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(Die Bühne wie zu Anfange des ersten Akts.)
Der Unbekannte (sitzt auf der Rasenbank und liest.) Franz (kommt.)
Fr. Gnädiger Herr, das Essen ist fertig.
Unb. Für dich, wenn du willst.
Fr. Sie sind nicht hungrig?
Unb. Nein.
Fr. Ich werde das Hühngen verwahren. Vielleicht auf den Abend.
Unb. Vielleicht.
Fr. (nach einer Pause) Darf ich reden?
Unb. Rede.
Fr. Sie haben eine schöne That vollbracht.
Unb. Welche?
Fr. Sie haben einem Menschen das Leben gerettet.
Unb. Schweig.
Fr. Wissen Sie auch wem?
Unb. Nein.
Fr. Dem Grafen von Wintersee.
Unb. Gleichviel.
Fr. Freilich. Sie würden es auch mir gerettet haben.
Unb. Gewiß.
Fr. Das eben rührt mich bis zu Thränen. Ein so edler, ein so braver Herr
Unb. Willst du mir schmeicheln? Pack dich fort!
Fr. Bei meiner armen Seele, es geht mir vom Herzen. Wenn ich so im Stillen betrachte, wie Sie um sich her Gutes wirken, wie Sie die Noth eines Jeden zu Ihrer eignen machen, und doch selbst nicht glücklich sind ach! da blutet mir das Herz!
Unb. (weich) Ich danke dir.
Fr. Lieber Herr, nehmen Sie mir's nicht übel: sollte vielleicht nur dickes Blut Sie so schwermüthig machen? Ich hörte einmal von einem berühmten Arzte: der Menschenhaß habe seinen Sitz im Blute, oder in den Eingeweiden.
Unb. Das ist nicht mein Fall, guter Franz.
Fr. Also wirklich unglücklich und doch so gut! das ist ein Jammer!
Unb. Ich leide unverschuldet.
Fr. Armer Herr!
Unb. Hast du vergessen, was der Greis diesen Morgen sagte? »Es gibt ein anderes, besseres Leben!« laß uns hoffen und muthig tragen.
Fr. Amen!
Lotte. Die Vorigen.
Lotte. Mit Permission. Sie sind doch der fremde Herr, der meinen gnädigen Grafen aus dem Wasser gezogen?
Unb. (antwortet nicht.)
Fr. Er ist's.
Lotte. Meine gnädige Herrschaft, der Herr Graf von Wintersee und die Frau Gräfin, lassen sich Ihnen schönstens empfehlen und allgelegentlich bitten, diesen Abend auf dem Schlosse mit einem Gerichte Gerngesehn vorlieb zu nehmen.
Unb. Ich esse nicht.
Lotte. Nun so kommen Sie wenigstens.
Unb. Ich komme nicht.
Lotte. So trocken werden Sie mich doch nicht abfertigen? Kein Wort weiter? Der Herr Graf ist durchdrungen vom Gefühl der Dankbarkeit, Sie haben ihm das Leben gerettet
Unb. Ist gern geschehn.
Lotte. Und wollten nicht einmal ein kahles Gott vergelt's dafür in Empfang nehmen?
Unb. Nein.
Lotte. Wirklich, mein Herr, Sie sind grausam. Ich muß Ihnen sagen, daß uns'rer drei Frauenzimmer im Schlosse sind, und daß wir alle drei vor Begierde brennen, zu wissen, wer Sie sind.
Unb. (steht auf und geht ab.)
Lotte. Grobian! Mein Freund, werd' ich von ihm erfahren, wer sein Herr ist?
Fr. Schwerlich.
Lotte. Warum nicht?
Fr. Weil ich es selbst nicht weiß.
Lotte. Ein Abenteurer?
Fr. Vielleicht.
Lotte. Etwa ein Duell
Fr. Kann seyn.
Lotte. Oder ein Emigrant?
Fr. Wohl möglich.
Lotte. Was soll ich denn meiner Herrschaft sagen?
Fr. Was Ihnen beliebt.
Lotte. Das hat man von dem verwünschten Landleben! Kein savoir vivre ,kein Mensch comme il faut. (ab)
Fr. (allein) Ja, ja, mein schönes Mamsellchen, zum artigen Gesellschafter ist mein Herr verdorben.
Der Unbekannte. Franz.
Unb. Ist sie fort?
Fr. Ja.
Unb. Franz.
Fr. Gnädiger Herr!
Unb. Wir müssen auch fort.
Fr. Wohin?
Unb. Das weiß Gott.
Fr. Wohlan, ich folge Ihnen.
Unb. Wohin ich gehe?
Fr. Und wär's in den Tod.
Unb. Wollte der Himmel, nur im Grabe ist Ruhe!
Fr. Warum nicht auch hier?
Unb. Ich will mich nicht begaffen lassen, wie ein fremdes Thier.
Fr. Wie Sie das nun wieder deuten nach Ihrer Weise! Daß ein Mensch den Retter seines Lebens zum Essen bittet, ist doch wohl sehr natürlich.
Unb. Man soll mich aber nicht zum Essen bitten.
Fr. Seyn Sie ruhig, man wird es schwerlich zum zweiten Male versuchen.
Unb. Die Schranzen! sie bilden sich ein, der wichtigste Dienst sey vergolten, wenn man einmal das Glück haben darf, mit ihnen zu speisen.
Fr. Geben Sie Acht, gnädiger Herr, die werden hier nicht lange weilen. Im Sommer ziehen die vornehmen Leute aufs Land, weil es so Mode ist, und danken Gott, wenn der Herbst kommt, daß sie mit Ehren wieder nach der Stadt fahren können.
Unb. Schimmern dort nicht schon wieder Uniformen und Kopfzeuge die Allee herauf? Nein, ich muß fort! hier ist meines Bleibens nicht länger.
Fr. Wohl, ich schnüre mein Bündel.
Unb. Je eher, je lieber. Da muß ich an diesem heitern Tage mich in mein Zimmer sperren, um fremden Gesichtern aus dem Wege zu gehn! Franz, ich verriegle meine Thür.
Fr. Und ich halte Schildwacht von außen.
(der Unbekannte ab.)
Fr. (allein) Wenn die Herrschaften eben so neugierig sind, als das Kammermädchen, so werd' ich ein Verhör aushalten müssen.
Franz. Die Gräfin am Arme des Majors.
Gräfin. Sieh da, ein Unbekannter vermuthlich der Bediente.
Major. Mein Freund, dient er bei dem Fremden, der hier wohnt?
Fr. Ja, gnädiger Herr.
Major. Kann man seinen Herrn sprechen?
Fr. Nein, gnädiger Herr.
Major. Nur auf wenige Minuten.
Fr. Er hat sich eingeschlossen.
Gräfin. Sag' er ihm, daß eine Dame hier auf ihn warte.
Fr. Dann macht er gar nicht auf,
Gräfin. Haßt er mein Geschlecht?
Fr. Er haßt die Menschen überhaupt und, wie es mir geschienen, die Weiber insbesondere.
Gräfin. Warum?
Fr. Er mag wohl oft betrogen worden sein.
Gräfin. Das ist nicht artig.
Fr. Nein, artig ist mein Herr nicht, aber wenn es darauf ankommt, einem Menschen das Leben zu retten
Major. So thut er es mit Gefahr seines eigenen. Das ist freilich mehr werth, als die sogenannte Artigkeit. Auch uns führt sie nicht hieher. Die Gattin und der Schwager des Geretteten wünschen seinem Herrn ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen.
Fr. Er liebt das nicht.
Major. Ein Sonderling.
Fr. Der blos Ruhe wünscht.
Gräfin. Er scheint sich mit dem Schicksal überworfen zu haben?
Fr. So scheint es.
Gräfin. Vielleicht eine Ehrensache?
Fr. Vielleicht.
Gräfin. Oder eine unglückliche Liebe?
Fr. Kann seyn.
Gräfin. Oder Schwärmerei?
Fr. Wohl möglich.
Gräfin. Dem sey, wie ihm wolle, ich wünschte zu wissen, wer er ist?
Fr. Ich auch.
Gräfin. Wie! er kennt ihn nicht?
Fr. O ihn kenn' ich wohl, er ist der bravste Herr auf Gottes Erdboden; aber wenn es nur seinen Namen gilt, so kenn ich ihn freilich nicht.
Gräfin. Dient er ihm schon lange?
Fr. Drei Jahre.
Gräfin. Und in der langen Zeit konnte er nicht erfahren?
Fr. Vergeben Ew. Gnaden, ein ehrlicher Diener soll weder lauern noch plaudern. (verbeugt sich und geht.)
Die Gräfin. Der Major.
Gräfin. Am Ende ist's wohl nur die Sucht sich auszuzeichnen. Der Eine umsegelt die Welt, der Andere kriecht in eine Tonne. Komm Bruder, wir wollen meinen Mann aufsuchen. Er ging mit Madam Müller dort über die Wiese.
Major. Bleib. Ich habe mit dir viel zu reden.
Gräfin. Kann das nicht geschehen, indem wir lustwandeln?
Major. Man könnte uns begegnen.
Gräfin. Ist's denn ein Geheimniß?
Major. Allerdings.
Gräfin. Nun so rede.
Major. Schwester, ich liebe.
Gräfin. Mich ohne Zweifel?
Major. Keinen Scherz. Ich liebe Madam Müller unaussprechlich!
Gräfin. Ei, das große Geheimniß! wußt' ich das nicht schon vor 3Jahren?
Major. Allerdings. Ich liebte sie schon damals, und mehr als du glaubtest. Ihr meintet wohl, mich habe die Lust zu reisen aus meinem Vaterlande getrieben? Schwester ich schämte mich, es zu bekennen; ich mußte fliehen, um keinen dummen Streich zu machen, wie ich es damals nannte.
Gräfin. So?
Major. Drei Jahre bin ich herumgeschweift, habe im Geräusche der Waffen, im Glanz der Höfe die verlorne Ruhe gesucht
Gräfin. Und nicht gefunden?
Major. Bisweilen hab' ich mir's eingebildet. Mit einer Art von Trotz kehrt' ich zurück aber ach! ich sah sie wieder
Gräfin. Und geschmolzen ist das erkünstelte Eis? Ha! ha! ha!
Major. Ich bitte dich, Schwester, sey ernsthaft. Es gilt mein Glück, mein Leben!
Gräfin. Um aller Grazien willen! du siehst ja aus, als wolltest du Geister citiren.
Major. Wer ist sie? was weißt du von ihr?
Gräfin. Viel und wenig. Was ich weiß, soll dir unverhohlen bleiben. Vor länger als 3Jahren meldete man mir eines Abends in der Dämmerung ein fremdes Frauenzimmer, welches mich allein zu sprechen begehre. Madam Müller erschien, mit alle dem Anstande, alle der Bescheidenheit, welche auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Züge damals noch das sichtbare Gepräge der Angst und der Verwirrung, die jetzt in sanfte Melancholie verschmolzen sind. Sie warf sich zu meinen Füßen und bat mich, eine Unglückliche zu retten, die der Verzweiflung nahe sey. Man hatte, wie sie sagte, ihr viel Gutes von mir erzählt, und sie erbot sich, mir als Kammerfrau zu dienen. Ich forschte vergebens nach der Ursache ihrer Leiden; sie verschleierte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem Tage immer mehr und mehr ein treffliches Herz, einen gebildeten Geist. Ich ließ ab, in ihr Vertrauen mich eindrängen zu wollen; aber ich überhob sie der niedrigen Dienste, sie wurde meine Freundin. Als sie eines Tages auf einer Spazierfahrt hieher mich begleitete, und ich in ihren Augen das stille Entzücken las, mit welchem ihre Seele an den Schönheiten der Natur hing, that ich ihr den Vorschlag, hier zu bleiben und sich der häuslichen Wirthschaft anzunehmen. Sie ergriff meine Hand und drückte sie dankbar an ihre Lippen mit ungewöhnlichem Feuer. Seitdem ist sie hier und wirkt unzähliges Gute im Verborgenen, und wird angebetet von Allen, die ihr nahen. (mit einem Knix) Ich bin fertig, Herr Bruder.
Major. Und ich weiß genug. Sey sie, wer sie wolle Schwester, steh' mir bei ich heirathe sie.
Gräfin. Du?
Major. Ich.
Gräfin. Baron von der Horst?
Major. Pfui, wenn ich dich recht verstehe.
Gräfin. Gemach! gemach! die erhabenen Grundsätze von Gleichheit aller Stände passen herrlich in einen Roman; allein wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der Herr Baron will seine Gemahlin nach Hofe führen, das geht nicht an. Er will seine Söhne, seine Töchter in adligen Stiftern versorgen, das geht nicht an.
Major. Alles, was du sagen kannst, hab' ich mir drei Jahre lang vergebens vorgepredigt. Mein Loos ist geworfen. Ich bin kein brausender Jüngling mehr. Du hast einen Mann vor dir, der
Gräfin. Der eine Frau nehmen will.
Major. Dem ein stilles, häusliches Glück mehr gilt, als jener Flitterglanz der großen Welt. Ich ziehe auf meine Güter, ich bin mir selbst genug. Eine Frau wie diese einst Vater von Kindern, die ihr gleichen eine Hand voll Unterthanen, die ich zu beglücken den Willen und das Vermögen habe ein paar geprüfte Freunde eine zärtliche, muthwillige Schwester oder wie? wäre diese Schwägerin der Frau Gräfin etwa nicht anständig?
Gräfin. Du wirst unartig.
Major. Nun? was hindert denn noch?
Gräfin. Das ist Alles schön und rührend, der Plan vortrefflich, aber einen kleinen Umstand hast du vergessen.
Major. Der wäre?
Gräfin. Ob Madam Müller dich haben will.
Major. Das ist es eben, liebe Schwester, wozu ich deines Beistandes bedarf. Gute Henriette! wirst du meine Fürsprecherin werden? du, mit der ich an Einer Brust gelegen
Gräfin. Um Vergebung, ich hatte eine Amme.
Major. Grausamer Muthwille!
Gräfin. Wunderlicher Mensch! wozu denn hier Empfindelei? du kennst mich. Hier hast du meine Hand, ich thue, was ich vermag. St! beinahe wären wir überrascht worden. Sie kommen. Weg mit der Ehestands-Falte! warte dein Spiel ruhig ab, ich will die Karten mischen.
Eulalia am Arme des Grafen. Die Vorigen.
Graf. Potz Stern, Madam! Sie sind gut zu Fuße. Mit Ihnen mag ein anderer um die Wette laufen.
Eul. Gewohnheit, Herr Graf. Sie dürfen nur vier Wochen hintereinander täglich einen solchen Spaziergang machen.
Graf. O ja, wenn ich Lust habe, meinen Windhunden ähnlich zu werden.
Gräfin. Wo war't Ihr? wir suchten Euch.
Graf. Wo wir waren? ja, sieh' nur mein Schatz, wenn man mit Madam Müller geht, so weiß man so eigentlich nicht, wo man ist.
Eul. Ich führte den Herrn Grafen auf jenen Hügel, von dessen Spitze man das ganze Thal und den Fluß, der sich im Thale schlängelt, übersehen kann.
Graf. Ja, ja, die Aussicht ist schön, und wenn Madam Müller dabei ein wenig schwärmt, so ist das noch schöner. Aber nehmen Sie mir's nicht übel, mich kriegen Sie doch nicht wieder hinauf. Ich bin so müde, als ob ich einen forcirten Marsch gemacht hätte.
Major. So lassen Sie uns nach Hause gehn. Ein wohlgepolstertes Sofa ladet Sie ein.
Graf. Und eine Flasche Selterwasser mit Mosler Wein. Erquickender Gedanke!
Gräfin. Geht! wir Weiber laufen indessen noch ein wenig herum. (sie gibt ihrem Bruder einen Wink.)
Graf. Aber folgt uns bald, sonst rauchen wir Tobak aus langer Weile. Apropos! wie ist's mit dem Fremden? wird er kommen?
Gräfin. Nein. Er hat es der Lotte rund abgeschlagen.
Graf. Ein wunderlicher Heiliger. Aber das geht doch nicht an, ich muß ihm doch meine Dankbarkeit auf irgend eine Art beweisen.
Major. Wenn Sie meinen, so will ich nachher selbst zu ihm gehn.
Graf. (im Abgehn) Thun Sie das, Herr Bruder. Reden Sie ihm zu. Ich muß dem Manne doch einen Bissen Brot vorsetzen.
Die Gräfin. Eulalia.
Gräfin. Gut, daß die Männer gingen. Ich habe Ihnen ein Geheimniß zu vertrauen.
Eul. Mir?
Gräfin. Wie gefällt Ihnen mein Bruder?
Eul. Ich hielt ihn stets für einen wackern Mann.
Gräfin. Ist er nicht auch ein schöner Mann?
Eul. (gleichgültig) O ja.
Gräfin. O ja? das klang beinahe wie: o nein! Aber ich muß Ihnen sagen, daß er Sie für eine schöne Frau hält. (Eulalia lächelt) Sie sagen nichts dazu?
Eul. Was soll ich sagen? Spott kann nicht aus Ihrem Munde kommen; also Scherz und ich bin so wenig dazu gemacht, einen Scherz zu unterhalten
Gräfin. Eben so wenig, als ihn zu veranlassen. Nein, es war Ernst. Nun?
Eul. Sie setzen mich in Verlegenheit. Nun ja, ich will mich nicht zieren. Es gab eine Zeit, wo ich gern in meinen Spiegel sah. Das ist vorbei. Der Kummer hat an meiner Gestalt genagt. Nur Herzensruhe gießt den Zauber über ein weibliches Gesicht. Der Blick, der brave Männer fesselt, ist nur der Abglanz einer schönen Seele.
Gräfin. Nun, Gott gebe mir immer ein so reines Herz,. als aus Ihren Augen leuchtet.
Eul. (wild und rasch) Ach! Gott behüte Sie davor!
Gräfin. (erstaunt) Wie!?
Eul. (mit verhaltenen Thränen) Verschonen Sie mich ich bin eine Unglückliche dreijährige Leiden geben mir zwar keinen Anspruch auf die Freundschaft einer edlen Seele aber auf Mitleid verschonen Sie mich! (sie will gehn.)
Gräfin. Bleiben Sie, liebe Madam Müller! wirklich, Sie müssen bleiben. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist vielleicht des Anhörens werth, Ihre Selbst-Anklage schreckt mich nicht ab. Mich dünkt, Sie sehen, wie der gute Paskal, neben Ihrem Stuhle eine Hölle; aber die Teufelchen existiren nur in Ihrer Einbildung.
Eul. Wollte Gott, ich sähe die Hölle nur neben meinem Sessel! ach! ich trage sie rastlos im Herzen mit mir herum!
Gräfin. Freundschaft hat Balsam für manche Wunde. Ich bitte zum ersten Male um Ihr Vertrauen. Nie Sie wissen es bin ich durch unbefugte Neubegier Ihnen lästig geworden; aber heute treibt mich ein edleres Interesse. Ich bitte mit Schwesterliebe um Ihr Vertrauen. Mein Bruder liebt Sie.
Eul. (fährt zusammen und sieht der Gräfin starr ins Gesicht.) Für Scherz zu viel für Ernst zu traurig!
Gräfin. Schon vor drei Jahren wurzelte diese Leidenschaft in seinem Herzen. Was kalte Vernunft dagegen sprach, er war nicht taub dafür. Er schwieg er ging auf Reisen Allein, vergebens hat er sein Herz bekämpft Ihr Bild begleitete ihn überall er fühlt, daß nur in Ihrem Besitz er Glück und Ruhe wieder finden kann. Hier haben Sie mein Creditiv. Entscheiden Sie, ob ich berechtigt bin, um Ihr Vertrauen zu bitten. Entdecken Sie sich mir! Sie wagen nichts. Schütten Sie Ihren Kummer in den verschwiegenen Busen einer Schwester aus!
Eul. Ach! ich fühle es: das höchste Opfer, welches wahre Reue zu bringen vermag, ist freiwilliger Verzicht auf die Hochachtung einer schönen Seele. Ich will dieses Opfer bringen und hab' ich dann genug gebüßt! (stockend) Hörten Sie nie verzeihen Sie mir hörten Sie nie o es ist sehr schwer, eine Täuschung zu zerstören, welcher allein ich bis jetzt Ihre Güte verdanke aber es muß seyn pfui, Eulalia! ziemt Stolz dir? Hörten Sie nie von einer gewissen Baronesse Meinau?
Gräfin. Am benachbarten Hofe? Mich dünkt, ich hörte von einer solchen Creatur. Sie soll einen braven Mann höchst elend gemacht haben.
Eul. O Gott! ja! einen sehr braven Mann!
Gräfin. Sie brach die Treue und entwich aus seinem Hause.
Eul. Ja, das that sie! (außer sich, zu den Füßen der Gräfin stürzend) Verstoßen Sie mich nicht!
Gräfin. Um Gotteswillen! sie sind
Eul. Ich bin diese Creatur!
Gräfin. (sich unwillig wegwendend) Ha! (sie geht einige Schritte, ihr Herz zieht sie zurück.) Aber sie ist unglücklich sie büßt streng weg mit dem Kopfe, der immer bereit ist, ein Verdammungs-Urtheil zu sprechen. (Sie blickt wehmüthig nach ihr ) Ach! sie ist so unglücklich! stehn Sie auf! ich bitte, stehn Sie auf. Man könnte uns beobachten. Ich gelobe Ihnen Verschwiegenheit. (Sie hebt sie auf.)
Eul. Ach mein Gewissen! es wird nie schweigen! (mit beiden Händen die Hand der Gräfin ergreifend.) Verstoßen Sie mich nicht!
Gräfin. Nein, ich verstoße Sie nicht. Ihr Betragen in den letzten drei Jahren Ihr stiller Kummer Ihre Reue tilgen freilich nicht Ihre Schuld aber eine Freistatt wird mein Herz Ihnen nie versagen, eine Freistatt, wo Sie ungestört um den Verlust Ihres Gemahls weinen dürfen ach! ich fürchte, ein unersetzlicher Verlust!
Eul. (mit der Kälte der Verzweiflung) Unersetzlich!
Gräfin. Armes Weib!
Eul. Gott weiß, ob er lebt, oder todt ist!
Gräfin. Genug!
Eul. Für mich ist er todt!
Gräfin. Fassen Sie sich!
Eul. Ich hatte auch Kinder
Gräfin. Nichts mehr!
Eul. Gott weiß, ob sie leben, oder todt sind!
Gräfin. Arme Mutter!
Eul. Für mich sind sie todt!
Gräfin. Ihr Blick wird gräßlich!
Eul. Ich hatte einen alten Vater
Gräfin. O um Gotteswillen! hören Sie auf!
Eul. Der Gram um mich hat ihn gemordet.
Gräfin. Wie furchtbar rächt sich die beleidigte Tugend!
Eul. (endlich laut heulend und mit beiden Händen ihr Gesicht verhüllend.) Und ich lebe noch!
Gräfin. Wer könnte diese Büßende hassen? (Eulalien in ihre Arme schließend) Nein, Sie sind nicht lasterhaft. Es war nur im Taumel, ein Rausch, ein Wahnsinn
Eul. O verschonen Sie mich! wenn Sie wüßten, wie jede Milderung meines Verbrechens mir ein Dolchstich ist wie mein Gewissen nie mich heftiger martert, als wenn mein Kopf nach Entschuldigungen grübelt Nein, ich kann mich durch nichts entschuldigen, und die einzige traurige Beruhigung meines Herzens ist: mich ohne alle Einschränkung strafbar zu bekennen.
Gräfin. Dieser Zug ist ächte Reue.
Eul. O wenn Sie ihn gekannt hätten, den schönen, edlen Mann! Als ich ihn zum ersten Mal erblickte ich war damals kaum 14Jahr alt
Gräfin. Und Ihre Verbindung?
Eul. Wenige Monden nachher.
Gräfin. Und Ihre Flucht?
Eul. Zwei Jahre war ich seine Gattin.
Gräfin. O dann lassen Sie Ihre Jugend büßen, was nicht Ihr Herz verbrach.
Eul. Das ist die Sprache meines Kopfes in Stunden, wo Sehnsucht und Liebe den Sieg über die Reue davon tragen. Nein, meine Jugend entschuldigt mich nicht! (mit einem Blick zum Himmel) Alter, ehrwürdiger Vater! das hieße dich anklagen! du hattest mir Grundsätze der Ehre und Tugend ins Herz gepflanzt! du hattest mich gewarnt vor dem Gift der Schmeichelei und Verführung.
Gräfin. Was vermag Erziehung gegen einen Lovelace.
Eul. Jener Nichtswürdige er steht nun vor Gott! hatte die Freundschaft meines Gatten erschlichen, und mit ihr mein Vertrauen. Eine lange Geschäfts-Reise trennte Meinau von mir, der scheidend mich des Freundes Obhut empfahl. Daß ich keine Gefahr ahndete, war mein Verderben. Doch hat mich Gott nicht so verworfen, daß ich versuchen mochte den Gemahl zu täuschen die Stunde meines Falles war auch die Stunde meiner Trennung, meiner Flucht wahnsinnig entrann ich dem erschrockenen Verführer hinaus in die stürmische Nacht bis an den Morgen durchirrte ich die einsamen Straßen, vor jeder Laterne mich verkriechend endlich nahm in ihrer Hütte meine alte, verschwiegene Amme mich auf segne sie Gott! sie hat mich vor Selbstmord bewahrt!
Gräfin. Und Sie betraten Ihre Wohnung nicht wieder?
Eul. Nie wieder! sie war mir zur Hölle geworden!
Gräfin. Und Ihre Kinder?
Eul. Nur noch ein Mal sah ich verstohlen sie von Ferne auf dem Arme ihrer Wärterin. Ach! ich durfte nicht einmal sie segnen mit unreinen Lippen! An demselben Tage, an dem mein Gatte zurückkehren sollte, verließ ich unter fremden Namen den Schauplatz meiner Verbrechen und flüchtete zu einer edlen Seele, die mir ein Plätzchen gab, auf dem ich weinen darf und mir auch ein Plätzchen nicht versagen wird, auf dem ich sterben dürfe.
Gräfin. (sie in ihre Arme schließend) Hier nur hier an meinem Busen sollen künftig Ihre Thränen fließen; und möcht' es mir gelingen, dich arme Leidende wieder mit der Hoffnung vertraut zu machen!
Eul. Nein! ach nein!
Gräfin. Hörten Sie seitdem nichts von Ihrem Gemahl?
Eul. Er verließ die Stadt Niemand weiß, wohin er ging.
Gräfin. Und Ihre Kinder?
Eul. Nahm er mit sich.
Gräfin. Wir müssen Erkundigungen einziehen. Vielleicht, daß mein Bruder ach! mein armer Bruder, den hatt' ich ganz vergessen! Kommen Sie, liebe Freundin! man erwartet uns, und wir bedürfen beide der Zerstreuung.
Eul. Noch einen Augenblick, um mich zu sammeln.
Gräfin. Ich verstehe Sie. (ab)
Eulalia allein.
(nach einer Pause) So hab' ich mir nun auch die letzte Täuschung geraubt ich bin in fremden Augen nicht mehr, was ich scheine Die Verbrecherin ist entlarvt! So recht! so mußt' es seyn! der wahren Reue ziemt Verheimlichung nicht. Gott! nimm auch dieses Opfer gnädig an! Mir ist eine Last vom Herzen gewälzt Ich fühle nun den Grund der Freudigkeit, mit der so oft ein Verbrecher zum Richtplatz geht: er hat durch sein Bekenntniß sie erworben. Ach! ich werde mein Auge nicht mehr zu der edlen Gräfin erheben dürfen eine neue, bittere Strafe desto besser! desto besser! (sie geht)