August von Kotzebue
Die deutschen Kleinstädter
August von Kotzebue

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Dritter Akt

Erste Szene

Frau Staar (allein).
Nein, so etwas dergleichen von Ungezogenheit ist mir noch nicht vorgekommen. Sind das die feinen Sitten in der Residenz? Gott behüte und bewahre! – Von der Madam will ich gar nichts mehr reden, denn die liegt mir schon tief im Magen. Aber – ich weise ihm den Ehrenplatz an zwischen zwei respektablen alten Frauen, was tut er? er läßt sie sitzen wie ein paar Wachsbilder in einer Jahrmarktsbude und pflanzt sich mitten unter das junge Volk! – Ei! ei! ei! – Nein, da lob ich mir den Herrn Bau-, Berg- und Weginspektorssubstituten! das ist noch ein Männchen! galant und scharmant, gebiegelt und geschniegelt.

Zweite Szene

Frau Staar. Frau Brendel, Frau Morgenrot (beide nach ihrer Art geputzt).

Frau Staar. Nun, Frau Muhme? der liebe bescheidene Gast!

Frau Brendel. Der scheint mir ein lockerer Zeisig.

Frau Morgenrot. Haben Sie bemerkt, wie er das Brot zu Kugeln drehte und die Jungfer Muhme damit warf?

Frau Staar. Der böse Mensch! die edle Gottesgabe!

Frau Brendel. Den roten Wein hat er aufs Tischtuch verspritzt.

Frau Morgenrot. Was wollen Sie sagen! beim Lichtputzen hat er sogar einen Funken darauf fallen lassen.

Frau Staar. I du Bösewicht! mein damastnes Tischtuch.

Frau Brendel. Das Essen schien ihm auch nicht recht zu schmecken.

Frau Morgenrot. Er ließ manche Schüssel ganz vorübergehn. Schickt sich das?

Frau Staar. Ich habe ihm doch genug gesagt, wie gut jede Schüssel zubereitet sei und aus welchen Ingredienzien sie bestehe.

Frau Brendel. Ich denke, am Nötigen haben wir es alle nicht fehlen lassen.

Frau Morgenrot. Er war ja so unverschämt, sich das Nötigen ganz zu verbitten.

Frau Staar. Man sieht, daß er noch wenig gute Gesellschaft frequentiert hat.

Frau Brendel. Nicht einmal den Kuchen hat er gelobt, und der war doch vortrefflich.

Frau Morgenrot. Außerordentlich mürbe.

Frau Brendel. Er zerging auf der Zunge.

Frau Morgenrot. Vermutlich selbst gebacken?

Frau Staar. Zu dienen.

Frau Brendel. Oh, das merkt man gleich.

Frau Staar. Allzugütig.

Frau Morgenrot. Der Teig ist wie Schaum.

Frau Staar. Sie beschämen mich.

Frau Brendel. Darf ich fragen, wieviel Eier die Frau Muhme dazu nehmen?

Frau Staar. Ich werde die Ehre haben, das ganze Rezept mitzuteilen. Man nimmt erstens –

Dritte Szene

Herr Staar. Die Vorigen.

Herr Staar. Bleibt mir vom Halse mit Eurem vornehmen Gaste! Der kann sich erst aus meiner Lesebibliothek das Sittenbüchlein holen und solches fleißig studieren.

Frau Brendel. Jawohl, Herr Vizekirchenvorsteher, der ist gar sehr in der Erziehung verwahrlost.

Herr Staar. Erst hat er nicht einmal ordentlich sein Tischgebet verrichtet.

Frau Staar. Und noch obendrein über die armen Kinder gelacht, die doch ihr »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast. recht ordentlich herunterbeteten.

Herr Staar. Als ich, nach alter scherzhafter Weise, die Gesundheit: Was wir lieben, ausbrachte, gleich rief er: Was uns wiederliebt und seinem Nachbar einen Kuß gibt.

Frau Brendel (sich verschämt mit dem Fächer wedelnd). Ich hatte das Unglück, ihm an der linken Hand zu sitzen.

Frau Staar. Die hübsche Mamsell Morgenrot, die ihm zur Rechten saß, wurde feuerrot.

Herr Staar. Die Sabine warf ihm einen grimmigen Blick zu.

Frau Staar. Am Ende wollte er ja gar ein heidnisches Lied singen: »Freude, schöner Götterfunken!« nein, so verrucht geht es bei uns nicht zu.

Herr Staar. Weil er selbst keinen Titel hat, so gibt er auch keinem Menschen seine gebührende Ehre.

Frau Staar. Wenn mein Sohn, der Bürgermeister, auch Oberälteste, die wichtigsten Prozesse abhandelte, so saß er und kritzelte mit der Gabel auf dem Teller.

Frau Brendel. Und Zucker hat er in den Kaffee geworfen, eine ganze Handvoll!

Frau Morgenrot. Und statt nach Tische zur gesegneten Mahlzeit die Hand zu küssen, hat er sich ein einziges Mal ringsherum verbeugt.

Herr Staar. Ich möchte nur wissen, wie der Herr Minister solche Leute empfehlen kann.

Vierte Szene

Sperling. Vorige.

Sperling. Hochgeehrteste Frau Muhmen, ich wollte, der Fremde läge noch im Steinbruche, denn unter uns gesagt, er hat keine Konduite.

Herr Staar. Darüber sind wir einig.

Sperling. Haben Sie wohl das spöttische Lächeln bemerkt, als ich den löblichen alten Leberreim vorschlug?

Herr Staar. Von Ihrer schönen Ode auf die Braunschweiger Mumme hat er nicht drei Worte gehört.

Frau Brendel. Da zwinkert' er immer mit der Jungfer Muhme, die ihm gegenübersaß.

Sperling. Für die schöne Literatur scheint er wenig Sinn zu haben.

Herr Staar. Er hat ja nicht einmal den »Rinaldo Rinaldini« gelesen.

Sperling. Er ist zu bedauern. Es mag ihm nicht an Anlage fehlen, aber keine Ausbildung.

Herr Staar. Keine Sitten.

Frau Brendel. Keine Moral.

Frau Morgenrot. Keine Lebensart.

Frau Staar. Keinen Titel.

Sperling. Wenn der bei dem morgenden großen Feste erscheint, geben Sie acht, der wird zum Kinderspott.

Herr Staar. Danken wir dem Himmel, daß in unserer guten Stadt Krähwinkel die liebe Jugend feiner erzogen wird.

Fünfte Szene

Sabine. Vorige.

Frau Staar. Gut, Binchen, daß du kömmst. Sag uns doch ein wenig, gleichen die jungen Herrn in der Residenz alle diesem Musje Olmers?

Sabine. Alle, die Anspruch auf feine Bildung machen.

Frau Staar. So? scharmant.

Herr Staar. Er ist ja ein Grobian.

Frau Brendel. Dreht Brotkugeln.

Frau Morgenrot. Befleckt die Tischtücher.

Frau Staar. Tituliert keinen Menschen.

Sperling. Verhöhnt die Poesie.

Frau Brendel. Lobt keinen Kuchen.

Frau Morgenrot. Läßt die Hälfte auf dem Teller liegen.

Herr Staar. Weiß von keinem Tischgebet.

Frau Staar. Will heidnische Lieder singen.

Sperling. Küßt die Nachbarin.

Frau Staar. Hat weder deinem Vater noch dem Herrn Pastor loci geduldig zugehört.

Sabine. O weh! o weh! der arme Olmers! – Liebe Großmutter, in der Residenz verbannt man soviel wie möglich allen Zwang. Komplimente sind dem, der sie macht, im Grunde ebenso lästig als dem, der sie empfängt. Man läßt die Leute essen, wovon sie Lust haben und soviel sie mögen, man nötigt nie. Das Tischgebet ist nicht mehr gebräuchlich, weil die Kinder nur plappern und die Erwachsenen nichts dabei denken. Ein anständiger Scherz, ein frohes Lied würzen das Mahl. Der Titel bedient man sich bloß im Amte, im geselligen Leben würden sie nur die Freude verscheuchen. Kurz, ein guter Wirt sucht alles zu entfernen, was die Behaglichkeit seiner Gäste stören könnte. Man kömmt, man setzt sich, man steht, alles nach Belieben. Man geht wieder, ohne Abschied zu nehmen.

Frau Staar. Hör auf! ich bekomme meinen Schwindel.

Frau Brendel. Ohne Abschied! ist das möglich?

Frau Morgenrot. Sich nicht einmal zu bedanken für genossene Ehre!

Sabine. Wenn die Gäste vergnügt sind, so hält der Wirt das für den besten Dank.

Frau Staar. Ach du mein Gott! ist denn die Residenz zu einer Dorfschenke geworden?

Sechste Szene

Der Bürgermeister. Olmers. Vorige.

Bürgermeister. Wie ich Ihnen sage, Herr Olmers, die Stadtherde hat seit hundert Jahren das Privilegium, auf den Rummelsburger Stoppeln zu weiden –

Olmers. So?

Bürgermeister. Nun aber hat der Amtmann daselbst noch neuerlich einen Hammel gepfändet –

Olmers (zu Sabinen). Meine schöne junge Wirtin ist mir entschlüpft.

Bürgermeister. Einen Hammel, sag ich, hat er gepfändet –

Olmers. Zwar kleidet die häusliche Sorge Sie überaus wohl –

Bürgermeister. Einen fetten Hammel sage ich –

Sabine (halbleise). So hören Sie doch auf den Hammel!

Olmers. Lassen Sie es gut sein, Herr Bürgermeister. Ich bin von den Privilegien Ihrer Stadtherde sattsam überzeugt. Der Amtmann muß den Hammel herausgeben, das versteht sich.

Bürgermeister. Ei, damit ist's noch nicht getan.

Olmers. Und Strafe dazu, soviel Sie wollen. (Zu Frau Staar.) Nicht wahr, Madam? – Sie haben uns so schön bewirtet, daß wir in diesem Augenblicke selbst für den fettesten Hammel uns nicht zu interessieren vermögen.

Frau Staar. Es scheint überhaupt, mein Herr, daß vernünftige Gespräche nicht jedermann interessieren. Zu meiner Zeit wurde das Alter in hohen Ehren gehalten. Betitelte Personen von gesetzten Jahren führten das Wort, die unbetitelte Jugend hörte und lernte. Sintemalen nun aber diese ehrbare Sitte nicht mehr gebräuchlich, so tun ältere Personen wohl, sich der Gesellschaft zu entziehen und über den Sittenverfall in christlicher Einsamkeit zu seufzen. (Sie verneigt sich und geht ab.)

Olmers. Ich will nicht hoffen, daß Madam auf mich zürnt?

Herr Staar. Meine Frau Mutter, die Frau Untersteuereinnehmerin, wird in ganz Krähwinkel so hoch respektiert, daß sie auch dann nicht einmal zornig wird, wenn dieser oder jener ihr die gebührende Titulatur versagt. (Ab.)

Olmers. Mein Gott! die Titel sind hier in der Provinz so lang und das Studium derselben so beschwerlich –

Sperling. Besonders wenn man selbst keinen Titel hat. (Ab.)

Olmers. Aus einer frohen Gesellschaft sollte jeder Zwang verbannt sein.

Frau Brendel. Da man aber bei einer Gasterei nicht zusammenkommt, um froh zu sein, sondern um die Gaben Gottes reichlich und mit Anstand zu genießen, so sollte man doch billig auf die respektive Würde der Gesellschaft einige Rücksicht nehmen. (Verbeugt sich und geht.)

Frau Morgenrot. Zumal, da die guten Sitten nur durch ein ehrbares Zeremoniell in ihrer Reinigkeit erhalten werden. (Verbeugt sich und geht.)

Olmers. Bewahre der Himmel!

Bürgermeister (beiseite, indem er sich die Perücke zurechtzupft). Wenn nur der Minister nicht wäre, ich wollte es ihm auch schon sagen.

Sabine (leise). Sie sind auf dem besten Wege, es mit der ganzen Familie zu verderben. Reden Sie mit meinem Vater, ehe es zu spät wird. (Ab.)

Siebente Szene

Olmers und der Bürgermeister.

Bürgermeister. Wiederum auf besagten Hammel zu kommen –

Olmers. O Herr Bürgermeister! und wenn Sie mir alle Hammel von ganz Tibet versprächen, jetzt hab ich einen Wunsch, der mir näher am Herzen liegt.

Bürgermeister. So? so?

Olmers. Ich liebe Ihre Mademoisell Tochter.

Bürgermeister. Ei, ei.

Olmers. Ich wünschte sie zu heiraten.

Bürgermeister. Viel Ehre.

Olmers. Ich habe Vermögen, und durch das Wohlwollen des Ministers hoffe ich auch bald ein anständiges Amt zu erhalten.

Bürgermeister. Gratuliere.

Olmers. Nur Ihre Einwilligung fehlt noch zu meinem Glücke. Darf ich mir schmeicheln?

Bürgermeister. Gehorsamer Diener!

Olmers. Als ein ehrlicher Mann hab ich meine Anwerbung in wenig Worten ohne Schminke vorgetragen. Antworten Sie mir ebenso.

Bürgermeister. O ja – Sie erlauben nur – ich bin Paterfamilias – meine Pflicht erheischt, die sämtlichen Vettern und Muhmen zusammenzuberufen und selbigen Dero Anliegen in geziemenden Terminis vorzutragen.

Olmers. Tun Sie das. Ich gehe indessen in den Garten und erwarte mit Ungeduld die Entscheidung. (Ab.)

Achte Szene

Der Bürgermeister (allein).
Ei seht doch! der Mensch fällt mit der Tür ins Haus. Ist das eine Manier zu heiraten? weiß er denn nicht einmal, daß man vorher ein halbes Jahr in einem Hause ab und zu, aus und ein gehen muß, bis die ganze Stadt davon spricht, ehe man zu solchen Extremitäten schreitet. – Gott verzeih mir die Sünde! das sähe ja aus, als müßte die Hochzeit über Hals und Kopf aus gewissen Ursachen beschleunigt werden. (Er geht an die Tür und ruft hinaus.) Margarete! Bittet geschwind die Frau Mutter und den Herrn Bruder und auch die Frau Muhmen herüber; ich hätte etwas Importantes mit ihnen zu überlegen. (Kömmt zurück.) Ja, wenn nur der Minister nicht wäre, auf der Stelle hätte ich ihn abgefertigt. Aber ich wollte denn doch, daß er das morgende Fest Sr. Exzellenz getreulich referierte; drum muß ich ihn schonen.


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