Julius Köstlin
Luthers Leben
Julius Köstlin

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Drittes Kapitel.

Erasmus und Heinrich VIII. Streit mit Zwingli und Genossen, bis 1528.

Kehren wir zu den verschiedenen Kundgebungen zurück, welche von Luther in seinem Verhältniß zu Vorkämpfern des katholischen Kirchenthums aus der ersten Zeit nach dem Bauernkrieg und seiner Verheirathung zu erwähnen waren, 401 so hatte er den Streit mit dem bedeutendsten Mann unter diesen, mit Erasmus, seinerseits mit jenem Buch über den geknechteten Willen beendet. Auf eine neue Schrift, welche Erasmus in zwei Theilen 1526 und 1527 gegen ihn herausgab (vgl. oben S. 389), und welche im Inhalt nur unbedeutend war, in heftigem und verletzendem Ton aber nicht mehr zurückhielt, erwiderte er nichts mehr. Erasmus that fortan seinen hohen Gönnern und sich selbst durch bissige Ausfälle auf die Reformation Genüge, welche Ruin über die edlen Wissenschaften und Anarchie in die Kirche bringe, während er innerhalb des alten Kirchenthums und auf den hierarchischen Grundlagen desselben in seiner vermittelnden Weise und im Sinn und mit Hülfe der weltlichen Herrscher immer noch gewisse Reformen zu befördern suchte, einer prinzipiellen Erörterung jener Grundlagen und ihrer göttlichen Berechtigung aber nach wie vor weislich sich enthielt. Für Luther war er nur noch ein feiner Epikureer, der in seinem Innern an der Religion und dem Christenthum zweifle und darüber spotte.

Luthers Brief an König Heinrich (oben S. 372) brauchte wohl längere Zeit, bis er an diesen gelangte und von ihm beantwortet werden konnte. Die Antwort mag dem königlichen Gegner hohen Genuß gemacht haben; sie fiel noch ein gut Theil gröber aus, als die des Herzogs Georg; besonders nahm sie von Luthers Ehe Anlaß zu Schimpfreden. Emser gab sie nach Neujahr 1527 deutsch heraus, indem er noch eigene schmähende und unwahre Reden beifügte. Nur damit nicht durch diese Publikation der Schein entstehe, als ob er sich dem Könige gegenüber zu einem Widerruf überhaupt bereit erklärt hätte, wollte Luther hierauf öffentlich erwidern. So that er in wenigen kräftig geschriebenen Blättern. Er wies darauf hin, daß er in seinem Brief seine Lehre vom Widerruf durchaus ausgenommen habe: auf sie trotze er wider Könige und Teufel; nichts habe er, was mehr als sie ihm das Herz erhalte, stärke und fröhlich mache. Auf 402 die persönlichen Schmähungen wegen Fleischeslust u. s. w., mit welchen Heinrich VIII., dieser Mann voll unbändigster fleischlicher Leidenschaft ihn überschüttet hatte, entgegnete er, er wisse wohl, daß er, was sein persönlich Leben anbelange, ein armer Sünder sei, und lasse seine Feinde eitel Heilige und Engel sein; fügte indessen bei: vor Gott und seinen lieben Christen wisse er sich so als Sünder, vor der Welt aber wolle er auch fromm sein und sei es so sehr, daß jene nicht werth seien, ihm die Schuhriemen aufzulösen. Hinsichtlich seines Briefes bekannte er, daß er hier, wie beim Brief an Georg und wie auch schon sonst sich zu einem thörichten Versuche der Demuth habe verleiten lassen: »Ich bin ein Schaf und bleibe ein Schaf, daß ich so leichtlich gläube.«

Zugleich aber kommt Luther in dieser Schrift auch wieder auf die Widersacher anderer Art, die ihm das Herz schwerer machten, zurück: das sind ihm »seine zarten Kinder, seine Brüderlein, seine güldenen Freundlein, die Rottengeister und Schwärmer, welche weder von Christo noch vom Evangelio etwas Tapferes hätten gewußt, wo der Luther nicht zuvor hätte geschrieben.« Er meinte hiemit jetzt vorzugsweise die neuen »Sacramentirer«, an ihrer Spitze Zwingli.

Abb. 41: Zwingli nach einem alten Kupferstich.

Während übrigens Zwingli in die Geschichte Luthers erst jetzt herein tritt und von diesem immer nur wie ein neu aufgekommener Sprößling jener Schwärmgeisterei behandelt wurde, dürfen wir, um sein Auftreten richtig zu verstehen und zu würdigen, nicht übersehen, daß er, nur wenige Monate jünger als Luther, schon seit dem Jahre 1519 in einer selbständigen und fortschreitenden evangelischen und reformatorischen Thätigkeit bei der Züricher Gemeinde begriffen und von dort aus weiterhin in der Schweiz wirksam war, freilich von Wittenberg aus sehr wenig beachtet.

Seine bisherige Laufbahn dort war für ihn leichter geworden, als für Luther die seinige.. Die Obrigkeit, der große Rath der städtischen Republik, gab ihm nicht blos 404 Schutz, sondern verfügte schon 1520 nach seinem Sinn die freie Predigt des evangelischen und apostolischen Wortes, erklärte sich 1523 für die Sätze, welche er auf Grund desselben aufstellte, und ließ dann die abgöttischen Bräuche abschaffen. Kein Reichstagsabschied drohte hier. Der Papst verhielt sich aus politischen Gründen ungemein vorsichtig und rücksichtsvoll: er zögerte hier lange Jahre mit dem Bannfluch, der über Luther ergangen war; sogar Hadrian, der charakterfeste, dem Luther ein Gegenstand des Abscheues war, hatte für den Züricher Reformator nur gnädige, lockende Worte. Zugleich schritt die Züricher Obrigkeit im Einverständniß mit Zwingli gegen schwärmerische und widertäuferische Eindringlinge sofort scharf ein, und die ganze Bevölkerung des kleinen freistädtischen Gebietes enthielt keine so verwahrlosten und für die Predigt schwer durchdringlichen Massen, wie jene Landbevölkerung in Deutschland. Mit um so leichterem Muthe mochte Zwingli weiter vorwärts streben.

Auch in sich hatte er keine so schweren Kämpfe wie Luther durchgemacht, nicht durch solche Seelennoth und Angst sich durchgerungen. Der Gedanke an die Versöhnung mit Gott und die Tröstung des Gewissens durch seine vergebende Gnade trat dann bei ihm auch nicht so in den Mittelpunkt der Anschauungen und religiösen Interessen; er kannte die Innigkeit nicht, womit Luther nach allen den Mitteln griff, in denen diese Gnade der gläubigen Gemeinde und jedem einzelnen Christen für sein besonderes Herzensbedürfniß sich darbiete. Sein Blick breitete sich von Anfang an mehr auf das Ganze der religiösen Wahrheit aus, die in der heiligen Schrift von Gott geoffenbart, in den kirchlichen Glaubenssatzungen aber durch menschliche Zuthaten und Mißdeutungen traurig entstellt sei, und erstreckte sich dann mehr, als bei Luther, auf eine Neugestaltung des sittlichen, namentlich gemeindlichen Lebens nach den Forderungen des Gotteswortes. Der Bruch der Vergangenheit wurde ihm hiebei überall 405 leichter; kritische Bedenken gegen das Ueberlieferte fielen ihm nicht schwer auf's Gewissen, wie jenem. Beim Ueben der Kritik wirkte die humanistische Bildung, die er bei sich gepflegt hatte, mit. In seinem ganzen Verhalten zeigte sich, verglichen mit Luthers eigenthümlichem Tiefsinn und cholerisch melancholischem Temperament, mehr eine klare und nüchterne Verständigkeit und ein ruhigeres, leichteres Blut. Mit seinem praktischen Streben und Wirken verband sich übrigens ein gesetzlicher Zug, wogegen doch Luthers Geist der wahrhaft freie ist. Dahin gehört besonders das beschränkte Eifern gegen die Duldung von Bildern, worin dann die Wittenberger Theologen einen Beweis gleicher Geistesrichtung mit Carlstadt und anderen Schwärmern sahen.

Die Annahme einer realen Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl hatte Zwingli zugleich mit der katholischen Verwandlungslehre und Opferidee aufgegeben, ja er hatte, wie er später erklärte, nie wahrhaft an sie geglaubt. Er stellte ihr das Wort Jesu entgegen, daß das Fleisch kein nütze sei (Joh. 6, 63). Nur von einer geistigen Speisung der Glaubenden wollte er hören, welche durch Gottes Wort und seinen Geist im Glauben das durch Christi Tod erworbene Heil zu genießen bekommen, und kannte kein Bedürfniß dafür, daß dieses Heil den Einzelnen auch durch eine Ausspendung des für sie dahin gegebenen Leibes Christi und unter der sinnlichen Vermittlung des Brodes dargeboten und eben hiedurch ihr Glaube gestärkt werde. Dies war die Auffassung Luthers; eben darin, daß der Heilsbedürftige auch auf diese besondere Weise der Vergebung und Gemeinschaft mit dem Heiland versichert und theilhaftig werde, lag für ihn die praktische Bedeutung jener Gegenwart. Jener sinnlichen Vermittlung der göttlichen Heilsgabe widerstrebte bei Zwingli auch seine Auffassung Gottes und des Göttlichen überhaupt; und eben so stand diese bei ihm derjenigen Einigung des Göttlichen und 406 Menschlichen in Christus selbst entgegen, vermöge deren Christus nach Luther auch mit seinem menschlichen, verklärten Leibe überall im Sacrament gegenwärtig werden konnte und wollte. Indem jener geistige Genuß nach Zwingli im Glauben überall, auch außerhalb des Abendmahls, statthat, setzte er weiter das Wesentliche des Abendmahls nicht in jenen selbst, sondern darein, daß die Gläubigen hier ihren gemeinsamen Glauben in der Gedächtnißfeier des Todes Christi bekennen und als Glieder seines Leibes sich verpflichten; ein Pflichtzeichen nannte er das Sacrament. Daß in diesem oder in der Communion das Geeintsein der Christen zum geistlichen Leib oder ihre Gemeinschaft des Geistes, des Glaubens, der Liebe u. s. w. sich darstellen sollte, haben wir auch Luther von Anfang an lehren hören. Aber für ihn stand dies erst in zweiter Linie; und eben der Genuß des Leibes Christi selbst sollte es sein, wodurch sie hier auch zu solcher Gemeinschaft unter einander wie mit Christus besonders gefördert würden. – In den Einsetzungsworten des Herrn erklärte dann also Zwingli das »ist« durch »bedeutet«. Oekolampad zog die Erklärung vor, daß das Brod nicht der Leib im eigentlichen Sinne, sondern Bild des Leibes sei. Sachlich machte dies keinen Unterschied.

Das war der Lehrgegensatz, in welchem die beiden Reformatoren, der deutsche und schweizerische, auf einander trafen, ja durch welchen sie überhaupt erst miteinander in Berührung gekommen sind.

Um dieselbe Zeit lernte Luther noch einen anderen Gegner seiner Abendmahlslehre, den Schlesier Kaspar Schwenkfeld, kennen: dieser bestritt mit seinem Genossen Valentin Krautwald gleichfalls die Gegenwart des Leibes, suchte jedoch die Einsetzungsworte wieder in anderer Weise zu deuten, und verband mit dieser Auffassung tiefere mystische Ideen vom Heilsweg überhaupt, die wenigstens in kleineren Kreisen fortgelebt haben.

Bei ihnen allen aber, bei Carlstadt, Zwingli, 407 Schwenkfeld u. s. w. sah Luther, wie er an die Reutlinger schrieb, nur einen und denselben aufgeblasenen fleischlichen Sinn, der sich winde und ringe, um nicht unter Gottes Wort bleiben zu müssen.

Oeffentlich also sprach er sich gegen die durch Zwingli aufgebrachte Lehre zuerst 1526 in seiner Vorrede zu jener Schrift der schwäbischen Prediger aus, nämlich, wie der erste Satz der Vorrede sich ausdrückt – »wider die neuen Rotten, so von dem Sacrament neue Träume aufbringen und die Welt verwirren.«

Schlag auf Schlag folgte in dem Kampf, der hiemit eröffnet war. Während Oekolampad gegen jene Schrift und Vorrede, durch die besonders er getroffen war, eine Entgegnung verfaßte, schritt Luther zu eigenen Schriften weiter. Noch in demselben Jahr erschien von ihm ein »Sermon von dem Sacrament des Leibs und Bluts Christi wider die Schwärmgeister«, im folgenden Frühjahr ein größeres Buch mit dem Titel: »Daß diese Worte Christi, das ist mein Leib u. s. w. noch feststehen, wider die Schwärmgeister.« Er schloß dieses mit dem Wunsch: »Gott gebe, daß sie sich bekehren zur Wahrheit; wo nicht, daß sie eitel Stricke müssen schreiben, damit sie sich fahen und mir in die Hände kommen.« Geschrieben aber hatte eben jetzt auch Zwingli gegen ihn und an ihn, und die Sendung traf bei ihm ein, als er eben jenes Buch hatte ausgehen lassen. Es war eine lateinische Schrift, welche Zwingli »freundliche Auslegung des Handels vom Abendmahl« betitelte und mit einem Brief an Luther schickte, und eine deutsche, welche er gleich auf diese als Entgegnung gegen jenen Sermon folgen ließ unter dem Titel »fründliche Verglimpfung und Ableinung über die Predig des trefflichen Martini Luthers wider die Schwärmer«. Kaum hatte Zwingli ferner das letztgenannte Buch Luthers in den Händen, so schrieb er dagegen ein neues: »Daß diese Wort Jesu Christi, das ist min Lichnam, der für üch hingeben wird, ewiglich den 408 alten einigen Sinn haben werdend und M. Luther mit sinem letzten Buch sinen und des Papst's Sinn gar nit gelehrt und bewährt hat«; die Worte dieses Titels wollten von vorne herein erklären, daß Luthers und des Papstes Sinn einer sei. Zugleich ließ gegen Luthers Buch Oekolampad eine, wie sein Titel sagte, »billige Antwort« erscheinen. Das sind die Schriften der »Sacramentirer«, welche in der schweren Zeit der Wittenberger Pest Luther vorlagen und ihm den Schmerz bereiteten, worüber wir ihn dort klagen hörten.

War die Zwingli'sche Lehre gleich bei ihrem Auftreten in Luthers Augen nur als schwärmerischer, ja teuflischer Widerspruch gegen die Wahrheit und Gottes Wort erschienen, so führte dieser Verlauf des Streites nur zur Schärfung und Befestigung des Gegensatzes. So war, seit die beiden Reformatoren sich begegnen, auch schon die Kluft fest aufgerichtet, welche den evangelischen Protestantismus in zweierlei Bekenntnisse und Kirchengemeinschaften spaltet.

Es ist hier nicht der Ort, über die Gegenstände des Streites zu urtheilen, auch nicht die dogmatischen Momente desselben eingehend zu verfolgen. So viel aber hat jedenfalls die geschichtliche Betrachtung anzuerkennen und auszusprechen, daß es, wie auch schon im bisher Gesagten liegt, nicht etwa ein leidenschaftliches Streiten und bloße Worte und religiös gleichgültige dogmatische oder metaphysische Sätze waren.

Auch bei der Begründung im Einzelnen machten sich auf beiden Seiten überall die Beziehungen zu tieferen christlich religiösen Fragen und Anschauungen geltend.

Zwingli und Oekolampad suchten für ihre uneigentliche, figürliche Deutung der Einsetzungsworte nicht blos analoge biblische Aussagen beizubringen, die theils mehr, theils minder zutreffend waren, sondern hatten auch für ihre sachlichen Einwendungen, in welchen Luther nur einen eiteln Fürwitz menschlicher Vernunft finden wollte, doch 409 zugleich Motive religiösen Charakters: eine reine und ehrfurchtsvolle Auffassung Gottes vertrage sich nicht mit dem Gedanken an eine solche Darreichung himmlischer Gaben in sinnlichen Elementen und zu leiblichem Genuß. – Luther war bei seiner buchstäblichen Fassung jener Worte nicht etwa in Widerspruch gegen den hohen und freien Geist, in welchem er sonst den Inhalt der heiligen Schrift aufnahm, zu einem Buchstabenknecht geworden. Denn hier handelte es sich für ihn um ein Wort von einzigartigem Gewicht, ein Wort des Herrn beim Eingang in den Erlösertod, und wir bemerkten schon, wie viel Werth ihm eben auch eine durch das Wort zugesicherte Gegenwart des Leibes für die Zusicherung und Zutheilung des Heiles selbst an die Abendmahlsgäste hatte. Dem gegenüber genügte ihm keine Analogie anderweitiger bildlicher Redeweisen, so wenig er natürlich leugnete, daß solche in der heiligen Schrift und überall vorkommen können und vorkommen. Den von Zwingli vorangestellten Ausspruch, daß das Fleisch nichts nütze sei, wollte er statt auf das Fleisch des Herrn vielmehr auf fleischlichen, menschlichen Sinn beziehen, erklärte aber zugleich, das Fleisch Christi komme beim Abendmahl eben nicht als bloßes Fleisch in Betracht, und das Essen der Abendmahlsgäste dürfe freilich nicht allein ein leibliches sein, sondern es sei hier des Herrn Wort und Verheißung dabei und erst im Glauben daran werde jenes Essen heilsam. Gottes Ehre endlich sei am höchsten gerade darin verherrlicht, daß Gott aus erbarmender Liebe sich auf's Allertiefste heruntergebe.

In der Lehre von der Person des Erlösers, auf welche der Streit weiterführte, behauptete die Kirche bisher einfach ein Geeintsein göttlicher und menschlicher Natur, bei der jede ihre besondere Eigenschaften behalte. Lebensvoller und inniger wollte Luther eben im Menschen Jesus das Göttliche, das sich zu uns herablasse und mittheile, anschauen und erfassen. Als Gottessohn sei er für uns auch gestorben, 410 und als Menschensohn auch mit seinem Leib zur Rechten Gottes erhöht, die an keinem Orte abgeschlossen und zugleich nirgends und überall sei. Er giebt dann freilich darüber keine Erklärung, wie dieser Leib doch noch menschlicher Leib und überhaupt Leib sei. Zwingli wollte, indem er die beiden Naturen auseinander hielt, sowohl jene Erhabenheit seines Gottes, als die echte Menschheit des Erlösers wahren, ließ dann aber bei diesem die beiden Naturen nur in steifer dogmatischer Formulirung und in künstlicher Deutung und Zergliederung der Schriftaussagen über den Einen Jesus, den Gottes- und Menschensohn, nebeneinander hergehen.

Bei der Behandlung aber, welche die Kämpfer sich gegenseitig angedeihen ließen, zeigt sich uns auf jeder der beiden Seiten ein völliger Mangel an Wahrnehmung und Würdigung eben derjenigen religiösen und christlichen Motive, die doch immer auch beim Widerspruch der andern Seite obwalteten. Wie Luther hienach zu Zwingli sich stellte, haben wir schon gehört. Wie ihn sein Eifer überhaupt in seinen einzelnen Gegnern gerne ganz und schlechthin nur eine Erscheinung und Herrschaft desjenigen Geistes sehen ließ, von welchem gewisse, nach seiner Ueberzeugung verderbliche Regungen allerdings bei ihnen statthatten und bekämpft werden mußten, so jetzt auch hier. Es ist eitel Schwärmgeisterei und hiemit Teufelei, wogegen er auch hier in den heftigsten Ausdrücken loszieht. Bei Zwingli möchte man nach jenen freundlichen Büchertiteln und bei dem brieflichen Verkehr, den er mit Luther suchte, eine andere Haltung erwarten. Er nahm hier auch einen ruhigen, gebildeten Ton an und hatte ganz anders als Luther sich selbst in seiner Gewalt. Aber mit hoher Miene sprach er in diesem Ton doch über Luthers Sätze so ab, als ob sie die Producte lächerlicher Bornirtheit und Eigensinns, ja Rückfall in's Papstthum wären. Sein Brief erbitterte den Streit überdies durch Hereinziehen anderer Vorwürfe, namentlich über Luthers Verhalten im Bauernkrieg. Luther 411 konnte von ihm sagen: »mit der größten Mäßigung und Bescheidenheit tobt und droht er gegen mich.« Zwingli's fernere Entgegnungen zeigen vielmehr die Geradheit, die wir dort vermissen, aber dann auch reichliche Derbheit und Grobheit und immer ein ungemein hohes Selbstgefühl und eine triumphirende Siegesgewißheit.

Als Luther die zuletzt erwähnten Streitschriften Zwingli's und Oekolampads in Händen hatte, war er entschlossen, nur noch eine letzte Antwort zu veröffentlichen: denn der Satan dürfe ihn nicht ferner hindern in andern Sachen, an denen ihm viel mehr gelegen sei. Angelegen war ihm damals ganz besonders die endliche Fortsetzung seiner Arbeit an der heiligen Schrift, wo er jetzt an der Uebertragung der Propheten sich abmühte. Die Antwort wuchs vollends zu seiner umfassendsten Schrift in jenem Streit an. Er nannte sie »Vom Abendmahl Christi, Bekenntniß« (erschienen im März 1528). Er nahm hier die wichtigsten Fragen und Gründe, um die gestritten wurde, alle noch einmal vor, breitete sich noch weiter aus mit seinen Ideen über die Person und Gegenwart Christi, erörterte ruhig und eindringend die her gehörigen Stellen der Schrift. An den Schluß stellte er ein gedrängtes Bekenntniß seines christlichen Glaubens überhaupt, damit man jetzt und nach seinem Tod wisse, er habe das alles auf's Fleißigste bedacht, und künftige Irrlehrer nicht vorgeben könnten, er würde manches bei weiterer Ueberlegung und zu anderer Zeit anders gelehrt haben.

Zwingli und Oekolampad beeilten sich, sogleich neue Gegenschriften fertig zu machen und zusammen mit einer Widmung an Kurfürst Johann und Landgraf Philipp herauszugeben. Luther aber blieb seinem Entschluß treu. Er ließ ihnen, wie vorher dem Erasmus, das letzte Wort. Zur Sache hatten sie nichts Neues mehr vorgebracht. –

Während Luther gegen diese Sacramentirer seine letzte Schrift abfaßte, sah er sich auch zu einer neuen Aeußerung gegen die Wiedertäufer veranlaßt; es ist ein Büchlein »Von 412 der Wiedertaufe, an zwei Pfarrherrn«. Zugleich jedoch erklärte er sich darin gegen die Art, in welcher man jetzt von Seiten der Obrigkeit gegen diese Sectirer zu verfahren und, auch wo man ihnen ein aufrührerisches Thun noch nicht vorwerfen konnte, schon Strafe und Tod über sie wegen ihrer Grundsätze zu verhängen pflegte: denn glauben solle man einen Jeden lassen, was er wolle. Aehnlich schrieb er auch bald darauf nach Nürnberg, wo, wie wir schon oben erwähnten, die neueren Irrlehren besonders sich erhoben: er könne in keiner Weise zulassen, daß man die falschen Propheten oder Lehrer hinrichte; es sei genug, sie auszuweisen. Luther hat sich hierin vor den meisten Männern der Reformation ausgezeichnet. In Zürich, von wo ihm durch Zwingli der Vorwurf der Grausamkeit gemacht worden war, wurden eben damals Wiedertäufer ersäuft. –

In den Vordergrund aber tritt nun wieder der Kampf mit dem Katholizismus, und zwar der Gegensatz gegen die der Reformation feindlichen deutschen Fürsten und gegen den Kaiser selbst und die Majorität des Reichstags.


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