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Erster Akt.

(Ein freier Platz im Parke des Grafen von Wintersee. Rechter Hand ein Sommerhaus und eine Rasenbank. Im Hintergrund eine Bauerhütte.)

Erste Scene.

Peter (jagt einem Schmetterlinge nach, den er endlich mit dem Hute erhascht.)

Aha! – Dich hab' ich erwischt. Ei, der ist gewaltig schön, roth und blau und gelb. (er spießt ihn an eine Nadel und steckt ihn auf den Hut.) Sapperlot! bin ich nun noch der dumme Peter? – mein Vater nennt mich immer ungeschickt; aber was gilts, den bunten Schmetterling hätte er nicht so flink erhascht? – Ja, er will immer so gescheit seyn, nichts kann ich ihm recht machen; bald red' ich zu viel, bald zu wenig, und wenn ich einmal mit mir selbst rede, so nennt er mich gar einen Narren. Ei, ich rede doch am liebsten mit mir selbst, denn ich verstehe mich am besten, und ich lache mich auch nicht aus, wie die andern wohl zu thun pflegen; das ist eine häßliche Gewohnheit. Ja, von Madam Müller mag ich's wohl leiden; denn da bin ich froh, wenn ich sie nur einmal lachen sehe, sie ist immer so traurig. – Na, Musje Peter, nun wollen wir Erdbeeren suchen, und Madam Müller soll die schönsten bekommen. – (er will gehen) Potz Velten! da hätte ich beinahe vergessen, warum ich kam. (er zieht einen Beutel hervor.) Sie hat mir ja befohlen, das Geld dem alten Tobies zu bringen – und nicht ein Wörtchen soll ich ausplaudern? – o ich bin stumm, wie ein Fisch. – Ja, schön ist Madam Müller, sehr schön, aber dumm, entsetzlich dumm! denn mein Papa sagt: wer sein Geld verthut, ist ein halber Narr, aber wer es verschenkt, ein ganzer.

 

Zweite Scene.

Der Unbekannte. Franz. Peter.

Der Unbekannte (mit verschränkten Armen und gebeugtem Haupte. Als er Petern erblickt, bleibt er stehen und betrachtet ihn mißtrauisch.)

Peter (steht ihm gegenüber und sperrt das Maul auf. Endlich zieht er den Hut, nickt ihm bäuerisch zu und geht in die Hütte.)

Unb. Wer ist der Mensch?

Franz. Der Sohn des Verwalters.

Unb. Vom Schlosse?

Fr. Ja.

Unb. Was thut er hier?

Fr. Er ging hinein zu dem armen Bauer.

Unb. Von dem du gestern sprachst?

Fr. Ach! Sie antworteten mir nicht.

Unb. Woher weißt du, daß er so arm ist?

Fr. Er sagt es.

Unb. O sie sagen und klagen viel.

Fr. Und betrügen viel.

Unb. Richtig.

Fr. Dieser nicht.

Unb. Warum nicht?

Fr. Die Wahrheit hat so ihren eignen Stempel.

Unb. (höhnisch) Meinst du?

Fr. Es fühlt sich.

Unb. Narr!

Fr. Besser fühlen als klügeln.

Unb. Das ist nicht wahr.

Fr. Wohlthaten erzeugen Dank.

Unb. Das ist nicht wahr.

Fr. Und beglücken mehr den Geber, als den Empfänger.

Unb. Das ist wahr.

Fr. Sie sind ein wohlthätiger Herr.

Unb. Schweig! die Menschen verdienen es nicht.

Fr. Die meisten freilich nicht.

Unb. Sie heucheln.

Fr. Sie betrügen.

Unb. Sie weinen ins Angesicht.

Fr. Und lachen hinter dem Rücken.

Unb. (bitter) Menschenbrut!

Fr. Es gibt Ausnahmen.

Unb. Wo?

Fr. Dieser Greis.

Unb. Hat er gesagt?

Fr. Mit heißen Thränen.

Unb. Ein wahrhaft Unglücklicher klagt nicht.

Fr. Die Conscription hat ihm den einzigen Sohn entrissen.

Unb. Futter für Pulver, ha! ha! ha!

Fr. Er darbt, ist krank und verlassen.

Unb. Wer kann ihm helfen?

Fr. Sie.

Unb. Wodurch?

Fr. Wenn er einen Stellvertreter bezahlen könnte –

Unb. Hälst du mich für reich?

Fr. Und für gut.

Unb. Ich will nicht gut seyn.

Fr. O Sie sind es wider Ihren Willen.

Unb. Laß mich zufrieden. (er geht in die Hütte.)

 

Dritte Scene.

Franz allein.

Aha! er geht hinein. Was gilt's, er hilft. – Ein guter Herr, aber das Reden verlernt man bei ihm. Ein braver, wunderlicher Herr! immer schimpft er auf die Menschen, und doch geht kein Armer hilflos von seiner Thür. Schon drei Jahre bin ich bei ihm, und noch weiß ich nicht, wer er ist. Ein Menschenfeind. Aber ich wette, seine Mutter hat ihn nicht dazu geboren. Der Menschenhaß ist in seinem Kopfe, nicht in seinem Herzen.

 

Vierte Scene.

Franz. Der Unbekannte. Peter aus der Hütte.

Peter. Spazieren Sie nur voran.

Unb. Narr!

Fr. So bald zurück?

Unb. Was soll ich da?

Fr. Fanden Sie es nicht, wie ich sagte?

Unb. Diesen Burschen fand ich.

Fr. Was hat der mit Ihrer Wohlthätigkeit zu schaffen?

Unb. Mein Geld braucht der Alte nicht.

Fr. Es wäre ihm schon geholfen?

Unb. Frage nur diesen.

Fr. He! junger Herr, was haben Sie dort in der Hütte gemacht?

Peter. Gemacht? nichts.

Fr. Umsonst sind Sie doch nicht da gewesen?

Peter. Umsonst? warum nicht? mein Seel, ich bin umsonst da gewesen. Pfui, wer wird sich denn Alles bezahlen lassen? wenn Madam Müller mir ein freundliches Gesicht macht, so klettere ich umsonst in den Taubenschlag.

Fr. Also Madam Müller hat sie geschickt?

Peter. Nun ja, man spricht nicht gern davon.

Fr. Warum denn nicht.

Peter. Ja seh' er nur, Madam Müller sagte: Musje Peter, seyn Sie so gut und lassen Sie sich nichts merken. (mit vieler Behaglichkeit) Musje Peter! seyn Sie so gut! hä! hä! hä! das kitzelt.

Fr. Freilich, dann müssen sie auch verschwiegen seyn.

Peter. Ei, das bin ich auch. Ich sagte dem alten Tobies, er solle nicht etwa denken, daß Madam Müller ihm das Geld geschickt hätte, denn das würde ich nimmermehr ausplaudern.

Fr. Daran thaten Sie wohl. Brachten Sie ihm viel Geld?

Peter. Nun ich habe es nicht gezählt. Es war in einem grünen seidenen Beutelchen. Ich denke, es mochten wohl die Milchpfennige seyn, die sie seit 14 Tagen zusammen gespart, hat.

Fr. Warum denn eben seit 14 Tagen?

Peter. Ei damals mußte ich ihm ja auch Geld bringen, und vor drei Wochen – es war gerade an einem Sonntage – nein, es war an einem Milchtage – aber ein Festtag muß es gewesen seyn, denn ich hatte meinen Sonntagsrock an.

Fr. Und alle das Geld kam von Madam Müller?

Peter. I Herr Je! von wem denn sonst? mein Papa ist nicht so ein Narr; der sagt, man muß das Seinige zu Rathe halten, und besonders im Sommer muß man gar kein Almosen geben, denn da hat der liebe Gott Kräuter und Wurzeln genug wachsen lassen, von denen der Mensch satt werden kann.

Fr. Ei der liebe Papa!

Peter. Aber Madam Müller lacht ihn aus. Als vor Weihnachten die Kinder der alten Lise die Pocken hatten – nein, es war nach Weihnachten –

Fr. Nun gleichviel.

Peter. Ja, da wollte Madam Müller mich auch hinunter schicken ins Dorf, zu der alten Lise nemlich, aber das schlug ich ihr rund ab; denn es hatte geglatteist, und die Kinder sehen so schmuzig aus.

Fr. Und was that denn Madam Müller?

Peter. Mein Sir! sie ging selber hin und hat die schmuzigen Kinder auf ihren weißen Armen herumgetragen. Puah!

Fr. Eine sonderbare Frau.

Peter. Ja sie ist manchmal gar zu wunderlich. Oft weint sie den ganzen Tag, ohne zu wissen warum. Ach! dann schmeckt mir kein Bissen, und ich muß mit weinen, ich mag wollen oder nicht.

Fr. (zu dem Unbekannten) Sind Sie nun beruhigt?

Unb. Schaffe mir den Schwätzer vom Halse.

Fr. Ich empfehle mich, Musje Peter.

Peter. Wollen Sie schon fort?

Fr. Madam Müller wird auf Antwort warten.

Peter. Ach der Geier! Sie haben Recht. (er zieht vor dem Unbekannten den Hut) Gott befohlen, Herr! (leise zu Franz) Der ist gewiß böse, daß er nichts von mir herauskriegt?

Fr. Es scheint beinahe.

Peter. Ja, der Peter ist keine Plaudertasche. (ab)

 

Fünfte Scene.

Der Unbekannte. Franz.

Fr. Nun Herr?

Unb. Ich will nichts mehr hören. Diese Madam Müller, wer ist sie? warum finde ich sie immer auf meinem Wege? wo ich hinkomme, da ist sie schon gewesen.

Fr. Sie sollten sich freuen.

Unb. Worüber?

Fr. Daß es der wohlthätigen Menschen noch mehrere in der Welt gibt.

Unb. O ja.

Fr. Sie sollten ihre Bekanntschaft suchen.

Unb. Warum nicht lieber gar mich in sie verlieben?

Fr. Auch das, wenn Sie Lust dazu haben. Ich sah sie einigemal im Garten, sie ist eine schöne junge Frau.

Unb. Schönheit ist Larve.

Fr. Bei ihr doch wohl ein Spiegel der Seele. Ihre Wohlthaten –

Unb. Ach, rede mir nicht von ihren Wohlthaten. Glänzen und schimmern wollen sie alle, eine Frau in der Stadt durch ihren Geist, eine Frau auf dem Lande durch ihr Herz.

Fr. Gleichviel, wie das Gute gestiftet wird.

Unb. Nicht gleichviel.

Fr. Wenigstens für den armen Alten.

Unb. Desto besser, so kann er meiner Hülfe entbehren.

Fr. Das fragt sich noch.

Unb. Wieso?

Fr. Seinen dringendsten Bedürfnissen hat Madam Müller abgeholfen; ob sie aber so viel ihm gab oder geben konnte, um sich auch die Stütze seines Alters zurück zu erkaufen –

Unb. Schweig! ich will ihm nichts geben. – Du interessirst dich ja recht warm für ihn. Willst du vielleicht mit ihm theilen?

Fr. Pfui! das kam nicht aus Ihrem Herzen.

Unb. (reicht ihm die Hand) Nein. Vergib mir.

Fr. (küßt sie) Armer Herr! wie muß Ihnen mitgespielt worden seyn, ehe es der Welt gelang, diesen fürchterlichen Menschenhaß, diese schauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit in Ihr Herz zu pflanzen!

Unb. Du hast's errathen. Laß mich zufrieden. (setzt sich auf eine Bank und liest)

Fr. (für sich) Immer meine ich, wenn es ihn so ergreift, nun werde er sich Luft machen; aber jedesmal bricht er ab und setzt sich in einen Winkel und liest. Für ihn hat die schöne Natur keinen Reiz und das Leben keine Freude. Nicht Einmal in drei Jahren hab' ich ihn lachen sehn. Was soll daraus werden? Gott schütz' ihn vor Selbstmord! Wenn er sich doch an irgend ein lebendes Wesen kettete, wäre es auch nur ein Hund oder ein Vogel. Oder wenn er Blumen zöge, oder Schmetterlinge sammelte; denn etwas muß der Mensch doch lieben.

Unb. (liest) »In der Einsamkeit blutet jede alte Wunde, da rostet kein Dolch.«

Fr. Ja, ja, der ehrliche Mann hat Recht, drum fort aus der Einsamkeit! Fort in einen Wirbel von Geschäften und Zerstreuungen! (der Unbekannte hört ihn nicht.)

 

Sechste Scene.

Die Vorigen. Der Greis (aus der Hütte.)

Greis. O wie wohl das thut, nach sieben langen Wochen – Gottes warme Sonne! – Fast hätt' ich in der Freude dem Schöpfer zu danken vergessen! (faltet die Mütze zwischen beiden Händen, blickt gen Himmel und betet.)

Unb. (läßt das Buch sinken und wird aufmerksam auf ihn.)

Fr. Dem Alten ist wohl wenig Freude in der Welt beschert, und doch dankt er Gott für das Wenige.

Unb. Er stellt sich fromm, um mich zu rühren.

Fr. (die Achseln zuckend.) O weh! o weh!

Greis. (hat still sein Gebet vollendet und nähert sich mit der Mütze in der Hand.) Guten Tag!

Fr. Den gebe dir Gott!

Greis. Er hat ihn mir gegeben.

Fr. Glück zu, Alter! Du bist dem Tode entronnen.

Greis. Eine wohlthätige Frau hat mir das Leben gefristet.

Fr. Freilich bist du schon ein alter Knabe.

Greis. Ueber siebenzig.

Fr. Fürwahr, du solltest über deine Genesung murren.

Greis. Murren?

Fr. Für den Unglücklichen ist der Tod kein Uebel.

Greis. Bin ich denn so unglücklich? Genieße ich nicht diesen schönen Morgen und bin gesund? – Glaubt mir, Herr, ein Genesener, der zum Erstenmale wieder in die freie Luft tritt, ist sehr glücklich.

Fr. Wie lange?

Greis. Freilich, man gewöhnt sich nur zu leicht daran. Doch weniger im Alter. Da wird man haushälterisch mit der Gesundheit. Man stürzt den Wein nicht mehr hinunter, man schlürft die letzten Tropfen. So ist's auch mit der Freude. Ich habe viel in der Welt gelitten und leide noch, aber ich würde darum doch nicht gerne sterben. Als mir vor vierzig Jahren mein Vater diese Hütte hinterließ, da war ich ein junger rascher Kerl, nahm ein gutes flinkes Weib, die schenkte mir fünf Kinder, und Gott segnete meine Wirthschaft. Das dauerte wohl 15 Jahre. Es kam die große Hungersnoth, mein Weib half mir ehrlich tragen. Aber bald darauf nahm Gott sie zu sich! mit ihr verschwand der Segen. Durch den Krieg mußt' ich verarmen. Die Knochen meiner Söhne liegen auf dem Schlachtfelde! nur Einer blieb mir übrig. Das war Schlag auf Schlag! ich konnte mich lange nicht erholen. Zeit und Gottesfurcht thaten endlich das ihrige. Ich gewann das Leben wieder lieb. Mein Sohn wuchs heran und half mir arbeiten. Nun hat auch der fort gemußt – das ist freilich hart! Arbeiten kann ich nicht mehr, ich bin alt und schwach. Wäre Madam Müller nicht gewesen, ich hätte verhungern müssen.

Fr. Und doch hat das Leben noch Reiz für dich?

Greis. Warum nicht? so lange mein Herz noch an irgend etwas hängt. Hab' ich denn nicht einen Sohn?

Fr. Wer weiß, ob deine Augen ihn je wiedersehen.

Greis. Er lebt aber doch.

Fr. Wer weiß!

Greis. Nun so lebt er in meinen Gedanken, und das erhält mir mein eignes Leben. Ja, Herr, selbst wenn mein Sohn todt wäre, so würde ich darum doch nicht gerne sterben. Denn hier ist noch eine Hütte, in der ich geboren und erzogen bin; hier ist noch eine alte Linde, die mit mir aufwuchs, und – fast schäme ich mich, es zu bekennen – ich habe auch noch einen alten treuen Hund, den ich liebe.

Fr. Einen Hund?

Greis. Ja, einen Hund. Lach' er, wie er will. Madam Müller, die wackere Frau, war selbst einmal in meiner Hütte. Der alte Fidel knurrte, als sie kam. »Warum schafft er den garstigen großen Hund nicht ab?« fragte sie mich, »er hat ja kaum Brod für sich.« – Lieber Gott! gab ich zur Antwort, wenn ich ihn abschaffe, wer wird mich dann lieben?

Fr. (zu dem Unbekannten) Nehmen Sie mir's nicht übel, gnädiger Herr, ich wollte Sie hätten zugehört.

Unb. Das hab' ich.

Fr. Nun so wollt' ich, Sie nähmen ein Beispiel an diesem Alten.

Unb. (nach einer Pause, gibt ihm das Buch) Da, leg' es auf meinen Schreibtisch. (Franz ab)

Unb. Wie viel gab dir Madam Müller?

Greis. Ach! die gute, englische Seele hat mir so viel gegeben, daß ich dem kommenden Winter ruhig entgegen sehen darf.

Unb. Nicht mehr?

Greis. Wozu denn mehr? – Freilich. um meinen Hans los zu kaufen, könnt' ichs wohl brauchen – aber – sie ist ja selbst nicht reich.

Unb. (drückt ihm einen Beutel in die Hand) Da! kaufe deinen Hans los. (er entfernt sich schnell)

Greis. Was war das! (er öffnet den Beutel und findet ihn voller Goldstücke) Ach Gott! (er zieht die Mütze ab, kniet nieder und betet.)

 

Siebente Scene.

Franz. Der Greis.

Greis. (ihm entgegen ) Nun, sieht er wohl, Herr? Vertrauen auf Gott läßt nicht zu Schanden werden. Hier ist Gottes reicher Segen.

Fr. Glück zu! wer gab dies?

Greis. Sein braver Herr, dem Gott lohne.

Fr. Amen. – Darum also mußt' ich das Buch hinein tragen? Er wollte keinen Zeugen seiner Wohlthätigkeit.

Greis. Auch meinen Dank wollte er nicht einmal. Fort war er, ehe ich reden konnte.

Fr. Das sieht ihm ähnlich.

Greis. Nun, Herr, nun will ich gehn, so schnell die alten Füße mich tragen wollen. Ach! ein fröhlicher Gang! ich gehe, meinen Hans loszukaufen. – Wie wird der gute Junge sich freun! Er hat auch ein Mädchen unten im Dorfe, eine brave Dirne – welche Freude! welche Freude! – Gott! wie gütig bist du! Jahre lange Leiden vermögen die Erinnerung an ehemalige Freuden nicht auszulöschen, aber ein einziger froher Augenblick tilgt Jahre lange Leiden aus unserm Gedächtniß! – Beschreib' er seinem Herrn meine Freude, die wird ihm lieber seyn, als mein Dank. – O warum kann ich nicht laufen! warum nicht fliegen! – (er steht plötzlich still) Halt! das war unrecht. Der alte Fidel muß auch mit mir gehen. Er hat mit mir gehungert und gewinselt, er soll sich auch mit mir freuen. Er und mein Sohn sind alte gute Freunde. (in die Hütte gehend) Fidel! Fidel!

Fr. (abgehend) Die Reichen sind doch zu beneiden.

 

Achte Scene.

(Zimmer im Schloß.)

Eulalia. (tritt auf mit einem Briefe in der Hand.)

Das ist mir nicht lieb. – Ich hatte mich so gewöhnt an die stille Einsamkeit. – Freilich wohnt die Ruhe nicht immer in der Brust des Einsamen; denn ach! dir folgt dein Gewissen in Klöster und Wüsteneien! Aber ich konnte doch weinen, wenn die Reue mich nagte, und Niemand sah mein rothgeweintes Auge, und Niemand fragte: warum haben Sie geweint? ich konnte in Wald und Feld herum irren, und Niemand wußte, daß mein Gewissen mich jagt! – Nun werden sie mich in ihre Gesellschaften ziehen, da werd' ich reden und lachen sollen, an schönen Tagen mit ihnen spazieren gehn, bei Regenwetter wohl gar Karten spielen. – Und auch der Major – ich muß ihn scheuen. – Ach! ich wollte sie wären in der Stadt geblieben, auf ihren Bällen und Clubbs, auf ihren Assembleen und Promenaden, und hätten sich da begafft und verleumdet, betrogen und verführt; – (in den Brief sehend) und heute schon? – das ist mir gar nicht lieb! – und ich kann nicht recht klug aus dem Briefe werden, ob die Reise aufs Land nur so eine Grille war? Laune eines Augenblicks, oder Plan auf längere Dauer? – Fast befürchte ich das Letztere! und dann – gute Nacht Einsamkeit! die du so oft mit deinem magischen Stabe das gefolterte Herz milde berührtest! Gute Nacht Lectüre! schales Plaudern wird dich verdrängen. Hier, wo die Morgensonne sich nur in meinen Thränen spiegelte, hier wird Jagdgetös und Hundegeheul sie begrüßen. – Ach! Alles wollt' ich gern ertragen, doch wenn die edle Gräfin mir Beweise ihrer Zuneigung, wohl gar ihrer Hochachtung gibt, und jeden Augenblick mein Bewußtsein mir sagt, daß ich es nicht verdiene – oder – ich bebe vor dem Gedanken! – Wenn dieses Schloß nun ein Tummelplatz von Gesellschaften würde, unter welche das Ungefähr wohl gar einige meiner ehemaligen Bekannten mischte – ach! wie elend ist man, wenn auch nur zwei Augen in der Welt sind, deren Blick man scheuen muß! –

 

Neunte Scene.

Peter. Eulalia.

Peter. Nun, da bin ich.

Eul. Schon zurück.

Peter Gelt' ich bin flink? und habe unterwegs noch den schönen Schmetterling gehascht, und Erdbeeren gesucht, und ein Viertelstündchen verplaudert.

Eul. Plaudern mögen Sie, nur nicht ausplaudern.

Peter. Bewahre der Himmel! der alte Tobies meinte zwar, er wüßte schon, daß das Geld von Ihnen käme –

Eul. Und Sie antworteten?

Peter. Ei, das wüßte ich auch, aber ich würde es ihm doch nicht sagen.

Eul. Allerliebst.

Peter. Heute geht er zum Erstenmale wieder aus.

Eul. Gott sey Dank! (für sich) Kindische Freude, weil es mir gelungen, von der schweren Schuld einen Groschen abzutragen.

Peter. Er will selbst heraufkriechen, und Ihre Knie umfassen.

Eul. Ums Himmelswillen nicht! lieber Musje Peter! thun Sie mir den Gefallen, geben Sie Achtung, wenn der alte Tobies kommt, lassen Sie ihn nicht herauf, sagen Sie ihm, ich hätte keine Zeit, ich wäre krank, ich schlief, oder was Sie sonst wollen.

Peter. Schon gut. Und wenn er nicht geht, so will ich die Hofhunde auf ihn hetzen.

Eul. Ei bewahre Gott! Sie müssen dem alten Manne ja kein Leid zufügen, hören Sie?

Peter. Alles wie Sie befehlen. Sonst ist der Sultan ein tüchtiger Hund.

 

Zehnte Scene.

Bittermann. Die Vorigen.

Bitterm. Guten Morgen, guten Morgen, meine liebe, scharmante Madam Müller. Wohl geschlafen? thut mich freuen. Hochdieselben haben mich rufen lassen? vermuthlich etwas Neues aus der Residenz? – Ja, ja, es gehen wichtige Dinge vor. Ich habe auch Briefe.

Eul. (lächelnd) Freilich, lieber Herr Bittermann, Sie correspondiren ja mit der ganzen Welt.

Bitterm. Sichere Correspondenten, wenigstens in den Hauptstädten von Europa.

Eul. Und doch zweifle ich, ob Sie wissen, was heute hier im Hause vorgehn wird.

Bitterm. Hier im Hause? nichts von Bedeutung. Wir wollten heute ein paar Scheffel Gerste aussäen, aber die Witterung ist mir zu trocken. Ich hatte gestern Briefe aus Siebenbürgen, auch da mangelt der liebe Regen. Die allgemeine Klage! Doch ein Plaisirchen können Sie sich heute machen, wir haben Schafschur.

Peter. Und die große blaue Gans bringt heute ihre Eier aus.

Bitterm. Schweig, Tölpel!

Eul. Unser Graf wird heute hier seyn.

Bitterm. Wie? was?

Peter. O Jemine!

Eul. Nebst seiner Gemahlin und seinem Schwager, dem Major von der Horst.

Bitterm. Spaß apart?

Eul. Sie wissen, lieber Herr Bittermann, ich bin eben nicht sehr spaßhaft.

Bitterm. Ei du mein Gott! Se. hochgeborne Excellenz, der Herr Graf in eigner hoher Person – Peter! – Und die gnädige Frau Gräfin – und Se. hochwohlgeborne Gnaden, der Herr Major – und hier ist nichts in der gehörigen Ordnung! – Peter!

Peter. Nun, da bin ich ja!

Bitterm. Rufe geschwind die Leute zusammen – schicke nach dem Förster, er soll ein Reh in die herrschaftliche Küche liefern – und Lise soll die Zimmer fegen, den Staub von den Spiegeln wischen, damit die gnädige Frau Gräfin sich darin besehen kann – und der Koch soll ein paar Kapaunen schlachten und Hans soll einen Hecht aus dem Teiche holen – und Friedrich soll meine Sonntagsperücke frisiren. (Peter ab)

Eul. Vor allen Dingen lassen Sie die Betten lüften, und die Sofas ausklopfen. Sie wissen, der Herr Graf hat es gern bequem.

Bitterm. Freilich, freilich, meine liebe scharmante Madam Müller, das muß sogleich geschehn. – Alle Wetter! da hab' ich im grauen Zimmer Kartoffeln aufgeschüttet! die können nicht so eilig transportirt werden.

Eul. Ist ja auch nicht nöthig.

Bitterm. Lieber Gott, wo soll denn der Herr Major logiren?

Eul. Geben Sie ihm das kleine rothe Zimmer an der Treppe. Es ist ein niedliches Zimmer und hat eine herrliche Aussicht.

Bitterm. Recht gut, liebe Herzens-Madam Müller, aber da hat sonst immer der Haus-Secretair des Herrn Grafen gewohnt. Zwar den braucht Se. Excellenz eben nicht nothwendig, er hat jährlich kaum ein paar Briefe zu schreiben. Man könnte ihm – halt! da kommt mir ein prächtiger Einfall! Sie kennen das kleine Häuschen am Ende des Parks? Da wollen wir den Herrn Secretär hinstopfen.

Eul. Sie vergessen, lieber Herr Bittermann, da wohnt der Fremde.

Bitterm. Ach, was geht uns der Fremde an! wer hat ihn heißen hineinziehen? er muß heraus.

Eul. Das wäre unbillig. Sie selbst haben die Wohnung ihm eingeräumt, und ich denke, er bezahlt sie Ihnen gut.

Bitterm. Er bezahlt wohl – und so ein Accidenz für einen armen Verwalter ist freilich nicht zu verachten, aber –

Eul. Nun? aber?

Bitterm. Aber man weiß doch nicht, wer er ist! Kein Teufel kann aus ihm klug werden. Ich habe den Henker von seinem Gelde, wenn er mich für jeden Groschen quälen will.

Eul. Er quält Sie? wodurch?

Bitterm. Zerbrech' ich mir nicht schon seit vier Monaten vergebens den Kopf, um hinter das Geheimniß zu kommen? Zwar hatte ich vor kurzem Briefe aus Spanien: es soll in hiesiger Gegend ein Spion sich herumtreiben –

Eul. (lächelnd) Um Ihnen die Schafzucht abzulauern, nicht wahr? Nein, lieber Herr Bittermann, lassen Sie den fremden, geheimnißvollen Mann zufrieden. Er ist mir zwar noch nie in den Wurf gekommen, und ich bin auch eben nicht neugierig, ihn zu sehen; aber Alles, was ich von ihm höre, bezeichnet ihn als einen Menschen, den man überall wohl dulden mag. Er lebt still und friedlich.

Bitterm. Das thut er.

Eul. Er spendet Wohlthaten im Verborgenen.

Bitterm. Ja, das thut er.

Eul. Er beleidigt kein Kind.

Bitterm. Nein, das thut er nicht.

Eul. Er fällt Niemanden zur Last.

Bitterm. Nein, das auch nicht.

Eul. Nun, was wollen Sie mehr?

Bitterm. Zum Henker! ich will wissen, wer er ist! – Und wenn er einem doch nur Rede stünde, daß man bei Gelegenheit ihn fein ausholen könnte! Aber wenn er mir auch einmal im dunkeln Lindengange, oder unten am Bache aufstößt – das sind so seine beiden Lieblings-Spaziergänge – so heißt es: guten Tag! und damit holla! – Ein paar Mal hatt' ich angefangen: es ist heute schönes Wetter – »ja« – die Bäume fangen schon an auszuschlagen – »ja« – der Herr machen sich, wie ich sehe, eine kleine Bewegung? – »ja« – Nun so ja'e du und der Teufel! Und – wie der Herr, so der Diener, gerade so ein Stacks! ich weiß nichts von ihm, als daß er Franz heißt.

Eul. Sie ereifern sich, lieber Herr Bittermann, und vergessen darüber die Ankunft unsers Grafen.

Bitterm. Ach der Teufel! Gott verzeih mir die Sünde! Da sehn Sie, was für Unglück daraus entsteht, wenn man die Leute nicht kennt.

Eul. (nach der Uhr sehend) Schon 9 Uhr. Wenn der Herr Graf sich ein Stündchen von seinem Schlafe abgebrochen hat, so kann er bald hier seyn. Ich gehe, das Meinige zu thun, thun Sie das Ihrige. (ab)

 

Eilfte Scene.

Bittermann allein.

Ja, ja, ich will das Meinige schon thun. Die ist mir auch so Eine, man weiß ja auch nicht, wer sie ist. Madam Müller? ja lieber Gott! Madam Müller! es gibt der Madam Müllers viele in der Welt. Das weiß ich wohl, daß die gnädige Frau Gräfin mir vor drei Jahren die Madam Müller so unvermuthet ins Haus gesetzt hat, wie ein Guckgucksei ins fremde Nest, aber woher? warum? weswegen? ja, da hapert's. – »Sie soll die innere Wirthschaft führen,« sagte die Frau Gräfin. Ja du lieber Gott! hab' ich denn nicht 10 Jahre der innern und äußern Wirthschaft mit Ruhm vorgestanden? – Freilich, ich werde alt, und das muß ich ihr nachsagen, sie gibt sich viele Mühe; aber hat sie nicht Alles von mir gelernt? – Als sie herkam, Gott verzeih mir's! sie wußte ja nicht einmal, daß der Flachs geröstet werden muß. (ab)

 


 


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