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Zehntes Kapitel

Die Waffen des Achilles.

Jasmin kehrte ganz verstört nach Hause zurück; der alte Diener wußte nicht, ob er sich freuen oder betrübt sein sollte; es wäre ihm sehr lieb, wenn sich sein Herr in Paris befände, damit er stets in seiner Nähe sein und ihn bedienen könnte, wie seinen seligen Vater; aber er fürchtete auch, man möchte dem Jüngling Kummer machen, den er sein theures Kind nennt, und besorgte, der Aufenthalt in Paris könnte der Gesundheit desselben nachtheiliger sein, als der auf dem Lande.

Während er diesen Gedanken nachging, versammelte er alle Diener des Hauses um sich. Man wird sich erinnern, daß Jasmin die ganze Dienerschaft seines ehemaligen Herrn beibehalten hatte; daher bestand Cherubins ganzes Haus aus Leuten von fast überreifem Alter. Der Koch war mehr als sechzigjährig, der Kutscher nahte sich seinem dreizehnten Lustrum; Zeitraum von fünf Jahren. dann war noch ein kleiner Jockey von fünfzig Jahren und Mamselle Turlurette da, die inmitten dieser Leute ein Kind zu sein schien, indeß sie doch schon ihr siebenunddreißigstes Lebensjahr angetreten hatte.

»Meine Kinder,« sagte Jasmin zu den Dienstboten, »ich glaube euch ankündigen zu müssen, daß unser junger Herr morgen wahrscheinlich in unsere Mitte zurückkehren wird ...«

»Morgen!« rief Turlurette mit einem Freudenschrei aus, »ist es gewiß?«

»Sehr gewiß – vielleicht. Kurz, bereitet jedenfalls Alles vor, damit Herr Cherubin zufrieden ist; sorget dafür, daß Alles sorgfältiger gebohnt und gewichst sei, als je ... der Koch soll ein ausgezeichnetes Mittagessen zurichten, der Kutscher Wagen und Pferde bereit halten, im Falle man sich derselben bedienen wollte ... stellet Blumen auf die Treppe, wie in früheren Tagen, wenn mein seliger Herr einen Ball gab ...«

»Wird auch ein Feuerwerk losgelassen?« fragte Turlurette mit schalkhaftem Tone.

»Nein, Mamselle, nein ... ich habe genug an Feuerwerken!« entgegnete Jasmin, mit der Hand über sein Gesicht fahrend; wenn's der Herr Cherubin nicht ausdrücklich befiehlt, so wird im Hofe niemals wieder auch der kleinste Frosch losgelassen; aber sonst muß es heiter im Hause zugehen ... Ah! wir lassen Musik kommen ... drei Orgel- und drei Violinspieler müssen sich im Hof aufstellen und bei der Ankunft unseres jungen Herrn ihre schönsten Stücke hören lassen, das wird ihm sicher viel Vergnügen machen.«

»Sollen auch Sängerinnen dabei sein?« fragte der alte Jockey.

»Nun! wenn Du Sänger und Sängerinnen findest, – kann es auf keinen Fall schaden. Versteht ihr aber, erst Nachmittags!«

Am folgenden Morgen begab sich Jasmin früh nach Gagny, wo er gegen zehn Uhr ankam. Sein Erstes war, nach Cherubin zu fragen, worauf ihm Nicolle sagte, er sei mit Louisen nach dem rothen Hause hin spazieren gegangen. Der alte Diener war im Begriff, die jungen Leutchen aufzusuchen, als er auf dem Marktplatz Herrn Gerundium begegnete, den er in aller Eile von dem, was im Laufe des Tages geschehen sollte, in Kenntniß setzte.

Der Lehrer klatschte in die Hände, warf seinen neuen Hut in die Luft und schien einen Entrechat machen zu wollen, indem er ausrief:

»Tandem! ... denique! ...
Ultima cumaei venit jam carminis aetas! ...
Jam nova progenios coelo demittitur alto! ...«

Worauf ihm Jasmin erwiderte:

»Nein, dem ist nicht also! ... ich sage Ihnen ja, der Notar und zwei seiner Freunde werden kommen.«

»Sehr gut! ... herrlich! ... mehr als herrlich! ... Jetzt muß ich meinen Zögling unverzüglich aufsuchen.«

»Ich hatte es eben im Sinne; er geht mit der kleinen Louise nach dem rothen Hause zu spazieren.«

»Mit der kleinen ... die schon groß ist. Wie unklug! wie nothwendig ist es, den Mann von der Schlange zu entfernen! ...«

»Sie haben eine Schlange gesehen? ...«

»Die Schlange, wackerer Jasmin, ist das Weib, der Apfel ... die Sünde! ... Ihr sehet aus, als ob ihr das nicht recht verstündet, ich werde es Euch ein ander Mal erklären, jetzt müssen wir schnell die Kinder aufsuchen.«

»– Um so mehr, als mich die Herren ersucht haben, das junge Mädchen, so lange sie mit meinem Gebieter zu sprechen hätten, entfernt zu halten.«

»Sehen Sie, diese Herren denken wie ich! ... sie errathen, daß dieses junge Mädchen nun gefährlich ist. Wir werden sie entfernen, tugendhafter Jasmin, wir werden einen Vorwand erfinden ... eine Ausflucht ... Nun, gebt mir den Arm und lasset uns laufen ...«

»– Laufen! ... beim Teufel ... das ist leichter gesagt als gethan ... nun, ich will's probiren.«

»Man kann in jedem Alter laufen; würdiger Jasmin, und Sie waren ganz zu einem Läufer geformt.«

Nach diesen Worten nahm der Lehrer den alten Diener beim Arme und zog ihn nach der Richtung hin, wo sie Cherubin zu finden hofften. Während sie mit verdoppelten Schritten vorwärts eilten, fragte Jasmin den Herrn Gerundium:

»Haben Sie einen Vorwand gefunden? die Kleine bei Seite zu schaffen.«

»– Nein! und Sie?«

»Eben so wenig.«

»– Nur immer vorwärts, das wird schon kommen.«

Schon drei Viertelstunden dauerte dieser forcirte Marsch; Jasmin konnte nicht mehr fort ... er war ganz außer Athem; der Lehrer schleppte ihn aber immer weiter, und sprach ihm Muth ein, mit den Worten:

» Macte puer! Macte animo! ... Es gilt das Glück des guten Cherubin ... Nehmet Euch in Acht, braver Jasmin, Ihr stolpert ... Ihr bringt Eure Füße in das Fahrgeleise! ... Ihr tretet in eine Pfütze ...«

Dem braven Jasmin war aber Milz und Athem ausgegangen ... – und er wollte eben mitten auf dem Wege umsinken, indem er nur noch die Worte stammelte:

»Ich kann nicht mehr weiter ... ich muß wieder zu Athem kommen.«

Da warf gerade Herr Gerundium einen Blick auf ein neben der Straße liegendes Wäldchen und er rief aus:

»Dort sind sie ... Die Kleine ißt Aprikosen ... sie bietet meinem Zöglinge eine an, der voll Bewunderung vor seiner Aprikose steht! ... es ist Zeit, daß wir kommen.«

Cherubin war an diesem Tage frühzeitig mit Louisen fortgegangen; sie hatten ein Körbchen mit Brod und Obst mitgenommen, und ergötzten sich an einem Frühstück im Walde; dieses einfache Mahl schien ihnen köstlich ... In der That, was konnten sie auch mehr wünschen, sie waren beisammen und liebten sich: die beste Mahlzeit ist immer diejenige, zu der man ein zufriedenes Herz mitbringt.

Das Gefühl, welches damals Cherubin und Louisen vereinigte, war so zart, so rein, daß sie in ihrem Beisammensein allein ihr Glück fanden, und nach keinem andern trachteten. Vielleicht zeigte sich die Zuneigung Louisens lebhafter und mittheilender, weil ihre Liebe schon getrübt wurde! Sie fürchtete, Cherubin möchte sich entschließen, nach Paris zu gehen, sie besorgte, ihren Freund zu verlieren, und diese Angst ließ sie ihn noch mehr lieben, denn unsere Neigungen verstärken sich durch die Kümmernisse, die sie uns verursachen.

Die beiden jungen Leutchen waren erstaunt, als sie mitten in ihrem ländlichen Mahle den Lehrer und Jasmin plötzlich vor sich stehen sahen.

»Wir suchten euch, liebenswürdige Schößlinge,« sagte Herr Gerundium; »wir waren beunruhigt ... Das Abenteuer des Pyramus und der Thisbe fuhr mir im Kopfe herum! ... ich hielt alle Hunde, die mir begegneten, für Löwinnen ... zwar weiß ich wohl, daß mein edler Schüler nicht wie der junge Assyrier im Sinne hat, mit seiner Thisbe zu entfliehen ... aber man kann einen Fehltritt thun ...«

»Nun, warum kommen Sie, uns zu holen?« fragte Cherubin; »ich glaube, ich habe noch Zeit genug zum Lernen ... Ich weiß eigentlich schon genug ... ist Jemand krank geworden ... irgend ein Unglück geschehen, daß Jasmin mitkommt?«

Herr Gerundium schien von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, warf Jasmin einen Blick zu und antwortete:

»In der That, mein edler Zögling ... es ist ein hoffentlich nicht gefährlicher Unfall geschehen ... der ältere Sohn Ihrer Amme hat sich verwundet ... er hat geschrieben ... aus Montfermeil, wo er ist ... und Nicolle wünschte, daß sich Louise sogleich zu ihm begeben möchte! ... sie selbst wird ihr alsbald nachfolgen.«

»Wir wollen Louisen begleiten,« erwiderte Cherubin.

»Nein, es ist besser, wir kehren zu der armen Nicolle zurück, die fast verzweifelt ... weil sie keinen Arzt zu finden weiß. Louise kann wohl allein nach Montfermeil gehen; man sieht von hier aus die ersten Häuser des Dorfes.«

»O ja! ja! ich bin bald dort,« sagte Louise, »aber bei wem ist der Sohn meiner guten Mutter Nicolle?«

»Bei Frau Patineau in der großen Straße; nehmen Sie, hier ist ihre Adresse nebst ein paar Worten an sie.«

Herr Gerundium hatte in aller Eile ein paar Zeilen mit Bleistift niedergeschrieben, womit er die Frau, zu der er die Kleine schickte, ersuchte, dieselbe bei sich zu behalten und nicht fortgehen zu lassen, bis man sie abhole. Das junge Mädchen nahm das Uriasbillet, verabschiedete sich von Cherubin und rannte Montfermeil zu; der Lehrer rieb sich die Hände und blickte Jasmin an, der bei sich selbst sprach:

»So etwas hätte ich nie erfunden.«

Man kehrte nach Gagny zurück. Als man in die Nähe des Marktplatzes kam, bemerkte man eine Miethkutsche, die eben stille stand; ein Herr stieg aus. Dies war der Notar d'Hurbain.

»Da kommt ein Besuch zu Ihnen,« sagte Jasmin zu seinem Herrn. »Dieser Herr ist Ihr Notar; ihm hatte Ihr Herr Vater die Vollziehung seines Testaments übertragen.«

»Und damit Sie nicht zerstreut seien und die Personen, die zum Besuche aus Paris ankommen, empfangen können, haben wir die kleine Louise nach Montfermeil geschickt,« sprach lächelnd Herr Gerundium.

»Wie, und der Nicolle's Sohn zugestoßene Unfall?«

»War nur ein Scherz ...«

Ehe noch Cherubin Zeit zur Antwort gewann, hatte sich Herr d'Hurbain ihm genähert und ehrerbietig vor ihm verneigt. Die ernste Miene des Notars imponirte dem Jüngling, der einige Worte der Erwiderung auf die Complimente stotterte, welche dieser an ihn richtete. Man lenkte seine Schritte nach der Wohnung der Amme hin, und zum ersten Male fühlte Cherubin eine Art Scham, als der Notar zu ihm sagte:

»Wie? Herr Marquis, hier machen Sie Ihre Studien? ... Sie sind sechzehn und ein halbes Jahr alt, von edler Familie, haben ein schönes Vermögen und bringen Ihre Tage unter dem Dache dieser Landleute zu? Ich ehre die Bauern, ich achte überhaupt alle rechtschaffenen Leute, aber Jeder muß seinen Rang behaupten, Herr Marquis; denn sonst wäre in der menschlichen Gesellschaft nichts als Unordnung und Verwirrung, und die Menschen würden nicht mehr von jenem Eifer, emporzukommen, beseelt, der, indem er ihnen einen lobenswerthen Ehrgeiz ins Herz legt, sie zu edeln Anstrengungen befähigt, um das vorgesetzte Ziel zu erreichen.«

»Bravo! ... recte dicis!« rief Herr Gerundium aus, während er dem Notar zulächelte, »der Herr spricht jetzt, wie ich ehedem gesprochen.«

Cherubin erröthete und war um eine Antwort verlegen. Herr d'Hurbain suchte aufs Neue mit den freundlichsten Vorstellungen den Jüngling zur Vernunft zu bringen. Er legte jedoch hauptsächlich Gewicht auf den Stand und das Vermögen des jungen Marquis und sagte am Schlusse seiner Reden jedesmal zu ihm:

»Sie sind jetzt meiner Ansicht, nicht wahr, und kehren mit mir nach Paris zurück?«

Aber Cherubin, der des Notars Worte mit großer Willfährigkeit anzuhören schien, entgegnete mit sehr sanfter Stimme:

»Nein, mein Herr, ich bleibe lieber hier.«

»Daran bin ich gewiß nicht Schuld,« rief, die Augen gen Himmel richtend, Herr Gerundium aus. »Ich sage meinem Schüler alle Tage, was Sie ihm so eben auch sagten, mein Herr, nur füge ich noch Beispiele aus der Geschichte, sowohl der alten, mittlern als neuen, hinzu ... es ist aber gerade, als ob ich einen Blinden zeichnen lehren wollte!«

»Herr d'Hurbain fing an dem Erfolge seines Besuches zu zweifeln an, als man Pferdegetrappel vernahm. Man eilte vor die Thüre, um zu sehen, was es gebe; ein hübsches Tilbury stand davor, worin sich ein sehr eleganter, nur von seinem Jockey begleiteter Herr befand.

Es war Herr Eduard von Monfréville, der sein Tilbury selbst kutschirte, leicht heraussprang und Cherubin bei seiner Annäherung mit Höflichkeit begrüßte, während der Notar zu dem jungen Marquis sagte:

»Erlauben Sie mir, Ihnen den Sohn eines alten Freundes von Ihrem Vater vorzustellen, Herrn von Monfréville, der seine Bitten mit den meinigen vereinigt, um Sie zu dem Entschlusse zu bewegen, nach Paris zurückzukehren.«

Monfréville ergriff Cherubins Hand, drückte sie in der seinigen und sprach, nachdem er den Jüngling einige Zeit betrachtet hatte, zu ihm:

»Wenn man bei Ihrem Namen und Vermögen ein so hübsches Aeußere hat, ist es wirklich unverzeihlich, sich in einem Dorfe zu vergraben.«

»Gewiß!« brummte Herr Gerundium, Monfréville zulächelnd, »wenn Helena verborgen gelebt hätte, so hätte es keine Belagerung von Troja gegeben; und wenn Dunois bei seiner Amme geblieben wäre, so hätte er wahrscheinlich nicht den Beinamen »der schöne Dunois« erhalten.«

Monfréville warf dem Lehrer einen spöttischen Blick zu und wendete sich wieder an Cherubin:

»Mein lieber Herr, mein Vater war ein Freund des Ihrigen; dies hat in mir den Wunsch erregt, Ihre Bekanntschaft zu machen, und es hängt nur von Ihnen ab, daß wir Freunde werden, wie unsere Väter. O! ich begreife, daß Sie wegen des Unterschiedes, der zwischen meinem und Ihrem Alter besteht, meinen Vorschlag lächerlich finden können; lernen Sie aber nur erst die Welt kennen, und Sie werden einsehen, daß sich diese Verschiedenheiten durch die Uebereinstimmung des Geschmackes und Charakters ausgleichen; ich bin bereits überzeugt, daß wir uns recht gut vertragen werden. Aber, wie Teufels sind Sie angezogen? ... einen so hübschen, wohlgestalteten, jungen Mann in solchen Plunder zu stecken! ... es ist zum Erbarmen!«

»Mein junger Herr hat den Schneider seines verewigten Vaters,« murmelte Jasmin; »ich glaubte nicht, ihm durch einen andern arbeiten lassen zu sollen ...«

»– Ihr hattet Unrecht, treuer Diener, ein Schneider ist keine Reliquie, die man sorgfältig aufbewahren muß ... Ich sehe, daß dieser nichts von der heutigen Mode versteht. Holla! ... Frank! bring' herbei, was ich in den Koffer des Tilbury's packen ließ!«

Monfréville's Diener kam gleich darauf mit Kleidungsstücken überladen; er breitete einen wunderschönen, nach dem neuesten Geschmack gearbeiteten Rock, eine Weste von blendendem Stoffe, schwarzatlaßne Halsbinden, hübsche Cravatten, und eine blaue Sammetmütze mit Schnürwerk und einer goldenen Eichel verziert, auf einem Tische aus.

Beim Anblick dieser Gegenstände konnte sich Cherubin eines Ausrufs der Bewunderung nicht enthalten; ohne lange zu fragen, ob es ihm recht sei, zog ihm Monfréville seine Jacke und seine Morgenweste aus und dagegen was er mitgebracht hatte, an, wand eine prächtige broschirte Cravate um seinen Hals, knüpfte sie ihm auf eine kokette Weise und setzte ihm zuletzt die zierliche Sammetmütze auf, nachdem er die auf der Seite hervorquellenden Haarlocken geordnet hatte; dann führte er den Jüngling vor einen Spiegel und sagte zu ihm:

»Betrachten Sie sich einmal! sehen Sie so nicht hundert Mal besser aus?«

Cherubin wurde roth vor Freude, als er sich so hübsch sah; sein neuer Anzug gab auch in der That seinem schönen Antlitz einen ganz andern Ausdruck; er kleidete ihn so vorteilhaft, daß Nicolle, obgleich sie betrübt war, daß man ihr ihr Söhnchen entreißen wollte, nicht umhin konnte, auszurufen:

»Ach Gott! wie schön ist er! ... wie prächtig ist er so! ... hundert Mal schöner! ...«

»Er sieht seinem seligen Vater gar nicht gleich,« brummte Jasmin.

»Er gleicht dem Sohn des Jupiters und der Latona, dem Bruder der Diana, sonst auch Apollo genannt ... oder Phöbus, wenn Sie lieber wollen,« rief Herr Gerundium, immer lächelnd, aus.

Herr d'Hurbain blickte Monfréville mit zufriedener Miene an, gleich, als wollte er ihm Glück wünschen, das Mittel zur Verführung Cherubins gefunden zu haben; dieser schien wirklich entzückt über seinen Anzug, hörte nicht auf, sich zu betrachten und zu spiegeln, und um diese günstige Stimmung zu unterhalten, sagte Herr von Monfréville alsbald zu ihm:

»Man hat mich versichert, Sie wohnen in einem Dorfe ... ich wollte es nicht glauben! ... der Sohn des Marquis von Grandvilain, der sich durch seine Eleganz, seine Kleidung und sein Benehmen auszeichnen muß, kurz, der dazu gemacht ist, um in Paris zu glänzen, darf nicht in einem Bauernhaus vergraben bleiben! das wäre ein Verbrechen! das wäre gegen alle Regeln! ... diese kleine Probe einer Toilette mag Ihnen einen Begriff von Allem geben, was Sie in Paris erwartet. Ich bin gekommen, um Sie in meinem Tilbury abzuholen, und wünsche, daß Sie, noch ehe acht Tage vergehen, der bestgekleidete, eleganteste, junge Mann der Hauptstadt seien; Sie werden den Ton angeben, denn Sie sind reich und hübsch genug dazu.«

Cherubin schien hingerissen von Monfréville's Worten, und dieser, nicht mehr an seinem Siege zweifelnd, rief nun aus:

»Lassen Sie uns abreisen, mein junger Freund, zögern wir nicht länger ... das Tilbury ist vor der Thüre und Paris winkt Ihnen.«

In diesem Augenblicke aber verfinsterte sich Cherubins Angesicht, und statt Monfréville und dem Notar, welche aufgestanden waren, zu folgen, setzte er sich nieder und sagte:

»Nein, ich mag nicht fortgehen ... denn ich will, daß mich Louise so sehe.«

Die beiden Residenzler waren trostlos; sie hatten ganz sicher geglaubt, den jungen Marquis zum Mitgehen bewogen zu haben, und dieser weigerte sich aufs Neue.

Der Notar führte Vernunftgründe an, Monfréville bot alle seine Beredsamkeit auf, entwarf ihm ein reizendes Gemälde von den Vergnügungen in Paris; aber Cherubin blieb unbeweglich.

Herrn Gerundium machte das Staunen sprachlos. Nicolle freute sich im Innern, und Jasmin sagte halblaut:

»Ich dacht' es doch, daß all' diese Leute nicht pfiffiger sein würden, als ich.«

Alles schwieg; man wußte sich nicht mehr zu rathen, als man abermals das Rollen einer Kutsche hörte.

Nun leuchtete ein Hoffnungsschimmer aus Monfréville's Augen, und Herr d'Hurbain rief aus:

»Meiner Treu, es ist Zeit, daß Darena kommt; indeß bezweifle ich sehr, daß er glücklicher sein wird, als wir.«

»Vielleicht doch,« sagte Monfréville leise; »Darena gehört zu den Leuten, die Alles vermögen.«

Das Gefährt hielt gleichfalls vor der Amme Haus, und die bei Nicolle versammelte Gesellschaft eilte an die Thüre, um nachzusehen, wer aussteige.

Der Fiaker, – denn das eben angelangte Fuhrwerk war nur ein einfacher Fiaker, – schien nach dem aus dem Innern dringenden Lärm zu urtheilen, angefüllt. Man hörte mehrere Stimmen zu gleicher Zeit sprechen und fortwährendes lautes Gelächter. Endlich wurde der Kutschenschlag geöffnet, Herr Darena stieg zuerst aus, sein Anzug war noch abgetragener, als der gestrige; dessen ungeachtet entwickelte er aber die gebildetsten Manieren, als er den von ihm mitgebrachten Personen heraussteigen half.

Die erste war ein junges, als Spanierin gekleidetes Frauenzimmer, die zweite stellte eine Odaliske vor, die dritte eine Schweizerin und die vierte hatte das pikante Costüm einer Neapolitanerin an. Alle viere waren jung, hübsch, anmuthig, wohlgestaltet, hatten lebhafte, schelmische, verliebte Augen; und in der Art, wie sie aus der Chaise hüpften, lag eine erstaunliche Leichtigkeit und Grazie, überhaupt äußerte sich in ihrem ganzen Auftreten eine Zwanglosigkeit, wie man sie selten findet.

Die Dörfler machten große Augen. Herr Gerundium that, wie wenn er die seinigen niederschlüge, riß aber jeden Augenblick eines davon auf; der Notar blickte Monfréville verwundert an und fragte:

»Was soll das Alles heißen?«

Monfréville lachte hell auf und entgegnete:

»Wahrhaftig! ich glaube, er hat es besser angegriffen, als wir! ...«

Unterdessen nahm Darena zwei dieser Damen bei der Hand und sprach:

»Kommen Sie, Rosina, Malvina ... folgen Sie uns Edlina und Feodora! ... wir wollen dem jungen Marquis von Grandvilain unsere Ehrerbietung bezeigen ... Wo ist er? ... gut, ich seh' ihn schon, jener liebenswürdige junge Mann mit den schmachtenden Augen ist es! ... alle Teufel! nehmen Sie sich zusammen, meine Damen, das sind Augen, die schreckliches Verderben in Ihren Reihen anrichten werden!«

Unter diesem Gespräch war Darena mit seiner Gesellschaft ins Haus getreten. Nachdem er die vier Damen, welche keineswegs verlegen schienen und lachend das Innere des Bauernhauses musterten, bis ins Zimmer geleitet hatte, begrüßte er Cherubin wie einen alten Bekannten und sagte zu ihm:

Mein lieber Marquis, Herr d'Hurbain, Ihr Notar, ist auch der meinige; Ihr Freund, Herr von Monfréville, ist auch mir sehr befreundet; hieraus geht, wie Sie sehen, hervor, daß auch ich zu Ihren Freunden gezählt werden darf; es ist ein Titel, den zu verdienen ich mich glücklich schätzen würde ... Gewähren Sie mir denselben, Marquis! Männer, wie wir, verstehen sich bald ... Sie sind zwar jung, aber wir werden Sie bilden.«

Cherubin ist ganz betäubt von Allem, was er sieht und hört, überdies werfen ihm die Spanierin und die Neapolitanerin Blicke zu, an die er gar nicht gewöhnt ist, während ihm die Odaliske auf sehr herausfordernde Weise zulächelt, und die Schweizerin fortwährend ihre Zungenspitze über die Lippen herausstreckt und ihm mit den Augen zublinzelt, was eine Bewegung in ihm verursacht, der er nicht Meister werden kann.

»Marquis Cherubin,« fuhr Darena fort, »ich habe mir die Freiheit genommen, vier hübsche Damen mitzubringen; es sind Künstlerinnen, Tänzerinnen ersten Ranges, bei unserer großen Oper zu Paris angestellt; sie drückten das lebhafteste Verlangen aus, Sie zu sehen, und Milch auf dem Lande zu trinken ... Kann man Milch hier haben, tugendhafte Landleute? ...«

Während Darena diese Frage an Nicollen richtete und diese in den Stall eilte, sprang das kleine, als Schweizerin gekleidete Frauenzimmer von ihrem Stuhle auf und rief aus:

»O! ja ... o! Milch, das ist köstlich! Ich werde mir einen Spitz damit antrinken! ...«

Darena näherte sich der Schweizerin, stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite, und sagte ihr leise in's Ohr:

»Malvina, thu' mir den Gefallen und halte das Maul, Du kannst doch nur Dummheiten schwatzen.«

Und Monfréville, der sich in die Lippen biß, um nicht mit einem Gelächter herauszuplatzen, sagte heimlich zu Darena:

»Sie wagen es, zu behaupten, daß diese Frauenzimmer Operntänzerinnen seien! ...«

»Drei davon, mein Lieber; ich schwöre es Ihnen, nämlich Figurantinnen ... die Schweizerin allerdings ist nur von einem Boulevard-Theater, hat aber ein Bein zum Entzücken.«

»Ich habe diese Damen in den Costümen ihrer Rollen mitgenommen,« fuhr Darena gegen Cherubin gewendet fort, »weil sie mir versprachen, in Ihrer Gegenwart eine kleine Probe ihres Talentes abzulegen. Nun, meine Göttinnen, tanzen Sie einen hübschen Pas de quatre vor dem jungen Marquis, der sich keinen Begriff von dem machen kann, was man in der Oper zu sehen bekommt ... Ich weiß zwar wohl, daß man hier nicht so bequem tanzt, wie auf der Bühne ... der Fußboden ist nicht getäfelt; um so größer wird aber Ihr Verdienst sein ...«

»Er ist nicht einmal mit Platten ausgelegt!« rief die Schweizerin, zur Erde blickend, aus; »wie kann man hier Schleifschritte machen? da danke ich! ... es ist ganz uneben ... Wir werden einen Rumpler auf den Podex machen.«

»Ah! sehr hübsch! ... sehr hübsch ...« rief Darena gewaltsam lachend aus, um den Eindruck zu schwächen, den die Ausdrucksweise der Schweizerin verursachte; »entschuldigen Sie, sie ist nicht aus Paris, sie ist unbekannt mit unserer Sprache und versteht die Bedeutung der Worte nicht.«

»O! das Wort ist gut lateinisch, und Tibull, Petron und Ovid wenden zuweilen gleichbedeutende Worte an,« sagte Herr Gerundium, seinen Mund zu einem enormen Lächeln aufreißend, damit die vier Tänzerinnen all' seine Zähne sehen konnten.

»Ich sei nicht aus Paris?« schrie Mademoiselle Malvina, »das wäre sauber! ... ich bin in der Straße Mouffetard geboren, ... wo meine Mutter mit Käse von Brie handelt ...«

Darena trat der Tänzerin auf den Fuß und raunte ihr zu:

»Malvina, wenn Du nicht schweigst, so mußt Du in die Kutsche zurück, bekommst keine Milch und darfst nicht mit uns zu Mittag speisen.«

Die Schweizerin schwieg, der Graf zog eine Kindergeige aus der Tasche und schickte sich zum Musiciren an, indem er sagte:

»Ich will das Orchester machen; Sie sehen, daß ich an Alles gedacht habe ... nun, meine Damen, bereiten Sie sich vor!«

Während dieser Zeit hatte sich Herr d'Hurbain Monfrévillen genährt und sagte zu ihm mit halblauter Stimme:

»Aber – der Herr Graf Darena hat in der That ein Mittel ersonnen ... von dem ich nicht weiß, ob ich es billigen soll ... Dieser Versuch scheint mir etwas zu leichtfertig ...«

»Ei, warum denn?« erwiderte Monfréville. »Darena ist geschickter, als wir ... ich halte sein Verführungsmittel für das wahre ... Ueberdies wird der junge Mann in Paris in die Oper gehen; welches Uebel läge also darin, hier tanzen zu sehen, was er im Theater aufführen sehen wird? Es scheint mir sogar, daß in der Nähe viel weniger Täuschung stattfinde.«

»So sei es denn!« entgegnete der Notar, sich wieder setzend; »und – wer den Zweck erreichen will, darf die Mittel nicht scheuen.«

Die vier Tänzerinnen waren im Begriff, einen Pas auszuführen, als Nicolle mit Tassen und Milch zurückkehrte. Sogleich eilten die Damen nach den Tassen und riefen, daß sie sich zuerst erfrischen wollten.

Während sie tranken, konnte Cherubin nicht aufhören, diese Frauenzimmer zu betrachten, die von denen, welche er bisher gesehen, so verschieden waren; und Herr Gerundium schenkte den Tänzerinnen selbst ein, indem er zu ihnen sagte:

»Ich habe jetzt sicher etwas von Ganymed ... er diente dem Jupiter, ich – Terpsichoren und ihren Schwestern ...«

Aber Malvina nahm die Milchkanne aus des Lehrers Hand und sagte zu ihm:

»Ich heiße nicht Teppichore und das sind auch keine Schwestern von mir, aber Sie sind langweilig mit Ihrem tropfenweisen Einschenken! ... geben Sie, ich will lieber aus der Flasche selber trinken, das geht viel schneller.«

Und der alte Jasmin sprach, die Augen weit aufsperrend mit erstaunter Miene:

»Für Frauenzimmer von Stande haben sie einen guten Zug.«

Als keine Milch mehr da war, begaben sich die Tänzerinnen an ihren Platz. Die Gesellschaft hatte sich niedergesetzt, Darena seine kleine Geige zur Hand genommen. Er spielte die Melodie der »Arragonaise« und die Damen begannen mit vieler Leichtigkeit und Anmuth ihre Tanzschritte zu machen.

Die Landleute waren in Bewunderung versunken.

Jasmin klatschte Beifall, Herr Gerundium schlug die Augen nicht mehr nieder, sein ganzes Gesicht flammte und glühte, wie seine Nase. Der Notar und Monfréville beobachteten Cherubin; er schien von dem neuen ihm dargebotenen Schauspiele hingerissen und entzückt, und seine Blicke konnten diese hübschen jungen Frauenzimmer, deren Schritte, Stellungen und geringste Bewegungen Vergnügen und Wollust ausdrückten, nicht genug bewundern. Darena, welcher die durch den Tanz hervorgebrachte Wirkung bemerkte, spielte immer lebhaftere Melodieen. Die Tänzerinnen folgten dem Takte: ihr Tanz wurde wilder, üppiger. Sie schienen in Anmuth und Beweglichkeit miteinander zu wetteifern, und ihre belebten Augen gewannen noch an Glanz und Feuer. Jasmin applaudirte wie ein Rasender, Herr Gerundium kratzte sich an seiner Nase, als wenn er sie herausreißen wollte, Cherubin war sehr ergriffen. In diesem Augenblicke streckte Fräulein Malvina, vom Eifer des Tanzes hingerissen, ihr Bein mit solcher Gewalt in die Höhe, daß es der Gesellschaft unmöglich ein Geheimniß bleiben konnte, daß sie keine Beinkleider anhatte.

Herr Gerundium, dessen Augen beinahe aus dem Kopfe heraustraten, schrie:

»Das sind Bayaderen ...das ist der mozambische Tanz! ... das ist sehr merkwürdig.«

Herr d'Hurbain, der fand, daß der mozambische Tanz zu weit ging, erhob sich mit den Worten:

»Ganz gut, meine Damen; es ist jedoch genug, Sie müssen ermüdet sein.«

»Ah! bah!« rief Mademoiselle Malvina aus, »ich könnte noch den Cancan tanzen! ... auf den verstehe ich mich.«

Darena, der sich den durch den Tanz erreichten Erfolg nicht rauben lassen wollte, eilte auf Cherubin zu, nahm ihn beim Arme und sagte zu ihm:

»Nun kehren wir nach Paris zurück ... wir speisen im Rocher de Cancale mit diesen Damen zusammen, welche hoffen, daß Sie einer der Unsrigen sein werden ... denn das Fest wäre ohne Sie nicht vollständig.«

Cherubin war bewegt, unentschlossen; er schwankte ... Darena gab den Tänzerinnen ein Zeichen, die herbeiflogen, den Jüngling umgaben, ihn aufs Verführerischste anblickten und ihm zuriefen:

»O! ja, mein Herr, kommen Sie mit uns nach Paris! Gehen Sie heute Abend in die Oper ... dort werden Sie uns tanzen sehen, und das wird etwas anderes sein, als in diesem Zimmer. Es wäre recht abscheulich von Ihnen, wenn Sie es uns abschlügen.«

»Und im Rocher de Cancale ißt man gut ...« sagte Malvina ... »ich werde mich vollstopfen! ...«

»Nun! Nun! Sie sind der Unsrige;« rief Darena aus. Die Spanierin und die Neapolitanern ergriffen jede einen Arm Cherubins, und dieser ließ sich mit fortziehen, und fast unter lauter Tanzen bis zum Fiaker bringen, den er mit Darena und den vier Tänzerinnen bestieg.

»Aber ich habe einen bessern Wagen,« rief der Notar, »es ist zu eng für sechse da drinnen ... einige der Damen könnten sich zu mir hereinsetzen.«

»Nein, nein!« entgegnete Darena; »wir sitzen einander auf den Schooß; das ist sehr lustig! ... Vorwärts Kutscher, peitsche Deine Rosse, es wird Dir gut bezahlt ... zum Rocher de Cancale

Der Fiaker fuhr ab mit Cherubin, der nicht einmal Zeit gefunden, sich von seiner Amme zu verabschieden.

»Darena hat den Sieg gewonnen!« sagte Monfréville, »nun ist der Vogel seinem Nest entflogen! ...«

»Ja,« entgegnete Herr d'Hurbain, »doch darf der Scherz nicht zu weit gehen ... und diese Mahlzeit, mit solchen Damen ... ich kann wahrhaftig nicht Theil daran nehmen ... ein Notar mit Ballettänzerinnen!«

»Ei, mein Gott ... ein einziges Mal! ... Es weiß es ja Niemand, überdies geschieht es aus einem lobenswerthen Beweggrunde und Ihre Anwesenheit wird im Gegentheile eine allzu große Ausgelassenheit bei diesem Gelage verhindern. Kommen Sie mit in mein Tilbury, wir folgen den Leutchen in diesem rascher nach.«

Herr d'Hurbain stieg mit Monfréville ins Tilbury und Herr Gerundium mit Jasmin in des Notars Kutsche.

»Sie führen meinen jungen Herrn in den Rocher de Cancale,« sagte der alte Diener, »und ich habe doch zu Hause eine Mahlzeit, einen feierlichen Empfang, Musik, Blumen u. s. w. vorbereiten lassen.«

»Trösten Sie sich, würdiger Jasmin,« entgegnete der Lehrer, »das kann Alles nachher noch benützt werden; mein Zögling muß ja doch früher ober später jedenfalls nach Hause kehren. Was mich betrifft, ich bin Mentor und darf meinen Telemach, selbst wenn er zum Mittagessen in den Rocher de Cancale geht, nicht verlassen.«


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