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Neu hinzugefügt. Das Thema ist S. 176 in Aussicht genommen.
Eine Attrappe im römischen Civilprozeß? Ein seltsames Feld, auf dem sie zur Erscheinung gelangt!
Die Definition von Attrappe lautet in den Fremdwörterbüchern: ein zur Täuschung eingerichtetes, auf Neckerei berechnetes Ding. Sehen wir zu, ob sich im römischen Civilprozeß eine Einrichtung findet, auf welche der Name paßt.
Das Bild, das ich dem Leser vorführe, ist nichts weniger als danach angetan, einen neckischen Eindruck hervorzurufen. Es ist das Bild der altrömischen Wucherer, welche sich anschicken, an dem Schuldner, der Bankerott gemacht hat, ihren Rachedurst zu kühlen und an seinem Leibe das bekannte » in partes secare« des Zwölftafelgesetzes in Scene zu setzen.
Ich zünde mir meine rechtshistorische Cigarre an. Ich sehe die Gläubiger mit dem Schuldner auf dem Forum. Aber zu dem in partes secare scheint es nicht kommen zu sollen, die Leute führen nicht einmal wie Shylock ein Messer bei sich.
»Was ist das? – frage ich, – Ihr schneidet nicht? Das Gesetz verstattet es Euch ja, und Ihr seht mir gar nicht danach aus, als ob Ihr menschliche Regungen empfinden könntet.«
Möchtest Du es an unserer Stelle tun? Das Volk würde Dich in Stücke reißen. In der Urzeit mag es vorgekommen sein, aber jetzt geht es nicht mehr an. Die albernen modernen Ideen von Menschlichkeit, von denen unsere braven Vorfahren nichts wußten, haben die Sache unmöglich gemacht.
»Da seid Ihr aber übel daran! Euer Recht gleicht einer Vogelscheuche, von der die Vögel bald inne werden, daß sie ihnen nichts zu Leide tut. Euere Schuldner werden doch sicherlich ebenso klug sein wie die Vögel, sie werden über ein Schreckmittel, das bloß im Gesetz steht und nie zur Anwendung gelangt, lachen.«
Ganz so schlimm ist es doch nicht. Wir würden allerdings nicht wagen, dem Manne ein Stück Fleisch aus seinem Leibe zu schneiden, was seinen sofortigen Tod zur Folge haben würde, aber wenn wir ihn im Verdacht haben, daß er Vermögen beiseite geschafft hat, oder annehmen können, daß seine Verwandten oder Freunde für ihn etwas tun würden, so steht nichts im Wege, daß wir einen Versuch machen, ob nicht das Abschneiden der Ohren, der Nase oder anderer Körperteile auf ihn und sie Eindruck machen wird. Die bloße Drohung damit reicht schon aus, um ihn und sie zu nötigen, ihr Äußerstes zu tun.
»Aber wenn das Mittel seinen Erfolg versagt, weil weder der Mann selber etwas hat, noch seine Verwandten oder Freunde ihm zu Hilfe kommen, wie dann? Dann müßt Ihr, da das Gesetz Euch nicht das Recht einräumt, den Mann zu verkaufen, und da die Rücksicht auf das Volk Euch abhält, ihn zu zerfleischen, ihn frei laufen lassen. Das Gesetz sagt ausdrücklich: tertiis nundinis partes secanto. Sind die tertiae nundinae ohne das in partes secare verstrichen, so ist es mit Euerm Recht vorbei, Ihr habt das Nachsehen.«
Wir sorgen schon vorher dafür, daß sie nicht ablaufen, ohne daß wir die Sache geregelt haben.
»Was könnt Ihr denn dabei regeln? Ihr könnt den Schuldner ja nur zerschneiden, nicht verkaufen, letzteres ist meines Wissens nur in dem Fall verstattet, wenn bloß ein einziger Gläubiger vorhanden ist.«
Eben damit ist uns der Weg vorgezeichnet, den wir einzuschlagen haben. Was würdest Du tun, wenn Du Dir an Stelle des hier anwesenden Schuldners als Exekutionsobjekt ein Pferd, ein Gemälde, eine Statue dächtest, und die gesetzliche Bestimmung, daß ein Gläubiger die Befugnis habe, dasselbe zu verkaufen, mehrere Gläubiger aber nur die, es zu zerschneiden oder zu zerschlagen? In welcher Weise würdest Du die Möglichkeit, die Sache zu verkaufen, ganz auf dem Wege Rechtens herbeiführen?
»Ich würde die gesetzliche Voraussetzung des einen Gläubigers dadurch beschaffen, daß die sämtlichen Gläubiger ihre Forderungen auf einen von ihnen übertrügen.«
Eine Übertragung von Forderungen kennen wir nicht, aber die Sache kommt auf dasselbe hinaus. Einer von uns findet die andern ab, und der Schuldner, der bisher uns allen gehörte, gehört jetzt ihm, ist sein adjudicatus.
»Aber wenn das in partes secare sich schließlich darauf reduziert, warum hat nicht der Gesetzgeber für diesen Fall den Verkauf ebenso gestattet, wie für den eines einzigen Gläubigers?«
Du meinst also, das Gesetz hätte verfügen sollen, daß die Gläubiger den Mann verkaufen sollen?
»So ist es.«
Dies wäre ein recht schlechtes Gesetz. Wie soll denn der Verkauf vor sich gehen? Hier in Rom darf er nicht erfolgen.
»Warum nicht? Etwa, weil der Mann hier nicht Sklave werden kann? So Puchta, Cursus der Institutionen I, § 179, Aufl. 9 von P. Krüger S. 552..«
Das ist nicht der Grund. Der ertappte Dieb wird Sklave des Bestohlenen und bleibt in Rom. Der Grund ist ein anderer. Wenn alle wegen Zahlungsunfähigkeit als Sklaven verkauften Schuldner hier in Rom blieben, so könnten sie uns sehr gefährlich werden. Sie würden unausgesetzt gegen uns agitieren und machinieren, mit ihren Freunden und Verwandten das Volk gegen uns aufhetzen und letzterem stets die große Zahl unserer Opfer vor Augen führen, es wäre sozusagen die lebendige und wandelnde Statistik der Personalexekution. Wie würden die Tribunen, die uns jetzt schon so viel zu schaffen machen, diesen Stoff benutzen, um das Volk gegen uns zu erbittern! Da würde ja einem ordentlichen Geschäftsmann das Geschäft und das Leben schier verleidet. Nein! Der Mann muß aus Rom heraus – aus den Augen, aus dem Sinn! – dann ist er bald vergessen, und wir sind gegen alle Ränke, die er gegen uns spinnen würde, gesichert. Die Anordnung des Verkaufs in die Fremde ist eine der weisesten Bestimmungen unseres vorzüglichen Schuldrechts; ohne sie wäre letzteres keine taube Nuß wert.
»Ich habe mich überzeugt: Eueretwegen ist der Verkauf in die Fremde unerläßlich. Ertappte Diebe können in Rom bleiben, ihnen gönnt jeder ihr Schicksal, aber die verkauften Schuldner nicht, mit ihnen sympathisiert die ganze niedere Bevölkerung.«
Freue mich, daß Du zustimmst. Aber die Fremde, das Ausland, ist weit, und hier sollen erst die Käufer aufgesucht werden, an der Heerstraße stehen sie nicht. Ich will annehmen, einer von uns übernähme es, einen Käufer zu suchen. Er zieht mit dem Schuldner ab, letzterer natürlich gefesselt, damit er nicht entfliehe. Zuerst geht er nach dem benachbarten Fidenä, was augenblicklich, wo wir Römer dort nichts weniger als gut gelitten sind, – wir schreiben zur Zeit das Jahr 520 der Stadt – nicht gerade verlockend ist. Dort bietet man ihm für den Mann, der hier mindestens seine 1000 As wert ist, nur 600. Dann geht es nach Veji. Angebot 650 – ebenfalls zu wenig. Der Mann läßt sich die Mühe nicht verdrießen, er reist nach Falerii, wo er es bis auf 670 bringt. Ebenfalls zu wenig! Also immer weiter – nach Clusium, Arretium, Fäsulä! – in Nordetrurien sollen die Sklaven höher im Preise stehen als in Südetrurien. So würden die anderen Gläubiger sagen, und sie haben es leicht, aber der Mann, der ihnen die Mühe der Reise abgenommen hat, ist nunmehr des Umherirrens müde und kehrt nach Rom zurück. Da kommt er und stattet Bericht ab. Hören wir, welche Aufnahme er findet.
(Chor der Gläubiger) »Für einen so rüstigen Mann als Maximum nur 670 As? Dies ist ja gar kein Preis. Du mußt sehr ungeschickt gewesen oder Dir gar keine Mühe gegeben haben, daß Du kein höheres Gebot erzielt hast.«
Das also ist der Dank für meine Bemühungen? Niemals werde ich wieder einen solchen Auftrag übernehmen. Schickt einen andern ab und seht zu, ob der mehr erreicht.
»Das wollen wir auch. Da es sich um unser aller Interesse handelt, so wird sich schon jemand finden, der geneigt dazu ist. Wer meldet sich?«
(Stimmen) Ich bin zu alt. –
Ich kann meiner Geschäfte wegen nicht fort.
Ich habe in den nächsten Tagen einen Gerichtstermin.
Ich habe mein Land zu bestellen.
Eine einzelne Stimme: Ich bin bereit, aber umsonst opfere ich meine gute Zeit nicht, Ihr müßt mir meine Reise vergüten.
»Wir wissen schon, was das bedeutet! Du mußt Deiner eigenen Geschäfte wegen nach Clusium, und wir sollen Dir die Reise bezahlen. Und wenn auch Du nichts ausrichtest, wie dann? Dann sind wir eben so weit, wie vorher, und haben unser Geld ganz nutzlos daran gesetzt. Daraus wird nichts.«
Nun, Fremdling, Du glaubst unser Recht verbessern zu können, was soll jetzt geschehen?
»Ich überzeuge mich, daß es mit dem Verkauf in die Fremde durch das Gläubigerkonsortium seine Schwierigkeiten hat.«
Und einen Umstand hast Du noch gar nicht berücksichtigt. Der Schuldner muß dem Gesetz zufolge an dem für den Verkauf bestimmten Termin Rom für immer verlassen. Wie die Sache von Dir eingeleitet ist, kehrt er, bis ein angemessenes Gebot erzielt und dasselbe von den Gläubigern angenommen ist, stets wieder nach Rom zurück.
»Allerdings, so geht es nicht. Aber die Schwierigkeit läßt sich ja dadurch leicht umgehen, daß die Gläubiger die gewählte Vertrauensperson mit dem Verkauf selber betrauen.«
Was meint Ihr zu diesem neuen Vorschlag, ehrenwerte Mitgläubiger?
(Chor der Gläubiger) »Der Mann scheint von Geschäften nicht viel zu verstehen. Er soll selber mit uns die Probe machen. Was also sollen wir tun?
»Ihr sollt einen aus Eurer Mitte mit dem Verkauf beauftragen.«
Mit oder ohne Limitierung des Preises?
»Ersteres würde sicherlich das Geeignetere sein.«
Nun gut! Der Preis soll limitiert werden. Limitiert ihn.
(Stimmen) Ich setze 1000 As an.
Dafür werden wir ihn nicht los, ich limitiere 800.
Viel zu niedrig. Unter 950 schlage ich ihn nicht los.
Leicht gesagt! Was soll geschehen, wenn sich, wie voraussichtlich, ein so hohes Limitum nicht erreichen läßt? Das Limitum muß möglichst niedrig gesetzt werden; ich setze das meinige auf 700 an.
Ich meinerseits auf 750.
Ich auf 850.
So, Fremdling, jetzt entscheide. Wie hoch soll die Summe limitiert werden?
»Wenn die Gläubiger sich über die Summe nicht vereinigen können, so gibt es eben kein Limitum. Es bleibt dann nichts übrig, als die gewählte Vertrauensperson zu ermächtigen, den Umständen gemäß nach bestem Wissen und Gewissen den Handel abzuschließen.«
(Stimme) Dann bitte ich mich zu wählen, ich beanspruche nicht einmal eine Vergütung für die Reise und Mühe.
(Chor der Gläubiger) Das glauben wir wohl. Unter dieser Voraussetzung melden wir uns alle. Es gäbe ja kein besseres Geschäft als ein solches. Wir wissen, was das bedeutet! Welche Garantie haben wir, daß unser Vertrauensmann nicht die Hälfte von der erhaltenen Summe in die eigene Tasche steckt?
»Ihr müßt allerdings einen zuverlässigen, ehrlichen Mann auswählen.«
Zuverlässig, ehrlich? Das sind wir alle. Wenn es bloß darauf ankommen soll, so steht jeder von uns seinen Mann.
»Nun dann wählt einmal!«
Ich wähle mich selber.
Ich auch – ich auch – ich auch u. s. w.
»Auf diese Weise kommt ja aber keine Wahl zustande.«
Davon überzeugst Du Dich erst jetzt? Das hättest Du im voraus wissen können. Unter uns traut jeder nur sich selber, keiner dem andern.
»Wenn Ihr in dem Maße mißtrauisch seid, so bleibt nichts übrig, als daß Ihr Euch alle zusammen auf die Wanderschaft begebt, um Euch gegenseitig zu bewachen.«
Nun ist es des Spiels genug, Fremdling. Du wirst Dich überzeugt haben, daß Du zum Gesetzgeber keinen Beruf hast, daß wir Römer besser wissen, wie wir unser Recht einzurichten haben. Ein Verkauf von seiten eines Gläubigerkonsortiums ist ein Unding. Die Gläubiger können sich nicht sämtlich auf die Reise begeben, und über einen einzelnen werden sie sich nie vertragen, weil sie wissen, welche Gefahr sie dabei laufen. Der Verkauf des Schuldners in die Fremde läßt sich nur durch einen einzelnen beschaffen, der durch sein eigenes Interesse geleitet wird. Das ist die Gestalt, in der wir die Sache bisher erledigt haben, und ich denke: sie ist die einzig richtige. Du bist gerade zu dem Moment gekommen, wo die Sache in dieser Weise vor sich geht. Ich selber werde sie einleiten.
Versammelte Ehrenmänner und Mitgläubiger, wie hoch ist der Betrag sämtlicher Forderungen?
Im ganzen 2000 As.
Will jemand von Euch den Schuldner für diese Summe?
Nicht einmal für 1000; ich biete 900.
Ich 950.
Niemand mehr?
»Das Gebot ist zu niedrig, der Mann ist mindestens 1100 As wert.«
Willst Du sie bieten?
»Nein!«
Nun dann bleibt es bei dem Gebot von 1000, dafür schlagen wir den Mann los.
»Ich protestiere! Gesetzlich könnt Ihr mich nicht zwingen, meine Einwilligung zu erteilen. Ich ziehe es unter diesen Umständen vor, mein gesetzliches Recht des in partes secare zur Ausübung zu bringen.«
(Chor der Gläubiger) Wir wissen sehr wohl, was Du damit bezweckst: Wir sollen, um Deinen Widerspruch zu entkräften, Dir Deine ganze Forderung auszahlen. Aber daraus wird nichts. Da könnte ein jeder kommen und sich demjenigen, was das allgemeine Interesse erheischt, widersetzen, um auf Kosten der andern sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Hier zieht jeder gleichen Strang. Dein Verlangen des Schneidens ist ein bloßer Schreckschuß, berechnet darauf, uns einzuschüchtern. Aber schrecken lassen wir uns nicht! Wir wissen sehr wohl, daß Dir ebenso wie uns das Geld lieber ist, als ein Stück Menschenfleisch. Versuche einmal, Deine Drohung wahr zu machen; es soll Dir teuer zu stehen kommen, wir werden es Dir lebenslänglich eintränken, daß Du uns um das Unsrige gebracht hast.
»Darauf hin wage ich es schon.«
Nun gut, so schneide, Hier ist ein Messer. Kommt herbei, Quiriten, hier gibt es etwas zu sehen. Spurius Postumius will schneiden.
Nun, Du zögerst? Dies wußten wir ja, daß es bei Dir nur auf eine leere Drohung abgesehen war. Auf ein anderes Mal unterlasse solche Quertreibereien, mit denen Du bei uns doch nichts ausrichtest, und welche die Sache nur nutzlos aufhalten.
Wer hat das höchste Gebot getan?
»Ich, Titus Aufidius. Ich werde jedem von Euch sofort die auf seine Forderung entfallenden 50 Procent auszahlen, – hier ist das Geld.«
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Nun, Fremdling, was denkst Du dazu? Ist es richtig gemacht oder nicht?
»Vollkommen richtig! Die Sache nimmt ganz denselben Ausgang wie bei der venditio bonorum, die Ihr allerdings noch nicht kennen könnt, da sie erst dem prätorischen Edikt angehört. Die Konkursmasse wird dabei öffentlich ausgeboten und demjenigen zugeschlagen, der den Gläubigern die meisten Procente bietet. Ich habe früher gemeint, daß dies eine Erfindung des Prätors sei, und zwar, wie ich glaubte, ursprünglich des praetor peregrinus, aber ich habe mich jetzt überzeugt, daß er sie nur von Euch entlehnt hat.
Ich habe aber jetzt noch einige Fragen. Zuerst die: warum versteigert Ihr bloß die Person des Schuldners, nicht auch sein Vermögen?«
Dem Schuldner war das seinige von einigen von uns schon vorher abgejagt. Hätte er noch irgendwelches Vermögen gehabt, so wäre dasselbe an denjenigen gefallen, der ihn erstanden hat, und wäre dann bei dem Gebot mit in Anschlag gebracht worden. Der addizierte Schuldner fällt mit allem, was er ist und hat, dem Gläubiger zu.
»Ich sehe da neben ihm seine Frau und Kinder, die von ihm Abschied nehmen. Die hättet Ihr, da alles, was ihm gehört, Euch zufällt, ja ebenfalls mit verkaufen können.«
Der Mann hatte sich vorgesehen. Als er merkte, daß er nicht mehr zu retten sei, hat er sie emanzipiert, und wir haben jetzt das Nachsehen. In den ärmeren Klassen sichern sich die Frauen bereits bei Eingehung der Ehe in der Weise, daß sie aus Furcht vor dem Schicksal, das sie treffen könnte, dem Manne in die Knechtschaft zu folgen, keine Manusehe eingehen, und wir müssen es sogar dulden, daß sie oder ihre Väter vor uns auf Grund ihrer Dotalforderungen ebenfalls ihren Anteil aus der Masse begehren. Sie bringen dieselben zu dem Zweck in die Form der Stipulation, der cautiones rei uxoriae. In der guten alten Zeit bekam die Frau nichts von ihrer Dos aus dem Konkurse heraus; aber die Zeiten sind nicht mehr, die Leute sind viel zu schlau geworden.
»Ich habe noch eine Frage. Wenn es den Decemvirn mit der Verhängung der Leibesstrafe an dem Schuldner nicht Ernst war, wenn sie vielmehr den Weg voraussahen, den Ihr einzuschlagen pflegt, warum haben sie denselben nicht ausdrücklich vorgezeichnet?«
Man sieht, daß Du nicht aus Rom bist. Sieh Dir einmal den Satz der XII Tafeln an, auf den ich mit dem Finger zeige; wie lautet er?
» Si membrum rupit, ni cum eo pacit talio esto. Was hat denn der mit meiner Frage zu schaffen?«
Du sollst es erfahren. Das Gesetz droht die Talion an, tatsächlich aber kommt es kaum je dazu. Die Parteien vereinigen sich über eine Abfindungssumme, die nach ihren Vermögensverhältnissen und nach ihrer Entschlossenheit, Standhaftigkeit und Zähigkeit sehr verschieden ausfällt. Es ist allerdings schon vorgekommen, daß sie sich nicht vereinigen konnten und daß zur Talion geschritten werden sollte, aber im letzten, entscheidenden Moment gab dann bald der eine, bald der andere Teil nach. Der eine ließ etwas von seinen übertriebenen Forderungen schwinden, der andere legte zu der offerierten Summe noch etwas zu. Gerade das hat das Gesetz beabsichtigt, die angedrohte Talion soll nur ein Pressionsmittel abgeben, um die Parteien zur gütlichen Vereinbarung zu nötigen, wie dies aus dem Zusatz: ni cum eo pacit deutlich hervorgeht, aber die Decemvirn haben sich wohlweislich gehütet, dies pacere direkt vorzuschreiben, es wäre gänzlich erfolglos gewesen, wenn nicht die Talion dahinter gestanden hätte, letztere allein hält beide Parteien in Schach. Ganz ebenso verhält es sich mit der Androhung des in partes secare. Dasselbe hat nur den Zweck eines Pressionsmittels; zu den Worten des Gesetzes: in partes secanto hast Du Dir im Sinne desselben hinzuzudenken: ni pacunt. Auf dieses pacere ist es dem Gesetz abgesehen, und dasselbe hat sein Mittel so richtig gewählt, daß es den beabsichtigten Dienst nie versagt, Du hast das ja vorher erfahren.
»Das Mittel ist in der Tat geschickt gewählt, es erinnert mich an eine Einrichtung unserer heutigen Zeit: an die englische Jury. Ihr Spruch erfordert Einstimmigkeit, und das Gesetz erzwingt dieselbe dadurch, daß die Geschwornen das Beratungszimmer nicht eher verlassen dürfen, bis sie einstimmig geworden sind.«
Meine Cigarre ist zu Ende, – das Bild verschwindet. Ich zünde mir fortan keine neue wieder an, ich habe sie nicht mehr nötig, ich habe die Gabe in mir entdeckt, im Traum juristische Bilder in mir heraufzubeschwören, und dies ist bequemer, ich mache es im Schlaf ab und spare mir die Arbeitsstunden des Tages. Im Folgenden teile ich den Traum mit, an dem ich diese Gabe zuerst bei mir entdeckt habe.