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Wenn zu Ghardaia die kleinen Mädchen vor der Hausschwelle tanzen – diese kleinen Mädchen, deren hennarote Beinchen schon in weiten Faltenhosen stecken und deren hennagefärbtes Wuschelhaar schon mit braunem Band zu peitschenartigen Zöpfchen gewunden ist –, dann klatschen die arabischen Großmütter im Tordunkel den Takt dazu und murmeln: »Mögest du schön werden wie Habibah!«
Und wenn zu Ghardaia die arabische Braut auf dem Ruhebette kniet und den unbekannten Gatten erwartet, der in einer Stunde ihr Brauthemd durch die Türspalte hinausreichen wird, dann wünschen die Frauen: »Mögest du geliebt werden wie Habibah!«
Und wenn freitags am Morgen auf diesem unvergeßlichen Marktplatz zu Ghardaia die Händler ihre Häufchen von arabischem Pfeffer oder von Schuhsohlen, die aus alten Pneus geschnitten sind, vor sich zum Verkauf auslegen, dann seufzen sie und murmeln: »Wenn man so reich wäre wie Habibah!«
*
Ghardaia ist der Mittelstern im traumhaften Siebengestirn mozabitischer Oasenstädte. Wenn ein Araber in Algier oder Constantine einem Mozabiten begegnet, so blickt er verächtlich zur Seite und rührt heimlich an seinem Ring, der das Glückszeichen, die »Hand der Fatmah«, trägt. Aber in ihrem Lande sind die Mozabiten die Herren, diese stumm gleitenden, wachsgesichtigen Männer. Im Mzab ist der Araber geduldet und verachtet.
Ghardaia ist dem Fremden freundlich gesinnt. In dem Hause des mozabitischen Kaid, des Fürsten von Ghardaia, wurden mir die elf Gerichte der Gastfreundschaft geboten. Der Wirt saß bleich und stumm und schwarzbärtig da, wie Harun-al-Raschid im Wachsfigurenkabinett. Als Abd-el-Kader, der Hotelier, auch ihm von dem dargebotenen Wein einschenken wollte, hielt er die Hand über das Glas und sprach würdig: »Das Gesetz des Propheten hat es verboten.«
Ich staunte sehr. Am Freitagabend hatte dieser selbe Mann sich mit vier Anisflaschen in den Speisesaal von Abd-el-Kaders »Hôtel du Sahara« zurückgezogen und mich des Morgens mit trunkenem Lärmen aus dem Schlaf geweckt.
Abd-el-Kader wußte, was ich dachte. Er sah mich mit seinen gelben Augen an und murmelte: »Was wollen Sie, c'est comme ça!«
*
Habibah war nicht in einem dieser Mozabitenhäuser geboren worden, die wie Kerker aussehen und deren lebenslänglich Gefangene die Frauen sind. Sie wuchs draußen am Rande der Wüste auf, wo der Abhub der Stadt liegt: die Senkgruben, die Schlachthäuser und die Häuser der Ouled Nails, der Tänzerinnen. Ihr Vater war Handlanger des »Muschi«, des Händlers, der in seinem finsteren Laden von der Unschlittkerze bis zum Frauenkopftuch, von der Männerhose bis zum Kristallzucker alles feilhielt, dessen Ghardaia bedurfte. Ihre Mutter hatte in der Lehmhütte, in der man nicht aufrecht zu stehen vermochte, neun Kinder geboren, deren ältestes Habibah war.
Man sagt, daß Habibah schon mit vier Jahren den Bauchtanz in allen seinen Phasen tanzte, in ihren kleinen gepluderten Hosen, »die Hand der Fatmah« an einem Schnürsenkel auf ihrem sehr schmutzigen Jäckchen. Selbst der Sidi Kapitän lächelte, wenn er ihr begegnete. Sie spielte ihre Kinderspiele zwischen Häusern, vor denen die Ouled Nails in ihren bunten Brokatkleidern saßen und auf Besuch warteten. Sie klimperte mit den goldenen Münzenschnüren, die jene um den Hals trugen und die zugleich Sparanlage und Empfehlungsbrief waren. Sie stand dabei, wenn eine Nailia einen wachsgesichtigen Mozabiten empfing, und mit hergebrachtem Zeremoniell die »Nana«, den Menthetee, vorkostete, den sie von hoch oben her in hellem, plätscherndem Strahl die abgeschlagenen Tassen füllen ließ.
So wuchs Habibah auf. Und dann kam Monsieur Jean wieder einmal nach Ghardaia. Monsieur Jean war der Reisende einer Lyoner Seidenfirma, der jedes Jahr aus seinem Musterkoffer Algerien und Tunesien belieferte. Er wohnte stets bei Abd-el-Kader und kannte den Weg vom »Hôtel du Sahara« bis zum »Quartier des Ouled Nails« wohl. Habibah gefiel ihm. Sie sah aus wie ein junger Schakal, so braun, so mager, so scheu, so goldäugig und so bissig. – Mein Gott, warum hätte er sie einem arabischen Kameltreiber oder einem Mozabiten überlassen sollen? Monsieur Jean hatte dem Muschi einen Posten von Seidenkopftüchern verkauft. Er wartete, bis Habibahs Vater nicht im Laden anwesend war, und dann kaufte er für eigene Rechnung ein Paar fliegenbeschmutzte Tuaregschuhe, die da hingen. Seine Frau zu Hause sammelte dergleichen Kram. Monsieur Jean schien zu übersehen, daß er um fünf Francs zu viel bezahlte, und warf hin, der Muschi möge die Kleine mit den Schuhen ins Hotel schicken.
Am dritten Tage begann Habibah Monsieur Jean zu langweilen. Er war zufrieden, als dieser windschiefe, ratternde Autobus ankam, mit den Kisten, Postsäcken, Bündeln, Benzintanks, Schafen, Hühnern und spuckenden Arabern auf dem Dach, der ihn nordwärts nach Djelfa bringen sollte, wo die »Wüstenbahn« beginnt.
Aber als in Djelfa die Dachlasten mit viel Geschrei vom Autobus abgeladen wurden, verlangte der arabische Wagenführer fluchend doppeltes Fahrgeld von Monsieur Jean. Denn von da droben herabgestoßen, sprang Habibah wie eine Katze auf ihre Füße und schlug den Haik von dem unsicher lächelnden Gesicht zurück.
Wenn ein Autobus in einer Wüstenstation anlangt, so wartet eine Schar von Müßiggängern auf ihn, von Neugierigen, von Bettlern, von Händlern, von Burschen, die ehrliche oder unsaubere Dienste anbieten. Alle diese Männer begannen nun zu lachen und einander saftige Spaße zuzurufen, die Monsieur Jean nur allzu gut verstand.
Da ward Monsieur Jean brutal wie einer von ihnen. Er gab der kleinen, mageren Habibah einen Fußtritt vor den Leib, daß sie zusammenbrach. Und dann pfiff der Zug, und Monsieur Jean rannte um den Autobus herum, hinter seinem Musterkoffer her, den ein Bursche geschultert hatte.
Monsieur Jean fuhr fort; fort mit diesem sonderbaren, keuchenden Zug, der immer nordwärts eilt. Die Wüste liegt so flach und so steinig da, wie eine ungeheure Straße, die der Schotterwalze harrt. Graugrüne Tuffe niederen Kamelkrautes und anisettgrüne Büschel einer Wolfsmilchart bilden die Vegetation, bis der Zug endlich an reglosen Salzseen vorüber die Mandarinenhaine erreicht, zwischen deren Fruchtzweigen er lang hinrattert wie zwischen goldenen Mauern.
Kein Gewährsmann hat mir zu sagen vermocht, wie Habibah diesen langen Weg nach Algier zurücklegte. Vielleicht ist sie tagelang mit nackten Füßen, die Blut röter färbte als Henna, über scharfkantigen Stein gewandert. Vielleicht hat sie einen jungen Schaffner mit ihrer einzigen Münze bestochen – vielleicht ist sie von einem jener Stämme mitgenommen worden, die nach jahrtausendaltem Brauch der Viehweide nachziehen, wobei Frauen und Kinder in großen Körben auf Kamelrücken schaukeln.
An einem Abend ging ein Franzose eilig den Kai entlang. Es war, wie an manchen herbstlichen Regentagen in Algier, frostig feucht, und ein kalter Wind, ein letzter Hauch des Mistrals von Marseille, wehte vom Meer her, das er scharf durchpflügt haben mochte, denn er brachte den Geruch von Tang und Tiefe mit.
Das Schiff, auf dem der französische Weinagent die Überfahrt zu wagen beabsichtigte, war nicht gut, das Wetter wenig frohe Fahrt verheißend, aber die dringende Geschäftsdepesche, die ihn nach Paris berief, war eingelangt, als der große Dampfer nach Marseille schon unterwegs war. Es blieb ihm nichts übrig, als mit einem geringeren Schiff Port Vendres zu erreichen.
Der Weinagent schritt unter den Arkaden hin, um sich vor dem Rieselregen zu schützen, der nicht nur seinen Mantel, nein, auch seine Knochen zu durchdringen schien. Er hatte just noch Zeit für ein Apéritif in einem der Hafencafés und genoß dessen belebenden Feuergeschmack in Gedanken voraus, als er jäh stockend seinen Schritt hemmte.
Wie von Regenwassern angeschwemmt, sah er ein Bündel nasser Fetzen auf der untersten Stufe einer Stiegengasse liegen. Er trat hinzu, vorerst an Mord denkend. Aber auf seinen Anruf hin hob sich langsam und stöhnend der Kopf unter dem nassen Haik. Eine Frau sah ihn aus völlig irren, hohlen Augen an und machte gierig die Gebärde der Araber, wenn sie mit den Fingern Speise in den Mund stopfen. Der Weinagent zog die Börse und reichte ihr fünf Francs. Sie griff nicht danach, vielleicht verstand sie gar nicht. Sie sah ihn an, scheu und frech wie ein Schakal. Sie faßte seinen Ärmel, riß daran und machte wieder die Gebärde des Essens.
Der Weinhändler sah nach der Uhr, es war wenig Zeit, aber wenn er das Apéritif darangab, würde es langen. Er steckte die fünf Francs wieder ein und winkte ihr: »Komm! Komm!«
Er half ihr auf, sie konnte kaum auf den Füßen stehen, die mit Schmutz bedeckt waren. Der Haik rutschte von dem wildverfilzten Haar, in ihren großen, hohlen Augen begann Hoffnung aufzuflammen, und plötzlich zog ein Lächeln ihre fahlen, trockenen Lippen von überraschend weißen Zähnen. Er ging schnell, und sie trottete hinter ihm her zu des Mannes linker Hand, wie alle Araberinnen. Aus dieser Distanz, den Kopf schief vorhaltend, sprach sie auf ihn ein, und er verstand kein Wort, sprach in gutturalen Tönen, mit wilden, kreisenden Gesten, wobei ihre Augen und Zähne glitzerten.
Sie erreichten das Caférestaurant. Musik spielte die »Weiße Dame«. Dach und Glaswände schützten die Tische, die im Freien standen und an denen behaglich wohlerzogene Bürger speisten. Unter dem Kreuzfeuer der Blicke ward dem Agenten übel zumute, der da mit seiner verwahrlosten Begleiterin nach einem Platz suchte. Endlich fand er einen Tisch und rief die Kellner an, die plötzlich von Taubheit befallen schienen. Die Mouquère stand da, schob den Bauch, den sie nicht hatte, vor und verfolgte Bissen um Bissen vom Teller einer Dame bis zu deren Lippen, wobei sie mechanisch den Mund öffnete und zugleich mit jener schluckte. Der Oberkellner kam und bedeutete mit der ganzen Höflichkeit seiner Nation, daß die Küche seines Etablissements arabische Speisen leider nicht führe, und daß Monsieur ganz nahe, Rue Tirman, besser bedient sein werde.
Der Weinagent erhob sich und verließ das Caférestaurant. Auf der Straße bekam er einen Wutanfall. »Ich habe nicht die geringste Lust, deinetwegen mein Schiff zu versäumen und mit den Chefs Krach zu haben!« schrie er, obgleich er wußte, daß dieses kleine, braune Tier ihn gar nicht verstand. »Kannst du nicht allein deinen Kuskus fressen oder zum Teufel gehen?« Habibah sah ihn an, ihr Arm fuhr schützend hoch, als erwarte sie Schläge. Alle Hoffnung in ihrem Blick war erloschen. Sie fiel in sich zusammen und wurde ganz klein, ganz mager. Ihre Lippen zitterten.
»Also komm«, machte er wütend, und sie lief wieder links neben ihm her. Er begann bereits darüber nachzudenken, daß am Ende kein Chef von ihm verlangen konnte, bei solchem Hundewetter auf einer elenden Nußschale bis nach Port Vendres seekrank zu liegen. Am Ende war es gar nicht so übel, wenn er morgen mit dem »Timgad« fahren konnte. Trotzdem hetzte er im arabischen Restaurant die Kellner, zahlte ihren Kuskus im voraus und das kleine Brot, in das sie schon mit wildem Hunger biß. Als das Gericht von geriebener Gerste, Gemüse und Hammelfleisch aufgetragen war, sprang er auf und war im Begriff fortzustürzen.
Sonderbar. – So gierig die Kleine zu schlingen begonnen hatte, jetzt, da sie sah, daß er gehen wollte, hielt sie inne. Sie stützte den nackten Arm auf den Tisch, hielt die Hand vors Gesicht und begann zu schluchzen. Es muß hier gesagt werden, daß der Weinagent kein schöner Mann war. Er war klein, dicklich, ein fünfzigjähriger Junggeselle; auch seine Mittel waren bemessen, und es geschah zum erstenmal in seinem Leben, daß eine Frau verzweifelt weinte, weil er von ihr ging.
Der Weinagent schämte sich beinahe. Er klopfte ihr auf die hagere Schulter, und als das nicht half, rückte er ihr den Teller hin. Sie schüttelte den Kopf, sie weinte, sie schneuzte sich in den Haik, und der Agent begann ihre Tränen mit seinem Taschentuch zu trocknen, das, an der Schwärze des Haik gemessen, vollkommen sauber schien. Am Ende ergriff er den Löffel und fütterte sie. Ein paar Araber im Winkel sahen zu, aber das kümmerte ihn wenig. Er begann zu bemerken, daß Habibah bezaubernd zu lachen vermochte. Als er wieder auf seine Uhr sah, stellte er fest, daß das Schiff schon vor zehn Minuten den Hafen verlassen hatte. Daraufhin wurde er sonderbarerweise glänzend gelaunt. Er bestellte auch für sich Kuskus und »Petit lait«, die traditionelle Buttermilch, die der abstinente Araber dazu trinkt. Und als sie beide satt waren, kaufte er bei einem Händler der gleichen Straße eine arabische Frauenhose, die so wundervoll weit war, daß man elf Meter gelben Stoffs dazu gebraucht hatte, ein rosa Jäckchen, einen warmen schafwollenen Haik und französisch hochgestöckeltc Halbschuhe, die der Traum jeder Mouquère sind. Die Kleine trommelte ihm mit beiden braunen Fäusten auf den Arm und biß sich auf die Lippen vor Entzücken.
Endlich führte er sie in ein Bad in der Rue Bab-el-Oued. Er sah zu, wie sie aus den Fetzen tauchte wie eine schmale, schimmernde Klinge. Auf dem warmen Wasser schwammen Seife und Schmutz wie Algen auf stehenden Teichen. Aber schon da sie kreischend unter der heimtückisch entfesselten Dusche sich bäumte, sah er, wie schön dieser muskelharte, knabenhüftige Körper war.
Nach der mit Habibah verbrachten Nacht stellte der Weinagent zwei Dinge fest: zum ersten, daß er auch die Abfahrt des »Timgad« verabsäumt habe, zum zweiten, daß er niemals gewußt hatte, was Hingabe bedeutet – vor Habibah.
Er wohnte zehn Tage lang mit ihr in einem billigen Hotel, in dem ihn erst wütende, dann besorgte Telegramme seiner Chefs erreichten.
Die flache Schale seines Herzens faßte kaum sein Glück; es lief über an allen Rändern. Habibah lachte, Habibah sang, Habibah begann französisch zu sprechen. Sie hatte schon gelernt, sich sauber zu halten und ihr wunderbares, knisterndes Haar zu bürsten. Sie hatte die Zärtlichkeit eines jungen Hundes, die Liebesbereitschaft einer Sklavin und die Erfahrung einer »Nailia«.
Am elften Tage ging der Weinagent allein fort, um eine eingelangte Geldsendung auf der Hauptpost zu beheben. Als er zurückkehrte, überreichte ihm Habibah, zwitschernd, mit strahlendem Stolz einen Zwanzig-Francs-Schein. Es gab der Gäste mehr in diesem kleinen Hotel, und warum hätte Habibah ihren Herrn um den Verdienst von zwanzig Francs bringen sollen?
Der Weinagent war ihrer lächelnden Unschuld gegenüber so toll vor Zorn, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er schlug Habibah. Zum ersten Male im Leben schlug er eine Frau und wurde bange eines Gefühls inne, das er nie zuvor gekannt hatte.
Er fuhr mit ihr ins Bon-Marché und kaufte Kleider, Hut und Mantel. Keine Änderung war nötig. Es war, als hätten tote Dinge nur darauf gewartet, an ihrem Körper Sinn und Farbe zu gewinnen. Sie sah mit schimmernden, nachdenklichen Augen diese fremde »Roumia« im Spiegel an, die ihr mit wildroten Lippen entgegenlachte.
*
In Paris sperrte sie der Weinagent ein, sobald er fort mußte, und hing den Schlüssel an seine Uhrkette. Er war rasend vor Eifersucht, rasend vor Liebe.
Sobald er um die Ecke gebogen war, schloß ein junger Maler vom Atelier gegenüber die Wohnung mit einem Nachschlüssel auf, und Habibah stand hinter der Tür und lachte. Der Maler malte ihren Akt, und alle seine Freunde malten sie, und alle fanden es beinahe so selbstverständlich wie Habibah. Aber die Schläge von Algier hatte sie nicht vergessen, und sie verwahrte ihre Ersparnisse hinter dem Öldruck der Madonna, die über des Weinagenten Bett hing.
Eines Tages kehrte der Alte zu früh heim, fand seine Wohnung offen und leer, begann zu fluchen und erfuhr von der Concièrge alles. Er drang ins Atelier ein, nach Habibah brüllend, und als sich ihm ein junger Bildhauer entgegenstellte – der Habibah übrigens an diesem Tage zum erstenmal gesehen hatte, also der einzig Unschuldige des Kreises war –, schlug er ihn mit einem Stuhle nieder.
Die Zeitungen brachten Sensationsberichte über den Mordprozeß und reproduzierten das Aktbild der schönen Habibah. Damit begann ihr Ruhm.
Vierzehn Tage später tanzte sie in den »Folies-Bergères«. Weder der Weinagent, der im Kerker saß, noch Monsieur Jean, der seidene Kopftücher verkaufte, würden sie erkannt haben. Jetzt, da sie gut genährt war, gepflegt, massiert, depiliert – war ihr Körper vollkommen.
Sie war nicht mehr scheu und nicht mehr gierig, sie hatte ein Lachen satten Triumphes – »Habibah, l'as des danseuses de Ghardaia« –, das die Männer da drunten so nach ihr hungern machte, wie sie einst nach Kuskus gehungert hatte. Über ihrem brillantenen Diadem starrte in künstlicher Wildheit ihr Haarbusch, in den Henna rötliche Reflexe legte. An ihren Ohren hing die brillanten-blitzende Hand der Fatmah, und um ihre Lenden liefen Brillantenschnüre, deren Fransen beim Tanz gegen ihre zarten Knie schlugen.
Habibah hatte mit merkwürdiger Raschheit gelernt, daß für Männer im Frack der Bauchtanz anders getanzt werden müsse als für blaßgesichtige Mozabiten; genau so wie der »arabische Tanz«, den das sechzig Mann starke Orchester spielte, anders klang als die Musik von Sudanflöte und Negertrommel daheim, fern – in Ghardaia.
Habibah begann toll zu verdienen. Als ihr Impresario die »petite biquette« auszunützen gedachte, drang sie bei ihm ein und versetzte den dicken Mann mit ihrem Revolver in solche Todesangst, daß er bezahlte, soviel sie wollte. Habibah war die einzige Vedette, die im Taxi vorfuhr, und ihre Kolleginnen behaupteten allen Ernstes, daß sie ihre Kleider und Pelze aus zweiter Hand kaufe. Habibah hatte nur eine Leidenschaft – die wertbeständigste von allen. Sie kostete einem alten Bankier sein Vermögen und einem jungen englischen Aristokraten sein Leben. Die haselnußgroßen Feuersteine, die ihre Nacktheit deckten, wurden allabendlich von vier Detektiven bewacht, denn sie waren echt.
*
Eines Abends lungerte Abd-el-Kader vor dem Schalter des Postamtes von Ghardaia umher. Abd-el-Kader langweilte sich zum Sterben in diesen glutheißen, fremdenlosen Sommertagen. Er war im Krieg Dolmetsch gewesen, kannte Paris und London gut, hatte eine französische Gouvernante geheiratet, und sie war ihm durchgegangen, weil er trank. Als ihm der Postbeamte einen dicken eingeschriebenen Brief zuwarf, umdrängten ihn alle die Mozabiten, Araber, Kameltreiber, Neger und Betteljungen, die aus Langweile, so wie er, den Schalter zu umlagern pflegten.
Aber Abd-el-Kader hatte beim Aufreißen des Umschlages eine Geldnote bläulich schimmern sehen, steckte den Brief in die Brusttasche und ging.
Acht Tage später stand er vor der Kasse der Folies-Bergères in Paris und fand eine Sitzanweisung vorbereitet.
Nach der Vorstellung kam er in Habibahs Garderobe.
»Das hast du gut gemacht!« sagte er arabisch, und die vier Detektive und die beiden adretten Garderobieren sahen mißtrauisch auf diesen braunen Mann im Fez und abgetragenen Sportanzug – mit dem nicht ganz sauberen Kragen.
»Du scheinst sie gut geschoren zu haben, die Roumi! Kein Mozabit würde einen Sourdi für dein bißchen Gewackel ausgeben!« Er kniff ein Auge zu und schätzte mit geübtem Blick diese weißglitzernde Juwelenpracht an ihrem braunen Körper.
Habibah stieß ihn schäkernd mit der Handfläche vor die Brust, wie die Ouled Nails es ihren Verehrern tun. Und sie lachte schallend mit zurückgeworfenem Kopf, wie Ouled Nails lachen. Dann sprach sie, während man sie für die Straße frisierte, auf ihn ein in gutturalem, wildem Wortschwall, mit wildkreisenden Gesten, mit tanzenden Augen. Abd-el-Kader saß rittlings auf dem hellen Louis-Quinze-Sesselchen und trank kopfnickend einen »Anis gras« nach dem andern. Als sie fertig war, ließ Habibah die Detektive mit dem Lederköfferchen voraustreten und warf die Türe hinter sich mit einem Fußtritt ins Schloß, diese Garderobentür, auf der über dem Starzeichen die Hand der Fatmah in Gold gemalt war.
Am nächsten Abend waren die Folies-Bergères über Habibahs Verschwinden in Aufruhr, alle Zeitungen – ganz Paris! Die einen (darunter die vier Detektive und die zwei Garderobieren) dachten an Mord. Die andern lachten über einen Reklametrick. Ein Juwelier meldete sich, dem Habibah am frühen Morgen ihren gesamten Schmuck verkauft hatte, diese berühmten »pierres blanches de Habibah«. Sie hatte vorgebracht, daß sie in Zukunft nur Smaragde zu tragen wünsche, und der Juwelier hatte ihr in der Hoffnung auf dies große Geschäft sogar einen ausgezeichneten Preis zugebilligt.
Endlich fand man bei der Polizeisuche in ihrer mehr als bescheidenen Wohnung die Lösung des Rätsels groß und ungelenk auf eine Nummer des »Matin« gekritzelt: »Ich habe Euch satt – ich mach mich davon!« Mit einer – im Französischen nicht ganz höflichen – Bitte um Frieden schloß das Ganze.
»Ja, das hat sie ihnen noch zum Abschied geschrieben!« grinste Abd-el-Kader, als er mir im Speisesaal des »Hôtel du Sahara« die Geschichte erzählte.
Die Anisflasche, halb schon ihres giftgrünen Inhalts entleert, stand vor ihm, und ich versuchte sie unauffällig ein wenig fortzurücken.
»Mais non – mais non – va! Das ist mein letztes Glas Anisett heute, Madame! – Aber so wie wir hier ankamen, hat Habibah Frauentracht angelegt und ist nie mehr unverschleiert ausgegangen. Ich habe für sie das Haus in der Straße der Goldschmiede gekauft und habe ihr gesagt: Habibah – von dir keine Prozente! Du hast Vertrauen zu Abd-el-Kader gehabt, nicht so viel wie eine Laus bleibt ihm zwischen den Fingern. Und ich habe auch das zweite Haus für sie gekauft, dem alten Muschi über den Kopf weg, und jetzt muß dieser Hund auf dem Marktplatz in der Sonne sitzen und roten Pfeffer feilhalten dafür, daß er, ohne ihrem Vater auch nur einen Sourdi zu gönnen, Habibah um einen Douro verschachert hat wie einen gebundenen Hammel. Der neue Muschi, bei dem Sie einkaufen, ist Habibahs Vater. Sie hat ihm das Haus und den Laden geschenkt und läßt ihre Brüder in Algier studieren. O Habibah? Habibah vergißt nichts – nichts Gutes und nichts Böses.«
Und dann erfuhr ich die Geschichte von Monsieur Jean: Monsieur Jean, der eines Abends mit dem Autobus wiederkam und zwei neue Musterkoffer mit sich führte. Er hatte laut im Speisesaal erzählt, daß er seine ganzen Ersparnisse darangegeben habe, um das Geschäft diesmal auf eigene Rechnung machen zu können und nicht immer für die Taschen der anderen, und dann hatte er Abd-el-Kader nach Neuigkeiten gefragt und damit das »Quartier« gemeint.
Monsieur Jean war in die Straße der Goldschmiede geführt worden in ein schönes, neues, reiches Haus. Eine Frau hatte ihm die drei Schälchen »Nana« vorgekostet und er fand »alles, was ein Mann sucht und erwartet«. Aber als Monsieur Jean sich eine Zigarette anzündete, da war die Frau aufgestanden und hatte sonderbar lächelnd gefragt, ob Monsieur heute oder damals zufriedener gewesen sei. »Wann denn?« fragte Monsieur Jean erstaunt. »Ich hab' dich noch nie vorher gesehen!« Aber noch während er sprach, begann er zu stocken, denn hinter diesem schönen Gesicht voll grausamer Lüsternheit sah er das verwahrloste, verweinte Antlitz eines Kindes heraufdämmern.
»Kennst du mich jetzt?« hatte Habibah gefragt. »Du hast mich um einen Douro gekauft wie einen rotgezeichneten Hammel, und selbst der Nailia im Café Maure bezahlt man zwanzig Franken für ihren ersten Tanz. Jetzt ist die Reihe an mir, und dein Revolver ist nicht mehr in deiner Hüftentasche. Wenn ich jetzt anlege und ziele ... Siehst du – so! Dann kann ich dich mitten ins Herz treffen!« Und einen endlosen Augenblick lang hatte Monsieur Jean in die Mündung der Pistole wie in das schwarze Nichts nach dem Tode geblickt. Aber dann hatte Habibah die Achseln gezuckt und gesagt, daß Monsieur Jeans Tod die Unannehmlichkeiten mit Sidi Kapitän nicht wert sei.
Und statt dessen hatte Monsieur Jean bloß zugesehen, wie Habibahs Vater seine schönen Koffer mit Benzin begoß und sie an allen vier Ecken anzündete, daß sie bis zu Ende brannten – bis zu Ende ...
Nach dieser Geschichte sagte ich kopfschüttelnd: »Jetzt lebe ich fünf Jahre in Algerien, aber ich werde niemals die arabische Mentalität verstehen!«
»Habibah ist keine bent arab!« antwortete Abd-el-Kader rasch. »Sie ist im Quartier geboren.«
»Ich möchte sie sehen!« sagte ich. »Guter Abd-el-Kader! Ich kann nicht fortfahren, ohne Habibah gesehen zu haben!«
Abd-el-Kader rückte den Fez aus dem schwarzwelligen Haar, kniff die gelben Augen ein und lächelte: »Sie haben Kuskus in ihrem Hause gegessen. Mehr können sie nicht verlangen. Kein Mozabit zeigt sein Weib einer Roumia!«
Und als ich ihn starr vor Staunen ansah, zuckte er die Achseln, als verstehe es sich von selbst, daß niemand anderer als der Kaid von Ghardaia Habibah geheiratet habe.
»Er hat mit seiner ersten Frau ›die Karte gebrochen‹, wie wir sagen, er hat sie verstoßen und die Tänzerin Habibah rechtmäßig in sein Haus genommen. Was wollen Sie, ça c'est mozabite!«
»Aber er trinkt doch!« sagte ich und bereute sofort, daß ich es gesagt hatte.
»Das tut er«, antwortete Abd-el-Kader langsam. »Aber sagen Sie mir – was sollen wir, die wir keine Wüstenräuber mehr sind und auch keine Roumi, was sollen wir schließlich Besseres tun, als Anisett trinken?«
Am nächsten Abend stand der Vollmond über Ghardaia. Der obeliskenartige Gebetsturm schien wie ein schwarzer Keil in diesen ungewöhnlich nahen, glitzerndklaren Nachthimmel einzudringen.
Wer zur Nachtzeit den Marktplatz von Ghardaia betreten will, muß erst die Ketten aushaken, die jeden Zugang abschließen. Denn es ist schon geschehen, daß Kamele in wirrer Tollheit aus bösen Träumen aufschreckten. Dann rasten sie die engen Straßen hinab und zertrampelten, was ihnen begegnete. Jetzt lagen diese unheimlichen Haustiere da, wie schwarzkonturierte Bergzüge im Dunkel. Ihre Treiber hatten rotglosende Feuer aus Dung und Palmenrippen angefacht, aus denen glimmende Rauchfäden aufstiegen –, mit einem unvergeßlichen Geruch.
Über diesen blaudämmerigen Platz, mitten durch die nächtlich traumhafte Stille, kam uns plötzlich ein Zug entgegen.
Zwei Negerinnen – wie aus dem Stoffe der Nacht geschnittene Silhouetten – hielten Fackeln hoch, von denen prasselnd und sprühend Funkenbänder nachwehten. Ihnen folgte langsam, mit dem leisen Klingeln schwergoldener Fußreifen bei jedem Schritt, eine hochgewachsene Frau in glitzernd weißer Seide. Niemals vor- noch nachher habe ich eine Frau im Haik mit solcher Gelöstheit und solcher Müdigkeit zugleich schreiten sehen.
Abd-el-Kader, der das Gesicht nach Koranvorschrift abgewandt hielt, gab mir ein Zeichen. »Jetzt haben Sie Habibah gesehen«, murmelte er, »jeden Freitag, wenn er bei mir seinen Anis trinkt, verläßt sie das Haus, um ihre Mutter zu besuchen.«
Ich sah ihr nach – Habibah, Fürstin von Ghardaia – bis sie, zögernd schreitend, fern und glitzernd weiß in dem Dunkel des Laubenganges verschwand.