Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Capitel.
Eine Fledermaus.


Lefèvre hatte ein umständliches Tagebuch über des Königs Reise mitgebracht. Reinhard übergab es alsbald einem vertrauten Employ2 seines Bureaus zu schneller Anfertigung einer Reinschrift, die mit der regelmäßigen Militärpost an den Kaiser abgehen sollte. Gegen den jungen Legationssecretär sprach er seine Zufriedenheit aus; er lobte seinen Eifer, seine gute Beobachtung und die richtigen Bemerkungen, die er über den Eindruck der Persönlichkeit des Königs auf die Bewohner in den Provinzen eingeschaltet hatte. Er versprach ihn von Seite seiner Brauchbarkeit und Verdienste dem Kaiser mit günstigster Note zu bezeichnen.

Dies that nun der Gesandte auch in dem Bericht, den er bereits im voraus entworfen hatte, und den er sich nun zu vollenden niedersetzte, da Jerôme, der zu Pferd ankommen und seine Gemahlin überraschen wollte, den Empfang der hohen Beamten und der Gesandten auf Napoleonshöhe hatte absagen lassen. Reinhard empfahl seinen Secretär, den er ungern verloren hätte, nicht ausdrücklich zur Beförderung, sondern zur Auszeichnung durch das Kreuz der Ehrenlegion.

Lefèvre war nämlich ein gebildeter, liebenswürdiger junger Mann von guter Familie, allerdings in der Kenntniß der französischen Geschichte und Literatur mehr zu Hause, als der deutschen Verhältnisse, Ideen und Sitten kundig. Reinhard kannte aber sehr wohl den Vortheil, den er davon hatte, indem er dadurch den Secretär, der ihn wahrscheinlich in seinem Thun und Denken zu beobachten und zu controliren angewiesen war, desto abhängiger von sich und von seiner Leitung erhielt. Daran mußte ihm aber um so mehr gelegen sein, als er sich von Seite der leidenschaftlichen französischen Partei in Cassel mistrauisch angesehen wußte. Denn die Gesinnung und Handlungsweise, die dem Baron von Reinhard auf allen Posten seiner wechselvollen Laufbahn den Ruf der Rechtschaffenheit und der Popularität erworben hatte, fiel gerade in die entgegengesetzte Schale der Wage, auf welche jene Partei ihre Berechnungen legte. Auch war ihr Mistrauen nicht gerade aus der Luft gegriffen. Es ließ sich denken, daß der französische Gesandte sich eben nicht beeifern werde, dem Kaiser, der ihn nicht liebte, irgend eine Gegenliebe aufzudringen. Die Pfahlwurzel seines Wesens stak noch tief genug in Schwaben und im tübinger Stift, daß er es im Stillen gern sehen mochte, wenn die deutsche Partei dem Einflusse der Franzosen entgegenarbeitete. Seinem Blick entging es nicht, was in Preußen und in Hessen, auf den Sturz der Fremdherrschaft abgesehen, unter günstigen Sternen dem Franzosenthum und dem westfälischen Gouvernement gefährlich genug werden konnte; wieviel er aber davon amtlich an seinen Kaiser berichten müsse, und was er als persönliche Muthmaßung für sich behalten dürfe, war eine Frage an Gewissen und Ehre, wobei er nicht blos den feinen Verstand des Diplomaten, sondern auch den umfassenden Blick des hochherzigen Weltbürgers zu Rathe zog.

Diese etwas wehmüthige Empfindung über seine Stellung in Cassel kam gerade diesen Abend wieder lebhafter über ihn, als er sich nach abgethanem Berichte noch bei einem Brief an Goethe aufhielt. Seit seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem Dichter aus Karlsbad schrieben Beide zuweilen an einander, und Reinhard benutzte gern jede Gelegenheit, neben der Post her freimüthiger schreiben zu können. Eine solche Gelegenheit durch einen über Weimar Reisenden war es eben, die ihn jetzt drängte. Eine Stelle dieses verrieth auch dem Dichter, und vielleicht diesem selbst zur Warnung, welche Rücksicht er wegen seiner Briefe zu beobachten hatte. Es hieß nämlich:

»Die hohe Polizei unserer hiesigen Posten hat seit einiger Zeit in Theorie und Praxis sich so vervollkommnet, daß eigentlich nicht mehr das Verlorengehen, sondern das Ankommen der Briefe eine Unregelmäßigkeit ist.«

Und wie rührend lautete die folgende Betrachtung über sein Leben und seine Stellung:

»Die Nation, unter der ich lebte, verdeckte mir die übrige Welt, und je tiefer ich fühlte, daß ich ihr nicht angehörte, um so mehr verzweifelte ich, anderswo Grund und Boden zu finden. Ich erschien mir in jedem Sinn als ein Mensch ohne Vaterland – – Meine Lage ist hier sehr delicat. Was soll ich an dem jungen, leichten lustigen Hof? Man supponirt folglich irgend einen andern Zweck, und es gibt deren, durch die man sich genirt fühlt.«

So war es dämmerig geworden, als der Gesandte sein Arbeitszimmer verließ, um den übrigen Abend mit seiner Familie zu verbringen. Kaum aber saß er gemüthlich im weichen Hausrocke, als er noch eine Anmeldung erhielt, die er in seine Schreibstube bescheiden ließ.

Der Mann im Mantel, der ihn absichtlich so spät heimsuchte, verneigte sich tief, als Reinhard eintretend ihn mit Bon soir, Monsieur Savagner! anredete. Sie bringen mir Ihrer Miene nach etwas Wichtiges. Aber legen Sie vor allem Ihr blaues Deckblatt ab, Ihre Fledermaushaut!

Während Savagner seinen Mantel ablegte, sagte er leise und hastig, wie er denn seinen verstohlenen Nachrichten viel Gewicht beizulegen pflegte:

Ja, Excellenz, die wichtigsten Mittheilungen! Wir sind nun dem Tugendbund am Bindriemen, und haben den Schacht zu – wer weiß allen denkbaren berliner Geheimnissen.

Das ist viel auf einmal, Herr Savagner! Reden Sie!

Mich kurz zu fassen, Excellenz, so hat Bercagny einen jungen Gelehrten aus dem vormals Preußischen gefunden, der sehr eingeweiht scheint und der ihm schriftliche Mittheilungen macht. Hier ist der erste Bericht desselben. Bercagny findet ihn noch nicht speciell genug, noch nicht erschöpfend, und hat ihn heut mit verfänglichen Fragen zurückgegeben, deren Beantwortung er sehr pressirt.

Verfänglich, sagen Sie? Warum verfängliche Fragen? fiel Reinhard gespannt ein.

Weil der junge Gelehrte nicht ahnt und nicht wissen soll, wozu seine Berichte bestimmt sind, antwortete Savagner. Ich weiß nicht genau, was ihm Bercagny als Zweck derselben vorgespiegelt hat; aber ich sehe dem Herrn »Ritter« an, mit welcher Ungeduld er darauf brennt, dem König und – hinter Eurer Excellenz Rücken her – auch dem Kaiser seine Enthüllungen zu machen, durch die er sich emporzuschwingen hofft. Verzeihen Eure Excellenz die unleserliche Copie! Ich konnte nur in verstohlenster Eile – Bercagny gab das Original kaum aus der Hand.

Und wer ist der junge Mensch? fragte Reinhard mit einer innern Unruhe.

Dr. Teutleben schreibt er sich, – an den Kapellmeister Reichardt empfohlen. Da dieser Reichardt selbst aber bei uns übel angeschrieben und im Verdacht preußischer Verbindungen steht, so hat Bercagny den jungen Ankömmling vorladen lassen, um ihn persönlich zu prüfen.

Der Gesandte war bewegt und überlegend mit dem Papiere nach einem Tische gegangen, und fragte jetzt mit angenommener Gleichgültigkeit:

Da hat sich also der junge Mensch gewinnen lassen?

Verzeihung, Excellenz! Meine Ueberzeugung ist, wie bereits gesagt, daß er sich eigentlich nicht hat gewinnen, sondern nur täuschen lassen. Er ist etwas Schwärmer, etwas Phantast, wenigstens was wir so nennen, und Bercagny war bekanntlich im Kloster, war lang genug Pfaff, um – — so zu sagen – Excellenz verstehen mich! Der junge Philosoph, glaube ich, ist Polizeispion malgré lui.

Und Sie glauben, Savagner, er wird diese – Irrlichterfragen Bercagny's, diese verfänglichen – wie Sie mir sagen – Specialitäten – treuherzig beantworten?

Warum sollte er nicht, Excellenz? Dieselben sind sehr schmeichelhaft für ihn abgefaßt, sehr überzuckert.

Sie schaffen mir dann schnell genug die Antworten? Ich erwarte das, Savagner!

Dem ungewöhnlich lebhaften Tone des Gesandten war es anzumerken, welchen Werth er auf die Mittheilung legte, und Savagner, sehr zufrieden mit dieser Wirkung, versetzte:

Ich werde mich bemühen, Excellenz. Denn ich weiß, wie ungeduldig der Kaiser auf diese Enthüllungen ist, und was damit zu verdienen steht. Für meine gewagten Bemühungen dabei schmeichle ich mir von der Generosität Eurer Excellenz –

Während er sich bei diesen Worten, die Hände auf der Brust gefaltet, tief verneigte, warf ihm Reinhard über die Schulter einen Blick der bittersten Verachtung zu, indem er sagte:

Ihr Verdienst dabei werde sich Ihnen mit doppelter Kreide zugute schreiben.

Unterthänigst verbunden! rief Savagner! Ja, mein sehnlichster Wunsch ist es, von hier hinweg – befördert zu werden. Ich habe eine ganz unwürdige Stellung, – meiner Herkunft, meinem Charakter, und vielleicht darf ich auch sagen, meinen Fähigkeiten nicht angepaßt. Und nun wird Bercagny auch täglich noch verdrießlicher, worunter ich sehr leide. Als ob ich eine Schuld dabei hätte, daß seine Frau durchaus von Paris hierher kommen will. Er wird immer trotziger auf das französische Interesse in Westfalen und feindseliger gegen die deutsche Partei, besonders gegen Herrn von Bülow. Ich glaube zu bemerken, Excellenz, daß er den Staatsrath Malchus gewonnen hat, um dem Finanzminister einen Gegner, vielleicht einen Nachfolger zu erziehen.

Glauben Sie? erwiderte Reinhard. Bülow gilt aber nicht blos beim Könige: er wird von meinem Kaiser sehr geschätzt, ich darf wol sagen, gewürdigt! Also, auf baldiges Wiedersehen, Herr Savagner! Danke nochmals!

 

Kaum hatte, in den weiten Mantel gehüllt, und die Mütze tief in die Stirne gedrückt, Savagner sich fortgestohlen, als Reinhard mit großen Schritten zu seiner Gemahlin zurückkehrte.

Es gibt doch bedeutsame Zufälle, Fügungen, oder wie ich's nennen soll, selbst auch im Alltagsleben, Christine! rief er lebhafter, als ihn seit lange die verwunderte Frau gesehen. Muß uns just heute der junge Mann, dein Günstling, ins Zelt gelaufen kommen, als ob er eiligst mit seiner Persönlichkeit Verwahrung einlegen wolle, ehe ich ihn aus einer unglücklichen Arbeit vielleicht falsch beurtheilen möchte. Bei ihm trifft es nicht zu, daß man den Vogel an seinen Federn erkenne. Hier hab' ich nämlich seine Politik in Händen, wegen der er heut die naive Frage an mich richtete. Diese Unbefangenheit bestätigt mir nun, daß dieser Bercagny wirklich – Es ist doch ein verwünschter Kapuziner-Ritter-Mephistopheles! Doch ich bin dir unverständlich, Christine. Höre nur!

Er erzählte nun der betroffenen Frau den Fall, den er nach Savagner's Mittheilung scharf durchschaute. Am Schlusse rief er aus:

Wie ziehen wir nun den unbesonnenen jungen Mann aus der Patsche? Wie retten wir den Getäuschten, den forcirten Politiker, den Nationenvermittler aus seiner ungeahnten Selbstentwürdigung, aus seiner enthusiastischen Denunciation? Wie? frage ich, ohne Gefahr für ihn, und ohne daß ich mich bloßstelle? Es ist nicht so leicht, wie es scheint, liebe Frau! Der Hallunke Savagner, der mir die geheimen Mittheilungen aus der Region der hohen Polizei liefert, hat mich von dieser Sache in Kenntniß gesetzt, um sich dadurch verdient zu machen, und darf nun schlechterdings nichts an mir oder von mir wahrnehmen, was er auch wieder gegen mich gebrauchen könnte. Und was den jungen Verräther betrifft, so fürchte ich, daß ein in der Welt so fremder, in der Beurtheilung der Menschen so kurzsichtiger junger Mann jede Mittheilung oder Warnung falsch benutze, und gerade aus edler Entrüstung über die Art, wie man ihn misbraucht hat, entweder ins Zeug hineinstürme, oder für immer argwöhnisch und entmuthigt werde.

Ja wohl, bester Mann, versetzte sie, die Sache ist zu bedenken, und doch müssen wir eine Auskunft finden, ehe er seine so beeilten Antworten ertheilt. Wahrlich, es ist recht zu beklagen, daß gerade ein so edler, für Höheres begeisterter junger Mann von trefflicher Begabung gleich mit dem ersten Schritt auf seiner neuen Bahn in die Schlinge des Versuchers fällt. Indeß, – es hat jedenfalls Zeit bis morgen, und bis dahin fällt mir gewiß ein guter Gedanke ein, ein diplomatischer Fund des Herzens, mit dem ich dem französischen Gesandten unter die Arme greifen kann.

Lächelnd umfaßte sie den hohen Mann unter den Armen, und streckte sich an ihm hinauf, ihm Gutenacht zu sagen.

Geh' nur zu Bett, liebes Kind! sagte er, ihre Wangen streichelnd, mit feinem ironischen Lächeln. Ich muß ja erst noch die politische Denkschrift unsers unpolitischen Philosophen lesen! Ich denke aber künftighin viel ruhiger zu schlafen, wenn ich erst einmal hinter das Geheimniß gekommen bin, wie zwei feindselige und erbitterte Nationen zur Raison zu bringen sind. Und hier hab' ich das Recept dazu, – meinen Schlaftrunk!



 << zurück weiter >>