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Elftes Kapitel

Monfréville. – Darena. – Poterne..

Ein hübscher Saal und ein prächtiges Mittagessen waren von dem Grafen Darena im Rocher de Cancale unter folgender Betrachtung bestellt worden:

»Es geschehe, was da wolle, wir werden jedenfalls hier zu Mittag speisen; sollte ich zum verlierenden, d. h. zahlenden Theile gehören, so würde mir dies zwar im Augenblick sehr schwer fallen ... indeß kümmert mich das wenig! ich bestelle einmal das Essen!«

Nur ans Vergnügen zu denken, sich nicht um die Zukunft zu kümmern, sogar öfters sorglos über die Erfordernisse der Gegenwart wegzugehen, das war Darenas Gemüthsart. Von einer edeln Familie abstammend, hatte er einen guten Unterricht und eine vortreffliche Erziehung genossen. Sein stolzer, strenger Vater entdeckte an seinem Sohne schon frühzeitig einen lebhaften Hang zum Vergnügen und zur Unabhängigkeit, und hielt es, um ihn davon zu heilen, für gerathen, ihm durchaus keine Zerstreuung und Freiheit, die sonst nach der Arbeit und dem Studium zur Erholung dienen, zu vergönnen. So hatte Darena sein neunzehntes Jahr erreicht, ohne jemals einen Thaler zur Verfügung gehabt, oder eine freie Stunde genossen zu haben. Um diese Zeit starb sein Vater, seine Mutter war schon längst todt, und er mit einem Mal sein eigener Herr und im Besitz eines ziemlich großen Vermögens. Er warf sich blindlings in Vergnügungen und Zerstreuungen, wollte die durch seines Vaters Strenge verlorne Zeit wieder einbringen und hatte den Studien und ernsthaften Dingen auf immer den Rücken gekehrt.

Das Spiel, die Weiber, die Pferde und die Tafelfreuden waren seine Abgötter geworden. Anfangs hatte er unter der vornehmen Gesellschaft, zu welcher ihm sein Namen und Vermögen den Zutritt verschafften, eine Menge Liebesabenteuer angesponnen; aber Darena war nicht sentimental, er suchte nur das Vergnügen in einem solchen Verhältnisse und brach es ab, sobald er den mindesten Zwang oder die geringste Unannehmlichkeit dabei empfand.

Da die Damen aus den höhern Ständen nicht immer geneigt sind, nur ein Verhältniß von wenigen Tagen einzugehen, und das Betragen des Grafen Darena, der sich rühmte, keiner Frau treu zu bleiben, kein Geheimniß war, so wurden seine Eroberungen unter der höhern Welt seltener, und er nach und nach gezwungen, sich an niederere Bürgersmädchen, dann an Comödiantinnen, dann an Grisetten, dann an Frauenzimmer von zweideutigem Rufe zu wenden; zuletzt war er in diesem Punkt so wenig difficil geworden, daß er seine Geliebten aus den niedersten Ständen der Gesellschaft wählen mußte.

Mit Darenas Vermögen war es wie mit seinen Liebschaften gegangen: es war immer weiter heruntergekommen, so daß der Graf in seinem achtundzwanzigsten Jahre Alles aufgezehrt und Alles verschwendet hatte. Es blieb ihm nichts mehr, als das Haus in der Vorstadt Saint-Antoine, das er zu verkaufen im Begriffe stand und worauf er schon mehr Schulden gemacht hatte, als es werth war.

Aber weit entfernt, sich wegen seiner Lage und seiner Zukunft zu beunruhigen, war Darena Alles gleichgültig, wenn er nur gut essen, oder mit einer Tänzerin, einer Figurantin, einer Grisette, oder sogar mit einem Stubenmädchen Champagner trinken konnte; zur Erreichung dieser Vergnügungen scheute er kein Mittel, denn Menschen, welche in der Wahl ihrer Bekanntschaften nicht sehr delikat sind, sind es auch nicht immer in Beziehung auf ihre Existenzmittel.

Ein Individuum, Namens Poterne, hatte mit all seinen Kräften zum Ruin und zu der Zerrüttung Darena's beigetragen. Dieser Poterne war ein Mensch, dessen Alter man wegen seiner Häßlichkeit und seines schlechten Wuchses nicht errathen konnte; auf einem dürren, knöcherichten, schiefen Körper, welchen krumme, schmächtige Beine trugen, befand sich ein auffallend großer, länglichst runder Kopf, eine in der Mitte eingedrückte, an der Spitze krumm gebogene Nase, ein Mund ohne Lippen, ein vorstehendes Kinn und zwei blaßgrüne, von übergroßen Wimpern beschattete Augen, deren Sterne sich unaufhörlich hin und her wälzten; man denke sich dazu einen ungeheuern Busch brauner, schmutziger, dicker Haare, die immer à la Igel geschnitten waren, so bekommt man das richtige Bild von Herrn Poterne.

Dieser Mann hatte sich an den Grafen Darena gemacht, als derselbe noch reich war; er hatte ihm seine Dienste für jeden Fall angeboten, er wußte alle Orte in Paris, wo ein junger Mann von Stande sich am bäldesten ruiniren kann; wenn Darena im Schauspielhause oder auf dem Spaziergange ein Frauenzimmer sah, das ihm gefiel, so nahm es Poterne auf sich, ihr nachzufolgen, ihr einen Brief zuzustecken und Erkundigungen über sie einzuziehen. Später besorgte er für Darena auch Gelddarleiher, Wucherer und sonstige gefällige Lieferanten; daher war er dem Grafen unentbehrlich geworden, der ihn bald wie seinen Freund, bald wie seinen Bedienten behandelte; ihm zuweilen schmeichelte, ihn stets verachtete, aber nie entbehren konnte.

Man wird vielleicht glauben, daß dieser Herr die Absicht hatte, sich auf Kosten dessen, den er ruiniren half, zu bereichern. Das war ohne Zweifel auch Poterne's erster Gedanke, aber seine eigenen Laster gestatteten ihm nicht, die Fehler eines Andern zu seinem Vortheile zu benutzen; ebenso spiellustig, ebenso ausschweifend wie Darena, verspielte er, während dieser in einem glänzenden Salon Tausendfrankbillete verlor, in einer Schenke oder sonst in einer schmutzigen Höhle das seinem guten Freunde abgezapfte Geld; wenn Darena eine hübsche Dame bei Béfour oder Béry regalirte, so verzehrte Poterne sein Baares mit einer Gemüsehändlerin bei einem Garkoch, denn er mußte seiner Häßlichkeit wegen freigebig sein; wenn endlich Darena keinen Heller mehr in der Tasche hatte, so kam es ihm zuweilen in den Sinn, seinen Genossen zu mißhandeln, dem er vorwarf, seinen Ruin herbeigeführt zuhaben; dabei bemächtigte er sich dann ohne Umstände Alles dessen was er bei ihm vorfand, und Poterne, der überdies auch feig war, ließ sich ohne Murren von seinem Freunde ausplündern, nahm sich aber vor, sich bei erster Gelegenheit zu rächen.

Es könnte auffallend erscheinen, den eleganten Monfréville in Beziehungen zu einem Menschen stehen zu sehen, dessen Eigenschaften, Betragen und Kleidung sogar, fortwährend von einem unordentlichen Leben zeugten. Aber es gibt Leute, die, wenn sie Jemand im Reichthum und Glück gekannt haben, ihm nicht den Rücken zukehren mögen, wenn sie ihm in einem schmutzigen Rocke und mit einem schlechten Hute begegnen. Außerdem hatte Darena noch glänzende Momente; wenn ihm das Spiel günstig war, oder sein Freund Poterne wieder eine neue Hülfsquelle entdeckt hatte, so sah man ihn plötzlich wieder mit Eleganz und Anstand die Schauspielhäuser, Bälle und ersten Restaurants von Paris besuchen; einige Tage darauf deutete die Vernachlässigung seiner Toilette, eine gewisse Unordnung in dem einen oder andern Kleidungsstücke an, daß der Wind wieder anders woher wehe; aber Darena wußte mit einem schlechten Hute und schmutziger Wäsche das Betragen der guten Gesellschaft so vollständig beizubehalten, daß es unbegreiflich schien, wie er sich in so schlechter herumtreiben mochte.

Und, abgesehen davon, kennt man denn in Paris das Privatleben der meisten Personen, deren vorübergehende Bekanntschaft man macht? Traf man Darena eines Tages gekleidet wie in den Zeiten seines Glanzes, sah man ihn an einem Vergnügungsorte tolle Ausgaben machen, so fragte man ihn nicht, durch welchen glücklichen Wechsel des Geschickes er seinen Reichthum wieder gewonnen habe, und aus demselben Grunde bekümmerte man sich auch, wenn man ihn bald darauf wieder armselig gekleidet in ein schlechtes Gasthaus für zweiundzwanzig Sous hineinschleichen sah, nicht um die Nachtheile und Verluste, welche ihn getroffen haben könnten. In Paris forscht man nicht nach den Geheimnissen Anderer, und in dieser Beziehung kann dort Discretion sehr oft mit Gleichgültigkeit bezeichnet werden.

Monfréville, der Darena im Reichthum gekannt hatte, wußte wohl, daß er sein Vermögen durch Verschwendung verloren hatte; er glaubte ihn aber noch nicht ganz ohne Hülfsmittel, und hielt es jedenfalls für unmöglich, daß er sich auf unziemliche Weise Geld verschaffen könnte. Der Graf hatte zwar öfters Tausendfrankennoten von ihm entlehnt und nie wieder zurückgegeben, allein Eduard von Monfréville war reich, und legte wenig Werth auf solche kleine Dienstleistungen; auch unterhielt ihn Darena's Gesellschaft; seine wunderlichen Einfälle, seine oft bis zum Cynismus gehende Sorglosigkeit belustigten ihn und verscheuchten die Schwermuth, welche sich zuweilen seiner bemächtigte.

Die Welt fragte sich oft, woher diese nachdenkliche Miene, dieses eher bittere, als höhnische Lächeln, das manchmal über Monfréville's Lippen glitt, kommen möge? Er war reich und mit Allem, was gefallen kann, begabt. Man liebte seine Gesellschaft, die Frauen wetteiferten um seine Gunst; er hatte viel Glück gemacht und stand in einem Alter, wo er noch Manches hoffen durfte. Indessen schien er selten wahrhaft heiter und vermied es, sich in seinen Unterredungen über ein Geschlecht zu äußern, das ihn doch auszeichnete. Einige Personen glaubten, Monfréville sei auf dem Punkt angelangt, wo man für alle Vergnügungen abgestumpft wird, und schrieben diesem Umstande die Wolken zu, die bisweilen seine Sinne verdunkelten; andere, welche ihn über diejenigen seiner Freunde spotten hörten, welche auf die Beständigkeit ihrer Geliebten bauten, vermutheten, daß der schöne, verführerische Monfréville irgend eine unglückliche Leidenschaft genährt habe und das Opfer eines Verrathes geworden sei. Als man endlich diesen beliebten Mann Dreißig zurücklegen und sich sogar den Vierzigern nähern sah, ohne daß er an eine Heirath dachte, hatte man sich eine Menge Vorstellungen gemacht und gesagt:

»Er muß sehr schlimm von den Frauen denken, weil er es nicht wie die übrigen Männer machen und sich unter das Joch der Ehe beugen will.«

Aber Eduard von Monfréville war es höchst gleichgültig, was man von ihm denken und sprechen mochte; er lebte fortwährend nach seinen Neigungen und handelte nach seinem Gutdünken; bisweilen brachte er einen ganzen Monat unter lauter rauschenden Vergnügungen inmitten eines fröhlichen, verschwenderischen Völkchens zu, dessen Thorheiten er theilte; dann sah man ihn öfters wieder ganze Wochen die Gesellschaft meiden und die Einsamkeit aufsuchen. Man hatte sich zuletzt au diese Sonderbarkeit seiner Launen gewöhnt, da ein reicher Mann in der Welt stets das Recht hat, wunderlich zu sein; nur den armen Teufeln wird dasselbe nicht zugestanden.

Jetzt, da wir die Personen, mit denen wir zusammentreffen werden, besser kennen, wollen wir uns in den Rocher de Cancale begeben, wo Cherubin eben mit den Priesterinnen Terpsichore's angelangt ist.


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