht das Tier, das an Größe, Gewohnheiten, Temperament und Ursprünglichkeit einem Ur- und Durchschnittstyp am nächsten kommt.

Die Größe hat praktische Vorteile. Die Ratte ist nicht mehr unbedingt ein Mundvoll wie die Maus, deren geringe Größe und verborgenes Leben sie geeignet machten, die Verwandlung von den Kriechtieren zu vollziehen; für die Ratte reduzieren sich ihre Feinde jedoch schon auf die größeren und wenigeren Raubvögel und ziemlich kräftigen Tiere. Die Ratte setzt sich zur Wehr; hat die Maus sich verwandelt, so verteidigt die Ratte die Position. Ja, sie geht angriffsweise zu Werke.

Die Ratte ist tapfer, ein rücksichtsloser Raufbold; ich habe gesehen, wie eine Ratte einen Jagdhund aus dem Felde schlug, ihn verfolgte und jedesmal, wenn er genötigt war, eine Hinterpfote auf den Boden zu setzen, hineinbiß: ein Eisen von einer Ratte und ein sehr verlegener Hund. Eine Ratte, die ich samt der Falle von einem Jungen auf der Straße gekauft hatte, der sie zur Polizeiwache brachte, ließ ich auf einem Balkon im zweiten Stock los; sie stürzte sich augenblicklich durch das eiserne Geländer hindurch auf die Straße – jedes andere Tier würde sich doch bedacht haben –, landete auf dem Asphalt und lag einen Augenblick wie tot da; dann kam sie zu sich und lief über den Bürgersteig in einen Lichtschacht; vermutlich hat sie jetzt im Keller eine Familie gegründet. Sie war furchtlos, unruhig, wild, mit dem düsteren roten Brand in den Augen, der der Ratte eigen ist, sie zerrte und biß an der Falle, rumorte ununterbrochen, der Schwanz war, als die Falle zuschnappte, eingeklemmt worden und blutig, sie achtete es nicht, sie war entsetzlich, ich fürchtete mich vor ihr, jeder Mensch fürchtet sich vor einer Ratte. Sie bringt Gift mit vom Rinnstein, in dem sie lebt, sie ist ein Mörder, fällt Kinder in der Wiege, alte hilflose Leute, die sich nicht rühren können, in ihren Betten an, überall, wo Not, Übervölkerung und Elend herrschen, steigt die Ratte aus der Kloake empor, wetzt die Zähne und meldet sich! In China gibt es ebenso viele Ratten wie Chinesen. Sie folgt dem Menschen wie ein übler Geruch; hofft sie, einst den letzten Menschen fressen zu können?

Die Ratte ist nicht wehrlos wie die Maus. Anderseits hat sie an Größe nicht in dem Maße zugenommen, daß sie sich aus ihrer Stellung frißt oder Armut über die Familie bringt. Sie kann sich ohne Hindernis vermehren, soviel sie will, und sie tut es: Jungen wie die Ratten, ist ein Sprichwort. Sie verbreitet sich, sie wandert, ist zwar Nager, was für sie eine Zugabe zur Diät der Insektenfresser bedeutet, von denen sie stammt, aber die Insektenfresserdiät hat sie auch beibehalten. Sie ist Fleischfresser, Allesfresser, gierig wie die Raubtiere, elementar in der Seele wie die Echse, mit deren schuppigem, klammem Schwanz, aber sie hat Klugheit zum Urappetit gefügt, Erfahrung und eine schnelle Urteilskraft; sie ist streitbar, heftig, verschlagen, »gerieben«, hat schmutzige Gewohnheiten, ist geschmeidig, hat alle Gewohnheiten, ist imstande, sich überall einzudrängen, wenn nur ein Loch da ist, sonst nagt sie es selbst; dazu ist sie fruchtbar und hat die Wurzel zu Gott weiß was in sich.

Merkwürdig ist die Karriere, die die Ratte gemacht hat, im Vergleich mit anderen Tieren unter gleichen Verhältnissen; sie hat sich über die ganze Erde verbreitet, mit dem Menschen, im Raum seiner Schiffe, sie richtet sich in jedem Klima ein, die Kultur bläst nicht den Totenpsalm über die Ratte wie über so viele Tiere, mit deren Zufluchtsorten der Mensch aufräumte, sie lebt und stirbt nicht mit dem Walde, nein, sie zieht in die Städte hinein, sie kommt von einem Fluß und richtet sich heimisch in einer Kloake ein!

Ursprünglich stammt die Ratte aus dem inneren Asien, von den großen Flüssen; sie ist ein Flußufertier, Schwimmer, ohne doch Wassertier geworden zu sein, wanderte zusammen mit der Pest im Mittelalter vom Osten in Europa ein, vertrieb die alte europäische schwarze Hausratte, die Ratte über der Ratte, nahm gemeinsam mit den Großstädten zu, fand hier fließendes Wasser wieder, zuerst unter Rinnsteinbrettern, später unter dem Steinpflaster, übertrug kühn ihre Erfahrung von ausgegrabenen unterirdischen Gängen an einem Flußufer auf Keller unter fünfstöckigen Häusern, eine Welt, deren eigentliche kolossale Zusammenhänge sie natürlich nur auf ihre Art versteht, für ein lichtscheues Dasein geeignete Winkel, nächtliche Kletterübungen in Mülleimern, ein Bad in der Kloake, aber immer dasselbe Dasein, die Schnauze in einer Schweinerei, Jagd, den Zahn gewetzt. Jagen tut die Ratte und gejagt wird sie, das hat sie auch früher gekannt, aber mit kommt sie!

Überall auf der Welt, wo der Mensch seinen Fuß hingesetzt hat, ist die Ratte ihm gefolgt und lebt ihr unterirdisches tagscheues Leben unter seinen Wohnungen. Sie vermehrt sich, wird verfolgt; man setzt einen Preis auf ihren Schwanz aus, legt ihr Gift, aber sie vermehrt sich, vermehrt sich. Wenn man Rücksicht nimmt auf die Psychologie der Ratte, auf ihre Allseitigkeit, ihre Mittelstellung in der Natur als fast typisches Urtier – alle Eigenschaften, die sonst auf andere verteilt sind, in einem gesammelt – könnte man sich fast verlockt fühlen, zu vermuten, daß diese sonderbare Symbiose zwischen Ratte und Mensch nicht zufällig sei – zu tiefst im Keller der menschlichen Natur steckt die Ratte!

Obwohl jedoch etwas nicht Unwahres daran ist, verhält es sich nicht so. Von der Ratte stammt die Ratte ab. Sie ist aus einer gefräßigen Maus entstanden; alle anderen Nager haben sich aus kleinen Formen entwickelt, aber mehr oder weniger das ursprüngliche Temperament zugesetzt.

 

Aus dem Insektenfresser, diesem fruchtbaren Verwandlungskünstler, entspringt die weitläufige, unter sich nahe verwandte und sehr verbreitete Familie der Nager. Sie bildete sich zu Fruchtfressern in einer engeren Richtung – harte Früchte – aus, gebrauchte die Zähne, um Löcher in Nüsse und anderes hartschaliges Futter zu machen, und formte sie wieder danach um, ein Beruf, der später nicht mehr rückgängig zu machen war.

Die Nager sind sozusagen Handwerker geworden, mit einem Tischlerwerkzeug im Maul, stille Bastler, welche, die Ratte ausgenommen, die Vernichtungslust der Insektenfresser abgelegt haben. Sie sind Vegetarier und haben Frieden im Walde geschlossen, ebenso wie die Wiederkäuer, ohne daß doch alle Tiere den Kontrakt unterzeichnet hätten, sie sind fromm und vermehren sich reichlich; der Haushalt der Natur scheint sie in passenden, großen und kleinen Portionen zur Mahlzeit für andere bestimmt zu haben, wenn man von einem ökonomischen Betrieb in der Natur reden kann. So ist das Los der Nager geworden: sie zahlen von ihrer Brut mit frischem Fleisch die Steuer den Raubtieren und Vögeln wie in einem zivilisierten Umfang später die Haustiere dem Menschen.

Der größte der Nager, das Flußschwein, Capivara, wohnt in den Flüssen Südamerikas; es ist Pazifist, vertrauensvoll, von allen Tieren hat es den gefaßtesten Ausdruck im Gesicht, lange Oberlippe und hängenden Schnurrbart, die Vorstellung von der Schlechtigkeit der Welt ist aus seinem Abc entfernt, es kann nur bis Ehre buchstabieren. Der Jaguar liebt es. Das Flußschwein erhält eine Einladung vom Jaguar zum Frühstück und nimmt sie edel an, denn der Jaguar ist zwar berüchtigt und ein Mörder, aber das Flußschwein ist edel und setzt keinen Hinterhalt mit niedrigen Gedanken bei anderen voraus, es ist ein guter Schwimmer und stellt sich pünktlich zur Essenszeit unter dem und dem Baum am Flußufer ein, und wenn es dann angerudert kommt und aus dem Wasser steigt, gespannt, was es zum Frühstück haben soll, mit langer, ehrlicher Oberlippe, und schon die großen Vorderzähne wie ein Paar Tischmesser aneinanderwetzend, ja, dann findet das Frühstück statt, und der Jaguar leckt sich hinterher die blutigen Schnurrhaare; es war wirklich ein ausgezeichnetes Frühstück!

Der Prototyp der Einfalt, physiognomisch bestimmt von gespaltener Oberlippe und zu großen Vorderzähnen, runden Augen, entleiht seinen klassischen Ausdruck vom Hasen. Er hat die Retraite zu einer Kunst entwickelt. Das Herz des Hasen ist sprichwörtlich.

Wie weit haben sich die recht ausgeprägten Nager von der Ratte entfernt! Gemüse scheint eine besonders nahrhafte Kost zu sein, aber auf Umwegen zum Vorteil anderer! Das war also nicht die Richtung auf eine überlegene Stellung im Tierreiche, die jener Insektenfresser einschlug, der zuerst begann, seine Vorderzähne an einer Nuß zu üben, eher ein Wechsel weit abseits von der Hauptstraße mit verschiedenen Spuren von Fleischdiät, von der der Nager nicht fett wurde, und einem Jäger mit Büchse und Hund am Ende!

Und doch der Biber! Das Eichhörnchen! Baut der Biber sich nicht ein Haus, legt er nicht Deiche an, ist er nicht ein kräftiger Zimmermann? Die Meißel hat er im Maul, und das Holz, das er so tüchtig bearbeitet, dient ihm gleichzeitig zur Nahrung; er ist wie ein Fahrzeug mit einem Ruder hinten, zurückgezogen und in Waldeseinsamkeit kommt er seinen Pflichten nach; und hätte er noch eine Erdperiode Ruhe bekommen, so weiß keiner, wozu er es hätte bringen können – mit der verhängnisvollen Begrenzung allerdings, daß er es darauf angelegt hat, das Werkzeug im Maule statt in den Händen zu haben. Aber in der Beschäftigung des Bibers ahnt man Anlagen, aus denen mehr hätte werden können. Stärker sogar noch beim Eichhörnchen; aber hierüber in seiner eigenen Verbindung.


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