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Messauda ist fünfzehn Jahre alt. Sie hat einen so leichten Schritt, daß die breiten Silberstreifen an ihren Füßen und die drei Reihen der Goldmünzen auf ihrer Brust kaum klirren, wenn sie vorübergeht. Sie hat die Augen der Zwergantilope und auch deren zarten Hals, ihre Haut ist so streichelsanft und braun wie deren Fellchen.
Die Augen sind ein klein wenig schräg gestellt, nicht japanisch, nein – eher tierhaft. Die Zähne, wenn sie das rasche Lächeln entblößt, so rasch, als habe Messauda eben die Herrschaft über den kindlichen Ernst der Miene verloren – sind blinkend feucht, wie Perlmutter.
Dies alles kann ich betrachten, und nicht nur ich, die ich Frau bin – jeder Mann, der durch das Viertel geht, vermag ihr Antlitz zu sehen. Denn Messauda ist unverschleiert. Sie ist nur eine kleine Blume im Garten der Freude, ein Nichts ist sie, weniger als nichts, eine kleine Tänzerin im »Café Maure« zu Ghardaia.
Hinter Djelfa, dieser scheußlichen Durchgangsstation, die im Sommer flach und verbrannt daliegt wie ein vergessener Kuchen in der Pfanne und in der man Winters friert, wie man nie in Finnlands wohlgeheizten Stuben frieren könnte, hinter Djelfa liegen die »monts des Ouled Nails«.
Seit Jahrhunderten blühen hier die schönsten Frauen Nordafrikas. – Seit Jahrhunderten gehen sie unverschleiert in der Musik ihres Goldschmucks durch das Land und tanzen in den verräucherten Cafés; – und wenn die Goldmünzen, Reihe an Reihe, ihre zarte Brust decken, dann kehren sie heim, bringen sie als Brautgut den Männern zu und heiraten – Knaben gebärend, faule, verachtete, grinsende Kuppler wie ihre Väter. Mädchen gebärend, bezaubernd und lasterhaft wie sie selbst.
Mit Messauda war es anders ergangen. Messauda war einem französischen Leutnant begegnet, als sie noch nicht dreizehn Jahre alt war.
Dreizehn Jahre einer Nailia – das will sagen: eile, sonst kommt ein anderer.
Der Leutnant nahm Messauda in sein Haus und lehrte sie, was sie nie hätte lernen sollen: die Zärtlichkeit eines Abendländers.
Nennt ein Sachar, ein Kameltreiber, der ins Café Maure kommt, eine Nailia »mon amour?« – Nennt er sie »ma petite chose à moi?«
Was kann es nützen, wenn eine kleine, gazellenäugige Messauda einen kleinen Leutnant lieb hat, mit der ganzen Kraft ihres Herzens? Was kann es nützen, wenn sie anderthalb Jahre aneinander hangen?
Die jungen Offiziere müssen wandern, um Frankreichs Kolonien kennenzulernen, und zu lange schon, zwei ganze Jahre, war der kleine Leutnant in Garnison verblieben.
Marokko ist ein gesuchtes Kommando. Die andern Leutnants beneideten ihn. Man hat dort doppelten Sold, es ist immer etwas los, man bekommt Gelegenheit, den neuen Säbel aus der Scheide zu reißen. Und es gibt der süßen kleinen Messaudas genug – auch drüben in Marokko.
Messauda weinte.
Ihre großen, ein klein wenig schiefstehenden Tieraugen schwammen in Tränen. Solange vorhielt, was der kleine Leutnant in ihr weißes Seidentuch gewickelt hatte, hörte sie nicht auf das, was Mutter und Schwester sprachen. – Die Ouled Nails sind stolz auf ihr Gewerbe, Aspasia mag auf das gleiche nicht stolzer gewesen sein. Seit wann ward es erhört, daß eine Nailia sich um einen »Roumi« die Augen rotweinte? – Seit wann ward es erhört, daß eine Nailia nicht Brokatkleider trug und Armreifen, von denen Silberstifte starrend abstanden wie von einem Morgenstern die Nägel? – Sie redeten und redeten, und endlich murmelte Messauda müde, »ji, ji«. Ihre ältere Schwester, die eine Entenschnabelnase hat, wie die Araber sie lieben, und funkelnde Augen, und Hände, die bis zum Gelenk von Henna paradiesapfelrot gefärbt sind, nahm Messauda ins »Quartier« mit. – Sie schenkte Messauda ihr eigenes Brokatkleid, nicht das schönste, das rotgeflammte, sondern ein weißes mit zartblauem Muster. Und sie löste zwei von ihren elf Münzenschnüren und hing sie Messauda um. – Wenn man genauer hinsah, so nahm man Münzen aller Art wahr – nicht nur 100-Francs-Stücke, auch alte türkische Piaster, chinesische Münzen, von Legionären aus Tonking gebracht, englische Sovereigns, Dollars mit dem Indianerbildnis, ein Zwanzigmarkstück mit dem Antlitz Wilhelms II. und, darunter gemengt, weiße Kaurimuschelchen, der einstige Reichtum der sudanesischen Tuareg.
Messaudas Haar – kompakt und glänzend blauschwarz – ward an den Schläfen in zwei Zöpfe geflochten, die, hinter den Turban zurückgesteckt, wie ebenholzene Ohrringe wirkten.
Über Haar und Turban legte die Schwester das dünne weiße Schleiertuch des kleinen Leutnants, es auf der Brust mit kreisrunder Spange zusammenheftend. Und nun sah Messauda aus wie eine jener zarten und sehnsüchtigen Prinzessinnen Dulacs, wenn sie nachts zu ihrem Liebsten gehen. Die Schwester hatte mit dem Wirt des Cafés gesprochen und die Erlaubnis erbeten, die Novize einzuführen.
Man hatte mir Platz auf der einzigen Bank gemacht. Alle Männer hockten, das Knie an des Nachbars Knie, mit gekreuzten Beinen auf den Bodenmatten. Eine einzige Masse weiter Burnusse. – In der Mitte hockten die Musiker. Ein Alter mit einem Gesicht, das aussah, als habe er eben die Hälfte seines grauen Bartes verschluckt, der verbissen eine auf seinen Knien liegende Fiedel mit armlangem Bogen strich. Ein Neger, der eine lange, sich trichterartig erweiternde Sudanflöte blies, deren eingeschnittene Muster mit Henna rot gefärbt waren. Und ein junger Bursch, der, orgiastisch sich wiegend, auf einer bodenlosen, mit Kalbfell bespannten Tonflasche trommelte, mit schlägelharten Fingern, deren Nägel von Henna rot waren, und schwarz von Schmutz.
Der Wirt, ein sauertöpfischer Alter, mit einem Bart, so grünlichgelb, als wäre er aus Crin d'Afrique, und einem Auge, über das der Star einen grauen Schleier gelegt hatte, stieg langbeinig über die Hockenden hin, packte eine rauchende Nailia am Arm, riß ihr mit der Linken die Zigarette aus dem Mundwinkel und stieß sie in den leeren Raum. Über ihr hübsches Gesicht mit den herrlichen hohlgemalten Augen hielt sie mit beiden Händen das gedrehte Seidentuch hoch, dagegen sie die Stirne lehnte, und der Bauchtanz begann.
Die Araber lieben ihn, und winzige Mädchen in ihren Lumpen tanzen ihn schon, rührend unbewußt, auf den Hausschwellen. – Mir scheint er abscheulich. Unter den vielen Falten zittert und hüpft, turnt und kreist der Bauch in unerwünschtem Eigenleben. Ich atmete befreit auf, da der Wirt in seiner kurzen schmutzigen Ghandoura wie in einem Nachthemd über die Gäste stieg und die Tänzerin ohne viel Federlesens, wie eine abgelaufene mechanische Figur, ins Dunkel zurückschob.
Dann kam Messauda. – Die Karbidlampen, die prustend, sprühend an den Pfeilern hingen, leuchteten so hell, daß ich sehen konnte, wie blaß sie war.
Sie hielt das Tuch nicht an die Stirne, wie der Brauch es vorschreibt – hatte sie die uralten Tanzregeln vergessen?
Sie bewegte die Hände im Takt, aus dem glaszarten Gelenk, es war, als schwämmen Blumen in sachtfließendem, nächtlichem Wasser. Ihre Füße, unverbildet und so charakteristisch lebensvoll wie unsere Hände, hafteten auch nicht am Boden fest, wie der Tanz es fordert, sie regten sich in zagen Schrittchen vor- und rückwärts. Du tanzest ja, wie die Frauen der Roumi tanzen, kleine Messauda, und das kann den Sachars nicht gefallen! – Du tanzest ja, wie du für ihn getanzt hast, für den kleinen Franzosen, den du als ersten geliebt hast – –
Und während die Zwanzig-Francs-Note, die der Wirt der Länge nach gefaltet in deinen Turban gesteckt hat, um die Gäste zu Geschenken anzuregen, über deiner Stirne wippt, sehe ich deine Augen angstvoll und stumpf zugleich irren, wie die Augen von Tieren in Menagerien, die wissen, daß ihr Käfig kein Entkommen zuläßt.
Araber sind zu höflich und zu stolz, um Mißfallen zu bezeugen. Ich weiß nicht, ob meine Anwesenheit dies macht und die Kenntnis davon, daß ich denn doch einige Worte arabisch verstehe, – es wird kein Lachen laut, kein Witz, kein rohes Wort.
Nur der Wirt kommt und stößt Messauda in den Winkel.
Und dann springt Messaudas ältere Schwester in die Bresche.
Es ist, als hätte Zugluft eine Flamme neu angefacht, so setzt die Musik ein.
Der Alte fiedelt so erbittert, als gelte es, den zwischen seinen Knien festgeklemmten Nacken eines Feindes durchzusägen. Der Trommler hebt die Tonflasche zum Ohr, gegen die seine knochigen Finger prasseln. Der Neger steht auf und tänzelt ihr mit seiner dudelnden, näselnden, schnarchenden, eintönig werbenden Flöte entgegen.
Denn hier ist der Bauchtanz in seiner Glorie. Die Füße verharren wie angeleimt am schmutzigen Boden, über die Schultern geht kaum ein Beben und die Münzen klirren nie. Nur der Bauch wandert unter Kleiderfalten, wie der Vollmond hinter Wolken. Er wirbelt, er kreist, er zuckt, er springt, wie eine Katze, die man vor dem Ersäufen in einen Sack bindet. Über die Gesichter der Männer zucken Glück und Bewunderung. Sie wiegen sich, ohne es zu wissen, sie leben nur in den Augen. Ihre braunen Hände verharren auf halbem Wege mit dem dampfenden Glas voll »Nana« – dem Tee aus Menthe –, das ihre Finger verbrennt, ohne daß sie es fühlen.
Nun kehrt sich die Tänzerin auf schiebend gedrehten Füßen, das gewundene Tuch am Hinterkopf haltend, um zu zeigen, daß ihre ganze Mitte in diesem kreisenden Sterngang begriffen ist, dreht sich zurück auf Fersen, die nie den Boden verlassen und bewegt sich mit unmerklichem Schritt dem hüpfenden Neger zu, dessen weiße Augenbälle aus dem Kopf zu treten scheinen.
Und indem er sich auf ein Knie niederläßt, flötet er diesen wirbelnden, schwindelerregenden Bauch an. Die Nailia beugt sich im Knie, er berührt ihren Leib fast mit dem Trichter der Sudanflöte. – Wie eine riesige, schillernde Seifenblase scheint die Tänzerin an seinem Rohre zu hängen.
Ich stehe auf und versuche hinauszugelangen. Ich muß immer wieder um Raum bitten, ehe die sonst so ritterlichen Männer zu hören, zu verstehen vermögen.
Draußen steht ein Mozabit neben Messauda. Er ist fleckenlos rein und reich gekleidet, wie fast alle Mozabiten. Und er hat wie alle ein wachsbleiches Gesicht. Schaudernd habe ich das Gefühl, seine Hand müsse kalt sein wie die eines Verstorbenen.
Arme kleine Messauda, wenn Revuedirektoren jemals nach dem Mzab reisten und im rauchigen Café auf wackligen Ehrenbänken säßen, dann wärest du morgen reich und berühmt, und dein süßes Gesicht, dein bezauberndes Gesicht prangte in allen Journalen.
Es ist gewiß nicht immer leicht, ein Star zu sein. Ach nein. Aber es ist ein allzu schweres Los, als Nailia im Café Maure zu tanzen, den feuchten Blick in die Ferne gerichtet, aus der keine Hilfe kommt.