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III.
Reich und arm im altrömischen Civilprozeß.


Sie sind überrascht, mich ein anderes Thema nennen zu hören, als ich für unsere nächste Zusammenkunft in Aussicht genommen hatte? Sie erinnern mich, daß ich Ihnen das zweite Kabinetstück aus meiner juristischen Kuriositätensammlung: die civilprocessualische Attrappe, versprochen hatte. Ich habe dieselbe heute noch zu Hause gelassen, ich habe gefürchtet, in Kuriositäten des Guten zuviel auf einmal zu tun, die Leser mögen sich von dem Eindruck der Mausefalle erst wieder etwas erholen. In Bezug auf letztere sehe ich mich übrigens zu dem beschämenden Geständnis genötigt, daß ich in Bezug auf den Jubelhymnus der Gläubiger (in Nr. 15 Ihres Blattes am Ende) mystifiziert worden bin; derselbe ist, wie ich inzwischen erfahren, von Anfang bis zu Ende erdichtet. Es ist ein Stückchen à la Sanchuniathon, Simonides und anderen Fälschern, denen, wie das celebre Beispiel der Moabiters Altertümer aus den jüngsten Jahren gezeigt hat, selbst gelehrte Körperschaften zum Opfer fallen können, und das im vorliegenden Falle, wie ich zu meiner Entschuldigung hinzufügen will, gleich mir auch andere getäuscht hat. Es ist von mehreren Seiten die Frage an mich gerichtet worden Tatsächlich wahr!, wo denn das lateinische Original des Jubelhymnus sich finde, und ob es bereits gedruckt sei, oder ob man warten müsse, bis Bruns in einer neuen Auflage der fontes juris Romani antiqui es zum Gemeingut der gelehrten Welt machen werde. Diese Nachfragen bestimmten mich zu Nachforschungen, deren bedauerliches Ergebnis ich Ihnen mitgeteilt habe. Schade darum! Es wäre so schön gewesen, wenn der Jubelhymnus echt gewesen wäre! Denken Sie übrigens von meiner Ansicht über die usucapio pro berede lucrativa, die in dem Jubelhymnus eine Stütze zu finden glaubte, darum nicht schlechter. Derselbe hätte echt sein können, er hatte innere Wahrheit, und das ist mehr, als man von manchen Restitutionsversuchen lückenhafter echter Originaltexte aus dem Altertum behaupten kann; der Jubelhymnus braucht sich vor manchen Restitutionen des Textes unserer Quellen durch ganz namhafte Gelehrte nicht zu schämen.

Jetzt zu unserem gegenwärtigen Thema.

»Reich und arm im altrömischen Civilprozeß? – fragen Sie mich verwundert – ich habe nie von diesem Gegensatz im alten Recht reden hören. Gab es im alten Rom ein anderes Prozeßrecht für Reiche als für Arme, reichte unser heutiges Armenrecht vielleicht in das graue Altertum hinauf?« Sie haben recht, sich zu verwundern, auch ich habe von diesem Thema nie etwas gehört, es ist meine eigene Erfindung, »myne eegene Inventie«, wie ein Holländer in Karlsbad mit Stolz antwortete, der mit einem Orden erschien, den noch niemand gesehen hatte, und durch den er in dem Maße die öffentliche Aufmerksamkeit erregte, daß jemand sich die Freiheit nahm, ihn darüber zu befragen, worauf er die Antwort erhielt: myne eegene Inventie! Sie kennen die Quelle, aus der ich meine rechtshistorischen Entdeckungen beziehe: meine rechtshistorische Cigarre. Einer feinen Havanna hätte es für dieses Thema nicht bedurft, eine gewöhnliche österreichische Regiecigarre hätte dieselben Dienste getan, oder minder bildlich: die Dinge, die ich Ihnen im Folgenden mitteilen will, sind ohne große Mühe zu finden, es bedarf keines gewaltsamen Kopfzerbrechens, sondern nur des einfachen Nachdenkens. Aber freilich zwischen den Zeilen muß man in unseren Quellen schon zu lesen verstehen, denn mit dürren Worten enthalten sie von alledem, was ich ihnen zu entnehmen gedenke, nicht das mindeste, und weil auch bei diesem Punkt niemand dies Lesen zwischen den Zeilen versucht hat, so ist mein obiges Thema bis auf den heutigen Tag der Wissenschaft gänzlich unbekannt geblieben. Ich hoffe dasselbe so zu Ehren bringen zu können, daß fortan niemand daran mehr achtlos vorübergehen soll. Bestünde der Gewinn, den ich mir von meiner Arbeit verspreche, lediglich in der Aufhellung einer bisher übersehenen Seite des altrömischen Prozesses, so würde ich vielleicht Anstand nehmen, mein Thema vor einem Leserkreise vorzugsweise österreichischer Juristen zu behandeln, allein das Interesse, welches sich an dasselbe knüpft, geht über den altrömischen Prozeß weit hinaus, es ist ein Stück römischer Geschichte, das ich Ihnen vorführen werde, und zwar ein Beitrag zur Geschichte des Klassenkampfes zwischen Patriziern und Plebejern.

Der Boden, auf dem sich unsere Untersuchung bewegt, ist das altrömische Prozeßverfahrem der Legisaktionenprozeß. Über das eigentümliche Wesen desselben will ich mich hier nicht auslassen, da ich zu dem Zwecke mich selber ausschreiben müßte Ich verweise auf meinen Geist des römischen Rechts, Teil 2, Abt. 2, S. 631-663 (Aufl. 4, Leipzig 1880).. Es wird Ihnen bekannt sein, daß dasselbe in der strengen Durchführung des Grundsatzes: nulla actio sine lege bestand, oder, wie ich es dort genannt habe, in der eigentümlichen gesetzlichen Citiermethode, vermöge deren jeder Anspruch vor Gericht in denselben Worten auftreten mußte, mittelst welcher das Gesetz seiner gedacht hatte.

Dies alte Prozeßverfahren kannte nach Gajus (IV, 12) fünf verschiedene Arten, von denen für unseren Zweck zunächst nur zwei: die legis actio sacramento und per manus injectionem in Betracht kommen. Da ich nicht weiß, ob dieselben Ihnen und Ihren Lesern noch von den Universitätsstudien her in Erinnerung sind, so halte ich es für nötig, das für meine Zwecke Erforderliche darüber mitzuteilen.

Wir wenden uns zunächst der legis actio sacramento zu. Dieselbe enthielt die normale Form des altrömischen Prozeßverfahrens ( generalis erat, wie Gajus IV, 13 sagt), welche überall zur Anwendung gelangte, wo nicht eine andere speciell vorgeschrieben war. Das Eigentümliche dieser Prozeßform bestand in dem sacramentum, dem Succumbenzgelde, das die sachfällige Partei einbüßte, und das bei Streitobjekten im Wert von 1000 As und darüber 500 As, bei Streitobjekten geringeren Wertes 50 As betrug. Formell drehte sich der Prozeß nicht um die Streitsache selber, sondern um die Frage, welche von den beiden Parteien ihr sacramentum verwirkt habe, das Urteil lautete auf: sacramentum (Auli Agerii, Numerii Negidii) justum esse, ähnlich wie im Formularprozeß bei der Klage aus einer sponsio praejudicialis, wo die Streitsache in die Form einer von den Parteien abzuschließenden Wette gebracht ward, und der Richter ebenfalls nur mittelbar über sie erkannte, indem er entschied, welche von den beiden Parteien die Wette gewonnen habe. Während aber bei dieser modernen Gestalt der Prozeßwette die Wettsumme der Partei selber zu- oder abgesprochen wurde und so minimal angesetzt war, daß schon ihr Betrag ihre wahre, d. h. rein formelle, processualische Bedeutung kundgab, verhielt sich dies beim Sakramentum anders. Dasselbe fiel nicht an die Partei, sondern an das Ärar ( Gajus IV, 13: in publicum cedebat). Die ursprüngliche Form, von der das sacramentum auch seinen Namen hatte, bestand meiner Ansicht nach darin, daß es an den geistlichen Fonds fiel, um für Kultuszwecke verwandt zu werden. Diese Verwendung wird uns von Festus Festus sub sacramentum: – – – consumebatur id in rebus divinis. ausdrücklich bezeugt. Zu dieser Notiz von ihm fügt Varro ( de lingua latina V, 180) eine andere hinzu, welche uns meines Erachtens instand setzt, die ursprüngliche Gestalt der Sache vollständig zu rekonstruieren, nämlich die, daß die Parteien ihr Sakramentum »in sacro« oder »ad pontem« deponiert hätten, d. i. beim pons sublicius, wo die Pontifices ihren Sitz hatten. Die Deposition erfolgte also bei den Pontifices. Der Sieger erhielt das seinige zurück, das der sachfälligen Partei war verwirkt. Bei der späteren Gestaltung der Sache, die Gajus vor Augen hat, ward das Sakramentum nicht mehr bei Beginn des Prozesses deponiert, sondern die Parteien bestellten dem Prätor Sicherheit ( praedes) dafür; das des unterliegenden Teils ward dann nach Beendigung des Prozesses, wie Festus in der obigen Stelle berichtet, zufolge der lex Papiria von den mit der Exekutivjustiz betrauten triumviri capitales beigetrieben und an das Ärar abgeführt.

Daß diese zwei verschiedenen Formen der Beschaffung des sacramentum: durch sofortige Deposition und durch spätere Beitreibung gegen vorherige Bürgschaftsstellung, zwei verschiedene Entwickelungsstufen des Institutes repräsentieren, und zwar jene die ältere, diese die jüngere, darüber herrscht unter den Rechtshistorikern nahezu Einstimmigkeit Die neuerdings aufgestellte abweichende Ansicht von Huschke wird unten berührt werden., und ich halte es nicht für nötig, die naheliegenden Gründe für diese Annahme des weiteren zu entwickeln. Wer etwas von der Entwickelung des römischen Rechtes kennt, wird nicht im Zweifel darüber sein, in einem Fall, wo zwei Formen eines und desselben Instituts bezeugt sind: eine sakrale oder religiöse und eine profane oder weltliche, die erstere der älteren, die andere der neueren Zeit zuzuweisen. Sprachlich dokumentiert sacramentum schon durch den Namen seine ursprünglich religiöse Bedeutung. Dazu gesellt sich noch die sachliche Notiz, daß dasselbe für Kultuszwecke verwandt und von der geistlichen Behörde: den Pontifices erhoben wurde, und wie man immer auch über die von mir aufgestellte Hypothese In meinem Geist des römischen Rechtes, Teil 1, S. 302-307 (Auflage 4). denken mag, der zufolge die legis actio sacramento in ihrer ursprünglichen Gestalt das Verfahren vor dem geistlichen Gericht bedeutet habe, so viel ist jedenfalls quellenmäßig bezeugt 1. 2, §6 de O. J. (1, 2) .... Omnium tarnen harum et interpretandi scientia et actiones apud collegium pontificum erant, ex quibus constituebatur, quis quoquo anno praeesset privatis., daß den Pontifices in alter Zeit ein maßgebender Anteil an der Rechtspflege zustand, und daß der profanen Periode der Jurisprudenz, welche mit Coruncanius beginnt, eine geistliche vorausgegangen ist. Dieser Periode entstammt die legis actio sacramento in ihrer ursprünglichen Gestalt, wir können letztere als die geistliche, und diejenige, von der Gajus uns berichtet, als die profane bezeichnen. Der Fortschritt von der einen zur anderen charakterisierte sich nicht bloß dadurch, daß die Kasse, in die das sacramentum floß, eine andere ward (kirchlicher Fonds – Ärar) und dem entsprechend auch die Behörde, welche das sacramentum beizutreiben hatte (Pontifices – Prätor), sondern daß auch die Art der Beitreibung sich änderte (Anfang – Ende des Prozesses). Meiner Meinung nach schlägt die herrschende Ansicht die letztere Veränderung zu gering an, wenn sie in ihr bloß ein Änderung des Erhebungs-, nicht auch des Verwendungsmodus erblickt. Die Intraden aus dem Sakramentprozeß gehörten, nach meiner Ansicht, seit jener Änderung dem Staat, »in publicum cedebat«, wie Gajus sagt, womit auch Varro an angeführter Stelle: ad aerarium redibat übereinstimmt, nur daß er dies schon für die Zeit, wo das Sakramentum noch von den Pontifices erhoben ward, annimmt, was ich für falsch halte, da sich mit der auf religiöser Satzung beruhenden Bestimmung jener Gelder ( Festus: consumebatur id in rebus divinis) die Abführung derselben in die Staatskasse, welche eine Verwendung derselben für profane Zwecke ermöglicht hätte, nicht vertrug. Wir können demnach die Veränderung, welche mit Übertragung des sacramentum von den Pontifices an den Prätor vor sich ging, mit einem modernen Ausdruck als Säkularisation der Sakramente bezeichnen.

Was konnte den Staat zu dieser Maßregel bestimmen? Sicherlich nicht das Verlangen, sich auf Kosten der Kirche zu bereichern, denn im Vergleich zu den enormen Einnahmequellen, welche dem römischen Staat in der Blütezeit der Republik zu Gebote standen, war die aus den Sakramenten fließende so unbedeutend klein, daß sie die Staatsgewalt nicht in Versuchung bringen konnte, ihretwegen einen Eingriff in das Recht der Kirche vorzunehmen. Es muß ein anderer Grund gewesen sein. Man könnte geneigt sein, ihn in dem Umschwunge zu erblicken, der, den Berichten unserer Quellen zufolge, ungefähr ein Jahrhundert nach den XII Tafeln auf dem Boden des Rechts vor sich ging: die Emancipation desselben von dem dominierenden Einfluß des Pontifikal-Kollegiums. Hörte letzterer auf, waren also die Pontifices es nicht mehr, welche das Depot der Prozeßformeln unter sich hatten, so fiel damit auch der Rechtstitel für die fernere Erhebung der Sakramente hinweg. Allein so wenig ich den Zusammenhang zwischen der Verweltlichung der Jurisprudenz, um es kurz auszudrücken, und der veränderten Erhebung des sacramentum verkenne, so reicht doch dieser allein nicht aus, die Änderung, die im übrigen mit der Gestaltung der legis actio sacramento vor sich ging, zu erklären. Warum setzte man an Stelle der bisherigen Deposition des sacramentum das Kreditieren desselben gegen Sicherstellung? Diese Frage ist von jener Änderung gänzlich unabhängig. Die bisherige Rechtsgeschichtsschreibung hat dieselbe weder beantwortet noch einmal aufgeworfen, sie begnügt sich mit dem einfachen Faktum, ohne den Gründen desselben nachzugehen. Und doch hätte dasselbe wohl verdient, zum Gegenstande des Nachdenkens gemacht zu werden. Ich hoffe Ihnen demnächst zeigen zu können, daß diese Maßregel von einer eminenten socialen Bedeutung war.

Hiemit habe ich das mir für meine Zwecke erforderliche Material in Bezug auf die legis actio sacramento zusammengetragen. Ich wende mich jetzt der legis actio per manus injectionem zu.

Wer eine dem Gegner rechtskräftig zuerkannte oder vor Gericht zugestandene oder in der bekannten Form des Nexum vor dem Libripens und fünf Zeugen eingegangene Geldschuld (wozu auch das Damnationslegat gehörte), in heutiger Sprache ausgedrückt: eine Wechselschuld, bestreiten wollte, ward damit nicht selber in eigener Person gehört, sondern mußte einen Vindex stellen, der im Fall des Unterliegens zur Strafe für seinen Eingriff in das Recht des Gläubigers neben dem Schuldner den Schuldbetrag zu entrichten hatte. Es war dies die ursprüngliche Gestalt aller jener Ansprüche, bei denen im späteren Recht den Schuldner bei einer Bestreitung des Anspruches im Fall des Unterliegens für sein Leugnen die Strafe des Doppelten traf ( ubi lis crescit inficiando in duplum).

Die legis actio per manus injectionem stimmte also mit der legis actio sacramento darin überein, daß sie dem unterliegenden Teil eine Strafe androhte, und zwar völlig unabhängig davon, ob er mala oder bona fide den gegnerischen Anspruch bestritten hatte. Wer Unrecht erhält, ist eben darum in Schuld und muß bestraft werden Eine eingehende Begründung dieses Gedankens habe ich gegeben in meinem Schuldmoment im römischen Privatrecht, Gießen 1867, abgedruckt in meinen vermischten Schriften, Leipzig 1879, S. 155 ff., insbesondere S. 163-176; Nachträge über das griechische und altnordische Recht, daselbst S. 230-234. – das fordert das gereizte Rechtsgefühl des Gegners, der die Bestreitung seines Rechts als einen Versuch der Entziehung desselben empfindet, und das entspricht auch dem öffentlichen Interesse. Denn das Gemeinwesen hat das lebhafteste Interesse daran, der Streit- und Prozeßsucht, die gerade auf niederen Kulturstufen in der Wildheit und Roheit des Volkes eine unversiegbare Quelle besitzt und die größten Gefahren für das Gedeihen des Gemeinwesens in sich birgt, möglichst zu steuern. Zank und Streit, zu allen Zeiten und in allen Lagen ein Übel, da sie nutzlos Kräfte verzehren, die eine bessere Verwendung gestatten, schließen für die Epochen, die ich hier im Auge habe, eine gesteigerte Gefahr in sich, da das Feuer der Zwietracht, einmal angefacht, hier nur zu leicht über den engen Herd, auf dem es zuerst entzündet ward, hinausgreift und außer den zunächst beteiligten Personen eine Reihe anderer: Freunde, Verwandte, Parteigenossen in Mitleidenschaft zieht und damit einen allgemeinen Brand zu entzünden droht. Bei uns spielen sich die Prozesse regelmäßig nur zwischen den beiden Parteien ab, andere Personen, auch wenn sie ihnen noch so nahe stehen, werden dadurch nicht berührt. Unsere heutigen Prozesse gleichen Krankheitsfällen, welche dritten Personen keine Ansteckung drohen. Aber in den Zeiten der Roheit, wo der Streit als solcher noch einen hohen psychologischen Reiz hat: den des Auslasses der wilden überschüssigen Kraft, einer Kraftprobe, an der das Individuum seinen Mut und Charakter erweist, eines vor Gericht verlegten Zweikampfes, in diesen Zeiten, wo die Hauptaufgabe des Rechtes zunächst noch darauf gerichtet sein muß, den Trotz des Individuums zu bändigen und das Volk an Zucht und Ordnung zu gewöhnen, in diesen Zeiten birgt selbst der Streit in den Formen des Rechtes eine Gefahr in sich, von der wir heutzutage ebensowenig eine Ahnung haben, wie von dem »schwarzen Tod« des Mittelalters: die Gefahr einer verheerenden Seuche, welche über das Haus, in dem sie ausgebrochen, sich weit hinauserstrecken und große Kreise in Mitleidenschaft ziehen kann. Ein ursprünglich bloß zwischen zwei Personen entbrannter Prozeß kann sich hier zu einer allgemeinen Kalamität gestalten. Darum bedarf es in diesen Verhältnissen eines starken Gegengewichtes gegen die Verlockung zum Prozeß. Die Maßregeln, welche das Recht gegen die Prozeßsucht hier ergreift, stehen auf einer Linie mit denen unserer heutigen Sanitätspolizei, welche dem Umsichgreifen einer Seuche Einhalt tun sollen, sie lassen sich geradezu als sanitätspolizeiliche Maßregeln des Civilprozesses bezeichnen.

Aus diesem Gesichtspunkt erklären sich die Prozeßstrafen – denn so muß man sie nennen, wenn man ihr wirkliches Wesen bezeichnen will, nicht Prozeß kosten So für das Sakrament Gaj. IV, 13 poenae nomine, 14: poena. – denen wir in so manchen unentwickelten Rechten begegnen; sie haben die Bestimmung eines ökonomischen Abschreckungsmittels vom Prozessieren, einer Strafe für die über das Gemeinwesen durch den Prozeß heraufbeschworene Gefahr. Um über diesen Gesichtspunkt keinen Zweifel übrig zu lassen, mögen folgende Strafsätze der XII Tafeln dienen. Das Gesetz setzte auf das Abhauen fremder Bäume 25 As, auf gewöhnliche Injurien ebensoviel, auf Knochenbrüche ( os fractum) bei einem Freien 300, bei einem Sklaven 150 As. Bei einem Sakramentsprozeß dagegen über einen Gegenstand von 1000 As oder darüber betrug das Succumbenzgeld 500 As, und bei der legis actio per manus injectionem steigerte sich die Strafe sogar auf den ganzen Schuldbetrag, möglicherweise also auf viele Tausende von As – also Summen, welche alle gesetzlich fixierten Strafsummen weit hinter sich ließen. Ich füge als weiteren Anhaltspunkt für die richtige Würdigung der Höhe dieser Prozeßstrafen noch zwei Sätze aus jener Zeit hinzu. Ein Schaf ward bei der gesetzlichen Fixierung der Brüche ( multa) durch die lex Aternia Tarpeja (300 U. C.) in Geld zu 10, ein Rind zu 100 As angesetzt – wahrscheinlich ein recht mäßiger Ansatz, der aber jedenfalls nicht im grellen Mißverhältnis zu dem dermaligen Geldwert beider gestanden haben kann.

Außer diesem ökonomischen Abschreckungsmittel kannte das römische Recht noch ein moralisches: den Eid ( juramentum calumniae).

Sie werden mir zugestehen, daß die alten Römer die Gefahren, welche durch das Prozessieren dem Gemeinwesen drohten, richtig zu würdigen und ihnen in energischer Weise zu begegnen verstanden. Ein Prozeß im alten Rom war ein Entschluß, den jeder sich reiflich überlegen mußte. Lieber mochte er seinem Gegner Arm oder Bein entzweischlagen, ihm Ohrfeigen und Schläge versetzen, er zahlte dann nur die Taxe von 300 oder 25 As, damit war die Sache abgetan. Bei einem Prozeß aber stand mehr auf dem Spiel. Bei einem Prozeß über den allergeringsten Wertgegenstand von wenigen As betrug das sacramentum bereits 50 As, bei einem Betrag von 1000 As 500. Und diese Summen mußten sofort bar erlegt werden. Es ist das ein Punkt von eminenter Wichtigkeit, den man bisher viel zu wenig beachtet hat, und dem wir im Folgenden unsere ganze Aufmerksamkeit zuwenden wollen.

In Bezug auf den Entschluß zu einer Ausgabe macht es zweifellos einen großen Unterschied, ob man dieselbe sogleich bar zu bestreiten hat, oder ob man die Zahlung auf die Zukunft verschieben kann, und als Praktiker werden Sie mir zugestehen, daß, wenn die Klienten bei Anhängigmachung eines Prozesses statt relativ geringer Vorlagen, die sie dem Rechtsbeistande zu machen haben, den gesamten schließlichen Kostenbetrag sofort bar auf den Tisch zahlen müßten, gar mancher von ihnen sich die Sache reiflich überlegen und wahrscheinlich vom Prozeß zurückschrecken würde. Viele Parteien haben über die Höhe, zu der die Prozeßkosten anwachsen können, gar keine Vorstellung, es fehlt ihnen das Bewußtsein des hohen Einsatzes, um den sie spielen. Der alte Römer kannte ihn!

Und selbst zwischen Wissen und Barzahlung besteht immer noch ein großer Unterschied. Bei dem bloßen Wissen hilft man sich nicht selten mit dem bekannten Trostgrunde: das findet sich später – der bekannte Wechsel, den der Mensch so gern auf die Zukunft zieht. Bei der Barzahlung fällt diese Vertröstung auf die Zukunft hinweg, die Gegenwart streckt ihre begehrliche Hand aus und gibt sich mit dem Wechsel nicht zufrieden. Im altrömischen Prozeß ward wie bei der Spielbank nur um bar gespielt, der Einsatz mußte sofort beim Beginn des Prozesses entrichtet werden, die Prozeßstrafen standen, wenn ich mich so ausdrücken darf: am Eingang, nicht am Ausgang der Gerichtsstätte. Ein Prediger rühmte es als Beweis der Güte und Weisheit Gottes, daß er den Tod an das Ende und nicht an den Anfang des menschlichen Lebens gestellt habe. Beim Prozeß könnte man in Versuchung geraten, es als Beweis der Weisheit einer Gesetzgebung zu rühmen, wenn sie die Zahlung der Prozeßkosten, statt an das Ende, an den Anfang des Prozesses bringen würde.

Ob es mir damit Ernst ist, fragen Sie mich? Aufrichtig gesagt: Nein! Ich habe die Gewohnheit, wo es gilt, den verschiedenen Seiten eines und desselben Instituts gerecht zu werden, mich in diejenige, welche ich augenblicklich behandle, mit voller absichtlicher und bewußter Einseitigkeit hineinzudenken, ich möchte sagen: mich in sie zu verlieben, gleich als sei sie die einzige, die in Betracht kommt. Bei der folgenden, die an die Reihe kommt, mache ich es ebenso, die vorhergehende ist dann völlig vergessen – beim Verlieben kommt das ja ebenfalls häufig vor! – ich bin dann sicher, daß keine von ihnen zu kurz kommt. So habe ich es auch hier gemacht. Ich habe die Vorteile jener römischen Einrichtung in einer Weise hervorgehoben, daß jeder, der mir bisher gefolgt ist, glauben müßte, ich kennte nichts Vollkommeneres auf der Welt. Sie werden im Folgenden erfahren, daß ich auch für die Schattenseite derselben ein offenes Auge habe, und ich werde mich bemühen, dieselbe in ein ebenso helles Licht zu setzen, wie die soeben behandelte Lichtseite.

Statt meiner lasse ich einen alten Römer aus dem vierten Jahrhundert der Stadt, einen armen Mann aus der Plebs, das Wort nehmen. Es kostet mich nur einige wenige Züge aus meiner Cigarre, und er ist da.

Die Scene spielt auf dem Forum vor dem Prätor. Vor ihm erscheint unser Mann als Kläger in Begleitung eines reichen Patriciers, den er in jus vociert hat. Während der Kläger als Soldat im Felde stand, ist dessen Vater gestorben, und diese Gelegenheit hat sein Nachbar, der gegenwärtige Beklagte, benutzt, um sich in den Besitz von dessen Anwesen zu setzen. Da er die Herausgabe verweigert, so kommt es zum Prozeß. Der Kläger hat dem Prätor den Fall vorgetragen, und es entspinnt sich zwischen ihnen folgendes Gespräch, bei dem der Prätor als Standesperson die Ehre der Gänsefüßchen genießen soll.

»Wie hoch beläuft sich der Wert Deiner Ländereien, über oder unter 1000 As?«

Wenigstens auf 1500 As.

»Dann hast Du, bevor die Sache anhängig gemacht werden kann, zunächst bei den Pontifices 500 As zu deponieren. Gehe hin zu ihnen, zahle die Summe ein und bringe den Depositionsschein mit, dann will ich die Klage annehmen.«

Es ist mir unmöglich, das Geld aufzutreiben. Woher soll ich armer Mann, dem seine ganze Habe vom Beklagten vorenthalten wird, bare 500 As nehmen?

»Das ist Deine Sache; ohne vorherige Deposition des Sakraments kann ich die Klage nicht annehmen.«

Aber meine Sache ist ja die klarste von der Welt; die Zeugen, die ich mitgebracht habe, sind bereit, jedes Wort, das ich gesagt habe, zu beschwören; nicht ich, sondern der Beklagte wird den Prozeß verlieren und schließlich das sacramentum zu entrichten haben.

»Das sagt ein jeder. Ich meinerseits kann Dir nicht helfen, mir sind die Hände gebunden; wende Dich an die geistlichen Väter, vielleicht erlassen sie Dir die Deposition.«

Damit ist die erste Scene zu Ende. Die zweite spielt am Pons sublicius vor dem in diesem Jahre mit den Rechtshändeln betrauten Mitglied des Pontifikalkollegiums; sie dreht sich um die Deposition des sacramentum.

Der Kläger bittet, ihm die Deposition zu erlassen, da er nicht imstande sei, das bare Geld aufzutreiben.

»Ob Du reich oder arm bist, macht keinen Unterschied; bei uns gilt kein Ansehen der Person, vor dem Gesetz ist jeder gleich.«

Eine schöne Gleichheit! Was für den Reichen eine Kleinigkeit, bildet für den Armen ein unübersteigliches Hindernis, es ist die Gleichheit, welche dem schwachen Kinde dieselbe Last zu tragen auferlegt wie dem starken Manne – den Sakramentssatz von 500 As haben die reichen Leute erfunden, um uns armen Teufeln das Prozessieren nahezu unmöglich zu machen.

»Hüte Dich, die Gesetze Roms zu lästern, sonst könnte es Dir schlecht ergehen. Ich kann nur die Gesetze anwenden, nicht sie machen.«

Kreditiere die 500 As, Du kannst es ohne Gefahr tun, mein Prozeß kann gar nicht verloren gehen.

»Die Götter kreditieren nicht, sie halten es mit der Barzahlung, und ich darf ihren Rechten nichts vergeben, die heiligen Bücher verbieten es mir. Aber leih Dir doch das Geld von anderen.«

Wer leiht es mir? Hätte ich mein Erbgut in Händen, so würde es mir ein Leichtes sein, aber gerade dies wird mir ja vorenthalten.

»Dann ist Dir allerdings nicht zu helfen – Du kannst gehen.«

Damit zieht der Mann ab; der menschenfreundliche Pontifex aber begibt sich den Nachmittag zu dem Beklagten, seinem Vetter, und erstattet ihm Bericht über den Vorgang.

»Dein Gegner bringt das sacramentum nicht zusammen, ich gratuliere Dir, sein Acker ist schon so gut wie der Deinige. Das verdankst Du bloß uns und unserer weisen Einrichtung des sacramentum. Dafür kannst Du der Kirche eines von Deinen fetten Rindern widmen.«

Darauf soll es mir nicht ankommen; ich werde mich Euch dankbar beweisen – ein Rind fällt für mich bei der Sache schon ab.

Damit endet das Stück. Der Arme kann das Geld nicht aufbringen, und der Reiche behält den Acker. Es ist die Fabel des Nathan von dem reichen Mann und dem Schäflein des Armen, und sie wird in Rom nicht ein-, sondern tausend Mal gespielt haben.

Unseren Rechtshistorikern macht dieser Punkt der Aufbringung des sacramentum nicht die geringste Schwierigkeit; ich habe noch keinen gefunden, der daran Anstoß genommen hätte. Der Theoretiker wird mit den Voraussetzungen, an welche das Recht das Dasein oder die Geltendmachung von Ansprüchen geknüpft hat, leicht fertig – er denkt sie sich, und sie sind da – man wird an den Ausspruch des Psalmisten erinnert: »Wenn er spricht, so geschieht's, und wenn er gebeut, so steht es da.« Denken und Sein ist eins. Es gibt kein menschliches Gehirn, in dem der Gedanke der Identitätsphilosophie sich so leicht vollzieht als in dem des theoretischen Juristen. Was kümmert ihn die Frage, wie die Voraussetzungen, die er in abstracto aufstellt, in concreto bewiesen, und woran die haarscharfen Unterschiede, welche er in den Begriffen aufzudecken versteht, erkannt werden sollen? Das ist Sache des Praktikers; mag er zusehen, wie er damit fertig wird, für den Theoretiker handelt es sich nur darum, sich die Dinge richtig zu denken. Sein kühner Gedankenflug würde gänzlich gehemmt sein, es würde ihm ein Bleigewicht an seine Ferse geheftet werden, wenn er Rede und Antwort stehen sollte, wie seine Gedanken bei der Rechtsanwendung in Wirklichkeit umgesetzt werden sollen. Ich komme darauf im letzten Abschnitt der Schrift zurück.

Aber in der Wirklichkeit geht es mit der Sache leider nicht so leicht, das schönste Recht kann an einer armseligen Voraussetzung, die der Theoretiker kaum der Beachtung wert hält, scheitern. Fünfhundert As sind für jemanden, der sie sich bloß zu denken braucht, eine Kleinigkeit; aber für denjenigen, der sie erlegen soll, unter Umständen eine unaufbringliche Summe. Ein bewundernswertes Probestück dieser Fertigkeit des Theoretikers, sich mittels bloßen Denkens mit den realen Dingen abzufinden, hat einer unserer gelehrtesten Rechtshistoriker – man darf ihn wohl, ohne jemandem zu nahe zu treten, den gelehrtesten von allen lebenden nennen – geliefert, ich meine Huschke. Die multa und das sacramentum. Leipzig, 1874, S. 441. Er ist harmlos genug zu meinen: die Deposition des sacramentum sei in Rom gesetzlich gar nicht einmal vorgeschrieben gewesen, sondern die Parteien hätten die Summe freiwillig deponiert, »um damit ihre Zuversicht auf die Gerechtigkeit ihres sacramentum auszudrücken«. In dem Rom, wie er sich es denkt, hatte jeder, auch der arme Teufel, stets 500 As vorrätig, um sie, selbst wo das Gesetz dies nicht von ihm verlangte, deponieren zu können. Daß er durch die Deposition sich der Zinsen beraubte, die er sonst hätte gewinnen können, kam bei der bekannten Gleichgültigkeit der alten Römer gegen Gelderwerb nicht in Betracht. Was lag einem solchen alten Römer, dem es nur darauf ankam, »die Gerechtigkeit seiner Sache zu dokumentieren«, an den Zinsen? Eine reine Bagatelle, ganz so wie das Kapital. Dasselbe zu haben war für den alten Römer à la Huschke eben so leicht, wie für seinen Schöpfer es sich in dessen Händen zu denken!

Für diejenigen meiner Leser, welche den Namen dieses Gelehrten nicht kennen sollten, füge ich die Notiz hinzu, daß er es ist, der die Zoologie durch sein bloßes Denken mit dem Bovigus bereichert hat. Es war dies ein Tier, das später verloren gegangen ist, und von dem sich auch keine fossilen Überreste mehr erhalten haben, das aber nichtsdestoweniger aus Vernunftgründen existiert haben muß. In seiner »Verfassung des Servius Tullius« (Heidelberg 1838) gelangt Huschke zu der Überzeugung, daß den fünf Censusklassen fünf zu den res mancipi gehörige Tiere entsprochen haben müssen, so daß jede das ihrige hatte, wie jeder der vier Evangelisten das seinige. Allerdings kennen die Römer nur vier, was aber Huschke nicht geniert, indem er dem Mangel durch Erfindung des fehlenden fünften abhilft, das er, nachdem er dessen logische Notwendigkeit begründet hat, auf S. 252 in den Kreis der realen Geschöpfe einführt, und von dem er eine anschauliche Schilderung entwirft. Dasselbe stützt den logisch zwingenden Grund seines Daseins darauf, daß »beim Ackern der Mensch neben dem Stiere hergehen, ihn antreiben und den Pflug regieren muß, daß aber diese Bewegung eines Körperlichen dem Menschen seiner universellen Natur nach völlig abgenommen werden muß«, weil sonst »die Schöpfung, wie sie aus Gottes Hand hervorging, unvollkommen geblieben sein würde« – wobei er sich leider auf die Frage nicht einläßt, ob nicht auch die Mühe des Holzhackens, Brodbackens, Stiefelwichsens u. s. w. dem Menschen wegen seiner universellen Natur, und weil sonst die Schöpfung unvollkommen geblieben sein würde, ursprünglich durch besondere Tiere abgenommen worden ist. Der Städter durfte dieselbe Erleichterung durch ein besonderes Tier beanspruchen, welche dem Landmann zuteil ward, und wenn der Plan der Schöpfung vollständig verwirklicht worden ist, so muß es eine schöne Kollektion interessanter Haustiere gegeben haben, welche »dem Menschen die Bewegung eines Körperlichen völlig abnahmen«. Mit demselben Recht, mit dem der Bauer ein besonderes Tier verlangen konnte, durfte es auch der Holzhacker, Bäcker, Schuster. Wie es aber darum auch sei, jedenfalls war der Bauer so glücklich, ein solches Tier zu erhalten, »welches dem Menschen jene drei körperlichen Bewegungen (das Gehen neben dem Stier – das Antreiben desselben – das Regieren des Pfluges) abnahm und ihm bloß die geistige Lenkung des Aktes überließ«. Dasselbe trieb den Stier, »was vermutlich durch Rüssel und Stoßzähne geschah« .... »das Halten des Pfluges wurde ohne Zweifel durch einen starken Schwanz bewirkt«, während der Mensch auf dem dazu »geschmeidig« eingerichteten Rücken saß. Im Nachtrage (S. 716) berichtigt er seine Idee, daß »nach der vollkommenen Schöpfung der Bovigus mit dem Schwanz den Pflug gehalten habe«, dahin, daß er »nach nochmaliger Prüfung dies für irrig halte, vielmehr glaube, daß ein Rüssel zu diesem Zweck gedient habe«, was er mit ganz einleuchtenden spekulativen Gründen beweist.

Sie kennen jetzt genug von Huschke, um es nicht verwunderlich zu finden, daß ihm zufolge die Römer, ohne durch das Gesetz dazu genötigt gewesen zu sein, freiwillig das sacramentum deponiert haben. Wer an den Bovigus glaubt, dem wird dies zu glauben wahres Kinderspiel sein! Aber wer nicht über dieses Maß der Glaubenskraft gebietet, wird nicht umhin können, seine gewichtigen Zweifel zu äußern. Ein alter Römer sollte, wo er es nicht not hatte, Geld aus den Händen gegeben haben? Das hätte selbst der Reichste nicht getan, schon der Zinsen wegen, die er auf diese Weise eingebüßt hätte, denn beim Tempel lag das Geld zinslos. Aber was sind Huschke die Zinsen, welche die Parteien zweckloserweise einbüßen würden? – – – »was ist ihm Hekuba«? Und dasjenige, was selbst der Reichste in Rom nicht getan haben würde, sollen wir sogar beim Armen für möglich halten! Aber freilich von der Wolkenregion aus, von der Huschke die römische Welt betrachtet, ist der Unterschied zwischen reich und arm gar nicht mehr wahrzunehmen, er ist vollständig überwunden, alles Irdische, was den Dingen anklebt, ist in diesen Regionen abgetan, es existieren hier nur noch die Rechtsbegriffe, die verklärten Wesen, welche das juristische Jenseits bewohnen und sich hier im reinen Äther baden. Begnadet der Geist, der im seligen Anschauen von ihnen sich der Sorgen des Diesseits entschlägt und im juristischen Himmel Ich werde den theoretisch-juristischen Himmel in der dritten Abteilung des Werkes schildern. mit ihnen wohnt – wenn er nur nicht aus der Rolle fallen und sich auf die Erde verlieren und über praktische Dinge reden wollte!

Um Huschke gerecht zu werden, muß ich übrigens hinzufügen, daß er noch einen zweiten Grund namhaft macht, der nicht minder originell ist, als die Ansicht, für die er aufgeboten wird. Er hat die Entdeckung gemacht, daß die Parteien durch Anhängigmachung des Sakramentsprozesses sich den Göttern weihten und sich dadurch in den Zustand eines homo sacer versetzten (a. a. O. S. 367). Von diesem Zustand hätten sie sich für den Fall des Unterliegens durch vorherige Deposition des sacramentum sofort befreien wollen. Das war ihnen allerdings allen Ernstes auch zu raten! Denn der homo sacer, das heißt der ruchlose Bösewicht, dessen Missetat zum Himmel schrie und durch keine Strafe zu tilgen war, konnte von jedem totgeschlagen werden Ausdrücklich von Dionysius II, 10 bezeugt. Das Nähere in meinem Geist des römischen Rechtes, I. S. 279-287 (Aufl. 4)..

Ein Seitenstück zu diesem homo sacer des Civilprozesses ist die altrömische Schwiegertochter, welche es sich hat beikommen lassen, mit ihrer Schwiegermutter zu hadern. Dafür wird sie nach der Entdeckung eines anderen neueren Gelehrten Moritz Voigt: Über die leges regiae (aus dem VII. Bande der Abh. der philol.-histor. Klasse der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften, Nr. VI), Leipz. 1876, Nr. I, S. 41-45. Festus hat unter plorare folgende lückenhafte Stelle aufbewahrt: si nurus ... sacra divis parentum estod. Diese Lücke füllt nun Voigt in überraschender Weise dadurch aus, daß er das von Festus (Paulus Diaconus) uns aufbewahrte und erklärte Wort: Obambulare aufgreift und demnach restituiert: si nurus Socrui obambulassit. Da Festus dies Wort erklärt als: adversum alios ambulare et quasi ambulanti se opponere, das heißt jemanden begegnen, so würde, wenn Voigt mit seiner Restitution das Richtige getroffen hätte, jede Schwiegertochter in Rom der Acht verfallen sein, welche ihrer Schwiegermutter begegnet wäre, der Anblick derselben wäre für sie gleichbedeutend gewesen mit dem der Gorge oder Medusa, und einer Schwiegertochter in Rom, die ihr Leben geliebt hätte, wäre nichts mehr zu raten gewesen, als der Schwiegermutter um jeden Preis auszuweichen, was allerdings in weiser Vorsicht, wenn schon aus minder zwingenden Gründen, auch bei uns manche Schwiegertöchter zu tun pflegen. ebenfalls vogelfrei ( sacra) – jeder kann sie totschlagen, die Schwiegermutter selber brauchte sich also am wenigsten zu genieren. Es erfaßt einen ein Grausen, wenn man sich das Los der armen Frauen in Rom vergegenwärtigt – ein Zank mit der Schwiegermutter, und sie waren des Todes. Ich möchte den Engel von Frau sehen, bei der die richtige Schwiegermutter dies nicht fertig brächte. Im alten Rom aber werden die Schwiegermütter gänzlich anderer Art gewesen sein als bei uns. – Glückliche Stadt! Darum allein hätte man dort leben mögen, der reichen Barvorräte, die dort auch dem Ärmsten zur Verfügung standen, ganz zu geschweigen.

Kommen wir von der Schwiegertochter zu unserem Armen im Prozeß zurück. Ich glaube Ihnen im Bisherigen gezeigt zu haben, wie sehr demselben die Beschreitung des Rechtsweges bei der legis actio sacramento erschwert worden war, und ich werde Ihnen jetzt in Bezug auf die legis actio per manus injectionem dasselbe nachweisen.

Der Strafsatz für den unterliegenden Beklagten war bei ihr ein so enormer, daß ein Armer es nur bei völlig zweifelloser Sache auf den Prozeß ankommen lassen konnte. Im Sakramentsprozeß riskierte er bei Beträgen bis 1000 As nur den Satz von 50 As, bei jener Prozeßform dagegen war der letztere Satz schon bei einem Schuldbetrage von 50 As erreicht, bei einer Schuld von 500 As erreichte er den höchsten Satz des Sakramentsprozesses, von dort an überstieg er ihn. Dazu gesellte sich noch ein anderer Umstand, der die processualische Lage des Beklagten gegenüber der des Klägers in diesem Prozeß noch außerordentlich viel ungünstiger gestaltete als im Sakramentsprozeß. In letzterem Prozeß riskierte der Kläger ebensoviel wie der Beklagte, in diesem nichts. Unterlag der Gläubiger, so ward er einfach abgewiesen, während der Grundsatz der Gleichheit erfordert hätte, daß er zur Strafe dem Beklagten den unrechtmäßigerweise in Anspruch genommenen Schuldbetrag ganz ebenso hätte entrichten müssen, wie dieser oder sein Vindex ihm, wenn sie unterlagen. Daß der Gläubiger bei der legis actio per manus injectionem nichts riskierte, wird uns zwar nicht ausdrücklich berichtet, allein es ergibt sich, ganz abgesehen von dem Schluß, den man an das Schweigen unserer Quellen über diesen Punkt knüpfen darf, zur Evidenz daraus, daß der Gläubiger, da er in dem Verfahren gegen den Vindex als Kläger dessen Verurteilung beantragte, nach Grundsätzen des römischen Prozesses nicht selber verurteilt werden konnte, wie denn auch in den Fällen des späteren Prozesses, in denen der Beklagte zur Strafe des Leugnens auf das Doppelte verurteilt wurde ( ubi lis inficiando crescit in duplum), und die nur die modernisierte Form der alten manus injectio enthalten, eine solche Verurteilung nicht eintrat. Die Lage der beiden Parteien war also damit in schnöder Mißachtung aller Grundsätze der processualischen Gerechtigkeit höchst ungleich gestaltet, dem Angriff ein enormes Übergewicht über die Verteidigung verliehen. Praktisch war dasselbe gleichbedeutend mit dem Übergewicht des Kapitalisten über den Bedürftigen; dem Kapitalisten waren die Wege des Rechtes geebnet, dem armen Mann in äußerster Weise erschwert. Eine zweifelhafte oder gänzlich unbegründete Forderung in Form der manus injectio geltend zu machen, schloß für den reichen Gläubiger nicht die geringsten Gefahren in sich; sie zu bestreiten, für den armen Mann die größten. Bei der legis actio per manus injectionem erreichte die Ungunst, mit der das Recht den Armen behandelte, ihren höchsten Grad. Im Sakramentsprozeß handelte es sich in erster Linie um Eigentum, Erbrecht, Familie, Freiheit, für diese Verhältnisse beobachtete man noch ein gewisses Maß; ließ man doch für den Freiheitsprozeß sogar stets den niederen Satz von 50 As eintreten, selbst wenn der angebliche Sklave oder Freie einen noch so hohen Wert hatte ( Gaj. IV, 14). Bei der manus injectio hingegen, welche die Interessen des römischen Kapitalisten zum Gegenstande hatte, hörte jede Schonung auf. Hier tritt uns der römische Wucherer entgegen, jener Vampyr der römischen Gesellschaft, über dessen Schonungslosigkeit und Unersättlichkeit uns die Berichte aus jener Zeit so viel zu erzählen wissen; er war es, der sich die manus injectio mit der Strafe des Doppelten auf seinen Leib zugeschnitten und aus ihr eine jener Schlingen gedreht hatte, die er seinem unglücklichen Opfer über den Nacken warf.

Nur in einem Punkt scheint die Lage des Armen bei dieser legis actio vorteilhafter gestaltet gewesen zu sein als bei dem Sakramentsprozeß, – er bedurfte keiner baren Geldmittel, um zu prozessieren. Allein das ist nur Schein. Ein Subalternbeamter hatte unter seinen dienstlichen Auslagen auch einen Hut mit in Rechnung gestellt, den er bei Einführung des neuen Chefs sich angeschafft hatte. Letzterer strich ihm denselben von der Rechnung, das nächste Jahr erschien der Hut wieder, der Chef strich ihn abermals und bedeutete ihm allen Ernstes, daß der Hut fortan nicht mehr in Rechnung gestellt werden dürfe. Auf der nächsten Rechnung fehlte er. »Jetzt ist die Sache in Ordnung, der Hut ist endlich weggelassen,« bemerkte der Chef. Antwort: »O, der Hut steckt schon darin, aber Excellenz sehen ihn nur nicht.« So steckte auch das bare Geld in der legis actio per manus injectionem, es ward nur nicht äußerlich sichtbar. Folgen wir dem Schuldner bei seinen Bemühungen, einen Vindex aufzutreiben – – – der Hut wird schon zum Vorschein kommen!

Da der Vindex im Fall des Unterliegens selber zu haften hatte, so ließ er sich natürlich von seinem Klienten Sicherheit bestellen. Bei einem Reichen genügte das bloße Versprechen, bei dem armen Patricier beschafften die Verwandten oder die Gens in derselben Weise den Vindex. Aber was machte der arme Plebejer? Er klopft an diese, er klopft an jene Tür, mutmaßlich an die von Leuten, welche im Ruf der Rechtskenntnis stehen, aber überall wird ihm dieselbe Antwort: »Ohne Vorlage kann ich Deinen Prozeß nicht übernehmen, denn wenn ich unterliege, so habe ich selber den Schuldbetrag zu zahlen; weil ich die Forderung des Gläubigers bestritten habe, – beschaffe die Vorlage.«

Aber meine Sache ist völlig zweifellos, Du läufst nicht die geringste Gefahr.

»Das sagt ein jeder. Es ist möglich, daß Du eine gute Sache hast, aber wer kann den Ausgang voraussehen? Vor Gericht ist kein Ding unmöglich – wir haben Beispiele davon.«

So will ich Dir Bürgen stellen.

»Darauf kann ich mich nicht einlassen. Soll ich für den Dienst, den ich Dir erweise, hinterher noch zusehen, wie ich mein ausgelegtes Geld wieder bekomme? Du begreifst, daß das nicht angeht. Aber wenn Du Freunde hast, welche sich für Dich verbürgen wollen, warum schießen sie Dir das Geld nicht vor?«

Sie haben selber keins.

»Eben darum nehme ich sie nicht als Bürgen an.«

Das Resultat ist also ganz dasselbe wie oben beim Sakramentsprozeß, bei dem der Arme die 500 As nicht auftreiben konnte: ohne bar Geld kein Prozeß. Der oberste Grundsatz des Legisaktionenprozesses: nulla actio sine lege fand bei den Klagen sein Gegenstück an dem: nulla actio sine aere.

Sie werden sich überzeugt haben, daß die obige Antwort des Subalternbeamten: »Der Hut steckt schon darin, Excellenz sehen ihn nur nicht« – auch hier zutrifft.

So wiederholte sich also auch bei dieser Prozeßform für den Armen das Erfordernis der vorherigen Deposition des Streitbetrages, nur mit dem für die Partei völlig gleichgültigen Unterschied, daß die Deposition im Sakramentsprozeß bei den Pontifices, hier dagegen beim Vindex erfolgte.

Von welchem Einfluß dieses Erfordernis praktisch gewesen sein wird, brauche ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen. Wo bar Geld nötig ist, um einen Zweck zu erreichen, ist derjenige, der es nicht hat oder nicht auftreiben kann, ausgeschlossen, und dafür macht auch der Umstand, daß er es nur vorübergehend entrichten, nur deponieren soll und es demnächst zurückerhält, keinen Unterschied. Denken wir uns, daß beim Besuche einer der Privat-Gemäldegalerien oder -Gärten in Ihrem Wien, welche die Liberalität ihrer vornehmen Besitzer dem Publikum öffnet, ein Entree von 100 Gulden oder mehr erlegt werden müßte, das beim Verlassen derselben zurückgezahlt würde, so würde die unausbleibliche Folge dieser Einrichtung darin bestehen, daß eine Menge von Leuten, welche man jetzt an diesen Orten zu erblicken gewohnt ist, auf den Besuch derselben würden verzichten müssen, die armen Leute und die meisten Kinderwärterinnen würden fortan verschwinden, und niemand würde wohl darüber im Zweifel sein, daß, wenn eine derartige Einrichtung getroffen würde, etwa unter dem Vorwande der Sicherstellung im Fall einer Beschädigung, der wahre Sinn nur darin gefunden werden könnte: den Armen soll der Zutritt verschlossen sein. Anstatt dies unverhüllt auszusprechen, setzt man ein Entree fest, das die Armen nicht erlegen können, das genügt, um sie fernzuhalten, ebenso wie der hohe Satz für die erste Klasse der Eisenbahn oder die hohen Preise eines vornehmen Gasthofes. So haben auch die Römer wohl gewußt, was es bedeutete, den Besitz von barem Gelde zur Bedingung der Prozeßführung zu machen, – für den Reichen war dies kein Hindernis, für den Armen lag darin eine große Erschwerung. Und darauf, behaupte ich, war es abgesehen, der Zweck der ganzen Einrichtung ging dahin, im Rechtsstreit dem Reichen ein Übergewicht über den Armen zu geben.

Ob ich nicht zu schwarz sehe, fragen Sie mich? Lehren Sie mich die alten Römer kennen! Ich verkehre jetzt vierzig Jahre geistig in ihrer Gesellschaft, ich glaube ihre Sinnesart zu kennen. Die ganze alte Zeit hallt wider von den Klagen der Plebejer über die Bedrückungen durch die Patricier und über die Willkür der patricischen Magistrate. Die Unerträglichkeit des Druckes steigerte sich im Anfang der Republik, nachdem mit den Königen die natürlichen Schutzherren der Plebs hinweggefallen waren, bis zu einem Grade, daß die Plebs den verzweifelten Entschluß faßte, Rom zu verlassen ( secessio in montem sacrum), in moderner Sprache ausgedrückt zu streiken – beiläufig gesagt: einer der ältesten historisch beglaubigten Streikfälle. Den Ruhm, das Streiken erfunden zu haben, muß der Mensch den Eseln überlassen, welche, nach dem Bericht von Herodot, es beim Bau von Babylon in Scene setzten, indem sie bei einer das gewohnte Maß übersteigenden Belastung ihre Dienste verweigerten – ein Präcedenzfall, an den man bei den entsprechenden Vorgängen in der Menschenwelt nicht selten erinnert wird. Das Mittel wirkte in Rom wie in Babylon, und die Patricier gaben nach. Aber noch zweimal wiederholte sich derselbe Vorfall; die Klagen über die ökonomische Auspressung der Armen durch die Reichen und über die Härte des Schuldrechts und die Parteilichkeit der patricischen Magistrate nahmen kein Ende. Den bequemen Schlupfwinkel, den die Unsicherheit des ungeschriebenen Rechtes den patricischen Magistraten gewährt hatte, sollte die Kodifikation der XII Tafeln ihnen verschließen, l. 2 § 3, de O. J. (l. 2) ... incerto jure § 4. Postea ne diutius id fieret, placuit publica autoritate decemviros constitui. S. darüber meinen Geist des römischen Rechts II, 1 § 25. aber es verblieb ihnen noch Raum genug, um ihr altes Spiel fortzusetzen. Die dominierende Stellung, welche das Pontifikalkollegium in Bezug auf den Besitz der Rechtskunde behauptet hatte: ihr Monopol der officiellen Rechtskenntnis, der drückende juristische Zunftzwang, den sie dadurch über das Volk ausübten, erhielt sich dann noch über ein Jahrhundert hinaus. Nicht minder verblieb auch die Rechtspflege noch geraume Zeit im ausschließlichen Besitz der Patricier, und welch willkürlichen Gebrauch sie trotz des Zwölftafelgesetzes von derselben machten, davon liefert der flagrante Willkürakt des Decemvirn Appius Claudius in dem bekannten Prozeß der Virginia ein abschreckendes Beispiel.

Wenn ich alle diese und noch manche andere Züge, die ich hier übergehe, um mich nicht zu weit von meinem Thema zu verlieren, zu einer Vorstellung zusammenfasse, so ergibt sich mir daraus ein Bild der alten Zeit, welches mir über die wahre Bestimmung und die Absichtlichkeit der processualischen Einrichtungen, die ich oben geschildert habe, keinen Zweifel übrig läßt. Wer bei einem notorischen Wilderer eine Flinte findet, wird nicht erst fragen, wozu sie ihm dient, – für Sperlinge und zum Scheibenschießen hat er sie nicht! Den ökonomischen Wilderer im alten Rom habe ich zur Genüge kennen lernen, – die Bestimmung der Flinte, die ich bei ihm antreffe, kenne ich damit auch.

Mit diesem Gleichnis habe ich den Stand der Frage, die mich hier beschäftigt, wiedergegeben. Kein Zeugnis der Quellen gewährt mir einen direkten Anhaltspunkt für meine Behauptung, daß der altrömische Prozeß darauf berechnet gewesen ist, dem Reichen ein ungebührliches Übergewicht über den Armen zu geben. Aber wie im Prozeß der Indicienbeweis den direkten Beweis ersetzt, so auch in der Geschichte, – ein solcher Fall des historischen Indicienbeweises liegt hier vor.

Bisher habe ich nur zwei der fünf Legisaktionen behandelt, welche Gajus uns nennt. Wie verhielt es sich mit den drei anderen? Vielleicht machen sie alles zunichte, was ich bisher entwickelt habe.

Ich scheide von der Betrachtung zunächst die legis actio per condictionem aus, um sie an späterer Stelle zu behandeln, es verbleiben mir demnach nur die legis actio per pignoris capionem und per judicis postulationem.

Über die letztere wissen wir aus Gajus nichts, die Handschrift hat hier eine Lücke. So erübrigt uns also nichts als die Vermutung, – ein reizendes Feld für den Scharfsinn und das Divinationsvermögen des Rechtshistorikers! Liegt Ihnen daran, meine Ansicht zu vernehmen, so teile ich Ihnen mit, daß diese Prozeßform für solche Fälle bestimmt war, wo es sich nicht um Sein oder Nichtsein eines Anspruchs handelte, über den der Richter mit bloßem Ja und Nein erkennen konnte, sondern um solche Fälle, wo der Richter, das Dasein des Anspruchs vorausgesetzt, den Betrag desselben oder die specielle Gestalt, in welcher derselbe zur Verwirklichung gelangen sollte, selber festzustellen hatte. Zwei Miterben wünschen richterliche Teilung ( judicium familiae erciscundae), zwei Miteigentümer Teilung des Eigentums ( judicium communi dividundo), zwei Nachbarn Feststellung der Grenzen ( judicium finium regundorum). Sollen sie den Prozeß in die Form des Sakramentsprozesses bringen? Das hieße: den Unterliegenden trifft die Strafe von 50 oder 500 As. Allein keine von den Parteien unterliegt, keine von beiden stellt eine Behauptung auf, der die andere einen Widerspruch entgegensetzt, beide richten nur ein Begehren an den Richter und zwar ganz dasselbe: Teile. Wie also ließe es sich rechtfertigen, daß die eine von ihnen oder richtiger beide durch den Verlust des Sakraments bestraft werden sollten? Daß die prozessualischen Nachteile, welche wir bisher haben kennen lernen, in Wirklichkeit Strafen waren und als solche beabsichtigt waren, haben wir gezeigt. Hier bedurfte es mithin einer anderen Prozeßform als des Sakramentsprozesses, und diese Prozeßform kann nur die legis actio per judicis arbitrive postulationem Bei Gaj. IV, 12: trägt sie bloß den Namen: per judicis postulationem, mit Rücksicht auf die Formel bei Valerius Probus §: judicem arbitrumve postulo uti des gibt man ihr den Namen per judicis arbitrive postulationem. Daß sie auch für die obigen und die sonstigen dem alten Recht bekannten arbitria bestimmt war, ist kaum zu bezweifeln. gewesen sein. Noch in späterer Zeit tragen diese Teilungsklagen vorzugsweise den Namen judicia und arbitria an sich, sie haben darin die Reminiscenz des alten Namens der Klage bewahrt. Den judex oder arbiter im Sinne dieser legis actio würden wir demnach als einen Richter bezeichnen dürfen, an dessen Spruch sich für die Partei keine Strafe knüpfte – er kostete kein Geld!

Ein anderer Fall des ältesten Rechts, in dem zweifellos nur diese Klagform zur Anwendung gelangt sein kann, bietet uns das membrum ruptum der XII Tafeln. Das Gesetz verfügte: »ni cum eo pacit, talio esto«. Die Form, in welcher der Kläger seinen Anspruch vor Gericht brachte, kann unmöglich die legis actio sacramento gewesen sein, da es hier bei der nicht vermögensrechtlichen Natur desselben an jedem Anhaltspunkt für die Bemessung des sacramentum gefehlt haben würde. Auch als die Praxis an Stelle der Talion eine vom Richter zuzuerkennende Geldstrafe setzte Gellius XX, 1, § 38: Nam si reus, qui depecisci noluerat, judici talionem imperanti non parebat, aestimata lite judex hominem pecuniae damnabat atque ita ... severitas legis ad pecuniae multam redibat. , konnte man die für den Anspruch bis dahin üblich gewesene Klagform unmöglich mit der legis actio sacramento vertauschen, da die Parteien auf erstere ein gesetzliches Recht hatten. Ich vermute, daß dieselbe Klagform auch in Bezug auf die Diebstahlsstrafe, welche im alten Recht beim furtum manifestum in Verlust der Freiheit, beim furtum nec manifestum im Doppelten des Sachwertes bestand, zur Anwendung gekommen ist, und ich erblicke einen Beleg dafür in der eigentümlichen Fassung der intentio der actio furti im Formularprozeß, welche nicht auf dare oportere ging, wobei der Betrag hätte angegeben werden müssen, sondern unbestimmt auf: damnum pro fure decidere oportere lautete, womit die Namhaftmachung des Betrages, wie sie zum Zwecke der Feststellung der Sakramentssumme nötig gewesen wäre, principiell umgangen war.

Daß das Anwendungsgebiet dieser legis actio hiermit nicht erschöpft war, betrachte ich als unzweifelhaft. Die XII Tafeln erwähnen eine Reihe von Ansprüchen, bei denen der Gedanke an die legis actio sacramento sich von vornherein ausschließt, z. B. die actio pluviae arcendae, de glande legenda, de arboribus caedendis, damni infecti, act. noxalis, de pauperie, und bei denen, da auch die legis actio per pignoris capionem und per manus injectionem für sie undenkbar war, nur die per judicis postulationem erübrigte. In den Restitutionsversuchen der XII Tafeln finden sich alle diese Fälle in Tafel VII, woran sich in Tafel VIII die Delikte schließen. Möglich, daß beide Tafeln das Anwendungsgebiet der legis actio per judicis postulationem zum Gegenstand hatten, und daß auch die » tres arbitri « im Sinne der XII Tafeln (welcher von dem der arbitria des späteren Rechts wesentlich verschieden ist) unter den Begriff des judex oder arbiter der judicis postulatio fielen, wofür die obige Formel des Valerius Probus einen längst benutzten Anhaltspunkt gewährt. In den Pandekten finden sich die Teilungsklagen (Buch X) mit gewissen Deliktsklagen (Buch IX, XI) zusammengestellt, und daran hat schon vor Jahren Heffter Rhein. Museum I, S. 54 und 55. den scharfsinnigen Schluß ihrer ursprünglichen processualischen Zusammengehörigkeit geknüpft. Unterstützt wird dieser Schluß dadurch, daß, wie bereits von anderen bemerkt ist Leist: Versuch einer Geschichte der römischen Rechtssysteme. Rostock und Schwerin 1850, S. 36 und 37., in den Pandekten die Hauptanwendungsfälle der alten legis actio sacramento (Erbschaftsklagen Buch V, Eigentumsklagen Buch VI, Servitutklagen Buch VII, VIII) diesen vermutlichen Fällen der judicis postulatio (Buch IX-XI) vorangehen, und daß ihnen in Buch XII und XIII die Kondiktionen, das heißt die Fälle der jüngsten legis actio: der per condictionem folgen.

Ich gelange zu dem Resultat: Die legis actio per judicis postulationem hatte ihr eigentümliches, bestimmt abgegrenztes Anwendungsgebiet, und es hing nicht etwa von den Parteien ab, in Fällen, in denen die legis actio sacramento am Platz war, statt dieser jene Klagform zu wählen. Damit hätten sie, ganz abgesehen von dem oben (S. 183) geltend gemachten legislativ-politischen Gesichtspunkt der Prozeßstrafen, den geistlichen Fonds um seine Einnahmen aus den Sakramenten bringen können, und es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß die Pontifices das nicht gelitten haben würden. Den bisher entwickelten Vorzug der processualischen Straflosigkeit teilte die legis actio per judicis postulationem mit der per pignoris capionem. Für gewisse Ansprüche stand dem Berechtigten das Recht der eigenmächtigen Pfändung zu. Bestritt der Gegner das Dasein des Anspruchs, so kam es zu einem eigentümlichen Verfahren, das den Namen der legis actio per pignoris capionem an sich trug, bei dem der Pfandnehmer als Kläger auftreten und seinen Anspruch zu begründen und um Verurteilung des Beklagten zu bitten hatte Über diese Ansicht von mir siehe meinen Geist des römischen Rechts I, S. 158-162 (Aufl. 4). Der Akt der Pfändung war keine legis actio d. i. kein Prozeßakt; löste der Gepfändete die Sache ein, so kam es zu gar keiner legis actio.. Auch hier traf keine der beiden Parteien im Fall des Unterliegens eine Prozeßstrafe. Aber diese Begünstigung – und das ist höchst charakteristisch – war beschränkt auf Ansprüche nicht privatrechtlichen, sondern militärischen, religiösen, publicistischen Charakters Die Fälle bei Gaj. IV, 27-28. Beispielsweise hebe ich hervor den Anspruch des Soldaten auf den Sold ( aes militare), die Fourage ( aes hordearium), die Geldsumme zur Anschaffung des Pferdes ( aes equestre), wofür ihm eine Anweisung auf dienstunfähige Personen: Witwen und Pupillen, gegeben ward, welche auf diese Weise den Vorzug, selber vom Kriegsdienst befreit zu sein, auszugleichen hatten; sodann den Anspruch des Publikanen auf den Zoll. Jene Heranziehung der dienstunfähigen Personen zu den Kriegslasten war ein ganz gesunder social-politischer Gedanke der Römer, dessen Nachahmung bei uns bereits versucht ist, aber leider keinen Erfolg gehabt hat.. Nur in Fällen, wo mittelbar das Interesse der Religion oder des Staates auf dem Spiel steht, läßt man von der Strenge ab; die gewöhnlichen Privatforderungen genießen diese Bevorzugung nicht. Diese Verschiedenheit der Behandlung beider Arten von Forderungen zeigt uns das Tendenziöse der ganzen Prozeßstrafen. Der Privatperson wird die Beschreitung des Rechtsweges erschwert, für einen Anspruch, an dessen Verwirklichung Religion und Staat ein Interesse haben, werden die Wege geebnet.

Ich bin mit der Schilderung des alten Prozesses fertig, und Sie mögen jetzt entscheiden, ob man sich des Verdachts erwehren kann, daß derselbe absichtlich darauf berechnet war, den ärmeren Ständen die Rechtsverfolgung zu erschweren. Ich meinerseits kann mich von dieser Überzeugung nicht losmachen. Mir ist es zur zweiten Natur geworden, überall im altrömischen Recht Absicht, Berechnung, Verschlagenheit, Tücke, Hinterhalte, Schlingen zu wittern. Der fromme Glaube, mit dem ich einst an das römische Recht herantrat und die Dinge einfach so entgegen nahm, wie sie mir entgegen traten, ist mir im Lauf der Zeit gänzlich abhanden gekommen, ich frage bei allen Sätzen stets: was steckt dahinter? und regelmäßig habe ich gefunden, daß etwas ganz anderes dahinter steckt, als man auf den ersten Blick erwarten sollte. Ich trage mich mit dem Gedanken, Ihnen einmal einen Artikel zu schreiben über die Tücke des altrömischen Rechts, Sie werden dann Gelegenheit haben, sich schlüssig darüber zu werden, ob ich mit meiner argwöhnischen Auffassungsweise so sehr im Unrecht bin. Für die gegenwärtige Frage kann ich leider auf diesen Artikel noch nicht Bezug nehmen, und ich muß es mir gefallen lassen, einem Unglauben zu begegnen, den ich zur Zeit nicht entwaffnen kann. Aber zwei Einwürfe, auf die ich gefaßt sein muß, möchte ich doch nicht gern bestehen lassen.

Der erste Einwand lautet: Auch anderwärts wiederholt sich die Kostspieligkeit der Prozesse, wo doch das Motiv, auf das ich sie im alten Rom zurückführe, schlechterdings nicht anzunehmen ist, so z. B. in England. Die Höhe der englischen Prozeßkosten übersteigt alles Gedenkbare. Verwickelte Rechtssachen können ein ganzes Vermögen verschlingen, und wessen Börse nicht mit Pfunden Sterling bis zum Überlaufen gespickt ist, mag sich eher jeden andern Luxus erlauben, als einen Prozeß, – der Prozeß ist in England nur ein Luxusartikel für Reiche! In welch drückender Weise dadurch die Rechtshilfe in England erschwert ist, zeigt eine Einrichtung, für die es uns auf dem Kontinent an jedem Seitenstück fehlt, und die auf die englischen Rechtszustände ein grelles Schlaglicht wirft: die Vereine zur processualischen Unterstützung mittelloser Fremden. Nun wird aber niemand behaupten, daß die Kostspieligkeit des englischen Prozesses darauf berechnet ist, den ärmeren Ständen die Rechtshilfe zu erschweren. Wie rechtfertigt sich denn diese Behauptung für den altrömischen Prozeß? Der Einwand wäre ein schlagender, wenn ich an die bloße Tatsächlichkeit der Kostspieligkeit des altrömischen Prozesses den obigen Schluß geknüpft hätte. Allein es ist nicht die Kostspieligkeit allein, die ich ins Treffen führe, sondern der eigentümliche Boden des alten Rom, auf dem ich sie vorfinde, der geschichtliche Hintergrund, die Umgebung, die mich bestimmt, ihr diesen Sinn unterzulegen; meine Ansicht hat zu ihrem historischen Fundament die von den Römern selber bezeugte planmäßige ökonomische Ausbeutung der ärmeren Klasse durch die reichere.

Der zweite Einwand, den man mir entgegensetzen kann, lautet: Die legis actio sacramento war uralt und ist ursprünglich gewiß nicht eingeführt worden in böslicher Absicht. Sicherlich nicht! Aber damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß nicht die Fixierung des Satzes des sacramentum in den XII Tafeln oder in früheren Gesetzen auf böslicher Absicht beruht habe. So gut wie man 50 und 500 As, konnte man auch 10 und 50 nehmen. Wenn auch, wie ich selber an anderer Stelle Geist des römischen Rechts I, S. 302 ff. auszuführen versucht habe, die Grundlage jener Klage religiöser Art war, was hatte die Religion mit der Summe zu schaffen? Und warum die vorherige Deposition? Warum ferner der Vindex bei der legis actio per manus injectionem, warum dabei die enorme Strafe des Doppelten?

Doch die Frage: ob die Kostspieligkeit des altrömischen Prozesses auf den von mir angenommenen Zweck der Erschwerung der Rechtshilfe für die ärmeren Klassen berechnet war, mag eine offene bleiben, – um so entschiedener aber halte ich daran fest, daß sie dieselbe zur Folge hatte.

Machen wir uns klar, was das bedeutet. Fassen wir die Wirkungen ins Auge, welche die geschilderten Prozeßeinrichtungen für die römische Gesellschaft nach sich ziehen mußten. Wir wenden dabei unseren Blick nicht dem einzelnen Individuum zu, sondern wir fassen die Massenwirkung ins Auge, den Erfolg des altrömischen Prozesses in Bezug auf die tatsächliche Gestaltung des Eigentumssystems im Leben, seinen Einfluß auf die Güterverteilung, kurz wir beurteilen den altrömischen Prozeß unter dem socialökonomischen Gesichtspunkt.

Am Roulette muß, wenn das Spiel lange genug fortgesetzt wird, der Bankhalter mit Notwendigkeit den Spieler (ich meine nicht den einzelnen, sondern den Spieler in abstracto, die Summe der sämtlichen, die sich mit ihm einlassen) ausplündern, da die Einrichtung des Spiels einmal so getroffen ist, daß der Bankhalter eine Chance (das Zero) vor dem Spieler voraus hat, eine Chance, die nach dem Gesetz der großen Zahlen bei längerem Spiele unabwendlich den Gewinn auf seine Seite schafft. Der Volkswitz vergleicht den Prozeß mit einem Glücksspiel, er spricht von einem »Gewinnen und Verlieren« desselben und einem »Verspielen« der Sache; wir Juristen wissen, daß dieser Vergleich eine gewisse Berechtigung hat. In einem Lande, wo die Rechtspflege richtig organisiert und der Richterstand moralisch intakt ist, begründen heutigentags die persönlichen Verhältnisse der Parteien nicht den geringsten Einfluß – keine von ihnen hat eine Chance des Gewinnes voraus – reich und arm, vornehm und gering macht keinen Unterschied, ja der Arme ist vermöge des Armenrechts eher noch im Vorteil. Für zwei Parteien von wesentlich gleichen Vermögensverhältnissen galt dies auch im alten Rom, der Arme im Prozeß mit dem Armen, der Reiche im Prozeß mit dem Reichen standen sich völlig gleich, keine Partei hatte hier ein Übergewicht über die andere; die Waffen, die leichten in dem einen, die schweren in dem andern Fall, waren gleich gemessen. Aber bei dem Rechtsstreit des Armen mit dem Reichen verhielt es sich anders, hier waren die Chancen ungleich, der Reiche (als Stand aufgefaßt) hatte vor dem Armen (als Stand aufgefaßt) das Zero des Bankhalters beim Roulette voraus, dasselbe war ihm durch die Prozeßordnung nicht minder gesichert, wie letzterem das seinige durch die Spielordnung. Worin es bestand, habe ich Ihnen oben gezeigt. Bei zweifelhaften Fällen konnte der Reiche den Einsatz getrost wagen, der Arme mußte sich vorsehen, für ihn bedeutete der Verlust des sacramentum etwas gänzlich anderes als für jenen. Wir werden also nicht fehlgreifen, wenn wir sagen: von den zweifelhaften Fällen bildete ein ganz erheblicher Prozentsatz das Zero des Reichen.

Zu diesem ersten Hindernis des Spielens vor Gericht gesellte sich als zweites noch das Erfordernis des baren Einsatzes hinzu. An der römischen Spielbank, haben wir gesehen, wird nur um bar gespielt – der Reiche hat den Einsatz in der Tasche, der Arme muß ihn erst mühsam zusammenbringen; wenn ihm dies nicht gelingt, so muß er sich den Gedanken zu spielen vergehen lassen –, ein abermaliges Zero des Reichen!

Um das angegebene Resultat herbeizuführen, dazu bedurfte es nicht der Parteilichkeit der mit der Handhabung der Rechtspflege betrauten patricischen Magistrate oder des Übelwollens der um ihren rechtlichen Rat oder Beistand angegangenen patrizischen Pontifices und Juristen, sowenig es bei dem Roulettespiel zu gleichem Zweck der Unehrlichkeit des Bankhalters bedarf. Die Prozeßmaschinerie war so eingerichtet, daß sie auch bei vollkommenster Rechtlichkeit der bei ihr angestellten oder mitwirkenden Personen den angegebenen Erfolg mit Notwendigkeit hervorbringen mußte, – die Ungerechtigkeit, Unehrlichkeit der Einrichtung ersetzte die der Person. Wo bei sonst gleichen Kräften die Waffen ungleich verteilt sind, muß derjenige Teil, der die schlechteren Waffen führt, notwendigerweise unterliegen, der Gegner geht als Sieger hervor.

Man wird es befremdend finden, daß die Berichte der Römer uns über diese verhängnisvolle Wirksamkeit des altrömischen Prozesses, die wir mit einer in den Händen der reicheren Klasse befindlichen und gegen die ärmere Klasse gerichteten Pumpe vergleichen können, nichts melden. Während sie des Notstandes und Elendes der ärmeren Klassen und ihrer Bedrückung und Ausplünderung durch die reicheren so oft gedenken und es auch nicht an Namhaftmachung der Mittel fehlen lassen, die diesem Zwecke dienten, insbesondere der Höhe des Zinsfußes und der Strenge der alten Personal-Exekution Über die mancherlei Einrichtungen, welche die ärmere Klasse bedrückten, und zu denen auch sie gehörten, siehe meinen Geist des römischen Rechts II, § 34., erwähnen sie den Anteil, den die von mir geschilderte Einrichtung des alten Prozesses daran hatte, mit keinem Wort. Ob daraus der Schluß gezogen werden darf, daß er nicht existierte, oder auch nur der mindere, daß er dem Volk nicht zum Bewußtsein gekommen ist, mag jeder nach dem bisher Ausgeführten sich selber sagen, ich meinerseits bin der festen Überzeugung, daß das Übel in Rom nicht bloß von denen, die es empfanden, vollkommen richtig erkannt worden ist, sondern daß dasselbe geraume Zeit hindurch einen der Beschwerdepunkte der Plebs gebildet hat, und daß es von den Tribunen zum Gegenstand ihrer Agitation und ihrer Reformanträge gemacht worden ist. Ich bin zu dem Resultate gelangt, daß es in Rom eine, nicht etwa durch technische Gründe, wie bei uns, sondern durch sociale Gründe hervorgerufene Civilprozeßreformfrage gegeben hat, die mit der Reform des Civilprozesses geendet hat. Damit komme ich zu einem zweiten Teil meines Vortrages. Das Thema lautet: die Reform des ältesten Civilprozesses im Sinn der Erleichterung der Rechtshilfe für die ärmere Klasse.

Bisher habe ich den Gegensatz der Stände, um den das Interesse der obigen Prozeßeinrichtungen sich dreht, bezeichnet als den der ärmeren und der reicheren Klasse. Es wird Ihnen bekannt sein, daß derselbe in Rom mit dem der Plebejer und Patricier nicht zusammenfiel; es gab schon in früherer Zeit in Rom reiche Plebejer und arme Patricier. Allein ich glaube nicht fehlzugreifen, wenn ich annehme, daß es tatsächlich nur die ärmeren Plebejer waren, welche unter dem Druck jener Prozeßeinrichtungen zu leiden hatten. Der arme Patricier fand an der Gens einen Rückhalt, die ihn gegen die Gefahr, sein gutes Recht wegen Mittellosigkeit im Stich zu lassen, sicherte. So glaube ich denn die obige Civilprozeßreformfrage als eine specifisch plebejische bezeichnen zu dürfen; und eine Bestätigung dafür erblicke ich darin, daß die Volkstribunen es waren, welche sie in die Hand nahmen.

Die Reformbestrebungen derselben in dieser Richtung schlossen zwei Zielpunkte in sich: die Ersetzung der Barzahlung der Succumbenzstrafen durch vorläufiges Kreditieren derselben, und die Herabsetzung ihres Betrages.

Festus (unter sacramentum) hat uns den Namen eines Gesetzes aufbewahrt, welches eine eigene Behörde zum Zweck der Beitreibung der Sakramente: die triumviri capitales, einführte. Es war die lex Papiria vom Volkstribunen Papirius. Die wahre Bewandtnis, welche es mit diesem Gesetz hatte, ist außerordentlich bestritten Die Literatur bis 1867 siehe bei Danz in der »Zeitschrift für Rechtsgeschichte« VI, S. 33; aus späterer Zeit vergleiche Huschke, die Multa und das Sakramentum, Leipzig 1874, S. 473-479.. Das einzige, was feststeht, ist, daß dasselbe in die Zeit nach Einführung des praetor peregrinus (507) fällt, indem es die Sorge für die alljährliche Bestellung jener Behörde durch Volkswahl nicht in die Hände des Prätors schlechthin, sondern des praetor, qui inter cives jus dicet, das heißt des praetor urbanus legt Eins der Argumente für die Unanwendbarkeit der legis actio sacramento auf Peregrinen., womit der Gegensatz zum praetor peregrinus impliziert ist. Ich erspare Ihnen die Aufzählung der verschiedenen Ansichten und beschränke mich einfach auf Mitteilung der meinigen.

Ob die lex Papiria selber das Kreditieren des Sakraments einführte oder nur hinterher die durch die vorher geschehene Einführung desselben notwendig gewordene suppletorische Maßregel der Einsetzung einer Erhebungsbehörde anordnete, darüber kann man zweifeln. Ich meinerseits nehme ersteres an, weil ich mir nicht denken kann, daß die römische Legislation eine so außerordentlich wichtige Neuerung, wie sie die Ersetzung des Deponierens der Sakramente durch das Kreditieren derselben enthielt, hätte treffen können, ohne zugleich die genauere Gestaltung derselben festzusetzen. Die entgegengesetzte Ansicht würde den Römern zumuten, sie hätten die Ersetzung des Depositionssystems durch das Kreditsystem bloß im Princip beschlossen, alle Fragen aber, welche sich auf die praktische Realisierung dieser Maßregeln bezogen, vertagt. In meinen Augen wäre das eine eben so unvollkommene Maßregel gewesen, als wenn eine Gesetzgebung die Verjährung einführen wollte ohne Angabe der Fristen.

Auf diesem Wege gelange ich zu folgendem Resultat, das ich der Übersichtlichkeit wegen in einzelne Sätze auflösen werde.

1. Die lex Papiria hatte zum Zweck, das Kreditieren der Sakramente an Stelle der sofortigen Deposition zu setzen.

Meine obigen Ausführungen über das Drückende der alten Einrichtung für die ärmeren Klassen werden über den Sinn und die Tendenz dieser Neuerung keinen Zweifel übrig lassen. Sie war gedacht und beabsichtigt als eine Erleichterung der Rechtsverfolgung für die ärmeren Klassen, – als eine sociale Maßregel, und Sie werden es daher begreifen, wenn ich auf den Umstand, daß es ein Volkstribun war, der die Maßregel beantragte, ein entscheidendes Gewicht lege. Man muß sich die damalige Zeitlage vergegenwärtigen, um zu begreifen, daß der alte Zustand fernerhin nicht mehr haltbar war. In das Verfahren vor dem Prätor Peregrinus war nach richtiger Ansicht das Sakrament und die manus injectio und damit zugleich der Grundsatz der Prozeß strafen nicht hinübergenommen worden. Hier hatte mithin der Römer das seltsame Mißverhältnis vor Augen, daß ein Peregrine in Bezug auf seine Rechtsverfolgung vorteilhafter gestellt war als er, der Römer, daß der Fremde besser behandelt ward als der Einheimische. Man konnte zur Beschönigung desselben auf folgende Umstände verweisen. Nicht der Peregrine, sondern der Römer hat den nationalen Göttern das sacramentum zu entrichten, das zu ihrem Dienst erforderlich ist. Und die Abgabe, die er damit entrichtet, rechtfertigt sich durch die Gegenleistung, welche die Pontifices ihm gewähren. Sie sind die Depositare des juristischen Wissens, dessen er für seine Rechtshändel bedarf, und dafür gebührt ihnen ein Tribut, den sie ja nicht für sich selber begehren, sondern für die Götter. Sie waren einst es, antwortet Papirius als Wortführer der Plebejer. Der Zunftbann Eures Wissens, ruft er den Pontifices zu, ist gebrochen, Euer Formelwesen schon vor geraumer Zeit durch Flavius veröffentlicht worden, in unseren Tagen hat Coruncanius (500) die Rechtskenntnis zum Gemeingut gemacht. Die Zeit ist über Euch hinweggegangen, und mit Eurem ehemaligen Rechtsmonopol ist auch das sacramentum, das Ihr erhebt, ein unberechtigtes geworden, es gebührt fortan dem Staat, der Manns genug ist, die Rechtspflege ohne Euch zu versehen. Wird dasselbe an den Staat übertragen, so ist damit auch das Hindernis, das Ihr dem Kreditieren entgegensetzt (S.189), beseitigt. Die Götter, sagt Ihr, kreditieren nicht, – der Staat tut es. Ich werde bei dem Volk einen Gesetzantrag einbringen, der die Sakramente auf das Ärar überträgt und dadurch das Kreditieren derselben ermöglicht.

2. Der Betrag der Sakramentssumme wird nicht mehr, wie bisher, bei Beginn, sondern erst nach Beendigung des Prozesses festgestellt, der Prätor läßt sich für den zukünftigen Betrag von beiden Teilen Bürgen ( praedes) bestellen. Die demnächstige Ermittlung des Betrages und die daran sich reihende Beitreibung erfolgt durch eine Kommission von drei Männern ( triumviri capitales), welche der Prätor am Anfang des Jahres dem Volke vorzuschlagen hat. Der für diese Funktion höchst befremdende Name: triumviri capitales, stammt von ihrer ursprünglichen kriminalen Funktion, zu der die obige sich erst später hinzugesellte. Th. Mommsen: Staatsrecht II, S. 559, bringt beide unter den Gesichtspunkt einer Hilfsleistung der Oberbeamten bei ihren gerichtlichen Funktionen.

Die Höhe des Sakraments hing von der Schätzung des Streitobjekts ab, und es ist klar, daß letzteres, wenn der Wert desselben sich um die Grenze von 1000 As bewegte, Gegenstand lebbaften Streites gewesen sein wird, da eine kleine Differenz in der Taxe, zum Beispiel 1000 statt 980 As, den Sprung von dem Sakramentssatz von 50 auf 500, also eine Differenz von 20 im Streitobjekt die ganz enorme Differenz von 450 As im Sakrament bewirkte – teuere 20 As! Solange das Sakrament den Pontifices entrichtet ward, fiel ihnen selbstverständlich die Erledigung dieses Präjudicialpunktes anheim, und mochten sie ihn in eigener Person oder durch besondere von ihnen ernannte Taxatoren regeln, jedenfalls werden sie dafür gesorgt haben, daß ihre Interessen dabei nicht zu kurz kamen. So glaube ich mich nicht zu irren mit der Annahme, daß die Taxation des Streitobjektes nicht selten Gegenstand lebhafter Beschwerden der Parteien gewesen ist, und daraus erkläre ich es mir, daß Papirius seinen Reformvorschlag auch auf diesen Punkt ausdehnte. Er übertrug den triumviri capitales nicht bloß die Beitreibung (» exigunto sacramenta«), sondern auch die Entscheidung über die Höhe der Sakramente (» sacramenta judicantoque«). Mit dem letzteren Wort hat man bisher nichts Rechtes anzufangen gewußt und hat in der Not, indem man das Nächstliegende übersah, zu den künstlichsten, unhaltbarsten Erklärungen gegriffen. Nach Puchta, Cursus der Institutionen II, § 161, soll darunter Zuweisung an den Fonds verstanden werden, – als ob es nach Beitreibung noch eines besonderen ( ad-) judicare bedurft hätte! – nach Danz a. a. O. S. 373 eine Entscheidung darüber, ob das sacramentum »nach Summe, Geldsorte u. dergl. als richtig und vollständig eingezahlt zu befinden sei«, – wonach man jedem Kassenbeamten Judicatsfunktion zugestehen müßte. Nach Huschke a. a. O. S. 478 sollen sie sogar über eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde erkannt haben! Mommsen a. a. O. S. 561, Anm. 5, führt das » judicare« an, ohne sich über den Sinn desselben zu äußern und Lange: Röm. Alterthümer I, Aufl. 2, S. 759 (Aufl. 1 S. 652), gesteht ihnen ebenfalls die »Ausübung einer Art von richterlicher Tätigkeit« zu, ohne dieselbe näher anzugeben. Keller: Röm. Civilprozeß (selbst in der Aufl. 5 von Wach), § 13, ist die lex Papiria gänzlich unbekannt. Rudorff Röm. Rechtsgeschichte II, § 21, 4, »hält einen Streit mit dem Ärar nach dem Verfall« für möglich, ohne zu sagen, wie, – eine bequeme Ausflucht! Bethmann-Hollweg: Röm. Zivilprozeß I, S. 122, übergeht das judicare gänzlich mit Stillschweigen. Hätte man sich die Sache praktisch gedacht, so würde man gefunden haben, daß die Frage, ob das Streitobjekt im einzelnen Fall über oder unter 1000 As betrug, sich nicht von selbst entschied, sondern Gegenstand heftiger Kontestationen zwischen den Parteien einer- und der Behörde andererseits sein konnte, man hätte nur an die heutigen Streitigkeiten bei der Schätzung zum Zweck der Einkommensteuer zu denken brauchen, und man würde dann gefunden haben, daß ein Gesetz, welches eine Bestimmung über die Erhebung einer Gebühr aufstellt, es auch an einer Verfügung darüber nicht fehlen lassen darf, wer im Streitfall über den Betrag die Entscheidung fällen soll. Das einzige, was bei meiner Auffassung der Sache Bedenken erregen kann, ist der Umstand, daß in dem mitgeteilten Passus von Festus: sacramenta exigunto judicantoque, das judicare dem exigere nachsteht, während doch scheinbar die umgekehrte Ordnung die natürlichere gewesen wäre. Das Bedenken erledigt sich dadurch, daß das exigere stets nötig war, zu dem judicare aber nur bei Streitobjekten, deren Wert sich um die Grenze von 1000 As bewegte, Veranlassung geboten war. In den meisten Fällen war der zur Anwendung zu bringende Sakramentssatz so völlig zweifellos, daß es zu einem Streit gar nicht kommen konnte, hier genügte das bloße exigere, und nur in den höchst seltenen Ausnahmsfällen, wo der Wert des Streitobjekts sich um die angegebene Grenze von 1000 As bewegte, und die unterlegene Partei statt des von den Triumvirn eingeforderten sacramentum von 500 den geringeren Satz von 50 glaubte beanspruchen zu können, kam es zu einer Entscheidung ihrerseits, die dann selbstverständlich von der ganzen Kommission, also nach Majorität zu treffen war, während zur Eintreibung oder Entgegennahme des Sakraments ein einzelnes Mitglied derselben genügt haben wird. Das war das » judicium triumvirûm« (Varro de L. L. IX, 85).

Auch in dieser Hinsicht enthielt das Gesetz des Papirius einen zweifellosen Fortschritt. An die Stelle des dem Kollegium für unnachsichtige Wahrung der Interessen des Kirchenfonds verantwortlichen einen Pontifex l. 2, § 6 de O. J. (1, 2) ... quis quoquo anno praeesset privatis. Zu letzterem Wort ist, wie Punschart in seiner Rektoratsrede: Der entscheidende Einfluß der Gesetzgebung der staatlichen Einrichtungen der römischen Republik auf die universale Bedeutung des römischen Privatrechts. Innsbruck 1880, S. 14 richtig bemerkt hat, hinzuzudenken: judiciis. setzte es eine gegen derartige Beeinflussung völlig gesicherte Behörde.

Warum erfolgte die Fixierung des Sakraments nicht wie früher bei Beginn, sondern erst nach Beendigung des Prozesses? Man möchte sagen, daß darin eine Verschlechterung des alten Rechtes enthalten war, denn früher wußten die Parteien bei Beginn des Prozesses, welche Gefahr sie liefen, jetzt hingegen blieb die wichtige Frage vom Betrage des sacramentum bis zum Ende ausgesetzt, und sie schwebten darüber in Ungewißheit. Ich kann den Grund nur darin erblicken, daß nicht selten der Prozeß erst den wahren Betrag des Streitobjektes ins richtige Licht setzt. Man denke sich die hereditatis petitio gegen einen Beklagten, der angeblich Sachen der Masse, die im Gesamtwert den Betrag von 1000 As weit überstiegen, sich angeeignet haben sollte, während es sich im Laufe der Verhandlungen zeigte, daß es nur eine Sache im Wert von unter 1000 As gewesen war, oder einen gutgläubigen Erbschaftsprätendenten, bei dem Sachen ohne Schuld durch casus untergegangen waren, so daß sein Gesamtbesitz den Betrag von 1000 As nicht mehr erreichte, oder die Vindikation einer Schafherde, bei der der Beklagte eine contravindicatio gewisser Stücke entgegensetzte, l. 2 de R. V. (6, 1). wobei mithin die Zahl der herauszugebenden Stücke sich erst nach dem Urteil bestimmen ließ. Es läßt sich nicht verkennen, daß die Festsetzung des Sakraments nach beendigtem Prozeß den wahren Interessen der Parteien ungleich mehr entsprach, als die bei Beginn desselben, sie riskierten nicht, ein sacramentum einzubüßen, das nach dem Wert des ursprünglichen Streitobjekts bemessen war, während der Wert des wirklich geschuldeten sich hinterher als ungleich geringer herausstellte.

Ich wende mich jetzt der legis actio per manus injectionem zu, um den Nachweis zu erbringen, daß derselbe Übergang vom Depositions- zum Kreditsystem, den die lex Papiria für den Sakramentsprozeß bewerkstelligte, sich auch bei ihr wiederholt hat.

Es geschah durch Beseitigung des Vindex. Nur für zwei von Gajus (IV, 25) angegebene Fälle ward das Erfordernis beibehalten, im übrigen aber ward dem Schuldner verstattet, selber die Rolle des Vindex zu übernehmen, das heißt selber den Prozeß zu führen ( manum sibi depellere), wobei er freilich, wenn er unterlag, vermöge seiner doppelten Eigenschaft als ursprünglicher Schuldner und als Vindex den doppelten Betrag der bestrittenen Schuld zu entrichten hatte ( lis inficiando crescit in duplum), aber des wichtigen Vorteils teilhaftig ward, ohne vorhandene Barmittel den Streit aufnehmen zu können. Sowie mittelst der lex Papiria auch dem Ärmsten, gegen den in Form des Sakramentsprozesses ein völlig ungerechtfertigter Anspruch erhoben ward, die Aufnahme des Prozesses und damit der Sieg ohne vorhandene Barmittel ermöglicht worden war, ebenso fortan der Widerstand und der Sieg bei einem in Gestalt der manus injectio geltend gemachten Anspruch, – der Arme war auch ohne bares Geld prozeßfähig gemacht. Diese wichtige Neuerung ward nach Gajus (IV, 25) durch eine lex Vallia Diese früher angezweifelte Lesung ist durch die neueste Vergleichung der Handschrift des Gajus durch Studemund verifiziert; der Name kommt für Leute niederer Lebensstellung auch auf Inschriften vor. eingeführt. Da die Vallier nirgends in hervorragenden Stellungen genannt werden, so sind wir berechtigt, den Urheber unter der Plebs zu suchen und in dem Gesetz ein von einem Tribunen erwirktes Plebiscit von gleicher Tendenz wie die lex Papiria zu erblicken. Jener generellen Maßregel waren bereits specielle Gesetze vorausgegangen, welche diese Erleichterung des Verfahrens zuerst für einzelne Fälle einführten, und Gajus (IV, 23) nennt uns zwei solche Gesetze: eine lex Furia und Marcia, welche beide darin übereinstimmten, daß sie die Anfechtung einer gesetzwidrig erfolgten Zahlung zum Gegenstand hatten, die erste: Entrichtung eines Legats über den durch jenes Gesetz normierten Betrag von 1000 As, die zweite: Entrichtung gesetzwidriger Zinsen. Die Furier waren ein altpatricisches Geschlecht. Was konnte einen Patricier zu einer solchen Abschwächung der strengen legis actio per manus injectionem veranlassen? Haben wir darin vielleicht die erste Regung einer menschenfreundlichen Gesinnung gegen die ärmeren Stände, das Erwachen des Gerechtigkeitsgefühls in den höheren Ständen zu begrüßen? Sicherlich nicht! Bei der lex Furia handelte es sich nicht um das Interesse der ärmeren Klassen, sondern der reichern Stände, – dem Armen brauchte man kein Maßhalten im Legieren vorzuschreiben! Für jene ward der Vindex, an dem man für die Armen noch bis zur lex Vallia festhielt, als überflüssig zur Seite geschoben, dem reichen Mann, der ein Legat über 1000 As angenommen hatte und auf den dadurch verwirkten vierfachen Betrag des Überschusses belangt ward, ward es verstattet, in eigener Person seine Sache zu führen. Ebenso dem Wucherer durch die lex Marcia. Der Arme, gegen den er die Schuld einklagt, hat einen Vindex nötig, er selber, wenn er von letzterem auf Rückgabe der gesetzwidrigen Zinsen belangt wird, nicht! Auch dies Gesetz verrät wiederum den parteiischen Griffel des Reichen, – die Marcier gehörten schon früh zu den reichsten und vornehmsten Geschlechtern der Plebs, welche gemeinsame Sache mit den Patriciern machten. Über ihre Anlehnung an die Patricier siehe Th. Mommsen: Röm. Forschungen II, S. 149 und 150. So waren es die Reichen, welche die manus injectio pura in ihrem Interesse in die Welt setzten, für sie ward der Vindex, der den Armen vom Prozessieren abhalten sollte, als bedeutungslos abgetan. Aber die Neuerung trug ihnen bittere Früchte: die lex Vallia dehnte, was sie für sich erfunden hatten, auch auf die ärmeren Klassen aus, das processualische Übergewicht des reichen Gläubigers über den armen Schuldner, welches auf den Schwierigkeiten der Beschaffung des Vindex beruhte (S. 198), war damit gebrochen. Nur in zwei Fällen (Gajus IV, 25) behauptete sich die alte Strenge des Verfahrens mit Vindex bis zum Untergang des Legisaktionenprozesses. Mit Einführung des Formularverfahrens hörte auch dieser letzte Rest auf.

Damit war die Rechtsverfolgung auch von dieser Last befreit. Sehen wir jetzt zu, was schließlich aus der Prozeßstrafe wird.

Ihr Bestand war durch die Veränderung der Modalität ihrer Erhebung nicht im mindesten berührt. Es hatte mit beiden eine gänzlich verschiedene Bewandtnis. Das Erfordernis der Deposition erschwerte den Rechtsstreit gleichmäßig dem Unschuldigen wie dem Schuldigen, die Prozeßstrafe dagegen traf lediglich den Schuldigen, das heißt den Schuldigen im Sinne des Prozesses, denjenigen, der den Prozeß verloren hatte. Man konnte dem Unschuldigen die Rechtsverfolgung erleichtern und dennoch den Schuldigen nach wie vor zur Strafe ziehen. Und davon haben die Römer nicht lassen wollen. Die Prozeßstrafe fristete, wenn auch in abgeschwächter Gestalt, noch lange ihr Leben, in vereinzelten Ausläufern erhielt sie sich sogar bis ins Justinianische Recht hinein.

Im Legisaktionenverfahren dauerte sie bei der leg. act. sacramento und per manus injectionem in unveränderter Gestalt fort. Aber bei ersterer war sie tatsächlich durch die stets fortschreitende Devalvation der alten Kupferwährung und das Sinken der Geldwerte nach und nach in dem Maße abgeschwächt, daß der Satz von 500 As in der Mitte des sechsten Jahrhunderts der Republik nicht viel mehr betrug als der von 50 As in alter Zeit. Der effektive Geldwert des letzteren war um jene Zeit nach heutiger Währung etwa 3 fl. ö. W. oder 6 Mark, der des ersteren also 30 fl. oder 60 Mark.

Plinius H. N. 33, 46 (ed. Bipont. 33, 13): mox lege Papiria semunciarii asses facti. Vorher (33, 45) hatte er das Gesetz genannt, welches zur Zeit des zweiten punischen Krieges (537) den As auf eine Unze herabgesetzt hatte, nach Plinius muß also das Gesetz in das sechste Jahrhundert gefallen sein. erwähnt eine lex Papiria , durch welche der As auf eine halbe Unze, das heißt 1/24 seines ursprünglichen Pfundgewichts herabgesetzt ward, und die Art, wie er sich ausdrückt, berechtigt uns, das Gesetz in die zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts der Stadt zu setzen. Dies war früher auch die allgemeine Ansicht Marquardt: Röm. Staatsverwaltung, Bd. 2, Leipzig 1876, S. 17, Note 4., während dasselbe jetzt auf Grund neuerer Untersuchungen von Borghesi Nach Marquardt a. a. O.: »mit Sicherheit«. in das Jahr 665 gesetzt wird. Es ist mir der Gedanke gekommen, ob nicht das oben schon besprochene Gesetz des Papirius bei Festus über die Beitreibung der Sakramente nach Beendigung des Prozesses und dieses Gesetz bei Plinius über die Herabsetzung des Münzfußes ein und dasselbe gewesen sei. Dadurch würden beide Maßregeln in einen meines Wissens bisher noch nicht beachteten Zusammenhang kommen, beide sich gegenseitig erklären und ergänzen. Der Gedanke des Papirius wäre gewesen: Erleichterung des Sakramentsprozesses im Interesse der ärmeren Klasse. Zu dem Zweck erstens: Hinausschiebung der Beitreibung des Sakraments bis nach beendetem Prozeß, zweitens: Herabsetzung des As auf einen so minimalen Betrag, daß die alte Einrichtung äußerlich beibehalten werden konnte, während sie innerlich, das heißt der beengende Druck, den sie auf die Rechtsverfolgung ausübte, so gut wie beseitigt ward. Die Herabsetzung des As auf 1/ 24 seines ursprünglichen Gewichts bedeutete zu einer Zeit, wo auch der innere Wert des Geldes infolge der enormen Steigerung des nationalen Reichtums und der Einführung der Silberwährung (Ende des fünften Jahrhunderts) ganz außerordentlich zurückgegangen war, für das sacramentum weit mehr, als eine Reduktion auf 1/ 24 seines ehemaligen Betrages.

So erklärt sich nicht bloß, daß man den alten Sakramentsprozeß trotz der für nötig erkannten Reform desselben beibehielt und ihn auch nach Einführung des Formularprozesses für den Centumviralgerichtshof fortbestehen ließ, sondern auch, wie man dazu kam, in Bezug auf das - praktisch durch Aufkommen der Silberwährung in den Hintergrund geschobene – Kupfergeld der alten Zeit eine Änderung zu treffen, welche selbst diejenige, zu der man sich zur Zeit der äußersten Not: in der Bedrängnis des punischen Krieges gezwungen gesehen hatte, noch weit hinter sich ließ. Meine Vermutung bietet ebensosehr einen plausiblen praktischen Grund für diese Münzmaßregel, wie sie die durch Festus konstatierte Prozeßreform des Papirius mittelst ihrer zum Abschluß bringt und in ein helles Licht setzt. Auch daß es ein Papirius war, der sie traf, ist nicht bedeutungslos. Ein Papirius war es gewesen, der (324) für die dem sacramentum verwandte multa (Ordnungsstrafe wegen Widersetzlichkeit gegen Anordnungen der Obrigkeit) eine Geldtaxe an Stelle der Schafe und Rinder setzte (10 As für das Schaf, 100 für das Rind), und wie es ja in der römischen Geschichte nicht selten gewesen ist, daß die späteren Angehörigen eines Geschlechts einen glücklichen legislativen Gedanken eines ihrer Ahnen von neuem aufgriffen (z. B. die Valerier, Liv. 10, 9 tertio ... lata est semper a familia eadem), so mag auch hier dem Papirius des sechsten Jahrhunderts der Vorfahr des vierten Jahrhunderts als Vorbild für seine gleichartige processualisch-fiskalische Maßregel gedient haben.

So blieb denn der alte Sakramentsprozeß zwar äußerlich unverändert fortbestehen, aber innerlich völlig umgestaltet, – ein Seitenstück zu den vielen römischen Einrichtungen, die man äußerlich fortvegetieren ließ, nachdem sie praktisch so gut wie abgetan waren.

Aber ein wichtiges Anwendungsgebiet hatte man schon vorher von ihm ausgeschieden, wir können es bezeichnen als das der gewöhnlichen Obligation (im Gegensatz zu der privilegierten durch manus injectio). Ein gewöhnliches, das heißt ein nicht in Nexumform eingekleidetes Darlehen hatte früher in Form des Sakramentsprozesses verfolgt werden müssen, ebenso die damals allein klagbaren Forderungen auf das dare einer res certa. In dieser Richtung trat nun bereits während der Dauer des Legisaktionenprozesses eine erhebliche, meiner Ansicht nach aus dem internationalen Rechtsverkehr, dem die Prozeßstrafe unbekannt war, hinübergenommene Erleichterung ein, nämlich in Gestalt der jüngsten unter den fünf Legisaktionen: der legis actio per condictionem. Sie ward zuerst eingeführt durch eine lex Silia für Geldforderungen ( Gaj. IV, 19): nicht bloß für das Gelddarlehen, sondern für Geldforderungen jeglicher Art, bei denen der Kläger eine ganz genau bestimmte Summe ( certa pecunia) in Anspruch nahm, was er ursprünglich selbst bei solchen Kontrakten durfte und mußte, aus denen in späterer Zeit, seit der Klagbarkeit der contractus bonae fidei, eine Klage auf unbestimmten Geldbetrag ( incertum: » quidquid dare facere oportet«) gegeben ward So erklärt sich die bekannte l. 9. pr. de R. Cr. (12. 1). Certi condictio competit ex omni causa, ex omni obligatione, ex qua certum petitur, sive ex certo contractu (z. B. mutuum), sive ex incerto (z. B. Kauf, Societät, Mandat); licet enim nobis ex omni contractu certum condicere, dummodo praesens sit obligatio. Beispiele davon geben die Quellen mehrfach, siehe z. B. § 1 ibid. und § 8 J. quod cum eo (4, 7) ... quod jussu patris dominive contractum fuerit. Durch die Wahl der condictio in einem solchen Fall brachte er den Gegner um die Möglichkeit, seine etwaigen Gegenansprüche in demselben Verfahren geltend zu machen, er verzichtete aber damit seinerseits auf die Liquidation seines Interesses (insbesondere die Verzugszinsen) und setzte sich der Gefahr der plus petitio aus, das heißt der Verwirkung seines ganzen Anspruches, wenn er denselben auch nur um ein Minimum zu hoch gegriffen hatte, mit anderen Worten, das Verhältnis ward dann für beide Teile nach jus strictum beurteilt, bei Anstellung der Kontraktsklage nach Grundsätzen der bona fides..

Durch eine lex Calpurnia ( Gaj. IV, 19) ward diese Neuerung auch auf alle anderen auf ein » certum« gerichteten Forderungen ausgedehnt, insbesondere also auf Stipulationen, durch die man sich das » dare« (nicht das bloße » habere licere« wie beim Kauf) einer res certa, das heißt eines individuell bestimmten Gegenstandes oder einer Quantität fungibler Sachen hatte versprechen lassen. Obschon auch bei ihnen wie bei allen Klagen des Formularprozesses mit Ausnahme der Präjudicialklagen das Urteil vom Richter auf Geld zu stellen war, so hatte doch der Kläger selber nicht nötig, den Betrag in der Klage anzugeben, er stellte denselben vielmehr mit den Worten » quanti ea res est« der richterlichen Schätzung anheim.

Die Urheber beider Gesetze waren Plebejer, d. h. als sie ihre Anträge einbrachten, Volkstribunen, und Sie werden begreifen, was ich meine, wenn ich diesen Umstand besonders betone. Ich benutze ihn als Anhaltspunkt für die Behauptung, daß ihre Maßregeln denselben Zweck verfolgten, wie die oben besprochenen ihrer Standesgenossen: des Papirius und des Vallius, nämlich den einer den ärmeren Klassen zugedachten Erleichterung der Rechtsverfolgung.

Für die lex Calpurnia ist die Tatsächlichkeit einer solchen Erleichterung völlig zweifellos, für die lex Silia läßt sie sich bestreiten. In Bezug auf die der legis actio per condictionem nachgebildete condictio certae creditae pecuniae des Formularprozesses berichtet uns nämlich Gajus an drei Stellen ( IV, 13, 171, 180) von einer den unterliegenden Teil treffenden Strafe von einem Drittel des Klagbetrages, welche bei Beginn des Prozesses beide Teile durch stipulatio und restipulatio auf sich zu nehmen hatten. Daß diese Einrichtung bereits durch die lex Silia getroffen sei, sagt er nicht, ist aber allerdings höchst wahrscheinlich Bethmann-Hollweg, Röm. Civilpr. I, S. 153, Anm. 18.. Aber – und dies ist höchst wichtig – dieselbe war nicht, wie man gewöhnlich annimmt, obligater Art. Gajus ( IV, 171) bedient sich einer Wendung, aus der hervorgeht, daß der Strafzusatz eintreten konnte, nicht mußte: sponsionem facere permittitur, wonach es den Parteien freigestanden hat, die Sponsion zu begehren oder darauf zu verzichten Ähnlich wie bei dem von Gajus IV, 162–165 geschilderten Interdiktverfahren » cum periculo« (= Strafzusatz), bei dem es dem Beklagten freigestellt war, zwischen der strengeren Form ( cum periculo) und der milderen ( sine periculo) zu wählen: » modestiore via litigare«, wie Gajus IV, 163 sich ausdrückt.. Gegenüber der legis actio sacramento und per manus injectionem, bei denen der Strafzusatz obligat war, enthielt diese Klage also jedenfalls einen Fortschritt Puntschart in der oben angeführten Schrift S. 71 führt die Klage umgekehrt auf das Motiv einer durch die Devalvation des Geldes nötig gewordenen Erhöhung der Prozeßstrafe, also einer Erschwerung der Rechtsverfolgung zurück, was zu der oben nachgewiesenen Entwicklung nicht stimmt.. Im Vergleich zu der letzteren Klage galt dies selbst von dem Betrag der Strafe, da sie denselben von dem Gesamtbetrag der Schuld auf ein Drittel ermäßigte. Ein anderer Vorzug derselben lag darin, daß dem Kläger für den Fall des Unterliegens dieselbe Gefahr angedroht war, wie dem Beklagten; das Risiko war bei ihr zweiseitig, bei jener Klage bloß einseitig, – die Unbilligkeit des älteren Rechts, welche die Strafe nur über den Schuldner verhängte, den abgewiesenen Gläubiger aber frei ausgehen ließ, war damit beseitigt, das Gleichgewicht hergestellt.

In der condictio ex lege Calpurnia geht der Legisaktionenprozeß bereits über sich selber, das heißt über seine principiell auf die Prozeßstrafe gebaute Grundanlage hinaus, sie vermittelt den Übergang zu dem principiell auf den Grundsatz der Straflosigkeit gebauten Formularprozeß. Ich bin überzeugt, daß diese Fassung des Gegensatzes beider Prozeßsysteme entschiedenem Widerspruch begegnen wird. Vielleicht dienen folgende Bemerkungen dazu, meiner Auffassung Eingang zu verschaffen.

Auch der Formularprozeß kennt mancherlei Prozeßstrafen. Einige von ihnen sind aus dem alten Verfahren hinübergenommen, nur mit entsprechender Umgestaltung der Form. So die Strafe des Doppelten für das Leugnen gewisser, früher mit manus injectio versehener Ansprüche, die sponsio tertiae partis bei der condictio certae pecuniae, die an die Stelle der alten Strafe des Ersatzes der fructus dupli für den im Vindikationsprozeß unterliegenden Besitzer getretene fructus licitatio des Besitzprozesses ( Gaj. IV, 166–170). Andere sind neu entstanden, uns wenigstens aus älterer Zeit nicht bezeugt: die Strafsponsion im Interdiktverfahren ( Gaj. IV, 162–165), die Strafe des Fünftels oder Zehntels beim contrarium judicium ( Gaj. IV, 177, 178), das judicium calumniae ( Gaj. IV, 175, 178), die sponsio dimidiae partis bei der prätorischen actio de pecunia constituta ( Gaj. IV, 171). Aber ungeachtet dieser zahlreichen Fälle, welche allerdings beweisen, daß der Gedanke der Urzeit, daß dem unterliegenden Teil eine Strafe gebühre, auch von der späteren Zeit nicht aufgegeben ist, glaube ich dennoch meine Behauptung aufrechterhalten zu können. Sie geht wohlbemerkt nicht dahin, daß die Prozeßstrafe dem Formularprozeß fremd ist, sondern daß sie nicht, wie für den Legisaktionenprozeß, ein wesentliches Glied, eine organische Einrichtung desselben bildete. Der formula – und das ist in meinen Augen das Entscheidende – war die Strafe fremd, letztere mußte, von den der manus injectio nachgebildeten Klagen aufs Doppelte abgesehen, erst durch einen besonderen Akt äußerlich hinzugetan oder durch eine besondere Klage neben der Hauptklage verfolgt werden, – der legis actio sacramento und per manus injectionem war dieselbe inhärent, beide umfaßten zugleich Hauptanspruch und Strafe.

Und selbst die Strenge der Strafe – immer wieder von der soeben erwähnten Reliquie des alten Rechts abgesehen – ist im Formularverfahren erheblich ermäßigt. Die Strafsätze sind geringere geworden (⅒, ⅕, ⅓, ½), keiner erreicht mehr das duplum der alten Zeit, oder die Limitierung der Strafe wird ganz in das Belieben der Parteien gestellt, wie bei der fructus licitatio, wo jede so hoch bieten mag, wie sie Lust hat, und selbst eine gänzliche Umgehung der Strafe ist ermöglicht worden: die der sponsio tertiae partis bei der condictio certae pecuniae, der sponsio dimidiae partis bei der actio de pecunia constituta (Gajus IV, 171: sponsionem facere permittitur) und die Ausschließung des Verfahrens cum periculo im Interdiktionsverfahren durch das sine periculo ( Gaj. IV, 162–164). Und sodann findet auch das Moment der subjektiven Verschuldung, dem das alte Recht nicht die geringste Beachtung geschenkt hatte, wenigstens in gewissen Verhältnissen Berücksichtigung. Das judicium calumniae, das der freigesprochene Beklagte gegen den abgewiesenen Kläger anstellen kann, ist bedingt durch den Nachweis bewußten Unrechts ( Gaj. IV, 178), und Erben, Frauen, Pupillen kommen als Beklagte in Fällen, wo andere Personen eine Strafsponsion schließen müssen, mit dem bloßen juramentum calumniae davon (Gajus IV, 172).

Ist die Ansicht richtig, wie ich es glaube, daß der ganze Formularprozeß seinen letzten Ursprung im Verfahren vor dem praetor peregrinus hatte Die Begründung derselben gedenke ich an anderer Stelle zu geben., und daß die Einführung desselben in nichts anderem bestand, als in einer Hinübernahme des bei letzterem für den internationalen Rechtsverkehr ausgebildeten Verfahrens, unter den eigentümlichen Modifikationen, welche der Anschluß an den altrömischen Prozeß nötig machte, – ist also diese Ansicht richtig, so erklärt sich damit zugleich das principiell gänzlich verschiedene Verhalten der modernen römischen Prozeßform zu der Frage von der Prozeßstrafe. Dem internationalen Verkehr war die Strafe principiell gänzlich fremd. Sah sich doch der praetor peregrinus genötigt, die unentbehrlichen Strafen für die Privatdelikte aus dem römischen Civilrecht mittelst Fiktion hinüberzunehmen ( Gaj. IV, 37). Nirgends findet sich die geringste Spur einer Prozeßstrafe bei allen denjenigen Klagen, welche der Peregrine in Rom erheben konnte, z. B. den bonae fidei actiones des Obligationenrechts oder der in rem actio per petitoriam formulam des Eigentumsrechts. Und so glaube ich die Behauptung rechtfertigen zu können: wie der Legisaktionenprozeß seiner ursprünglichen Anlage nach auf dem Grundsatz der Prozeßstrafe beruhte, so der Formularprozeß seiner principiellen Anlage nach auf Abwesenheit derselben. Sowenig man der ersteren Behauptung die obigen Fälle des Mangels der Prozeßstrafe bei der legis actio per judicis postulationem und per pignoris capionem entgegenstellen kann, sowenig der letzteren die obigen vereinzelten Fälle von Prozeßstrafen, es waren eben Ausnahmsfälle, durch welche die Möglichkeit jener principiellen Formulierung des Gegensatzes nicht ausgeschlossen wird. Ich ende mit der Bemerkung, daß das Justinianische Recht sämtliche in klassischer Zeit im Formularprozeß noch vorhandenen processualischen Strafen, zu denen wir auch die der pluspetitio rechnen müssen, bis auf einige ganz unbedeutende Reste, die Sie in jedem Kompendium finden können (beispielsweise Arndts, Lehrbuch der Pandekten § 252), beseitigt hat.

Jetzt können wir uns trennen. Unsere heutige Zusammenkunft hat ihren Zweck erreicht, wenn sie Ihnen Gelegenheit geboten hat, den altrömischen Prozeß einmal unter einem andern, und ich glaube hinzufügen zu dürfen: fruchtbareren Gesichtspunkt zu betrachten, als der bisherige Stand unserer Literatur es ermöglicht. Habe ich erreicht, was ich wollte, so muß Sie das Bild des armen Mannes, der im alten Rom gegen den reichen Mann: Patricier oder Plebejer, mit ungleicher Waffe um sein Recht kämpft, auf dem Nachhausewege begleiten. Ich meinerseits bin nicht sicher, daß ich nicht davon träume. Rauche ich vor dem Zubettgehen noch eine meiner rechtshistorischen Cigarren, so erscheinen mir zwei Bilder im Traum, das erste: der Arme durch den Reichen verfolgt, gehetzt, ausgebeutet, wobei das Recht letzterem hilfreiche Hand leistet, – das zweite: die vier Volkstribunen, Papirius, Vallius, Silius und Calpurnius mit ihren Gesetzesvorschlägen, welche dem Zustande ein Ende machen.

Zum Schluß als Ergänzung meiner bisherigen retrospektiven Betrachtungen noch ein Blick in die Zukunft, eine Prophezeiung, die mich selber angeht. Sie betrifft eine Doctordissertation. Ihr Titel lautet: Refutata Jheringii opinio asserentis aliam fuisse in legis actionibus conditionem pauperum quam divitum. Sollte der Verfasser sich der deutschen Sprache dabei bedienen wollen, so schlage ich ihm, da er meinen Titel: Reich und arm im altrömischen Civilprozeß, nicht wird gebrauchen können, den Titel vor: Die angebliche plutokratische Tendenz des Legisaktionenprozesses in ihrem Ungrunde nachgewiesen von Dr. Weißesbesser. Damit ist das Thema als akademisches passend bezeichnet, und sogar Fakultäten könnten sich dieser Bezeichnung desselben für eine Preisfrage bedienen. Sie werden zugestehen, daß es ein schönes Thema ist, – es hat den Vorzug neu zu sein, den man den meisten Doctordissertationen bekanntlich nicht nachrühmen kann. Schade, daß ich die meinige schon geschrieben habe! Wie wollte ich eine Ansicht widerlegen, die nicht den geringsten Anhalt in den Quellen findet! – damit ist ja alles gesagt, denn was nicht positiv in den Quellen bezeugt ist, beruht auf bloßer Phantasie, im vorliegenden Fall auf der Narkose durch die rechtshistorische Cigarre. Ich tröste mich damit, daß, wenn ich selber auch nicht mehr in der Lage bin, Doctordissertationen zu schreiben, ich anderen wenigstens noch einen brauchbaren Stoff dazu bieten kann. Wenn eine neue Ansicht von mir auch sonst keinen Erfolg gehabt hat, so ist ihr stets wenigstens einer sicher gewesen: der der Widerlegung – – wovon sollten auch sonst Leute leben, die es selber nicht zu einer eigenen Ansicht bringen können?


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