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In Österreich gibt es für junge Mädchen, die sich dem Laster in die Arme werfen, eine Klimax der Strafbarkeit. Man unterscheidet Mädchen, die sich der unbefugten Ausübung der Prostitution schuldig machen, Mädchen, die fälschlich angeben, daß sie unter sittenpolizeilicher Kontrolle stehen, und schließlich Mädchen, die zwar zur Ausübung der Prostitution, jedoch nicht zur Tragung eines Ehrenkreuzes befugt sind. Diese Einteilung wirkt auf den ersten Blick verwirrend, entspricht aber durchaus den tatsächlichen Verhältnissen. Ein Mädchen, das einem Detektiv bedenklich schien – nichts scheint einem Detektiv bedenklicher als ein Mädchen –, gab an, sie stehe unter sittenpolizeilicher Kontrolle. Sie hatte sich nur einen Scherz erlaubt; aber man ging der Sache nach. Da sich ihre Angabe als unrichtig herausstellte, wurde sie wegen unbefugter Ausübung der Prostitution in polizeiliche Untersuchung gezogen. Da sich aber auch dieser Verdacht als ungerechtfertigt erwies und sich demnach herausstellte, daß sie überhaupt keine Prostitution ausübe, so erhob die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Falschmeldung. Das Mädchen hatte sich, wie es in der Anklage hieß, »gegenüber dem Detektiv eine soziale Stellung angemaßt, die ihr nicht zukam«. Sie trieb weder erlaubte noch unerlaubte Prostitution, sie war also eine Schwindlerin, und nur weil sie bei der Verhandlung auf die Frage des Richters, was sie sich dabei gedacht habe, die Antwort gab: »Nichts«, entging sie der Verurteilung. Um also zu rekapitulieren: Sie hatte behauptet, sie stehe unter sittenpolizeilicher Kontrolle. Weil dies eine Unwahrheit war, wurde sie unter dem Verdachte des unsittlichen Lebenswandels in Untersuchung gezogen. Sie konnte nun zwar beweisen, daß sie nicht unsittlich genug sei, um einen unsittlichen Lebenswandel zu führen, aber sie konnte doch wieder nicht beweisen, daß sie sittlich genug sei, um unter sittenpolizeilicher Kontrolle zu stehen. So blieb nichts übrig, als sie wegen Falschmeldung anzuklagen, wegen deren ja schließlich auch die Mörder in Österreich verurteilt werden, wenn man ihnen den Mord nicht beweisen kann. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter. Wenn ein Mädchen zur Ausübung der Prostitution befugt ist, so könnte es vorkommen, daß sie es verschweigt und schwindelhafterweise angibt, sie sei zur Ausübung der Prostitution nicht befugt. Sie würde sich also einen unsittlichen Lebenswandel anmaßen, den sie nicht deshalb führt, weil sie dazu befugt ist, sondern den sie führt, wiewohl sie dazu nicht befugt ist, während sie in Wahrheit bloß befugt ist, einen unsittlichen Lebenswandel zu führen, den zu führen sie befugt ist. Solche Fälle kommen in der Praxis selten vor, und die Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist schwankend. Am schwierigsten war aber der Fall, der sich kürzlich in Wiener-Neustadt zugetragen hat. In einem dortigen Freudenhause lebte ein Mädchen, das zur Ausübung der Prostitution befugt ist und bisher noch keinen Anstand gehabt hat. Sie hat sich nie einen unsittlichen Lebenswandel angemaßt, den sie nicht führt, und es ist ihr noch nicht einmal nachgewiesen worden, daß sie fälschlich angegeben hat, eine Prostitution nicht auszuüben, zu der sie befugt ist. Aber der Teufel reitet das bisher unbescholtene Mädchen, und sie geht eines Abends im Salon des Hauses mit einem Militärjubiläumsehrenkreuz an der Brust herum. »Dadurch erregte sie bei den Gästen –«, ja was glaubt man, hat sie dadurch bei den Gästen erregt? Nicht das, was man glaubt, sondern im Gegenteil: Ärgernis. Und wenn ein Freudenmädchen bei den Gästen eines Freudenhauses Ärgernis erregt, dann ist es wohl höchste Zeit, daß die Staatsanwaltschaft einschreitet. Tatsächlich wurde das Mädchen wegen einer Erregung, zu der sie nicht befugt war, angeklagt. Der erste Richter sprach sie frei. Er sagte, das Militärjubiläumsehrenkreuz sei kein Orden und das Ärgernis sei bloß ein solches Ärgernis, das von der Polizei zu ahnden sei. Damit gab er freilich zu, daß das Mädchen schuldig gewesen wäre, wenn sie etwa den Takowaerden getragen hätte. Es liegt nun zwar auf der Hand, daß das unbefugte Tragen eines Ordens vielleicht einen Journalisten, nie aber eine Prostituierte strafbar machen kann. In Wiener-Neustadt jedoch scheint die Frauenbewegung bereits derartige Fortschritte gemacht zu haben, daß man dort beide Geschlechter in gleichem Maße der Ordensstreberei für fähig hält. Immerhin sagte der erste Richter, ein Militärjubiläumsehrenkreuz sei kein Orden. Aber der Staatsanwalt war anderer Ansicht, er berief, und das Landesgericht verurteilte die Angeklagte zu zwanzig Kronen Geldstrafe. Ein Militärjubiläumschrenkreuz, sagte das Landesgericht, sei als Ehrenzeichen jedem Orden gleichzustellen. Und als besonders erschwerend nahm der Gerichtshof »das Tragen des Kreuzes im Freudenhause« an. Als die Angeklagte gefragt wurde, was sie sich dabei gedacht habe, gab sie zur Antwort: »Nichts«. Aber diesmal nützte die Antwort nichts. Denn eher noch dürfte sich ein anständiges Mädchen die Prostitution anmaßen als eine Prostituierte das Ehrenkreuz. Welche Entschuldigung hatte sie? Ein Zivilist, sagte sie, habe es ihr geschenkt. Er war nobel und gab ihr das Ehrenkreuz als Schandlohn. Aber dann hätte sie es eben in den Strumpf stecken sollen. Das Tragen eines Ehrenzeichens im Freudenhause steht nur dessen Gästen zu, und wenn sie dadurch das Ärgernis der Mädchen erregen sollten, so würden sich die Mädchen einer strafbaren Handlung schuldig machen. Gibt aber ein Gast einem Mädchen statt zwanzig Kronen ein Ehrenkreuz, so darf sie das Ehrenkreuz nicht tragen, oder muß die zwanzig Kronen dem Gericht geben. Denn die Justiz ist eine Hure, die sich nicht blitzen läßt und selbst von der Armut den Schandlohn einhebt!