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Cherchel

Wenige Wegstunden nur, die das Auto in stürmender Fahrt durchmißt, trennen das weiße, sonnenflimmernde Algier von Cherchel, in dessen kühlen Villen die Franzosen den Frühling verbringen, ehe sie auf überfüllten Schiffen die Überfahrt antreten: »pour la France!« Zur Zeit des Augustus hat es Tagereisen bedurft, um von Icosium – der Kornkammer des Reiches – nach Cäsarea zu gelangen, Tagereisen in schaukelnder Sänfte zurückgelegt, auf eben dieser uralten Straße, auf der wir einherrasen, wie man nur in Algerien zu rasen pflegt, ohne Hupendruck, ohne Aufenthalt – weiter – weiter ...

Der Weg führt längs des Ufers hin, und die Luft ist frisch und kalt. Rote Felsen, wie von den Flammen unterirdischer Krater angestrahlt, heben sich aus dem Meer, das um sie kocht, in weißen Schaumkämmen. Gegen den blaßgrau, wie Schiefer gefärbten Himmel zeichnen sich in schwarzen Konturen die lang und schmal gebogenen, wippenden Flügel der Möwen ab. die unaufhörlich kreisen. Kleine Inselchen, ziegelrot auch sie, liegen draußen, umbrodelt von wiederkehrender Flut, und lauter noch als das Rattern des Motors ist das ewige Atemholen des Meeres. Dann wieder biegt die Straße ins Land, und wir sausen durch Platanenalleen, deren Stämme in großen gelben und grauen Flecken leuchten. »La Chenouba« heißt dieser Zug der Hügel, deren Flanken rötlich herschimmern, vom Marmor uralt gebrauchter Brüche. Unablässig, bald rechts, bald links, begleiten die Kuppen den Weg.

Und dann erheben sich mächtige Pfeiler vor uns, den Weg überkreuzend, Torbogen an Torbogen, mit kaum verwittertem Gesims, gebaut, als wär's zum Nutzen von tausend Geschlechtern. Es ist der römische Aquädukt, der einst das Wasser von diesen Hügeln herleitete nach Häusern und Thermen, Brunnen und Fontänen der großen Stadt Cäsarea. Und unter diesem Triumphbogen römischer Baukunst, größer fast als die des Titus und Trajan, stürmt unsere Fahrt weiter. Nun sind die Berge so, daß nur der Pinsel eines Kubisten sie wiederzugeben vermöchte. Die Halbkreise der kobaltfarben bewaldeten Kuppen werden von geometrischen Figuren geschnitten, von Fünfecken roter, nackter Brüche, von erdig braunen Rechtecken des zwergbaumähnlichen Weines, von karminroten Streifen reifer Tomatenfelder, die das Grau trockener Palmwedel einfriedet. Unwahrscheinlich dazwischen gekleckst, leuchtet das Kremserweiß würfelförmiger Villen, das Sepiabraun unbeschreiblicher Hütten, in denen Araber unterkriechen. Und zwischendurch windet sich langsam das scheckige Band der Platanenallee.

Plötzlich verlangsamt der Wagen seinen Gang. Zum erstenmal zeigt die Autostraße, die bisher in makelloser Glätte dahingelaufen ist, Schäden, die ein kleines Heer von Wegarbeitern schon zu verbessern bereit ist. Auf einen Haufen groben Schotters geflüchtet, lassen sie uns vorüberziehen. Es sind Araber in europäischen Lumpen, Italiener, Erben der Wegbauerkunst ihrer Ahnen, in ihren riesigen, am Rande ausgefransten Strohhüten. Und Frauen, deren Tracht ich sogleich nach einem Steinbild im »Jardin d'Essay« wiedererkenne. Es sind »Ouled Nails«, die vom Süden herkommen, um, wenn sie Reichtum zu erwerben suchen, ihre berühmten Stammestänze vor Fremden in der Kasbah zu tanzen, um, wenn sie arm und ehrlich bleiben wollen, Steine zu klopfen auf den Straßen der französischen Kolonien. Sie tragen keinen Schleier, nur den weißen, hohen, gewundenen Turban, unter dem an beiden Wangen schwere, schwarze Flechten vorquellen, deren Enden, rund zurückgesteckt, sich unter dem Kopfputz verlieren. Sie haben blaue Zeichen auf Stirn und Wangenknochen tätowiert und sind trotzdem schöner als alle Frauen, die ich in Algier gesehen habe. Groß, aufrecht auf dem Haufen grauer Steine, der die Summe ihrer Arbeit darstellt, standen sie da, die braunen, muskulösen Arme in die Hüfte gestützt, und ließen die Fremden an sich vorüberziehen ohne einen einzigen Blick der Neugier.

Und dann, als ich es am wenigsten erwartete, waren wir plötzlich da. Cherchel – »la place romaine«.

Ich bin hieher gekommen, weil ich seit Tagen an sie denken muß, die hier gelebt hat, die hier gewandelt ist unter Bäumen gleich diesen, deren Schatten auf uns fällt, und die so gigantisch ragen, als hätten sie wahrhaftig die verlorene Zeit noch geschaut, als hätten sie sie gesehen, von der ich seit Tagen träume, die bleiche, kleine Prinzessin vom Nil.

Sie hatte von ihrer Mutter deren eigenen Namen empfangen: Kleopatra, und den eines zweiten, minder glänzenden Gestirns: des Mondes. Ich träume, daß Kleopatra Selene sehr schön gewesen sein muß mit ihrer fliehenden, kleinen Stirn, mit ihren Haaren, schwarz und kompakt, wie der Basalt ihrer Heimat, und mit dem traurigen Mund, den Kinder großer Liebesbündnisse haben. Sicherlich hat sie bitteres Heimweh gekannt, diese Ägypterin, die von der sittenstrengen Oktavia, der Schwester des Augustus, erzogen, von der großen Zauberin Kleopatra geboren worden war. Gewiß hat sie sich an ihres Gatten Arm festgeklammert mit ihren zerbrechlichen Prinzessinnenfingern. Denn er kannte dies völlige Entwurzeltsein wie sie. Er kannte dieses bange Entbehren blutsverwandter Liebe, und die Demütigung, dem Triumphzug großer Feinde vorangegangen zu sein, hat er gekostet, wie sie sie gekostet hat.

Sein Vater, König Iuba, hat über ein weites Reich geherrscht, das dunkle Sagen als Erbe göttlicher Urahnen bezeichneten und das er seinem jungen Sohne zu bewahren hoffte. Aber römische Macht zerbrach sein Königtum. Der Vater tötete sich am Abend der vernichtenden Schlacht. Der Knabe jedoch ward nach Rom geführt. Er ging im Triumphzug, erlernte römische Sitte, ward mit der langzinkigen Krone eines neu erfundenen Reiches »Mauretania« gekrönt, mit der Hand der heimatlosen Ägypterin beschenkt durch Augustus.

Im Museum zu Cherchel, in dem, verstümmelt begraben und strahlend auferstanden, nun die römischen Götter wohnen, stehe ich lange vor der Büste König Iubas II., dieses Fürsten von dreiundzwanzig Jahren. Ein bartloses, weiches Gesicht, neben dessen Dunkelheit das Antlitz der Ägypterin geschimmert haben mag, wie die Mondsichel die Nacht durchschimmert. Er hat Rom nie mehr vergessen können, dieser Zögling des Augustus, der zweimal heimatlos geworden war. Er hat Bildner aus Griechenland berufen, Baumeister und Philosophen aus Rom. Und er hat auf afrikanischer Erde, aus afrikanischem, rötlichem Marmor und aus weißem, nicht minder glitzerkörnig als der von Carrara, eine Stadt auferbauen lassen, ein Spiegelbild Roms, mit Theatern und Zirkus, Tempeln und Foren und den herrlichen Thermen, in denen man all die Götter schlafend fand, die nun das Museum füllen. Götter, völlig denen nachgebildet, zu denen er auf dem Kapitol zu beten gelernt hatte.

Diese beiden Kinder, bange in ihrer einsamen Majestät, aneinandergedrängt auf ihrem von römischen Kurzschwertern bewachten und bedrohten Thron, haben all das geschaffen, diese ganze herrliche Stadt Cäsarea, zwischen dem Meer, das ewig ist, wie die ewige Sehnsucht, und den roten Hügeln, die Erde sind, wie wir alle.


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