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Die Legende erzählt von Sankt Hubertus, daß er im rauhen Wald auf der Jagd zwischen dem Geweih eines halb zu Tode gehetzten Hirsches ein weißes Kreuz blitzen sah und daß er ob dieses Wunders auf die nackten Jägerknie sank und die Armbrust fallen ließ. Nach diesem Erlebnis wurde der bisher sehr leichtlebige Prinz von Aquitanien ein stiller Heiliger. –
Der »Hubertus«, von dem dieses Buch erzählt, war kein Prinz, nicht einmal ein Jäger, noch viel weniger ein Heiliger. Aber er heißt mit Recht »Hubertus«. Er hat wie ein loser Prinz viele Freuden des Lebens sorglos, ja gewissenlos genossen; er hat gejagt nach Gold, Macht, Ansehen, Weiberlust, Weinlaunen, Spielgewinn und hat eines Tages ein weißes Kreuz leuchten sehen, worauf ihm alle Jägerlust erlahmte und er ein stiller Mann wurde.
Lange vor Abend ward er müde. Da sah er auf irgend einer Pürsche das Kreuz des großen Leides. Ob es in den Augen eines geputzten, verlorenen, plötzlich in Tränen ausbrechenden Weibes blitzte? Ob es auf die Stirn eines Hungergesichtes gezeichnet stand, das durch die Fensterscheiben eines Saales schaute, in dem er praßte? Ob es in einer Sakristanlaterne leuchtete, die zu einem Sterbenden führte und der er auf nächtlichem Heimgang übersatt und halbberauscht begegnete? Oder ob er es schweben sah über dem weißen Totenkissen, auf das sein lebenstollster Freund frühzeitig das Haupt zur Ruhe betten mußte?
Irgendwo sah Hubertus das Kreuz des großen Leides.
Vielleicht hat er einmal in stiller Abendstunde, schon von der Dämmerung umfangen, allein in seiner Stube gesessen und sinnverloren in einen großen Spiegel geschaut. Darin hat er das Bild eines müden Toren erblickt, über dem das weiße Kreuz eines Lebens ohne Sinn und eines Endes ohne Gnade war.
Und da ist er in den Wald gezogen.
Hubertus wird die Geschichte seines ersten Waldjahres hier nun selber erzählen. Ich bin nicht Hubertus – und bin es doch! – Du, Leser, bist nicht Hubertus – und bist es doch! Fragen wir ihn nicht, wer er ist. Er ist schlechthin Hubertus, und wir lernen ihn nicht auf seinen Pürschgängen kennen, sondern in seiner ersten stillen Zeit der Einkehr.
Hubertus ging in den Wald, weil er meinte, daß der Wald der Ort des Friedens, eine Stätte abseits des Lebens sei. Das war freilich ein Irrtum. Der Wald liegt nicht abseits der Welt, er ist selbst ein Stück Welt mit allem Hasten und Treiben, Lieben und Verfolgen, mit Großartigkeiten und lächerlichem Kleinkram, mit blitzschnellem Geschehen und breiten Ödnissen, mit Leben und Sterben. Der Wald hat weite Ausblicke und schwere Düsternisse, lachende Wiesen und dumpfe Sümpfe, freundliche Einkehrhäuser und tückische Fallen. Im Walde werden täglich Millionen Brautfeste gefeiert und geschehen täglich Millionen Morde. Es sind dort Schlachten, Niederlagen, Triumphzüge. Es ist Häuserbau, Familienglück, feindselige Nachbarschaft, Liebe und Vernichtung. In einem Tropfen, der am Schilfrohr hängt, geschehen die abenteuerlichsten Dinge.
Der Wald ist ein Stück der Welt und also nichts anderes als die Welt selbst. Die Menschen aber suchen etwas Besonderes in ihm, wie sie mit andächtigen Schauern vor einer Burgruine stehen, in der sich vordem vielleicht nichts abgespielt hat als Kälberabschlachten, Garnspinnen und Steuereintreibung.
Auch die Waldleute sind wie die anderen. Aber doch – es ist etwas Einsames, Schattenhaftes um sie. Sie wohnen alle zusammen wie unter einem gemeinsamen Zelt, das der Wald um sie und über sie geschlagen hat. Der Wald ist in Wahrheit ihr Hausherr, ihr Beherrscher, viel mehr als die Stadt die Beherrscherin der Stadtleute ist. Die Stadt ist eine liberale Tante, der Wald ist ein autokratischer Vater.
So wird der Wald in diesem Buche der eigentliche »Held« sein. Hubertus ist nicht einmal die wichtigste Person; er ist der Berichterstatter, er gibt nur die Firma.
Ein Stück Leben, wie es im Bereich des Waldes sich abspielt – und in das Hubertus hineingeriet – ist der Inhalt dieses Buches.