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Le Camus, der Vertraute und Rathgeber Jerôme's schon aus Amerika her, war diesmal, wo der König seine Provinzen absichtlich in der Umgebung von altem deutschen Adel bereiste, nicht wie sonst im Gefolge, und machte es sich daher zu Hause bequem mit den Geschäften des auswärtigen Amtes. Als vormaliger amerikanischer Pflanzer, wofür er sich gelten ließ, oder gar, wofür ihn seine Gegner ausgaben, als ehemaliger Gewürzhändler in Baltimore ein lustiger Kumpan Jerôme's, während dieser als französischer Marineoffizier dort mit Elisabeth Patterson verheirathet gewesen, verdankte Le Camus doch diesen auswärtigen Beziehungen das Ministerium des Aeußern. Aber auch in dieser ihm so fremden Stellung, die durch Hof- und Parteiränke, sowie durch den fortwährenden Einfluß des Kaisers Napoleon schwierig genug war, wußte sich Graf Fürstenstein zu behaupten, was doch immerhin besondere Fähigkeiten, große Gewandtheit und Weltkenntniß voraussetzte. Auch verrieth seine Erscheinung einen nicht unbedeutenden Mann. Hübsch und stattlich von Aussehen, trat er nicht nur sehr freundlich, sondern auch mit feinem Anstand und, wenn nicht mit eigentlich vornehmen – doch mit behaglichen Manieren aus. Das Vornehme suchte er durch eine gewisse Gravität beim Empfang, und durch die leicht bemerkliche Sorgfalt zu ersetzen, mit der er sich eines gewählten und sprachlich correcten Ausdrucks befleißigte. Seine nähern Bekannten hielten ihn übrigens für ziemlich kalt, theilnahmlos und in seinen Ausgaben sehr berechnend. Diese Gemüthsstimmung war vielleicht auch schuld, daß es mit seiner Heirath der Tochter Salha's nicht recht vorwärts gehen wollte; wenn er es nicht etwa seiner hohen Stellung angemessener fand, in Verbindung mit einer Familie von altem deutschen Adel zu kommen.
Heut war Fürstenstein noch gegen Mittag in seinem eleganten pariser Morgenanzuge und eben beschäftigt, mit einem Gabelfrühstück auf Porzellan von Sevres einen Militär zu bewirthen, der es sich in großer Uniform mit Orden auf dem Sofa bequem machte. Brigadegeneral und Kriegsminister Morio, ein Liebling des Königs, mit dem er als Adjutant aus Frankreich gekommen war, ein Mann von Talent und militärischer Bildung, ließ sich gern gehen, und zeigte in seinen Zügen, wie in seinem Benehmen, einen leichtgesinnten, aber sehr reizbaren und ziemlich brutalen jungen Mann, gegen den daher das lustige Völkchen am Hofe sich sehr vorsichtig zurückhielt. Auch jetzt verrieth er eine lebhafte Ungeduld, die Le Camus durch berechnete Unterhaltung zu beruhigen suchte. Er hatte sich nämlich schon länger um Adelen bemüht, und da er nach ihrem bisherigen Benehmen sich ihrer Neigung versichert hielt, so war er heut in großer Uniform gekommen, sich im Beisein ihres Bruders förmlich zu erklären und um ihre Hand zu bitten. Inzwischen war aber in den letzten Tagen durch das Begegniß mit Hermann nicht blos eine Umstimmung Adelens geschehen, sondern der ganze Trotz ihres leidenschaftlichen Herzens war dadurch hervorgerufen worden, daß ihr der Bruder, auf einen Wink der Generalin Salha, es abgeschlagen hatte, deutsche Lectionen bei dem jungen Manne zu nehmen.
Le Camus, der den Besuch Morio's nicht abwenden konnte, hatte diesen Morgen durch den freundlichsten Zuspruch die widerwillige Schwester nur mit Mühe dahin gebracht, den Bewerber zu empfangen und ihn wenigstens nicht geradezu abzuweisen, sondern sich eine so glänzende Zukunft offen zu halten, wie er sie ihr in der Verbindung mit Morio darlegte.
Unter diesen Umständen war es dem Minister wie erwünscht, daß die Großhofmeisterin der Königin gekommen war, Adelen, ihren Liebling, zu sehen und, wie es schien, Einiges mit ihr zu besprechen. Denn die Gräfin verweilte länger, und dieser Aufenthalt, der den verliebten General ungeduldig machte, gab dem Minister Zeit, den Bewerber vorzubereiten, daß er vielleicht nicht sogleich ein ausdrückliches Ja, sondern eine hinhaltende Antwort erhalten werde. Er brachte dies sogar in Verbindung mit dem längern Besuch, indem er sagte:
Wer weiß, was die Gräfin für eine Angelegenheit hat! Sie liebt Adelen, und bereitet vielleicht gerade für Ihre Bewerbung, General, die Gunst der Königin vor, die meiner Schwester nicht sehr gewogen ist, wie Sie wissen. Und mir wär's doch gar lieb, wenn Adele, nach der Verbindung mit Ihnen, Hof- oder Ehrendame würde. – – Apropos! Wissen Sie schon, General, daß der König sich der Großhofmeisterin nähert, seit die Gräfin B. zu Besuch bei ihren Verwandten ist?
Wahrhaftig? rief Morio. Nähert sich der Gräfin Antonie? Ah! ich finde sie sehr liebenswürdig. Sie ist vielleicht nicht so reizend wie die Gräfin Franziska –
Nicht so üppig, wollen Sie sagen, fiel der Minister ein; sie hat das Incarnat nicht wie diese; aber sie ist auch nicht so übermüthig, so brutal. Für uns, General, ist sie traitabler, und wird den König mehr durch Geist und durch ihre fürstliche Gesinnung fesseln.
Freilich etwas älter als der König! meinte Morio.
Ist das nicht auch die Gräfin Franziska? Und ebenso die Königin? versetzte Fürstenstein. Wissen Sie, das hat seinen Reiz, so lange man so jung ist wie Jerôme.
Und es hat wol auch etwas Anziehendes für ihn, daß sie von fürstlichem Blut ist – eine Prinzessin von – Dings da – verwünschte deutsche Namen!
Weiß ja wohl! lachte der Minister des Aeußern. Aber Sie wissen nicht, wie sehr die Oberhofmeisterin mit Herrn von Bülow befreundet ist. Und das bringt mich wieder auf mein Gestriges: Sie müssen sich wahrhaftig mit Bülow wieder verständigen, General! Er ist ein vortrefflicher Kopf – ein homme universel, sage ich Ihnen. Wir können uns gratuliren, daß wir ihn statt Beugnot's erhalten haben. Diese lange finstere Gestalt, dies Gespenst der Revolution – nun ja, Talent, Genie hatte Beugnot; aber Kenntniß der Finanzquellen des Landes fehlte ihm, und die deutschen Verhältnisse waren ihm fremd. Dagegen ist Bülow der Mann, der die Kassen zu füttern versteht. Sie kennen unsere Bedürfnisse, Morio, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Bülow unser gutes Verhängniß ist. Er ist der Mann der absoluten Nothwendigkeit für Westfalen. Dem König ist er zugleich persönlich höchst angenehm. Keiner hat, wie er, das Talent, unserm guten Jerôme jedes Geschäft, jedes deutsche Verhältniß faßlich darzulegen, wodurch Se. Majestät Zeit zum Vergnügen gewinnen.
Auf diese mit Lächeln begleitete Schilderung erwiderte Morio:
Es ist wahr, leicht und liebenswürdig ist dieser Bülow, ein artiger Preuße, nicht so kalt und vornehm geistlos wie diese hessischen und braunschweigischen Barone; aber ich traue seiner preußischen Gesinnung nicht. Und sehen Sie nicht, Le Camus, welchen Anhang er sich macht, der sich wirklich schon – die deutsche Partei nennt?
Ei was, Morio! rief der Graf. Wir nennen sie so, heißt das, eine französische Partei nennt sie so. Ist Westfalen nicht ein deutsches Reich? Sind die Deutschen hier eine Partei? Sie sind le tout! Was bleibt uns übrig, Morio? Wollen wir hier Fremde bleiben – wir, die Minister eines deutschen Königreichs? Hat der König nicht selbst den ersten Abgeordneten des Landes in Paris das Versprechen gegeben, sich die Sprache seiner Unterthanen anzueignen? Und wirklich gewinnt er Vorliebe für das Deutsche. Und darin wird ihn die Oberhofmeisterin bestärken. Bedenken Sie, welchen Einfluß durch die Gräfin und durch Bülow diese sogenannte deutsche Partei gewinnt. Soll ich Sie, meinen künftigen Schwager, auf der entgegengesetzten Seite finden, wo Bercagny einen feindseligen Anhang zusammenzuballen sucht? Sie waren früher mit Bülow auf dem besten Fuß; vergessen Sie ihm –
Mein Gott, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht! rief Morio und reichte dem Minister die Hand, so geh' ich zu ihm. Basta!
In diesem Augenblicke hörte man einen Wagen anfahren.
Nun, wer kommt noch? sagte mit neuer Ungeduld der General, indem er mit dem Grafen anstieß, der auf das ihm gegebene Versprechen die Gläser gefüllt hatte. Der Bediente, ein Franzose, trat ein, und meldete verlegen und lächelnd einen jungen hübschen Doctor, dessen Namen er nicht aussprechen könne.
Ist angefahren? Ein Doctor? fragte Fürstenstein nachdenklich.
Verzeihung, Excellenz! Angefahren ist der Wagen der Gräfin Oberhofmeisterin, sie abzuholen, antwortete der Bediente.
Während Morio, vergnügt des bei Adelen beendigten Besuchs, sich erhob, befahl der Minister, den jungen Doctor eintreten zu lassen. Doch wie betroffen blickte er auf, als er in dem Eintretenden Hermann erkannte, der deutsche Sprachunterricht ihm einfiel, und just Morio anwesend sein mußte, den die Angelegenheit mit anging! Er würde noch betroffener gewesen sein, wenn er hätte ahnen können, daß sein Empfang des jungen Mannes hinter dem Thürvorhange belauscht würde, der mit schweren seidenen Falten das Zimmer von einem Cabinet schied, an welches ein Salon stieß.
In diesen Salon nämlich hatte Adele aus ihrem Zimmer die Gräfin Antonie geführt, die von ihrer Stadtwohnung zu Fuß gekommen, ihren Wagen erwartete, um zur Königin nach Napoleonshöhe zu fahren. Beide traten, als der Wagen heranfuhr, ans offene Fenster, und bemerkten zu gleicher Zeit Hermann, der dem Wagen zuvor ins Palais eilte. Adelens Bewegung und Unruhe entging der Oberhofmeisterin nicht, und sie fragte, wer der hübsche junge Mann sei.
Ich kenne ihn, antwortete sie hastig und halblaut; aber ich muß Ihnen Alles erzählen – es ist eine intricate Geschichte. Der Bruder wird ihn unfreundlich empfangen, und gar Morio! Ach, verzeihen Sie einen Augenblick! Ich begleite Sie dann hinab.
Mit diesen Worten, unter unruhigen Geberden, schlüpfte sie in das Cabinet und an die Portière.
Ah, Sie sind es, Herr –! Der Bediente konnte mir Ihren Namen nicht nennen!
Mit dieser Ansprache empfing Graf Fürstenstein den jungen Doctor, dessen Namen ihm selbst vergessen war, und sagte dann weiter:
Sie kommen anzufragen wegen der Lectionen im Deutschen? Adele, meine liebe Schwester, hat mir schon gesagt, – aber freilich, mein Herr –
Verzeihung, Excellenz! fiel Hermann ein. Ich komme eigentlich von der mir ertheilten Erlaubniß Gebrauch zu machen, und Ihnen meine Ehrerbietung zu bezeigen. Ich wollte mich dem Wohlwollen Eurer Excellenz empfohlen haben, das mir zu meinem Fortkommen im Dienste Sr. Majestät des Königs höchst wünschenswerth ist.
Die angenehme Art, wie Hermann sich darstellte, besonders aber die gute Wendung, wodurch der Graf sich einer abschlägigen Antwort wegen der Lectionen überhoben sah, stimmte ihn aufs angenehmste. Er sagte ihm einiges Artige nicht ohne Feinheit, und gab ihm die besten Zusagen für Alles, was er in seiner Stellung und durch seine Verwendung beim Könige zur Beförderung eines – wie er sich ausdrückte – so vortrefflichen jungen Mannes zu thun vermöge. Und indem er die ungeduldigen Bewegungen des Generals bemerkte, stellte er Hermann mit den Worten vor:
Lieber General, Sie sehen hier den gelehrten jungen Mann, der wegen der deutschen Stunden –
Ah bah! unterbrach ihn Morio, auf den in Gedanken an Adelen gerade die gewinnende Persönlichkeit Hermann's einen eher verstimmenden Eindruck machte. – Mit den Lectionen ist es nichts, mein Herr! Müssen sich nach andern Schülerinnen umthun.
Le Camus, nicht wenig betroffen, suchte mit den Worten einzulenken:
Sehen Sie, mein Herr, die Stunden waren eigentlich für Mademoiselle Salha bestimmt. Man wird Ihnen gesagt haben, sie sei Braut; aber – das ist mehr bei Adelen der Fall. Sie ist so gut wie verlobt, und kann erst später –
Abermal unterbrach ihn Morio mit den barschen Worten:
Eigentlich, Herr Graf, ist ja der Monsieur auch nur gekommen, sich zu einer Anstellung zu empfehlen. Setzen Sie ihn auf die Liste der Candidaten! – Es ist freilich eine Unzahl von Subjecten, die von allen Enden der Welt hierhergelaufen kommen – Eh bien, mein Herr – Excellenz wird Sie notiren, oben an!
Er machte dabei mit der Hand eine verabschiedende Bewegung.
Hermann, indem er des Ministers Verlegenheit bemerkte, nahm sich gegen seine Aufwallung zusammen und sagte mit etwas bebender Stimme, doch mit Fassung:
Verzeihung, Excellenz, wenn ich gestört habe! Ich erlaube mir nur noch zu bemerken, daß ich aus Halle bin – einer Stadt, die zum Königreiche gehört. Ich bin mithin keiner der hergelaufenen Fremden, die ihr Glück in Westfalen suchen. Ich heiße in der Landessprache Teutleben, und bin wol für den Herrn General schwer auszusprechen.
Er verneigte sich und ging mit ruhigem Anstand, war aber kaum hinaus, als Morio, der aus Ungeduld an ein Fenster getreten war, auffuhr und mit den Worten: Was war das? Den Burschen soll der Teufel –! nach der Stubenthür eilte. Le Camus trat ihm entgegen, faßte ihn am Arm und sagte in gereiztem Ton:
Was wollen Sie, Morio? Noch mehr Beleidigung machen?
Beleidigung machen? Ich? fuhr Jener auf. Haben Sie nicht verstanden, daß der Kerl mich als hergelaufenen Fremden – mich beleidigt, mich?
So? Hat er das? entgegnete der Minister. Ich hab's überhört, – in der Verlegenheit darüber, daß Sie einem achtbaren Manne, der mir die Aufwartung macht, Beleidigendes auf meinem Zimmer sagen, ihn mit Handbewegung fortschicken, als ob Sie hier im Hause – Ja, das haben Sie, Herr General! Mich compromittirt, das haben Sie! Nehmen Sie dafür seine Antwort hin! Seien Sie ruhig, lachen Sie! Die Replik war gut. Und wissen Sie – Aber, basta! Lassen wir das! Ich denke, wir gehen hinüber. Kommen Sie! Machen Sie bonne mine. Die Gräfin wird fort sein. Ah ça! Allons!
Er rieb die Hände, lachte etwas gezwungen, klopfte Morio auf die Schulter und wiederholte:
Lassen wir's! Kommen Sie!
Als Hermann die Stiege hinabgekommen war, erblickte er Adelen in lebhaftem Gespräche mit einer Dame von bedeutendem Aussehen. Adele hatte nämlich nur einige Augenblicke gelauscht, und war zurückgeeilt, die Gräfin nach ihrem Wagen zu begleiten. Sie trat Hermann entgegen und sagte mit einer gewissen Würde:
Sie sind unfreundlich empfangen worden, mein Herr, und ich bin schuld daran: ich habe Sie eingeladen zu kommen. Ich muß Ihnen Erklärung geben, und hier die Frau Gräfin erlaubt, daß es bei ihr geschehe. Sie wird Ihnen eine gelegene Stunde bestimmen, und Sie –?
Verzeihung, Mademoiselle! erwiderte er. Ich bin gekommen, mich dem Herrn Minister zu empfehlen, und bin sehr freundlich empfangen worden. Nur der Herr General –
Was es auch sei – ich will Sie sprechen, wendete Adele ein, und Sie haben mir auch noch den Handschuh zurückzubringen, den ich damals fallen ließ –
Hermann griff nach seiner Weste, aber Adele versetzte:
Nicht hier, mein Herr, das schickt sich nicht! Wann erlauben Sie, Gräfin?
Die Oberhofmeisterin nannte gegen Hermann gewendet ihren Namen und ihre Wohnung, und bezeichnete ihm Tag und Stunde, wo sie ihn erwarte. Hierauf gab sie Adelen noch einen warnenden Wink, und bestieg ihren Wagen. Adele flog die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer, wo sie von Morio und dem Bruder bereits erwartet wurde.
Als Hermann hinter dem dahinrollenden Wagen das Palais verließ, war er durch alles in so raschem Wechsel ihm Begegnete so aufgeregt und zerstreut, daß er in Gedanken den Weg nach seiner alten Wohnung einschlug. Die Einladung zu der hochgestellten Dame ward ihm zu einem Räthsel durch das so stolze Benehmen Adelens, das ihm an ihrer naiven, niedlichen Person überraschend vorkam. Er überlegte das Versteckte dabei hin und her, bis zuletzt, als er mit heiterm Lächeln seines Irrweges inne wurde, auch das Schmeichelhafte der Intrigue über den Verdruß siegte, den er durch Morio genommen hatte und für den ihm eine so anmuthige Vergeltung geboten war.
Den kleinen Handschuh brachte er nun wieder mit zurück. Er betrachtete ihn lange und – da er Adelen für wirklich verlobt hielt – nicht ohne heimliche Betrübniß als die abgewelkte Hülle eines verlorenen allerliebsten Hündchens. Und doch schienen diese gekrümmten Finger zu winken, daß er doch ja kommen möchte.