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Wir verließen Louisen im Augenblick, wo sie, um den Befehlen der Frau von Noirmont zu gehorchen, sich, ehe noch Jemand aufgestanden war, aus dem Hause entfernte.
Sie befand sich also am frühen Morgen auf der Straße, trug ein ihre Habseligkeiten enthaltendes Päckchen unter dem Arme und barg den für sie so kostbaren Brief, der ihr vielleicht zur Entdeckung ihres Vaters verhelfen konnte, auf der Brust.
Als sie sich allein und von dem eben verlassenen Hause gehörig entfernt sah, war ihr erster Wunsch, den Namen Desjenigen kennen zu lernen, für den Frau von Noirmont dieses Schreiben bestimmt hatte. Sie zog also den Brief unter ihrem Halstuch hervor und las folgende Adresse:
»An Herrn Eduard von Monfréville, eigenhändig zu übergeben.«
»Herrn von Monfréville,« sprach Louise zu sich, »von diesem Herrn habe ich nie etwas gehört ... aber Frau von Noirmont sagte mir, er sei sehr befreundet mit ... Herrn Cherubin ... und dort würde ich sogleich seine Wohnung erfahren. Ich will also in Herrn Cherubins Haus gehen ... ihn aber nicht zu sehen verlangen ... ach! ich weiß wohl, daß er mich nicht mehr liebt ... mich nicht mehr kennen will ... und überdieß, da er jetzt drei oder vier Liebschaften auf einmal hat, o! so habe ich ohnehin keine Lust, ihn zu besuchen.«
Die Jungfrau seufzte bei diesen Worten, denn ihr Herz war durchaus nicht in Uebereinstimmung damit. Aber sie schritt vorwärts, dem Faubourg Saint-Germain zu, und dachte weiter:
»Ich will nicht mehr an den Freund meiner Kindheit ... sondern nur daran denken, was mir Frau von Noirmont in dieser Nacht gesagt hat.«
Louise langte in der Straße an, wo sich das Hôtel Grandvilain befand. Als sie nahe bei demselben war, stand sie stille, fing an zu zittern und überlegte:
»Da aber Cherubin meinen Besuch nicht annehmen wollte, als ich mit seiner guten Amme kam ... so könnte man mich vielleicht jetzt aus dem Haufe jagen ... man könnte glauben, ich wolle zu ihm, und dieses ihn noch mehr gegen mich aufbringen; mein Gott, was soll ich anfangen?«
Und anstatt auf das Hôtel zuzugehen, kehrte Louise um und ging mit langsamen Schritten rückwärts. Aber nach wenigen Minuten stand sie wieder still und dachte:
»Ich muß doch die Adresse dieses Herrn von Monfréville erfahren ... wenn ich wartete, bis Jemand aus dem Hause herauskäme ... ja, das scheint mir, wäre besser ... ich hätte mehr Muth, mit Jemand auf der Straße zu sprechen. Aber es ist noch früh, in diesen Hôtels steht man nicht so bald auf! ... Ich will warten, ein wenig in der Straße auf- und abspazieren, das ist nicht verboten, überdies gehen auch noch nicht viel Leute vorbei! ... ach! wenn ich ihn herausgehen sähe ... so würde ich mich verstecken, damit er mich nicht bemerkte; ... aber ich könnte ihn doch wenigstens betrachten ... es ist schon so lange, daß ich ihn nicht mehr gesehen habe!«
Schon längere Zeit ging Louise in der Straße auf und ab, ohne Jemand aus dem Hause heraustreten zu sehen, als zwei Individuen, die aus einer anstoßenden Straße hervorkamen, ihre Schritte gerade in ihrer Richtung nahmen.
Die beiden Personen reichten sich den Arm nicht, der Eine ließ den Andern sogar immer einige Schritte vorausgehen, wie wenn ihn ein gewisser Grad von Achtung abhielte, die gleiche Linie mit ihm einzuhalten. Der erstere trug einen großen mit Sammet gefütterten, höchst eleganten, aber schon sehr schmutzigen Paletot, einen beinahe neuen Hut, der aber, wie es schien, schon mehrere Einbüge erhalten hatte, und hatte eine Cigarre im Munde; der Zweite trug einen regenschirmartigen Hut, einen alten nußbraunen Oberrock, ein Paar entsetzlich dreckige Beinkleider und fremde Stiefeln, die er irgendwo hatte mitspazieren lassen und in denen feine Füße und Beine herumzuschlottern schienen; außerdem hatte er ein geschwollenes, braun und blau geschlagenes Auge und eine zerquetschte Nase.
Darena und Poterne hatten die Nacht in einer Gesellschaft zugebracht, wo man bis gegen Tag gespielt und sich, ehe man auseinander ging; zum Abschied tüchtig durchgeprügelt hatte. Darena wollte beim Nachhausegehen durch die von Cherubin bewohnte Straße zurückkehren; er schlug diesen Weg immer vorzugsweise ein, was aber Poterne nicht gefiel, der deßhalb hinter ihm d'rein brummte:
»Wenn uns Ihr alter Freund, der junge Marquis, begegnete, so könnte ich noch eine Gratifikation von ihm auf den Hintern bekommen ... wornach mich gar nicht gelüstet!«
»Bah! bah!« entgegnete Darena, »Du stellst Dir die Dinge immer in falschem Lichte vor ... Ich möchte im Gegentheil Cherubin begegnen ... ich würde lachend auf ihn zugehen und zu ihm sagen: sollen Freunde solcher Scherze wegen böse miteinander sein? Ich habe Ihnen die Bekanntschaft eines jungen, reizenden Mädchens verschafft ... daß es statt einer Polin eine Elsäßerin war ... was thut das zur Sache? ... und wahrhaftig, es ist nicht meine Schuld, daß Sie neben ihr eingeschlafen sind! ... ich wette, er gäbe mir die Hand, und Alles wäre vergessen.«
»– Hm! ... ich fürchte, er würde Ihnen etwas Anderes geben, denn wenn Sie wüßten, wie sein Freund Monfréville von Ihnen gesprochen hat ...«
»– Ta, ta, ta! ... leere Worte! Dummheiten! ich bin darüber erhaben!«
Die Herren setzten ihren Weg fort, als Poterne, Louisen einige Schritte von Cherubins Hôtel entfernt, an dem ihre Blicke zu haften schienen, bemerkend, Darena anstieß, und zu ihm sagte:
»Sehen Sie doch ... da drüben ... rechts ...«
»Ah! der Kuckuk! das schöne Mädchen ... was Teufels macht sie dort, in Betrachtung vor Cherubins Hôtel? ... weißt Du aber auch, Poterne, daß dieses junge Mädchen wunderhübsch ist ... je mehr man sie ansieht, je mehr Reize entdeckt man.«
»– Ja ... es ist übrigens keine Pariserin ... und doch sieht sie besser aus, als ein Mädchen vom Lande ... sie trägt ein Päckchen unter dem Arm ... kommt sie Wohl von ihrer Heimath her?«
»– Sie blickt immer nach dem Hôtel hin ... ich muß bestimmt erfahren, was sie da macht ...«
»– Wie wollen Sie das anfangen? ...«
»– Ich weiß es selbst noch nicht; aber ich bin ein Franzose und vor allen Dingen galant ... und dem schönen Geschlechte Schutz und Beistand schuldig. Nun, vorwärts ... Du sollst sehen ... geh' an meiner Seite, Dummkopf!«
Darena und Poterne gingen über die Straße auf die Seite, wo Louise war, hinüber, und als sie sich in ihrer Nähe befanden, blieb Darena stehen und fragte seinen Begleiter mit sehr lauter Stimme:
»Herr von Poterne, da wir gerade durch die Straße gehen, könnten wir wohl unserem intimen Freunde, dem Herrn Marquis Cherubin von Grandvilain, dessen Haus hier ist, einen guten Morgen wünschen ... Sie wissen, wie oft er uns schon gebeten hat, bei ihm zu frühstücken.«
Poterne hüllte sich dicht in seinen Oberrock, indem er antwortete: »Es ist zu früh, es ist noch kein Mensch auf bei dem Marquis.«
Diese Worte gingen für Louisen, die beim Namen Cherubin zusammenbebte, nicht verloren. Sie trat auf Darena zu und redete ihn mit schüchterner Miene an:
»– Mein Herr, entschuldigen Sie mich ... aber da Sie der Freund des Herrn ... von Grandvilain sind, dessen Hôtel hier steht, so kennen Sie vielleicht auch den Herrn von Monfréville ...«
Beim Namen Monfréville verzerrte Poterne das Gesicht; aber Darena entgegnete Louisen mit sehr liebenswürdiger Miene:
»Ja, mein schönes Fräulein, ich kenne Monfréville ... und bin sogar sehr befreundet mit ihm ... Wünschen Sie etwas von ihm?«
»Ich habe ihm einen Brief zu übergeben ... und weiß seine Wohnung nicht ... man hat mir gesagt, ich könne sie bei Herrn Cherubin erfahren ... Aber obgleich ich Herrn Cherubin gut kenne ... wagte ich doch nicht, in sein Haus einzutreten ...«
»– Ah! Sie kennen meinen Freund Cherubin, mein Fräulein ... dann muß er mir von Ihnen erzählt haben, denn ich bin sein innigster Vertrauter.«
»O! nein, mein Herr,« entgegnete Louise mit trauriger Miene, »er wird Ihnen nichts von mir erzählt haben, denn er hat mich vergessen ... er ließ uns von seiner Thüre abweisen ... Ich bin Louise ... die Jugendgespielin des Herrn Cherubin.«
»– Die kleine Louise!« rief Darena aus, »die mit Cherubin in Gagny bei Mutter Nicolle, seiner Amme, war? ...«
»– Ja, mein Herr!«
»– Sie sehen, daß ich gut unterrichtet bin, Fräulein, und Sie nicht getäuscht habe, wenn ich mich für den Freund des Marquis ausgab.«
»– O! freilich, mein Herr, ich sehe es wohl!«
Während dieses Gesprächs näherte sich Poterne Darena und raunte ihm ins Ohr:
»– Da ist etwas zu machen.«
Darena antwortete ihm durch einen Rippenstoß und brummte: »Das merke ich ohne Dich, dummes Vieh!«
Dann fuhr er, gegen Louisen gewandt, fort:
»Mein Fräulein, da Sie nicht zu meinem Freunde Cherubin hineingehen wollen, so finde ich es nach meiner Ansicht nicht schicklich, daß Sie auf der Straße stehen bleiben ... In Paris gibt es gewisse Rücksichten, die man stets beobachten muß. Bei Ihrer Jugend und Schönheit müssen Sie sich nicht der Beschimpfung irgend eines Bengels aussetzen ... Reichen Sie mir Ihren Arm, Sie sind die Jugendgespielin, die Milchschwester meines Freundes, dadurch bin ich selbstverständlich Ihr Beschützer ... Nehmen Sie doch meinen Arm.«
»Ach! mein Herr, welche Güte,« versetzte Louise schüchtern, ihren Arm in Darena's einhängend. »Würden Sie mir wohl die Gefälligkeit erweisen, mich zu Herrn von Monfréville zu begleiten?«
»– Ich begleite Sie, wohin Sie wollen ... zu dem König, wenn Sie mit ihm zu sprechen haben! ... Poterne, nehmen Sie doch dem Fräulein ihr Päckchen ab.«
»– Sie sind zu gütig, mein Herr, aber es beschwert mich nicht.«
»– Das ist einerlei, ich werde nicht zugeben, daß die Milchschwester meines Freundes Cherubin, während ich sie am Arme führe, ein Päckchen trägt.«
Poterne hatte sich schon des Päckchens, welches er Louisen aus der Hand zog, bemächtigt, und diese, ganz verlegen über so viele Artigkeiten, ging an Darena's Arm weiter, während Poterne ihnen nachfolgte, und sich durch Betasten über den Inhalt des Päckchens orientiren wollte.
Unterwegs erzählte Louise Darena, wie sie Gagny verlassen habe, um bei Frau von Noirmont in Dienste zu treten, ihre Betrübniß, von Cherubin vergessen zu sein; kurz, sie berichtete ihm alle Umstände mit Ausnahme des Besuches, den ihr Frau von Noirmont in der Nacht gemacht hatte.
»– Und was wollen Sie bei Monfréville thun?« sagte Darena, seine Blicke auf Louisens schöne Augen heftend.
»– Ich will ihm ein Schreiben bringen, welches man mir für ihn gegeben hat.«
»– Ohne Zweifel, um Sie mit Ihrem Freunde Cherubin zu versöhnen?«
»– O! nein, mein Herr ... in Betreff einer Angelegenheit, die außer ihm Niemand erfahren darf.«
Mehr sagte Louise nicht, sie hielt es für unpassend, Jemand mitzutheilen, was ihr Frau von Noirmont anvertraut hatte. Darena achtete wenig hierauf, er dachte nur daran, was er jetzt mit Louisen beginnen solle; plötzlich fiel ihm das Haus auf dem äußern Boulevard ein, welches er für die polnische Liebesgeschichte gemiethet, und, weil er es gleich auf sechs Monate nehmen mußte, noch inne hatte. Dann sich gegen Poterne kehrend, dem er einen Augenwink gab, sagte er:
»Herr von Poterne, bewohnt mein Freund Monfréville noch immer sein kleines ... auf den Boulevards ... außerhalb der Barrière stehendes Haus?«
»Ja, Herr Graf,« entgegnete Poterne, mit liebreicher Miene. »Aber der Herr von Monfréville ist häufig auf kleinen Ausflügen in der Umgegend abwesend ... Ich kann nicht dafür stehen, daß er gegenwärtig zu Hause ist.«
»– Gleichviel, wir führen das Fräulein jedenfalls dorthin ... ist er abwesend, so werden wir darauf denken, was Fräulein Louise, Milchschwester meines Freundes Cherubin, bis zu seiner Rückkehr thun könnte ... Ah! da kommt ein Fiaker, den nehmen wir, denn von hier aus bis zu Monfréville's Wohnung ist es sehr weit.«
Poterne gab dem Kutscher ein Zeichen, heranzufahren, und Louise stieg mit den zwei Personen, denen sie begegnet war, in den Wagen; das junge Mädchen fühlte keinen Argwohn, sie war überzeugt, daß der Herr, der ihr seinen Arm angeboten, ein Freund Cherubins war, und in ihren Augen reichte das hin, um allen Verdacht aus ihrer Seele zu verbannen.
Der Wagen hielt vor dem Hause bei der Barrière de la Chopinette, das seit dem mißlungenen Abenteuer mit Fräulein Chichette Chichemann von Niemand, als dem kleinen Bruno bewohnt wurde, den man als Hüter desselben darin gelassen hatte. Darena flüsterte Poterne einige Worte ins Ohr, der somit zuerst eintrat. Louise blieb bei Darena, der ziemlich lang brauchte, um den Kutscher zu bezahlen. Endlich führte er die Jungfrau in das Haus ein, wo der kleine Junge bereits seine Instruktionen empfangen hatte.
»Wir wünschten gerne Herrn von Monfréville zu sprechen,« sagte Darena, sich an Bruno wendend; »hier ist ein junges Frauenzimmer ... die Milchschwester meines intimen Freundes, des Herrn Marquis Cherubin, die ihn nothwendig sehen muß.«
Bruno maß Louisen mit unverschämten Blicken von oben bis unten, während er antwortete:
»Herr von Monfréville ist abwesend ... er wird aber ohne Zweifel morgen oder übermorgen zurückkommen, für den Fall Sie ihn erwarten wollen, hat er mir den Auftrag gegeben, den ihn besuchenden Freunden sein Zimmer anzubieten.«
Louise war trostlos, blickte Darena an und flüsterte:
»Der Herr ist abwesend, was soll ich anfangen?«
»Vor allen Dingen, liebes Kind, müssen Sie hinaufgehen und ausruhen,« sagte Darena, »dann wollen wir sehen und uns bedenken ... Kommen Sie, folgen Sie mir ohne Furcht, bei Monfréville bin ich wie zu Hause.«
Louise ging mit Darena hinauf, der, um ihr alle Furcht zu benehmen, sich anstellte, als ob er sie mit der tiefsten Hochachtung behandle, und immer in großer Entfernung von ihr stehen blieb. Diese wunderte sich ein wenig, daß die Person, an welche sie Frau von Noirmont gewiesen hatte, ein Haus von so unscheinbarem Ansehen, mit so armseligen Möbeln bewohne; man hatte ihr jedoch nicht gesagt, daß dieser Herr reich sei, sondern nur, daß er sie mit ihrem Vater bekannt machen könnte, und deßhalb wünschte sie so sehnlich, ihn zu sehen.
Nach einer Pause sagte Darena zu Louisen:
»Mein schönes Fräulein, Sie kennen ... außer Cherubin Niemand in Paris, aber Sie wollen ihn nicht um einen Zufluchtsort ansprechen?«
»O, nein, mein Herr ...«
»– Nach Gagny zurückzukehren, um wieder hieherzukommen, wäre verlorene Zeit ... und Sie würden sich, allein reisend, tausend für ein junges Frauenzimmer unangenehmen Zufällen aussetzen. Es scheint mir daher das Beste, was Sie in Ihrer Lage thun können, hier zu bleiben und die Rückkehr Monfrévilles abzuwarten.«
»Hier, mein Herr ... allein in diesem Hause mit dem kleinen Knaben, den ich unten gesehen habe,« entgegnete Louise mit ängstlichem Gefühle, »o! nein, das würde ich nicht wagen ...«
»– Allein ... mein Kind! o! nein, wenn das der Fall wäre, würde ich Ihnen wahrlich den Vorschlag nicht machen; es ist eine Verwalterin da ... eine vertraute, sehr achtbare Person ... der kleine Junge ist ihr Neffe ... sie wird ohne Zweifel einen Ausgang gemacht haben und der Kleine während dessen das Haus hüten.«
»– O! dann ist es etwas Anderes! ... wenn eine achtbare Person im Hause ist, die mich bis zu Herrn von Monfréville's Rückkehr bei sich behalten will ...«
»– Warten Sie, ich will einmal nach ihr sehen.«
Darena ging hinab und sagte zu Poterne:
»Du jagst sogleich den kleinen Schelm aus dem Hause und suchst uns eine Frau von vierzig bis sechszig Jahren auf ... die einigermaßen ein ehrbares Aussehen hat ... das wird unserer Kleinen Zutrauen einflößen und sie hier zu bleiben bewegen. Es liegt mir überhaupt Nichts daran, den Herrn Bruno zu behalten, der bei unserer letzten Angelegenheit diejenigen, die uns die ganze Sache verdorben haben, so ohne Weiteres eindringen ließ.«
»Eine ehrbare Frau?« entgegnete Poterne, »ich kenne keine ... wo Teufels soll ich auch eine solche in dieser anrüchigen Vorstadt hernehmen? ...«
»– Nimm sie her wo Du willst ... aber geh'! ... bring eine Höckerin ... eine Kartenschlägerin ... eine Haushälterin ... gleichviel, nur unterrichte sie gehörig.«
Darena kehrte zurück, um Louisen Gesellschaft zu leisten, und sagte ihr, die Verwalterin sei nach der Halle gegangen, weil in diesem Quartier kein Markt sei, werde aber bald wieder zurückkommen.
Während dessen entließ Poterne Bruno seiner Dienste, der es aber sehr schlecht fand, daß man ihn nur so ohne Weiteres davonjagte, und im Gehen seine Blouse hinten in die Höhe schob und eine Geberde machte, die eine keineswegs freundschaftliche Einladung ausdrückte. Aber Poterne hatte keine Zeit, sich über Bruno's sehr bezeichnende Gestikulation zu ärgern, er eilte in die benachbarten Schenken, von Haus zu Haus, erkundigte sich und fragte nach. Endlich nach zweistündigem Suchen fand er das Verlangte. Er kehrte in das kleine Haus mit einer Frau zurück, die ungefähr fünfzig Jahre alt und groß wie ein Grenadier war, auf dem Kopfe eine mindestens seit einem Jahre nicht gewaschene Haube und ein Kleid auf dem Leibe hatte, dessen Farbe nicht mehr zu unterscheiden war; ein finniges Gesicht, Triefaugen und eine mit Schnupftabak vollgestopfte Nase vervollständigten dieses reizende Bild.
»Hier ist Frau Ratouille, Herrn von Monfréville's Verwalterin,« sagte Poterne, seine Begleiterin vorstellend.
Frau Ratouille, die Poterne sorgfältig unterrichtet hatte, verbeugte sich tief vor Darena und zeigte sich gegen Louisen äußerst holdselig, indem sie dieselbe versicherte, daß ihr das Haus zu Diensten stehe, und es Herrn von Monfréville außerordentlich angenehm sein werde, wenn sie Gebrauch von diesem Anerbieten machen würde. Frau Ratouille, welche äußerst geschwätzig und sehr darauf erpicht war, ihre Rolle gut zu spielen, weil man ihr nebst freier Kost täglich sechs Franken versprochen hatte, verlor sich in Phrasen, um Louisen zu beweisen, daß sie bei ihr vor jeder Unannehmlichkeit und Zudringlichkeit geschützt sei. Das junge Mädchen, überzeugt, daß Frau von Noirmont sie nur an achtbare Personen gewiesen haben könne, bedankte sich vielmal bei Frau Ratouille und willigte ein, in ihrer Gesellschaft Herrn von Monfréville's Rückkehr abzuwarten.
Darena blieb noch einige Zeit bei Louisen; diese benützte Poterne, um der neuen Verwalterin die Lokalitäten des Hauses zu zeigen, welches sie schon längst zu bewohnen sich das Ansehen geben sollte; er rieth ihr jedoch, nicht zu viel zu schwatzen, aus Furcht, sie möchte eine Dummheit sagen, und empfahl ihr besonders, Niemand zu dem jungen, ihr anvertrauten Mädchen zu lassen; dann ging er mit Darena weg, welcher sich bei Louisen verabschiedete und ihr ankündigte, daß er Morgen früh wiederkommen und nachsehen werde, ob sein Freund Monfréville zurückgekehrt sei, und ob ihr nichts in seinem Hause abgehe.
Als sie das kleine Haus verlassen hatten, sagte Poterne zu Darena: »Das junge Mädchen ist uns in die Hände gefallen, um uns für die polnische Geschichte zu entschädigen ... sie ist entzückend! es ist unmöglich, daß sie dieser junge Cherubin nicht anbete, wenn er sie sieht; außerdem haben Sie mir gesagt, daß er oft von seiner Jugendgespielin sprach ... ein Beweis, daß er sie nicht, wie sie glaubt, vergessen hatte; aber man darf sie ihm nur gegen sein vollwichtiges Gold zurückgeben.«
Darena antwortete nichts, er schien in tiefes Nachdenken versunken. Poterne wagte nicht, ihn in seinen Gedanken zu stören; er setzte voraus, daß sie nur auf die gute Ausführung der Sache gerichtet seien.
Am folgenden Morgen kleidete sich Darena etwas sorgfältiger an und begab sich mit Poterne in das kleine Haus. Während er sich mit Louisen unterhielt, blieb Poterne unten bei Frau Ratouille, die ihn versicherte, das junge Mädchen habe sich keinen Augenblick gelangweilt, weil sie ihr den ganzen Tag Karten geschlagen habe.
Darena leistete Louisen Gesellschaft, bis es Nacht wurde; beim Nachhausegehen beobachtete er gegen Poterne dasselbe Stillschweigen wie gestern.
Der nächste Tag verging wieder so, nur bemerkte Poterne, daß sein Busenfreund in seiner Kleidung immer koketter wurde. Frau Ratouille fuhr fort, Louisen die Karten zu schlagen, welche übrigens fand, daß Herr von Monfréville sehr lange ausbleibe; aber Darena wiederholte ihr jeden Tag:
»Noch ein wenig Geduld, er muß zurückkommen, und da Sie einmal so lange gewartet haben, wäre es thöricht, wenn Sie jetzt gingen, wo Monfréville jeden Augenblick eintreffen kann.«
Aber Louise fing an ängstlich zu werden; es schien ihr, als ob ihr täglicher Gesellschafter nicht mehr mit derselben Achtung mit ihr spreche und sich nicht mehr so entfernt von ihr halte; sie bemerkte, daß er sie zu oft und zu lange ansah: endlich entdeckte sie in Frau Ratouille's Reden und Manieren Dinge, welche ihr Zutrauen zu dieser Frau sehr schwächten.
Als sie am sechsten Tag das kleine Haus verließen, wo sie noch länger als gewöhnlich geblieben waren, sagte Poterne, erstaunt, die Sachen immer auf demselben Punkt zu sehen, zu seinem Begleiter:
»Ei ... was haben Sie denn für einen Plan? wann werden Sie den jungen Marquis besuchen? welches Märchen werden Sie ihm in Betreff der Kleinen aufbinden?«
Darena blähte sich in seiner Cravatte auf und entgegnete dünkelhaft:
»Ich habe meinen Plan geändert! ... Dieses Mädchen ist entschieden zu schön, als daß ich sie einem Andern überlassen möchte ... sie gefällt mir! Ich wußte nicht mehr, was Liebe war ... und sie hat dieses Gefühl in meinem zerfallenen Herzen wieder erweckt! Louise wird meine Maitresse ... später dann ... wenn sie mir nicht mehr gefällt ... wollen wir sehen ...«
»– Das ist ein schöner Plan,« rief Poterne aus, »wenn Sie auf diese Weise Geld zu verdienen hoffen! Sie ... verliebt werden! es ist zum Erbarmen! ... weil Sie noch einige Goldstücke im Besitz haben ... und seit einigen Tagen glücklich im Spiele waren, das wird aber bald aufgezehrt sein ... und wenn Sie diese Gelegenheit vorübergehen lassen ...«
»– Wenn Du nicht aufhörst, mich zu langweilen, Poterne, so schlag' ich dieses hispanische Rohr auf Deinem Rücken entzwei. Ich will diese Kleine besitzen, es ist vielleicht nur eine Laune, aber es beliebt mir, sie zu befriedigen ... Diese Louise ist eine Juwele ... aber keine falsche, wie Du an Cherubin verkauft hast. Morgen bestellst Du ein feines Mahl und Weine, die Du aber so gefällig sein wirst, nicht in dieser Kesselflickervorstadt zu kaufen; das Alles schickst Du in meine Villa bei der Barrière de la Chopinette, ich werde mit Louisen zu Mittag essen ... und die Nacht bei ihr zubringen; Du kannst Deinerseits, wenn Dir Frau Ratouille Lust macht ... bei der Hausverwalterin bleiben.«
»– Ah! Sapperment! ... lieber fünf Jahre auf den Galeeren! ...«
»Diese Anerkennung wird Deinem Verdienste ohnehin zu Theil werden, mein lieber Poterne, wenn Du anders nicht noch höher placirt wirst. Poterne, Du hast mich also verstanden, morgen ein Festmahl in dem kleinen Hause ...«
»– Und Sie glauben wirklich, die junge Louise werde sich dazu verstehen ... sich ...«
»Warum denn nicht ... wenn ich ihr einige Gläser Champagner zu trinken gegeben habe? und am Ende, wenn sie nicht zustimmt, werde ich sie nicht lange um Erlaubniß fragen ... Seit sechs Tagen werfe ich ihr die feurigsten Liebesblicke zu, wenn sie dieselben nicht verstanden hat, um so schlimmer, dann ist es nicht meine Schuld, ich habe jedoch nicht Lust, mit Seufzen abzuziehen!«
»Wohlan,« dachte Poterne, Darena folgend, bei sich, »er hat sich's einmal in den Kopf gesetzt und der Teufel selbst würde es ihm nicht herausbringen.«
Während dieser Vorfälle durchstreiften Cherubin und Monfréville ganz Paris, forschten und erkundigten sich, ob man nicht ein junges Mädchen gesehen habe, deren genaue Beschreibung sie gaben. Cherubins ganze Dienerschaft wurde entsandt, Herr Gerundium machte sich, sobald er gefrühstückt hatte, auf und kehrte erst zum Mittagessen wieder heim, wobei er schwur, daß er im Laufe des Tages zwölf Stunden zur Aufsuchung Louisens herumgelaufen sei. Zuletzt war auch Jasmin nach Gagny gegangen, um sich zu erkundigen, ob Louise nicht zufällig zurückgekehrt sei, aber man hatte dort das junge Mädchen nicht wieder gesehen; als Nicolle erfuhr, daß man nicht wisse, was aus ihrer Pflegetochter geworden sei, zerfloß sie in Thränen, verfluchte den Hofmeister, der Schuld an Louisens Reise nach Paris war, und schwur, ihn durchzuprügeln, wenn sich ihr Kind nicht wieder fände.
Zwei Tage waren verflossen, ohne daß man irgend eine Spur entdeckte; gegen das Ende des dritten kehrte Cherubin, trostlos über die Fruchtlosigkeit seiner Nachsuchungen, von Monfréville nach Hause zurück, als seine Blicke, während er über den Pont-neuf ging, zufällig auf einen kleinen Jungen fielen, welcher einen ziemlich häßlichen Hund führte, den er den Vorübergehenden zum Kauf anbot.
Das Gesicht des jungen Hundshändlers hatte einen zu merkwürdigen Ausdruck von Verschlagenheit, um demjenigen nicht aufzufallen, der es schon einmal gesehen hatte. Cherubin erkannte sogleich den Kleinen als den Wächter des Hauses, in welches Darena die vorgebliche Gräfin Globeska geführt hatte, und ohne ein bestimmtes Bewußtsein, wozu dieses Zusammentreffen dienen könnte, näherte er sich Bruno, der ihn auch erkannte und über diese Begegnung entzückt zu sein schien.
»Ach! Sie sind's, gnädiger Herr ... ich erkenne Sie!« sagte Bruno, den jungen Mann frech ansehend, »Sie wollte man d'ran kriegen ... mit einer Deutschen, welche eine Polin vorstellte ... Wollen Sie mir meinen Hund abkaufen ... es ist ein Dachs ... er apportirt besser als ich ... denn ich apportire nie etwas ... sechs Franken ... das ist nicht theuer ... Ich habe ihn gestern gefunden und verkaufe ihn heute ... wir sind beide noch nüchtern! ... deßhalb bekommen Sie ihn so wohlfeil.«
»Ah! Du handelst jetzt mit Hunden?« fragte Cherubin. »– Mein Gott! ich muß doch Etwas treiben ... da mich die Andern zum Hause hinausgejagt haben ... Sie wissen wohl, Ihr Freund, der Aufschneider, und dann dieser alte Schuft, der Poterne ... ach! weil sie wieder ein anderes junges Mädchen in das kleine Haus gebracht haben ... aber das ist etwas Anderes, als die Elsäßerin ... die ist noch weit hübscher!«
Ein plötzlicher Gedanke fuhr Cherubin durch den Kopf; er zog Bruno auf die Seite! gab ihm zwanzig Franken in die Hand und sagte zu ihm:
»Hier, das gehört Dir ... und noch zehn Mal so viel, wenn Du mir zur Entdeckung derjenigen verhilfst, die ich suche!«
»– Zwanzig Franken! o! das läßt sich hören ... So viel Geld habe ich noch nie auf einmal gehabt ... Der Hund gehört Ihnen ...«
»– Aber jetzt antworte mir ... Darena und Poterne haben, wie Du sagst, ein junges Mädchen in das Haus bei der Barrière geführt?«
»– Ja, in einem Gefährt ... einem alten Rumpelkasten.«
»– Seit wann? weißt Du das?«
»– Ich will hoffen! ... ich war dort bei ihrer Ankunft ... Es sind jetzt ... warten Sie ... sieben Tage heute ...«
»– Sieben Tage ... und seit dreien suchen wir sie ... O! es ist schon so ... Ist das junge Mädchen hübsch?«
»– Reizend, und hat keinen solchen Schafskopf wie die Andere ... Sie haben ihr weis gemacht, sie sei bei einem Herrn Monfréville ... dann hat der Lump von Poterne irgend wo ein altes Weib aufgefunden, die sich für die Verwalterin des Hauses ausgibt, und mich haben sie davon gejagt ...«
»– Haben sie das junge Mädchen in Deiner Gegenwart nicht beim Namen genannt? ...«
»– Ei! warten Sie ... ich erinnere mich ... Herr Darena sagte, als er sie bei ihrer Ankunft eintreten ließ: Hier ist die Milchschwester meines Freundes, des Marquis Cherubin.«
»– Sie ist es! ... Ha, die Elenden will ich schon zwingen, sie mir wieder zurückzugeben! ... Arme Louise! seit sieben Tagen in der Gewalt dieses niederträchtigen Darena ... Ach! wenn ich nur noch zu rechter Zeit komme!«
»– Nehmen Sie mich mit sich ... Wenn Sie sich vor dem Hause zeigen, so machen sie Ihnen nicht auf.«
»– Ich sprenge die Thüre ein ...«
»– O! die ist fest ... aber ich, ich stehe Ihnen dafür, weiß mir Eingang zu verschaffen.«
»– Dann komm ... komm, ich verdopple Dir die versprochene Belohnung, wenn Louise bald in meiner Gewalt ist.«
»– O! ein herrlicher Streich ... Ah! sie jagen mich zum Haus hinaus ... schönen Dank! wir werden uns ein Bischen rächen ... Geh, Dicker! ich gebe dir die Freiheit ... such dir ein Mittagessen.«
Bruno ließ seinen Hund los. Cherubin zögerte einen Augenblick, um zu überlegen, ob er Monfréville seine Entdeckung mittheilen sollte; aber jeder Augenblick Aufschub ließ der Befürchtung Raum, Louise könnte irgend einem Frevel unterliegen: er fühlte hinlänglich Entschlossenheit und Muth, um sie allein den sie bedrohenden Gefahren zu entreißen. Er stieg mit Bruno in einen Wagen, ließ sich zuerst vor sein in der Nähe stehendes Hôtel führen und holte ein Paar Pistolen mit dem festen Entschluß, davon Gebrauch zu machen, wenn es zur Befreiung Louisens erforderlich wäre; dann stieg er, ohne ein Wort zu sagen, wieder in den Wagen und ließ sich mit Bruno nach der Barrière de la Chopinette führen.
Die Nacht war herabgesunken, als sie auf dem äußern Boulevard ankamen. Cherubin bebte vor Ungeduld, Wuth und Furcht, Louisen nicht mehr zu treffen. Der kleine Bruno, der an Alles dachte, sagte zu ihm:
»Lassen Sie den Wagen, ehe wir noch ganz beim Hause sind, halten ... Wenn sie einen Fiaker anfahren hörten, würden sie aufmerksam werden.«
Cherubin sah die Richtigkeit dieses Rathes ein, stieg mit Bruno aus dem Wagen, befahl dem Fiaker zu warten, und schritt mit seinem kleinen Begleiter allein weiter.
Die Fensterläden des kleinen Hauses waren im Erdgeschosse und im ersten Stocke geschlossen! aber durch die zersprungenen Bretter hindurch konnte man leicht bemerken, daß unten und oben Licht war.
»Es sind Leute darin!« sagte Cherubin, dessen Herz gewaltig pochte.
»– Ja ... Hier muß man sich durch List Eingang verschaffen ... Warten Sie, rühren Sie sich nicht ... halten Sie Ihre Pistolen bereit, damit Sie ihnen, wenn's offen ist, einen Schreck einjagen können ... Sie sollen sehen, wie ich sie d'ran kriege.«
Damit klopfte Bruno an die Hausthüre, während er zu gleicher Zeit seine Lieblingsmelodie: la la, la la ... trala, la la, pfiff.
Poterne befand sich gerade mit Frau Ratouille im untern Stocke bei Tische; Darena war zu Louisen hinaufgegangen, wo er das Essen hatte auftragen lassen, und kündigte ihr seine Absicht an, ihr Gesellschaft zu leisten.
Eben hatte Darena Louisen seine Liebe erklärt, die, zitternd und von Entsetzen ergriffen, nun einzusehen begann, daß sie in eine Schlinge gefallen war, und den Himmel um Hülfe und Beistand anrief.
Im Erdgeschosse, wo man nicht von Liebe sprach, aß und trank man desto mehr. Frau Ratouilles Augen waren so klein geworden, daß man sie nicht mehr sah, und Poterne's Zunge versagte fast schon ihren Dienst, als Bruno an die Thüre pochte. Eine Zeitlang hörte man nichts, endlich ließ sich aber Poterne's Stimme vernehmen:
»– Wer ist da? ...« rief er.
»– Ich bin's, Vater Poterne ... Euer kleiner Affe Bruno, seid so gut und macht mir auf.«
»– Was willst Du, Schelm, was thust Du da? ... wir brauchen Dich nicht ... geh' Deiner Wege!«
»– Ich will eine griechische Mütze holen, die ich bei Euch zurückgelassen habe; ich bin überzeugt, daß ich sie finde, denn ich weiß, wo ich sie hingelegt habe. Laßt mich meine Mütze langen, dann gehe ich augenblicklich wieder.«
»– Du langweilst uns ... hole Dir sonst wo eine Mütze ... und laß uns in Frieden.«
»– Ha! wenn Ihr mich meine Mütze nicht bei Euch holen laßt, so klopfe ich die ganze Nacht an die Thüre, und werde einen solchen Lärm machen, daß die Wache herbeikommt!«
Diese Worte thaten ihre Wirkung; Poterne machte das Haus auf und brummte: »Nun, so hole Deine Mütze ... und mache, daß Du weiter kommst.«
Aber statt des kleinen Jungen, den er zu sehen erwartete, stürzte Cherubin, mit einer Pistole in der Hand, deren Mündung er auf Poterne's Brust setzte, in das Haus herein und raunte diesem mit feuersprühenden Augen zu:
»Wenn Du einen Laut von Dir gibst, bist Du des Todes ... wo ist Louise?«
Poterne war dergestalt von Furcht ergriffen, daß er kaum zu murmeln vermochte:
»Oben ... bei Darena.«
Cherubin wußte genug, flog die Treppe hinauf und sprengte mit einem Kniestoß die Thüre des obern Gemaches.
Er war nicht mehr jener schwache, zaghafte Jüngling, der weder zu sprechen noch zu handeln wußte, sondern ein Herkules, dem nichts widerstehen konnte. Beim Eintritt ins Zimmer gewahrte er Louisen, die sich wehrte und Darena zurückzustoßen bemühte, der sie in seine Arme schließen wollte. Cherubin stürzte auf den Mann los, der Louisen zu beschimpfen gedachte, faßte ihn mitten um den Leib, hob ihn in die Höhe und warf ihn mit Gewalt gegen die andere Seite des Zimmers, auf den Tisch, wo das Essen aufgetragen war.
Darena hatte keine Zeit, sich zu fassen oder zu vertheidigen: sein Kopf stieß an eine Tischecke, sein Kinn schlug einen Teller entzwei, der ihm das Gesicht durchschnitt, und er fiel, den Namen »Cherubin« stammelnd, nieder.
»Cherubin,« rief Louise aus, die ihren Augen nicht zu trauen wagte und ihren Befreier mit Freudenthränen anblickte. »Wäre es möglich ... er wär's ... Sie sind's?«
»– Ja, Louise ... ich bin's, Cherubin, Dein Freund, Dein Bruder ... der überglücklich ist, Dich wieder gefunden zu haben ... Aber, komm ... komm ... bleibe nicht länger in diesem ehrlosen Haus. Was Dich betrifft, Elender, wenn Du noch ein wenig Herz hast und die Ehre haben willst, von meiner Hand zu sterben, so komme und suche mich auf, dann will ich Dir beweisen, daß der junge Mann, den Du für so schüchtern hieltest, sich eines Degens oder einer Pistole zu bedienen weiß.«
Darena konnte nicht antworten, er hatte die Besinnung verloren. Cherubin nahm Louisen bei der Hand und zog sie mit fort. Sie langten unten an, wo Frau Ratouille noch immer bei Tische saß, während Poterne sich in einem Butterfaß zu verbergen suchte, und Bruno an der Thüre Schildwache stand. Cherubin hielt sich nicht einen Augenblick bei dem Mitschuldigen Darena's auf; er führte Louisen fort, befahl Bruno, den Wagen vorfahren zu lassen, der kleine Knabe holte den Fiaker herbei, und die beiden jungen Leute stiegen hinein. Doch ehe sich Cherubin entfernte, nahm er eine Hand voll Gold aus seiner Tasche und gab sie Bruno mit den Worten:
»Nimm ... Du hast dieses Gold durch eine gute Handlung verdient; ich hoffe, es wird Dir Glück bringen, und Du Dich bestreben, ein rechtschaffener Mensch zu werden.«
Der Wagen fuhr davon. Cherubin hielt Louisens Hände in den seinigen; während einigen Augenblicken empfanden die Beiden, welche sich seit drei Jahren nicht gesehen hatten, ein solches Vergnügen und solches Glück, wieder mit einander vereint zu sein, ihr Herz war so voll, ihre Bewegung so heftig, daß sie nur zusammenhangslose Worte und abgerissene Sätze zu einander sprechen konnten.
»Sie sind's, Cherubin! ...« stotterte Louise, »Sie haben mich gerettet ... Sie haben sich also noch um mich bekümmert! ...«
»– Ach! Louise, seit drei Tagen durchrenne ich Paris ... seit drei Tagen ... suche ich Sie allenthalben ... ach! seit ich erfuhr, daß Sie aus dem Hause der Frau von Noirmont verschwunden seien ... habe ich nicht mehr gelebt, keine ruhige Minute mehr gehabt! ...«
»– Wäre es wahr ... Sie lieben mich also noch, Cherubin?«
»– Ob ich Sie liebe! ... theure Louise ... ach! mehr als je ... ich fühle es ... allerdings ließ ich Sie lange Zeit ohne Nachricht ... ich mußte in Ihren Augen gleichgültig, undankbar erscheinen; indessen wollte ich Sie öfters besuchen, aber Herr Gerundium sagte mir jedesmal, Sie seien in der Bretagne, wo es Ihnen so wohl gefalle, daß Sie nicht mehr nach Gagny zurückverlangten.«
»O! der Lügner! ... mich hat er auch in Trostlosigkeit versetzt durch die Versicherung, Sie dächten nicht mehr an Ihre Jugendgespielin und wollten dieselbe nicht mehr sehen ...«
»– Der garstige Mensch! das ist ja abscheulich ...«
»– Und das war nicht wahr! ... und Sie lieben Ihre arme Louise noch ... ach! wie glücklich bin ich ...«
Diesmal schien Cherubin die Strecke von dem kleinen Hause bis zu seinem Hôtel sehr kurz, er stieg aus dem Wagen, ließ Louisen ins Haus eintreten und in sein Zimmer hinaufgehen. Diese folgte ihm vertrauensvoll, sie war bei ihrem Geliebten und gab keinem andern Gedanken Raum.
Jasmin, der Lichter in seines Herrn Zimmer hinauftrug, stieß einen Freudenschrei aus, als er die Jungfrau gewahrte, und Cherubin erklärte ihm mit wenigen Worten, wie er sie gefunden habe.
»Das war abermals der Lump von Poterne ... der Kerl mit den eingemachten Rüben!« rief Jasmin aus, »und sein Herr, der andere Spitzbube ... glauben Sie mir, ich hatte mehrmals den Gedanken, daß die auch wieder hinter dieser Geschichte steckten!«
»Louise muß hier bleiben ... o! ich leide nicht, daß sie mich wieder verläßt,« sagte Cherubin, »ich hätte zu sehr Furcht, sie nochmals zu verlieren. Sie soll ein Zimmer im Hause erhalten ... aber unterdessen ... heute Nacht das meinige einnehmen ... Jasmin, Du läßt mir oben eines herrichten.«
»– Ja, mein lieber Herr!«
Louise wollte sich dieser Anordnung widersetzen, sie fürchtete, Cherubin zu belästigen, und behauptete, das kleinste Gemach im Hause werde ihr recht sein, aber Cherubin gab ihr kein Gehör, und Jasmin ging, seinen Befehlen zu gehorchen.
Die beiden jungen Leute blieben allein. Jetzt konnte Cherubin nicht müde werden, Louisen anzublicken und zu bewundern, er fand sie so hübsch, so anmuthig, so reizend, daß er ausrief:
»– Und ich hatte Sie wegen all' der Frauen vergessen, die ich in Paris zu lieben glaubte ... ach! Louise! ... es ist keine einzige darunter, die mit Ihnen verglichen werden könnte! ...«
Das junge Mädchen erzählte ihrem Freunde Alles, was sie seit ihrer Entfernung aus dem Dorfe gethan hatte; sie verhehlte ihm keinen ihrer Gedanken; für ihn hatte sie kein Geheimniß. Als sie zur Schilderung ihres Eintritts bei Frau von Noirmont kam, theilte sie ihm die während ihres Aufenthaltes bei dieser Dame vorgefallenen Ereignisse mit; dann, mit der Hand an ihre Brust greifend, überzeugte sie sich, daß sie noch im Besitz des Briefes war, den sie Herrn von Monfréville übergeben sollte, und den ihr Darena entreißen wollte, als Cherubin so gelegen zu ihrer Vertheidigung herbeieilte.
»Morgen führe ich Sie zu Monfréville,« begann Cherubin, »denn diesen Abend ist es zu spät, um ihn zu uns zu bitten. Frau von Noirmont hat Ihnen gesagt, er werde Sie mit Ihrem Vater bekannt machen ... aber auf alle Fälle ... möge kommen, was da wolle ... schwören wir uns gegenseitig, uns nicht mehr zu verlassen ... wenn Ihre Eltern nicht mehr sind, so will ich Ihnen Alles ersetzen ... ich werde Ihr Beschützer ... Ihr Freund ... Ihr ...«
Cherubin wußte nicht, wie er endigen sollte, aber er ergriff Louisens Hand und bedeckte sie mit Küssen. Das junge Mädchen war so glücklich, immer noch von dem Gespielen ihrer Kindheit geliebt zu werden, daß sie mit Freuden den verlangten Schwur that. Beide konnten nicht aufhören, sich die Versicherung ihrer gegenwärtigen und künftigen Liebe zu wiederholen; dann erinnerten sie sich ihrer Jugendfreuden, ihrer ersten Spiele, der mit einander verlebten süßen Augenblicke, jener so kurzen und schönen Tage, die ihnen noch einmal bevorstanden.
Für zwei innig liebende Wesen, die sich lange nicht gesehen, verfließt die Zeit unbemerkt. Schon lange hatte Jasmin seinem Herrn gemeldet, daß das Zimmer oben für ihn gerichtet sei, und Cherubin den alten Diener entlassen, indem er sich selbst anschickte, sich zurückzuziehen. Aber er fing wieder ein Gespräch mit Louisen an, und blickte, von Glückseligkeit erfüllt, in ihre von Zärtlichkeit und Liebe strahlenden Augen. Sie tauschten von Neuem ihre Schwüre ewiger Liebe aus und dachten nicht mehr daran, sich zu trennen.
Mit einem Male hörte man eine benachbarte Uhr: sie schlug die zweite Stunde nach Mitternacht.
»Mein Gott! es ist sehr spät,« sagte Louise, »zwei Uhr Morgens ... ich hätte es nicht geglaubt! ... mein Freund, ich störe Sie in Ihrer Ruhe ... wir müssen uns verlassen ... jedoch nur bis morgen.«
»Nun denn,« versetzte Cherubin, »ich lasse Sie schlafen, Louise ... Gute Nacht ... weil es sein muß.«
Dabei blickte der junge Mann die Jungfrau zärtlich an und ging nicht; endlich begann er mit einer gewissen Verlegenheit:
»Louise ... ehe ich Sie verlasse ... erlauben Sie mir nicht ... Sie zu küssen ... ich habe es, seit ich Sie wieder gefunden, noch nicht gewagt ... und doch ... haben wir uns auf dem Dorfe so oft geküßt.«
Das junge Mädchen sah nicht ein, warum sie ihrem Jugendfreund die holde, sonst gewährte Gunst verweigern sollte, und trat statt aller Antwort auf ihn zu. Cherubin flog in ihre Arme und drückte sie an sein Herz, aber sein Kuß war nicht mehr der eines Kindes ... Louise erkannte ihre Unbesonnenheit zu spät ... wie hätte sie auch einer nicht geahnten Gefahr ausweichen können? ... und dann sind manche Fehler so süß zu begehen ... und Cherubin schwur so aufrichtig, sie immer zu lieben ... Diesmal war er nicht mehr schüchtern.