August von Kotzebue
Die deutschen Kleinstädter
August von Kotzebue

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Zweiter Akt

Erste Szene

Die drei Frauen stehen noch immer an der Tür und komplimentieren. Sabine seitwärts.

Frau Brendel. Sie werden exküsieren.

Frau Morgenrot. Ich muß deprezieren –

Frau Staar. Bitte mich nicht in Versuchung zu führen.

Frau Brendel. Ah! da hör ich sie schon auf der Treppe.

(Alle drei prallen zurück.)

Zweite Szene

Olmers. Der Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Die Vorigen.

Bürgermeister. Heil ist meinem Hause widerfahren! Heil der guten Stadt Krähwinkel!

Olmers. Nicht doch, Herr Bürgermeister, ich bin schon zufrieden, wenn auch nur eine einzige Person (mit einem Blick auf Sabinen) sich über meine Ankunft freut.

Bürgermeister. Bewahre der Himmel! ich wollt' es keinem gehorsamen Bürger raten, sich nicht untertänigst zu freuen. Dafür haben wir Mittel.

Olmers. Diese Damen gehören vermutlich zu Ihrer Familie?

Bürgermeister. Meine werteste Frau Muhme, die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel, desgleichen meine werteste Frau Muhme, die Frau Stadtakzisekasseschreiberin Morgenrot.

Frau Brendel und Frau Morgenrot (mit gewaltigen Knicksen). Wir freuen uns unendlich, die Ehre zu haben –

Bürgermeister. Hier ist meine Mutter, die Frau Untersteuereinnehmerin Staar.

Frau Staar. Bitte nur tausendmal um Vergebung, daß die Vorhänge noch nicht gewaschen sind. Es geschieht sonst immer vor Pfingsten und Weihnachten.

Olmers. Madam, ich würde untröstlich sein, wenn Sie durch mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließen.

Frau Staar (beiseite mit gerümpfter Nase). Madam?

Olmers (zum Bürgermeister). Dies junge Frauenzimmer ist vermutlich Ihre Mademoisell Tochter?

Bürgermeister. Jedermann erkennt sie doch gleich an der Ähnlichkeit mit mir.

Olmers. Mademoisell, ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß meine Gegenwart keinen unangenehmen Eindruck auf Sie machen werde.

Sabine. Im Gegenteil, der Eindruck ist so angenehm, daß ich ihn nur früher gewünscht hätte.

Herr Staar. Man hört doch gleich, daß das Mädchen ein Jahr in der Residenz gewesen ist.

Olmers. Vermutlich haben Sie dort interessante Bekanntschaften gemacht?

Sabine. Wenn auch nicht viele, doch eine.

Olmers. Die sich um so glücklicher schätzen wird.

Sabine. Wer weiß. Man findet in der Residenz so ziemlich alles, ausgenommen Gedächtnis.

Olmers. Hüten Sie sich, daß Sie kein Unrecht abzubitten bekommen.

Sabine. Dabei würde ich gewinnen.

Olmers. Wer einmal so glücklich war, Sie zu sehn –

Sabine. Sie schmeicheln einem armen Landmädchen.

Bürgermeister. Nun, nun, Sabinchen, ein Landmädchen bist du doch gerade auch nicht. Wir bewohnen Gott sei Dank! eine ganz feine Stadt.

Herr Staar. Die beiden Hauptstraßen sind gepflastert.

Sperling. 5000 Einwohner, worunter auch einige Dichter.

Frau Staar. Drei schöne Kirchen.

Frau Brendel. Eine anmutige Promenade bis zum Galgen.

Olmers. Ich habe eine liebliche Anhöhe bemerkt.

Frau Morgenrot. Oh, die ist ganz vortrefflich zum Wäschetrocknen.

Olmers. Und das Tal so malerisch mit Gebüschen bestreut.

Frau Brendel. Die schönsten Erdbeeren wachsen dort.

Sperling (mit einem Blick auf Sabinen). Gewürzig und purpurrot wie gewisse Lippen.

Olmers. In der Tiefe schlängelt sich ein Fluß.

Frau Staar. Mit Forellen und Karauschen.

Olmers. Ein schattenreicher Wald beherbergt ein Heer von Nachtigallen.

Herr Staar. Der Wald ist dick genug, aber das Holz wird doch alle Jahr' teurer.

Olmers. Treibt das Städtchen einen starken Handel?

Frau Staar. O ja, mit Meerrettich.

Herr Staar. Auch gibt es Niederlagen von ost- und westindischen Gewürzen, samt einer Lesebibliothek.

Sperling. Von unserm Scheibenschießen haben Sie wohl schon gehört?

Olmers. Leider nein.

Sperling. Es ist auch ein Hanswurst dabei.

Frau Staar. Und einen Nachmittagsprediger haben wir an der Ägidienkirche, das ist ein Mann wie ein Apostel! Oh, der ist Ihnen sicher schon bekannt?

Olmers. In der Tat, ich muß mich schämen –

Sperling. Was sagen sie denn in der Residenz von unserm Liebhabertheater? ich spiele den Peter in »Menschenhaß und Reue«.

Frau Morgenrot. Und recht natürlich.

Sperling. Nicht wahr, Frau Muhme?

Bürgermeister. Vor allen Dingen werd ich dem Herrn unser Rathaus zeigen. Ein Baumeister aus Gotha hat es vor 300 Jahren erbaut. Es ist im echt gotischen Geschmack.

Olmers. Sobald ich mich ein wenig von der Reise erholt habe.

Frau Staar. Sabinchen, führe doch den Herrn auf sein Zimmer.

Sabine. Herzlich gern.

Bürgermeister. Ich werde die Ehre haben zu begleiten.

Herr Staar. Auch ich.

Sperling. Auch ich.

Olmers. Bemühen Sie sich nicht, meine Herren, ich bin vollkommen mit meinem Führer zufrieden.

Bürgermeister. Mitnichten. Se. Exzellenz, der Herr Minister, haben mir Hochdieselben empfohlen, und ich werde nicht ermangeln, Sie wie Dero Schatten zu umgeben.

Olmers. Dann werden Sie mir oft in die Sonne treten.

Bürgermeister. Sonne genug. Dero Fenster liegen gegen Mittag. Übrigens sehr bequem. Nur drei Stufen hinab in die Kammer und wiederum zwei Stufen hinauf in den Alkoven.

Olmers (reicht Sabinen die Hand). Mademoisell, an Ihrer Hand hoffe ich die Stufen leicht zu erklimmen.

Sabine. Es wäre doch besser, wenn wir uns schon am Ziele befänden.

(Ab mit Olmers.)

Der Bürgermeister (folgt).

Sperling (zu Staar). Was meinen Sie, wenn ich ihm gleich die Ode vorläse? die an die Braunschweiger Mumme?

Herr Staar. Jetzt nicht. Ich zeig ihm erst meine Nürnberger Kupferstiche.

(Beide ab.)

Dritte Szene

Frau Staar. Frau Brendel. Frau Morgenrot.

Frau Staar. Nun! was sagen Sie, liebwerteste Frau Muhmen?

Frau Brendel. Mich hat er kaum angesehn.

Frau Morgenrot. Mit mir hat er kein Wort gesprochen.

Frau Staar. Und mich hat er gar eine Madam genannt! Seht doch! Madam! ich bin mit Gott und Ehren Frau Untersteuereinnehmerin und keine Madam.

Frau Brendel. Er hätte doch fragen können, ob mein Mann schon lange tot wäre? oder so etwas dergleichen.

Frau Morgenrot. Wenn er sich doch nur nach meinen Kindern erkundigt hätte.

Frau Staar. Mein Sohn hat ihm deutlich genug gesagt: Frau Untersteuereinnehmerin; und dennoch hat er mich recht unverschämterweise zur Madam gemacht.

Frau Morgenrot. Was Lebensart heißt, muß er erst in Krähwinkel lernen.

Frau Brendel. Ein hübscher Mann ist er.

Frau Staar. Ja, aber gar nicht ein bißchen steif. Tat er nicht, als ob er hier zu Hause wäre?

Frau Morgenrot. Recht, Frau Muhme, es mangelte ihm ganz die volle Verlegenheit.

Frau Brendel. Feine Wäsche trägt er.

Frau Staar. Aber keine Manschetten.

Frau Morgenrot. Das Haar mag auch wohl vor acht Tagen zum letztenmal gepudert worden sein.

Frau Staar. Der Mensch kömmt mir so bekannt vor. Es ist mir immer, als hätte ich ihn schon irgendwo gesehn. - (Sich plötzlich besinnend und sehr heftig erschrocken.) Ah! Ah! mein Schwindel! ich falle in Ohnmacht!

Frau Brendel und Frau Morgenrot (eilen ihr zu Hülfe). Was ist's Frau Muhme?

Frau Staar. Da, in meiner Tasche –

Frau Brendel. Das Riechfläschchen?

Frau Staar. Nein – nein – ein Bild – ein Bild –

Frau Brendel (hat unterdessen in ihrer Tasche gesucht). Nun ja, da ist eins. Ei seht doch, das ist wahrhaftig der Fremde.

Frau Staar. Zeigen Sie her. – So wahr ich eine arme Sünderin bin! er ist's! ich bin des Todes!

Frau Brendel. Wer denn?

Frau Morgenrot. Ich will nicht hoffen –

Frau Staar. Ich kann nicht zu Atem kommen –

Frau Brendel. Doch kein entsprungener Delinquent?

Frau Morgenrot. Wohl möglich. Man wird das Bild zu dem Steckbriefe gelegt haben.

Frau Staar. Es ist der König! es ist der König!

Beide (schreien laut auf). Der König!

Frau Staar. Se. allerglorreichste Majestät!

Frau Brendel. Frau Gevatterin, mir wird schlimm – (Sie sinkt auf einen andern Stuhl.)

Frau Morgenrot (ebenso). Auch mir, teuerste Frau Gevatterin.

(Alle drei stöhnen.)

Frau Staar. Nein, das überleb ich nicht – die hohe Ehre – die hohe Gnade – und die Vorhänge nicht gewaschen –

Frau Brendel. Weiß es denn noch niemand in der Stadt?

Frau Staar. Keine Christenseele.

Frau Brendel. Ah! da muß ich ja eilen! Kommen Sie, Frau Gevatterin!

Frau Morgenrot. Ja doch, ja! es ist mir zwar wie Blei in die Füße gesunken – aber der König – die Vaterlandsliebe – kommen Sie! kommen Sie! (Beide ab.)

Vierte Szene

Frau Staar (allein).
Ich bin ganz weg – tut nichts – Nun mag mein Stündlein schlagen, wann es dem Himmel gefällt! ja, nun will ich auch in Gottes Namen eine Madam sein! der König mag mich Madam nennen, soviel er will! – Horch! da oben geht er auf und nieder – man hört es doch gleich, es ist ein königlicher Schritt! – Wenn ich nur von der Stelle könnte – wenn nur mein Sohn erst wüßte – daß er nicht gegen den Respekt mankiert –

Fünfte Szene

Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Frau Staar.

Frau Staar. Kommt ihr endlich? seht, da sitz ich, und wer weiß, ob ich in meinem Leben wieder aufstehe.

Bürgermeister. Was ist der Frau Mutter widerfahren?

Frau Staar. Ich will es kurz machen – ich will reden – ich will das große Geheimnis von mir geben – und dann in mein Kämmerlein gehn und mit lauter Stimme einen Lobpsalm singen!

Herr Staar. Was schwatzt die Frau Mutter?

Frau Staar. Wo ist euer Gast?

Sperling. Er wird gleich herunterkommen.

Frau Staar. Niemand bei ihm?

Bürgermeister. Keine Seele. Die Sabine wollte bei ihm bleiben, aber ich jagte sie in die Küche.

Frau Staar. Nun, so lauft! rutscht auf Euren Knien die Treppe hinauf! – Niklas! Niklas! der König ist in deinem Hause!

Bürgermeister und Herr Staar. Wie? was?

Sperling. Der König?

Bürgermeister. Mache mich die Frau Mutter nicht konfus.

Frau Staar. Ja, nun wird die Konfusion erst recht angehn. Ganz Krähwinkel muß konfus werden! Er ist da! sag ich, er ist da! Gleich dem großen Weltkönig, der auf einem Eselein ritt, hat er dich erwählt, mein Sohn Niklas! in dein Haus ist er eingezogen, du glücklicher Bürgermeister, auch Oberältester!

Bürgermeister. Frau Mutter, ich bitte, sich zu explizieren, denn ich weiß schon nicht mehr, ob ich einen Kopf oder eine Windmühle auf dem Rumpfe trage.

Frau Staar. Da! da ist unsers gnädigsten Königs Porträt! nun, da seht selbst! ist er's? oder ist er's nicht?

Bürgermeister. Der Fremde, wie er leibt und lebt.

Herr Staar. Richtig.

Bürgermeister. Aber woher weiß die Frau Mutter –?

Frau Staar. Hab ich vor vierzig Jahren nicht des Königs Großvater gesehn? und ist ihm der Enkel nicht wie aus den Augen geschnitten? Ich sage dir, das ist sein Porträt, und die geheiligte Person wandelt über unsern Köpfen.

Herr Staar. Da haben wir's! er reist inkognito.

Sperling. Der Landesvater im Steinbruche!

Bürgermeister. Ach mein Gott! was ist nun anzufangen? Da muß ja die Bürgerwache mit der alten Trommel aufziehn.

Sperling. Und die Schützenkompanie mit der Fahne.

Herr Staar. Und der Magistrat mit den Waisenkindern.

Frau Staar. Ach! wenn das mein seliger Herr noch erlebt hätte!

Bürgermeister. Aber ist es denn auch so recht gewiß?

Herr Staar. Wie kann der Herr Bruder noch zweifeln? die Frau Mutter hat ja den Großvater selbst gesehn.

Sperling. Und das Porträt läßt sich doch auch nicht wegdemonstrieren.

Frau Staar. Es ist der König, sag ich dir!

Bürgermeister. So muß mit allen Glocken geläutet werden, daß die Bürger zusammenlaufen.

Frau Staar. Die Frau Muhmen sind schon hinaus.

Bürgermeister. So brauchen wir keine Glocken. Aber eine Ehrenwache muß gleich vor das Haus.

Frau Staar. Vor unser Haus! Wenn ich die Ehrenwache sehe, so rührt mich der Schlag.

Sperling. Da ist er.

Frau Staar (zwingt sich aufzustehn). Ach Gott! Ach Gott!

Bürgermeister. Ein Herz gefaßt.


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