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Die Bahn ging erst einen langen Abhang ziemlich gerade hinab, machte dann eine scharfe Krümmung nach rechts und benutzte weiter einen recht steilen Hügelrücken, um nachher in zahlreichen, weniger gefährlichen Kurven sich durch kleine Täler und Schluchten bis in die Nähe des Gemüsegartens hinzuziehen.
Der Kommißbock war nicht wenig stolz darauf, diese neue Rodelstrecke »ausgeknobelt« zu haben. Vorläufig endete die Talfahrt für den neuen Bobschlitten, Fünfsitzer, allerdings regelmäßig schon an der ersten scharfen Kurve.
Wir sechs standen gerade in geschlossener Gruppe da, als Irmgard von Balting rief: »Ist das nicht die Tochter Hähnchens?«
»Sie ist's!« meinte der Menümaler. »Donnerwetter – sieht totschick aus in ihrem Rodelkostüm!«
»Finden Sie?!« sagte die älteste Balting sehr gedehnt.
Lore Hähnchen, ihren Rodelschlitten hinter sich herziehend, umging uns. Wir Herren grüßten. Sie dankte wie eine Fürstin. Und ich dachte: »Ein Weib zum Anbeißen! Die Schlosserstochter merkt der auch niemand mehr an!«
Als Lore außer Hörweite war, sagte Irmgard:
»Wenigstens hätte sie doch fragen können, ob sie unsere Bahn benutzen darf.«
»Hätte –! Sie tut's aber nicht! Stark entwickeltes Gefühl für Selbständigkeit!« meinte Hosea, der dem Hühnchen, wie wir sie unter uns nannten, voller Interesse nachblickte.
Dann zog die Bobbesatzung bergan.
Ich war gespannt, ob Lore die Kurve glücklich nehmen würde, und blieb allein an der Kurve zurück, da ich als sechster ohnehin nicht mitfahren konnte.
Jetzt kam der kleine Schlitten wie ein Blitz dahergeschossen –
Ah – da mußte wohl ein Hindernis gelegen haben, eine Baumwurzel – ein Stein –
Ich mußte laut auflachen – Lore war mir gerade vor die Füße gerollt –
»Aller Anfang ist schwer!« meinte ich und half ihr auf.
Sie schüttelte den Schnee ab. Ihre grauen Sphinxaugen schauten mich unangenehm durchdringend an.
»Eine Frechheit, nicht wahr, Herr Malwa?!« sagte sie spöttisch.
Ich wußte, was sie meinte. Aber die gesellschaftliche Heuchel-Dressur ließ mich trotzdem erwidern:
»Ich verstehe nicht ganz – Auf wen soll sich diese Frechheit beziehen?«
»Oh – Anmaßung klingt netter – Auf mich natürlich! – Uebrigens hätte ich Ihnen mehr Aufrichtigkeit zugetraut.«
Sie holte ihren Schlitten.
»Ich kann mir ja denken, was die drei lieben Mitschwestern adliger Abstammung gesagt haben, als ich vorhin auftauchte,« begann sie wieder. »Schlosser schließt den Begriff des Ausgeschlossenseins von so feudalem Wintersport schließlich selbsttätig in sich ein!« Sie höhnte wieder –: Schlosser – schließt – ausgeschlossen – schließlich, – das genügte!
Ihre Rätselaugen, in deren Tiefen es schimmerte wie die Oberfläche eines im Waldschatten liegenden smaragdgrünen Weihers, drangen wieder in die meinen. Trotz, Kampflust, Bitterkeit und Spott strahlten mich an. Und schnellatmend vor innerer Erregung fügte sie hinzu: »Es ist natürlich ein Verbrechen gegen die geheiligte Tradition, daß eines Handwerkers Tochter es wagt, junge Dame zu spielen, sogar noch eine Dame von Welt mit einem Horizont, der etwas weiter reicht, als die letzten Häuser von Bäckershagen. Seidene Dessous und manikürte Hände sollen eben wie vieles andere den besseren Ständen und – der Halbwelt vorbehalten bleiben!«
Plötzlich lachte sie hell auf. »Schade, daß ich keinen Spiegel hier habe, Herr Malwa – Ihr Gesicht ist köstlich! Wie das eines Oberzeremonienmeisters, der nicht weiß, ob er über die aus jedem Rahmen höfischer Sitte fallende Ungezwungenheit einer frischgeadelten Frau von Müller oder Meier mit einer Masse Millionen weinen oder lachen soll!«
Von der Höhe der Ton einer Trillerpfeife. Der Bob setzte sich wieder in Bewegung, kam wie ein dicker Lindwurm angerast und – warf seine fünf Reiter regelrecht dicht vor Lore Hähnchen und mir in den Schnee.
Als die fünf sich hochgerappelt hatten, sagte Lore sehr laut und bestimmt:
»Auf diese Weise werden Sie die kurze Kurve nie nehmen.« Und es folgte ein langer Vortrag mit vielen fachtechnischen Ausdrücken, aus dem hervorging, daß das Hühnchen im Januar vierzehn Tage im Riesengebirge auf einer Dreitausend-Meter-Bahn sich als Boblenkerin trainiert hatte.
Hosea, der selbst heute seinen Scherben im Auge hatte und in der weißen, anliegenden Wolljacke noch dünner aussah, stellte jetzt Lore in aller Form, obwohl sie sich natürlich längst kannten, den drei Baltings und auch dem dichtenden Kommißbock vor.
Die Majorchens waren erst kühl bis ans Herz hinan, tauten aber allmählich auf, und zwar hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil Hosea und Borwin Lore ganz als Dame behandelten.
Die nächste Bobfahrt, bei der Borwin freiwillig ausschied, wurde ein voller Erfolg. Lore bekam den Schlitten wirklich um die Ecke des Anstoßes herum, und mit Hurra sausten die fünf an dem Oberleutnant und mir vorüber weiter talabwärts. –
Erst gegen halb eins brachen wir dann auf, um rechtzeitig zum Mittagessen daheim zu sein.
Lore war jetzt ganz als vollgültiges Mitglied in den Rodelklub »Spukhaus« aufgenommen. –
Wir drei Freunde saßen eine Viertelstunde später oben im Wohnzimmer am einladend gedeckten Tisch und löffelten die Suppe, – Erbsen mit Weißbrotröstwürfeln, und sprachen natürlich über Lore. Wir waren uns völlig einig darüber, daß das junge Mädchen unsere Erwartungen weit übertroffen und uns sehr angenehm enttäuscht hatte. Hosea äußerte sich sogar ganz begeistert über Lore.
Als wir dann gerade beim Nachtisch angelangt waren, zerriß plötzlich ein gellender Schrei die in meinem Wohnzimmer gerade herrschende Stille.
Der Schrei kam aus dem Vorgarten.
Hosea hatte schnell ein Fenster geöffnet, beugte sich hinaus –
»Der Eiszapfen!« rief er und stürmte davon.
Wir hinter ihm her. Während wir die Treppen hinabliefen, erklärte ich stoßweise –
»Hähnchen hat schon – immer – gefürchtet – daß jemand getroffen – werden könnte –«
Wir kamen zu spät. Frau Sauerbier hatte ihre Nichte, die tatsächlich von einem herabfallenden, riesigen Eiszapfen zu Boden geschmettert worden war, bereits in ihre Wohnung getragen. Nur Hosea bekam sie zu sehen, erklärte die Wunde am Kopfe für harmlos und berichtete uns dann noch, das junge Mädchen hätte gerade von außen Fenster geputzt, als der Unfall sich ereignete. Nachher ging er sofort zu Baltings nach oben, angeblich, um sich von dem Major ein Buch zu leihen. Er blieb eine gute Viertelstunde weg.
Borwin und ich hatten uns inzwischen im Salon in den Sesseln ein kleines Verdauungsschläfchen geleistet.
Hosea machte uns schnell munter.
»Also, Kinder, – Ihr müßt heute Eure satte Trägheit schon im Interesse der Allgemeinheit etwas meistern! – Hört mich an. Ich kann Euch nicht verhehlen, daß ich hier dauernd in Lebensgefahr schwebe – dauernd. Mir macht dies aber nichts aus. Ich werde schon die Augen offen halten! Sollte mir aber doch etwas widerfahren, so könnte dadurch die Aufklärung der Geheimnisse dieses Hauses stark in Frage gestellt werden. Ich muß mich Euch also in gewissem Grade anvertrauen, obwohl es für die Sache selbst besser wäre, wenn Ihr ganz harmlos bliebet. – Damals, in jener Nacht, als der starke Schneefall eintrat und ich nach dem Sturz auf die Steine, woran der durchschnittene Blitzableiter schuld war, zum zweiten Mal in Pelz und Laken mich hinauswagte, fand ich trotz des Schneegestöbers die Laterne an der Stange brennend vor. Ich faßte daher hinter der Ruine nach der tiefen Schlucht zu Posto, stand dort, gedeckt durch ein paar Tannen, wohl eine gute halbe Stunde fast regungslos. Der Schnee fiel immer dichter. Weit zu sehen war unmöglich. Etwa fünf Meter vor mir lief der ausgetretene Pfad auf die hintere Gartenpforte zu, den Du ja auch kennst, Erwin. Dann tauchten plötzlich von links, also aus der Richtung des Fabrikviertels Palmburgs, sechs Gestalten auf, die lautlos durch den weichen Schnee dahergestapft kamen. Es waren Männer, teils in Mänteln, teils in dicken Joppen. Genau konnte ich sie nicht sehen, da die herabtanzenden Flocken einen wenig durchsichtigen, immerfort abrollenden Vorhang bildeten. Aber – die Leute hatten sämtlich die Gesichter mit wollenen Schals verhüllt! – Natürlich folgte ich ihnen. Sie durchschritten die Pforte und hielten auf das Haus zu –«
Hosea machte eine Pause, ging ins Wohnzimmer an das Buffet und trank einen Kognak.
Dann setzte er sich rittlings vor uns auf einen Stuhl.
»Ihr wißt, ich bin nicht gerade ängstlich oder schreckhaft, und abergläubisch schon gar nicht –! Ich habe in meinem Leben in den letzten acht Jahren, seit ich die doppel–« Er hüstelte »– die doppelte Freude habe, Menükarten und Ansichtskarten entwerfen zu dürfen, so nebenbei viel durchgemacht, viel Seltsames, Abenteuerliches, auch manches, was unheimlich erschien auf den ersten Blick und nachher doch nur schwarze Lumpen waren, die etwas alltägliches verhüllten. – Das Grauen habe ich nie kennengelernt. Bis ich nach Bäckershagen kam, bis eine schneereiche Nacht mich hinauslockte – Ich schlich also hinter den sechs Männern her. In vorsichtiger Entfernung, – so, daß ich den letzten der Reihe nur noch eben als dunklen Schatten vor mir wahrnahm – Dann war dieser Schatten urplötzlich verschwunden. Ich war mißtrauisch, blieb stehen. In dem Moment hörte das Flockengeriesel gerade ein wenig auf. Und da, Freunde, – da reckte sich dicht vor mir, wie aus dem Boden gewachsen – das Gartengespenst empor, – der Geist mit der Haube, mit den schleppenden, dunklen Gewändern. Und unter der Haube stierte grinsend – ein Totenschädel hervor, gelb-weißlich, gräßlich gerade in dieser Umhüllung – Ich prallte zurück, riß den Revolver aus der Tasche, zielte und rief: »Hände hoch – oder es knallt!« – Ein paar Arme, stoffbehängt, reckten sich höher, reckten sich meinem Gesicht zu – Ich sah zwei fleischlose Knochenhände, keine Menschenhände – Und mit einem Mal, gerade als ich losdrückte, wurde mir der Arm, der die Waffe hielt, zur Seite geschlagen – Zwei Schüsse verpufften in die Luft, – und die Skelettfinger umkrallten meinen Hals – Da verlor ich das Bewußtsein –«
Hosea fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Und Borwin sagte nur: »Donnerwetter!«
»Das Haubengespenst,« berichtete Hosea dann weiter, »hat mir fraglos aufgelauert, hat mich schon beobachtet, als ich auf meinem Posten an dem Fußpfade stand, vielleicht auch schon, als ich das Haus verließ. Und der, der diese unschöne Kostümrolle mit Totenkopf und Skeletthänden spielt, weiß, daß ich nicht der harmlose Maler bin, der Angst vor Gespenstern heuchelt und Monokel und Lackschuhe mit grauen Gamaschen trägt, sondern ein nicht zu verachtender Gegner. Daher schwebe ich auch in Lebensgefahr. Ich will Euch dies nicht noch näher begründen. Ihr könnt es mir schon glauben: ich habe Beweise dafür. Vielleicht fällt mir auch mal ein Eiszapfen auf den Kopf –«
Borwin und ich hoben die Köpfe ruckartig, schauten Hosea überrascht an.
»Nein, nein,« meinte er mit blinkendem Obergebiß sehr ironisch, »was ihr beide da soeben denkt, trifft nicht zu. Fräulein Anna Helmbach ist das Opfer eines unglücklichen Zufalls geworden – nichts weiter. – Ich wollte Euch nur zeigen, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, einen Menschen unschädlich zu machen. – Ich habe nun an Dich einige Anliegen, geliebter Phantasiemörder. Du wirst heute daheim bleiben. Der Kommißbock und ich werden allein auf der Rodelbahn die Kavaliere spielen. – Um drei oder halb vier wird sich Märker einfinden. Du wirst ihm erzählen, was mir in jener Nacht begegnet ist. Und dann frage ihn, ob Fräulein Anna Helmbach vielleicht heimlich verheiratet ist. Weiter bitte ihn, mir die Strafakten gegen Percy Marville wegen Einbruchsdiebstahls, begangen vor sechs Jahren in Palmburg, zu besorgen. – Merke Dir das genau – verstanden?! – Ich will absichtlich nicht mit Märker zusammenkommen. Ich will versuchen, meinen Feind, den Knochenmann, wieder in Sicherheit zu wiegen. Ich werde die Rodelei betreiben, als machte sie mir wirklich Spaß. Und Du mußt unauffällig überall verbreiten, daß ich aus meinem nächtlichen Abenteuer die Lehre gezogen hätte, man solle besser nicht Haubengeistern nachspüren, und daß ich meine Finger jetzt für alle Zeit davon lassen würde. Ebenso erzähle jedem, der es hören will, daß ich demnächst abreise, daß Du Dir aber den bekannten Berliner Privatdetektiv Hans Gorski verschrieben hättest, der zur Zeit aber unabkömmlich wäre und erst nach acht Tagen eintreffen würde. Pirsche Dich auch an Frau Sauerbier, diese alte Klatschbase, heran, und erkundige Dich, weswegen wohl Lore Hähnchen gestern morgen so plötzlich hier eingetroffen ist. Vielleicht hängt dies so etwas mit der Person Merlings zusammen, den Lore ja wohl stark anschwärmen soll. Besuche auch noch heute den gestern abend eingetroffenen neuen Mieter, den Chemiker Schellhorn, mache Dir irgendein Gewerbe und schau Dich in seiner Behausung um. Ich finde, er hat sehr spärliches Mobiliar mitgebracht. Vielleicht ein armer Teufel, der die Miete schuldig bleibt. Und schließlich kannst Du noch den Lehrer zu heute abend zum Skat einladen – zum Skat, vergiß das nicht! – So, das wäre alles!«
Ich wiederholte diese Aufträge der Sicherheit halber nochmals, obwohl ich mich auf mein Gedächtnis verlassen konnte, und fragte Hosea darauf:
»Hast Du etwa wirklich den berühmten Gorski herbestellt? – Das dürfte ein teurer Spaß werden. Der Herr soll sich ja wie ein berühmter Operateur bezahlen lassen.«
»Der Freund Kommißbock hat so viel Geld, daß er gern einen braunen Lappen wird springen lassen.«
Borwin Freiherr von Bock-Palluck nickte eifrig.
»Na also!« meinte Hosea. »Im übrigen, lieber Borwin, sollst Du morgen früh nach Palmburg fahren und mir folgendes in aller Heimlichkeit einkaufen: Eine große Flasche unverwaschbare violette Anilin-Tinte, drei dünne Gummischläuche von je drei Meter Länge, drei Gummibälle mit Ansatzschläuchen, wie man sie bei Spritzflakons verwendet, und drei Augentropfröhrchen, auf die die langen Schläuche sich aufstreifen lassen müssen.«
Borwin und ich machten wenig geistreiche Gesichter.
»Was willst Du denn damit,« meinte der Oberleutnant.
»Stempeln – unverwaschbar stempeln!« lachte Hosea und stand auf. »Es ist Zeit. Der Kavalierdienst beginnt.«
Als die beiden gegangen waren, begab ich mich zunächst zu Bruchstück in die Mansarde.
Sein Zimmer, einen reinen Saal, hatte er durch Schränke geteilt. Er saß und korrigierte Hefte, gehüllt in den beißenden Rauch einer langen Pfeife. –.
»Skat?« – Sein Antlitz strahlte. »Ob ich komme? Natürlich – natürlich!«
Ich sah ihm in das heitere, harmlose Gesicht und fragte mich:
»Ob Hosea wirklich diesen Mann im Verdacht haben sollte?«
Dann fragte er etwas schüchtern:
»Hm – vor einer Stunde etwa waren der Major und Ihr Freund Garblig hier auf dem Boden; sie kamen sehr leise, blieben ein paar Minuten dort draußen an dem rechten Bodenfenster, gingen ebenso leise.«
Bodenfenster? – Der Eiszapfen fiel mir ein. Ich wurde mißtrauisch. – Wollte Bruchstück mich aushorchen –?!
Und urplötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf: Dort, wo das Eisstück heute das junge Mädchen getroffen hatte, war zweimal der Stuhl aufgestellt worden, in dem Hosea im Mittagssonnenschein, gehüllt in meinen Pelz und Decken, die frische Luft und das Jauchzen der im Vorgarten spielenden kleinen Sauerbiere genossen hatte –! Konnte sich da nicht der kurzsichtige Schulmeister geirrt und – seine Naturbombe der Unrechten auf den Kopf haben fallen lassen?!
Ich antwortete Bruchstück daher sehr vorsichtig: »Der Major wollte Hosea wohl nur die Aussicht von hier oben zeigen –«
Ich fand die Antwort sehr schlau.
Aber der Lehrer meinte: »So – so, die Aussicht!« – und das klang gerade so, als ob er sagte: »Schau – schau, Du lügst ungeschickt.«
Ich verabschiedete mich schnell und ging zu Sauerbiers, erkundigte mich nach dem Ergehen der armen Nichte.
Dort traf ich jenen Kriminalbeamten mit dem jungen, blühenden Gesicht, dem ich schon in Märkers Amtszimmer begegnet war.
Bei meinem Eintritt verließ er schnell die »gute Stube« der Sauerbiers.
Ich tat, wie Hosea mir geheißen, sprach von seiner Angst vor dem Gartengespenst, seiner bevorstehenden Abreise, der Benachrichtigung des berühmten Hans Gorski, – denn er war wirklich eine internationale Berühmtheit! –, und kam schließlich auf Lore Hähnchen, zapfte die Sauerbier vorsichtig an und entfesselte eine Flut von Sätzen, die über mich hereinströmten wie eine Dusche übelduftender Wässer.
Die Sauerbier neidete Hähnchens das gute Auskommen, die feine Tochter, die Ersparnisse, das gute Essen. Und nun krochen die Verdächtigungen aus ihrem Munde wie Giftnattern in harmlosen Eidechsengewändern. Die Frau verstand es, viel anzudeuten und nichts Bestimmtes zu äußern. Jedenfalls hatte Hosea aber wieder einmal richtig vermutet: Lore war aus Dresden abgedampft, als sie kaum von ihren Eltern brieflich erfahren hatte, daß Heinz Merling verhaftet wäre.
»Es ist wohl bei der Begrüßung zwischen Eltern und Kind nicht so ganz friedlich hergegangen,« hatte die Sauerbier gesagt. »Der eine Lehrling hat's meiner Christel erzählt. Hähnchens wollen doch, daß die Lore sich den Merling aus dem Kopf schlägt. Und nun soll sie ganz aufgeregt erklärt haben, sie würde alles daran setzen, daß der Maler frei käme. – Mit einem Mal ist der Hähnchen dann ganz zahm geworden und hat die Lore beruhigt, er würde auch seinerseits mithelfen, daß Merlings Schuldlosigkeit bewiesen werden könnte. Da war der Frieden wiederhergestellt.« –
Während ich noch bei Sauerbiers auf dem mit buntem Rips bedeckten Plüschsessel saß, klopfte es und – Märker trat ein.
Ich sah, daß er mit der Sauerbier einen vielsagenden Blick wechselte, – wahrscheinlich des Kriminalbeamten wegen, der bei meinem Erscheinen in das Nebenzimmer gegangen war.
Ich räumte dann das Feld. Märker sollte durch mich nicht gestört werden. Er sagte mir noch, daß er sofort nachher zu mir nach oben käme. –
Als er dann mir gegenübersaß, erfuhr ich, daß Hosea ihn vorhin – also mit Hilfe des Telephons des Majors! – angeläutet und zu mir bestellt hatte.
Hosea mußte doch immer den Geheimniskrämer spielen!
Dann entledigte ich mich des Auftrags Nummer eins, schilderte Hoseas Begegnung mit dem Haubengeist und stellte hierauf die mir selbst recht sonderbar erscheinende Frage, ob Fräulein Anna Helmbach heimlich verheiratet wäre.
Märker, der stets so beherrschte Märker, zuckte zusammen, sagte dann kopfschüttelnd:
»Wahrhaftig – er weiß auch das!«
»Also stimmt die Geschichte – die Nichte ist verheiratet –?!«
Er sah mich wieder forschend an.
»Sollten Sie nur die eine Frage an mich richten, Herr Malwa?«
»Ja. Dann allerdings Sie auch bitten, ihm die Strafakten Marvilles zu verschaffen.«
»Soll er haben. Gleich morgen. – Hm – nun aber noch die Anna Helmbach – Hat Garblig sich über das junge Mädchen noch sonstwie Ihnen gegenüber geäußert?«
Ich dachte nach. – »Nein. – Aber er hat gestern vor und nach dem Mittagessen vor den Sauerbierschen Fenstern in der Sonne gesessen und sich bei dieser Gelegenheit mit Fräulein Helmbach längere Zeit unterhalten,« erwiderte ich dann.
»In der Sonne gesessen?!« Der ernste Kommissar verzog spöttisch den Mund – welche Seltenheit! »In der Sonne gesessen?! Lieber Herr Malwa: wetten, daß er nur die Helmbach in der Sonne suchte? Sie ist nämlich die Frau des Kriminalbeamten Helmbach und nebenbei – Polizeiagentin. Und das wird Garblig vielleicht geahnt haben.«