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Viertes Kapitel.

Um neun Uhr brachte Frau Hähnchen mir den Morgenkaffee, zwei weichgekochte Eier und zwei belegte Brote. Nach dem Frühstück suchte ich Meister Gottlieb in seiner Werkstatt auf. Diese lag im Keller unter seiner Wohnung und hatte von oben einen direkten Zugang in Gestalt einer eisernen Treppe, die durch den Fußboden der Küche hindurch nach unten führte.

Hähnchen arbeitete gerade an der Tür eines Geldspindes, das repariert werden sollte. Wir unterhielten uns eine Weile, wobei ich mich erkundigte, ob die Kriminalpolizei denn schon wieder dagewesen wäre.

Der Meister lächelte vielsagend. »Eigentlich hat sie uns seit gestern gar nicht verlassen, Herr Malwa. – Man bewacht das Haus, auch die Rückfront.«

Ich hatte vorhin dem Lehrling Fritz Weigand, der Hähnchen helfen mußte, freundlich zugenickt. Der arme Junge tat mir leid. Er machte einen gedrückten, verschüchterten Eindruck. Andererseits sah der schlanke Bursche aber auch wieder so intelligent aus, um es bedauerlich erscheinen zu lassen, daß er es lediglich leichtsinniger Streiche wegen nicht weiter auf dem Gymnasium gebracht hatte.

Nachdem ich Meister Gottlieb noch eine Weile zugeschaut hatte, ging ich über die gemauerte Kellertreppe in den Gemüsegarten hinaus, der gut dreihundert Meter lang war und in dem jeder der Mieter sein besonderes Gärtchen mit einer Laube, einige mit wildem Wein umrankt, andere kleinen Pavillons gleichend, zugewiesen erhalten hatte, während das letzte Stück meiner Tante gehörte, also auch die Tannenkulisse und die Ruine.

Jetzt lag alles unter fußtiefem Schnee begraben. Trotzdem lief ein festgetretener Pfad vom Hause bis zur Ruine hin, wo Hähnchen, wie er mir soeben mitgeteilt hatte, ein paar Tellereisen für Marder und Iltisse aufgestellt hatte. Ich sah zwischen den Mauertrümmern und dem Gestrüpp des Meisters vielfache Fußspuren, mochte aber nicht gern in eins der Eisen geraten und wandte mich daher dem Gebäude wieder zu und betrat es durch die Hintertür.

Als ich in meinem Flur den Mantel auszog und dabei die wollenen Handschuhe in die linke Tasche schob, fühlte ich darin ein Papier, nahm es heraus und sah nun, daß es ein weißes, zweimal zusammengelegtes Quartblatt war, auf dem ich zu meinem nicht geringen Erstaunen sechs Reihen von je zwanzig griechischen Buchstaben des kleinen Alphabets mit Tinte niedergeschrieben fand.

Wenn mich schon die Tatsache, daß der Zettel mir fraglos heimlich zugesteckt worden war, etwas nachdenklich stimmte, so wurde diese Wirkung noch dadurch erhöht, daß über den sechs Zeilen von wahllos und ohne jede Interpunktion aneinandergereihten Buchstaben ein Totenkopf gemalt war.

Während der Lehrling die Oefen heizte, saß ich am Schreibtisch meiner Tante und versuchte die Geheimschrift – um eine solche handelte es sich ja sicher! zu enträtseln. Es gelang mir nicht.

Der Junge begann jetzt die Stuben zu säubern, und ich unterhielt mich mit ihm dabei über dieses und jenes.

»Mein Vater hat vor einem halben Jahre wieder geheiratet, und der Stiefmutter war ich unbequem,« sagte er unter anderem mit bebender Stimme. »Ich bin nicht schlecht. Alles, was ich tat, wurde aufgebauscht, – ich sollte aus dem Hause.«

In diesem Moment läutete die Flurglocke. Fritz eilte hinaus, kam sofort wieder zurück und meldete mir den Kriminalkommissar Märker.

Dieser schickte dann den Jungen in die Werkstatt.

»Es ist besser, daß wir allein sind,« meinte er. Er war sehr liebenswürdig zu mir, hatte mit mir offenbar wichtige Dinge zu besprechen.

Wir setzten uns in das Wohnzimmer. Märker deutete auf die Staffelei: »Wohl Ihre Tante, Herr Malwa?«

Ich nickte. Ich vermied es, das Bild anzusehen. Es hätte mir die Schrecken der Nacht zu deutlich ins Gedächtnis zurückgerufen, und ich wollte nicht wieder einen Rückfall bekommen, nachdem ich die Angst vor dem Unfaßbaren endlich losgeworden war.

Märker fuhr jetzt fort: »Ich verlasse mich auf Ihre Verschwiegenheit gegen jedermann, Herr Malwa. – Das, was gestern sich hier in diesem Hause abgespielt hat, ist das seltsamste, was ich bisher in meinem gewiß an außergewöhnlichem recht reichen Leben kennengelernt habe.«

Ich hatte aus dem Büfett eine Kiste Zigarren geholt. Es war nicht die einzige, die dort in dem linken Seitenschränkchen stand, ein Beweis, daß meine Tante wohl auch Herrenbekanntschaften gehabt hatte. Es waren alles teure Sorten.

Ich bot Märker eine Zigarre an, gab ihm einen Abschneider und reichte ihm ein Streichholz.

»Ah – ein vorzügliches Kraut,« meinte er nach den ersten Zügen. »Nun aber zu diesem rätselhaften Verbrechen zurück – Ich liebe sonst derartige Ausdrücke wie rätselhaft, geheimnisvoll und so weiter nicht. Sie schmecken nach Sensation. Hier liegt aber wirklich etwas so ungewöhnliches vor, daß ich wie vor einem Rätsel stehe.«

Ich dachte: »Wenn Du wüßtest, was mir noch begegnet ist –!«

»Mein Verdacht, daß der Kanzleirat durch den Rentier Marville in dem Schränkchen fortgeschafft sein könnte, hat sich nicht bestätigt,« sagte er mit Betonung des Wortes Schränkchen.

»Ah – wirklich nicht?! Auch ich hatte dies vermutet.«

»Diese Erklärung für das Verschwinden der Leiche – falls der Major von Balting eben recht hat, daß der Schuß tödlich gewesen sein muß! – lag ja auch am nächsten. Doch, wie gesagt, – es ist nichts damit! Das Schränkchen war bereits zwei Tage vorher verkauft worden, zusammen mit zwei Bronzebüsten und einer Statue aus Marmor. Diese Sachen waren in dem Schränkchen verpackt. Ich habe sie selbst ebenfalls bei dem Käufer, einem Herrn Herbst, gesehen. Wir sind nun also genau so klug wie vorher. Nur – nur einen Menschen haben wir gestern gegen zwölf Uhr nachts verhaftet, der in verdächtiger Weise hier das Haus umschlich. Der Mann sieht etwas schäbig aus, gibt auf keine Frage eine Antwort und hat in seiner Zelle dann so fest geschlafen, daß man aus diesem Grunde annehmen müßte, er dürfte ein ziemlich reines Gewissen haben oder – ein ganz schwerer Junge sein. Heute vor einer Stunde ließ ich ihn mir wieder vorführen. – Ein seltsamer Kauz! Meine Fragen überhörte er, dafür fragte er aber mich nach so merkwürdigen Dingen, daß ich ihn für übergeschnappt halte, obwohl er sonst eine Ruhe besitzt, die die meinige noch übertrifft. – Denken Sie – so fragte er zum Beispiel: »Wie geht es Erwin Malwa, dem Phantasiemörder?«

Ich zuckte zusammen. »Phantasiemörder – gebrauchte er wirklich den Ausdruck?« fragte ich schnell.

Märker sah mich gespannt an. »Allerdings. Aber –«

»Ich gehöre einem Verein junger, etwas verschrobener Künstler an,« erklärte ich hastig. »Blauer Dunst heißt der Verein sehr bezeichnend. Da hat jedes Mitglied einen Spitznamen. Ich bin der Phantasiemörder, weil ich gern in meinen Romanen und Novellen die verbrecherischen Instinkte der Menschenseele beleuchte.«

»Ah, – dann muß der Mann Sie kennen!«

»Wahrscheinlich. – Was fragte er denn noch?«

»Ob ich heute früh schon auf dem Flugplatz Alsdorf gewesen wäre. – Alsdorf liegt keine zwei Kilometer von Palmburg entfernt. – Und dann wollte er auch wissen, ob Fräulein Hermine Löckner diese Frisur aus der Krinolinenzeit schon immer getragen hätte.«

»Merkwürdig! – Und der Mann wurde in der Nähe meines Hauses hier aufgegriffen? – Das muß ja wirklich ein seltsamer Heiliger sein –!«

Dann schoß mir plötzlich ein besonderer Gedanke durch den Kopf. Gerade diese verrückten Fragen deuteten ja mit ziemlicher Bestimmtheit auf jemanden hin, den ich nur zu gut kannte! Doch dieser jemand konnte jetzt bestenfalls nach Palmburg unterwegs, nie aber hier bereits seit gestern anwesend sein! – Immerhin – dem Menümaler war so ziemlich alles zuzutrauen! Der hatte seinen Freunden schon ganz andere Ueberraschungen beschert!

Ich ließ mir den Mann daher von Märker beschreiben.

»Mittelgroß, abschreckend mager, ein Vogelgesicht mit einer krummen, messerscharfen Nase, ein Mund, fast lippenlos, wie ein zwischen Kinn und Nase gezogener, nicht gerade kurzer Strich, keine Spur von Bartwuchs, dünnes, kurzes, hochstehendes Kopfhaar von strohgelber Farbe, dazu ein schäbiger Anzug, schäbiger steifer Hut und ein Mantel mit gestepptem Seidenfutter und dem Monogramm B. v. B., – ein Mantel, viel zu elegant für diesen Menschen, der keinerlei Papiere, keinen Pfennig Geld und nur ein kleines Skizzenbuch bei sich hatte, in dem Ihr Haus, Herr Malwa, von fünf verschiedenen Seiten sehr flüchtig abgezeichnet war, dann zweimal wieder die Ruine im Gemüsegarten, auch recht flüchtig, aber in der ganzen Art der Ausführung genial.«

Ich sprang auf. »Das versteh' ein anderer! Er ist's!« rief ich.

»Ja, wer denn in aller Welt?«

»Mein Freund Garblig, Hosea Garblig, der – Menümaler!« Und ich lachte so fröhlich, daß der ernste Kommissar wohl etwas an meinem gesunden Verstand gezweifelt hat; wenigstens schaute er mich so seltsam prüfend an.

»Diesen Herrn begreife ich nicht – tatsächlich nicht!« meinte er kopfschüttelnd. »Weshalb hat er mir denn nicht gesagt, wer er ist?! – Wir glaubten schon, in ihm einen ganz seltenen Vogel gefaßt zu haben. Da er so beharrlich auf meine Fragen schwieg und selbst nur fragte, da ich sein eigenartiges Benehmen für Berechnung hielt, für einen Versuch, seine Identifizierung zu erschweren, wollte ich ihn ja schon aus dem Polizeigewahrsam entlassen, teilte ihm dies auch mit. – Und seine Antwort? – Er grinste höhnisch und fragte: »Wie viele von Ihren Geheimen stehen schon bereit, Herr Kommissar, um mir nachzuschleichen und so mitzuhelfen, den über meiner interessanten Persönlichkeit liegenden Schleier zu lüften?« – Ich war verblüfft. Ich hatte nämlich wirklich schon zwei Leute beauftragt, sich an seine Fersen zu heften. – Und dann fügte er noch hinzu: »Herr Kommissar, dürfen Sie einen Mann wieder freigeben, der in der Nähe eines Hauses nächtlicherweile betroffen ist, in dem sich so merkwürdige Dinge abgespielt haben? Und – haben Sie nicht auch mal das Verlangen, ganz ungestört über dies und jenes nachzudenken? Gibt es anderswo eine so heilige, gedankenerfüllte Stille als in einem Gefängnis?« – Na – da ließ ich ihn eben wieder abführen.«

Ich nickte Märker schmunzelnd zu. »So ist er, der Hosea! Oh – und das ist noch der zahme Hosea! Bei dem kann man Wunderdinge erleben.«

»Kommen Sie mit, Herr Malwa,« schlug der Kommissar vor. »Holen Sie sich Ihren Freund persönlich ab. Mein Dienstauto wartet an der Brücke. Was wir noch zu besprechen haben, kann während der Fahrt geschehen.«

Gleich darauf verließen wir mein neues Heim.

Vor der Haustür stand Meister Hähnchen in der Sonne.

»Ich finde, es riecht schon etwas nach Frühling, meine Herren,« sagte er freundlich. »Die liebe Sonne wirkt doch bereits recht stark! Wie das Schneewasser vom Dach leckt! Das wird abends wieder lange Eiszapfen geben, und morgens kann ich sie dann mit 'ner Stange von den Bodenfenstern aus abschlagen, damit sie nicht jemandem auf den Kopf fallen. Letztens war ein Eiszapfen hier gerade über der Tür entstanden, der wog gut seinen Zentner.«

Das graugestrichene, geschlossene Auto hatte elektrische Heizkörper. Man saß daher sehr behaglich darin.

Märker begann sehr bald:

»Ihr neuer Besitz, Herr Malwa, ist in der Nachbarschaft, nein sogar in ganz Bäckershagen recht verschrien. Jedes Kind kennt das Haus unter dem Namen das Spukhaus. Ich pflege nun bei Untersuchungen auch Dinge zu beachten, die mit dem eigentlichen Gegenstand der Nachforschungen nichts zu tun zu haben scheinen. So auch hier diese Gespenstergeschichten – Meine Leute haben festgestellt, daß Frau Fama – dies alles hat man mir ja auch gestern bei der Vernehmung schon erzählt! – drei Arten von Spuk unterscheidet: unheimliche Töne, eine im Garten auftauchende Gestalt und neuerdings noch Ihre Tante, die auch »umgehen« soll. Ich möchte all dies einmal nachprüfen lassen. Zu diesem Zweck will ich einen meiner Beamten, einen jungen, sehr tüchtigen Menschen, in das Haus sozusagen einschmuggeln. Es soll niemand etwas davon wissen als nur Sie. Auf Ihre Diskretion darf ich mich ja wohl verlassen. Unter welcher Maske der Beamte auftreten wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Er wird sich Ihnen aber zu erkennen geben.«

Während Märker mir dies in seiner ruhigen Art mitteilte, überlegte ich mir, ob ich ihm nicht berichten sollte, was ich in der verflossenen Nacht und gegen Morgen in meinem neuen Heim erlebt hatte. Ich kam aber doch zu dem Entschluß, erst mit dem Menümaler Rücksprache zu nehmen. Hosea Garblig war ja auf alles Außergewöhnliche geradezu erpicht, obwohl er dies niemand merken ließ. Ich war auch nur durch einen Zufall, als ich ihn etwa fünf Monate kannte, dahintergekommen. Wir waren damals eines Abends die einzigen am Stammtisch des Vereins Blauer Dunst gewesen, und ich hatte das Bedürfnis gefühlt, mit einem Menschen über unsere Familienverhältnisse zu sprechen, da es mir so schlecht ging, daß ich mich an die Tante Hermine um Unterstützung wenden wollte. So kam es, daß Hosea von dem erbitterten Haß erfuhr, der mich von Hermine Löckner trennte, als gäbe es keine verwandtschaftlichen Bande zwischen uns. – »Sie muß Deinen Vater über alles geliebt haben,« meinte er. »Die verzehrende Eifersucht ist dann in Haß übergegangen. Auf Seiten Deiner Mutter mag diese Gefühlsumwandlung in ähnlicher Weise erfolgt sein.«

Märker ließ dann den Häftling nach seinem Dienstzimmer bringen. In Begleitung eines Schutzmannes trat Hosea Garblig ein. Als er mich sah, nickte er mir zu und fragte:

»Ist der Schnupfen schon zu merken, Phantasiemörder?« Dabei zog er die Oberlippe an einer Seite hoch, so daß seine etwas vorstehenden Vorderzähne, wahre Hauer, sichtbar wurden. Er sah dann mit seinem Vogelgesicht wenig sympathisch aus. Aber eine andere Art von Lachen oder Lächeln kannte er kaum, immer war es höhnisch oder ironisch. Und doch – ich wußte, welch' gute, treue Seele sich hinter diesem Grinsen verschanzte! – Hosea hatte nur einen einzigen Charakterdefekt: das Anpumpen! Aber er suchte sich seine Opfer stets mit Vorsicht aus. Wirklich armen Teufeln gab er die erborgten Beträge wieder. Bei dem dichtenden Kommißbock lag die Sache anders.

Ich war aufgestanden, hütete mich aber, ihm die Hand etwa hinzustrecken. Er hätte sie übersehen. Für derartige spießbürgerliche Gewohnheiten war er nicht zu haben.

Was er mit dem Schnupfen meinte, wußte ich nicht. Um ihn zum Reden zu bringen, gab es nur eine Methode: Eine möglichst törichte Behauptung aufzustellen! – Ich fragte daher auch:

»Schnupfen?! – Der Arzt hat erklärt, es wird eine Lungenentzündung werden. Ich habe bereits 39,2 Fieber.«

»Blödsinn! Wenn man ohne Mantel im bloßen Kopf bei acht bis neun Grad Kälte fünf Minuten lang im Freien nach einem Schutzmann sucht, holt man sich bei Deiner Bauerngesundheit nur einen Schnupfen!« meinte er achselzuckend.

»Genau so, als wenn man im kalten Gepäckwagen als blinder Passagier in demselben Zuge wie ich von Berlin nach Palmburg fährt,« fügte ich hinzu, indem ich ihm auf die Schulter klopfte.

Die Oberlippe zog sich ganz hoch. »Willst Du Mikowski begrüßen?« lautete seine Entgegnung. – Mikowski war ein bekannter Fluglehrer der Rumpler-Werke. Gelegentlich kam er auch an den Blauen Dunst-Stammtisch. – Sofort fiel mir ein, daß der Menümaler dem Kommissar gegenüber den Flugplatz Alsdorf erwähnt hatte. Jetzt wußte ich Bescheid.

»Ihr habt unterwegs drei Notlandungen gehabt,« sagte ich zu Hosea. »Mikowski blamiert sich bei längeren Probeflügen immer!«

»Das ist plumper Schwindel, Kind! Aber – trotzdem bin ich mit Dir leidlich zufrieden. Du hast soeben bewiesen, daß Du mit Recht zu den höchstentwickelten Affen gehörst. – Mikowski hat mich mitgenommen auf meine Bitte hin. Ich ahnte, daß Dein Einzug in Deinen Besitz nicht ohne Zwischenfälle bleiben würde. Wir sind gestern um acht Uhr morgens in Johannistal aufgestiegen und waren um zwei Uhr nachmittags in Alsdorf.«

Für Hosea war das schon eine riesenlange Rede. Besonders, daß er richtige Sätze bildete, was er sonst nur bei Fragen tat, erregte mein Erstaunen.

Märker hatte für meinen Freund offenbar das größte Interesse.

»Sie hätten diese Nacht nicht in einer Zelle –,« begann er sehr höflich, wurde aber schon bei Zelle von Hosea unterbrochen:

»Kennen Sie ein billigeres, wärmeres, ruhigeres Hotelzimmer für einen Mann ohne Geld als eine Zelle? – Nennen Sie mir jemand, der gestern nacht froher war als ich, als Ihre Schergen mich mitnahmen?!«

Märker mußte lächeln, Hosea setzte sich auf den nächsten Stuhl und ich führte in längerer Rede aus, daß es ratsam wäre, wenn ich Hosea scheinbar vom Bahnhof nach Ankunft eines Berliner Zuges abholte, damit man im Spukhause auch wirklich daran glaube, daß er mein Freund Garblig sei und nicht etwa ein verkappter Kriminalbeamter.

Der Menümaler tat, als ginge ihn die ganze Sache nicht das geringste an. Selbst als ich ihm einen Hundertmarkschein reichte, damit er sich einen fertigen Anzug, Wäsche und so weiter kaufen könnte, blieb er stumm, steckte die Banknote nur wie gelangweilt in die Westentasche. Bei dieser Gelegenheit sagte ich:

»Dein jetziger Wintermantel ist auch nicht mehr gut genug für den Berliner Freund eines Hausbesitzers. Morgen kaufen wir ebenfalls einen neuen!«

»Meinst Du, Borwin Freiherr von Bock-Palluck wird einem Freunde einen uneleganten Mantel borgen?« fragte er.

Aha – nun hatte ich es ja heraus! Daher das Monogramm B. v. B.!

Nachher bat Märker den Menümaler, ihn darüber aufzuklären, was Hosea eigentlich gestern abend in der Nähe meines Hauses gewollt hätte.

»Interessieren Sie sich auch für Baustil und Haartrachten, Herr Kommissar?« entgegnete er. »Gefallen Ihnen die Skizzen des Gebäudes, die ich nachmittags anfertigte? Und können Sie alte Gemälde schon nach den Frisuren der darauf befindlichen Damen auf die Zeitepoche hin unterscheiden, zu der diese Damen gelebt haben sollen?«

Märker gab es auf, mehr aus Hosea herauszuholen. Dann aber fragte dieser nach einer Weile weiter: »Kennen Sie die Kneipe Zum feurigen Roß in Bäckershagen?«

»Nur dem Namen nach – von außen.«

»Ob dort außer dem Amtsschreiber Sauerbier, dem Lehrer Bruchstück und dem jetzt verschwundenen Kanzleirat Wehrhut noch mehr Einwohner des Spukhauses verkehren mögen?«

»Sie sind also in jener Kneipe gewesen, Herr Garblig, und scheinen dort mancherlei gehört zu haben, auch wohl, daß Wehrhut vielleicht ermordet worden ist.«

»Wenn Sie wie ich, in dem Kolonialwarengeschäft gegenüber dem Spukhause an der Glastür stehend, den Phantasiemörder aus dem Haufe im bloßen Kopf herausstürzen gesehen hätten, als er den Schutzmann holte, wenn Sie weiter beobachtet hätten, wie er die Dame am Fenster und das Männergesicht eine Etage höher wie Ausgeburten der Hölle anstierte und dann weiterrannte, – wäre Ihnen dann nicht auch der Gedanke gekommen, daß etwas passiert sein müsse, und wären Sie dann nicht ebenfalls in die Kneipe gegangen, in der sich der Schutzmann Lanser nachher innerlich aufwärmte?!«

»Sie scheinen mir so etwas ins Handwerk pfuschen zu wollen, Herr Garblig,« meinte Märker freundlich.

»Wofür halten Sie mich? Haben Sie schon mal für Geld eine Menükarte entworfen? Habe ich schon mal für die Aufklärung einer außergewöhnlichen Begebenheit den Titel Kommissar und Gehalt bekommen? Und – haben Sie die Bronzebüsten und die Statue in das Schränkchen gepackt, den Chauffeur, der es tragen half, gerufen und ihn gefragt, ob das Schränkchen wirklich so schwer war, wie jetzt mit dem angeblichen Inhalt?«

Märkers Gesichtsausdruck wurde gespannt.

»Wie, Sie wissen auch schon, daß ich bei Herrn Herbst gestern abend war? – Sie sind ein vielseitiger Mensch, Herr Garblig, – allerlei Hochachtung! – Uebrigens Ihre Idee ist glänzend. Sie zweifeln also daran, daß die drei Kunstgegenstände in dem Schränkchen verpackt waren?«

»Wo soll Wehrhut wohl hingeraten sein? Ist das Haus so oberflächlich durchsucht worden?«

»Nein – im Gegenteil. – Aber der Kanzleirat kann vielleicht aus dem ersten Stock, aus der Wohnung Marvilles, an Stricken in den Gemüsegarten hinabgelassen worden sein.«

Hoseas Oberlippe schob sich sehr hoch. Die weißen Hauer blinkten höhnisch.

»Wann wirst Du mich von der Bahn abholen?« fragte er, indem er so tat, als habe der Kommissar soeben einen Unsinn gesprochen, auf den eine Antwort überflüssig war.

Märker lächelte wieder ein wenig, holte ein Kursbuch, blätterte darin und sagte: »Um halb vier nachmittags läuft ein Personenzug aus Berlin ein.«

»Gut, also halb vier Hauptbahnhof, Wartesaal zweiter Klasse,« meinte ich.

Hosea fragte darauf Märker: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich auch so etwas um diesen Fall Wehrhut kümmere?«

»Durchaus nicht. Sie würden mir damit sogar einen Gefallen tun.«

»Ob dem Täter wohl auch? – Ganz sicher! Sie bringen keine Menükarte fertig, Herr Kommissar, und ich keinen Mörder an den Galgen. Ist es nicht besser, jeder Schuster bleibt bei seinem Leisten?«

Ich verstand Hosea nicht, und Märker wohl auch nicht. Zu längerem Nachgrübeln hatten wir auch keine Zeit, denn er fragte schon wieder:

»Was haben Sie über Wehrhut festgestellt? Wo lebte er, bevor er nach dem Spukhause kam?«

Märker erwiderte: »Es ist uns aufgefallen, daß der Kanzleirat so sehr ärmlich eingerichtet ist. Die Zimmer enthalten nur die allernotwendigsten Möbel. Dann ist es auch sonderbar, daß sich in der ganzen Wohnung nichts von Papieren vorgefunden hat, die auf den Verschwundenen Bezug haben, – nichts, nichts! Er ist jedoch ordnungsmäßig angemeldet, kam aus Berlin und lebte hier sehr zurückgezogen. Nur die Abende verbrachte er häufig im feurigen Roß, nachdem er mit Sauerbier bekannt geworden war.«

Es klopfte jetzt und ein Kriminalschutzmann trat ein, ein noch junger Mensch mit einem rosigen Gesicht, recht gut angezogen und sehr sicher auftretend.

»Was bringen Sie, Helmbach?«

»Darf ich vor den Herren,« – dabei streifte sein Blick besonders Freund Hosea etwas zweifelnd – »meine Meldung erstatten?«

»Ja. – Also – was gibt es?«

»Vor einer halben Stunde ist ein Möbelwagen vor dem Spukhaus vorgefahren, um die Sachen Wehrhuts abzuholen. Alles hat seine Richtigkeit damit. Die Möbel waren von dem Auktionator Levisohn nur geliehen. Levisohn zeigte dem Schlossermeister Hähnchen und mir einen Brief vor, den der Kanzleirat gestern morgen geschrieben hat, so daß Levisohn das Schreiben heute früh erhielt. Der Brief enthält die Aufforderung, die Sachen abzuholen. – Herr Hähnchen hat mir bestätigt, daß der Brief zweifellos von dem Kanzleirat geschrieben worden sei, ebenso auch die Frau Sauerbier. – Ich wollte nun fragen, ob der Levisohn die Möbel und alles übrige – denn er hat alles zur Einrichtung geliefert, jede Kleinigkeit, selbst die Bücher auf dem Fichtenholzschreibtisch und die Gaslampen – mitnehmen darf, weil doch nun schon mal der Möbelwagen da ist.«

»Hm – Halfner hat ja gestern die Zimmer und die Sachen durchsucht – Nun gut. Nur der Läufer im Flur soll liegen bleiben, und über den Blutfleck soll ein Brett gedeckt werden, damit er nicht verwischt wird.«

»Darf ich dann von hier gleich telephonieren? Der Herr Major von Balting wollte, da er Telephon hat, Ihre Entscheidung Levisohn mitteilen.«

Nachdem Helmbach das kurze Gespräch erledigt hatte, indem er sich des auf dem Tische des Kommissars stehenden Apparates bediente, fragte er Märker, ob dieser noch Befehle für ihn hätte.

»Nein. – Aber – haben Sie sich schon überlegt, in welcher Maske Sie die Arbeit dort beginnen wollen?«

»Am liebsten gar nicht, Herr Kommissar. Ich halte diese Mühe für zwecklos. Ich bin bedeutend ungebundener, wenn ich nach der bisherigen Methode arbeite.«

Ich verstand. Helmbach war der Beamte, den Märker hatte in das Haus einschmuggeln wollen. Aber ich glaubte auch herauszufühlen, daß Helmbach nur vor Hosea und mir so tat, als verlohne sich dieses Einschmuggeln in das Spukhaus nicht. Er wollte eben seine Absichten vor uns nicht enthüllen. –

Märker nickte und meinte: »Das überlasse ich ganz Ihnen.«


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