Julius Köstlin
Luthers Leben
Julius Köstlin

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Viertes Kapitel.

Der kirchliche Gegensatz im Deutschen Reich. Der Türkenkrieg. Das Marburger Gespräch 1529.

Im Kriege gegen den Papst und Frankreich hatte ein kaiserliches Heer 1527 Rom erstürmt und geplündert. Gott hatte, wie Luther sagte, es so gelenkt, daß der Kaiser, der für den Papst den Luther verfolgte, für den Luther den Papst verwüsten mußte. Aber mit dem Oberhaupt der Kirche konnte Kaiser Karl nicht brechen. In einem Vertrag, 413 zu welchem der Papst im November sich verstehen mußte, war sogleich wieder von Ausrottung der lutherischen Ketzerei die Rede. Und während in Italien der Krieg mit Frankreich noch fortwährte, ließ der Kaiser im Frühjahr 1528 einen Gesandten an deutschen Höfen herumreisen, um den Eifer für diese kirchliche Angelegenheit neu anzuregen.

Ehe die Gefahr den Evangelischen wirklich nahte, gingen ihr bange Gerüchte und falscher Lärm voran.

Im März 1528 sollte sich wieder ein Reichstag, in Regensburg, versammeln. Luther hörte im Februar von ungeheuerlichen Anschlägen, welche die Papisten dort vorhätten. Er wünschte, daß Karls Bruder Ferdinand in Ungarn, wo er mit den Türken und dem durch sie unterstützten Fürsten Johann Zapolya von Siebenbürgen zu thun hatte, fest gehalten und der Reichstag verhindert würde. Auch auf der andern Seite jedoch fürchtete man eine ungünstige Entscheidung der Reichsstände und der Kaiser ließ sie gar nicht zusammentreten.

Zu gleicher Zeit machte ein von Herzog Georg entlassener Rath, Otto von Pack, dem Landgrafen Philipp Mittheilung von einem Vertrag, in welchem die Herzöge von Sachsen und von Baiern, die Kurfürsten von Mainz und Brandenburg und mehrere Bischöfe mit Ferdinand sich verbunden hätten, über die evangelischen Fürsten herzufallen; das Kurfürstenthum Sachsen, wo Johann eben jetzt in der Durchführung der neuen kirchlichen Ordnung begriffen war, sollte unter ihnen getheilt und Hessen dem Herzog Georg zugetheilt werden. Johann und Philipp schlossen hiegegen rasch ein Schutz- und Trutzbündniß und boten Truppen auf. Sie waren, wie sich bald mit genügender Sicherheit herausstellte, von Pack hintergangen, der sich für seine Enthüllung eine große Summe zahlen ließ. Luther zweifelte nicht an der Echtheit des Vertrags und wollte auch nachher nicht von seiner Meinung lassen. Aber während der Landgraf dahin drängte, rasch loszuschlagen, ehe Jene genügend 414 gerüstet seien, hielten er und die anderen Wittenberger Theologen ihren Fürsten mit den nachdrücklichsten Worten von jedem gewaltsamen Vorgehen zurück. Luther ermahnte: »Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Land behalten (Matth.5, 5); so viel an euch ist, haltet mit jedermann Friede (Röm. 12, 18); wer das Schwert nimmt, soll durch's Schwert umkommen (Matth. 26, 52).« Er warnte: »Man darf den Teufel nicht über die Thür malen, noch ihn zu Gevatter bitten.« Er fürchtete einen Fürstenaufruhr, der ärger wäre als der Bauernaufstand und Deutschland zu Boden verderben würde. So ließ sich auch Philipp zurückhalten, bis die Erklärungen der Gegner ihn selbst an Packs Vorbringen irre werden ließen. – Ein Privatschreiben Luthers an Link, in welchem er Georg einen Narren nannte, und seinen Versicherungen mißtraute, führte nachher, da Georg Kenntniß davon erhielt, noch zu einem neuen ärgerlichen Handel zwischen beiden, einem heftigen Angriff des Herzogs auf Luther in einer am Neujahr 1529 erschienenen Schrift und einer nicht minder heftigen Entgegnung, in welcher Luther über den Mißbrauch »heimlicher (privater) und gestohlener Briefe« sich ausließ. Georg erwiderte nochmals in gleicher Sprache und erreichte zugleich durch Beschwerde bei seinem Vetter Johann ein Verbot, daß Luther ohne die kurfürstliche Erlaubniß nichts mehr gegen ihn drucken lassen dürfe, worauf dieser schwieg.

Am 30. November 1528 aber berief der Kaiser einen Reichstag nach Speier auf den 21. Februar des nächsten Jahres, um hier wirklich für die Einheit und Alleinherrschaft der katholischen Kirche energische und entscheidende Maßregeln vorzunehmen, wozu auch der Papst auf's Neue ihn ermahnt hatte. Als Hauptgegenstände der Verhandlungen waren die Rüstungen gegen die Türken und die Neuerungen in Sachen der Religion benannt.

Was nun den Türkenkrieg anbelangt, so hatte Luther, von dem wir vorhin eine gelegentliche Aeußerung über 415 gewisse günstige Wirkungen desselben den papistischen Anschlägen gegenüber vernahmen, inzwischen selbst das Wort genommen, um ohne jede Rücksicht hierauf seine gesammte Nation zum Kampf gegen den furchtbaren und gräulichen Feind aufzurufen, von dem sie bisher so schmählich sich bedrängen ließ. Schon seit dem Spätsommer 1528 beschäftigte er sich mit einer Flugschrift »Vom Kriege wider die Türken«, deren Herausgabe, durch Zufälligkeiten verzögert, im März (während er zugleich mit seinem Katechismus beschäftigt war) erfolgte.

Hier sprach er einmal wieder mit edelstem Feuer und vollster Kraft zu seinen Deutschen, als Christ, Bürger und Patriot, dabei klar und bestimmt von dem durch ihn erst gewonnenen Standpunkt aus. Nicht einen neuen Kreuzzug wollte er predigen: denn mit dem Glauben habe das Schwert nichts zu schaffen, sondern mit den leiblichen und weltlichen Dingen. Aber die Obrigkeit, der Gott die weltliche Gewalt übertragen habe, ermahnte und ermunterte er, im Vertrauen auf Gott und im sichern Bewußtsein ihres Berufs gegen den Alles verwüstenden Feind das Schwert zu führen; und der Kaiser ist's, in dem er Deutschlands Obrigkeit sieht: der solle wider den Türken streiten, unter seinem Panier solle es gehen und in diesem Panier sollte man Gottes Gebot ansehen, das da spreche: »schützet die Frommen, strafet die Bösen.« »Aber,« fragt Luther, »wieviel sind der, so solches in's Kaisers Panier lesen können oder mit Ernst glauben?« Er beklagt, daß weder Kaiser noch Fürsten recht glauben, daß sie Kaiser oder Fürsten seien, und so wenig des Schutzes gedenken, den sie ihren Unterthanen schulden. Den Fürsten ferner hält er vor, daß sie die Sache dahin gehen und fahren lassen, als ginge es sie nichts an, anstatt mit Leib und Gut dem Kaiser darin räthlich und hülflich zu sein. Er kennt den Stolz etlicher Fürsten, die gerne wollten, daß Kaiser Karl nichts und sie selbst die Helden und Meister wären. Der Aufruhr in den Bauern 416 sei gestraft: wenn aber der Aufruhr in den Fürsten und Herren auch gestraft werden solle, so achte er, es würden nur wenige Fürsten und Herren bleiben. Er fürchtet, daß der Türke solche Strafe bringen sollte, und bittet Gott, es hiezu nicht kommen zu lassen. – Auch daran erinnert er endlich, daß man die Rüstung nicht zu gering anschlagen dürfe, wie man in Deutschland zu thun pflege. Er warnt davor, daß man nicht durch mangelhafte Vorbereitung Gott versuche und die armen Deutschen auf die Schlachtbank opfere, ferner auch davor, daß man nicht, wenn man einmal etwas gewonnen habe, »sich wiederum niedersetze und einmal zeche, bis wieder Noth werde«.

In Speier aber richtete sich dann der ganze Eifer der kaiserlichen Commissäre und der altkirchlich gesinnten Reichsstände nicht gegen den gemeinsamen Feind Deutschlands und der Christenheit, sondern auf die innere kirchliche Angelegenheit. Es gelang, einen Beschluß durchzusetzen, wornach diejenigen Stände, die beim Wormser Edict bisher geblieben, auch ferner mit ihren Unterthanen dabei beharren, die anderen Stände wenigstens jeder weiteren Neuerung sich enthalten, die Meßgottesdienste nicht mehr abgethan, noch Jemand irgend wo am Hören der Messe verhindert, auch Unterthanen eines Standes nirgends von einem anderen Stand gegen ihn in Schutz genommen werden sollten. Hiemit war nicht blos eine weitere Ausbreitung der evangelischen Reformation schlechthin verboten, sondern es war auch da, wo sie gegenwärtig noch im Vollzug begriffen war, dieser mit einem mal abgeschnitten. Durch die Bestimmung über die Messe war Raum gemacht für Versuche, sie auch wieder in evangelische Territorien herein zu bringen, durch jene Bestimmung über die Unterthanen der einzelnen Stände sogar für eine Gewalt, welche die Bischöfe des deutschen Reichs über Geistliche dieser Gebiete als ihnen Untergebene üben möchten. Weitere Schritte auf diesem Wege waren voraus zu sehen.

417 So erfolgte denn von Seite der Evangelischen am 19. April die Protestation, von der sie den Namen »Protestanten« erhalten haben. Sie bestanden darauf, daß der einmüthig beschlossene vorige Speier'sche Reichsabschied (vom Jahre 1526) nur durch eine einhellige Bewilligung geändert werden dürfte, und erklärten, »daß auch ohne das in den Sachen, Gottes Ehre und unserer Seele Heil und Seligkeit belangend, ein Jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben muß.« In diesen Sachen also konnten sie dem Mehrheitsbeschlusse sich nicht unterwerfen.

Die Majorität aber und des Kaisers Bruder und Stellvertreter, Ferdinand, erkannten ihnen keinerlei Recht zu solchem Widerspruch zu. Sie mußten sich darauf gefaßt machen, daß Gewalt gegen sie angewandt werde. Hiegegen schlossen schon am 22. April der Kurfürst und Landgraf mit den Städten Nürnberg, Straßburg und Ulm einen Bund. Der Landgraf war eifrig darauf aus, denselben durch Beiziehung Zürichs und der anderen evangelisch gesinnten Orte der Schweiz zu verstärken. Und gleiches Verlangen kam ihm bei Zwingli entgegen, der in Verbindung mit seinem kirchlichen Wirken eine muthige, große Politik betrieb, eine Einigung auch mit der Republik Venedig und dem König von Frankreich gegen den Kaiser erstrebte, dabei freilich das Gewicht seiner Stadt in den großen Welthändeln überschätzte und zu den Gesinnungen jenes Königs ein naives Vertrauen hegte.

Dagegen widersprach Luther allen kriegerischen Anschlägen zu Gunsten des Evangeliums jetzt nicht minder als in der Pack'schen Angelegenheit. Er wollte, daß man auf Gott und nicht auf Menschenwitz baue, war auch in Betreff des letzten Reichstags schon damit zufrieden, daß Gott dort dem Wüthen der Feinde nicht noch weiter Raum gegeben habe. Auch zum Kaiser wollte er noch besseres Vertrauen hegen: die Evangelischen sollten ihm vorstellen, wie es ihnen nur um das Evangelium und die Abschaffung von 418 Mißbräuchen, die Niemand ganz leugnen könne, zu thun sei, wie sie zugleich den Bilderstürmern und andern Tumultuanten Widerstand geleistet haben, ja wie die Bekämpfung der Wiedertäufer und Bauern vorzugsweise ihr Verdienst, wie das Recht und die Majestät der Obrigkeit erst durch sie wahrhaft an's Licht gestellt worden sei; das, hoffte er, müßte doch auf Jenen noch eine Wirkung haben. Schlechthin verwarf er eine Verbindung mit denen, »so wider Gott und das Sacrament streben«, d. h. mit den Schweizern: man würde damit das Evangelium schänden und ihre Sünden auf sich laden. Sein Urtheil, mit dem die andern Wittenberger Theologen und besonders Melanchthon übereinstimmten, war für den Kurfürsten entscheidend.

Vor Allem dieses Hinderniß eines Bundes mit den Schweizern war nun der Landgraf zu heben bemüht. Er betrieb eine persönliche Zusammenkunft und mündliche Besprechung zwischen den theologischen Gegnern in der Abendmahlsfrage. Luther und Melanchthon waren auch dem auf's Aeußerste abgeneigt: denn in den bisherigen Streitverhandlungen sei ja durchaus kein Punkt ersichtlich, an welchen die Hoffnung auf eine Versöhnung oder auch nur Annäherung sich knüpfen ließe. Luther erinnerte, wie vor zehn Jahren durch die Leipziger Disputation das Uebel nur ärger geworden sei. Sie fürchteten auch Ränke auf der andern Seite, daß man sie als Feinde der Einigung und Hinderniß eines Bündnisses in übles Licht stellen, daß man ferner den Landgrafen von ihnen abwendig machen möchte. Melanchthon hatte ohnedies von Speier, wo er mit diesem zusammen war, einen Argwohn mitgebracht, daß er sich den Zwinglianern zuneige, und richtig war wenigstens soviel, daß ihm ihre Lehre weit nicht so bedenklich wie den Wittenbergern erschien. Aber der bloßen Befürchtungen wegen konnte und wollte es Luther doch nicht abschlagen, als Philipp mit der Einladung in ihn drang und sein Kurfürst wenigstens seine Zustimmung dazu gab. Er sagte Jenem 419 am 23. Juni zu, daß er willig sei, »ihm solchen verlorenen Dienst mit allem Fleiß zu beweisen«, und bat ihn nur, selbst noch einmal zu bedenken, ob es mehr Frucht oder Schaden bringen werde. An Michaelis sollte die Zusammenkunft in Marburg stattfinden.

Luthers Stimmung in der Zwischenzeit spricht ein Brief aus, welchen er den 2. August an einen fernen Freund, den Prediger Brismann in Riga, richtete. Darin heißt es: »Philippus (Melanchthon) und ich sind, nachdem wir lang abgelehnt und vergeblich widerstrebt hatten, endlich durch des Landgrafen unverschämtes GeilenDer Ausdruck stammt aus Luk. 11, 8. genöthigt worden, zuzusagen, und noch weiß ich nicht, ob die Reise vor sich gehen wird; wir hoffen nichts Gutes, sondern argwöhnen überall Hinterlist, damit die Widersacher des Sieges sich rühmen könnten . . . Ich selbst bin am Leibe ziemlich wohl, aber im Innern schwach, wie Petrus am Glauben leidend; doch halten mich die Gebete der Brüder noch aufrecht . . . Jener jugendliche Hesse ist unruhig und voll hitziger Gedanken . . . So droht uns überall her mehr Gefahr von den Unsrigen, als von den Feinden. Noch ruht der Satan mit seinem Blutdurst nicht, Mord und Blutvergießen anzurichten.« – In demselben Brief berichtete Luther von Schrecken, welche eine neue Pest, der sogenannte englische Schweiß, in Deutschland und auch schon Wittenberg verbreite. Es war eine erst seit mehreren Jahrzehnten bekannte Seuche, welche allerdings mit furchtbarer Schnelligkeit die von Fieber, Schweiß, Durst, Angst und Erschöpfung befallenen Kranken hinweg zu raffen pflegte. Auch Luther kannte ihre Gefährlichkeit, wo sie wirklich einmal auftrete. Aber ohne Bangen beobachtete er jetzt die vermeintlichen Anzeigen derselben in Wittenberg und bemerkte, wie hier vielmehr die Angst selbst krank mache. Am 27. erzählte er einem andern Freund, wie in der letztvergangenen Nacht 420 auch er im Schweiß erwacht und von ängstlichen Gedanken gequält worden sei, so daß er, wenn er diesen nachgegeben hätte, jetzt wohl auch wie so Mancher krank daliegen würde; er nannte auch verschiedene Bekannte, die er aus dem Bett getrieben habe, wo sie schon so gelegen seien, und die jetzt selbst darüber lachen.

Der Kaiser machte indessen mit dem Papst vollends ein Bündniß am 29. Juni und schloß am 5. August Frieden mit König Franz. Dabei verpflichtete er sich gegen Jenen, für die Pest der Irrlehrer angemessene Gegenmittel zu bereiten, und dieser Friedensschluß erneuerte die Aussage des Madrider Friedensvertrags über ein gemeinsames Wirken der Herrscher zur Ausrottung der Häresien.

In Marburg kamen nun wirklich die theologischen Häupter der großen religiösen Bewegung zusammen, die der Herrschaft Roms das Evangelium entgegenstellen wollte und von dort her als ketzerisch verdammt war. Es sollte sich entscheiden, ob sie nicht doch noch unter sich geeint werden, ob die beiden unter sich feindlichen Theile dieser evangelischen Erhebung nicht wenigstens im Hinblick auf die gemeinsame Gefahr und Aufgabe zu Einem mächtigen Ganzen sich verbinden könnten. Bei Zwingli ließ schon sein politisches Verhalten und die freudige und hingebende Bereitwilligkeit, mit der er Philipps Antrag folgte, erwarten, daß er bei allem Beharren auf seiner Lehre doch zu einer solchen Verbindung trotz Fortbestehens der Lehrunterschiede die Hand bieten werde. Alles hing insofern wesentlich an Luther.

Zwingli und Oekolampad trafen mit den Straßburger Theologen Butzer und Hedio und Jakob Sturm, dem Haupte der dortigen Bürgerschaft, schon am 27. September in Marburg ein; am 30. Luther und Melanchthon nebst Jonas und Cruciger aus Wittenberg und Mykonius aus Gotha; nachher noch die Prediger Osiander aus Nürnberg, Brenz aus Schwäbisch-Hall und Stephan Agricola aus Augsburg. 421 Der Landgraf beherbergte die von ihm Geladenen freundlich und glänzend in seinem Schloß.

Gleich am Tag nach seiner Ankunft, den 1. October, wurde dann Luther von diesem zu einer privaten Besprechung mit Oekolampad veranlaßt, gegen den er immer noch besseres Zutrauen gehegt und ausgesprochen und mit dem er auch nach der Ankunft freundlich sich begrüßt hatte. Den ruhigeren Melanchthon ließ der Landgraf ebenso mit Zwingli sich besprechen. Für den Hauptgegenstand des Streites, die Frage vom Sacrament, wurde zwischen beiden Paaren nichts erreicht. Ueber gewisse andere Punkte jedoch, in welchen Zwingli gleichfalls den Wittenbergern verdächtig geworden war und wenigstens theilweis wirklich anders als sie dachte, nämlich bezüglich der kirchlichen Lehre von der Dreieinigkeit und Gottheit Christi und der Lehre von der Erbsünde, gab derselbe jetzt dem Melanchthon Erklärungen, vermöge deren Beide sich einigten.

Das gemeinsame große Colloquium wurde am Sonnabend, den 2. October, um 6 Uhr früh eröffnet. Die Theologen erschienen dazu in einem Wohnzimmer des Landgrafen im östlichen Flügel seines Schlosses vor ihm und vielen Herren und Gästen seines Hofes, darunter auch dem vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg. Mit Rücksicht auf solche Zuhörer sollte deutsch gesprochen werden. Zwingli hatte statt dessen gewünscht, daß Jeder, der es begehrte, als Zuhörer zu den Verhandlungen zugelassen, diese aber in der lateinischen Sprache, die ihm geläufiger war, gehalten würden. Die vorhin genannten vier Theologen wurden, um das Gespräch zu führen, zusammen an einen Tisch gesetzt, doch übernahm dann Luther auf seiner Seite die Aufgabe ganz, indem Melanchthon nur Weniges dazwischen bemerkte. Philipps Kanzler Feige eröffnete den Act mit einer feierlichen Anrede.

Luther begehrte Anfangs, daß die ihm gegenüber Stehenden zuerst noch über andere, bei ihnen zweifelhaft 422 erscheinende Lehrpunkte sich äußern sollten, stand jedoch hievon ab, als Oekolampad erwiderte, daß er darin keines Widerstreits gegen Luthers Lehre sich bewußt sei, und Zwingli auf seine Verständigung mit Melanchthon sich berief: es war, wie Luther sagte, ihm nur darum zu thun, öffentlich zu erklären, daß er mit gewissen Aeußerungen ihrer früheren Schriften darüber durchaus nicht übereinstimme. Hienach wurde sogleich jene Hauptfrage vorgenommen.

Die Gründe und Gegengründe, welche von den Kämpfern in ihren verschiedenen Schriften entwickelt worden waren, wurden hier von beiden Seiten her noch einmal kurz und zusammenfassend in's Feld geführt. Sie erhielten keine weitere Bereicherung oder Verstärkung mehr. Die Disputirenden selbst wurden indessen durch's mündliche Gespräch genöthigt, hingebender dem Worte des Gegners das Ohr zu öffnen, als großentheils beim schriftlichen Streit im raschen und leidenschaftlichen Lesen und Schreiben geschehen war.

Luther bestand von Anfang an wieder einfach auf den Worten der Einsetzung: »das ist mein Leib«. Er hatte sie vor sich mit Kreide auf den Tisch geschrieben. Die Gegner sollten Gott die Ehre geben, indem sie den »lautern, dürren Worten Gottes« glaubten.

Zwingli und Oekolampad dagegen stützten sich vor Allem wieder auf Jesu Worte Joh. 6, wo er lediglich von einem geistigen Genuß rede und das Fleisch für werthlos erkläre; man müsse Gott die Ehre geben, indem man von ihm diese klare Erläuterung seines Wortes annehme. Luther stimmte ihnen, wie er auch bisher gethan, darin bei, daß Jesus dort nur vom gläubigen geistigen Genießen rede, behauptete aber, daß derselbe im Abendmahl laut der Einsetzungsworte eben auch noch die leibliche Darbietung zur Stärkung des Glaubens hinzugefügt habe und daß diese hiezu nicht unnütz, sondern kräftig sei vermöge des Gotteswortes. Er würde, sagte Luther, auch Holzäpfel, wenn der 423 Herr sie ihm hinlegte, hinnehmen und essen, ohne zu fragen warum. Heftig fuhr er auf, als Zwingli erwiderte, die Stelle bei Johannes »breche ihm doch den Hals«; denn der Ausdruck war ihm nicht wie den Schweizern geläufig; der Landgraf mußte sich beruhigend in's Mittel legen.

Nachmittags gingen Luthers Gegner zu den Auseinandersetzungen darüber weiter, daß Christus mit seinem Leib nicht im Abendmahl gegenwärtig sein könne, weil er mit ihm im Himmel sei und der Leib als Leib räumlich begrenzt sei und nur an Einem begrenzten Ort existire. Luther fragte da mit Bezug auf das Sein im Himmel und zur Rechten Gottes, warum denn Zwingli dies so grob buchstäblich nehmen wolle. Die Erörterungen über die Räumlichkeit des Leibes wies er ab, obwohl er auch darüber lang disputiren könnte: denn Gottes Allmacht, vermöge deren er jenen Leib auch überall im Abendmahl gegenwärtig mache, stehe über aller Mathematik. Gewichtiger mußte für ihn die jedenfalls christliche und biblische Einwendung Zwingli's sein, daß Christus mit seinem Fleische seinen menschlichen Brüdern gleich geworden sei und sie wiederum in der Vollendung auch seinem verklärten Leibe gleichgestaltet werden sollen, während ja dann doch ihr Leib nicht auch an verschiedenen Orten zugleich sein werde. Luther wies dieselbe ab vermöge des Unterschieds, den er hier zwischen dem Wesentlichen, was Christus mit den Christen gemein habe, und zwischen Anderem, was er nicht habe oder eigenthümlich voraus habe, machen wollte; so habe z. B. Christus auch kein Weib gehabt, wie es Menschen haben.

Am folgenden Tag, dem Sonntag, hielt Luther die Frühpredigt. Er sprach im Anschluß an's sonntägliche Evangelium und ohne Bezugnahme auf den gegenwärtigen Streit frisch und gewaltig über die Sündenvergebung und Gerechtigkeit, die durch den Glauben komme.

Die Disputation aber wurde auch an diesem Tage fortgesetzt und schon Vormittags wieder aufgenommen. 424 Man handelte weiter von der Gegenwart des Leibes im Sacrament. Luther wollte sie doch nicht wie eine räumliche angesehen haben: der Leib sei hier doch nicht local oder räumlich umschrieben zugegen. Andererseits wollten auch die Schweizer die Möglichkeit eines Wunders, daß Gott einen Leib an mehreren Orten zugleich sein lasse, nicht bestreiten, forderten dann aber einen Nachweis dafür, daß es wirklich mit Christi Leib so sich verhalte. Luther berief sich hiefür eben wieder auf die Worte: Das ist mein Leib; er sagte: »Ich kann wahrlich an dem Text meines Herrn nicht vorüber, sondern muß bekennen, daß der Leib Christi allda sei.« Hier fiel ihm Zwingli rasch in's Wort: also setze doch auch er diesen Leib an einen Ort, denn »da, da« sei ein Adverbium des Ortes. Luther aber wollte seinen unbefangenen Ausdruck nicht so gebrauchen lassen und verbat sich wieder die mathematischen Gründe. – An diesem zweiten Tage suchten Zwingli und Oekolampad auch Zeugnisse des christlichen Alterthums für ihre Auffassung beizubringen. Sie konnten in gewisser Beziehung allerdings auf Augustin sich berufen. Luther wollte ihn jedoch anders deuten und auch ihm keinesfalls eine Autorität dem Schriftwort entgegen zuerkennen. – Am Abend schloß die Disputation damit, daß jeder Theil sich verwahrte, vom andern sich Gottes Wort widerlegt zu sein, und ihn dem Gerichte Gottes anheim gab, der ihn noch bekehren möge. Dem Zwingli kamen darüber Thränen.

Vergebens bemühte sich Philipp noch weiter mit den Einzelnen, sie einander näher zu bringen. Soeben hörte man auch, daß die furchtbare Seuche, der englische Schweiß, in der Stadt ausgebrochen sei. So verzichtete Jener auf weitere Verhandlungen und eilte mit seinen Gästen hinweg. Er veranstaltete nur schleunig noch, daß über die Punkte des christlichen Glaubens, in denen die Uebereinstimmung der Schweizer mit dem evangelischen Glauben fraglich erschienen war, eine Reihe von Sätzen durch Luther aufgestellt und von den 426 Theologen beider Theile unterzeichnet wurde. Das geschah noch am Montag. Es sind die fünfzehn »Marburger Artikel«. Sie sprachen die Einigkeit in allen andern Lehren aus und auch hinsichtlich der Abendmahlslehre in soweit, als gesagt wurde: das Sacrament des Altars sei ein Sacrament des wahren Leibes und Blutes Christi und die »geistliche Nießung« dieses Leibes sei vornehmlich von Nöthen. Streitig blieb: »ob der wahre Leib und Blut Christi leiblich im Brod und Wein sei«.

Abb. 42: Facsimile der Ueberschrift und der Unterschriften der Marburger Artikel.

Vergleicht man, wie jetzt in Marburg gestritten wurde und wie der Streit vorher geführt, wie da die einen von den andern als teuflisch geartete Schwärmer und die andern von jenen als rückfällige Papisten und Anbeter eines »aus Brod gemachten Gottes« verunglimpft wurden, so war doch schon durch das Gespräch an sich und die Art, wie gesprochen wurde, etwas Bedeutendes erreicht. Denn der Ton war hier ein durchaus artiger, ja freundlicher. Und daß die offenen, derben, bisher leidenschaftlich erregten Männer bei ihrem Zusammentreffen so sich zu mäßigen vermochten, konnte nicht blos Folge eines Zwanges sein, den sie sich anthaten. Luther redete, wo er recht nachdrücklich sein wollte, die Gegner »meine allerliebsten Herren« an. Der Augenzeuge Brenz erzählt, man hätte ihn und Zwingli für Brüder ansehen können. Und nun waren also bei ihnen auch übereinstimmende Aussagen über alle Hauptlehren außer jener einen erzielt. Ueber feinere Unterschiede der Auffassung, die hiebei doch noch statt haben mochten, wurde hinweg gesehen. Aber die Abweichung in dem einen großen Punkt und der Geist, der darin sich kundgebe, machte es Luther dennoch unmöglich, jenen die Bruderhand zu reichen, welche Zwingli mit den Seinen jetzt dringend sich erbat. Luther blieb dabei: »Ihr habt einen anderen Geist als wir.« Seine Genossen waren mit ihm alle darüber einmüthig, daß man jenen nur Freundschaft und christliche Liebe überhaupt zusagen, nicht sie für Brüder in Christo 427 anerkennen dürfe. In den Artikeln wurde darüber nur soviel gesagt, daß, wiewohl man über jenen Punkt sich noch nicht verglichen habe, doch »ein Theil gegen den andern christliche Liebe, sofern jedes Gewissen immer leiden könne, erzeigen solle«.

Am Dienstag Nachmittag brach Luther von Marburg heimwärts auf. Nach dem Willen seines Kurfürsten reiste er über Schleiz, wo dieser damals mit dem Markgrafen Georg von Brandenburg eine Besprechung wegen des protestantischen Bündnisses hatte. Sie wünschten jetzt von Luther ein zusammenfassendes kurzes Bekenntniß des evangelischen Glaubens, in welchem sie verbunden sein wollten. Luther gestaltete ihnen ein solches sogleich aus den Marburger Artikeln, indem er einzelnes beifügte, einzelnes auch noch schärfer in seinem Sinne faßte. Wohl am 18. October langte er wieder in Wittenberg an.

Jenes Bekenntniß wurde gleich darauf bei einer Zusammenkunft der Protestanten in Schwabach vorgelegt. Es hatte zur Folge, daß auf den Beitritt zum Bund, von welchem die Schweizer ausgeschlossen blieben, jetzt auch Ulm und Straßburg verzichteten.

Innerhalb des Bündnisses wurde jetzt sehr ernstlich die Frage verhandelt, wie weit die protestantischen Stände, wenn der Kaiser wirklich sie zur Unterwerfung zwingen wollte, gehen, ob sie Gewalt mit Gewalt abwehren dürften. Luther aber blieb auch hier unerschütterlich. Was auch weltliche Rechte und Rathgeber sagen möchten – für Christen sollte nach seinem Urtheil die Frage damit entschieden sein, daß die Obrigkeit eine göttliche Ordnung und daß der Kaiser die Obrigkeit oder der Oberherr Deutschlands sei. Vor Allem kam hiebei eben diese seine Auffassung des Kaiserthums und des Verhältnisses der Reichsfürsten zu diesem in Betracht. Als Unterthanen des Kaisers sah er sie eben so an, wie er ihnen in ihren eigenen Territorien die Bürgermeister der Städte und verschiedene adelige Herren unterthan 428 sah; und diesen haben sie ja selbst kein Recht eingeräumt, ihren landesherrlichen Maßregeln auf dem kirchlichen Gebiet durch Proteste oder gar mit Gewalt sich zu widersetzen. Er forderte auch so nicht etwa schlechthin einen duldenden Gehorsam, so arg immer eine Obrigkeit und der Kaiser es treiben möchte, ließ vielmehr eine Absetzung des Kaisers als möglich zu. Er sagte: »Sünde hebt Obrigkeit und Gehorsam nicht auf; aber die Strafe hebt sie auf, das ist, wenn das Reich und die Kurfürsten einträchtiglich den Kaiser absetzen, daß er nimmer Kaiser wäre; so lang er unbestraft und Kaiser bleibt, soll ihm auch Niemand den Gehorsam entziehen.« Nur in einem gemeinsamen Act der Reichsstände aber lag also für ihn die Hülfe gegen einen ungerechten, tyrannischen, das Recht umstürzenden Kaiser, während gegenwärtig Kaiser Karl mit der Majorität des Reiches zusammenstand. Der gewaltsame Widerstand einzelner Stände war hienach für ihn unzulässig, weil mit seiner Auffassung des deutschen Reiches die Idee eines einheitlichen festen Gemeinwesens oder Staates sich verband und nicht etwa die eines Bundes, dessen selbständige Glieder gegen Vertragsbruch zu den Waffen greifen dürften. Seine Auffassung theilten namentlich sein Kurfürst und die Nürnberger. Wie diese Protestanten Gewissens halber dem Beschluß von Speier den Gehorsam verweigerten, so fühlten sie sich auch in ihrem Gewissen gebunden, als es galt, die Folgen der Weigerung zu bestehen. Luthers Meinung über das richtige Verhalten der protestantischen Stände war dann dieselbe, die er bei der Rückkehr von der Wartburg dem Kurfürsten Friedrich ausgesprochen hatte: sie sollten den Kaiser, wenn Gott es soweit kommen ließe, in ihre Länder und gegen ihre Unterthanen einschreiten lassen, ohne doch je darein zu willigen oder gar mitzuhelfen. Aber er fügte bei: »Es ist ein rechter Mißglaube, der Gott nicht vertrauet, daß er uns ohne unsern Witz und Macht zu schützen wisse; – wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen (Jes. 30, 15).«

429 Zu gleicher Zeit wollte Luther noch weiter seiner Pflicht gegen die Türken genügen.

Ihre ungeheuren Schaaren waren bis vor Wien gerückt und hatten die schlecht befestigte, doch mit deutschem Heldenmuth vertheidigte Stadt auf's Aeußerste bedrängt: während Luther auf der Heimreise begriffen war, liefen sie mit aller Macht Sturm. Die Nachrichten davon bewegten und beengten ihn in seinem Innersten. Er führte heftige Anfechtungen und Seelenkämpfe, an denen er jetzt wieder litt, auf sie und ihren Gott, den Teufel, zurück. Gleich nach seiner Rückkehr unternahm er es, eine »Heerpredigt wider den Türken« zu schreiben. Am 26. October erhielt er dann die Kunde, daß sie zum Abzug genöthigt worden seien. Das war ihm ein »himmlisches Wunder«. Aber während nun Manchen seine früheren Mahnungen und Warnungen übertrieben dünkten, sah er mit Recht nur einen Aufschub der Gefahr. Er gab seine Schrift heraus, die schon am Neujahr in neuer Auflage erscheinen mußte.

Ihm erfüllte sich im Türken die Weissagung Ezechiels und der Offenbarung Johannis von Gog und Magog und hiemit ein göttliches Verhängniß zur Strafe für die verderbte Christenheit. Wie er aber in seiner ersten Schrift vor Allem die Obrigkeit gemäß ihrer von Gott gegebenen Bestimmung zum Schutz der Ihrigen gegen den Feind aufrief, so wollte er jetzt weiter die deutschen Christen alle im Gewissen fest und muthig machen, unter ihrem Banner nach Gottes Befehl in's Feld zu ziehen. Er hielt ihnen das Beispiel des »lieben St. Moritz und seiner Gesellen« und vieler anderer Heiliger vor, die einst auch ihrem Kaiser als Ritter oder Bürger mit Leib und Gut in den Waffen gedient haben. Er wollte, daß, wenn es Ernst würde, »sich wehrete, was sich wehren könnte, Jung und Alt, Mann und Weib, Knecht und Magd«, so wie die Römer berichtet haben, daß einst auch die Weiber und Jungfrauen der Deutschen mit stritten. Kein Häuslein achtete er für so 430 geringe, daß nicht die Feinde davor Haare lassen müßten. Sei's doch auch besser, daheim im Gehorsam gegen Gott erwürgt, als gefangen und wie das Vieh fortgeschleppt und verkauft zu werden. Daneben gab er auch denen, welchen dies Unglück doch widerführe, Vermahnung und Trost, daß sie so, wie Jeremias die Juden in Babylon ermahnte, im Gefängniß geduldig und fest im Glauben bleiben und weder durch ihr Elend, noch durch den gleißnerischen Gottesdienst der Türken sich zum Abfall verführen lassen sollten.

Das predigte er seinem Volke, während er zugleich in Briefen an Freunde klagen mußte: »Kaiser Karl droht uns noch viel schrecklicher als der Türke; so haben wir auf beiden Seiten einen Kaiser, einen morgenländischen und abendländischen, zum Feinde.« Und in denselben Tagen gab er sein Gutachten ab, daß die Bekenner des Evangeliums ihrem Kaiser gegenüber »die Hände von Blut und Frevel rein behalten« und, ob auch »sein Vornehmen ein lauter Dräuen des Teufels sei«, nur mit Beten, Flehen und Hoffen an ihren Gott sich halten müßten, dessen offenbare Hülfe sie bisher haben erfahren dürfen.


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