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Sahara

Ein junger Kapitän, Edmond Villers mit Namen, war zum Postenchef von Tamanrasset im Hoggar ernannt worden. Bei dem Abschiedssouper, das seine Kameraden ihm zu Ehren veranstalteten, brachte sein Major einen Trinkspruch aus, in dem er erklärte: es sei wohl kaum einer unter den Anwesenden, der Villers nicht beneide. Es gebe zwei Arten von Neid: jenen widerlichen, der dem Begünstigten sein Glück nicht gönne, und da dieses Gefühl unter Kameraden ganz unmöglich sei, wolle er es erst nicht länger beleuchten. Der andere aber, der gute, der erlaubte Neid, sei vom Ehrgeiz gar nicht so sehr verschieden. Der wolle dem Bevorzugten nichts rauben, nur selbst ein wenig an seinem Glück teilhaben – »und wie schön wäre es wohl, meine Herren, wenn unsre ganze Tafelrunde mit hinunterzöge? Palmen! Sahara! Schöne braune Mädchen! Und nicht zu vergessen: man wird ja ein Krösus bei diesen schamlos hohen Kolonialzulagen!«

Dann dankte Kapitän Villers. Man hatte ihm einen Strauß aus Rosen des Tafelschmuckes zwischen die Knöpfe der Uniform gesteckt, und er sah prachtvoll aus, wie er so stramm dastand, den Kelch in der erhobenen Rechten.

Villers Großmutter war Spanierin gewesen, von ihr hatte er den südlich-matten Teint, die heißen Augen, das Haar, auf dem ein blauer Schimmer lag. Er war ein schöner Mann, breit in den Schultern, toreroschlank in den Hüften. Die Frauen liebten ihn alle, weil sie fühlten, wie wichtig sie ihm waren. Einen Kreuzfahrer der Liebe nannte er sich, denn, wenn er sich dem Süden »voll Verlockung und Gefahr« zugeschworen habe, so geschehe es um seiner Dame willen: »Ma blonde, m'amie.« Für sie entrolle er die Fahne, und wenn es ihm – wer weiß – bestimmt sei, im Wüstensande zu sterben, dann falle er für Frankreich und für seine Braut Hélène de Forlan.

Von all den Händedrücken, die Villers nach dieser Rede empfing, war keiner fester als der seines künftigen Schwagers, Leutnant Jacques de Forlan. »Jacquot«, wie alle ihn nannten, war ja an all dem schuld, ach, und er war so glücklich.

In diesem Frühling war er nach drei Jahren des Dienstes beim »groupe mobile« im Hoggar nach Paris gekommen, um die sechs fetten Urlaubsmonate mit Maman und Nénène zu verbringen. Er war es gewesen, der damals im Theater Villers Mrs. Lawrence vorgestellt hatte, weil die Amerikanerin sich in den bildschönen Kapitän unten im Parkett vergafft zu haben schien. Und dieser Kapitän hatte unbegreiflicherweise nur Augen und Ohren für die blonde Gesellschafterin gehabt – für die arme kleine Hélène de Forlan. Jacquot hatte als Vertrauter Hélènes Liebe wachsen gesehen, die unbändige, verzückte, verschreckte Liebe des Aschenbrödels für den lächelnden Prinzen. Das alles begriff Jacquot sehr wohl. Aber daß dieser Prachtkerl, dieser Villers, die kleine Nénène heiraten wollte, mit deren Lederpuppe man als Bub gespielt hatte, das war so nett von ihm, daß man ihm sein ganzes Leben lang nicht genug danken konnte. Dies wiederholte Jacquot der Schwester auch stets, wenn sie bleich vor fassungsloser Eifersucht zusah, wie ihr heimlich Verlobter auf Mrs. Lawrence's Festen mit allen Frauen flirtete. »Er will aber doch nur dich, er gehört doch nur dir!« tröstete Jacquot.

Und eines Abends war Villers in das Nachtlokal gekommen, wo Jacquot auf seinem Barstuhl pflichtschuldigst »Paris auf Urlaub« genoß.

»Schau dir das an!« hatte Villers gesagt, den schönen, roten Mund in Ekel verzogen und mit einer Handbewegung alles fortwischend. »Den Saal voll Frauen, die mit Negern, und voll Männern, die mit straußfedernbeschürzten Mulattinnen tanzen, die Betrunkenen, die Jazz. Wird dir nicht übel? Ich für mein Teil hab' es satt, die Schulden, das Gehetztsein, die Weiber, das ganze Tamtam. Bis daher habe ich alles. Die Nénène, weißt du, das ist ein anständiges Mädchen.«

Und plötzlich, mit zusammengekniffenen Augen Jacquot ins Gesicht starrend, hatte er gefragt: »Du hast gesagt, daß du da drunten glücklich bist. Hand aufs Herz, ist das wahr gewesen?« – »Ja«, hatte Jacquot gesagt, voll Sehnsucht, das einmal richtig klarmachen zu können, wie es war, wenn man mit seinen Kamelreitern aufbrach…, die Weite…, das Einssein mit der Landschaft auf dem »Mehari«, dem Kamel…, das Aufsichgestelltsein als Mann, Offizier und Mensch.

»Das hast du mir schon alles fünfzigmal erzählt. Du, was meinst du? Wenn Roffo wirklich so krank ist, wie du sagst…? Ich werde um Tamanrasset einkommen!«

»Nein, Edmond! Das ist doch nichts für dich!«

»So? Warum? Meinst du, nur du bist zum Saharien geboren? Und dann ..., ich habe mir gedacht, du schickst als Leutnant deiner Mutter von drunten jeden Monat solche Beträge. Wenn ich hinuntergehe ..., ich bitte dich, was kann ich denn für mich in solch einem Nest brauchen? Dann zahle ich meine Schulden und heirate Nénène. Vielleicht lasse ich sie schon nach zwei bis drei Monaten nachkommen!«

Und Villers hatte Jacquot gedrängt, den Onkel im Kriegsministerium zu bearbeiten, und Jacquot (man kann soviel leichter für jemand andern bitten) hatte zum erstenmal seinen Onkel um etwas angegangen und war angebrüllt worden. Aber dann war der arme Kapitän Roffo in Vichy gestorben, und Villers hatte Tamanrasset doch bekommen. Jacquot verzichtete selbstredend auf seine letzten zweieinhalb Urlaubswochen, um mit Villers gemeinsam hinunterzufahren. Als sie in Algier aus dem Schiff stiegen, war es Jacquot zumute wie einer jungen Mutter, die den ersten Weihnachtsbaum für ihr Kindchen schmückt. »Jetzt betrittst du afrikanischen Boden«, sagte er.

Am nächsten Morgen ging ihr Zug. Während der Fahrt zog Villers nähere Erkundigungen ein. Jacquot hätte niemals daran gedacht, jemandem zu erzählen, daß der Telegraphist trank und der Feldwebel seine Frau schlug. Aber Villers hatte eine so besondere Art, zu sagen: »So! Du willst also deinen Vorgesetzten uninformiert lassen?« ..., daß Jacquot weiter von allen diesen verlorenen Schicksalen erzählte. »Na, das wird ja jetzt unten alles anders werden«, sagte Villers, sich auf seiner Bank ausstreckend. Und als Jacquot murmelte, das sei eben so in der Sahara, äffte er nach: »Sahara! Sahara! ... Ich werde euch zeigen, daß man auch in der Sahara als Offizier und Mann ein exemplarisches Leben führen kann!«

Jacquot betrachtete lange die schönen, regelmäßigen Züge des Schlummernden. Sie fuhren durch die Region der Salzseen zwischen Algier und Djelfa. Die weiten, glimmernden Flächen spiegelten blendend das weiße Licht. Und Jacquot dachte über Tamanrasset nach, über den Militärarzt, der während der letzten Malariaepidemie die Arbeit von vier Männern verrichtet hatte und dem in seinem Lehmziegelbau zwei halbwüchsige Negerinnen haushielten. Über den Telegraphisten, dessen Dienst keine Ablösung kannte, und der sich jeden Abend nach der »Popote«, der Offiziersmesse, noch zur Kantine trollte, um sich seine Flaschen nach Hause zu holen. Er dachte an dessen Frau, Geneviève, die ohne Dank noch Entgelt die Assistentin und Krankenschwester des Doktors geworden war, und die sich mit jedem weißen Mann einließ, der nach Tamanrasset kam. Er dachte an die zwanzigjährige Yvonne, die Frau des Feldwebels, die der Messe vorstand wie ein Mann, und vierzehn faule, diebische »Bouzous«, Negerboys, in Schach hielt. In der totenstillen, sternklaren Nacht hatte man sie manchmal schreien hören: »Schlage mich nicht ganz tot, François, ich liebe dich! ...«

Die beiden Offiziere erreichten spät abends Djelfa, den Ort, wo die Eisenbahnlinie endet und die Sahara beginnt. Villers war übelster Laune, Jacquot hatte von Algier aus telegraphisch Zimmer bestellt, aber Villers meinte, nie ein niederträchtigeres Logis gesehen zu haben. Die Zimmer hatten weder Verbindungstüren noch Fenster. Ihre Leere hallte wie die von Kirchenschiffen, und der Schein der einsamen Kerze vermochte nicht, die Höhe der Decke zu erreichen. Der offene Säulengang, auf den die Zimmertür als einziger Licht- und Luftquell mündete, lief rings um den weiten Hof, der stockdunkel und voll unbehaglicher Belebtheit war. Alle Augenblicke klumpten sich im offenen Türrahmen wispernde, kichernde Schatten zusammen. Villers hatte das höchst unangenehme Gefühl, auf einer erleuchteten Bühne für diese Herrschaften zu agieren. Dazu bekam Jacquot natürlich das Patentschloß nicht auf, das Villers an seinem Koffer »für diese Diebskerle« hatte anbringen lassen. Es blieb also nichts übrig, als im Taghemd schlafen zu gehen. Trotz Jacquots Versicherung, daß niemand den Sidi Kapitän bestehlen würde, versperrte Villers hinter ihm die Tür und war just im Begriffe einzuschlummern, als sich draußen im Hof ein Höllenlärm erhob. Die Tritte von Pferdehufen prasselten, man schrie und pfiff und lachte und befahl, Hunde schlugen jaulend an, man lief Türen schlagend hin und her. Villers sprang aus dem Bett, ergriff seine Reitpeitsche und war fest entschlossen, wenn Jacquot nicht bald etwas dagegen unternahm, selbst Ordnung zu schaffen.

Er sperrte die Tür auf, die krachend an die Wand flog, sah beim Fackelschein in braune und schwarze Gesichter und schrie: »Verdammte Bicots! Ich werde euch lehren, mich zu wecken ...«, aber er schlug nicht zu.

»Entschuldige die Störung, Sidi«, sagte in tadellosem Französisch ein weißbärtiger Araber. »Ich suche Leutnant de Forlan.« In diesem Augenblick stürzte Jacquot aus dem Nebenzimmer und flog mit einem Freudenschrei dem Alten an den Hals. Der kleine Leutnant verschwand beinahe in den weißen Burnusfalten.

»Meine Reiter haben dich auf der Station erspäht«, sagte der Alte. »Sie haben mir gemeldet, daß der Freund nahe ist. Ich bin hiehergeeilt, um dir die Diffa zu geben. Ich wohne bei meinem Tochtersohn Hadsch Mahbrouk, den du kennst, draußen in der Palmerie.« Dann ward Villers vorgestellt und ließ seine Reitpeitsche irgendwohin ins Dunkle fallen. Er erfuhr, daß der Alte Basch-Agha von Laghouat sei. Soviel verstand er bereits, um zu wissen, daß er demnach einem von Frankreich eingesetzten Distriktsfürsten gegenüberstand, einem »Scheik«, wie Film und Roman das nannten. Es blieb nichts übrig, als sich nochmals anzukleiden und den herrlichen Apfelschimmel mit Lehnensattel zu besteigen, den ein Neger hielt.

Villers fand alles scheußlich, das arabische Haus, die elf traditionellen Gerichte des Ehrenmahles, deren rote Pfefferwürze ihm die Kehle verbrannte, das Gespräch, das, obwohl ihm zu Ehren französisch geführt, sich um Dinge drehte, die nur Jacquot angingen.

»Mein Freund, die Kamelfüllen sind noch nicht gekauft. Mein Sohn Scherif hat dich ja erst Ende Dezember zurückerwartet. Er war wohl der Sache wegen in den »Blauen Bergen«, aber du weißt: Zeige dem Targui Eile beim Handel, und du zahlst zwölffachen Preis ... Und ..., mein Sohn, ich habe eine Gabe für dich, ein Ding, wovon ich wußte, daß deine Augen es wünschen und nur dein bescheidener Mund es nie begehrt hat!« Der Basch-Agha klatschte in die Hände, und Villers sah einen Negerjungen einen gräßlich jaulenden Köter hereinzerren ..., ein Vieh, wie Villers noch keines gesehen hatte, mit Giraffenbeinen und dünnem Barsoihals. Er begriff nicht, was Jacquot um dieses Tieres willen angab, ihm waren der alte Bicot, der stinkende Neger, der nervöse, braunblaue Hund alle gleich zuwider.

»Ein Sloughi! Edmond! Un sloughi de pure souche! Man sagt: Der Araber gibt lieber seine rechte Hand als seinen Hengst, und lieber seinen Hengst als seinen Sloughi!« Der Alte lachte. »Wahr, wahr! Er ist ein Schriftgelehrter und kennt alle unsre Sprüche.« Villers glaubte seine gute Chance gekommen. »Oh, Basch-Agha, auch ich besitze einen Koran und lese oft die heiligen Worte!« lächelte er strahlend. Jacquots Fuß traf unsanft sein Schienbein. Zugleich sah Villers, wie das Lächeln des Alten erlosch und seine Stirn sich runzelte. Jacquot begann hastig über Futter und Aufzucht des jungen Hundes zu sprechen.

»M'hemmed geht mit dir«, sagte der Alte, einfach auf den Neger weisend. »Drif frißt von keiner andern Hand. Im Februar werden wir mit ihm Gazellen jagen! Dein Freund kommt mit?« fragte der Alte mit vollendeter arabischer Höflichkeit, und Villers lächelte:

»Mit Vergnügen, Basch-Agha.«

»Dein Vorgänger, der arme Kapitän Roffo, war oft mein Gast. Ich betreibe noch die Falkenjagd auf Gazellen zu Pferde und mit Sloughis als Letzter von uns allen. Für gute Pferde brauchst du nicht zu sorgen, Sidi, ich ziehe sie selbst. Hoffentlich bist du so ein guter Schütze wie Leutnant Forlan und so ein guter Saharien. Nun, jedenfalls du wirst hier viel von ihm zu lernen haben.«

Am Morgen endlich schlief Villers ein. Aber da ratterte »la machine« in den Hof, der zerbeulte Citroën, der sie nach Ghardaia bringen sollte.

*

Villers kam in der besten Saison nach Tamanrasset, Ende November. Es hatte seit drei Jahren zum erstenmal geregnet, und die dankbare Sahara gab, was sie vermochte, ungewohnte Mengen von graugrünem Drinn, dem Weidefutter der Kamele, und sie tat sogar noch ein übriges, indem sie die Dornbäume mit dem Grün winziger Blättchen überperlte.

Jetzt also kannte Villers die Sahara, und jetzt hatte er seinen ersten Targui gesehen. Ihr Auto hatte irgendwo eine Panne gehabt, die zehnte am Tage. Sie waren ausgestiegen und hatten eine Zigarette geraucht, während der Chauffeur auf dem Rücken unter dem Wagen lag und die drei arabischen Mitfahrer unbekannten Berufes, hockend oder zu ihm gebeugt, in kehligem Gegurgel ihre leidenschaftlich interessierte Teilnahme aussprachen.

Plötzlich begann Drif, der Sloughi, rasend zu bellen – mit dröhnendem Nachhall wie ein Gong. »Na endlich!« sagte Jacquot, als habe er lange schon auf etwas gewartet, und warf nervös die Zigarette fort. Villers folgte seinem Blick.

Die Sonne war im Niedergehen, und der Himmel brannte in Streifen von Schwefelgelb, Orange, Ziegelrot und Amethystpurpur. Auf einer Anhöhe, von diesem wild brennenden Hintergrund sich scharf abzeichnend, hielt ein Kamelreiter. Das Reittier war perlweiß und unvergleichlich größer und stolzer als alle Kamele, die Villers bis nun gesehen hatte. Der Mann auf seinem Rücken trug einen dunklen Mantel und hochroten Gurt. Er hielt einen weißleuchtenden Langschild am linken Arm. Wie ein Visier barg ein schwarzer Schleier sein Gesicht. Seine Lanzenspitze leuchtete. Plötzlich stieß der Mann einen Schrei aus, ein »Hou, hou!« von so gellender Wildheit, daß es Villers kalt überlief. Und Jacquot riß sein Pfeifchen aus der Brusttasche und antwortete mit einem Signalpfiff.

In diesem Augenblick krachten die ersten Schüsse. Mit einem herzkrampfenden Gefühl von Verrat und Gefahr sah Villers den Reiter in einem Tempo, dessen er niemals ein Kamel für fähig gehalten haben würde, den Hügel hinabrasen. Fünf, zehn, zwanzig, fünfzig Kamelreiter folgten. Sie wirbelten Gewehre in der Luft und fingen sie unter ohrenbetäubendem Jauchzen wieder auf, in das sich das schneidende Hou, hou! mengte. Villers entsann sich, gehört zu haben, daß die Tuareg ihre Raubüberfälle mit diesem Ruf begleiteten. Er roch Pulver, Schweiß, Kameldunst. Er sah in einem schwarzen Schleierschlitz, wie von allem Menschlichen losgelöst, zwei übergroße, wilde Augen grausam lächelnd auf sich gerichtet. Er sah die Lanzenspitze nach seinem Haupte zielen, duckte sich mit einem Laut, der als Schrei vermeint war, aber wie in Alpträumen nur als ein Röcheln laut ward.

Um Fingerbreite zischte der Tod an ihm vorbei. Drei, sechs, zwölf Lanzen schienen kein anderes Ziel als seine Brust zu suchen. Und vielleicht würde Villers doch noch eine Dummheit begangen haben. Da aber rief Jacquot grell, hoch, hallend in fremder Sprache einen Befehl. Und Mann für Mann dieser heranjagenden Kamelreiter hielt mitten im Ritt an, sprang, ohne erst sein Tier knien zu lassen, aus dem Sattel herab und präsentierte.

»Mein Kapitän«, meldete Jacquot, »sechzig Schaamba-Schützen vom groupe mobile, Sektion Hoggar, unter Befehl des Leutnants Forlan!« Villers atmete auf und begriff, daß all dies nur ein kleiner Reiterscherz gewesen war, eine »Fantasia«. Um das Auto herum standen die Araber und sahen grinsend zu wie bei einem Feuerwerk. Er sah, daß es keinem Menschen eingefallen war, die Sache ernst zu nehmen außer ihm allein. Und Jacquot wußte nicht, daß der Augenblick, auf den er sich seit Tagen am stolzesten gefreut hatte, Villers zu seinem Feinde machte.

Der Hauptmann winkte: »Abtreten.«

»Und dies, mein Kapitän, ist Auquhal, der Sohn des Königs Akhamuk, mit sechzehn edlen Tuareg-Hoggar. Sie kommen aus den Bergen, um Getreide vom Depot zu holen.«

Der Targui sprang mit unnachahmlicher Grazie und Leichtigkeit von der Turmhöhe seines Mehari herab und kam auf Villers zu. Er überragte ihn um Haupteslänge und schien noch größer durch den Tagelmust, den diademartigen, schwarzen Schleierbund, der mit blauen und roten Bändern schön umflochten war, deren lose Enden im Büschel über die rechte Schulter fielen.

Auf der Stirn quollen seine Locken vor, leicht und glänzend wie Frauenhaare. Der Schleier stieg bis zur Nasenwurzel empor, bis zu den langen, gebogenen Wimpern. Man dachte sich das Gesicht, das der Schleier verbarg, schön und jung und kühn. Der Targui streckte langsam seinen Arm aus, der von der Sonne schwarz gebrannt war – mit viel hellerer Haut an der Unterseite – und auf den das Blau des Mantels abgefärbt hatte, wie die Tuareg das lieben. Er höhlte eine überraschend schmale, schlanke, müßige Hand vor. »Tabac francais?« fragte er hinter seinem Schleier, und die herrlichen Augen lachten dabei. Villers gab mit Händen, die noch zitterten, alle Zigaretten her, die er bei sich hatte, und ärgerte sich, als der Targui sie nahm, ohne zu danken.

Beim Auto herrschte ein erregtes Palaver. Jacquot kam eilig und erklärte, es könne noch Stunden dauern, bis die Panne behoben werde. Ob Villers nicht, statt zu warten, ein Mehari besteigen und die letzte Strecke reiten wolle?

Mit den Zähnen an der Unterlippe nagend, nickte Villers. Diesmal mochte der Saharien ruhig sein, er würde sich nicht zum zweitenmal fangen lassen. Jacquot gab gute Ratschläge, während er den Fuß auf das Knie des liegenden Tieres gesetzt hielt, um es am Aufstehen zu hindern, bei Villers richtig im Lehnensattel säße. Der Neuling hatte trotzdem das Gefühl, als explodiere eine Bombe unter ihm, als das losgelassene Vollblut in drei Rucken hochging. Nach dem grausamen Gerüttel der ersten Minuten aber sagte ihm sein Reiterinstinkt, daß es hier nur gelte, sich dem kreisenden Wiegen des Paßganges hinzugeben. »Na also, das geht ja!« rief Jacquot ihm zu, der selbst so behaglich wie ein Engländer in seinem Fauteuil droben zu lümmeln schien.

Und dann sah Villers Tamanrasset vor sich liegen. Grau, gerade, flach, aus Lehmziegeln gebaut; die Dächer schimmerten, vom letzten Licht mitleidsvoll übergoldet. Die Schatten wirkten tintenblau, fast violett. Kein grüner Wipfel, kein einziger Farbfleck. Nur über dem Dach des »Bordj«, der Befestigung, hing schlaff wie ein ausgebeuteltes Staubtuch eine Fahne von der Stange herab: die Trikolore, die ihn grüßen sollte.

*

Villers präsidierte zum erstenmal bei der »Popote«. Er hatte allerhand überstehen müssen, ehe er so weit hielt. Ganz Tamanrasset war bei seinem trompetenschmetternden Einzug auf den Beinen gewesen. Die gesamte Straßenjugend vor allem, in allen Farbstufen, vom Käseweiß der Mozabiten bis zum fettglänzenden Ebenholzschwarz der Negersklaven. Aber welcher Farbe sie auch angehörten, zerlumpt und schmutzig waren die Kinder alle, und manchen saßen die Fliegen wie schwarze Traubenbüschel in den entzündeten Augenwinkeln.

Von allen Dächern gellte zum Willkomm das »Ji-Ji-Jiii« der verschleierten Araberinnen, trommelfellzerreißender als Schiffssirenen. Die Postenmannschaft – schwarze Tirailleure – präsentierte. Die Schaamba des unvermeidlichen Jacquot formierten mit ihren Kamelen ein Gefechtskarree und gaben in Deckung hinter ihren Tieren Salven ab. Der Militärarzt, der Majorsrang hatte, überreichte Villers mit allen Zeichen unverständlicher Feierlichkeit den riesigen Eisenschlüssel zum »Depot«, wie zu einem Heiligtum unbekannter Götter. Später erst verstand der Kapitän, daß es sich um das Lagerhaus für Weizen und Mehl handle.

Dann war noch der Schrecken zu überstehen, als Villers seine Wohnung sah. Er hatte auf dieser dreieinhalb Wochen langen Reise gemeint, alle Gedanken an Europas Wohnkultur aufgegeben zu haben. Aber was der unvermeidliche Jacquot einem da als trautes Heim vorstellte, das ging denn doch über die Hutschnur. Zwei langgestreckte Löcher, in deren völliger Kellerdunkelheit man gegen den Mittelpfeiler anrannte – die Deckenstütze, die aus dem roh zugehauenen Stamm einer Palme bestand.

Man erzählte Villers, daß das unendlich langsame Wachstum dieser Palmenart ihr Holz so zäh werden lasse, daß es selbst den Termiten des Hoggar zu widerstehen vermochte. Villers riß den Lappen von der Fensterluke – da aber brachen zugleich mit dem brillantenen Licht die Fliegen in so kompakten Schwärmen herein, daß sie ein Surren verursachten wie ein Ventilator. Es gab kein Bad. Nur zwei breite Tonamphoren voll heißen Wassers, in deren jede man mit einem Bein stieg, um sich von einem Negerboy abreiben zu lassen. Es gab auch keine Tür. Jeden Augenblick kündigte jemand draußen durch Händeklatschen seine Gegenwart an und hob zugleich auch schon den zerfetzten Vorhang.

So war auch M'hemmed, der Mozabit, zu ihm gekommen, und Villers erzählte bei der »Popote«, wie der bleichgesichtige Mann, ohne sich durch seinen Zorn beirren zu lassen, dem Sidi-Kapitän angetragen habe, zu beschaffen, was sein Herz begehre: Targuias, Araberinnen, Ouled Nails, Kamele, Pferde, Champagner, Geld. »Endlich habe ich ihn hinausgeworfen«, erzählte Villers. Er saß unter der Karbidhängelampe, die mit puffenden, knisternden Geräuschen brannte.

Er sah wundervoll aus in der weißen Paradeuniform, und er wußte es. Auch die dunklen Augen der Frau ihm gegenüber sagten es ihm.

Woher dieser Kerl bloß die Frechheit zu solchem Anerbieten nahm? Gab es denn überhaupt die Möglichkeit, daß irgend ein Offizier mit solch einem schmierigen Individuum gemeinsame Sache machte und Geld bei ihm auftrieb? Und schon, daß man annahm, er würde sich je mit farbigen Weibern einlassen, sei eine Beleidigung des weißen Mannes!

Es entstand eine unbehagliche Pause, und Jacquot, der dem Militärarzt gegenüber saß, wurde rot. Aber, als er seine Bemerkung an den Mann gebracht hatte, begann Villers, seinen ganzen Zauber spielen zu lassen. Er erzählte dem Telegraphisten mit den stumpfen Trinkeraugen, daß er – wie sonderbar! – einmal in Grenoble just dem Häuschen gegenüber gewohnt habe, das dessen Eltern gehörte, und er beschrieb, von Ausrufen des Telegraphisten unterstützt, die Veranda und das Gärtchen mit den Rosen so genau, als sei er wirklich dort gewesen. Er zeigte das tiefste Interesse an des Doktors phrenologischen Messungen der Tuaregstämme. Und als Yvonne hochrot aus der Küche kam, da sagte er ihr, so eine Hammelkeule hätte er nur einmal im Ritz in Paris zu essen bekommen.

Geneviève bereitete im Halbdunkel drüben auf ihrem Spiritusgaskocher den abendlichen Menthetee, die »Nana«. Jacquot kam zu ihr, seine braunen Augen strahlten. Er wies mit den emporzuckenden Augenbrauen nach dem schönen Mann unter der sprühenden Karbidlampe. »Ist er nicht nett?« fragte er. Geneviève sah ihn an.

Sie hatte die fahlgraue Haut, das müde, frühgealterte Gesicht der Frauen, die unter unbarmherziger Tropensonne viel gearbeitet haben. Ihre Zähne begannen zu leiden. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, es war, als zählten sie gar nicht. Nichts an Geneviève zählte als die süße, tiefe, volle Altstimme und die Hände, biegsame, langfingrige, angerauchte, nie gepflegte Hände, deren seidigem Adel nichts etwas anzuhaben vermochte.

Geneviève lächelte mit geschlossenen Lippen. »Gefällt er Ihnen nicht?« fragte Jacquot entsetzt, erstaunt, gekränkt. Immer noch sah sie ihn an. Sie waren gleich groß. Man sagt nicht in der Sahara: »Ich liebe dich immer noch. Ich bin in diesen sechs Monaten gestorben vor Sehnsucht.« Man sagt: »Kleiner, dummer Jacquot! Hübsch, daß Sie wieder da sind. Zwei Stück Zucker, nicht wahr? Sie sehen, ich weiß es noch.«

»Danke. Wissen Sie, Geneviève, ich erwarte mir so viel für ›ihn‹ von Villers. Er hat heute kaum eine einzige Flasche getrunken.«

»Er«, das war der Telegraphist, der bis zu den weißen Mäusen trank.

Geneviève zuckte die vollen Schultern unter der nachlässig geknöpften Negerbluse.

»Er holt's später nach.«

»Nun, kleiner Jacquot, waren die Frauen schön in Paris?« Hundertmal hatte sie überlegt, wie sie das – ganz hingeworfen – fragen würde, aber jetzt hatte sie es doch gesagt, als habe sie Watte in der Kehle. Ihr Herz begann wild zu klopfen. Aber er antwortete rasch und ganz ohne Hinterhalt.

»O ja, schon! ... Aber schau'n Sie, ich wollte natürlich soviel als möglich mit Maman sein, wenn Nénène nicht frei war, und soviel als möglich mit Nénène wenn sie frei war. Ich habe Ihnen ja damals geschrieben, als meine Schwester sich verlobte. Wissen Sie, ich bin ein so schrecklich schlechter Briefschreiber ...«

Geneviève nickte. Alle Männer, die sie kannte, waren es.

»Sehen Sie, Geneviève – Paris – und – ›Urlaub genießen‹ und – ›Nachtleben‹ ..., das ist ja alles

sehr schön ...« Er lehnte den schon frisch geschorenen Kopf an die teerbestrichene Mauer und lächelte: »Aber heute abend ..., als ich über den Platz gegangen bin und die Sterne gesehen habe – in Paris sieht man sie ja nie vor all den Lichtreklamen, es ist, als gäbe es da überhaupt keine ... Ach, und das Lagerfeuer von den drei Arabern, die von Tit herübergekommen sind – und den Brandgeruch von diesem – na! – wie heißt denn das Kraut? Ich hab's wahrhaftig vergessen, Geneviève, das, womit sie feuern?...«

»Harmel«, sagte Genevièves tiefe, zärtliche Stimme.

»Harmel! Natürlich! Wissen Sie, daß ich von diesem Geruch geträumt habe ...? Ach, Kinder, ist das schön, wieder bei euch zu sein!«

»Ja!« sagte Geneviève langsam. »Sie haben's gut. Sie lieben die Sahara. Unsereiner braucht schon irgend ein Steckenpferd, damit er es aushält.«

Villers hatte sich drüben losgemacht. Jetzt kam er, um einmal nachzusehen, was dieses Äugelchenmachen bei Tisch eigentlich bedeutet habe. Man würde sie anscheinend dem unvermeidlichen Jacquot ausspannen müssen.

»Störe ich?« lächelte Villers.

»Nicht im geringsten«, erklärte sie höflich. »Ich habe Leutnant de Forlan eben gesagt, daß man, um die Sahara zu ertragen, das braucht, was die Engländer einen Spleen nennen. (Sie sprach das Wort französisch aus: »un splêne«.) Haben Sie schon einen, Kapitän?«

»Vielleicht?« antwortete Villers gedämpft und heiß und dachte dabei: »Ungepflegte Haare.« Er befahl dem Bouzou: »Einen schwarzen Kaffee, extrastark! Mach schnell!«

»Aber Edmond! Du darfst doch in der Sahara abends keinen Kaffee trinken!« war Jacquot unvorsichtig genug, zu rufen. »Keinen Schwarzen, Salem! Der Sidikapitän trinkt eine Nana!«

»Herr Leutnant!« Villers Stimme klang hoch und schneidend. »Ich verzichte auf Ihre Ratschläge. Sollte ich jemals in Zukunft für sie Verwendung haben, so werde ich Ihnen befehlen, sich zu äußern.«

Über Jacquots kleines, sommersprossiges Gesicht flogen Röte und Blässe. Es waren vier Bouzous und die beiden arabischen Ordonnanzen im Raum. Und das oberste Gesetz der Sahara sagt, daß kein weißer Mann eines Weißen Angesicht vor Eingeborenen beschämen darf. Denn vom Mzab bis in den Sudan, von Tanger bis Tozeur läuft als Gerücht durch die Sahara, was der eine Sidi dem andern Sidi gesagt hat, und Eingeborene vergessen nie. Villers aber hatte das vergessen.

Wie immer und überall, wo man ihn brauchte, war plötzlich der dicke Doktor da, und er klopfte Villers auf die Schulter.

»Wissen Sie, Kommandant, in der Sahara gibt es nur einen wirklichen Herrscher, und das ist unsre Leber! Und als zukünftiger Vertrauter und Arzt der ihren verordne ich Ihnen heute abend nach all dem vielen Wein und Nikotin zunächst – eine Nana.«

Villers begriff natürlich. Er neigte den schönen Kopf, er lächelte strahlend: »Wenn Madame die Liebenswürdigkeit haben wollte, sie mir zu kredenzen?«

»Na, Jacquot?« sagte der Doktor und sah über die Brille hinweg den Leutnant fast zärtlich an. »Fünfeinhalb Monate habe ich auf meine Schachpartie warten müssen.«

»Gern, Doktor«, antwortet Jacquot, und der Bouzou sprang schon ums Schachbrett. »Sie nehmen die Weißen«, sagte der dicke Doktor, mit Jongleurgeschwindigkeit seine Figuren aufstellend.

Da wurde der Vorhang mit solcher Hast geteilt, daß die Bambusstäbe und Glaskugeln rasselten. Jacquots Ordonnanz Ousman stand auf der Schwelle, stramm, den flachen Handrücken salutierend an den Turban gelegt. Mit einem Satz war Jacquot bei ihm. Frage und Antwort wechselten rasch in gutturalen, arabischen Sätzen. Alle Anwesenden folgten dem Gespräch, außer Villers.

»Es ist gut!« sagte Jacquot tief atmend, und der Araber machte salutierend kehrt.

»Kinder«, jauchzte der Leutnant, »wenn das kein Glück ist!«

»Sie müssen sofort seine Apotheke nachsehen«, mahnte der Doktor Geneviève, und Geneviève – süßen, heißen Liebestriumph in ihrer Stimme – sagte: »Das ist schon geschehen, sowie Jacquot Ihnen seine Rückkehr telegraphiert hat.«

»Danke, Geneviève! Den Schlüssel, Edmond! Schnell!«

»Welchen Schlüssel? Möchtest du deinen Vorgesetzten vielleicht informieren, was hier vorgeht?« –

»Ein Rezzou! Mensch! Also bitte den Schlüssel zum Depot, meine Leute müssen doch ihre Ration fassen.«

Villers griff in seine Taschen. »Ich habe ihn zu Hause gelassen«, sagte er verlegen.

»Macht nichts! Ich hole ihn schon«, lachte Jacquot und lief.

»Darf ich Ihnen, als rangälterer Kamerad, raten, den Depotschlüssel niemals von sich zu lassen? Sie müssen sich doch klarmachen, daß Brand oder Beraubung des Depots gleichbedeutend mit dem Hungertod vieler werden könnte«, sagte leise und scharf der Doktor.

»Ja, aber wohin will er denn, was ist denn geschehen?«

»Er will einen Rezzou niederschlagen«, erklärte der Doktor so deutlich, als spräche er zu einem armen Irren. »Die Tuareg-Azdjer haben einen Einfall gewagt und das ganze Vieh eines Nomadenstammes fortgetrieben. Drei Tuareg-Hoggar sind tot, und der arme Kerl, der kam, um das alles zu melden, hat auch eine Kugel abbekommen, muß jetzt operiert werden. Kommen Sie, Geneviève.«

»Sofort«, sagte sie. Ihre Blicke hingen an der Tür. Da war Jacquot im weißen Burnus, mit dem weißen Turbantuch auf dem Kopf, dessen herabhängendes Mittelstück über das Gesicht gezogen wird. Er sah größer aus als sonst und viel vorteilhafter. »Hier der Schlüssel, oder soll ich ihn dem Doktor geben?«

»Nein, nein«, sagte Villers hastig und griff danach.

»Haltet die Daumen, daß ich die Kerle erwische, bevor sie die Berge erreichen; wir müssen reiten wie die Teufel.«

»L'hamdoulillah!« murmelte Geneviève.

Die Sahariens benützen die arabischen Formeln gern, sie klingen weniger sentimental als »Mit Gottes Hilfe!«

Jacquot legte den Handrücken salutierend an den Turban. Und er war fort. Die Vorhangstäbchen klingelten wild schwankend.

»Ja, ja«, sagte der Doktor und sah das Schachbrett an. »Kann man hier je eine Freude haben?«

Geneviève ging hinter ihm zur Tür. Ihr Gesicht sah grau und alt aus. »Ich bin um ein Uhr bei Ihnen«, raunte sie. Villers hörte es deutlich. Ein Lächeln zuckte um seinen Mund. Der Bouzou räumte klappernd die Schachfiguren fort.

*

Villers arbeitete mit ehrgeiziger Hingabe.

»Die Postlinie wird ein eigenes Lastkamel für ihn einstellen müssen, wenn das so weitergeht«, fluchte der Feldwebel. Der Telegraphist stöhnte über den Stapel von Depeschen. Wenn der Doktor um sechs Uhr morgens in sein Krankenhaus hinüberging, klapperte Villers' Schreibmaschine schon drüben im Bordj. Und abends sah er noch lang das blinkende Licht seiner Karbidlampe, den einsamsten unter all den blinkenden Sternen. – »Überreste von Europaenergien« – murmelte der Arzt.

Villers ließ sich abends meist wegen Überarbeitung entschuldigen. Kam er aber in die Popote, so vermied er es sorgfältig, an die Frauen der Station das Wort zu richten. Die Sahara kennt keine Geheimnisse. Jedermann wußte, daß Villers fünf Tage nach seiner Ankunft Geneviève im Spital gestellt hatte. »Ich will jetzt endlich wissen, warum du mich seither warten läßt? Glaubst du, daß man mit mir spielen kann?«

Geneviève hatte vollkommen ruhig geantwortet: »Sie interessieren mich nicht weiter, Kapitän.«

»So, ich interessiere dich nicht? Jacquot interessiert dich mehr, was? Seit er zurückgekehrt ist? Triumphator Jacquot! Saharasieger Jacquot! Ich werde dir schon zeigen, wer ...«

»Sie werden mich sofort loslassen oder ich zerbreche das Reagenzglas! Es sind Typhusbazillen darin«, hatte Geneviève gesagt, ohne die Stimme zu erheben.

Dann hatte Villers angefangen, Yvonne auf Tod und Leben den Hof zu machen. Aber auch deren Antwort kannte die Sahara, die keine Geheimnisse hat. »Glauben Sie, daß ich mich umsonst hier mit zwanzig Jahren vergrabe? Mutter hat ein feines Bäckereigeschäft in Paris, Rue Tabor. Aber dort würde François tausend Frauen haben, und hier hat er nur mich allein. Manchmal erbost ihn das, und er ist rüde zu mir. Aber keine andere Frau ist so glücklich wie ich. Und wenn Sie noch zehnmal fescher wären, für mich gibt es nur einen Mann auf der Welt, und das ist François ...«

Damals, als Jacquot wiedergekehrt war (er hatte nur winzige Tagesmärsche machen können, da er das zurückeroberte Vieh und drei Verwundete mit sich führte), als er blondbärtig, zerfetzt und braungebrannt ins Bordj gestürmt war, hatte ihn Villers wegen seiner »unsoldatischen Montur« getadelt. Jetzt begann der Kapitän selber dessen müde zu werden, sich bei flackerndem Karbidlicht das Kinn zu zerschneiden, und als die Hitze stieg, lernte er die bequeme sudanesische Negerbluse schätzen, nahm die weite Tuareghose an und die Sandalen, die, breitflächig wie Schneeschuhe des Nordens, vor dem Einsinken im Sand schützen.

Der Doktor beobachtete diese Zeichen. Und eines Nachts, als er um halb zwei Uhr vom Bordj her noch immer die Töne des Grammophons vernahm, goß er das Benzin aus seinem Feuerzeug in den Sand und sagte laut zu sich selbst: »Jetzt gehe ich hinüber.« Er überquerte vorsichtig diesen Platz, der seinen Augen leer und stockdunkel erschien. Alte Erfahrung sagte ihm aber, daß hier und dort unter seinem Fuß eine schläfrige, burnuserstickte Stimme ihn warnen würde: »Achtung, Sidi! Wir sind da, Sidi!« So ging der dicke Doktor, als gelte es einen Tanz zwischen Eiern, bis der Lichtschein aus dem Bordj die Stufen erhellte, auf denen während des Tages Araber und Tuareg zu hocken und die Richtsprüche des Sidi-Kommandanten zu erwarten pflegten. Hier blieb der Doktor stehen. Ein Krachen und Splittern ward vernehmbar, zugleich verstummte das Grammophon. Der Doktor klatschte in die Hände.

Ein saftiger, neu erlernter arabischer Fluch erscholl ... »Wer ist da, zum Teufel? Kann man nicht einmal mitten in der Nacht seine Ruhe haben?« Sandalen schlurften, der Vorhang ward zur Seite gerissen ... »Sie sind es, Doktor?« staunte Villers, als sei der Empfang einem ganz anderen zugedacht gewesen. »Verzeihen Sie, ich hörte Sie eben noch Grammophon spielen. Mein Benzin ist mir ausgegangen.«

»Aber natürlich, kommen Sie nur herein!« sagte Villers. »Sie müssen wirklich den rauhen Empfang entschuldigen! Aber ich werde hier zu allen Stunden überfallen und zucke zusammen, sowie ich nur das Händeklatschen höre. Man ist ja wirklich einsam genug in dieser gottverdammten Sahara, aber allein ist man keine fünf Minuten. Na, ich habe schon die Maße für die Tür nach Algier geschickt, aber wir leben ja hier auf dem Mond – das dauert ja alles Jahre.«

»Eine Tür?« brummte der dicke Doktor. »Soviel ich weiß, ist in der Sahara schon allerhand geraubt, aber nie etwas gestohlen worden.«

Er saß als Gast auf der kaum halbmeterhohen, lehmgemauerten Ehrenbank, die die ganze Länge der Saalwand einnahm. Neben ihm in der Ecke war aus zwei Decken und einem Kissen ein Nachtlager hergerichtet worden. Also schlief Villers auch im Amtsraum, verließ ihn überhaupt nicht mehr. Der dicke Doktor kannte das Symptom, auch er hatte einmal monatelang auf der Bank in seinem Wartezimmer geschlafen, wenn man das schlafen nennen konnte.

Villers schenkte mit zitternden Händen ein Glas ein, aber die Flasche, die da stand, war noch voll gewesen. Nein, Trinken, das war Villers Gefahr nicht, der Alkohol »griff« nicht bei ihm, machte ihn nicht vergessen.

»Ja, eine richtige Tür, die man hinter sich absperren kann, und an die jeder klopfen muß. Sie glauben nicht, wie ich mich danach sehne«, fuhr Villers fort. »Manchmal gehe ich ins Depot hinüber, nur um einmal eine Tür hinter mir ins Schloß fallen zu hören ... Wo haben Sie Ihr Briquet? Ich fülle es sofort.« Der Doktor sah, wie Villers versuchte, mit dem Fuße die Scherben der Grammophonplatte unter den Schreibtisch zu schieben, in denen das verräterische Licht sich spiegelte wie im Wasser. Das herabgeschleuderte Grammophon lag umgestürzt auf dem Boden, ebenso der einzige Fauteuil des Raumes, den der Postentischler noch für Kapitän Roffo aus Kistendeckeln verfertigt hatte und auf dessen Rücklehne »Margarine« zu lesen war.

Auf dem Schreibtisch zwischen Büchern, Zigarettenschachteln, Akten, Briefen stand hilflos lächelnd das Bild der blonden Nénène. Der Doktor sah zu, wie das Benzin aus dem Kanister zu Boden tropfte. »Geben Sie acht – sonst haben wir hier noch eine Explosion«, sagte er ruhig und stand auf. »Ein bißchen nervös, was? Armer Kerl!« Und er fühlte den Puls dieser Hand, die sein Feuerzeug hielt.

»Was fällt Ihnen ein?« sagte Villers. Seine Stimme schwankte. »Ich bin völlig in Ordnung.« Aber als habe diese Geste der Anteilnahme ihm den letzten Halt genommen, brach er zusammen. Er stolperte zu seinem Lager und begann, darüber hingeworfen, hemmungslos zu schluchzen.

Der dicke Doktor saß ganz still. Seine roten Hände mit den geschwollenen Adern hingen zwischen seinen Knien, er hielt den kahlen Kopf gesenkt und wartete auf die Beichte, die jetzt kommen würde.

Sie kam. Es war nicht die erste, die der Doktor in sechzehn Jahren des Saharadienstes vernommen hatte, aber niemals hatte er eine haßerfülltere gehört. Villers erstickte vor Haß. Er schrie es dem Doktor ins Gesicht, daß er Tamanrasset hasse, den Hoggar hasse, diese ganze gottverfluchte Sahara! Habe er das nötig gehabt? In Paris stationiert, angenehmer Dienst, Gesellschaften, Bälle, Frauen. O Gott! Wenn er nur an die Lichtreklame denke, so werde er verrückt. Er hasse diesen Schreibtisch und diesen Kistensessel, in dem er sitze und salomonische Urteile fälle, er hasse dies Depot, in dem er, wie ein Müllerknecht bestaubt, schmierigen Kerlen ihre Ration zumessen müsse. Als ob es ihn etwas angehe, ob sie hier alle zusammen verreckten. Und hier solle er zwei Jahre leben? Noch sechshundertundfünfundsiebzig Tage – er habe es ausgerechnet. Wenn er das nur dächte, bräche ihm kalter Schweiß aus! Hier? Hier? Zwei Jahre auf dieser Teufelsinsel?

Der dicke Doktor hatte mit keiner Wimper gezuckt. Jetzt sagte er langsam: Villers spreche, als sei er irgendwo im Territoire du Niger stationiert, wo es alle acht Tagreisen einmal einen Weißen gäbe. Es lebten doch schließlich auch noch andere Leute in Tamanrasset.

»O ja«, höhnte Villers. Es gäbe hier die Gralsburg weißer Kultur, den Inbegriff der Lustbarkeiten, die Popote! Die liebe Popote! Ob der Doktor glaube, daß es erstrebenswert sei, ihm zuzusehen, wie er mit den schwarzen Zahnstummeln sein zähes Lammskotelett kaue? Oder finde er die Gesellschaft eines Trinkers so angenehm, eines Rüpels von Feldwebel und zweier Dienstmägde? Es errege ihm Übelkeiten, das Wort »Rezzou« zu hören oder »phrenologische Messungen« oder überhaupt bloß » Sahara, Sahara, Sahara«!

»Schlafen Sie schlecht?« fragte der dicke Doktor, der ihn mit leisen Fingern in der Lebergegend abtastete.

»Schlecht? Überhaupt nicht! Drüben im Quartier, das mir euer geliebter Jacquot eingerichtet hat, habe ich einmal einen Skorpion im Bett und einmal einen in der Waschschüssel gefunden. Seither glaube ich mich von diesen Bestien überkrochen, gestochen, sowie ich die Augen schließe.«

Der Doktor zog langsam das rote, abgeschabte Etui aus der Tasche, das er immer bei sich trug. »Was haben Sie eigentlich gegen Jacquot?« fragte er leichthin und ohne Villers anzusehen. »Er ist doch so ein netter Kerl.«

Das war es. Da kam es. Jacquot! Ein netter Kerl!

Ph! Ein gerissenes Subjekt, ein ... na, er wolle lieber nicht reden! Aber das tränke er, Villers, ihm noch einmal ein, daß er ihn hierher verlockt und geschleppt habe ...

»Waaas?« fragte der dicke Doktor. Es hatte vielleicht ein bißchen zornig geklungen, denn Villers wich sofort aus. Nein, nein, er meine bloß ..., keine Angst, er sei weit entfernt davon, des Doktors Jacquot anzugreifen, Genevièves Jacquot! Den Jacquot aller Tuareg, der ganzen Sahara! Aber der Doktor müsse zugeben, das Zusammentreffen all der Zufälle sei erstaunlich! Mrs. Lawrence, geschiedene Amerikanerin, schwer reich, immer noch schön, lasse sich ihn, Villers, vorstellen, vielleicht könne er die Partie machen – wer schiebe sogleich seine Schwester vor? Jacquot. Wer sei der Vertraute, der Liebesbote, der Cupido? Jacquot! Er, Villers, habe kein Geld zum Heiraten, wer preise ihm die Reize dieses Tamanrasset in glühenden Farben an, wozu man wirklich ein Schuft sein müsse oder ein Idiot? Jacquot, Jacquot. Wer habe den Onkel vom Ministerium sozusagen in der Westentasche? Der unvermeidliche Jacquot. Und nun sei er, Villers, in der Falle, nun helfe nichts mehr. Wenn er diese zwei Jahre im Zuchthaus Sahara abgesessen haben werde, was winke ihm am andern Ende des Tunnels? Da hier, das Bild: die Braut Nénène, das Bräutchen mit den sentimentalen Kilometerbriefen, mit den tränenvollen Kalbsaugen, zu blutlos, zu raffiniert, um sich einem Mann ohne den Ring am Finger hinzugeben, und Jacquot stünde da! Jacquot mit gezücktem Segen! Und indessen sehe er, Villers, zehnmal des Nachts seine Zähne im Taschenspiegel an, ob das Saharawasser sie schon färbe – seine Haare, ob sein Scheitel sich schon lichte, er schlafe nicht, er liege da, und hasse die ganze Nacht, hasse, hasse diesen Jacquot ...

»Na, heute Nacht werden Sie schlafen«, sagte der Doktor und holte die Spritze aus dem Etui.

»Glauben Sie, ich lasse mich von Ihren schmutzigen Fingern anrühren? Glauben Sie, ich lasse mich von euch vergiften?« brüllte Villers. Aber der dicke Doktor hatte sechzehnjährige Praxis in solchen Fällen, und drei Minuten später bekam Villers seine Dosis doch. Sie wirkte beinahe sofort. Der Doktor löste ihm den gestickten Lendengurt, zog den Leblosen ächzend und schnaufend aus und brachte ihn zu Bett. Ein herrliches Stück Mann! Ein amberblasser Körper voll Muskeln, der vollendete Körper eines Fechters, Reiters, Schwimmers. Was hatte Basch-Agha-Djelloul gesagt? »In der Sahara ist das schlechteste Packkamel wertvoller als das schönste Syrierpferd.« Der Doktor breitete sorgsam die Decke über den Schläfer. Dann sah er auf die Uhr. Es war halb vier. Er tappte müde über den Platz, immer in Sorge, nicht auf die Liegenden zu treten. Die unbegreiflichen Sterne standen ganz nah über seinem Haupte. Manchmal glitzerten sie so stark, daß es schien, als schauderten sie in ihrer kalten Einsamkeit. Der Doktor, der nach ihnen sah, stieß sich hart an dem Mahlstein, den seine Negerweiber vor der Schwelle liegengelassen hatten.

*

Und dann fand Kapitän Villers sein Saharasteckenpferd. Nénène war es, die ihm dazu verhalf. Sie sandte dem Bräutigam mit jeder Post Pakete von Büchern, für die sie jeden ersparten Centime ausgab und die er niemals zu Ende las. Bis ihm eines Tages das Werk eines Professors in die Hand kam, das er durchblätterte, weil ihn der Name des Verfassers amüsierte, der Guenon: Affenweibchen, hieß. Die darin verfochtene These hätte Villers nicht sehr klar wiederzugeben vermocht. Aber ihm blieb die Idee eines sterbenden, eines im Selbstmord verblutenden Europas und der künftigen Sendung eines naiven, farbigen Volkes, dessen Herrscher Könige und Priester zugleich sein würden. Es war das erste Werk dieser Art, das Kapitän Villers zu Ende las, und es wirkte mit derselben Plötzlichkeit wie seine erste Morphiuminjektion. Er kam jetzt regelmäßig in die Popote, um seine Doktrinen darzulegen. Er wußte, welch ein Volk zu diesem Priesterkönigtum bestimmt sei: die Tuareg. Sie vor der rapid fortschreitenden Vernegerung, die der dicke Doktor durch seine phrenologischen Messungen belegte, zu retten, war Sache eines groß denkenden Mannes, und dieser Mann war er, Villers. Er würde mit dem Brauche aufräumen, der in diesem Reiche des Matriarchats herrschte, daß auch die von sudanesischen Raubsklavinnen einst geborenen Kinder als rechte Tuareg gelten sollten. Er würde ihre noble Größe zwischen Raub und Ruhe wiederherstellen, er würde ...

Jacquot lachte. »Ach, Edmond! Du phantasierst von den Tuareg und bist ja noch kein einziges Mal in den blauen Bergen gewesen! Ich muß übermorgen hinauf, um die Kamele des groupe mobile zu übernehmen, die ich auf die Sudanweiden geschickt habe. Wie wär's, wenn du mitkämest? Du kannst eines von meinen Mehara reiten!«

Der dicke Doktor und Geneviève tauschten einen kurzen Blick, worauf ersterer sofort erklärte, gerade jetzt Impfungen bei den Tuareg vornehmen zu müssen. Aber alle Vorsicht schien unnötig. Es war, als sei in jenem neunzehnstündigen Schlaf alle Animosität Villers gegen Jacquot verraucht. Und der kleine Leutnant strahlte, weil er Edmonds »Saharaspleen« mit seiner eigenen inbrünstigen Saharaliebe verwechselte.

Villers hatte niemals so tintenblaue Berge gesehen, mit vom Morgenrot so rosafarben überglühten Spitzen. Niemals hatte er mit dem Begriff der Sahara einen solchen Bergriesen vereint wie den Ilaman, den höchsten Gipfel des Hoggarmassivs, den er vor sich aufsteigen sah. Abends schlossen sich die Felsen schwärzer und senkrechter um sie als die Wände einer Gruft, über der die Geier kreisten. Und des Nachts sah der Kapitän die Gewehrtänze von Jacquots Schaamba um das Lagerfeuer zur Musik von Reita und Negertrommel. Die Nachtstille um das Zelt war so groß, daß sie wach hielt wie Lärm. Er hörte die Feneks, die kleinen, scheuen Wüstenfüchse bellen, kurz von Drifs verhaltenem Knurren beantwortet. Nah klang das Atmen Fremder. Sand rieselte im Wind, es war, als höre man die Uhr des großen Vaters Zeit verrinnen. Die Stunden im Sattel, vom Gang des Vollblutkamels wie von einer Wiege geschaukelt, reihten sich aneinander. Jacquot hielt das Schachbrett vor sich, und er und der Doktor spielten, so gut es eben ging, im Reiten, wobei Jacquot vor Glück falsch und leise vor sich hinsang.

Da endlich blühte es wie ein riesiges Feld roten Klatschmohns vor ihnen auf. Das waren die Schaflederzelte der Tuareg, aus denen die Männer ausschwärmten. Araber würden gelacht haben, geschrien, geschossen, gewinkt. Diese müßigen Krieger und Sieger und Räuber von einst kannten weder Lärm noch Eile. Villers war überrascht, die königliche Würde seiner Wirte zu sehen. Sie kamen heran in ihren tiefblauen Mänteln, mit dem Tagelmust bediademt, rätselhaft verhüllt von diesem Schleier, hinter dem sie selbst die Speise zum Munde führten. Sie hatten niemals daran gedacht, die knabenschmalen, weichen Hände uralten Adelsstammes mit Arbeit zu beschmutzen. Aus ihrem kargen Bergland ausbrechend, waren sie in jahrhundertelangen Raubzügen in den Süden des üppigen Sudans eingefallen, sich Sklaven für ihre Fron zu holen, Weizen für ihre Steinmühlen und Mädchen für ihr Zelt. Immer noch hatten sie nichts als ihren Schild, ihre Lanze, ihr Schwert, in diesem Zeitalter der Tanks, der Flugzeuge, der Maschinengewehre. Sie waren dem Tode geweiht, wenn nicht ein Wunder sie rettete, und der Wundertäter wollte er sein, Kapitän Villers ...

Die drei Gäste kauerten auf den Antilopenfellen im Zelte des Amenokhal. Vor ihnen hockte Akhamuk selber, ein Riese, mit ergrauten Brauen über den wilden Adleraugen. Auf seiner Brust raschelten bei jeder Bewegung die unzähligen Lederetuis seiner Amulette aneinander; hinter ihm drängten sich seine Söhne und Verwandten wie Fememasken. Akhamuk sprach Tamahequ, die Sprache seiner Ahnen, mit Jacquot, der liebenswürdig lachend abzulehnen schien, immer wieder kopfnickend, was der Targui als Zeichen der Verneinung nimmt. »Was will er eigentlich von dir?« fragte Villers.

»Die Getreidequote will er erhöht haben!« lachte Jacquot.

»Na und? Sie bekommen ja eigentlich wirklich wenig Korn«, warf Villers ein.

In der nächsten Sekunde blitzten ihn Akhamuks wilde Augen über dem Schleier in solchem Aufglühen an, daß er beinahe erschrak.

»Fällt mir nicht im Schlafe ein! Damit er weiter seine Negerhirse frißt und mir unsern Depotweizen durch M'hemmed, den Mozabiten, zurückverkauft? Und die ganze Sahara über mich zu lachen hat? Ah ça, non! Gib acht, du! Ich lege meine Hand ins Feuer, daß der alte Fuchs jedes Wort versteht, das wir sprechen.«

Jacquot klopfte dem Amenokhal, der jetzt mit gesenkten Lidern dasaß, auf die Schulter und gab seiner Ordonnanz Ousman einen Wink, die bereitgehaltenen Geschenke aus Salz, Menthetee, Zucker und Komißtabak zu übergeben.

Die Tuareg haben es noch nicht vergessen, daß einst die Sahara vor ihnen zitterte. Sie haben zwar gelernt, daß weiße Gäste Betteln anscheinend für höflicher halten als Raub, aber sie greifen zugleich mit der Bitte nach allen Besitztümern, die ihnen zusagen. Das Ergebnis ist nicht sehr verschieden von den Plünderungen ihrer stolzen Vergangenheit.

Im Nu waren Uhr, Zigarettentasche, Feuerzeug, Taschenbussole, Brieftasche, kurz was Villers bei sich trug, in ihren Händen. Aber der dicke Doktor und Jacquot hatten ihre Art, mit diesen wilden, großen Kindern umzugehen; am Ende behielt trotz dem bewegten Bild keiner mehr, als was der kleine Leutnant ihm von Anfang an zugedacht hatte. Der Sohn des Amenokhal, Auquhal, hatte die ganze Zeit den Kapitän nicht aus den Augen gelassen. Beim Abschied stellte er eine Frage.

»Was will er?« fragte Villers. Jacquot lachte. »Er sagte, es gäbe heute abend einen Ahal, und fragte, ob du hingehen wirst?«

»Khif und Mahbrouka«, murmelte der dicke Doktor.

»Natürlich denken sie an Khif und Mahbrouka! Aber wir werden trotzdem hingehen«, lachte Jacquot aus vollem Halse.

»Was ist das, ein Ahal?« fragte Villers und blieb stehen, um seine Zigarette anzuzünden. Gleich darauf riß er mit einem Fluch seinen Fuß zurück. Eines von diesen splitterfasernackten Negerkindern, die überall herumkrochen, spuckte aus Leibeskräften auf seinen nackten Fuß in der Tuaregsandale und war eben bemüht, mit dicken Fäusten die »weiße Farbe« abzureiben.

»Ja, früher einmal war so ein Ahal ein Siegesfest«, erklärte Jacquot. »Die Frauen besangen zu ihren Lauten die Siege der heimkehrenden Krieger, und die Schönste und Klügste ward der Lohn des Tapfersten. Aber jetzt, wo wir vom groupe mobile dazu auf der Welt sind, auf sie aufzupassen, und sie, gottlob, Ruhe geben müssen, ist der Ahal nur mehr – na ja – ein Zelt ohne Licht, in dem sehr viele junge Mädels und Burschen zusammen sind. – Äußerst lustig.« –

»Und du gehst immer hin?« fragte Villers. Er hatte zugleich das Gefühl des Triumphes, seinen Duckmäuser von Schwager ertappt zu haben, und eine gewisse Entrüstung, daß dieser sein Schwager ihn »an solch einen Ort« führen wolle. Aber Jacquot war ein Saharien, der Wasser und Vergnügen nahm, wo er es fand. Den Vorwurf, der in der Frage lag, hatte er ganz anders verstanden.

»Eigentlich ist es auch eine Gemeinheit gegen die armen Kerle! Der Targui hat ein sehr waches Respektgefühl, und wenn Weiße zum Ahal kommen, schleicht er genau so aus dem Zelt, als ob sein Vater oder Onkel einträte. Aber, da wir ja nicht so bald wieder herkommen ...«

So erlebte Villers einen Ahal und lernte das Khifrauchen kennen und Mahbrouka. Für gewöhnlich lebt eine Targuia bis zur Eheschließung so frei wie nur eine Pariser Garçonne. Mahbrouka war die Tochter des Amenokhal und den französischen Offizieren gewogen. Villers vergaß, was er jemals über Männer gesagt hatte, die sich mit »Farbigen« einließen. Villers machte alle Spaße mit, die Neulinge entzücken; er ließ sich von Jacquot und den Mädchen mit Auquhals neuen Gewändern als Targui verkleiden, bedauerte tief, daß weder Spiegel noch Photoapparat zugegen waren, und wollte um jeden Preis Auquhals roten, gewebten Bortengürtel kaufen, bis er davon überzeugt ward, daß dies das Zeichen der Prinzenwürde und unverkäuflich sei. Es war ein hübscher Abend, und Villers wäre anderntags höchst vergnügt fortgeritten, obgleich sein Kopf dröhnte wie eine Negertrommel. Da aber begegnete er Dassin.

Niemals hatte Villers solche Augen gesehen. Es war, als trügen alle andern Frauen wie Totenschädel leere Augenhöhlen im Gesicht. Sie stand da und äugte nach dem Fremden, fluchtbereit und zugleich vom Ungewohnten gefesselt wie eine Damasgazelle. Riesengroß dunkelnd, feucht schwimmend staunten ihn diese Tieraugen an. Die Wimpern – dicht gebogen, blauschwarz, warfen Schatten wie die der Wollust auf die zarten Wangen, das blaue Hemd schlug im Morgenwind der Berge um ihre Glieder, im Faltenwurf antiker Statuen. Das schmale, längliche, ernste Gesichtchen schien Villers bezaubernder als alles, was er bisher gesehen oder geträumt hatte.

»Wer ist das?« fragte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. Mahbrouka war so oft mit Offizieren in Tamanrasset gewesen, daß sie ein wenig Französisch verstand. Sie antwortete im »petit nègre«: »Dassin. Mein letzter Schwester Dassin. Vater sie heiraten Ag-Aissa! Ai-ai – ai! Reich Ag-Aissa! ... Komm Dassin! Komm schnell! Der Sidi dir Douro geben – Douro!« Sie winkte und lachte.

»Verheiraten? Das ist ja noch ein Kind!«

»Hahaha! Nicht Kind!« Mahbrouka schüttelte sich in törichtem Lachen. Sie hob die gespreizte, mit Henna gefärbte Hand und deutete: »Fünf« und »fünf« und dann noch den Daumen. »Schon groß, Dassin. Komm – komm, Douro!«

Dassin tat ohne Eile ein paar Schritte, dann blieb sie stehen. Ihre vollendet geformten nackten Füße, so nervös beweglich und ausdrucksvoll wie Hände, scharrten im Sande. Der rechte häufte ein wenig blonden Sand auf die zarten Zehen des linken: Villers fühlte ein wildes Entzücken durch seinen Körper gehen. Er zog das Portemonnaie, ohne den Blick von ihr zu wenden, dann nahm er zwei Fünffrankenstücke heraus und hielt sie ihr auf der flachen Hand hin, so wie man Tiere mit Leckerbissen lockt.

Sichernde Gazellen setzen so die schmalen Füße, wenden so den schmalen Hals. Dieser Gang! Diese Haltung! Wie sie den Kopf trug! Der Scheitel verlief wie ein Kreidestrich zwischen den blauschwarzen, kompakt glänzenden Lackflächen der Haare. Die Enden der schweren Zöpfe waren hinter die Ohren zurückgesteckt. Die Flechten bildeten runde schwarze Ringe. Um den Hals trug sie braune, rote, blaue Lederamulette, die in Büscheln auf die kindliche Brust herabhingen. Jetzt war sie da; sie streckte die Hand aus, eine unvorstellbar zarte, unvorstellbar schmutzige Hand. Villers kehrte die seine um und ließ die beiden Douros in ihre Finger fallen, die niemals noch Arbeit getan hatten, und als er sie streifte, sich so seidig anfühlten wie die Händchen von Neugeborenen.

Dassin sah ihn an, ohne Dank, ohne Neugier, ohne Freude, ohne den geringsten seelischen Ausdruck in diesen herrlichen Tieraugen, dann wandte sie sich um und ging.

Auf dem Heimritt hatte Jacquot viel mit einem Kamelfüllen zu schaffen, um dessentwillen die Mutter immer wieder zurückblieb und die Karawane aufhielt. Endlich nahm Jacquot das warme, wollige, törichte Tierchen in den Sattel und verstaute dessen dumme Lattenbeine irgendwie auf seinem Schoß. Drif winselte kläglich und eifersüchtig, und die Mutterstute trabte neben Jacquots Kamel her, unausgesetzt ein unter einem Vordach liegendes Auge hergewandt und zärtliche Rufe gurgelnd. Jacquot lachte und pfiff und war sehr zufrieden; die Truppenkamele hatten alle »ihren Buckel neugemacht«, das heißt, sich in gute Kondition gefressen, und vier Füllen, gutes Halbblut, waren geboren worden. Der dicke Doktor schlief im Reiten. Jacquot aber gab gern auf Villers vielfache Fragen Antwort. Ja, sicherlich sei Dassins frühes Heiratsalter nicht das übliche, aber man könne es auch durchaus nicht ungewöhnlich nennen. Eine Targuia sei mit elf Jahren völlig mannbar, und Ag-Aissa sei eben sehr reich. Die gewöhnliche Brautgabe eines Targui betrage zwei oder drei Kamelstuten; Ag-Aissas Brautwerber aber – sein »alter Mann«, durch den der Heiratsantrag an den Vater zu erfolgen habe – hätte sechs Vollblutstuten geboten. Man sage bereits in den roten Zelten, daß Dassin nicht umsonst den Namen ihrer Urgroßmutter trage, jener berühmten Schönheit Dassin, von der man sang, »daß sie den Sandsturm in den Herzen der Krieger erregte«.

*

Man kam nach Tamanrasset, und das gewohnte Leben begann von neuem. Jacquot hatte den Befehl bekommen, auf »Brunnenvisitation« auszugehen, mit seinen Schaamba die vorhandenen, verwehten Wasserplätze der Karawanenstraßen vor Einbruch der Hitzeperiode instand zu setzen. Der Doktor und er saßen bei einer Abschiedspartie, als Yvonne von der Küche hereinstürzte. »Kinder! Wißt ihr was? Villers heiratet Dassin!«

»Deshalb stören sie uns in der Partie?« fragte der dicke Doktor und wandte den von der Konzentration gläsernen, starren, bösen Blick nach ihr. – In der Sahara genießen so sonderbar bunte Verbindungen den Namen der Ehe.

»Unsinn«, sagte Jacquot. »Ag-Aissa hat sechs Mehara für sie geboten.« Er zog.

»Das ist es ja eben! Akhamuk hat die sechs Stuten nicht angenommen!«

»Unmöglich«, sagte jetzt Geneviève, die bisher still ihre endlosen Zigaretten für die Männer gestopft hatte.

»M'hemmed geht bei Villers ein und aus. Er ist Villers' ›alter Mann‹. Er ist in den Bergen gewesen und hat Akhamuk sechs weiße Stuten für Dassin geboten. Mein Bouzou Selim war in den Bergen, er weiß alles. Gott, wenn ich mir den alten Akhamuk in der Popote als Schwiegervater des Herrn Kommandanten vorstelle!« Sie lehnte an der Wand und lachte.

Geneviève, die Jacquots Gesicht sah, stand auf und nahm Yvonne bei beiden Händen. »Jetzt mußt du erzählen, was geschehen ist«, sagte sie hart.

»Was geschehen ist?« Yvonne trocknete ihre Lachtränen. »Villers will gar nicht ›nur so‹ heiraten wie die andern. Er will sich ganz regelrecht den Tagelmust anziehen und sich auf acht Tage ins rote Hochzeitszelt sperren lassen wie ein echter Targui! Und er bietet sechs Mehara! Sechs Mehara wie Ag-Aissa, was wird Akhamuk jetzt anfangen?«

Der Telegraphist war aufgewacht. »Donnerwetter!« sagte er mit nicht ganz klarer Stimme. »Sechs Mehara und die Kleider – dreiundzwanzigtausend Franken unter Brüdern. Wo nimmt er die her?«

»Von M'hemmed natürlich! Auf Wechsel, die ...« Yvonne sah erst jetzt, daß Geneviève ihr hinter Jacquots Rücken verzweifelte Zeichen machte; sie brach stammelnd ab.

»Wohin wollen Sie, Forlan? Sie dürfen jetzt nicht zu ihm!« rief Geneviève, sich ihm entgegenwerfend.

»Nein, nein, Jacquot! Sie dürfen sich auf keinen Fall einmengen!« sagte jetzt auch der dicke Doktor.

»So? Ich darf nicht? Meint ihr das, weil er mit Nénène verlobt ist? Deshalb soll ich einen Kameraden ins Unglück rennen lassen? Ja, wißt ihr denn nicht, daß Akhamuk Dassin lieber für fünf Douros an jeden von uns verkauft, als daß er es zugibt, daß über einen Franzosen, einen Weißen, im Brautzelt die Suren gesprochen werden? Nie im Leben! Akhamuk wird die sechs Kamele nehmen und ihn erschlagen wie einen Hund.«

»Na, wäre da schade drum?« gähnte der Telegraphist.

»Doktor, sagen Sie es ihm! Er kann ja doch nicht zu ihm gehen!« rief Geneviève. Da Jacquot sie fortschob, schrie sie auf. »Was geht mich Villers an, du gehst mich an!« und überwältigt, in einem Ausbruch alter, so lang verhohlener Leidenschaft, für den Jacquot kaum ein Ohr hatte – faltete sie die Hände vor dem Kinn. »Du willst zu ihm gehn, zu diesem Kerl, der sich bei jedem Bouzou über dich beschwert, über das Unrecht, das du ihm getan hast? – Lassen Sie mich, Doktor, jetzt muß ich sprechen oder ich ersticke! Weißt du, daß dein geliebter Freund, um den du solche Angst hast, herumgeht und erzählt, daß du ihn in den Hoggar verlockt hast, nur um deine Schwester an ihn zu verkuppeln? Hat er es Ihnen nicht auch gesagt, Doktor? Jetzt müssen Sie reden!«

»Nun, nun, so kraß ist das nicht gewesen«, knurrte der Arzt.

»Was? Nicht so kraß? Na, es war noch viel mehr, was er mir erzählt hat, dieser Kerl, die Tuareg sind nicht dumm! Weißt du, wie sie ihn nennen, dein Vorbild? Dein Idol! ›Tschuuk‹ haben sie ihn getauft. Du weißt, was das heißt: Die Termitenlarve, die alles zerfrißt und zerstört. Dein Villers! Dein Abgott, neben dem für dich schon überhaupt nichts mehr auf der Welt existiert!« Geneviève warf sich mit Aufschluchzen in Yvonnes Arme.

Jacquot stand da, das Kinn zur Brust gesenkt, ohne Geste, ohne Wort.

»Kleiner!« sagte der dicke Doktor. »Nehmen Sie ihn und sie nicht tragisch! Das ist die Sahara, die uns alle verrückt macht.« Und er wandte sich an Geneviève und schrie sie an: »Hysterische Sachen, das! So nehmen Sie sich jetzt gefälligst zusammen«, worauf wirklich ihr Schluchzen, das Yvonnes liebevolles Mitleid nur gesteigert hatte, in ein stilles Weinen überging. Er fuhr fort: »Jacquot, Sie müssen doch einsehen, daß Sie Villers, der so halb und halb verrückt zu sein scheint, jetzt nicht mit Ratschlägen kommen dürfen!«

»Gewiß, danke«, sagte Jacquot, ohne den Blick zu heben. Sein Gesicht war so sonnverbrannt, daß es nicht blaß werden konnte, aber um die Augen standen tiefe Ringe.

»Ich gehe jetzt mit Ihnen. Wollen Sie ein Schlafpulver?« fragte der bekümmerte dicke Doktor.

»Danke, ich möchte lieber allein sein«, sagte der Leutnant. »Gute Nacht«, und ohne Geneviève in das verstörte, verweinte Gesicht zu sehen, das sich inbrünstig flehend zu ihm hob, ging er hinaus. Die Stäbchen klingelten und klirrten und klingelten.

In diesem Saal, der wie eine Begräbnisstätte aussah mit seinen schwarzgeteerten Wänden, lagen zwei Gestalten über die abgegessene Tafel geworfen. Der Telegraphist, der schlief, und Geneviève, die weinte.

»Liebe Yvonne«, sagte der dicke Doktor, »können Sie mir erklären, warum der da oben die Sahara geschaffen hat? Ist ihm die Wüste in unsern Herzen immer noch nicht groß genug gewesen?«

*

Zwei Tage später hielt Villers mit Hilfe seines Dolmetschers Gericht, als Jacquot ins Bordj kam. Der Leutnant war mit einer Genauigkeit gekleidet, als gelte es eine Parade. Er stand stumm und stramm in einem Winkel des überfüllten Raumes, während Villers etwas geniert durch seine Anwesenheit, aber keineswegs unklug oder ungerecht, seine Urteile fällte. Aber sonderbar genug, bei jedem Urteilsspruch wandten sich aller Augen dem schmalen, kleinen Leutnant zu, als wollten sie dessen Bestätigung von seinem reglosen Gesicht ablesen. Endlich gewahrte dies auch Villers, und seine Nervosität verstärkte sich.

Als der letzte Fall erledigt war und die Halle sich leerte, begrüßte Villers mit überströmender Herzlichkeit den Gast. »Wirklich nett, daß man dich einmal hier sieht, alter Bursche. Was darf ich dir als Apéritif anbieten? Rauchst du nicht? Hier sind Abdullah – hier hast du golden flake ... Nicht? Bist du aber feierlich! Womit kann ich also dienen?« Er hat doch Wind bekommen und wird mir jetzt in Nénènes Namen die Hölle heiß machen, dachte Villers.

Jacquot hob den Kopf, und Villers sah einen Ausdruck in seinen Augen, den er nicht kannte und der sein Unbehagen noch verstärkte.

»Ich habe an Basch-Agha-Djelloul telegraphiert und soeben seine Antwort erhalten, die ganz so ausfiel, wie ich annahm«, begann Jacquot vollkommen ruhig. »Er und ich werden die Angelegenheit deiner Werbung um Dassin regeln.«

»So! Und wenn ich dir sagen würde, daß ich meine Privatangelegenheiten selbst zu regeln gewohnt bin und auf deinen Basch ...«

»Verzeih«, sagte Jacquot sehr still. »Aber dies ist keine Privatangelegenheit mehr. Es ist ein Angelegenheit der ganzen Sahara. Du hast M'hemmed, den Mozabiten, zu Akhamuk gesandt. Du wirst ihn sofort für heute abend herbescheiden und wirst ihm die fünftausend Franken zurückerstatten, die er dir in bar gegeben hat. Wieviel davon besitzest du noch?«

»Etwas über zweitausend, aber ...«

»Hier sind dreitausendfünfhundert Franken, der Rest gebührt M'hemmed für die Mühe. Dies ist das eine. Das andre ist aber, daß kein Offizier, kein Kommandant, wenn er schon in Wettbewerb mit einem Ag-Aissa tritt, soviel bieten darf wie dieser. Er darf auch keinen Makler zu seinem ›alten Mann‹ machen. Laß mich ausreden! Dein ›alter Mann‹ wird Basch-Agha-Djelloul sein, der größte Kaid der nördlichen Sahara, und er wird dir auch die Brautwachen stellen. Er hat den Autobus noch erreicht und ist unterwegs hieher, um dem Amenokhal zwölf Meharastuten für dich zu bieten.«

»Zwölf Mehara – das ist ja ein Irrsinn, woher soll ich soviel Geld nehmen?«

»Nicht von M'hemmed allerdings; du wirst es von Basch-Agha erhalten.«

»Unsinn! Warum sollte er es mir geben? Dafür, daß ich ihn damals mit der Reitpeitsche bedroht habe?«

Der Schatten eines sarkastischen Lächelns flog über Jacquots Gesicht. »Du siehst, es empfiehlt sich nicht immer, mit der Peitsche zu drohen! Djelloul hat einen Bürgen.«

»Einen Bürgen?«

»Mich!«

Es zuckte über Villers' Gesicht.

»Jacquot«, sagte er, »ich will das alles nicht! Du darfst nicht denken, daß ich ein Lump bin. Ich habe es nicht um Dassins willen getan, sondern um den Sohn zu haben, der Professor Guenons Priesterkönig werden soll ..., aber jetzt verzichte ich ...«

»Nein«, sagte Jacquot, »dazu ist es zu spät. Wenn die Tuareg vor uns vom groupe mobile einmal den Respekt verloren haben, dann steht die Sahara in Flammen. Du wirst in Dassins Zelt gehen, sobald der Basch-Agha ankommt.«

Villers streckte Jacquot die Hand hin. »Jacquot«, sagte er, »verzeihe mir! Du bist ein Freund, wie es wenige gibt.«

Der Leutnant nahm die Hand nicht. »Du verstehst mich nicht – hast mich nie verstanden«, sagte er. »Ich bin dein Freund nicht mehr, und ich werde niemals verzeihen.« Und er schlug die Tür hinter sich ins Schloß, die Eichentür, die endlich aus Algier gekommen war.

*

Und dann lief durch die ganze Sahara die Nachricht von dem Kapitän, der den Tagelmust angelegt hatte und den blauen Mantel, der aus schmalen Stoffstreifen zusammengenäht war, und der die verschleierte Braut ins »Achttagezelt« getragen hatte, um das die edelsten Falkenjäger Basch-Agha-Djellouls Wache hielten. Man hatte am Spieß gebratenes Lamm gegessen und im Sand geröstetes Gazellenfleisch und Kuskus aus Weizen, l'hamdoulillah! Nicht einmal war Negerhirse aufgetragen worden, und drei Tage war Basch-Agha-Djelloul dageblieben und volle acht Tage sein Schwiegersohn Scherif, der die zwölf weißen Maharastuten gebracht hatte.

»Und wo war der Kleine?« fragten die Araber. »Wo war der Lioutnant Forlan?«

Worauf der Erzähler ein Auge einzukneifen pflegte.

»Auf Brunnenrevision im Tin Zauaten-Gebiet – schon fast drüben im Adrar!«

Am letzten Abend dieser acht Tage führte Villers seine Frau nach Tamanrasset. Er hatte die blau abfärbenden Tuaregstoffe satt. Dassin trug ein Gewand aus schwerer, weißer Seide, aus dem Nacken und Arme sanft braun leuchteten. Silberne Ohrringe mit einem Durchmesser wie jene der »Dame von Elche« waren mit Lederschnürchen an ihren Ohrmuscheln befestigt. Die massiven, halb offenen Arm- und Fußreifen, die Münzenketten und Schnüre arabischen schwarzen Ambers gaben ihrer teilnahmslos süßen Schönheit einen Rahmen von barbarischer Pracht. Ihre Wimpern waren von Khol so schwer, daß sie aneinanderklebten und wie Flügel eines Trauermantels zitternd sich hoben und senkten. Sie hielt Zeige- und Mittelfinger gespreizt auf ihre Amulettbüschel gelegt, um bösen Blick zu bannen. So ging sie in tierhafter und stolzer Anmut an den unzähligen farbigen und den beiden weißen Frauen vorbei. Sie stieg die Treppe zum Bordj hinan, immer nur eine Stufe nehmend wie antike Priesterinnen bei ihren Kultgängen, und die Falten ihres Gewandes glitzerten wie Silber. Hinter ihr schritten, wie in den Hintergrund des Nachthimmels eingelegte dunklere Silhouetten, ihre beiden Negersklavinnen, von deren Pechfackeln lange Funkenbänder flatterten, und der kleine Junge, der ihre Lieblingsziege führte.

Villers sprang vom Pferde, das Basch-Agha-Djelloul ihm geschenkt hatte. Er hatte eine Kammer neben dem Saal für Dassin eingerichtet, und sein Herz ging über vor Entzücken, als Dassin in diesem Bordj seiner wartete, wo er einsamer als »masque de fer« auf seiner Insel gelebt hatte.

Wenn Villers sie nur ansah, ward er toll. Dassin war alles zugleich, Tier und Teufel, Sklavin und Kind und kalte Königin, deren Augen voll erheiterter Grausamkeit glitzerten. Er stellte sich selber die Aufgabe, zu erraten, wie Dassin seiner Glut heute begegnen würde. Etwas von dem allnächtlich neuen Zauber der Scheherezade lag über diesem Kind mit dem zerbrechlichen Körper und dem vererbten Lächeln von Siegerinnen, um derentwillen Männer Kriegsfahrten unternommen und ganze Landstriche verödet zurückgelassen hatten.

Bisher hatte für Villers der Gedanke, daß eine Frau ein Kind von ihm empfangen könne, genau solch eine Schreckensdrohung bedeutet wie für andre Männer seines Schlages. Aber in diesem Geschöpf ein neues Geschlecht zu wecken, ward für ihn zu einem Traum der Besessenheit. Einmal, als er, vor Dassin kniend, von diesem Traum sprach, sah er ein unverständliches Lächeln über ihre Züge gehen. Je länger er sie kannte, um so weniger schien er sie zu kennen. Niemals hatte sie einen Dank für die Geschenke, mit denen er sie überschüttete, aber auch niemals ein »Nein« für seine Bitten. Villers begann heimlich »Tamahequ« zu lernen, um sie besser zu verstehen, um ihr näher zu sein. Manchmal hätte er diesen zarten Schädel aufstemmen, aufschlagen mögen, um zu sehen, was für ein Geheimnis dahinter liege, oder ob er bloß schwarze Leere berge wie eine hohle Nuß.

Nur eine Möglichkeit gab es, sie offen, heiter und auch jubelnd zu sehen, das waren die Besuche von Leuten ihres Stammes, die anfingen, bei Villers ein und aus zu gehen. Wann immer er das völlig verdunkelte Zimmer Dassins betrat, saßen da verschleierte Männer und unverschleierte Frauen, und Gelächter und Geplauder verstummten wie damals, als er in das Zelt des Ahal getreten war; er wußte nicht, ob aus Ehrfurcht oder weil er Gegenstand der Unterhaltung gewesen war. Das Haus quoll über von Gastgeschenken seines Schwagers Auquhal, Lanzen, weißen Schilden, Dolchen, Sudandecken, Schalen aus dünn gehämmertem Leder, die durchscheinend waren wie Schildkrot, aber es schien Villers trotzdem, als sei es dieser ewigen Gastmahle zuviel, zuviel dieser dampfenden Schüsseln von Weizenkuskus, dieser Berge flacher Weizenbrote. Als er jedoch einmal Dassin gegenüber eine Erwähnung machte, zitierte sie mit blitzenden Augen ein arabisches Sprichwort: »Wer die Tochter des Soldan freit, darf nicht Eseldung klauben.« Er schwieg verletzt und hing ihr am Abend eine herrliche Bernsteinkette aus Ibrahims Laden um, nicht sonderlich von Dassin bedankt. Er begann jetzt selbst schnell gesprochenes Tamabequ zu verstehen und konnte bei Gerichtssitzungen den Dolmetsch entbehren. Immer aber verheimlichte er der Targuia noch seine Kenntnisse, von einem tiefen Unbehagen gewarnt, das er sich selbst als Wunsch, sie bei guter Gelegenheit zu überraschen, auslegte. Eines Tages, als Schwägerin Mahbrouka nebenan saß, vernahm er eintretend ein Gespräch. »Hoffentlich versäumst du nichts, und sie zahlt nicht am Ende die schönen Kleider zu teuer«, sagte Mahbrouka. Worauf die alte Negerin – eine schmutzstarrende Hexe, die Villers haßte – beruhigend ihre Antwort kicherte: »Wir haben die Kräuter noch alle daheim getrocknet.« Villers Knie zitterten. Er sprang zum Schreibtisch und schlug in seinem dünnen Lexikon nach, aber die Worte schienen nichts andres als diese dunkle Drohung, die zu verstehen er nicht wagen wollte, zu beinhalten. Er grübelte lange darüber nach und war endlich entschlossen, Dassin seine Sprachkenntnisse einzugestehen und von ihr selbst die Aufklärung zu verlangen, was für Kräuter gemeint seien. Er fand sie so strahlend heiter, wie sie nur die Besuche der Ihren zu stimmen vermochten, was er eifersüchtig erkannte. Sie griff mit schmalen bösen Händen schmerzhaft zausend in sein Haar und bat: »Kapitän?!« Keine Targuia nennt den Weißen, mit dem sie lebt, anders als bei seinem Rang, und Villers' Bitten hatten sie noch nie vermocht, ihn beim Vornamen zu nennen.

»Nun? – Du tust mir ja weh.«

Sie lächelte und sagte im petit nègre: »Mahbrouka sagen, armer Vater, nie mehr guten Kuskus. Immer nur Beschna, Beschna! Du geben Akhamuk Weizen? Jiji? Viel?«

Villers riß sie auf, um im flackernden Öllicht ihr Gesicht zu sehen, dann stieß er sie zurück, daß ihr Kopf an der Wand aufschlug. »Hat man dich dazu abgerichtet? Ja? Ich soll ihnen die Quote erhöhen? Damit er M'hemmed meinen Weizen verkauft?« brüllte er und wußte gar nicht, daß er Jacquot zitierte. Ihrer Zärtlichkeit gelang es kaum, ihn zu besänftigen. Er war außer sich über sie, über die Feinde, die ihn umstellten, über dieses ganze Gefängnis Sahara. Dassin sprach nie wieder darüber, jedoch Villers ließ den Schlüssel zum Depot jetzt ebensowenig von sich wie jenen zur eichenen Tür, die er versperrte, wenn er das Bordj verließ.

Aber er verließ es nur selten. Die Sommerhitze lag über Tamanrasset und hatte alles in Staub und Feuer verwandelt. In dieser diamantenglitzernden, unbarmherzigen Hölle, die in jedem Glimmerstäubchen Reflexe weckte, in dieser unvorstellbaren Sonnenglut, ohne die Erleichterung eines Windhauches, krochen die Weißen wie kranke, blasse Schatten umher oder wie gereizte, wilde Tiere. Auf Villers' Tisch türmte sich die Post; er fluchte, wenn er sie nur sah. Nénènes dicke Briefe – stets doppelfrankiert – warf er ungelesen in den abgeschnittenen Ölkanister, der die Stelle eines Papierkorbes vertrat. Aber Nénènes Bild stand immer noch da, weil Dassin es einmal, als er unvermutet eintrat, in den Händen gehalten hatte, was er befriedigt für Eifersucht nahm. So sah Jacquot Nénènes Antlitz im termitenbenagten und geteerten Rahmen immer noch wie das Bildnis einer tränenvollen Heiligen in einer durch Brand zerstörten Kirche Wache halten, wenn der Dienst ihn ins Bordj führte. Aber er war selten in der Station. In diesem furchtbaren Sommer, der keinen Zweig Kamelfutter und keinen Tropfen Wasser übrig lassen zu wollen schien, war der groupe mobile in endlosen Gewaltmärschen unterwegs, und seine lebenswichtigen Brunnenrapporte gingen allwöchentlich an alle Stationen im Norden.

Eines Morgens gegen 3 Uhr ging Jacquot über den Platz hinüber ins Bordj. Hinter ihm marschierten Ousman und ein paar Bouzous mit Getreidesäcken. Ousman klopfte an die Tür des Bordj, und Jacquot wartete am Fuße der Treppe und sah zum Himmel auf. Der Dunst lag wie ein brauender, opalener Nebel über der Stadt, und jetzt schon hatte man das Gefühl, in fortgesetzter Folter Millionen von winzigen Sandteilchen mit jedem Atemzug der gequälten Lunge zuzuführen. Jacquot hatte den Schesch über den Mund gezogen und trug zwei Burnusse in Leinen und dünner Wolle, denn die Sonne weckte beim Ritt wie glühendes Eisen Brandblasen auf jedem Stückchen bloßer Haut. Das Schloß knackte drinnen, Villers kam mit dem Schlüssel.

»Rationen für vier Wochen und 32 Mann, drei neue Bocksschläuche, eine Rachla«, meldete Ousman.

Villers salutierte und schlurfte noch völlig schlaftrunken in Tuareghosen, den Burnus über die nackte Brust geworfen, vor ihnen her. Im Depot prüfte Ousman fachkundig Schläuche und Sättel, ehe er die gewählten Stücke dem Bouzou aufpackte. Indes schloß Villers gähnend die Tür zur Weizenkammer auf... Ousman ließ ein verblüfftes Zungenschnalzen hören, und Jacquot trat einen raschen Schritt vor.

»Was ist denn los?« fragte Villers, der ihre Gesichter sah.

»Siehst du denn nicht?« fragte Jacquot durch die Zähne.

Bis auf den einen Getreidehaufen war der riesige Speicher leer. Niemals hatte Villers, wenn er diesen Haufen ansah, daran gedacht, wieviel »Quoten« er wohl gäbe. Jetzt war sein erster Gedanke Tuaregraub – sein zweiter – nächtlicher Schlüsseldiebstahl durch Dassin. Schweiß stand auf seiner Stirn.

»Ich schwöre dir bei allem, was du willst: ich habe die Quote nicht erhöht!« stammelte er unter Jacquots Blick.

»Nein, aber ihnen drei Monate lang Festmähler gegeben«, erwiderte Jacquot sehr leise und sehr kalt. »Ousman, wieviel können wir nehmen, ohne daß die Station Hunger leidet?«

Der Araber schätzte mit schnellen Augen. »Kaum für die erste Woche, mein Leutnant.« Er wandte sein verstörtes Gesicht von Villers zu Jacquot. »Und die Erntekarawanen kommen nicht vor fünf Wochen aus dem Norden.«

Jacquot holte tief Atem: »Dann werden wir eben Beschna fressen«, lächelte er.

»Mein Leutnant! Für dich packe ich den Weizen auf mein Mehari, das brauchen die andern ja nicht zu wissen.«

»Ousman, du bist dreieinhalb Jahre bei mir und glaubst, daß ich Kuskus fresse und meine Schaamba Beschna?«

»Mein Leutnant, zu trinken haben die Meharisten nichts, wenn sie auch nichts zu essen haben, werden sie wild sein wie der Teufel.«

»Nimm zwei Bouzous und schaufle ein, was wir nehmen dürfen, und laß die andern heimgehen.«

»Jacquot«, flüsterte Villers, und sein Gesicht zuckte. »Nimm, was du brauchst, nimm alles, was da ist! Ich habe es nicht gewußt, ich schwöre es dir, ich habe es nicht bedacht! Ich telegraphiere nach Algier.« Eine Hoffnung stieg in ihm auf. »Oder an den Basch-Agha, der muß uns doch Weizen verschaffen können?«

»Vor der Ernte?« achselzuckte Jacquot. »Sowenig wie ein Bauer daheim Rauchfleisch vor dem Herbstschlachten.« Und dann, beinahe mitleidig vor diesem schweißüberperlten, fahlen, unrasierten, so gar nicht mehr schönen Gesicht, tröstete er: »Ach was, wir werden schon irgendwie durchkommen.«

Er marschierte zurück, Ousman und drei Bouzous hinter sich. Der grünliche Nebel war fort. Der östliche Himmel war wie in schmerzlicher Entzündung gerötet, bald würde die Sonne hervorbrechen wie ein riesiges böses Geschwür. Villers saß in der stockdunkeln Kammer auf seiner Seite des Bettes und horchte auf die bekannten Laute des Aufbruches, das Gurgeln der Kamele draußen, denen die Kniefesseln abgenommen wurden, Drifs Gebell, die Flüche, die Laufschritte, die Befehle. Diesmal gab es keine Reita, keinen Gesang, keinen Gewehrschuß. Sie wußten es alle schon, daß sie hungern würden, weil ihr Kommandant Festmahle gegeben hatte. Im Dunkeln schlug Villers die Hände vors Gesicht.

Mit Tagesanbruch saß er in des Telegraphisten winzigem Office und jagte Depeschen an alle Getreidefirmen hinaus, deren Quittungen vom Vorjahr er unter Kapitän Roffos Papieren gefunden hatte. Der Telegraphist lachte ihm ins Gesicht. In fünf Wochen kam der große »Azalay«, die Getreidekarawane vom Norden. Wollte Villers frühere Getreidesendungen, so mußten sie per Flugzeug erfolgen und – von den Kosten abgesehen – wieviel Getreide konnten die leichten, für Aufklärung oder Postdienst geschaffenen Flugzeuge wohl befördern? Die ganze Zeit saß Geneviève dabei und »stürzte« ein zerrissenes Spitalsleintuch. Wenn sie den Kopf hob, und Villers ihren völlig abwesenden Augen begegnete, hätte er zu weinen anfangen mögen. Als er zum Essen heimkam, war er so niedergeschlagen und verzweifelt, daß er das eingebundene Gesicht der alten Negerhexe gar nicht bemerkte. »Wo petite mata?« fragte er, als Dassin nicht kam. Statt aller Antwort lief die Alte hinaus, fluchend, murmelnd und stöhnend. Villers rannte in die Kammer: »Was ist dir?« fragte er. »Bist du krank?« und als primitivste Lichtquelle ließ er sein Feuerzeug aufflammen. Mit einem dumpfen Laut flüchtete Dassin vom Lager fort, als bringe seine Berührung Tod und Verderben.

»Was hast du?« fragte er und begriff auch schon. »Das Kind? Ist es wirklich das Kind? Dassin!«

Ein Tränenstrom antwortete. Er faßte sie, er trug sie hinaus, er lachte, er lachte vor unbändigem Glück, und während sie, rasend über sein Lachen, ihn biß und kratzte und mit beiden bösen, schmalen Fäusten trommelnd auf ihn einschlug, lachte er über ihre schwache Gegenwehr nur in um so größerem Triumph. Endlich würde er den Sohn haben! Dassins Sohn! »Guenons Sohn!« dachte er ...

Er hatte Jacquot und die Telegramme vergessen.

*

Dassin lag gegen die Wand gekehrt, stundenlang, tagelang, ohne Regung, ohne Wort; wenn Villers sich über sie beugte, hatte sie eine sonderbar geduckte, schiefe Kopfhaltung, wie gezähmte Leoparden, die nicht wissen, ob die herankommende Hand sie streicheln oder schlagen wird. In manchen Augenblicken las er in ihren Augen einen wilden und beinahe höhnischen Haß. Manchmal warf sie sich in seine Arme wie ein Spieler, der alles verloren hat, noch seinen letzten Jeton achtlos hinschleudert. Er begann Angst vor ihr zu empfinden, er schlief wieder im großen Saal wie einst, seit er ihr Gesicht über des Bruders schmales Sudanmesser geneigt gesehen hatte, dessen Griff Kaurimuscheln deckten und dessen Schneide scharf war wie ein Skorpionstachel. Am achten Tage ging er ins Spital hinüber. Der dicke Doktor hatte seit Jacquots Aufbruch Villers' Gesellschaft nicht gerade gesucht. Jetzt hörte er ihn an und zuckte die Schultern.

»Villers, ich kann nicht sagen, daß Ihr Erscheinen bisher den reinen Segen über die Station gebracht hat. Und was da noch werden soll, wenn Dassin wirklich gravid ist, entzieht sich meiner Berechnung. Gestern war ihre alte Negerin bei mir und ist mir zu Füßen gefallen, weil sie gehört hat, weiße Ärzte hätten ein Lederamulett, das die Gravidität von den weißen Frauen fortzaubere. Ich wollte, ich hätte es, dann säße ich in vier Wochen im Häuschen meiner Schwester in Crosde-Cagnes, schneiderte nichts als Amulette und würde Milliardär! Als ich ihr so was auf Tamahequ mitteilte, ward sie vollkommen wild und sagte, wenn ich nicht helfen wolle, dann hätte ich mir die Folgen zuzuschreiben. Wissen Sie, die Bestellung dieser algerischen Eichentür war vielleicht nach alldem nicht das schlechteste, was Sie gemacht haben.«

In diesem Augenblick kam der Telegraphist. Es war fünf Uhr abends, und er hatte bereits »einiges hinter sich«. Er schien äußerst gut aufgelegt zu sein: »Ich habe Sie überall gesucht«, sagte er zu Villers. »Diese Depesche wollte ich Ihnen denn doch persönlich überbringen.«

Villers nahm sie. »Das geht mich ja gar nichts an«, sagte er zerstreut. »Das ist ja für Sie, Doktor.«

»Doch!« kicherte der Telegraphist. »Es geht Sie ganz besonders an.«

»In-Amdjell«, las der Doktor. »Angekommen – Eigenwagen. – Mme. Laurent und Mlle. de Forlan« – er sah fassungslos auf, in Villers' schreckengeweitete Augen. – »Was? Wo? In-Amdjell? Das ist doch nicht möglich!« und Villers las über des Doktors Schulter mit, schneller als dessen Lippen die Worte aussprachen... »Mlle. de Forlan, Paris – stop – beunruhigt Ergehen Kapitän Villers – weiterfahren nachts mit Mokhasni – stop – Quartierbesorgung erbeten – stop. Höchlichst mißgönne Glücksfall allen – Legrand – Leutnant.«

»Das ist der Postenchef, dieser Legrand, der euch diesen Glücksfall mißgönnt«, lachte der Telegraphist, daß die Flaschen auf dem Spitalstisch klirrten, an den er sich lehnte.

»Nachts von In-Amdjell im eigenen Wagen«, überlegte der dicke Doktor.

»Guter Gott, die sind übermorgen früh da!«

»Und auch noch mit einem Mokhasni, einem Führer! Nicht die geringste Hoffnung, daß sie sich verirren können«, schluchzte der Telegraphist vor Lachen.

Da sah Villers, wie der dicke Doktor zum erstenmal die Nerven verlor. »Hinaus aus meinem Spital, Sie schadenfrohe, hysterische, alte Jungfer, Sie«, brüllte er. Dem Telegraphisten vergingen Weinseligkeit und Gelächter. Als er schon bei der Tür war, wandte er sich. »Übrigens«, zögerte er, »ich soll von meiner Frau ausrichten, daß Sie Bettzeug von ihr für die beiden Damen haben können ...«

»Na also«, brummte der Doktor. Der Telegraphist ging sehr leise heim, um die Negerbübchen auf frischer Tat zu ertappen, die sich sicherlich indes damit vergnügten, an seiner Apparatur herumzufingern.

»Nénène! Nénène und Mrs. Lawrence!! Also eher hätte ich erwartet, daß die Welt einstürzt!!« murmelte Villers, der fassungslos immer wieder das Telegramm überlas.

»Jetzt stürzt sie auch ein! Sagen Sie – und Sie haben nichts von der ganzen Reise gewußt? Ihre Braut – ich meine Mlle. de Forlan – hat Ihnen von der ganzen Sache überhaupt nichts geschrieben? ...«

»Der Brief!« fiel es Villers ein. Der letzte, dünne, einfach frankierte Brief ..., er sah ihn jetzt vor sich – der hatte ja eine algerische Marke getragen! ... »Ich Idiot!«

»Sie haben keinen Brief geschrieben und auch keinen gelesen? Was?«

»Mein Gott! Was soll ich jetzt tun?«

»Sie müssen vor allem Dassin aus dem Bordj wegbringen. Und Ihre alte Wohnung für die Damen einrichten.«

»Aber wohin mit Dassin? Gerade jetzt, wo sie verstört und krank ist? Und in ganz Tamanrasset gibt es kein zweites Haus mit einer versperrbaren Tür ...«

»Das Depot«, entschied der Doktor. »Stecken Sie sie ins Depot!« und er konnte sich nicht enthalten hinzuzufügen – »Platz ist ja dort genug!«

Noch spät abends gegen 10 Uhr flüchtete Villers vor der Einsamkeit seines Bordj und vor der anklagenden Leere des Depots in die Popote hinüber. Er hatte gegen Mittag Dassin und die Alte ins Depot übersiedeln lassen. Das Kind hatte teilnahmslos und niedergeschlagen keine einzige Frage getan. Als ein Bouzou dem Kapitän meldete, daß die Frauen bereit seien, ging er über den Platz hinüber. Vor dem Depot, vor dem die schwarze Schildwache präsentierte, hielten zwei Kamelreiter, Tuareg. Ein drittes Mehari von besonderer Weiße und Schönheit hielt neben ihnen. Villers' schneller Schritt klang in dem leeren Depot. In einer Ecke hatte die Alte ein Lager hergerichtet. Hier kniete Dassin und schien beschwörend die Arme nach dem Mann auszustrecken, der leise scheltend auf die alte Negerin einsprach.

Der Targui wandte sich blitzschnell nach Villers, der gelernt hatte, Männer an den Augen zu erkennen. Es war Auquhal, der den »Schwager« laut und freundlich begrüßte. Er sei durch Tamanrasset geritten und hätte »sein Herz als Steigbügel für den Fuß des Bruders bieten wollen«. Er trat mit Villers aus dem Hause und sah zu, wie dieser das Depot von außen verschloß.

»Bon père – ménage« – grinste er, ließ mit einem kehligen, wilden »Kch – kch« das herrliche Kamel knien und war mit einem Schwung im Sattel, wählend das Tier sich zugleich schon wieder erhob. Ein Vollblutkamel gurgelt nicht beim Aufstehen. Die drei Reiter verschwanden schon um die Ecke.

In der Popote fand Villers Geneviève. Sie stand hohläugig, zerrauft, in niedergetretenen Pantoffeln, von denen der eine seinen Flaumstoff verloren hatte, auf einem Tisch und befestigte einen Kranz von roten Rosen über der Türöffnung. Sie hatte irgendwann einmal gelernt, aus Seide und Draht Blumen herzustellen und hatte ein kleines französisches Wunder an Echtheit geschaffen.

»Geneviève«, begann Villers und trat an den Tisch: »Sie sind so nett – ich weiß nicht, wie ich Ihnen für all das danken soll!«

»Gar nicht«, antwortete Geneviève, einen Nagel im Munde. »Sie ist Jacquots Schwester.«

»Ja – aber Sie haben Ihre eigenen Wandbehänge hinübergebracht und Ihr Bettzeug und alles frisch fegen und teeren lassen ...«

Geneviève hämmerte mit Macht. »Yvonne!« schrie sie nach der Küche. »Das hält ja nicht! Hast du keinen stärkeren ...?«

In diesem Augenblick sah Villers sie zusammenzucken. Wie von unsichtbarer Gewalt herumgerissen, horchte sie einen Augenblick lang. Ihre Lippen zitterten halbgeöffnet, ihre geweiteten Pupillen starrten in die Ferne: »Drif!« flüsterte sie voller Entsetzen.

»Was haben Sie? Geneviève!«

Sie sah ihn völlig irre an, als erkenne sie ihn nicht. Sie war totenblaß. »Drif ... heult«, artikulierte sie mit äußerster Anstrengung. »Jacquot!« und sie fiel, wie eine Gliederpuppe zusammensackend, in Villers' Arme.

Villers und der Doktor trugen sie ins Spital hinüber. Es dauerte lange, bevor sie erwachte. Ihr erstes Wort war: »Ist er tot? Haben Sie Nachricht?« Der Doktor begann zu fluchen. Was das für neue Geschichten seien? Eine Hysterikerin könne er als Assistentin schwer brauchen, er würde sich jetzt wohl statt ihrer eine Negerin abrichten müssen. Zusammenzufallen, weil ein Köter von den hundert Hunden von Tamanrasset draußen bellte! Oder ob sie wirklich meine, daß ihre Ohren bis nach dem Adrar reichten?

Geneviève begann ohne Antwort auf und ab zu gehen. Sie weinte nicht, sie sprach nicht, sie aß nicht. Sie ging nur wie ein frisch gefangenes Raubtier auf und ab, hin und her. Der Doktor redete ihr zu, ohne daß sie zu hören schien, nur als Villers sie bat, sich niederzulegen, sagte sie: »Gehen Sie fort – Sie«, mit einer schwankenden, kleinen Stimme, die beinahe in Schluchzen umkippte. Sie ging und ging die ganze Nacht hastig, ruhelos, als könne sie mit diesen tausenden Schritten die Strecke durchmessen, die sie von dem Manne trennte, den sie liebte. Der Doktor, zusammengefallen, ergeben und alt, saß auf einer Blechkiste neben ihr, manchmal schlummernd, manchmal rauchend, unzählige Zigarettenstummel um sich herstreuend, die ganze Nacht. Gegen Morgen, als das Händeklatschen vor der Tür ihn weckte, sah er, wie sie mit einem Ruck den Türvorhang fortriß. Draußen im grauen Morgen stand Ousman. Geneviève fuhr mit der Hand an den Mund; sie fragte leise. »Ist er tot?«

Der Schaamba salutierte.

»Ich habe es gewußt«, hauchte Geneviève.

Einen Moment meinte der Arzt, es würde nun ein furchtbarer Ausbruch kommen. Aber er kam nicht. »Was soll denn jetzt werden?« flüsterte Geneviève, als spräche sie zu sich selbst. »Wie soll ich denn ohne ihn hier weiter leben? Mein Gott! Mein Gott!« Sie schlug die Hände vors Gesicht.

Aber als der Doktor den Arm um sie legen wollte, entwand sie sich. »Erzähle!« sagte sie dem Schaamba. »Erzähle, wie es war?«

Der Schaamba sprach nur zu ihr gewendet seinen Bericht. Bis zum siebzehnten Tage hatte sein Leutnant die Disziplin aufrecht erhalten, bei Sonnenglut und schwerster Arbeit, an dem hundert Meter tiefen Brunnen. »Lioutnant Forlan« hatte auf seinen Weizenanteil verzichtet und aß vom Auszugstag an Beschna. Das beeindruckte alle. Auch hatten sie Glück gehabt, Drif war zweimal auf Gazellen gestoßen. Der Leutnant hatte drei geschossen, er selbst, Ousman, eine – so hatten sie auch Fleisch gehabt. Dann aber kam die Negerhirse zur Austeilung, an die die Tuareg gewöhnt sind, von der viele Araber aber Ausschläge und Darmbeschwerden bekommen. Ousmans eigener Vetter Selim bekam sie, und dann wollte es der Teufel, daß ein fremder Jäger den Brunnen aufsuchte, der erzählte, zu Tin Zauaten läge ein Detachement von Fremdenlegionären, die kämen von Djelfa und hätten frischen Weizen in Hülle und Fülle. Bis dahin hatte niemand ernstlich an Ungehorsam gedacht, sie beteten ihn ja im Grunde an, ihren »Lioutnant Forlan«. Aber als Selim sagte, er wolle den Leutnant zwingen, sie nach Tin Zauaten zu führen, verloren sie alle den Verstand. Er, Ousman, konnte nicht länger richtig mit ihnen reden. Er lief zum »Lioutnant« und begann Gewehre und Pistolen fertigzumachen. Sie hatten alles zusammen an die 170 Schuß. Aber der »Lioutnant« erlaubte ihm nicht zu schießen und ward furchtbar böse. Dann kamen die andern. Der »Lioutnant« stand da und hielt Drif fest, der, ohne einen Laut zu geben, nur aufs Zeichen wartete, um sich auf den ersten zu stürzen. Da zeigte Selim seine schwärende Haut auf Brust und Armen. Er sagte, sie wollten nicht länger Beschna fressen. Gegen ihn, den »Lioutnant«, hätten sie nichts. Aber sie wollten hier nicht verrecken, weil »Tschuuk« mit den »Verschleierten« Hochzeitsmahle gehalten habe. Da schlug der »Lioutnant« Ousmans Vetter mitten ins Gesicht. Das Ende sei gewesen, daß alle Schaamba durcheinanderschrien. Sie gaben dem »Lioutnant« Zeit bis morgen früh, und ginge er nicht freiwillig nach Tin Zauaten, dann würde man ihn eben gebunden mitführen.

»Narren!« hat mein »Lioutnant« geschrien. »Und ihr denkt, daß der Kapitän von der Legion euch hegen und füttern wird, wenn ihr so mit uns ankommt? Er wird euch als Meuterer an die Wand stellen!« – »Das soll er tun«, hat Selim geschrien, »aber Beschna fressen wir nicht länger!« Und dann hat mein ›Lioutnant‹ mir befohlen, die Fahne vom Zelt zu nehmen und ihm zu bringen. ›Geh' jetzt schlafen‹, hat er gesagt, ›ich habe zu schreiben.‹ Und dann hat er mich zurückgerufen und mir das da gegeben.«

Der Schaamba zog das Amulettbüschel unter dem Burnus hervor, und sie sahen, daß er Jacquots alte Armbanduhr mit ihrem Lederriemen dazwischengeschnallt hatte.

»Da ging ich hinaus und wartete auf den Schuß. Ich hörte ihn und hörte Drifs Heulen.«

Geneviève, die zusammengesunken dasaß, fuhr auf und fragte: »Wann ist das gewesen, um wieviel Uhr?«

»Es war nachts, Madame – ich weiß nicht! Ich wollte ins Zelt. Aber Drif stand wie ein Löwe über der Leiche und ließ mich nicht ein. Nicht mich, noch den Hundejungen, der ihn sein ganzes Leben lang gefüttert hatte, noch irgend einen Mann. Und da fand mein Vetter, der Verräter, dessen Name kein Schaamba mehr nennen wird – den Hundetod, den er verdiente, durch den Hund. Denn Drif sprang lautlos zu, als er eindringen wollte, und biß ihm die Kehle durch, wie Sloughi den Gazellen auf der Jagd die Kehle durchbeißen. Da erschoß ich das Tier, das meinen Vetter getötet hatte, und wir legten es dem Lioutnant zu Füßen ins Grab, und ich deckte die Fahne über des Lioutnants Gesicht. Und so ist es geschehen. Und hier, Sidi Hakim, ist der Brief. Dein Name steht arabisch darauf geschrieben.«

Der Doktor fragte, noch ehe er das Blatt nahm. »Und sind die Kerle wirklich zu den Legionären nach Tin Zauaten geritten?«

»Nein, Sidi Hakim! Sie haben sich nach Vorschrift beim Nächstkommandierenden gemeldet. Und das ist unser Sergeant, der mit der andern Abteilung nach Tit gegangen ist.«

»L'hamdoulillah!« sagte der dicke Doktor, und dann lasen sie die wenigen Zeilen.

»Mein Freund!

Ich schreibe diesen Brief im Zeltlager am Brunnen Zar-houia im Adrar deri Foras. Meine Schaamba meutern, meine Leute, mit denen ich dreieinhalb Jahre hier in der Sahara gelebt habe, meutern um eine Handvoll Kuskus. Ich kann keine Offiziere von einer andern Truppe die Nase in die ureigensten Angelegenheiten des groupe mobile stecken lassen. Ich will meine Leute nicht wegen Insubordination strafen lassen, so ist es am besten, wenn ich gehe. Veranlassen Sie, daß Drif an Basch-Agha-Djelloul zurückgestellt wird, der mir wie ein Vater war und dem ich soviel schulde. Aber er wird verstehen, daß vor allem die Fahne gilt.

De Forlan, Leutnant.«

Geneviève reichte dem Doktor den Brief zurück mit einer Gebärde, als ließe sie ihn fallen. »Kein Wort! Kein einziges Wort für mich«, flüsterte sie, »und er hat es doch gewußt ..., er hat doch gewußt!« Der Telegraphist kam. »Wo steckst du denn?« schrie er Geneviève an. »Ich suche dich überall. Was ist denn mit meinem Frühstück?«

»Jacquot ist tot«, sagte der Doktor.

*

»Jacquot ist tot«, sagte Villers verstörten Gesichtes und setzte sich auf Dassins Bett. »Jacquot hat sich erschossen.«

Dassin wandte ihm ihr schmalgewordenes, bleiches Gesicht zu. Sie sah aus, als sei sie krank. »Y na rouana!« sagte sie, »das ist mir gleichgültig.«

»Und Nénène«, murmelte Villers, als spräche er zu sich selbst. »Wie werde ich ihr das nur sagen? Ich! Diese Tränen! Mein Gott! Wie soll ich ihr das alles erklären? Mir bleibt nichts erspart!«

Es blieb ihm erspart. Er hatte nicht mit der Nachrichtenverbreitung in der Sahara gerechnet. Unterwegs traf Mrs. Lawrence's grauer Tourenwagen mit einem Lastauto zusammen, das Benzin nach Tin Zauaten gebracht hatte. Und der Führer, der französisch sprach, hatte den beiden Reisenden die Nachricht verdolmetscht: »Lioutnant Forlan mort à Zar-houia.« »Malade«, hatte er hinzugefügt, als er Nénènes Gesicht sah, und es vorgezogen, Mrs. Lawrence's Fragen nach der Art der Krankheit nicht zu verstehen.

Abends um neun war der Wagen da. Villers hörte draußen das Gejohle der jeunesse dorée von Tamanrasset, früher noch als das Geräusch des Motors. Er stürzte hinaus, ein zuckendes Lächeln auf den Lippen, mit einem Herzklopfen, das ihm den Atem benahm. Das erste, was er sah, war Mrs. Lawrence, die mitten in einem Gewühl von Bouzous und Lederkoffern und Kindern und Fackelträgern und Burnussen Yvonne und dem Doktor die Hände schüttelte; in einem beigefarbenen, losen Automantel, eine beigefarbene Mütze auf dem tadellos frisierten roten Haar, eine Zigarette im Mund, und die Villers zurief, als hätten sie sich erst gestern gesehen: »Hallo, Captain! Feine Zeit, was? Der Führer da hat Williams geschworen, er könnte nicht vor morgen um fünf Uhr hier sein.« Williams, Mrs. Lawrence's Chauffeur im beigefarbenen Overall, grüßte stramm. Eine ungeheure Erleichterung kam über Villers. Ein Gefühl, als sei auch seine Seele in diesem Lande gezwungen gewesen, acht Monate lang ein fremdes Esperanto zu sprechen, und als höre er zum erstenmal seine eigene, freie, leichte Lebenssprache wieder. Er faßte diese feine, weiche, beringte Frauenhand – und spürte Paris im Parfüm, sah nach acht Monaten wieder in das kunstvoll verschönte Gesicht einer gepflegten weißen Frau, während er Mrs. Lawrence's ein wenig hohe Stimme in ihrem fließenden, fremd akzentuierten Französisch sagen hörte:

»Oh! Sie haben sich einen Bart zugelegt? Das gibt's nicht, der kommt morgen weg, mein Lieber! Was sagst du, Nénène? Einen Bart!« Und erst als sie den Namen nannte, erinnerte sich Villers, daß auch Nénène auf der Welt war, daß eine Auseinandersetzung ihm bevorstand, daß der arme Jacquot tot war. Die ganze hilflose Angst kam wieder, das ganze nur für einen Augenblick weggehobene Zentnergewicht von Schuld und Schrecken sauste wieder auf ihn herab.

In diesem Augenblick trat Geneviève aus ihrem Hause. Sie hatte ein altes, schwarzes Kleid angelegt, das sie größer scheinen ließ. Ihr rundes, gewöhnliches Gesicht war zu einer tragischen Maske gewandelt. Sie stand vor der kleinen, blonden Nénène, der die Reise und die Tränen alle Frische geraubt hatten. Sie sah sie an und fand die Stirn des Geliebten wieder, etwas von dem treuherzigen, gläubigen Blick dieser anständigsten Augen der Welt, die sie nie mehr sehen würde, nie wieder. Und sie sagte: »Ich bin Geneviève. Ich habe Ihren Bruder geliebt«, während sie die Arme ausbreitete, in die sich Nénène warf. Und wie der Engel auf Grabmonumenten die zusammengebrochene Trauernde führt, so schritt sie mit Nénène in ihr Lehmhaus zurück, ohne sich nach den andern umzusehen.

»Hören Sie, Doktor«, sagte Mrs. Lawrence, als sei nichts geschehen. »Ich habe nicht die mindeste Lust, schon schlafen zu gehen! Trinken wir noch einen Cocktail in der Popote zusammen. Wollen Sie, Captain?«

»Und wie gern!« stieß Villers hervor.

Der Doktor, der das Weib mit der Pfauenstimme am liebsten erschlagen hätte, bat, man möge ihn entschuldigen. Er wolle nur noch sehen, ob Mlle. de Forlan nicht seine Hilfe nötig habe, dann wolle er nach den anstrengenden letzten vierundzwanzig Stunden sogleich zu Bett gehen.

»Ich brauche eine Viertelstunde, um mich umzuziehen«, sagte Mrs. Lawrence. »Williams, Sie bringen die Kisten mit den Flaschen in die Popote.«

Villers hatte ins Depot hinüberlaufen wollen, um nach Dassin zu sehen, jetzt aber überlegte er es sich anders. Er schickte den Bouzou nach heißem Wasser in die Meßküche und hatte, ehe der Neger wiederkam, seinen Bart schon ungeduldig mit der Schere aufs gröbste abgeschnitten. Beim Rasieren ertappte er sich, daß er, wie früher daheim in Paris, dazu pfiff, dachte an Jacquot, seufzte und schwieg. Als er in die Popote hinüberkam, stieß Yvonne einen kleinen Schrei der Überraschung aus. »Mein Gott, ich hätte Sie beinahe nicht erkannt!«

Dann trat Mrs. Lawrence ein, in einem ganz einfachen Kleide aus mattgelber, schwerer, indischer Seide, das traumhaft zu ihrem tiefroten Haar stimmte. Den ganzen Abend suchte Yvonne das Geheimnis dieses Schnittes zu enträtseln. Den ganzen Abend sah sie zu, wie ihr François mit großen, wilden Knabenaugen an dieser lachenden, fremden, weißen Frau hing. Und als sie einmal ihren Arm um seine Schultern legte, fühlte sie diese vertrauten Schultern wegzucken.

Mrs. Lawrence hatte natürlich sofort die tolle Bewunderung, die ihr hier entgegengebracht wurde, begriffen. »Quite charming, this Tamanrasset.« Und – ob Villers nicht neugierig sei, zu erfahren, wie sie beide eigentlich hergekommen seien?

Sie erzählte, und Francois' Blicke hafteten unausgesetzt auf den nach neuester Mode zart korallenfarben geschminkten Frauenlippen. Als er Paris verließ, waren alle Münder und Nägel siegellackrot gewesen.

Also Villers hätte nicht geschrieben, und »poor« Jacquot hätte natürlich noch weniger geschrieben, und Nénènes Mutter sei gestorben – na ja! Habe er das nicht gewußt? Und Nénène hätte nichts getan als geweint, wirklich, manchmal sei es nicht mehr auszuhalten gewesen, und eines Tages habe sie; Mistreß Lawrence, gedacht, es wäre doch eine Idee, endlich nachzusehen, woran man mit »diesen Männern« wäre, und außerdem sei eine Saharafahrt drüben in USA keine schlechte Reklame für den neuen Tourenwagen, den Acht-Zylinder-Lawrence-Tenatti. So seien sie losgefahren und hätten in sechzehn Tagen die Strecke Algier–Tamanrasset gemacht; keine schlechte Zeit, was? Mitten im Sommer, für zwei Frauen? Und Mistreß Lawrence lachte und strich ihr Seidenkleid an den schmalen Hüften herunter. Villers saß rauchend und lächelnd und wandte keinen Blick von ihrem Gesicht. Als er sie so im Dunkel über den Platz hinüberbegleitete, sagte sie: »Nett, daß man da ist. Nicht?« Und dann küßte er sie, bis sie, ihn sanft abdrängend, ins Haus huschte.

Villers ging am Haus des Telegraphisten vorbei und sah in Genevièves Fenster Licht. Er zögerte und hatte einen Augenblick das Gefühl, eintreten zu müssen, aber es erfüllte ihn ein so tiefes Unbehagen, daß er sich nicht zu überwinden vermochte. Er kam zum Depot und hörte den Gleichschritt der Wache. »Wer da?« fragte der Soldat. »Kapitän Villers!« Er zog den Schlüssel hervor.

Der Feuersgefahr, ebenso wie möglicher Fragen der Gäste wegen, hatte er der Alten verboten, die Karbidlampe mitzunehmen. Das Haus lag also im Dunkeln. Dassin schlief wohl schon lange. Er drehte den riesigen Schlüssel schwer im Schloß und zog den eisenbeschlagenen Torflügel auf. In diesem Augenblick erhielt er einen mit solcher Wucht geführten Stoß vor die Brust, daß er taumelte und schier zu Falle kam. Die dunkle Gestalt der alten Negerin stürzte aus der Tür und an ihm vorbei. Er hörte ihren schweren keuchenden Atem und schrie: »Halte – là!« Da war der Schatten schon von der Nacht verschluckt. Der Soldat auf Wache riß das Gewehr von der Schulter und schoß der Fliehenden nach. Villers hörte einen unterdrückten Schrei, aber zugleich noch hastigere Tritte eiliger Füße auf hartgetretenem Grund. Ein Pfiff gellte, ein kehliges, wildes »Kch, kch!« als sollten Kamele sich erheben. Ein zweiter Schuß krachte. »Schnell, schnell ihnen nach!« befahl Villers dem Soldaten, und in das dunkle offene Haus hinein schrie er voll Angst: »Dassin! Dassin!« – Stille.

»Y a plus rien, parti!« meldete der Senegalneger gelassen, seinen Gleichschritt wieder aufnehmend. Villers hatte nichts als sein Taschenfeuerzeug. Die kleine hüpfende Benzinflamme brannte hilflos in dem riesigen, leeren Raum. Schatten regten sich an allen Wänden. Ihn überfiel Angst wie nie im Leben. »Dassin!« brüllte er. Da weckte das Flämmchen in einem Silberreifen glitzernden Schein. Er stürzte zu, wagte nicht zu glauben, was er sah ...

Sie lag auf den Decken, die er dem armen Kind mitzunehmen gestattet hatte, kalt und starr, in all ihrem Schmuck. Sie war offensichtlich von der Alten erdrosselt worden – mit Auquhals schönem, rotem Wollgurt, dem Zeichen der Prinzenwürde, das er so bewundert hatte. Er nahm sie in die Arme und schüttelte sie, er rief ihren Namen. Grauen über Grauen, in diesem grabesstillen Haus mit dieser stummen Toten zu sein, mit diesem entfremdeten, kalten, schweren Körper, mit der Anklage, die dieses Haus raunte. Er lief – er konnte nicht mehr – er lief und schrie: »Doktor, Doktor!«

Mrs. Lawrence hatte seine Stimme erkannt, aber sie wußte, daß eine Frau, die eben ihre Nachtcreme auflegt, keinen hübschen Anblick bietet, und daß es selbst bei einem Feuerlärm nichts nützen kann, halbnackt aus dem Hause zu stürzen! Als sie also in grünen Slippers und in einem grüngestreiften Männerschlafrock herauskam, ihre riesige elektrische Reiselampe in der Hand, war, obgleich ganz Tamanrasset geschlafen hatte, anscheinend zumindest die männliche Bevölkerung so vollzählig versammelt wie bei einem Generalalarm.

»Li – morte – Targuia!« sagte jemand. »Li morte sa Dassin!« Und das braune Gesicht grinste, als gelte es einen Spaß. Als der Schein der Lampe auf Williams fiel, Williams aus USA, rief sie, und es war kaum zu überhören, wenn Mrs. Lawrence rief: »Williams, was ist da los? Verstehen Sie, was diese Männer schreien?«

»Es ist jemand ermordet worden«, meldete Williams. »Eine Eingeborne, scheint's.« Und der grinsende, graulippige Mund des Arabers wiederholte. »Li étranglé, Capitain Villers sa Dassin!«

In diesem Augenblick sah Mrs. Lawrence einen Zug über den Platz schreiten. Bouzous, die etwas Eingehülltes trugen. Zwei Fackelhalter, der dicke Doktor und Villers, der ging, als sähe er nichts und niemand, der beinahe über die Stufen des Spitals gefallen wäre, hätte ihn nicht der Doktor aufgehalten. Sie trat nachdenklich in ihr Zimmer zurück. Das Bett für Nénène, nebenan aufgeschlichtet, blieb leer. Nénène kümmerte sich für eine Gesellschafterin auffällig wenig um ihre Herrin, aber Mrs. Lawrence schien darüber nicht allzu böse zu sein. Sie stand vor dem leeren, netten Bett und lächelte. Dann löschte sie die amerikanische Reiselampe und schlief, als einzige Weiße der Station.

Die Lichter in den Lehmhäusern brannten lange. Im Hause des Telegraphisten weinte Nénène ihrem toten Traume nach, während Geneviève ihren Bericht durch die Nacht spann, dem Namen des Feindes, des Verräters, ihren Fluch zum Schatten gebend und den Namen ihres toten Geliebten mit all den Liebesworten schmückend, die das Leben ihr zu sagen nicht vergönnt hatte.

Und drüben im Meßhaus, in dem großen, weißen Ehebett schluchzte Yvonne ihre hilflose, lärmende, robuste Verzweiflung aus. François, ihr François ging auf und ab und machte Pläne für jenen Tag nach eineinhalb Jahren, an dem er von hier fortkommen würde, fort, nach Paris! Vielleicht kann man Chauffeur werden – dieser Williams hat ihm den Wagen gezeigt. »Donnerwetter, und die Autos gehören alle ihr –, alle diese vier Millionen Lawrence-Tenattis, die sie im Jahre erzeugen ..., oder wieviel der Williams gesagt hat ..., da kann man leicht gelbe Seidenkleider haben, während andre in Sand und Dreck ersticken. Aber daran ist sie schuld, nur sie, Yvonne! Ihre Idee war das mit der Sahara, nur um ihn einzusperren, nur damit er keine Frau anschauen kann, aber sie wird schon sehen, wenn er wieder nach Frankreich kommt ...« Und mit heißen Tränen erlebte Yvonne die Versöhnung, die vielleicht schon die Trennung von morgen ist.

Im Spital, gebeugt, ausgegeben, ausgelaugt, hört der Doktor die wilden Selbstvorwürfe Villers' an. »Wenn man doch helfen könnte«, denkt er. »Nur dieses einzige Mal auf Erden, nur dieser blonden, weinenden Nénène ein bißchen helfen. Für sich verlangt man ja lange nichts mehr. Wenn es einem nur einmal in diesem vergeudeten, nutzlosen, alten Leben gelänge, diesem Wesen zu helfen! Wenn es doch so etwas wie einen Gott gäbe, den man kniend um dieses Eine, Einzige bitten dürfte: »Laß mich Nénène helfen, großer Gott ..., Gott ..., Gott ...«

Und zwischen zwei sprühenden Fackeln liegt eine Tote da, mit einem bleichen, sonderbar vergrämten Gesichtsausdruck, dem eines geschlagenen Proletarierkindes – Dassin, die gestorben ist, weil keine Targuia eines weißen Mannes Kind gebären darf, Dassin, die Königstochter, für die einst zwölf Mehara bezahlt wurden, die größte Brautgabe der Sahara ...

*

Am nächsten Morgen, als Villers im Bordj saß, blieb der Saal leer. Keiner kam, der seinen Richtspruch suchte. Erst zu Mittag pochte es an seine Tür.

Er rief seine Erlaubnis, einzutreten. Da war es Nénène, die kam. Sie kam langsam durch den Saal heran, ohne aufzublicken. Als sie vor seinem Schreibtisch stand, legte sie stumm und sachte etwas vor ihn hin. Es war sein Ring. Und ebenso stumm und sachte nahm sie ihr Bild an sich.

»Nénène«, murmelte er. »Nénène!«

Sie machte eine Bewegung der Abwehr und ging langsam und ohne ein Wort gesprochen zu haben.

Kapitän Villers ließ sich in seinen Kistensessel fallen und zog seinen Browning aus der Lade.

In diesem Moment trat Mrs. Lawrence durch die Tür, die Nénène offengelassen hatte. Sie war in einem Nu bei Villers, nahm ihm die Pistole fort und sah, daß dieselbe noch gesichert war. »An der Zeit, daß ich kam«, sagte sie, als die Waffe in ihrem Täschchen verschwand. Dann hörte sie stumm rauchend zehn Minuten lang dem Mann zu, der vor ihr stand und die bösesten Dinge gegen sich selbst vorbrachte.

»Stop«, sagte sie schließlich und zog ihre Puderdose hervor. »Sie sind ein Idiot! Das alles hier ist doch nichts für Sie.« Sie stieß mit ihrem weißen Schuh nach dem zum Papierkorb ernannten Ölkanister.

»Warum sehen Sie nicht einfach zu, daß Sie von hier fortkommen?«

»Aber ich habe ja noch siebzehn Monate abzudienen!« schrie er außer sich. »Keine Möglichkeit, sich vor der Zeit versetzen zu lassen! Siebzehn Monate!«

Mrs. Lawrence malte aufmerksam ihre Lippen nach. »Warum quittieren Sie nicht?« fragte sie sachlich.

»Quittieren?« Es traf Villers wie ein Schlag. Niemals hatte er im Ernst daran gedacht. Es wäre Flucht, es wäre Feigheit, aber ..., mein Gott ..., man könnte wieder atmen ...

»Ja, aber wovon soll ich denn leben?« dachte er laut.

Mrs. Lawrence blickte auf und lächelte. Sonderbar, sie sah aus wie ein junges Mädchen. Und sie sagte: »Ist die Lawrence-Tenatti-Autoerzeugung Ihnen nicht genug?«

Da wußte er auf einmal ihren Vornamen. »Gladys«, murmelte er und küßte sie. Aber mitten im Kuß sagte er: »Es geht doch nicht! Jacquot ist hier eine Bürgschaft für mich eingegangen. Ich kann nicht so fort. Ich muß abzahlen.«

»Bist du dumm! Wieviel?« fragte Gladys Lawrence und zog das Scheckbuch. Und sie schrieb den Empfänger, wie Villers buchstabierte, »Basch-Agha Djelloul Laghouat«. Villers küßte ihre Hand. Er schämte sich ein bißchen, aber er fühlte sich unsäglich geborgen im Blätterschatten dieses Scheckbuches. »So, und jetzt schreib' das Gesuch, honey.«

»Welches Gesuch?«

»Dein Enthebungsgesuch natürlich, du. Aber ehe du schreibst ..., ich möchte nicht, daß es Irrtümer zwischen uns gibt! Meinen Mann will ich für mich allein, bei mir gibt es keine Flirts nebenbei. Du wirst auch genug zu tun finden drüben. Je schneller wir daheim sind in Chicago, um so besser.«

Ein recht unangenehmes Kältegefühl lief Villers' Rückgrat hinab. Aber im nächsten Augenblick lächelte er. Paris war wohl eine Messe wert.

»Wie sollte ich je vergessen, was ich dir danke«, flüsterte er heiß.

Ihr langer, gepflegter Nagel schnippte Nénènes goldenen Ring zur Seite. »Übrigens, Nénène und ich haben vorhin unser Verhältnis gelöst. Nicht zu ihrem Schaden, muß ich sagen. Ich kann schließlich nicht ewig Rücksicht auf eine Gesellschafterin nehmen, die immer nur weint und den eigenen Interessen nachgeht. Sie will mit dem Doktor und ihrer neuen Freundin Geneviève das Grab ihres Bruders besuchen. Der Doktor ist Feuer und Flamme für die Kleine. Williams hat vom Telegraphisten gehört, daß er ein Häuschen in Cros-de-Cagnes und mehr Geld, als man glaubt, hat.« Sie lachte: »Wer weiß ...«

»Nénène und der alte Doktor? Unmöglich!«

»Unmöglich, warum? Weil sie dich geliebt hat? Vielleicht gerade darum. Übrigens kann es uns nicht mehr interessieren! Schreib', darling ...« Villers schrieb ...

Vierzehn Tage später, als der graue amerikanische Tourenwagen nach Norden fuhr, begegnete ihm eine Karawane. Scharf vom immerblauen Himmel sich abhebend, in grotesker Kontur, stapften die beladenen Packkamele in endloser Reihe vorbei, geführt von braunen Männern mit fliegendem Schesch, die einzig gottgewollte Staffage dieser Landschaft.

»Williams! Fragen Sie, was das für ein Zug ist!« befahl der Herr im weißen Zivil, der im Fond saß.

Und der Chauffeur, die Hand an der Mütze, meldete: »Der Azalay, Captain, die Karawane, die das Getreide vom Norden nach dem Hoggar bringt.«


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