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Drei Schiffe lagen auf der Reede von Manila, zwei von ihnen zum Absegeln bereit, das dritte noch vor Anker. Erstere beiden waren die ›Vesta‹ und der›Amor‹, letzteres der »Blitz«, welcher noch hier liegen bleiben wollte.
Unter Reede versteht man das Fahrwasser, welches sich noch vor der offenen See und dem Hafen befindet, und in welchem jederzeit Schiffe ankern können, denn es gibt nur wenige Häfen, deren Tiefe auch bei Ebbe den Schiffen gestattet, in sie einzufahren, und so müssen die tiefgehenden Fahrzeuge so lange auf der Reede liegen, bis die Flut eintritt. Desgleichen bleiben diese auch während der Ausfahrt noch einige Stunden auf der Reede, um den Lotsen an Bord zu nehmen und günstigen Wind abzuwarten.
»Wohin geht diesmal die Reise, Miß Thomson?« rief Charles Williams nach der ›Vesta‹ hinüber.
»Das Verbot, den nächsten Hafen zu verraten, ist auf der ›Vesta‹ noch nicht aufgehoben worden,« war die Antwort.
»Fahren Sie nach Neu-Seeland?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann will ich es Ihnen sagen,« lachte Charles, »ich werde bald das Vergnügen haben, Sie in Wellington wiederzusehen.«
»Warum fragen Sie denn erst, wenn Sie es wissen?« rief Miß Thomson, sich entrüstet stellend. »Sie sind doch unverbesserlich, Sir Williams!«
Während sich Miß Thomson mit einer Person des ›Amor‹ unterhielt, wechselte die Kapitänin einige Worte mit dem Kommandanten des »Blitz«.
»Wie lange bleiben Sie noch hier liegen, Kapitän Hoffmann? Kommen Sie mit uns! Der Wind ist günstig, nur noch etwas schwach, er wächst aber von Minute zu Minute.«
»Bedaure,« antwortete Hoffmann, »ich habe noch eine Post zu erwarten. Doch hoffe ich, daß wir uns bald wiedertreffen werden, vielleicht schon morgen.«
»Good bye, auf Wiedersehen!« erscholl es auf beiden Schiffen; Tücher wurden geschwenkt, dann schickten Kommandos die Mannschaft in die Takellage, die Segel wurden entfaltet, und bald nahmen die beiden Schiffe, [???] denen der ›Amor‹ einen Lotsen an Bord hatte, [???]am die Fahrt auf.
Kapitän Hoffmann blickte ihnen nach, welche durch Last der vom günstigen Winde geschwellten Segel stark auf der Seite lagen, ab und zu wandte er aber auch die Augen nach dem Hafen zu, als erwarte er von dort ein Schiff oder Boot, und wie er den Blick abwechselnd nach den beiden sich immer mehr entfernenden Schiffen und dann wieder nach dem Hafen richtete, hätte man fast vermuten können, daß zwischen diesen beiden gewisse Beziehungen beständen.
Da plötzlich erweiterten sich die Augen des Deutschen, er brauchte kein Fernrohr in die Hand zu nehmen, um zu erkennen, wie aus der Hafeneinfahrt ein kleiner Dampfer herauskam und aus dem Schornstein dichte Rauchwolken ausstoßend, mit aller Kraft dem freien Fahrwasser zustrebte.
Am Heck des kleinen Fahrzeuges flatterte die spanische Kriegsflagge, es war ein Regierungsdampfer.
»Meine Bemühungen waren vergeblich, das Geld ist nutzlos ausgegeben,« murmelte Hoffmann, »aber nein, es kann nicht sein, es ist mir fest versprochen worden. Hält er sein Versprechen nicht, so hat er mich zu fürchten, und überdies kennt er mich. Da, der Kapitän signalisiert schon.«
Hoffmann ließ Ingenieur Anders zu sich rufen und sprach kurze Zeit mit ihm. Ueber des jungen Mannes Züge ging ein leichtes Lächeln.
Auf dem Dampfer ward durch Flaggen dem »Blitz« der Befehl gegeben, Name und Nationalität zu signalisieren.
Hoffmann wußte ganz genau, daß dem Kapitän der »Blitz« sehr wohl bekannt war, aber daß das Manöver nur geschah, um dem ausländischen Schiffe seine Autorität zu zeigen.
Hoffmann mußte der Aufforderung nachkommen, er ließ die deutsche Flagge und die Wimpel seines Schiffes hissen.
Jetzt war der Dampfer vom »Blitz« quer ab, der Kapitän, ein noch sehr junger Mann ließ die Maschine stoppen, grüßte hinüber und fragte: »Kapitän Hoffmann?«
»Felix Hoffmann, Kapitän des deutschen Vollschiffes »Blitz,« antwortete der Gefragte.
»Im Namen des Königs, der »Blitz« verläßt die Reede von Manila nicht, bis er die Erlaubnis dazu erhält,« klang es bestimmt aus dem Munde des jungen Mannes, der die Uniform der spanischen Seeoffiziere trug.
Die Matrosen auf dem »Blitz« sperrten vor Verwunderung Nase und Mund auf, sie glaubten ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, brachen dann aber gleichzeitig in ein schallendes Gelächter aus. Doch der Bootsmann sorgte dafür, daß es noch im Keime erstickt wurde.
Doch auch die beiden Steuerleute waren bestürzt, begaben sich zu Hoffmann und baten um Aufklärung über diesen seltsamen Befehl von dem spanischen Kriegsschiffe, der einer Verhaftung ähnlich sah. Hoffmann war der einzige an Deck, der seine Ruhe vollkommen behalten hatte, ja, sogar ein spöttisches Lächeln schwebte um seine Lippen.
»Es handelt sich nur um eine Kleinigkeit,« antwortete er. »Kapitän Juarez ist von seinen eigenen Leuten wegen Erpressung angezeigt worden, weil er die ihnen versprochene Beute nicht herausgerückt hat. Nun sollen wir alle, das heißt, die Besatzung der ›Vesta‹ und des ›Amor‹, ebenso wie ich, Anders und Brentano als Zeugen vernommen werden. Daher der Befehl, daß der »Blitz« die Reede nicht verlassen soll.«
»Aber die Engländer und ganz besonders die Damen werden sich verdammt wenig daran kehren, wenn ihnen der junge Kerl da zuschreit, umzukehren,« meinte der erste Steuermann lachend.
»Sie haben überdies die Reede bald verlassen,« ergänzte der zweite Steuermann.
»Sind aber noch nicht auf neutralem Gebiete,« meinte Hoffmann achselzuckend, »und ehe sie dies erreicht haben, ist der Dampfer bei ihnen und wird sie mit Gewalt zur Umkehr zwingen.« »Teufel!« Klaus Uhlenhorst stampfte mit dem Fuße auf. »Daß wir uns wegen solch einer Lappalie aufhalten lassen! Sind wir schon so ärgerlich darüber, wie werden erst die dort aufgebracht sein. Ich glaube, sie fordern den Kapitän heraus, Gewalt anzuwenden, auch ich möchte es fast tun.«
»Das würde ihnen teuer zu stehen kommen, sie dürften nur den ersten besten Hafen anlaufen und wären sofort verhaftet, weniger darum, weil sie der im Namen des spanischen Königs gegebenen Aufforderung, zurückzukehren, nicht gefolgt sind, als vielmehr darum, weil sie die internationalen Seegesetze gebrochen haben. Das Seegericht versteht darin keinen Spaß; mit Geld wäre die Sache nicht abgemacht.«
»Konnte man denn die Sache nicht vorher gütlich beilegen,« fragte Adam Nagel, »so daß die übrigen nicht als Zeugen aufzutreten brauchten? Diese Verzögerung wegen dieses gelben Schuftes ist doch zu schändlich«
»Ich war der einzige, welcher von der Verhaftung des Kapitäns überhaupt etwas wußte.«
»Hätten Sie sich nicht an einen höheren Beamten wenden können, damit Sie aus dem Spiele blieben?«
»Das habe ich auch getan, und ich hoffe noch immer, daß der Gegenbefehl kommt. Diese beiden Schiffe dort will ich aber auf jeden Fall vor solch einer unangenehmen Sache bewahren. Sehen Sie, der spanische Kapitän hat mit seinen Offizieren beratschlagt, die Flagge, das Haltesignal wird gehißt, und er gibt Befehl, die Fahrt hinter den beiden Schiffen fortzusetzen. Passen Sie auf!«
Es war alles so geschehen, wie Hoffmann seinen beiden Steuerleuten eben geschildert hatte.
Der spanische Kapitän drehte den Signalapparat auf der Brücke – so nahe war das Schiff am ›Blitz‹, daß die Matrosen des letzteren das Klingeln hören konnten – dem Schlote entstieg wieder eine dunkle Rauchwolke, und der Dampfer mußte sich in Bewegung setzen.
»Carracho!« schrie der Kapitän, als nichts davon zu merken war, daß sich die Schraube umdrehte. »Hört der Schuft unten im Maschinenraum nicht?«
Er ließ den Apparat noch einmal, zweimal, dreimal das Zeichen zur Abfahrt geben, es war die höchste Zeit, die beiden Schiffe, welche zurückgebracht werden sollten, wurden immer kleiner – aber das Schiff kam keinen Zoll vorwärts. Und doch arbeitete die Maschine, das verriet einmal der aus den Ventilen strömende Dampf und dann auch die Erschütterung, die man überall spürte.
»Was ist das?« schrie der Kapitän wütend. »Beim heiligen Antonio, ist denn der Kerl da unten behext?«
Ein anderer Offizier war nach hinten gesprungen, beugte sich über die Bordwand und spähte in das Wasser, welches hier so klar war, daß man auf dem Grunde die Seegewächse erblicken konnte.
Aber wie er auch schaute, sich die Augen rieb und wieder hinuntersah, die wunderbare Tatsache ließ sich nicht wegleugnen, die Schraube war verschwunden, oder doch die vier Flügel, ohne welche die Schraube keine solche war.
Niemand wollte glauben, was der Offizier mit grenzenlosem Erstaunen feststellte, am wenigsten der Kapitän, aber es half alles nichts – sie überzeugten sich, daß seine Behauptung eine richtige war; alle vier Fügel waren gleichzeitig abgebrochen, oder vielmehr, wie sie bald inne wurden, von den Schrauben abgenommen worden, als wären Menschenhände dabei tätig gewesen.
Die Mannschaft, abergläubische Spanier, waren über das Ergebnis ihrer Untersuchung so erschrocken, daß sie an allen Gliedern zitterten, der Kapitän nicht ausgenommen.
»Hol' mich der Teufel, wenn das mit rechten Dingen zugeht!« rief derselbe endlich. »Hat jemand je so etwas gehört, daß bei schönstem Wetter die Flügel von der Schraube losgehen, und auch noch dazu alle vier auf einmal? Wenn es Wunder gibt, so ist das eins.«
Ueber die Richtigkeit dieser Behauptung waren sich die anderen Spanier schon lange klar.
Bald aber verwandelte sich ihr Schrecken in den entsetzlichsten Zorn. Die Matrosen des ›Blitz‹ hatten schnell erfaßt, um was es sich handelte. Sie sahen erst auf ihren Kapitän, den Hilfsingenieur und die beiden Steuerleute, welche in ein ernstes Gespräch vertieft waren, als hätten sie überhaupt nichts bemerkt, dann brachen sie, wie auf Kommando in ein schallendes Gelächter aus, welches gar nicht enden wollte.
»Der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ sind bald schon am Horizont untergetaucht,« sagte Hoffmann eben zu seinen Offizieren, »sie haben also nichts mehr zu fürchten, und ich werde schon unbelästigt davonkommen. Ueberdies erwarte ich noch jeden Augenblick, daß ein Gegenbefehl eintrifft.«
»Dort kommt wieder ein solch kleiner Dampfer,« rief der erste Steuermann, »der wird ihn bringen. Seiner Bauart nach scheint es ein Aviso zu sein.«
Der Aviso ist eine besondere Art von Kriegsschiffen, sie sind nach den Torpedobooten die schnellsten Fahrzeuge und hauptsächlich dazu bestimmt, unverzügliche Befehle oder Aufhebung von solchen den Schiffskapitänen nachzubringen, sie werden überhaupt immer da verwendet, wo es sich um die größte Schnelligkeit handelt.
»Er ist es,« sagte Hoffmann, das Schiff durch das Fernrohr musternd: »der Alkalde, mein Freund, hat den Gegenbefehl erwirkt. Wäre aber jenes Fahrzeug dort nicht unfähig, weiterzufahren, so würde er doch zu spät gekommen sein. Die ›Vesta‹ und der ›Amor‹ hätten umkehren müssen.«
»Ein Boot wird hinten nachgeschleppt.«
»Es ist das erwartete Postboot,« sagte Hoffmann, »auch wir können unsere Reise antreten.«
In einigen Minuten lag das neuangekommene Fahrzeug neben dem ›Blitz‹, und in aller Förmlichkeit wurde Hoffmann von dem Kapitän verkündet, daß der ›Blitz‹ ohne Hindernis die Reede von Manila verlassen könne, der vorige Befehl beruhe auf einem Irrtum.
Dann wandte sich der Kapitän an seinen Kollegen auf dem anderen Schiffe und erfuhr, daß der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ keine Aufforderung zur Umkehr erhalten hatten, und zwar infolge der rätselhaften Entfernung der Schraubenflügel, was auch die Besatzung dieses Dampfers mit namenlosem Staunen erfüllte.
Nach kurzer Besprechung der beiden Kapitäne wurde die Lage des Ortes, wo das Unglück stattgefunden, genau bestimmt, um die Flügel später durch Taucher suchen zu lassen, dann wurde der beschädigte Dampfer von dem anderen ins Schlepptau genommen und zurückbugsiert.
Unterdessen war das Boot mit der Post und einem Ruderer, welches, im Staatsdienste stehend, von dem Regierungsdampfer hierhergeschleppt worden war, an den ›Blitz‹ gerudert, der Postbote hatte sich an Bord begeben und war von Georg, der Ordonnanz des ›Blitz‹, ohne Aufenthalt nach dem Arbeitszimmer des Kapitäns geführt worden.
Der Mann entnahm der Posttasche eine Anzahl Briefe und Pakete, ließ sich darüber quittieren und zog dann aus dem Rocke einen anderen Brief.
»Privat,« sagte er und händigte ihn Hoffmann aus.
»Wer gab Ihnen diesen?« fragte der Ingenieur, den Brief betrachtend, der keinen Poststempel trug, also dem Beamten von irgend einer Privatperson zur Beförderung gegen ein Trinkgeld mitgegeben worden war. Auf dem Umschlage stand mit großen Buchstaben ›Eilig‹ mehr als dick unterstrichen.
»Ich war schon im Boot,« erzählte der Postbote, »als ein anständig gekleideter Mann, anscheinend ein Spanier – wenigstens war er so gekleidet, des Weges daherkam, und, als er uns schon abstoßen sah, zu laufen anfing. Er gab mir diesen Brief mit dem eindringlichen Bemerken, Ihnen das Schreiben ja sofort einzuhändigen; um es auf die Post zu tragen, war es zu spät. Es war ein sehr anständiger Herr.«
Diese letztere Bemerkung bezog sich wahrscheinlich auf das reichliche Trinkgeld, das der Mann von dem Herrn für diesen Gefälligkeitsdienst erhalten hatte.
Hoffmann öffnete den Brief.
Plötzlich wurde sein Gesicht leichenblaß, diesmal konnte er seine Aufregung nicht verbergen.
»Beschreiben Sie mir den Herrn!« sagte er kurz zu dem Beamten.
Dieser gab ihm eine Schilderung der Persönlichkeit aber Hoffmann konnte sich nicht besinnen, wer der Fremde gewesen sei.
»Es ist gut! Verlassen Sie das Schiff, der ›Blitz‹ fährt in einer Minute ab!«
Der Telegraph klapperte unter seiner Hand, er gab den Steuerleuten, wie dem Ingenieur den Befehl, den ›Blitz‹ so schnell wie möglich zur Abfahrt bereitzumachen.
Georg half dem Postbeamten wieder ins Boot, welches diesmal durch Rudern zurückgebracht werden mußte.
»Was sagst du eigentlich zu dem allen, Georg?« fragte ein Matrose die Briefordonnanz des Kapitäns, die gewöhnlich in die Geheimnisse ihres Herrn eingeweiht war.
»Wozu?«
»Ich meine, daß die Schraubenflügel des Dampfers so plötzlich fehlten, gerade als er den beiden Schiffen auch die Nachricht bringen sollte, nicht abzufahren, sondern umzukehren.«
Georg schmunzelte und deutete mit dem Daumen über die Schulter dahin, wo das Arbeitszimmer des Kapitäns lag.
»Der Kapitän wollte eben nicht, daß der Dampfer weiterfuhr, und da hat er denn dafür gesorgt. Verstehst du?«
»Na ja, das dachte ich mir auch. Aber wie kommt es, daß dann plötzlich der erste Befehl, wir sollten die Reede nicht verlassen, wieder aufgehoben ward?«
Georg antwortete nicht, wenigstens nicht mit Worten. Er legte die Hand auf den Rücken und machte mit den Fingern die Bewegung des Geldzählens – der Matrose hatte verstanden. – – – – – – – – – – –
Der Taifun hatte sich ausgetobt, nicht nur der Wind hatte sich gelegt, nach vierundzwanzig Stunden glich auch die See wieder einem glänzenden Spiegel.
Aber was half dies dem schönen Vollschiff, welches sich so schwer von einer Seite auf die andere wälzte? Seine Takelage war fast vollständig vernichtet. Wohl streckten sich die Masten noch stolz in die Höhe, aber sie hatten das Aussehen von entlaubten Pappeln, keine Raa mehr war an ihnen zu sehen, nur noch einige Stümpfe derselben, das Fahrzeug war zum Segeln unfähig.
Weibliche Matrosen waren es, welche das Schiff während des Taifuns bedient und doch wenigstens verhindert hatten, daß es, wie so viele andere, unterging – die Vestalinnen. Aber wenn es auch noch auf dem Wasser schwamm, die Zeit war doch nicht mehr fern, da es für immer die Oberfläche mit dem Meeresgrund zu vertauschen drohte – sein Untergang schien unvermeidlich. Das bezeugte die Beschäftigung der Mädchen.
Sie hatten nur wenige Notsegel gesetzt, so viele, wie die Takelage noch erlaubte, aber sie beschäftigten sich nicht mit dieser, sondern die eine Hälfte von ihnen befand sich am mittelsten Mast, wo die Pumpe stand und setzte diese ohne Unterbrechung in Bewegung.
Die ›Vesta‹ leckte. Schon fast zwanzig Stunden bemühten sich die Mädchen, ihr Schiff, ihren Stolz vor dem Sinken zu bewahren. Sie konnten sich noch nicht entschließen, in Booten das schmucke Fahrzeug zu verlassen, in dem sie einst triumphierend wieder in den Heimatshafen hatten zurückkehren wollen.
Noch hofften sie, einem Dampfer zu begegnen, der sie ins Schlepptau nehmen und nach einem Hafen bringen würde. Sie wollten schon dafür sorgen, daß das einströmende Wasser immer wieder aus dem Kielraum entfernt würde. Bluteten auch schon infolge der schweren Arbeit ihre Hände, sie ließen nicht nach. Die eine Hälfte von ihnen pumpte immer, während sich die andere von der Anstrengung ausruhte und die blutigen Hände verbunden wurden. Selbst die befreiten Mädchen waren zu dieser harten Arbeit mit herangezogen worden, und sie hatten willig der Aufforderung Folge geleistet, galt es doch die Erhaltung des eigenen Lebens.
Der ›Amor‹ war schon vorgestern abend, gleich zu Beginn des Taifuns, außer Sicht gekommen. Möglich sogar, daß ihn schon das Schicksal erreicht, welches ihr Schiff noch erwartete, möglich auch, daß die Herren schon auf Booten in der offenen See umhertrieben, ja sogar auf dem Meeresgrund neben dem Wrack des ›Amor‹ ruhten.
»Es ist wenigstens ein Glück im Unglück, daß unser Steuerruder nicht gebrochen ist,« ermutigte Ellen ihre Freundinnen, »dadurch können wir es doch so einrichten, daß wir in eine Dampferlinie getrieben werden. Ehe wir die nächste erreichen, dauert es allerdings bei unserer äußerst langsamen Fahrt wenigstens noch fünfzehn Stunden, haben wir aber schon so lange ausgehalten, so können wir auch diese Zeit noch ertragen.«
Die Gefährtinnen antworteten nicht. Sie verbissen den Schmerz, der wie Feuer in den wunden Handflächen brannte, und drehten unablässig die Kurbel weiter.
Niemand schloß sich davon aus, und die Kapitänin ging allen mit gutem Beispiel voran.
»Was werden wir tun, wenn wir das Schiff nicht mehr halten können?« fragte eine Vestalin.
»Dann gehen wir in die Boote,« versetzte Ellen. »Gott sei Dank, daß sie uns nicht weggespült worden sind. Unsere Lage ist noch keine so schlimme; in ihnen können wir in vier Stunden die Dampfahrlinie bequem erreichen und sind dann geborgen. Schlechtes Wetter haben wir nicht zu fürchten.«
»O, das wird herrlich,« rief Hope, »wie freue ich mich, wenn wir erst die Reise in Booten beginnen! Ist das nicht gerade wie in dem Theaterstück, welches wir in Batavia aufführten? Dann wünsche ich nur, der ›Amor‹ nähme uns auf.«
Alle mußten über das junge Mädchen lachen, dessen Frohsinn ansteckend wirkte. Hopes glückliche Natur wußte selbst aus der bittersten Blume Honig zu ziehen, das heißt, sie fand in der traurigsten Lage etwas, woran sie sich erfreute.
Vier Stunden waren vorüber, die ausgeruhten Mädchen kamen wieder an Deck, um ihre Freundinnen abzulösen. Ellen maß, wieviel Wasser im Kielraume stand, und fand, daß es dank dem ununterbrochenen Pumpen nur wenig zugenommen hatte. Dann fragte sie, wie bei jeder Ablösung, welche der Vestalinnen sich nicht mehr der Arbeit des Pumpens unterziehen wolle, sondern die Zuflucht zum Boote zu nehmen wünsche.
Niemand antwortete; alle waren entschlossen, so lange wie möglich auf der ›Vesta‹ zu bleiben, um doch noch das schöne Schiff zu retten.
Es wurde Abend, und noch war kein Segel erblickt worden; nach und nach erfaßte die Herzen der Mädchen ein ungestümes Verlangen nach Befreiung von dieser harten Arbeit. Fragte Ellen bei der Ablösung, wer die ›Vesta‹ verlassen wolle, so hatte manches Mädchen schon ein ›Ich‹ auf der Zunge – und der Stimme einer einzigen mußte gefolgt werden, so war von vornherein ausgemacht worden – aber keine wollte die erste sein, welche ihre Mutlosigkeit zu erkennen gab, und so trat, als die Glocke acht Glasen schlug, immer wieder die eine Hälfte der Mädchen an die Pumpe.
Die Nacht brach an.
Auf Ellens Geheiß wurden Raketen an Deck geschafft und diese in regelmäßigen Zwischenpausen in die Luft gesendet. Vielleicht, daß die weithin sichtbaren Feuergarben von einem Schiffe bemerkt wurden, das ihnen dann Rettung brachte.
Stunde auf Stunde verrann, es kam keine Antwort. Eine tiefe Verzagtheit bemächtigte sich der Mädchen, welche vergebens nach Feuern, das heißt, nach Lichtern von Schiffen ausspähten. Oft wurden sie dabei von Sternen getäuscht; manchmal brachte der Ausruf: »Ein Feuer! Ein Licht!« die Herzen zum schnelleren Schlagen, aber immer war die Freude eine vergebliche gewesen – die Ruferin hatte einen neuen, am Horizont aufgehenden Stern für das gelbe Licht eines Dampfers gehalten, selbst der erfahrenste Seemann irrt sich oftmals auf diese Weise.
»Ein Feuer! Das Toplicht eines Dampfers!« erschallte abermals der Ruf; es war Hope, welche zum ersten Male heute nacht diesen Ruf ausstieß.
»Drei Raketen!« ordnete Ellen an und fügte hinzu: »Wolle Gott, daß es sich diesmal bewahrheite.«
»Kraft meines Namens!« entgegnete Hope freudig. »Es ist das Licht eines Dampfers.«
Zischend fuhren die Raketen in die Luft, sich oben in Leuchtkugeln zerteilend, und bald zeigte sich, daß Hope, auf deutsch die ›Hoffnung‹, wirklich ihren Namen nicht umsonst führte.
Dort, wo nach ihrer Angabe das Feuer aufgetaucht war, leuchteten ebenfalls einige helle Strahlen zum Himmel empor, sich aber nicht oben in Leuchtkugeln verteilend, sondern in einen silbernen Sprühregen, der weithin sichtbar war.
»Mein Gott,« rief Ellen, »das könnte der ›Amor‹ sein. Er führt diese Raketen an Bord, die man sonst selten auf Schiffen findet.«
Auch die anderen Vestalinnen waren der Meinung, daß dies leicht der Fall sein könnte. Der ›Amor‹ war ja mit ihnen zusammengefahren, er mußte sich in dieser Gegend aufhalten.
Aber wieder verstrichen einige Stunden, und noch konnten sie nicht erkennen, ob das Schiff der ›Amor‹ sei oder nicht, welches schon ganz dicht in der Nähe war. Wohl forderte der Dampfer – ein solcher mußte es nach dem oben am Maste hängenden, weißen Lichte sein – wiederholt die ›Vesta‹ auf, ihren Namen zu signalisieren, aber diese konnte es nicht mehr; die farbigen Raketen, durch welche eine Antwort möglich, waren alle verschossen, und leider tat das Schiff nicht selbst das, was es von dem anderen verlangte. Aber sobald die ›Vesta‹ eine Rakete in die Luft sandte, tat der nahe Dampfer das gleiche, und so konnten sich die beiden Schiffe trotz der dunklen Nacht nicht verlieren.
Daß sich der Kapitän nicht sofort zur Rettung der Hilfsbedürftigen entschloß, verdachte ihm niemand. Jenes Schiff war ja ein Dampfer, und der Kapitän konnte nicht wissen, ob nicht hinter dem Wrack Taue schleppten, in die sich die Schraube verwickeln konnte. Der erste Morgenstrahl des folgenden Tages machte aber eine Verständigung möglich, und dann würde die Bergung der Schiffbrüchigen sofort erfolgen. Außerdem besaßen die Mädchen noch ein Mittel, auch jetzt das Schiff sofort herbeizurufen. Man brauchte nur das sogenannte Blaselicht, eine Fackel von Werg, welches mit Benzin oder Petroleum getränkt worden ist, hin- und herzuschwingen, so würde der Kapitän jenes Schiffes, besaß er ein rechtschaffenes Herz, sicher sofort herbeieilen.
Der zweite Morgen auf dem lecken Schiff brach an.
Es ist eigentümlich, wie schnell auf dem Meere die Nacht mit dem Tage wechselt, und ganz besonders zeigt sich diese Eigentümlichkeit in den Tropen. Eben ist es noch ganz dunkel, da übergießt mit einem Male der erste Strahl der aufgehenden Sonne das Meer mit goldenem Licht so daß man plötzlich weit in die Ferne sehen kann.
So war es jetzt auch hier.
Kaum war dieser Moment gekommen, so konnten auch die Mädchen das wartende Schiff schon ganz deutlich erkennen, und Freude erfüllte aller Herzen – es war wirklich der ›Amor‹.
Auch dieser hatte sofort, trotz der verwüsteten Takelage, die ›Vesta‹ erkannt, ein einstimmiger Freudenschrei traf das Ohr der Vestalinnen, eine Dampfwolke wirbelte aus dem Schornstein, und schnell näherte der ›Amor‹ sich dem hilfsbedürftigen Schiffe.
»Auch sie haben Havarie erlitten, aber bei weitem nicht soviel, wie wir; ihre kleine Brigg bot dem Sturme weniger Widerstand, als unser Vollschiff. Am ersten Maste fehlen nur zwei Raaen,« sagte Ellen.
»Was haben sie denn für einen seltsamen Schornstein?« meinte ein anderes Mädchen.
Dieser war wirklich auffallend. Es war nicht mehr derselbe, wie früher, man konnte ihm beim ersten Blicke ansehen, daß er von den Händen der Heizer plump aus gerolltem Eisenblech zusammengesetzt worden war. Aber er gestattete doch, daß der Kessel gefeuert und der ›Amor‹ unter Dampf fahren konnte.
»Wollen Sie die ›Vesta‹ verlassen?« fragte Lord Harrlington hinüber.
Die Vestalinnen berieten sich schnell, was zu tun sei. Ehe sie nach dem nächsten Hafen kamen, dauerte es wenigstens noch zwei Tage, und so lange konnten sie unmöglich das Pumpwerk in Betrieb erhalten. Es mußte sein, es gab keine andere Möglichkeit, als die ›Vesta‹ ihrem Schicksale zu überlassen.
»Was liegt uns an dem Schiffe,« suchte Ellen zu trösten, »es ist ja nichts weiter, als Holz. Die uns liebgewordenen und notwendigen Gegenstände nehmen wir mit und kaufen uns einfach ein anderes, noch besseres Schiff.«
Die uns liebgewordenen Gegenstände! Ach, es war ihnen ja schon alles ans Herz gewachsen, sie liebten ja die ›Vesta‹ selbst, vom Mast bis zum Kiel.
»Ja, wir wollen die Vesta verlassen,« rief Ellen mit fester Stimme, der man aber doch einen traurigen Klang anhörte, hinüber, »und unter der Bedingung begeben wir uns auf den ›Amor‹, daß wir von hier aus sofort nach dem nächsten Hafen gebracht werden.«
»Das versprechen wir Ihnen,« war die Antwort vom ›Amor‹.
Die Mädchen eilten in ihre Kabinen, rafften alles Notwendige zusammen, die Kapitänin versah sich außerdem noch mit den Schiffspapieren, und dann bestiegen sie die Boote, welche sie nach dem ›Amor‹ bringen sollten. Das war die erste Fahrt. Das zweite Mal wurden die Boote mit dem beladen, was die Damen als Andenken mitzunehmen wünschten, und erlaubte der Wasserstand der ›Vesta‹ noch eine dritte Ueberfahrt, so sollten auch noch verschiedene Wertsachen, wie Instrumente, kostbare Möbel und so weiter, in Sicherheit gebracht werden.
Die Boote lagen zum zweiten Male längsseits des ›Amor‹, die Herren waren behilflich, den Mädchen die dargereichten Erinnerungsstücke abzunehmen, eben hob Williams Hopes Krokodil an Deck, von dem sich das Mädchen auf keinen Fall trennen wollte, weil sie es selbst geschossen hatte, als plötzlich auf dem ›Amor‹ ein vielstimmiger Ruf erscholl.
»Das Geisterschiff!«
Wie elektrisiert sprang alles auf. Man ließ alles stehen und liegen, das Krokodil entfiel Charles Hand und stürzte ins Wasser, wurde aber von Hope sofort wieder ins Boot gezogen, und aller Augen wandten sich der Richtung zu, von welcher das Geisterschiff kommen sollte.
»Es ist ja der ›Blitz‹,« rief ein Mädchen.
»Nun ja,« entgegnete Harrlington, »wer zweifelte denn noch in letzter Zeit daran, daß das Geisterschiff und der ›Blitz‹ eins wären?«
Seit dem Tage, da einige der Reisenden vom Bord des ›Blitz‹ aus in die Tiefe getaucht, war es allen zum Bewußtsein gekommen, daß dieser mit dem ›Geisterschiff‹ identisch sei. Kamen ab und zu noch Zweifel an der Richtigkeit einer solchen Behauptung, so hielt es jeder für gut, mit seiner Meinung betreffs dieser Sache zurückzuhalten.
Was jetzt das Mädchen zu dem Ausrufe, daß es der ›Blitz‹ sei, veranlaßte, war das Aussehen des Schiffes. Es glich dem rätselhaften Fahrzeug allerdings vollkommen, aber das runde Deck fehlte. Die Farbe war zwar schwarz, aber es fuhr ebenso wie das Geisterschiff, ohne Segel und doch mit einer ungeheuren Schnelligkeit.
Mit dem Fernrohre konnte man Kapitän Hoffmann und seine Leute an Deck stehen sehen.
»Sollte es ihm nicht gelingen, die ›Vesta‹ zu retten?« brach Ellen das Schweigen.
Niemand hielt jetzt die Gelegenheit für passend, über die seltsame Erscheinung des ›Blitz‹, den sie als solchen zum ersten Male ohne Segel mit Hilfe der Maschine fahren sahen, zu sprechen, die Situation war eine zu ernste.
»Wie könnte dies Kapitän Hoffmann bewerkstelligen?« fragte Miß Thomson.
»Es ist anzunehmen, daß auf dem ›Blitz‹ große Pumpen vorhanden sind, wie könnte sonst die Luft in den Skaphandern zusammengepreßt werden, wozu doch eine ganz gewaltige Kraft nötig ist? Der ›Amor‹ mit seiner kleinen Pumpe kann uns nicht über Wasser halten, wenigstens nicht, wenn er zur gleichen Zeit dampfen soll, und dies würde zum Schleppen doch erforderlich sein – Lord Harrlington hat es mir vorhin bedauernd mitgeteilt.«
»All right,« rief Hope, die mit ihrem nassen Krokodil auf dem Schoße im Boote saß, »so gehen wir an Bord zurück und lassen uns von dem Zauberschiff nach Wellington bugsieren. Vielleicht zaubert Hoffmann das Leck auch zu.«
Der ›Blitz‹ war herangekommen. Aber Kapitän Hoffmann schien weder von der wracken ›Vesta‹, noch von der Ausschiffung der Damen Notiz zu nehmen. Er hatte nur Augen für den ›Amor‹, keinen Blick wendete er von diesem.
Ohne den Lauf des Schiffes zu mäßigen, ließ er ein Boot aussetzen, sprang den beiden Matrosen nach und fuhr an die Brigg. Auch hier wurde die Tatsache festgestellt, daß das Boot ohne Dampf, ja, ohne sichtbare Maschine, von einer geheimnisvollen Kraft getrieben wurde.
Im nächsten Augenblicke stand Hoffmann an Deck.
»So leben Sie noch,« rief er, und seiner Stimme merkte man an, welche Aufregung ihn beherrschte, »so brauche ich mich noch nicht zu beschuldigen, durch eigenmächtigen Eingriff in den Lauf des Schicksales Ihr Leben vernichtet zu haben? Wo ist Marquis Chaushilm? Schnell, schnell, jede Sekunde ist kostbar.«
Erstaunt betrachteten die Herren, wie auch die schon auf dem ›Amor‹ befindlichen Mädchen, den Sprecher. Der Sinn seiner Worte war allen dunkel.
»Wo ist Marquis Chaushilm?« wiederholte Hoffmann mit einer an ihm sonst nie bemerkten Heftigkeit. »Um Gottes willen, wo ist er?«
»Hier,« antwortete der Gerufene und trat hinter dem Boot hervor, das ihn verborgen hatte.
Niemand begriff, welcher Grund den sonst so kaltblütigen Ingenieur zu solchem Ungestüm bewegte.
»Haben Sie in Manila Kokosnüsse gekauft?« fragte Hoffmann.
Nicht nur Chaushilm, auch die übrigen konnten bei dieser seltsamen Frage kaum ein Lächeln unterdrücken. Wie kam der Ingenieur plötzlich auf so etwas?
»Allerdings,« antwortete der Marquis, »mehrere, darunter ein wahres Riesenexemplar. Sie selbst waren ja dabei, als ich sie kaufte. Während des Taifuns sind sie wie Kegelkugeln in meiner Kabine herumgerollt.«
»Vielleicht zu Ihrem Glück, lassen Sie die große Nuß holen, oder besser, führen Sie mich nach Ihrer Kabine!«
Aber schon hatte Hannes die erste Aufforderung befolgt, er brachte die riesige Nuß in beiden Armen geschleppt.
Alle hatten sich um den Ingenieur versammelt und schauten ihm gespannt zu, wie er die Nuß vorsichtig auf ein Faß legte und äußerlich untersuchte. Sein Benehmen min ihnen einfach unbegreiflich.
Die Kokosnuß ist mit einer Art von brauner Pflanzenfaser dicht umhüllt, und diese wies, im Verhältnis zu ihrer Größe, ganz besonders lange und eng zusammenstehende Haare auf. Der Ingenieur hob dieselben sorgfältig auf, so wie man ungefähr zu tun pflegt, wenn man auf dem Kopfe einer Person eine Wunde vermutet, und untersuchte auf das genaueste die nackte Schale.
Plötzlich entfuhr ein Ruf der Ueberraschung seinem Munde.
»Ich bin nicht belogen worden,« sagte er ernst, »Marquis Chaushilm, Sie haben keine einfache Kokosnuß gekauft, sondern etwas ganz anderes, wie Sie gleich sehen werden.«
Er brachte ein Taschenmesser mit Schraubenzieher zum Vorschein und begann damit die Nuß zu bearbeiten, und siehe da, eine Schraube nach der anderen löste sich aus der Schale, und als die letzte herauskam, klappte der Ingenieur die beiden Hälften der Nuß auseinander.
Ein furchtbares Entsetzen bemächtigte sich der Umstehenden, als sie die Kokosnuß jetzt geöffnet vor sich liegen sahen.
»Eine Granate,« riefen sie einstimmig.
»Ja, eine Granate,« wiederholte Hoffmann ernst, »eine mit Dynamit gefüllte Granate und hier,« er grub die Hand langsam in die pulverige, graue Masse, welche das Innere ausfüllte, und zog sie sofort mit einem kleinen, runden Gegenstande zurück, »und hier die Uhr, welche sie explodieren lassen sollte. Es ist eine Höllenmaschine, ihr Aeußeres ist kunstvoll wie eine Kokosnuß ausgestattet, und sie wäre explodiert, wenn man sie mit Gewalt, etwa mit einem Hammer oder mit einer Axt zu sprengen versucht hätte, ebenso, wenn die Uhr richtig funktioniert hätte, was wahrscheinlich durch das heftige, Schlagen des Schiffes während des Sturmes verhindert worden ist.«
Er öffnete die Kapsel, und man erblickte darin ein Instrument, dessen Aussehen an eine Uhr erinnerte. Oben befand sich ein Stift, welcher durch eine kleine Oeffnung, der Kapsel herausragte.
»Wann sind die Kokosnüsse umhergerollt, Marquis Chaushilm?« fragte der Ingenieur. Chaushilm berechnete ungefähr die Zeit.
»Gestern, nein, vorgestern Nacht, zwischen acht und zwölf Uhr, als ich nicht in meiner Kabine war. Ich hatte sie alle in besondere Fächer gelegt, um ihr Umherkugeln zu verhindern, mit Ausnahme dieser, welche, wegen ihrer Größe, in keiner Schublade Platz fand. Als ich nach meiner Kabine kam, rollte sie auf dem Boden hin und her, ebenso einige andere, die auch heruntergefallen waren.«
»Das hat Sie und den ›Amor‹ vor dem Untergange gerettet. Sehen Sie hier,« Hoffmann wies auf die Zeiger des Zifferblattes, »zweiunddreißig Minuten vor zwölf ist das Werk stehen geblieben, und um zwölf Uhr wäre die Explosion erfolgt, wie ich Ihnen zeigen werde.«
Er hielt die Uhr von sich entfernt – die anderen wichen scheu zurück – und drehte den Zeiger langsam weiter. Als er die Zwölf erreichte, entfuhr ein kleiner Feuerstrahl dem Stifte, der den Zünder bildete.
»Durch den Fall ist die Uhr jedenfalls stehen geblieben,« fuhr er fort, »er hätte die Granate aber ebensugut zum Explodieren bringen können. Danken Sie Gott, daß er seine Hand gnädig über Sie gehalten hat.«
Diese feierlich gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Noch wagte keiner ein Wort zu sprechen, starr vor Entsetzen blickten sie auf die unheimliche Granate, deren Dynamitfüllung hingereicht hätte, um das größte Gebäude in die Luft zu sprengen«. Bei den letzten Worten Hoffmanns falteten alle unwillkürlich die Hände.
»Woher aber haben Sie von diesem neuen Anschlage Kenntnis bekommen?« brachte endlich Harrlington hervor.
»Einer, der von dem verruchten Plane wußte, hat mir denselben verraten, eben als Sie Manila verlassen hatten. Ich fuhr Ihnen sofort nach, da aber brach unglücklicherweise, ich hielt es wenigstens damals für ein Unglück, der Taifun los und ließ mich weder den ›Amor‹, noch die ›Vesta‹ finden. Ich jagte mit dem ›Blitz‹ hin und her, vergebens, ich konnte kein Schiff entdecken, die Zeit kam immer näher, da die Explosion erfolgen mußte, und ich selbst fühlte mich – doch erlassen Sie mir die Beschreibung meiner damaligen Gefühle,« unterbrach sich Hoffmann und fuhr mit der Hand über die Stirn. »Es ist mir genug, daß ich Sie jetzt gerettet weiß.«
»Wer mag uns dieses Unheil haben zufügen wollen?« ließ sich einer der Herren vernehmen.
»Derjenige, welcher uns bisher verfolgt hat, der uns von der ›Vesta‹ trennen will,« sagte Harrlington finster.
Ellen senkte scheu die Augen zu Boden, sie wußte, um wessenwillen die Herren des ›Amor‹, die treuen Begleiter der Damen, dieser furchtbaren Gefahr ausgesetzt gewesen waren.
Aber sofort warf sie den Kopf wieder trotzig in den Nacken. Wer hieß auch den Herren, ihnen immer zu folgen? Sie erkannte zwar die oftmaligen Hilfeleistungen dankbar an, aber zur Begleitung hatte sie die Engländer niemals aufgefordert und am allerwenigsten in der letzten Zeit.
»Erlauben Sie mir, Lord Harrlington,« fragte Kapitän Hoffmann, »daß ich diese Granate und Uhr an mich nehme?«
Harrlington nickte nur.
»Dann zu der ›Vesta‹« fuhr Hoffmann heiterer fort, den Ernst gewaltsam abschüttelnd. »Meine Damen, gehen Sie an Bord zurück, ich verspreche Ihnen, Sie sicher nach Wellington zu bringen, und zwar brauchen Sie weder Notsegel zu setzen, noch zu pumpen, der ›Blitz‹ besorgt beides. In Wellington sind gute Docks, in vierzehn Tagen ist der Schaden repariert. Arg leckt die ›Vesta‹ nicht, sonst wäre sie schon gesunken. Also an Bord zurück, meine Damen! Lassen Sie den Mut nicht sinken, machen Sie wieder fröhliche Gesichter, wie ich sie immer bei Ihnen zu sehen gewohnt gewesen bin.«
Ein lauter Jubel entstand unter den Mädchen, als ihnen diese Hoffnung verkündet wurde. Eiligst wurden die schon ausgeladenen Sachen wieder zurückgebracht, und noch waren sie nicht alle an Bord, so lagen schon zwei Schläuche vom ›Blitz‹ aus im Kielraum der ›Vesta‹, und wie mächtig der ›Blitz‹ pumpen konnte, das sah man den Wassermengen an, die zu beiden Seiten des Schiffes herabflossen. Die ›Vesta‹ begann sich merklich zu heben.
Als sie den gewöhnlichen Wasserstand erreicht hatte, stellten die Matrosen mittels Stahltauen eine Verbindung her und warteten nur, daß ihr Kapitän wieder auf sein Schiff zurückkehre, um das Schleppen zu beginnen.
Hoffmann ließ sich noch mit kurzen Worten erzählen, auf welche Weise jener bleiche, gerettete Mann dem sicheren, nassen Grabe entrissen worden war, der sich die ganze Zeit über in tiefstem Schweigen verhalten und auf die ihm gestellten Fragen nur kärgliche Antworten gegeben hatte. Man schonte ihn, denn man glaubte, durch die überstandene Todesangst habe sein Gehirn etwas gelitten, und ließ ihm Zeit, wieder zu sich zu kommen.
Dann fuhr Kapitän Hoffmann nach seinem Schiff zurück und gab die nötigen Kommandos. Der ›Blitz‹ setzte sich mit Hilfe der Schraube in Bewegung, nicht nur die ›Vesta‹ nach sich schleppend, sondern dieselbe auch noch durch beständiges Pumpen völlig wasserfrei haltend.
Ihnen folgte der ›Amor‹.
Im Arbeitszimmer auf dem ›Blitz‹ saß Ingenieur Anders und blickte dem Kapitän besorgt ins Gesicht. Wer mit Hoffmann immer zu verkehren Gelegenheit hatte, so wie Herr Anders, der mußte finden, daß seine Züge einen leidenden Ausdruck angenommen hatten. Sie waren etwas eingefallen, und die Augenhöhlen zeigten tiefe Züge, als wenn er eine schlaflose und aufgeregte Zeit durchlebt hätte.
»Alle Ihre Furcht hat sich grundlos erwiesen,« sagte Anders und legte vertraulich seine Hand auf den Arm des vor ihm Sitzenden, »Sie haben sich umsonst mit Selbstvorwürfen gequält. Das Schicksal geht seinen Lauf, es läßt sich nicht aufhalten, und versucht man auch auf tausenderlei Weise, seine Pläne zu durchkreuzen, immer weiß es den Weg wiederzufinden, den es hat gehen wollen.«
»Es ist so,« sagte Hoffmann nachdenkend, »und doch, wie unglücklich hätte ich mich gefühlt, wenn die Katastrophe eingetreten wäre! Würde ich mich nicht mein ganzes Leben lang für schuldig an dem Tode aller dieser englischen Herren befunden haben? Ja, selbst den Tod der Damen konnte ich auf dem Gewissen haben, denn, hätte ich nicht den Alkalden bestochen, die Untersuchung niederzuschlagen, so wären die ›Vesta‹ und der ›Amor‹ in Manila geblieben, damit ihre Besatzungen als Zeugen vernommen würden, sie wären nicht in den Taifun gekommen, und ich hätte die Höllenmaschine sofort unschädlich machen können.«
»Wer bürgt Ihnen dafür,« entgegnete Anders, »daß den Schiffen in dem sonst sicheren Hafen nicht ein fürchterlicheres Unglück passiert wäre, als ihnen der Taifun schuf? Konnte nicht Marquis Chaushilm schon in Manila auf den Gedanken kommen, die vermeintliche Kokosnuß zu zerschlagen?«
Hoffmann zuckte mit den Achseln.
»Dann wäre es nicht meine Schuld gewesen,« sagte er, »ihr Tod hätte mich mit großer Trauer, aber nicht mit Verzweiflung über meine Einmischung in die Pläne des Schicksals erfüllt.«
»So will ich Sie etwas anderes fragen,« nahm der Ingenieur das Wort. »Würden Sie nicht, wenn Sie nochmals in die Lage kämen – und das steht noch oft zu erwarten – daß Sie ein Unglück oder auch nur eine Unannehmlichkeit verhindern könnten, würden Sie dann nicht wieder ebenso handeln, wie es Ihnen Ihr Verstand vorschreibt?«
»Sie haben recht.« antwortete der Kapitän und stand auf. »Was nützt uns Vernunft und Verstand, wenn wir sie nicht nach bestem Wissen anwenden? Habe ich einen falschen Weg eingeschlagen, das heißt, habe ich mich getäuscht, so kann ich mir wohl Vorwürfe machen und muß ein anderes Mal vorsichtiger sein, und wird dann mein sorgfältig angelegter und ausgeführter Plan vom Schicksal gekreuzt, so kann ich mich von allen Folgen freisprechen. Dem Schicksale gegenüber sind wir doch nur ohnmächtige Kinder.«