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Von einem Unbekannten.
Preußische Gerichtszeitung, Jahrg. III, Nr. 41. 16. Juni 1861.
Die folgenden Briefe gehören zur Zahl derer, welche mit der Absicht geschrieben sind, daß sie gedruckt werden sollen, und zwar nicht erst nach dem Tode des Verfassers, was sich nur berühmte Leute herausnehmen dürfen, sondern bereits bei seinen Lebzeiten, wozu sich auch ein gewöhnliches Menschenkind versteigen darf, wenn es sonst einen Verleger oder Redakteur findet, der gutmütig genug ist, Papier und Druckerschwärze daran zu wagen. Fast alle Wissenschaften, Künste, Gewerbe sind bereits in Briefen behandelt, wir besitzen chemische, botanische, zoologische, musikalische Briefe u. a. Nur unsere arme Jurisprudenz, das Aschenbrödel der Wissenschaft, geht wie gewöhnlich leer aus und steht in der Zeit mindestens 20 bis 30 Jahre zurück, indem sie meines Wissens noch nicht ein einziges Mal zum Gegenstand von Briefen gemacht ist. Für sie scheint man sich mehr Heil von einer andern modernen Form versprochen zu haben, der des Geistes. Seitdem Montesquieu mit seinem sur l'esprit des lois die Bahn gebrochen, hat es nicht an solchen gefehlt, welche den Geist des römischen, des preußischen u. s. w. Rechts destilliert haben und für einige wenige Silberlinge jedem Liebhaber feilbieten, und, wenn die Mode um sich greift, werden wir gewiß noch den Geist des katzenellenbogenschen Landrechts, kurhessischen Staatsrechts und sonstige Geiste und Geister erwarten können.
Ich meinerseits greife zu der anspruchsloseren Form der Briefe, und wenn ich auch sonst kein Verdienst beanspruche, so ist es wenigstens das, die Form der Briefe zuerst auf die Jurisprudenz übertragen und sie den »Nebenstunden, rechtlichen Bedenken, Erörterungen, unvorgreiflichen Gedanken« und sonstigen rezipierten Formen, in denen ein gesetzter Jurist seine Gedanken an die Öffentlichkeit bringt, an die Seite gestellt zu haben. Und wäre die Jurisprudenz noch viel trockener, als sie es ist, sollte sich nicht z. B. über die Rechte des schwachen Geschlechts nach preußischem Landrecht, die Privilegien der Dummen nach römischem Rechte und sonstige interessante Themata ein Brief schreiben lassen, den ein wohlbestallter Kreisrichter, Obergerichtsanwalt und selbst ein Oberappellations- und Geheimer Obertribunalsrat in seinen Nebenstunden zur Hand nehmen dürfte, statt letztere, wie der selige Reichskammergerichtsrat Cramer in Wetzlar, zur Abfassung von 100 und etzlichen Bänden »Nebenstunden« zu verwenden? Zwar, wie die verehrliche Redaktion dieses Blattes es verantworten will, meine Briefe in eine »Gerichtszeitung« aufzunehmen, ist ihre Sache, und ich übernehme keinerlei Verantwortlichkeit, ja ich werde sogar, um mich des beengenden Gefühls, daß ich für eine Gerichtszeitung schreibe, völlig zu entschlagen, für mich beim Schreiben streng den Gesichtspunkt festhalten, daß ich nur an den Redakteur schreibe, und daß mich das Weitere nichts angeht. Eben um diese meine Unbefangenheit nicht zu beeinträchtigen, werde ich mich auch im strengsten Inkognito halten, eine Form des Auftretens, die wie von hohen Herrn und reisenden Glücksrittern, so bekanntlich auch von Schriftstellern nicht selten und aus guten Gründen gewählt wird. Sie, Herr Redakteur, wissen, welche Mühe Sie hatten, die natürliche Scheu eines der Feder so wenig gewohnten Mannes, wie ich, vor dem öffentlichen Auftreten zu überwinden, Sie wissen, wie gefährlich es sein kann, seine vom Staate mit 600 Tlr. jährlich so anständig bezahlte Zeit, statt lediglich auf Aktenauszüge und Urteilsentwürfe, auch auf solche Allotria wie juristische Briefe zu verwenden. Angesichts des großen, seit dem ersten Juristentage über ganz Deutschland verbreiteten Publikums dieser Blätter fordere ich Sie also feierlichst auf, das Geheimnis streng zu bewahren, selbst in unbewachten Momenten, wenn solche bei einem Redakteur überhaupt möglich sind! Wird es verraten, so sind Sie allein schuld, denn außer Ihnen und mir selbst, der sein Geheimnis bewahren wird, kennt niemand den Verfasser. Eben auch darum, um Sie gegen indiskrete Fragen zu schützen, habe ich die Form der Briefe gewählt, denn wer wird so zudringlich sein, Sie zur Verletzung des Briefgeheimnisses, das selbst der zweite Dezember respektiert, veranlassen zu wollen, nachdem Sie mir die strenge Bewahrung desselben öffentlich, wie ich Sie hiermit zu tun bitte Geschieht hiermit. Die Redaktion, in der Note gelobt haben?
Nur nach einer Seite hin verstatten Sie mir, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, und zwar in Form einer Anekdote, die Ihnen nicht unbekannt sein wird. In Berlin erschien bei einem Hofmaskenball unausgesetzt mehrere Stunden hindurch eine und dieselbe Maske beim Büffet und entwickelte dort einen Durst und Appetit, wie beide sonst Personen, welche zu jenen Bällen Zutritt haben, nicht eigentümlich zu sein pflegen. Unglaubliche Quantitäten Mandelmilch, Limonade, Wein, Kardinal nebst den entsprechenden Beigaben waren auf diese Weise in die Maske verschwunden, bis man auf die Idee geriet, mit ausnahmsweiser Verletzung der Maskenfreiheit den Inhaber dieses phänomenalen Appetites und Durstes zu konstatieren, und unter der Maske einen Soldaten von der Schloßwache entdeckte, der bereits der vierzehnte war, welcher auf diese Weise Durst und Appetit gestillt hatte. Inwiefern Sie die Maske des »Unbekannten«, der diese Briefe schreibt, in ähnlicher Weise verwenden wollen, ist Ihre Sache; jedenfalls reichen meine Kenntnisse nicht aus, um alle die Briefe zu schreiben, die erforderlich sind, um ein vollständiges Bild der heutigen Jurisprudenz zu entwerfen.
Nun noch eins bei diesem Vorworte, das zugleich den Pakt darstellen möge, den wir vor den Augen des Publikums miteinander abschließen. Ich schreibe meine Briefe nur, wie Lust und Laune sie mir eingeben, werde mich also weder an eine Zeit binden, noch irgend eine systematische Ordnung dabei beobachten. Dagegen bedinge ich mir Maskenfreiheit aus, d. h. das Recht, mit meinen Scherzen und Angriffen niemand zu verschonen; finden Sie, daß ich zu weit gegangen, so legen Sie immerhin in einer Note Verwahrung ein oder streichen Sie, was Sie Lust haben.
Anbei erhalten Sie den ersten Brief.
Sie kennen den hinkenden Teufel, der die Dächer abdeckte und seinen Schützling in die Geheimnisse der Zimmer blicken ließ. Lassen Sie mich einmal seine Rolle übernehmen und Ihnen die Studierzimmer unserer juristischen Theoretiker zeigen. Bei nächtlicher Weile und Lampenschein, zur Seite das corpus juris, diesen Schacht civilistischer Weisheit, sehen Sie hier die Träger der Wissenschaft des gemeinen Rechts emsig beschäftigt. Was treiben sie? Ich möchte eine Wette eingehen, daß die Hälfte derselben, wenigstens die Jüngeren, die Hoffnung Deutschlands, augenblicklich konstruiert. Was ist konstruieren? Vor etwa fünfzig Jahren wußte man noch nichts davon, man »lebte harmlos und in Freuden, und das Geschoß war auf Pandektenstellen nur gerichtet«. Aber das hat sich gewaltig geändert! Wer sich heute nicht auf die »civilistische Konstruktion« versteht, der möge nur zusehen, wie er durch die Welt kommt; sowenig wie eine Dame heutzutage ohne Krinoline zu erscheinen wagt, sowenig ein moderner Civilist ohne Konstruktion. Von wem sich eigentlich diese neue civilistische Mode herschreibt, weiß ich nicht, nur so viel ist mir bekannt, daß einer sogar dies Konstruieren selbst wieder konstruiert und eine eigene Anweisung dazu gegeben, ja sogar zur Vornahme dieser Arbeit ein höheres Stockwerk der Jurisprudenz angelegt hat, welches danach den Namen der »höhern Jurisprudenz« erhalten hat. Ihering in seinem Geist des römischen Rechts Bd. 2, 5. 385 ff. und in seinen und Gerber's Jahrbüchern Bd. 1, Abt. 1. In der untern Etage wird die gröbere Arbeit verrichtet, da wird der Rohstoff gewalkt, gegerbt, gebeizt, kurz – interpretiert, dann aber kommt er in die obere Etage, in die Hände der civilistischen Künstler, die gestalten ihn, geben ihm künstlerisch-civilistische Form. Haben sie diese gefunden, so verwandelt sich jetzt die leblose Masse in ein lebendiges Wesen; durch irgend einen mystischen Vorgang wird demselben, wie dem Tongebilde des Prometheus, Leben und Odem eingehaucht, und der civilistische Homunculus, d. h. der Begriff, wird produktiv und begattet sich mit andern seinesgleichen und zeugt Junge.
Sie begreifen, daß alles auf jenen civilistischen Gestaltungsakt, auf die Konstruktion, ankommt; geschieht bei ihm ein Versehen, setzt man die Beine z. B. an den Kopf, die Nase hinten und, was unsereiner hinten trägt, ins Gesicht, so ist es mit der ganzen Sache nichts – es wird ein Wechselbalg. Kein Wunder also, daß diese des Schweißes der Edlen werte Aufgabe alle Kräfte in Anspruch nimmt, und daß die Erfindungskraft und Kombinationsgabe unablässig bemüht sind, die verschiedenen Stücke bald so, bald so zusammenzusetzen. Ich will Ihnen jetzt an einigen schlagenden Beispielen die Mühseligkeit der Arbeit veranschaulichen.
Zu den widerhaarigsten »Rechtsfiguren«, Ausdruck von Kuntze. die mit einer wahrhaft dämonischen Störrigkeit behaftet sind, gehört vor allem die Korrealobligation. Wünschen Sie die Literatur des gemeinen Rechts über sie? Sie würde eine ellenlange Note füllen. Seit 1857 [bis 1861] sind nicht weniger als drei Bücher über die Korrealobligation erschienen; von Helmolt (1857), Fitting (1859), Samhaber (1861), der vielen sonstigen Besprechungen dieser Lehre in Abhandlungen, Recensionen etc. ganz zu geschweigen. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts Aufl. 5, Bd. 2 § 292: Noch im Jahre 1829 konnte geschrieben werden (Guyet Abh. aus dem Gebiete des Civilrechts S. 262): »Es ist nicht leicht über irgend einen andern Hauptpunkt des römischen Rechts die Literatur so dürftig wie über diesen«. Mancher möchte vielleicht diesen Zustand herbeiwünschen. Man kann die Juristen der heutigen Zeit in zwei Klassen einteilen: diejenigen, die über Korrealobligation geschrieben, und die nicht darüber geschrieben haben. Den Theologen kann der Begriff der Dreieinigkeit nicht mehr Kopfzerbrechen verursacht haben, als unsern Juristen der dieser civilistischen Zwei- oder Mehreinigkeit. Ist es eine Obligation mit mehreren Subjekten, oder enthält sie gleich viel Obligationen, als Subjekte? Gehen Sie herum und halten Umfrage, wer nicht an diesem Problem laboriert, zählen Sie die schlaflosen Nächte, die dasselbe den Jüngern der Wissenschaft verursacht hat. Mir schwindelt der Kopf, wenn ich mich in diese Literatur verliefe, und je mehr ich davon lese, desto wirrer wird es mir, und wenn ich einen praktischen Fall zu beurteilen habe, so werde ich seiner nur dadurch Herr, daß ich alles, was ich je über Korrealobligationen gehört und gelesen, gänzlich vergesse. Zwischen ihnen und den sog. solidarischen Obligationen soll ein ganz gewaltiger Unterschied bestehen, etwa wie zwischen einem Tier auf zwei und auf vier Beinen. Aber fragen Sie unsere civilistischen Zoologen, worin sich denn diese Verschiedenheit praktisch äußert, wenn man den Vierfüßer und Zweifüßer vor den Pflug spannen will, – ich glaube, die meisten werden Ihnen die Antwort schuldig bleiben und sich damit entschuldigen, daß die Zoologie mit dem Pflügen nichts zu schaffen habe, von einem Schriftsteller über die Materie, den ich auf diesen Mangel seiner Schrift aufmerksam machte, erhielt ich die Antwort: die praktische Seite der Frage habe er grundsätzlich von seinen Untersuchungen ausgeschlossen, er habe sich nur an die wissenschaftliche gehalten. Eine juristische Schrift, welche die praktische Anwendbarkeit der ganzen Materie grundsätzlich ignoriert – Konstruktion einer kunstvollen Uhr, welche nicht aufs Gehen berechnet ist! Eben darin liegt das Übel, daß die Jurisprudenz zu einer Zoologie hinaufgeschraubt wird, während sie doch die Kunst ist, mit dem civilistischen Zugvieh zu pflügen. Ich benutze diese Gelegenheit, um den Anteil der Schuld, den man mir selber an dieser Verirrung wegen meiner Ausführungen an den oben citierten Stellen zumessen könnte, abzulehnen. Unius positio non est alterius exclusio. Die Betonung des hohen Werts der formal technischen Seite des Rechts, der juristischen Technik, verträgt sich vollkommen mit der Erkenntnis, an der es mir nie gefehlt hat, daß das Endziel der Jurisprudenz und damit aller theoretisch-dogmatischen Untersuchungen ein praktisches ist, und ich glaube dies bei meinen eigenen Arbeiten nie außer acht gelassen zu haben; dogmatische Untersuchungen, bei denen nicht irgend ein brauchbares praktisches Ergebnis abfällt, würden für mich nicht die mindeste Anziehungskraft haben. Schon in meinem Geist des R. R. III, Abt. 1 § 59 habe ich gegen »den Kultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik hinaufschraubt,« die Lanze eingelegt und das Ungesunde dieser ganzen Richtung an einzelnen eklatanten Beispielen nachzuweisen versucht, und mein Werk über den »Zweck im Recht« ist nur darauf berechnet, die praktische Auffassung des Rechts der formal juristischen und aprioristisch-philosophischen gegenüber zur Geltung zu bringen, indem es sich zur Aufgabe gesetzt hat, überall die praktischen Motive der Rechtsinstitute und Rechtssätze aufzudecken. Daß ich mir den dankbaren Stoff zur Persiflage, den die heutige Begriffsjurisprudenz mir darbot, in dieser Schrift nicht habe entgehen lassen, wird der Leser bald merken.
Einmal bei der Obligation, will ich derselben noch einige interessante Probestücke der Konstruktion entnehmen. Wie stellen Sie sich die Obligation vor, d. h. die »Rechtsfigur«, das »logische Gebilde« derselben? Darüber zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, antworten Sie; Sie kommen auch so aus? O Sie Glücklicher oder, würde mancher sagen, Sie Bemitleidenswerter! Die Obligation kann gedacht werden als Recht auf die Handlung oder an der Handlung: dort richtet sie sich gegen die Person, hier umspannt sie als ihr Objekt die Handlung selber. Ja, man hat auch noch die Möglichkeit, sie als Recht über die Handlung zu denken. Nun wählen Sie! Sie werden sagen, wie kann man an einer Handlung, die noch nicht ist, ein Recht haben? Bevor sie vorgenommen wird, existiert das Objekt des Rechts nicht, und wenn sie vorgenommen wird, d. h. mit dem Moment der Erfüllung der Obligation, ist das Objekt sofort wiederum untergegangen. Fragen Sie Puchta, wie der es sich gedacht hat. Puchta, Pandekten § 219. Andere machen Ihnen ein ganz ähnliches dialektisches Kunststück vor. Die Erbschaft wird von vielen als das Recht an der Persönlichkeit des Verstorbenen definiert. Nun sollte man glauben, daß sie das in keinem Momente mehr wäre, als wenn der Erbe sie antritt, denn erst jetzt entsteht ja dessen Recht an der Erbschaft. Nein, fehlgeschossen! jetzt hört die Persönlichkeit nach manchen auf, – ähnlich der Wolke, die sich bei der Umarmung in nichts auflöst – während andere und namentlich auch Puchta so human sind, die Persönlichkeit des Erblassers in der des nächsten und aller folgenden Erben bis ans Ende der Welt fortleben zu lassen, womit die pythagoreische Seelenwanderung oder, wenn man lieber will, die persönliche Unsterblichkeit vom juristischen Standpunkt aus verwirklicht sein möchte! Eine Person ist in die andere geschachtelt, wie bei den Schachteln im Krämerladen schließt eine die andere in sich. Jeder von uns birgt noch ein unendlich verdünntes erbrechtliches Stück von Adam in sich. Jeder ist ein civilistischer Atlas, der die ganze bisherige Menschheit erbrechtlich mit zu tragen hat.
Sie müssen wissen, daß ich damit wiederum ein civilistisches »Phänomen« und einen höchst beliebten Gegenstand der Konstruktion berührt habe (man nennt es hereditas jacens), und wollten Sie eine Note daran wenden, um sich die Literatur mitteilen zu lassen, Sie würden staunen über den Reichtum civilistischer Kraft, die sich daran betätigt hat. Wie wenig weiß doch oft unsereiner, was er tut! Da nimmt er in aller Unschuld ein Inventar über einen Nachlaß auf, in dem er auch die Rechte und Forderungen des Erblassers aufführt, ohne zu bedenken, daß dieselben ja ohne Subjekt nicht existieren können, und daß, wenn er sie dennoch als fortdauernd annimmt, er eben damit auch den Erblasser als fort dauernd setzt, folglich nicht sowohl sein Vermögen, als ihn selber inventarisiert. Gegen den Gedanken, sich den Nachlaß ohne den in ihm fortlebenden Erblasser zu denken, empfindet ein civilistisch geschulter Geist ungefähr dasselbe Grauen, wie eine religiöse Natur gegen den Gedanken, sich das Weltall ohne Gott vorzustellen. Es liegt etwas Erhebendes darin, daß der Totengräber sowenig wie die Seele, ebensowenig auch die juristische Persönlichkeit unter seinen Spaten bekömmt, letztere vielmehr mit dem Tode als verklärter Geist, frei und entfesselt von allen irdischen Banden, eine neue und höhere Stufe ihres Daseins beschreitet. Freilich für gröbere Naturen, die nur glauben, was sie sehen können, existiert dieser Geist nicht, aber sie selber existieren auch für die Wissenschaft nicht.
Gerade mit dem Begriff der Persönlichkeit hat die moderne Wissenschaft ihre kühnsten und erhabensten Gedanken-Evolutionen ausgeführt, und es ist bewundernswürdig, wie sie durch geschickte Verwendung dieses Begriffes es verstanden hat, die leblose Materie zu durchgeistigen und juristisch zu beleben. Jener Zustand, den Schiller in seinen Göttern Griechenlands besingt, wo alle Gegenstände, die uns bloß als Objekte der unbelebten Natur erscheinen, die Quellen, Bäume, Höhen etc. von göttlichen Wesen bewohnt waren, – jener Zustand ist auf dem Gebiete der Jurisprudenz reproduziert, und es fehlt mir bloß das Talent Schiller's, um ihn gebührend zu besingen. Aber selbst in Prosa verfehlt er seinen Effekt nicht!
Sehen Sie jenes alte Dach, von dem der Regen auf des Nachbarn Grundstück träufelt? Wofür halten Sie dasselbe? Für ein altes Dach. Gewiß, allein sehen Sie den Glanz der juristischen Persönlichkeit nicht, der sich wie ein elektrisches Licht über dasselbe ergießt? Lassen Sie es sich sagen, was es ist; das alte Dach ist eine juristische Person, Böcking, Pandekten Bd. 2, S. 212. denn das Dach ist das Subjekt der Traufgerechtigkeit.
Sehen Sie dort bei Ihrem Bankier eine Schublade voll von Staatspapieren, Aktien etc.? Die werden Sie wiederum für Eigentumsobjekte halten. Fehl geschossen! Lassen Sie sich von einem unserer Theoretiker Bekker (Jahrb. des gem. Rechts von Bekker und Muther Bd. 1, S. 292): »Das Papier selber ist das fragliche Rechtssubjekt, Gläubiger ... Jeder Inhaber erhält gleichsam als jus possessionis die Befugnis, dies Recht, das nicht sein Recht wird, gegen den Schuldner geltend zu machen. Der Inhaber wird, wenn man so sagen will, Vertreter des Papiers und kann die demselben zuständige Forderung eintreiben«. belehren, daß es juristische Personen sind! Das Subjekt eines Papieres auf den Inhaber ist das Papier selbst, – es ist der civilistische Münchhausen, der sich selbst beim Schopf aus dem Morast herauszieht – Ziehender und Gezogener zugleich, Subjekt und Objekt. Konstruieren Sie mir einmal den juristischen Vorgang, wie Sie ins Theater gelangen. Sie haben, antworten Sie, ein Billet gekauft und abgegeben, welches zum Eintritt berechtigt. Das ist keine Konstruktion! Als solche läßt sich nur folgende denken: Das Billet berechtigt den »Inhaber als solchen«, »der Inhaber als solcher« aber ist etwas Abstraktes, eine gedachte Persönlichkeit, eine juristische Person, und wenn Sie mittels des Billets ins Theater gelangen, so geschieht es nur darum, weil Sie diese juristische Person repräsentieren; eigentlich hätte letztere selber hinein sollen, hätten sämtliche Billets ihre Plätze einnehmen müssen. Danken Sie der Theater-Direktion, daß sie hier Repräsentation zuläßt!
Sie werden es jetzt auch nicht mehr überraschend finden, daß jenes Ehepaar, welches sich der äußern Betrachtung als Mann und Weib darstellt, für die Konstruktion der ehelichen Gütergemeinschaft zu einer juristischen Person harmonisch zusammenschmilzt, für welches Opfer an Persönlichkeit die Frau unter, d. h. in Umständen dadurch entschädigt wird, daß ein neuerer Jurist Rudorff in der von ihm besorgten Ausgabe von Puchta's Pandekten § 114. den nasciturus zum Rang einer juristischen Person erhebt, Röder, Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsphilosophie Abt. II, Aufl. 2, S. 23 macht ihn bereits zu einer wirklichen Person, zu einem Rechtssubjekt, das als solches schon im Mutterleibe, nachdem es eben konzipiert ist, sein Recht auf Leben geltend macht. »Denn mit dem Leben selbst kömmt auch ein Recht zu leben nicht bloß dem bereits geborenen Menschen zu, sondern auch dem erst gezeugten, also Schutz gegen jede frevelhafte Abtreibung oder Durchbohrung des Schädels u. s. w.« Als Rechtsphilosoph hat Röder sich der praktisch-juristischen Frage enthalten, in welcher Form Rechtens das im Mutterschoße befruchtete Ei dieses Recht gerichtlich geltend machen soll; dem Mangel eines processualischen Stellvertreters könnte dadurch abgeholfen werden, daß jeder verheirateten Frau und allen bedenklichen Frauenzimmern ein Curator ventris nomine bestellt würde. wobei freilich nicht gesagt ist, ob, da das römische Recht sich auf drei nascituri gefaßt zu machen befiehlt, alle drei eine separate oder eine Triple-Gesamt-Persönlichkeit bilden sollen. Jedenfalls ist dadurch das menschliche Leben zwischen zwei juristischen Personen in schönster Weise in die Mitte gebracht: den nasciturus und die hereditas jacens, und die juristische Person dürfte man darnach als die Ursubstanz bezeichnen, aus der die menschliche Persönlichkeit sich bildet, und in die sie sich wieder auflöst. Das physische Dasein der Menschheit ist nur ein vorübergehender Zwischenzustand zwischen der höheren Daseinsform der Person: der rein geistigen, immateriellen als juristische Persönlichkeit.
Nachdem alte Dächer, Staatspapiere u. s. w. sich in den Kreis der Personen gedrängt haben, kann man es dem Menschen wahrlich nicht verargen, daß er seinerseits sich aus dieser Gesellschaft wegsehnt, zur Not selbst um den Preis der Verzichtleistung auf die Ehre der Persönlichkeit. Und in der Tat hat ein neuerer Jurist von Vangerow. Über die Latini Juniani S. 67 ff. ihm dazu den Weg gewiesen, indem er die Freiheit als Eigentum am menschlichen Körper auffaßt, wodurch denn der von den genannten leblosen Objekten verschmähte Eigentumsbegriff am Menschen wiederum zu Ehren kommt. Und warum sollte er es auch nicht? Ob die Natur oder ein Zahnarzt mir einen Zahn einsetzt, der Zahn steht in meinem Eigentum; der Lockenkopf, der sein Haar einem Friseur, der Verbrecher, der seinen Kadaver einem Anatomen verkauft, beide müssen, um an dem Objekt einem andern das Eigentum übertragen zu können, dasselbe vorher selbst gehabt haben, und was ist der ganze Mensch anders, als die Summe seiner sämtlichen Körperteile, die Persönlichkeit also anders, als das Eigentum an ihnen? Es war einem österreichischen Rechtsphilosophen Dem längst verstorbenen Schnabel in seinem Naturrecht. vorbehalten, mittelst dieser Anschauung jenes Recht, welches Posa vergebens von Philipp II. forderte, zu deduzieren: die Denkfreiheit. Der Mensch hat das »Eigentum an den Sprachwerkzeugen«; um es zu benutzen, d. h. um sprechen zu können, muß man aber denken (was beiläufig gesagt vom Schreiben, selbst vom Bücherschreiben nicht immer gilt), folglich hat man auch das Recht zu denken. Erst seitdem diese Schnabeltheorie zu meiner Kunde gekommen ist, fühle ich mein Denken auf eine gesicherte rechtliche Grundlage gestellt, ich weiß, daß dasselbe nicht mehr de facto, sondern de jure geschieht, und ich weiß seit der Zeit auch, daß ich das Recht habe zu schwitzen, zu verdauen, mich, wenn es mich juckt, zu kratzen u. s. w., ich übe damit nur mein Eigentumsrecht an meinem Körper aus. Nur gänzlich Unkundige können fortan noch den Rechtsgrund des Urheberrechts in Frage stellen; es beruht auf dem Eigentum an den Sprachwerkzeugen.
Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, hat man, nachdem man den Eigentumsbegriff von der Sache auf den Menschen übertragen hat, das Umgekehrte mit dem Begriff der Obligation getan, indem man ihn, der nach natürlicher Vorstellung eine Person als Schuldner voraussetzt, auf die Pfandsache überträgt und das Pfandrecht als Obligierung einer Sache definiert. Es ist mit der Epoche der juristischen Konstruktion eine Unruhe, eine Wanderlust in die juristischen Begriffe gekommen, keiner hält es mehr auf dem Platze aus, auf dem er seit Jahrhunderten gestanden, es macht den Eindruck, als spielten sie »Kämmerchen vermieten«. Das Eigentum fühlt sich nicht mehr befriedigt mit seiner »vollen rechtlichen Herrschaft über die Sache«, es verlangt das »Recht an der Bestimmung der Sache« zu sein Girtanner in meinen Jahrbüchern für Dogmatik Bd. 3, S. 83., den leer gewordenen Platz nimmt dafür die Servitut ein, indem sie sich als »Eigentum an einzelnen als selbständige Sachen fingierten Eigenschaften einer fremden körperlichen Sache« aufspielt Elvers, die römische Servitutenlehre..
Für die damit geschaffene künstliche Sache spielt uns aber die wirkliche Sache den Streich, daß sie sich nicht mehr dazu versteht, dem Eigentum als unmittelbares Objekt zu dienen, letzteres besteht vielmehr in der negativen Verpflichtung aller Nichtberechtigten, das Eigentum nicht zu verletzen Bachofen, das römische Pfandrecht Bd. 1..
Einen ähnlichen Anfall von Widersetzlichkeit hat auch das Pfandrecht aufzuweisen, indem es sich in einer neuern Schrift über Pfandrecht Bachofen, das römische Pfandrecht Bd. 1. von seiner Form als Recht hat emanzipieren und sich, wie es angeblich zu Gajus' und Ulpian's Zeiten der Fall gewesen sein soll, hinter die Pfand klage hat verstecken wollen. Es macht dem gegenüber einen wahrhaft wohltuenden Eindruck, wenn Begriffe, die es sonst nicht nötig hätten, sich der juristischen Konstruktion zu fügen, freiwillig sich dazu verstehen, und ich kann es nicht genug rühmen, daß eins der edelsten Güter, die dem Sterblichen beschieden sind, die Hoffnung, sich in dem Maße fügsam erwiesen hat, daß wir nicht bloß, wie schon die alten Römer, einen Verkauf der Hoffnung ( emtio spei) kennen, sondern neuerdings auch ein »Recht auf Hoffnung« W. Sell, bedingte Traditionen S. 18, Note 2., ja sogar ein »Pfandrecht Puchta, Pandekten § 210, Nr. 2. an derselben« gewonnen haben, womit auch den Frauen, die sich »guter Hoffnung« befinden, der für ihre Lage zutreffende juristische Gesichtspunkt erschlossen sein dürfte; für ihre Leibesfrucht ist schon in anderer Weise juristisch gesorgt (S. 14 Note).
Es ist damit zugleich für diesen ersten Brief ein so versöhnender Abschluß gewonnen, daß ich sehr gegen mein Interesse handeln würde, wenn ich denselben durch weitere Zusätze stören wollte.