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Ein heiterer Maitag ging zu Ende. Es dämmerte bereits in der engen, vom sinkenden Abenddufte etwas feuchten Steinweggasse, als die zum Polterabend Geladenen, Einer um den Andern, sich im Hause der Frau Wittich einfanden, und von Braut und Bräutigam empfangen wurden. Am frühesten waren Lina's Freundinnen erschienen, und umgaben mit der anschmiegendsten Zuthätigkeit die morgen aus ihrem Mädchenkreise Scheidende. Es waren lauter recht hübsche Mädchen, obgleich sich keines derselben in Gestalt, Anmuth und seelenvollen Zügen auch nur von fern mit der Braut vergleichen mochte. Am nächsten kam ihr eine allerliebste Blondine, über zwanzig alt, blühend, lebhaft und ausgesprochen verständig, dabei mit ihrem frischen Mund alle Welt anlachend.
Es ist meine liebe Therese Engelhard, sagte Lina auf Hermann's Befragen, die zweite Tochter der bekannten Dichterin Philippine Engelhard, geborenen Gatterer. Diese Professorstochter kam vor etwa achtundzwanzig Jahren von Göttingen herüber, um sich von dem berühmten Tischbein malen zu lassen, und machte bei demselben die Bekanntschaft eines jungen Freundes desselben, des damaligen Secretärs Engelhard, der ihr Mann wurde, jetzt Oberappellationsrath ist, und dem sie sieben blühende Töchter schenkte.
Einer schalkhaften Bemerkung Hermann's kam Lina mit der Auffoderung zuvor:
Kommen Sie und lernen das kluge Dichterkind kennen!
Sie stellte ihn jetzt noch einmal besonders dieser Freundin vor und überließ ihn der angenehmen Unterhaltung. Denn eben kamen wieder Brautgeschenke zur Aussteuer an, und wurden zu den schon überbrachten auf den Tisch versammelt.
Auch die alten Hausfreunde ließen nicht auf sich warten. Hermann wurde ihnen vorgestellt, und an der Art, wie sie ihn mit einer pedantischen Vertraulichkeit, mit höflicher Freundlichkeit empfingen, hätte er wahrnehmen können, daß sie bereits von ihm wußten und eine gute Meinung gefaßt hatten. Diese alten Hessen hielten sich mit einer geheimnißvollen Aufmerksamkeit auf den Regierungsrath Schmerfeld gerichtet, der zwar als vortragender Rath des französischen Gouverneurs von Cassel in der neuen Ordnung der Dinge stand, insgeheim aber die verdeckten Beziehungen leitete, die der nomadische Hofhalt des vertriebenen Kurfürsten mit seinem Anhang in der Residenz unterhielt. Jeder von den Alten, auf den Schmerfeld zufällig den Blick richtete, erschien wie von einer besondern Erwartung durchzuckt. Einer schoß auch gleich auf ihn zu, empfing aber einen ablehnenden Wink. Doch bemerkte Hermann, der unter Unbekannten sehr achtsam zu sein pflegte, daß der so angesehene Mann, so oft im Zimmer etwas Neues eintrat, was die Aufmerksamkeit auf sich zog, einem oder dem andern von den Vertrauten etwas zuflüsterte, was derselbe mit aufgespannten Augenbrauen und vorgeschobenen Lippen aufnahm. Der junge Freund vermuthete, daß es wol hinter den hergebrachten Ceremonien des Polterabends, die eben vor sich gingen, auf eine besondere Ueberraschung abgesehen sei.
Die beiden Stuben, die geöffnet standen, waren nicht sehr geräumig, sodaß die Gesellschaft sich ein wenig drängte, besonders als man etwas später für die jungen Freunde und Freundinnen des Brautpaares Platz zum Tanzen zu machen suchte. Ehe es aber zu den so sehr erwünschten Sprüngen kam, machte sich ein Fremder, den Schmerfeld mitgebracht und als Baron von Rehfeld eingeführt hatte, durch die Lebhaftigkeit bemerklich, mit der er, unter den jungen Leuten umherspringend, allerlei Spiele in Vorschlag brachte, von denen aber keines verfangen wollte; sodaß er sich endlich lachend unter die Zuschauer zurückziehen mußte. Er selbst blieb für Manche das Räthsel des Abends. In der ängstlich befangenen Stimmung, die damals die althessischen Lebenskreise mehr und mehr durchdrang, fiel jeder Fremde schwer auf, indem man denselben bald als einen geheimen Agenten der neuen Gewalt mit Argwohn, bald als einen Theilnehmer an den öffentlichen Vortheilen der Fremdherrschaft nicht ohne Misgunst ansah. Aus diesem Grunde hatte Schmerfeld seinen Gast gleich dadurch in ein günstiges Licht zu stellen gesucht, daß er ihn als guten deutschen Baron einführte, der einige Zeit in Cassel zubringen, hieß das, sein Geld verzehren wolle. Dennoch blieb es befremdlich, wie ein Mann von so geckenhafter Art an den ernsten, steifen Schmerfeld geraten sei.
Baron Rehfeld war nämlich ein Mann in den Dreißigen, nicht groß und nicht stark aussehend gebaut; dennoch verrieth sein Gang und jede seiner Bewegungen, wenn er sich vergaß, eine biegsame, sprungfertige Kraft der Muskeln, eine Lebhaftigkeit und Gewandtheit, die er unter einem etwas geckenhaften Benehmen verstecken zu wollen schien. Mit diesem Betragen stimmte der Anzug des Sonderlings überein, indem er heut wie immer sorgfältig gekleidet, aber in auffallenden Farben und öfter im Nachtrabe der Mode ging. Diesen Abend war er in einem festlichen Frack von übertriebenem Modezuschnitt, sonst trug er gewöhnlich einen weißgelben Ueberrock. Dabei schien er sich doch nicht wenig als Mann von Geschmack zu wissen, gab sich gern als Kenner von Gemälden und Weinsorten, als guten Techniker für feine Schüsseln und als echten Weltweisen, der kein höheres Anliegen kenne, als die Wechsel der Politik in Geldwechsel zu verwandeln, kein erhabeneres Lustgefühl, als auf der Schaukel der Börse auf- und niederzuschweben.
Nach jenen misrathenen Spielversuchen war der erste Walzer glücklich abgetanzt, und der zweite wurde angestimmt, als vom Gang herein, durch die etwas geöffnete Stubenthür, die Saiten einer Harfe erklangen. Solche Erscheinung war etwas Ungewöhnliches und erregte große Spannung. Alles schwieg lauschend, worauf gleich eine angenehme männliche Stimme die Goethe'sche Ballade anhob:
Was hör' ich draußen vor dem Thor,
Was auf der Brücke schallen,
und nach den Worten: »Laßt mir herein den Alten«, der Harfner selbst im vollen Romancostüm eintrat, in dem langen dunkelbraunen Gewande, den kahlen Scheitel von wenig grauen Haaren umkränzt, und den langen weißen Bart die Brust herabwallend. Der Bräutigam, den Schluß voraus berechnend, hatte sich fortgeschlichen, um dem Alten im rechten Augenblick in einem silbernen Familienpocal den begehrten Becher Weins darzureichen, was die lauteste Heiterkeit erweckte.
Wie er mit zitterndem Arme den Becher vom Munde nahm, trat die Braut hervor und sagte mit schalkhaftem Zunicken: Wie kommt das, guter Alter, nur mit den Fingern auf der Harfe bist du alt geworden; deine Stimme aber ist dabei so frisch geblieben, wie deine muntern Augen!
Worauf der Sänger, die schönen Augen niederschlagend, ein gar anmuthiges Lied anstimmte, das Allen neu und, wie im Augenblick eingegeben, das Glück der Jugend pries – einer stillen Wechselliebe, einem häuslichen Glück und einer treuen Freundschaft nicht fremd zu bleiben.
Wie er sich dann verneigend zum Fortgehen wendete, rief Lina:
Hier bleiben! Hier bleiben! ruft man einem lieben Sänger zu. Komm her, Alter! Auch du sollst uns nicht fremd bleiben, und die schönen Wünsche deines Liedes verdienen es, daß auch du dreifach glücklich werdest. Kommt, ihr Mädchen, helft mir ihn verwandeln, ihn verjüngen!
Schnell und doch mit aller Anmuth ward ihm die künstliche Scheiteldecke abgenommen, der lange Bart abgelöst, und Hermann sah lachend aus dem Mönchsgewande, das er nun selbst rasch abstreifte; worauf er mit einem Winke nach dem harrenden Geiger Lina's Hand ergriff und den Walzer anhob.
Sie hatten Recht mit der Harfe, sagte er; ich hatte die begleitenden Accorde erst in den letzten Tagen bei Reichardt eingelernt.
Lina drückte ihm dankbar die Hand.
Während nun das junge Volk sich nach der schreienden Violine des altcasseler Gesellschaftsmusikanten abtobte, richtete die Mutter Wittich mit Hülfe der Magd in einem Hinterstübchen die einfache Bewirthung an, die in süßem Kuchenwerk und einem Kumpf heißen Rothweins bestand.
Es ist nicht zu beschreiben, sagte sie, was der Aufwand in Cassel zunimmt, Katharine. Wo hat man sonst an etwas Anderes gedacht, als an eine Schüssel Aepfelmuß mit Kartoffelstücken! Oder man kam zum Kaffee zusammen, und wenn dazu der Tisch mit einer Serviette belegt und eine Strohmatte darüber gerollt war, auch die chinesischen Tassen um die mürben Wecken auf dem zinnenen Teller standen, so blickte das staunende Vergnügen aus allen Augen heraus! Wir haben's nun heut ganz altcasselisch halten wollen, aber es ist nicht mehr zu machen. Und mein Schwiegersohn wollte es nicht. Freilich haben sich auch meine Aepfel nicht über den Winter gehalten, und an den Kartoffeln ist auch kein guter Bissen mehr im Mai, wenn sie ellenlang gekeimt haben. Den Kaffeezahn muß man sich aber vollends ausreißen lassen, seitdem der Kaiser Napoleon die große Sperre angeordnet hat. Mein Herr Schwiegersohn aber sagte: Kommen Sie mir ja nicht, liebe Mama, mit Ihren Cichorien! Was nun aber draus werden soll, wenn das junge Blut zu den hitzigen Sprüngen auch noch den heißen Würzwein trinkt? Nun, nun! Der Himmel mag sie behüten! – Aber, Katharine! Hat Sie droben Alles besorgt? Ich sehe, die alten Herren schleichen sich schon fort und hinauf. Begreiflich! sagte mein seliger Mann. Die arbeiten nicht mehr mit den Tanzbeinen, sondern mit den Kinnladen.
Als nachher auch Hermann etwas erhitzt von seinen Walzern aus dem schwülen Zimmer hinauf in seine Stube kam, fand er die Herren schon recht munter bei kalter Küche und feurigen Flaschen. Zu den ältern Hausfreunden waren noch ein paar jüngere Amtsgenossen des Bräutigams gekommen. Zwischen diesen und jenen setzte die Weinlaune bald auch, in lauter Unterhaltung, Sticheleien auf die alte und neue Zeit ab. So äußerte einer der Alten, als ihn der Bräutigam zu trinken nöthigte, um ihm wieder einzuschenken:
Ja, ja, man sieht, daß unser glücklicher Bräutigam im neuen Dienste steht, wo das große französische Faß fließt!
Worauf ein Freund des lächelnden Heister erwiderte:
Bei euch Altkurfürstlichen tröpfelte es freilich aus einem andern Faß. Man nannte es – Nefas. Wer erinnert sich noch des Gardelieutenants von Lestoque mit dem steifen Zopfe, der später als Zollcontroleur nach Rumbeck an der Weser kam? Hier bestand sein Einkommen hauptsächlich aus sehr bedenklichen Sporteln und Abfällen, aus sogenanntem Nefas, sodaß er gewissensängstlich selbst einmal den Kurfürsten persönlich um Zulage oder um ausdrückliche Ermächtigung das Nefus zu nehmen bat, ohne das er ja nicht leben könne. Da gab ihm der Kurfürst, mit gnädigem Klopfen auf die Schulter, den Bescheid: Nehmen Sie nur das Nefas, lieber Lestoque! Zulage kann ich Ihnen nicht geben.
Man lachte, und war nun auf die Zöpfe gekommen.
Ja, sagte Einer von der Präfectur, der Zopf war eigentlich der Pendel, der in Geschäften wie in der Gesellschaft Alles in Bewegung setzte. Das ganze Leben war Zopf, war gewickelt – in Wollenschnur oder in Floretseide, bürgerlich oder adelig. Was sich Das, wie über Nacht, durch den leichten französischen Ton geändert hat. Ich erinnere mich noch, wie ich bei meiner ersten kleinen Anstellung nach Wilhelmshöhe fuhr, mich zu bedanken. Der Kammerdiener stand an einer der kolossalen Säulen der Schloßtreppe, wo man den prachtvollen Ausblick nach dem waldigen Höhenzuge des großen Christoph hat. – » Der Herr ist in den Park gegangen«, sagte er, »wird aber bald zurückkommen. Wahrhaftig, treten Sie herein! – er ist schon in der Nähe, sein Hündchen haben eben gebellt!«
Herr von Rehfeld brach in schallendes Gelächter aus.
Wie war's denn aber, als der Marschall Mortier, der Bullenbeißer, vor den Thoren Cassels bellten, rief er aus. Nicht wahr, da gingen die Wickelzöpfe auf?
Um so bedenkliche Erinnerungen selbst zu lenken und auf der schmalen Linie des Geschichtlichen, ohne Anstoß durch parteiliche Gehässigkeiten, ruhig vorüber zu führen, fiel Schmerfeld rasch ein:
Gott, wenn ich jener angstvollen Wochen gedenke! Der schöne fruchtbare Sommer des Jahres 1806 war vorüber, als mit Anfang Octobers das preußische Hauptquartier nach Naumburg vorrückte und Blücher sein Corps durch Cassel über Wabern und Fritzlar gen Frankfurt vorschob. Ihr könnt euch denken, wie der französische Gesandte Bignon nach dem Eindruck spähte, den dieser franzosenfeindliche Zug in einem neutralen Lande machte.
Neutral? fiel Rehfeld ein. War denn euer Kurfürst damals nicht selbst im preußischen Hauptquartier? Und sollte sogar das Obercommando des rechten Flügels der Preußen angenommen haben.
Mit einiger Befangenheit versetzte Schmerfeld:
So genau bin ich nicht unterrichtet. Aber Sie müssen bedenken, Herr Baron, daß wir mit Preußen in Erbverbrüderung standen, und daß die Lage des Landes, Familienverwandtschaft und Religion den Kurfürsten zur preußischen Politik zogen.
Ich habe gar nichts dagegen, lachte der Baron, im Gegentheil! Aber er hatte Napoleons Einwilligung zu einer Neutralität, die Truppen auf dem Friedensfuße! Sehen Sie!
Nun ja! fuhr Schmerfeld fort. Daher kam denn auch der Herr in der Nacht des 4. October aus dem Hauptquartier herbeigeeilt mit dem Befehl an Blücher, seine Truppen sofort aus Hessen zurückzuziehen.
Aber – die hessischen Beurlaubten wurden ja doch eingezogen, die Cavalerie verproviantirt, hm?
Das mag denn freilich mit veranlaßt haben, entgegnete etwas kleinlaut der Erzähler, daß nach der Schlacht bei Jena der französische Gesandte Bignon nach Berlin berufen wurde und sich mit dem Verlangen verabschiedete, der Kurfürst möge zum Rheinbunde treten und seine Truppen mit der französischen Armee vereinigen.
Das war nun freilich blos auf den Busch geklopft, wie man sagt, wendete Rehfeld ein, oder es war auf die Zinne des Tempels geführt; aber es war consequent. Napoleon merkte wohl, daß, wenn er geschlagen worden wäre, eure bewaffnete Neutralität sich an die siegenden Preußen angeschlossen hätte; nun war er Sieger und begehrte das Gleiche für sich. Nun, und der Kurfürst?
Berief sich auf die ihm zugestandene Neutralität. Allein –
Nun ja, nur heraus damit! lachte Rehfeld. Die Neutralität wurde nicht mehr respectirt, wollen Sie sagen. Sehr begreiflich! Doch, misverstehen Sie mich ja nicht, meine Herren! Ich bin, auf Ehre, kein Franzosenfreund, nein! unter so braven Hessen darf ich sagen, ich bin den Franzosen so abgeneigt, wie euer Kurfürst; aber, kann man sich der Politik freuen, wie sie jetzt von unsern kleinen Fürsten geübt wird, eben weil sie klein sind? Zu klein für das Glück Deutschlands! Sie hassen und – heucheln, oder sie huldigen und – lassen sich hudeln. Da habt Ihr Alles mit h, mit vier – ha, ha, ha, ha!
Einige der Gastfreunde lächelten zu dieser bitter erzwungenen Spaßhaftigkeit; mehre sahen einander mit räthselnden Blicken an, und Schmerfeld fuhr fort:
So kam es denn, daß der zurückgebliebene französische Geschäftsträger St. Genest am Abende des 31. October, während Marschall Mortier seine Vorhut gegen das Leipziger, der König von Holland die feurige gegen das Holländische Thor unserer Residenz vorschoben, dem Kurfürsten im Schlosse Bellevue nur die Aussicht auf den Rheinbund oder auf feindliche Besetzung des Landes übrig ließ.
Eine fatale belle vue! rief dazwischen Rehfeld, und der Andere sprach weiter:
Da entschloß sich der Herr, seine hohe Person auf eine herstellende Zukunft für seine treuen Hessen in Sicherheit zu bringen. Zum ersten mal in seinem Regentenleben im Civilkleide ward er nebst dem Kurprinzen vor dem Leipziger, ward vor dem Holländischen Thor zurückgewiesen, und eilte durch das Kölner Thor über Arolsen nach Itzehoe, wo er jetzt noch bei seiner Schwester-Aebtissin verweilt. Dies geschah am 1. November, dem Tag seines Regierungsantritts vor 21 Jahren.
So verlor er also das vingt-un seiner Regierung! rief Rehfeld. Und sein Hündchen haben nicht gebellt und den Mortier gebissen?
Aber seine Armee hat geknurrt! wendete ein jüngerer Gast ein. Glauben Sie ja nicht, daß wir Hessen das so hingehen ließen. Da war Keiner, der an die Straßenecken »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« geschrieben hätte.
Die Ruhe war ohnedies da, nicht wahr? lächelte Rehfeld.
O nein! fuhr jener fort. An dem stillen düstern Morgen hätten Sie, Herr Baron, auf dem Königsplatze den Unwillen, den Ingrimm der treuen Soldaten sehen sollen, als sie, für ihren Fürsten und das Land Alles zu wagen bereit, jetzt die Waffen strecken mußten. Sie zerschlugen in knirschendem Zorn ihre Gewehre, und der wackere Major von Müller zerbrach mit edeln Verwünschungen seinen Degen, ging zum französischen Gouverneur Lagrange und nahm französische Dienste.
Der Baron lächelte zu diesen erstaunlichen Wagnissen, aber er hielt an sich und sagte blos:
Ominöser Name Lagrange nach einer Occupation! Wahrscheinlich wollte man die berühmten Schätze des Kurfürsten einscheuern. Aber die hatte der Herr im Civil wol nicht zurückgelassen, wie seine treuen Soldaten, nicht wahr, nein?
Gott sei Dank, daß dies Vermögen für eine bessere Zukunft, für eine glückliche Herstellung der Dinge gerettet ist! versetzte Schmerfeld. Aber einzuscheuern blieben noch werthvolle Gegenstände genug zurück. Das Zeughaus wurde geleert und nach Mainz gebracht, die besten Kunstwerke, die herrlichen Claude-Lorrains, die Rembrands, die derben Viehstücke Paul Potters wurden aus der Galerie nach Paris eingepackt
Ha! Von diesem Denon, fiel der Baron ein, der schon der Expedition Bonaparte's nach Aegypten folgte, und jetzt hinter den französischen Heeren durch Deutschland zieht, wie ein Geier auf die Kunstschätze zu stoßen, die für die mit prahlerischem Uebermuth angelegten Kunstsammlungen nach Paris geschleppt werden!
Und welche Lumperei, die dafür einzog! rief ein alter Hesse, den der gute Wein ermuthigt hatte. Damals sahen wir Bretagner in Holzschuhen, Provençalen in Strohhüten einmarschiren, und all' das Gesindel wurde auf unsere Kosten uniformirt.
Aber, nicht wahr, es rumorte doch auch hier und da im Lande? fragte Rehfeld.
Allerdings gab's einige Aufstände, erzählte Schmerfeld. Die Einquartirung war drückend, und es sollten hessische Regimenter für die Franzosen gebildet werden. Da wurden die Bauern wild, requirirten Gewehre, wo sie zu haben waren, und wählten einen Herrn von Uslar zum Anführer. Es spukte da und dort: das Schloß zu Marburg wurde von den Aufständischen genommen, Italiener in Hersfeld gefangen u. dergl., bis Lagrange Truppen aus Mainz herbeizog und der Kurfürst selbst aus der Ferne Ruhe gebot. Hiermit und mit einigen Deportationen und Hinrichtungen war's aus.
Bei diesen Worten ging die Stubenthür auf, und ein westfälischer Stabsoffizier trat ein.
Müller, Müller! rief Schmerfeld, und erhob sich, ihn zu begrüßen. Man rückte zusammen und Heister setzte ihm mit freundlicher Einladung einen Stuhl.
So feierlich? fragte der Offizier, so ernst bei einem Verlobungsschmause?
Schmerfeld versetzte:
Die Erinnerungen dieses Augenblicks stimmen uns so. Das Verhängniß unsers Vaterlandes war über uns gekommen, und da treten Sie unerwartet ein, wie eine Erscheinung, wie –
Ihn unterbrechend, erwiderte der Oberst ruhig, aber sehr ernst:
Ich komme Abschied zu nehmen, meine Freunde. Es ist mir lieb, euch hier so beisammen zu finden, ich hätte euch kaum Alle besuchen können. Ich habe kurzen Befehl erhalten, morgen früh mit einer Abtheilung der für Spanien bestimmten Truppen auszurücken. Der Kaiser dringt sehr; wir sind noch nicht fertig mit dem ganzen Contingent, und so machen wir wenigstens eine Bewegung.
Nach Spanien? riefen Etliche, und eine ängstliche Stille entstand, in die Rehfeld etwas exaltirt ausrief:
Ja, von dort, über die Pyrenäen herüber, reicht eine edle Nation in begeistertem Aufstand unserm unterdrückten deutschen Vaterlande die Hand. Auf denn, Germania! Trinken wir auf unsere Erhebung!
Auf diese ungeschickten Worte, die des Offiziers westfälische Uniform nicht berücksichtigten, setzte Müller sein Glas nieder, indem er den Sprecher scharf und befremdet ansah, und dann einen fragenden Blick auf die Freunde warf.
Schmerfeld nahm rasch das Wort:
Verzeihung, lieber Herr Oberst, daß wir Ihnen einen fremden Herrn nicht gleich vorgestellt haben. Herr Baron von Rehfeld, ein braver preußischer Gutsbesitzer, mir anempfohlen und von mir hier eingeführt, ein heiterer Gesellschafter!
Zu dienen! antwortete Rehfeld. Und ein Mann, der manchmal so glücklich ist, einen ungeschickten Trinkspruch auszubringen. Denken Sie, ich hätte nur eine patriotische Redensart zum Besten geben wollen. Fort mit der Politik bei so köstlichem Chambertin! Laßt uns aber lieber zum Abschied eines braven Soldaten vom Vaterlande edeln Rheinwein einschenken, und mit ihm anstoßen, der sich bald mit feurigen spanischen Sorten herumschlagen wird!
Es wurde auf diese heitere Wendung zu den weißen Flaschen gegriffen und lebhaft mit Müller angestoßen. Aber auch solche Aufmunterung zur Fröhlichkeit wollte nicht verfangen. Die Meisten schienen auf dem Herzen von Etwas bedrückt, was nicht laut werden durfte. Die trüben Augen der ältern Herren hingen an dem tief ernsten Gesichte Müller's. Dieser trank bald dem Einen, bald dem Andern zu, mit Blicken, die das geheimste Verständniß der Freunde suchten. So trank man auch ihm entgegen, und es wurde immer stiller unter ihnen. Endlich erhob sich der Offizier, umarmte die ihm angehörigsten Freunde; bei jedem klang das Lebewohl schmerzlich leiser, und als dem Scheidenden die Thränen kommen wollten, eilte er, von Mehren begleitet, der Thüre zu.
Lina begegnete ihnen mit einer Bleifigur in der Hand.
Noch ein guter alter Freund erscheint, sagte sie lachend, und will wenigstens – wie heißt's? – in effigie, in Figur beim Feste sein. Was, und Sie wollen schon fort, Herr Oberst?
Müller hatte ihre Hand gefaßt. Adieu, Töchterchen! sagte er beklommen, und zu Heister: Adieu, du Glücklicher! Dir wird sie ein eben so liebes Frauchen werden, und Gott segne eure Zukunft!
An der Treppe flüsterte er den Vertrautesten zu:
Lebt wohl, ihr lieben Alten! Wiedersehen werden wir uns nicht. Ich bringe jetzt dort, jenseit der Pyrenäen, mein blutig Sühnopfer dafür, daß ich meinen hessischen Degen zerbrach, und diesen vaterlandsfeindlichen an die Seite steckte; daß ich im Zorn über einen Fürsten – des Volkes vergaß. Und es ist mir lieb, wenn ich zu einem solchen Weiheopfer noch gut und würdig genug gefunden werde. Oder, hätte ich diese Klinge vielleicht gegen euch führen sollen, wenn ihr eines Tags euch erhebt, wie dies spanische Volk? Mein Leben, als Opfer gebracht, komme dann euch und euerm Wagniß als Segen zugute! Lebt wohl! Still, sagt mir nichts! Der Himmel segne eure Zukunft, euern Bund, euern Kampf. Eines nur haltet vor Augen: Denkt dabei an das Heil der Zurückgebliebenen, nicht an das Vivat für die Fortgelaufenen!
Müller eilte fort, und die gerührten Freunde kehrten zu den Lustigen zurück, die Lina's Bleifigur von Hand zu Hand gaben.
Der dicke Oberappellationsrath Lennep, den diese Figur ziemlich treffend vorstellt, wird zu den casseler Sehenswürdigkeiten gezählt, erklärte Heister den beiden Fremden, Hermann und Rehfeld. Der gutmüthige Mann hat sich selbst dazu bekannt, als er vor einigen Jahren dem Augenglase eines Engländers Stand hielt, den ein schelmischer Lohnbedienter zu dem corpulenten Manne brachte, um ihm eine Rarität der Residenz zu zeigen. So findet der sonst wackere und tüchtige Mann auch seinen Spaß daran, in Blei gegossen den Kindern zum Spielzeug zu dienen und zum Christ beschert zu werden.
Er fängt aber an, gewaltig abzumagern, bemerkte der Gäste Einer.
Ja, und aus purem Patriotismus! versetzte Lina. Er nämlich und die Cabinetskasse des Kurfürsten haben sich unter der althessischen Einrichtung am besten bekommen. Die Cabinetskasse war so glücklich, sich mit ihrem allergnädigsten Herrn davon zu machen; Lennep aber mußte Stand halten, und magert nun in einer Zeit ab, die nur den Fremden gut anschlägt.
Prächtig! rief Rehfeld, indem er Lina's Hand küßte. Der Bräutigam soll leben, der ein Frauchen bekommt, das nicht blos einen Rehziemer, wie er uns hier schmeckt, sondern auch ihre Rede geziemend spicken kann! Aber, wißt ihr auch, ihr Herren, daß jene Cabinetskasse ein Gegenstand der Besorgniß für Napoleon ist? Ja doch! Sie ängstigt ihn mehr als des Kurfürsten Zopf und Degenscheide. Er berechnet, welche Macht der Kurfürst an den Millionen besitzt, ihm Feinde durch Subsidien zu erregen, Feldschützen, Landstürmer, Volksaufstände, um ein Land, das Mortier nicht mit Bayonneten, sondern blos mit den Beinen eroberte, mit umlaufendem Geld wieder zu gewinnen.
Diese Rede wurde mit allgemeinem Stillschweigen vernommen, wobei die Einen mit Lächeln tranken, die Andern sich verlegen die Gläser füllten. Rehfeld aber schlug ein helles Gelächter auf.
Nicht wahr, rief er, was so ein Napoleon für eine unnütze Furcht haben kann!
Hermann, von dem rasch genossenen Weine träumerisch eingenommen, war an das offene Fenster getreten und blickte in die mondhelle Nacht. Unter den Arkaden gegenüber schwärmten verliebte Paare; eine Serenade aus der Ferne kam dazu, sein sehnsuchtvolles Herz noch höher zu stimmen. Sehr ungern sah er sich in dieser Empfindsamkeit durch Rehfeld gestört, der sich zu ihm ins Fenster legte.
Ich höre, Sie haben in Halle studirt, sagte er; waren Sie vielleicht dort, als auf Napoleon's Befehl die Universität aufgelöst und die Studenten vertrieben wurden?
Hermann bejahte kurzweg, und der Fremde fuhr in vertraulichem Tone fort:
Wahrhaftig? Dann geben Sie mir die Hand, dann sind wir in einer verhängnißvollen Erinnerung befreundet. Auch ich war dort, nicht als Student, wie Sie mir wol ansehen, wenn Sie mich nicht für ein bemoostes Haupt halten wollen, sondern zufällig war ich dort, und ich darf mich Ihnen im Vertrauen sogar als Mitschuldigen an jenem unglücklichen Befehle bekennen. Ich war nämlich am Spätabende des 19. October in die Kneipe der Studenten gerathen, aus der wir in der Aufregung des Weines und des jenaer Verhängnisses die öden dunkeln, beim letzten Gefecht geplünderten Gassen durchzogen. Und als wir aus dem großen Berlin das Meckel'sche Haus, worin Napoleon Quartier genommen, in strahlender Beleuchtung erblickten, sehen Sie, da war's, wo wir unser tolles, burschikoses Pereat brachten. Sie waren also nicht dabei? Nein? Aber Sie mußten wol auch fort, wie die übrigen Studenten der alsbald vernichteten Universität?
Ja wol, antwortete Hermann, ich ging mit andern nach Berlin. Mein Vater war damals noch Pfarrer auf dem Lande; als er aber später nach Halle versetzt wurde, kehrte ich auch dahin zurück.
Ha! rief der Baron, dann haben Sie auch jene traurigen Tage mit durchlebt, – die Nahrungslosigkeit der geplünderten Bürger, die Verlegenheit der ihres Einkommens beraubten Professoren, die Trauer der besten Studenten, die jenen ausgezeichneten Geistern anhingen, dem genialen Wolf, dem geistvollen Reil, dem begeisternden Steffens und wer sie alle waren – Schleiermacher, Kurt Sprengel u. A. Wer jene Zeit einmal schildert, darf der stillen Zusammenkünfte, der vertrauten Abende bei jenen Männern nicht vergessen, an denen sich Alt und Jung über Das verständigten, was in Preußen und Deutschland gelitten, gewünscht, geträumt, gehofft und – verabredet wurde.
Indem er das letzte Wort dem jungen Mann ins Ohr flüsterte, setzte er hinzu:
Wissen Sie von Fichte's Reden, vom Tugendbunde?
Hermann verneinte.
Aha! Sie sind nicht für Politik. Sie haben Recht! versetzte der Andere mit scharfem Seitenblick. Nichts Thörichteres als Politik treiben! Mich interessirt sie auch nur soweit sie Ebbe und Flut an der Börse macht. Geld ist jetzt die Sache. Sie geben sich also mit Patriotismus nicht ab, sonst würde ich Sie fragen, wieviel Sie wol auf die Oden unsers preußenstolzen Stägemann wagen würden? Hören Sie z. B. nur den einen Vers:
Doch trifft von niemals fehlendem Bogen doch
Der Rache Pfeil die Ferse Napoleon's u.s.w.
Antik, nicht wahr, und burschikos wie unser hallisches Pereat! Aber – lassen wir das, und besuchen Sie mich einmal! Ich kann Ihnen mancherlei mittheilen, woran wir unsern Spaß haben, oder – nach und nach auch Geschmack finden. Nicht wahr? Wir sind beide fremd hier, und haben beide gute alte Erinnerungen, um gute Bekannte zu werden. Hier meine Adresse!
Eben wurde er von Schmerfeld angerufen. Man war im Aufbruche. Im untern Stockwerke war die Geige längst verstummt, das junge Volk nach Hause gekehrt.
Hinter den Abgegangenen erschien die Mutter mit der Magd, um Ordnung im Zimmer herzustellen. Während dessen stand Hermann neben Braut und Bräutigam am offenen Fenster, durch das ein frischer Nachtwind aus der Au herauf die heißen Wangen fächelte. Ueber das liebende Paar kam, beim Ausblick in die mondhelle Landschaft, die lebhafte Empfindung, daß es die letzte Nacht sei, die sie getrennt erlebten. Aus erregtem Blut, aus bewegtem Herzen dämmerten heißes Verlangen, ängstliche Erwartungen, wehmüthige Erinnerungen auf. Hermann, ein Zeuge ihrer Zärtlichkeit, ihrer Liebkosungen, und von diesen wie vom genossenen Weine hoch gestimmt, rief, indem er Beider Hände faßte, mit Rührung aus:
O ihr Beneidenswerthen! Doch nein, die Seligen beneidet man nicht, man fleht zu ihnen um einen kleinen Antheil ihres Glückes. Ja, wisset nur – ein Zeuge, ein Mitgenosse solcher überströmenden Augenblicke kann euch sein Leben lang nicht mehr fern erscheinen, nicht mehr fremd bleiben. Nehmt mich also nur immerhin und – auf immer nehmt mich als nähern Freund in euern Lebensbund auf! Ich werde mich dessen werth, ich werde mich treu finden lassen. Wie ich mich eures Glückes freue, gehöre ich mit in eure Zukunft. Könnte ich euch ausdrücken, wie voll mein Herz vom Ueberfluß eurer Liebe ist, von Wünschen für euch, von Erwartungen für mich. Seid mir gut! O wie hab' ich euch lieb!
Er umschlang Beide, und sie drückten ihn an sich.
Ja, wir wollen Freunde sein! rief ungewöhnlich aufgeregt der sonst etwas kühle, rasch besonnene Heister. Kommt, wir wollen den Bund mit den hergebrachten Ceremonien schließen! Mütterchen, wo sind die Flaschen? Er eilte nach Wein und brachte drei Gläser herbei.
Keinen Burgunder, rief er, der auf entfremdeten Rebenhügeln wächst. Hier ist Hochheimer, dessen Domdechanei freilich auch auf Mainz und das verlorene linke Rheinufer hinüberschaut, aber – mit heimlichem Feuer zu Muth und Hoffnung entflammt – zum Wiedererobern!
Er hatte die Gläser gefüllt und reichte sie dar. Alle drei, die Arme in einander verschlungen, stießen auf Du und ewige Freundschaft an, tranken und umarmten sich.
Nun mußt du morgen auch als Mitzeuge uns zum Traualtar begleiten! sagte Ludwig, und Lina wiederholte die Einladung. So schieden die neuen Freunde, indem Lina zum letzten mal dem Bräutigam aus dem Hause leuchtete.
Hermann warf sich ins Fenster, und während die magische Landschaft in seinen feuchten Blicken immer magischer verschwamm, überließ er sich dem Ungestüm seiner Empfindungen und Gedanken, bis es längst von der Martinikirche Mitternacht geschlagen hatte.