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VIII.
Thomas Baker & Sons.

Betrix konnte nicht schlafen. Ein Gebirge von Gedanken hockte auf ihr und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Bis dahin hatte sie nur das denken müssen, was das Amt von ihr verlangte. Jetzt mußte sie auch das denken, was ihr Leben und Schicksal von ihr forderte.

Sie richtete sich vorsichtig und geräuschlos auf, zog die Knie hoch und schlang die Arme darum. Sie blickte zur Seite und erschrak. Caliban hockte da in genau der gleichen Haltung.

»Habe ich dich aufgeweckt, Lieber?«

»Ja. Aber es macht nichts.«

»Ich habe mich bemüht, ganz leise zu sein.«

»Ja, aber du warst innerlich unruhig« sagte er, »und davon bin ich aufgewacht.« Plötzlich lachte er. »Macht dir das Amt Sorgen?«

»Ja. Es drückt mich. Es war früher viel leichter. Jetzt drückt mich die Verantwortung. Die vielen Menschen ...«

Caliban schüttelte belustigt den Kopf. »Du hast noch immer eine ganze falsche Auffassung von ‚Amt‘. Ein Amt ist nicht Sklaverei, sondern Herrschaft. Es ist nicht Verantwortung, sondern Gestaltung. Es ist nicht schwer, sondern lustig. Wenn du nur ein par nette Gedanken hast, kannst du die Welt tanzen lassen.«

»Ach nein, die Welt tanzt mit mir!« jammerte sie. »Hast du gehört, daß man gegen uns eine Anzeige bei der Erfinder-Kommission eingebracht hat? Weil wir die Erfindung des Gamma-Stahls nicht angemeldet haben?«

»Ich weiß« sagte er leichthin. »Die Goethanen haben das gemacht. Sie wollen so gerne den Spieß umdrehen. Und das war ja sehr leicht, nachdem dein kluger Petros die Sache mit seinem Radio in die Welt hinausgeblasen hat. Aber es ist gleichgültig. Erfindungen im Stadium der Vorbereitung sind nicht anmeldepflichtig. Und wir bestimmen, wann die Vorbereitungen beendet sind.«

Betrix ließ sich nicht beruhigen. »Man wird uns das Azoren-Gericht auf den Hals schicken!«

Er lachte laut auf. »Man wird uns ganz etwas anderes schicken: die Agenten von Thomas Baker & Sons. Weißt du, wer Baker & Sons sind?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne nur die große Reise-Agentur Baker & Sons.«

»Eben die meine ich. Komm her, ich will dir ein Märchen erzählen, ein lustiges Märchen. Kindern, die Angst haben, muß man Märchen erzählen.«

Er schlang den Arm um ihre Schultern und sie senkte gläubig und lauschend den Kopf. Er erzählte: »Es war einmal eine kleine Insel, die lag ganz einsam und verlassen irgendwo im kalten Nordmeer. Und da sie so verlassen war, wollte sie sich an irgend jemandem wärmen. Da ging sie hin und suchte sich noch andere Länder, überall, wo gerade welche frei waren. Zum Schluß sah die Insel aus wie eine Glucke, die eine Menge von Kücken unter ihre Flügel genommen hat. Und wenn nicht noch andere Glucken auf der Welt gewesen wären, die genau dasselbe wollten, hätte unsere Insel-Glucke die ganze freie Welt unter ihre Flügel genommen. Sie war eben eine sehr liebevolle Glucke. Und da sie das war, sann sie Tag und Nacht darüber nach, wie sie es wohl anstellen könnte, daß die Kücken immer Kücken blieben und nicht eines Tages Hühner würden, die davonlaufen und die liebe Mutter vergessen.«

»Eine brave Glucke. Ich hoffe, sie wurde nicht enttäuscht« sagte Betrix.

»Eltern ohne Enttäuschungen gibt es nicht. Nach und nach wurden die Hühner doch erwachsen, und eines nach dem anderen sagte: ich möchte meinen eigenen Hühnerstall haben. Als die kluge Henne sah, daß sie die Hühner nicht halten konnte, sagte sie: ‚Das wollte ich euch schon lange vorschlagen. Machen wir jeder unseren eigenen Hühnerstall, und alle zusammen bilden wir eine große Hühnerfamilie, in der jeder tut, was er will, sofern eure Mutter nichts dagegen hat.‘«

»Eine kluge Henne« lachte Betrix.

»Freilich. Sehr klug. Denn diese Henne hatte ein besonders ausgebautes Gehirn. Es hatte zwei Abteilungen, ein Obergehirn und ein Untergehirn. Zusammen hießen sie »Regierung«. Und diese Regierung verfügte über ein ganzes Heer von Menschen, die Nahrung in das Gehirn trugen. Darum nannte man sie den Brain Service. Dieser Brain Service wußte alles, was in der Welt geschah, und wenn nichts geschah, sorgte er dafür, daß das geschah, was das Gehirn wollte.«

»Und was wollte das Gehirn? Immer das Gute?«

»Da ich dir ein Märchen erzähle, mein Kind, kann es immer nur Gutes gewesen sein. Denn wie kann ein kluges Gehirn etwas Böses wollen?«

»Sehr richtig« sagte Betrix mit tiefer Überzeugung.

»Aber dann brach unter den Ländern ein großer Krieg aus, ein gewaltiger Hahnenkampf. Auch unser Huhn wurde gewaltig gerupft, und es wäre bestimmt gestorben, wenn die Kücken von gestern ihm nicht so brav geholfen hätten. Aber wie alles zuende war, sagten die Hühner alle zu den beiden Gehirnabteilungen: nun habt ihr lange genug gedacht und Gutes gestiftet. Jetzt könnt ihr euch zur Ruhe setzen. Und zu den Leuten vom Brain Service sagten sie: wendet euch bitte einem nützlicheren Berufe zu. Wir ordnen die Welt jetzt neu, und wir brauchen euch nicht mehr, neue Unordnung zu schaffen. Und was meinst du, mein Kind, was geschah?«

Betrix ging auf Märchenbahnen. »Ich glaube, die beiden haben den Hühnern irgend einen Streich gespielt« kicherte sie.

»Richtig. Die Regierung sagte: Ja. Das tat sie immer, wenn sie mit etwas nicht einverstanden war und ihren eigenen Willen durchsetzen wollte. Sie gründete einen Club, den Common Sense Club, und dort versammelte sie sich regelmäßig. Denn sie war das Regieren nun einmal so gewohnt, daß sie es irgendwie fortsetzen wollte, wenn auch nur zum Spaß. Und sie dachte: vielleicht kommt doch wieder einmal eine schöne Verwicklung in der Welt, und dann sind wir jedenfalls bereit, wieder die Hühner der Welt um uns zu gruppieren.«

»Und was taten die armen Leute vom Brain Service?« fragte Betrix.

»Es ging ihnen gut. Da sie doch gewohnt waren, sich in der ganzen Welt herumzutreiben, machte das Gehirn sie alle zu Angestellten von Thomas Baker & Sons. Und wenn jetzt in der Welt etwas geschieht, wächst sofort der Reiseverkehr in dem betreffenden Lande enorm.«

Sie lachten Beide durch die Nacht. Als das Lachen verebbte, sagte Betrix mit dem Seufzer eines Kindes, das eigentlich hatte weinen wollen: »Du machst es einem so leicht, die unvermeidlichen Dinge hinzunehmen. Also du meinst, Thomas Baker & Sons werden sich rühren?«

»Sie werden kommen. Der Touristen-Verkehr wird steigen. Und Demosien wird enorm daran verdienen. Wir werden Führungen durch die Industrie-Zonen veranstalten. Wir werden ihnen alles zeigen, bis auf gewissen Dinge, die wir nicht zeigen werden ... und die sie versuchen werden, sich zu erschleichen ... und das Rad der Weltgeschichte wird sich wieder langsam in Bewegung setzen ... es wird einen kleinen Ruck machen ...«

»Und dann? Und dann?«

»Dann wird es diesen und jenen zermalmen, der dem neuen Anlauf der Maschinerie im Wege steht. Ungeeignete, deren Gehirn zu klein ist, zu erfassen ...«

Sie schrak zusammen. »Wen meinst du?«

»Rate. Du weißt es.«

Sie wußte es: Petros. Aber sie sagte nichts. Sie fühlte sich nicht stark genug, Caliban in den Weg zu treten. Er dachte weiter als sie. Sie war schlafmüde. Während sie sich zurückfallen ließ und den Kopf in die Kissen drückte, fragte sie: »Und was wirst du mit den Agenten von Baker & Sons tun?«

»Das hängt davon ab, welche Nachrichten ich aus Goethanien bekomme. Denn dort sind sie schon tätig.«

»Dein Geheimdienst ist jetzt gut.«

»Ja« sagte er schlaftrunken und zufrieden. »Seit Philippos die Leitung übernommen hat ...« – –

Die Agentur von Thomas Baker & Sons hatte längst begonnen, die Aufmerksamkeit des reisenden Publikums auf das interessante Land Goethanien zu lenken. Sie kamen in kleinen Gruppen und gaben viel Geld aus. Sie waren überall zu finden, und da sie kulturell zuweilen sehr interessiert waren, suchten sie oft auch gesellschaftliche Beziehungen anzuknüpfen.

Wenn man die mannigfachen Reiseeindrücke, die sie auf diese Weise bekamen, zusammenfassen würde, ergäbe sich etwa folgendes Bild:

In Goethanien herrschte eine merkwürdige, stille, fast unterirdische Unruhe. Der Chef der Regierung, Odoaker, hatte sich aus dem gesellschaftlichen Leben völlig zurückgezogen, um sich ganz der schweren Aufgabe der Staatslenkung zu widmen. Er hatte sogar seine Villa verlassen und sich an einen Ort begeben, der geheim gehalten wurde. Es war als habe die Erde ihn verschlungen. Nur einmal wurde er sichtbar, nachdem die Versammlung des Volksrates der Regierung mitgeteilt hatte, daß sie in der nächsten Sitzung eine Frage stellen würde.

Das geschah sehr selten. Wenn ein Volk seine Regierung viel zu fragen hat, bedeutet das, daß es ihm in vielen Fragen nicht über den Weg traut. Aber das Volk von Goethanien traute seiner Regierung. Nur unter den jüngeren Volksvertretern hatte sich in der letzten Zeit die Neigung herausgestellt, durch Fragen lästig zu werden. Solche Fragen waren um so lästiger, als sie grundsätzlich vorher nicht bekannt gegeben wurden, um nicht – wie dereinst – der Regierung Zeit zur Herstellung ausweichender Antworten zu lassen. Es ging die Vermutung um, daß hinter dieser wachsenden Opposition ein junger Privatgelehrter namens Philippos stehe, der ebenfalls seit geraumer Zeit aus seiner Wohnung verschwunden war.

Das alles macht es verständlich, daß am Tage der Sitzung Saal und Tribünen bis auf den letzten Platz besetzt waren. Thomas Baker & Sons hatten sich für ihre Kunden eine Menge Eintrittskarten gesichert. Die Spannung war groß, denn jeder war auf Vermutungen und Kombinationen angewiesen. Die Regierungsmitglieder waren vollzählig erschienen, denn die Frage konnte auf jedes Gebiet der Verwaltung zielen. Aber es wurde allgemein kommentiert, daß alle, von Odoaker bis Gunner, ohne jedes Zeichen von Unruhe dasaßen, der verkörperte Ausdruck eines guten Gewissens.

Der Sprecher der Versammlung schlug auf einen melodisch tönenden Gong. »Wer hat etwas zu fragen?« rief er.

Der Mann, der sich jetzt erhob, hieß Alexander Dogma. Er hatte in all den Jahren, da er Mitglied des Volksrates war, noch nie eine Rede gehalten. Er hatte immer nur grundsätzlich gegen die Regierung gestimmt, denn es gehörte zu seinen geschichtlichen Grunderkenntnissen, daß jede Regierung mit der Zeit entartet und daher im Unrecht ist. Als er jetzt im Kreuzfeuer vieler Blicke stand, ließ er es sich nicht träumen, daß er einmal der Träger einer umfassenden Bewegung der Anarchie werden würde.

Dogma fragte mit dürrer Stimme: »Ist es richtig, daß das Azoren-Gericht in Goethanien getagt hat?«

Die Kenntnis von diesem Vorgang war über die Mauern des Regierungsgebäudes nicht hinaus gelangt. Es war ein kurzer, unauffälliger Vorgang gewesen, der sich leicht geheim halten ließ. Jetzt schlug die Frage wie eine Bombe ein. Ein Wirrsal von Stimmen brauste auf und drohte jede Ordnung zu sprengen. Jeder wußte, daß schon hinter dem Namen Azoren-Gericht die Vorstellung von Verbrechen und Strafe lauerte. Am Regierungstisch wisperte Grimm: »Verrat! Gunner, gehen Sie der Sache nach.« Aber Odoaker blieb unbewegt. Der Fall war in der gestrigen Beratung vorgesehen worden. Er sah ruhig in das laute Chaos hinein.

Da schlug der Sprecher zweimal auf den Gong. Sofort kehrte die atemlose Stille zurück, denn es war ein Gesetz des Hauses, daß jedem, der nach dem zweiten Gongschlag noch den Mund öffnete, die Sprecherlaubnis für einen Monat entzogen wurde. Dann erhob sich Odoaker langsam und sagte: »Ja. Das Gericht war zu einer einmaligen Sitzung hier.«

Alexander Dogma fragte weiter – und alle horchten auf – »Welcher Tatbestand hat das Azoren-Gericht veranlaßt, eine Untersuchung anzustellen?«

Diesesmal erhob sich der Justizminister Grimm. Er sprach langsam und beinahe drohend. »Es müßte Herrn Dogma bekannt sein, daß es streng verboten ist, Einzelheiten über ein noch schwebendes Verfahren des Azoren-Gerichts mitzuteilen.«

Dogma hatte noch viele Fragen notiert, die sich auf Einzelheiten des Verfahrens bezogen. Aber er wich vor der Drohung Grimms zurück. Nur seine letzte Frage schien ihm noch zulässig. »Hat die Regierung bereits eine Aufforderung bekommen, vor dem Vormund der Völker zu erscheinen?«

Wieder erhob sich Odoaker. Er sagte mit großer Würde und beinahe mit Wärme: »Jawohl. Wir werden in einem Monat nach Island gehen. Und Sie sollen sich nicht fürchten, weder für uns noch für das Land. Ich verspreche Ihnen: wir werden rein aus dem Gericht hervorgehen!«

Während die Versammlung andächtig und fast beruhigt schwieg, beugte sich in einer der letzten Tribünenreihen Philippos zu einer jungen Frau. Sie trug über ihrem Frühlingshut einen leichten Schleier, der ihre Augen verdeckte. Philippos flüsterte zornig: »Woher hat er diese Sicherheit?«

Die Frau legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ich werde Ihnen die Dokumente bringen, die ihm diese Sicherheit geben.«

Philippos nickte nur, als sei ein solches Versprechen etwas selbstverständliches. Er schaute wieder in den Saal hinunter, wo wieder der Gong ertönte. »Ist noch eine Frage zu stellen?« rief der Sprecher.

Ein bleicher, weißhaariger Mann erhob sich. Er schielte leicht. Er las mit trockener Stimme seine Frage: »Ist die Regierung bereit, eine Erklärung abzugeben, wie im Augenblick die Beziehung Goethaniens zu Demosien ist?«

Die Frau im Schleier stieß Philippos an. »Bestellte Arbeit« flüsterte sie. »Die Stimmung im Volke wird vorbereitet. Gunner wird antworten.«

Gunner trat heute zum ersten male vor die Öffentlichkeit. Bisher war seine Eigenschaft als neues Mitglied der Regierung lediglich durch eine Veröffentlichung in der Staatszeitung mitgeteilt worden, denn in Goethanien, als einer echten Demokratie, wurde nur das Oberhaupt des Staates gewählt. Er selbst ernannte die übrigen Mitglieder und war dabei an keine Beschränkung gebunden. Aber es war Brauch, ein neues Mitglied der Regierung bei einer passenden Gelegenheit der Versammlung des Volksrates vorzustellen. Das geschah heute.

Gunner machte einen ausgezeichneten Eindruck. Obgleich seine Haltung und sein Gesichtsausdruck Arroganz vermuten ließen, verriet seine Art des Vortrags Mäßigung und Bescheidenheit. »Unsere Beziehung zu Demosien« sagte er »ist im Augenblick leider etwas gespannt. Wir haben uns in Erfüllung unserer Verpflichtungen gegen die neue Weltordnung genötigt gesehen, der internationalen Erfinder-Kommission Kenntnis davon zu geben, daß in Demosien wichtige Erfindungen geheim gehalten werden. Demosien hat ferner unter Bruch des Statuts über den internationalen Waarenaustausch die Lieferungen von Stahl eingestellt, und wir haben also auch insofern eine Klage einbringen müssen. Endlich hat es uns die ordnungsmäßig aufgenommenen Darlehen gekündigt, sodaß wir vor der Finanz-Kommission in Washington Klage erhoben haben ...«

»Alles gelogen!« flüsterte die verschleierte Frau Philippos zu.

»Aber haben wir nicht immer Frieden gewollt? Sind wir nicht immer zur gütlichen Beilegung aller Differenzen bereit gewesen? So haben wir auch diesesmal einen Austausch von Vermittlern vorgeschlagen und durchgeführt. Der demosische Gesandte Labienus ist zu uns gekommen, während wir unseren großen Bürger und Gelehrten Woolf nach Demosien entsandt haben ...«

Die Versammlung klatschte dem Namen Woolf stürmischen Beifall. Gunner verbeugte sich. Er sah ein, daß die Stimmung auf dem richtigen Wege war und er nichts mehr zu sagen brauchte. Er schloß seinen Aktendeckel und setzte sich. Die Versammlung wandte sich der normalen Tagesordnung zu.

Philippos nickte still vor sich hin. »Und so werden sie aus der Angst zu Lügnern« sagte er leise. Er ging schnell hinaus. Die junge Frau wartete noch, bis die Tribünen sich fast geleert hatten. Dann nahm sie mit einer schnellen Bewegung Hut und Schleier ab, faltete beides eng zusammen und verbarg es unter der Bank. Sie schüttelte die schwarzen Locken und war wieder, was sie immer war: Stenotypistin bei der Hauptagentur von Thomas Baker & Sons.

Sie wartete, bis es beinahe Mittag war. Dann ging sie für einen Augenblick in das Büro. Der Kassierer schloß gerade den Geldschrank. Der Buchhalter rasselte mit dem Schlüssel, da er absperren wollte. »Einen Augenblick noch!« rief Annina. »Ich muß meine Handtasche holen.«

Sie ging in das Schreibmaschinenzimmer, von da in das Zimmer des Chefs, öffnete mit einem Nachschlüssel den Schreibtisch, zog ein Fach heraus, griff in einen Ordner, zog eine Briefkopie heraus, auf hauchfeinem japanischem Papier geschrieben, sperrte wieder ab, ging hinaus und verließ mit tänzelnden Schritten das Büro. Sie mußte tänzeln, um zu verbergen, daß ihr die Knie zitterten.

In der gleichen Nacht studierte Philippos den Bericht, den die goethanische Agentur von Thomas Baker & Sons an das Stammhaus gesandt hatte. Er lautete wie folgt:

»Betrifft: Stahl-Produkte in Goethanien.

Unser Herr Irvin Jacobs hat sich über den augenblicklichen Stand der Produktion von Gegenständen aus Stahl und Stahllegierungen in Goethanien informiert. Das bisherige Stahlquantum, das Goethanien zugewiesen wurde und dessen Verbrauch zu Gegenständen des täglichen Bedarfs einer genauen Kontrolle unterzogen wurde, hat nur wenig Raum gelassen für die Herstellung von Gegenständen, die nicht unbedingt dem täglichen Bedarf dienen. Da zudem eine besondere Werkzeugindustrie aufgebaut werden mußte, ist das momentane Lager an Gegenständen des nicht-alltäglichen Bedarfs relativ gering. Jedoch befinden sich darunter mit großem Geschick ausgeführte Apparate, deren eingehendes Studium schon aus wissenschaftlichen Gründen sehr zu empfehlen ist.

Das im Augenblick vor dem Vormund der Völker schwebende Verfahren läßt es der Regierung von Goethanien angebracht erscheinen, nicht im Besitz solcher Gegenstände des nicht-alltäglichen Bedarfs zu sein, um nicht Anlaß zu einem ungerechtfertigten Verdacht zu geben. Andererseits ist durch die momentane von Demosien verhängte Stahlsperre eine solche Verknappung eingetreten, daß Stahl mit allen Mitteln beschafft werden muß. Ich habe es unter diesen Umständen für angemessen gehalten, Vereinbarungen zu treffen, wonach Thomas Baker & Sons den Bestand an Gegenständen des nicht-alltäglichen Bedarfs erwirbt, und zwar zu dem ausgesprochenen Zwecke, damit wissenschaftliche Experimente anzustellen. Mit der Ausführung der Experimente sind die technischen Werkstätten von Goethanien beauftragt worden. Zum Zwecke der Kontrolle wird Baker & Sons einen Stab von Ingenieuren dorthin entsenden.

Dieses Arrangement macht es natürlich nötig, die betreffenden Gegenstände des nicht-alltäglichen Bedarfs in Goethanien zu belassen. Das ist in Form eines Mietvertrages geschehen. Nur ein Exemplar jeder Gattung ist für die Sammlung des Kriegsmuseums sofort zu liefern. Ferner habe ich versprochen, eine interne Belieferung Goethaniens mit 4000 t Stahl monatlich im Wege der Sachleihe zu veranlassen. Das gelieferte Quantum muß restlos zurückgegeben werden, wobei allerdings 50% durch Arbeitsaufwendung an dem betreffenden Material ausgeglichen werden können, sofern die dadurch entstandenen Gegenstände durch Thomas Baker & Sons gebilligt werden.

Kontrahent dieser Abmachung ist selbstverständlich nicht die Regierung von Goethanien, die mit den erwähnten Gegenständen des nicht-alltäglichen Bedarfs offiziell nichts zu tun hat. Die Abmachungen sind getroffen mit der Gunner & Co Ltd., der die einschlägigen Werkstätten gehören.

Im übrigen wird man den Ausgang des Verfahrens in Island abzuwarten haben. Ich habe mir deswegen – mündlich – einen jederzeitigen Rücktritt von dieser Abmachung vorbehalten, bis die Entscheidung vorliegt.

Da bisher schon erhebliche Beträge ausgegeben wurden, läßt unser Herr Irvin Jacobs den Common Sense Club ersuchen, die von ihr erworbenen Anteile der Thomas Baker & Sons Ltd. sofort in bar zu bezahlen ...« –

Philippos studierte den Bericht mit tiefer Genugtuung. Noch in der gleichen Nacht sandte er eine Kopie nach Demosien ab. –


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