Karl Kraus
Grimassen - Aufsätze 1902-1914
Karl Kraus

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Der Fall Kerr

Der kleine Pan ist tot

In Berlin wurde kürzlich das interessante Experiment gemacht, einer uninteressanten Zeitschrift dadurch auf die Beine zu helfen, daß man versicherte, der Polizeipräsident habe sich der Frau des Verlegers nähern wollen. Das Experiment mißlang, und der »Pan« ist toter als nach seiner Geburt. Herr Maximilian Harden hatte schon Abonnenten verloren, weil er sie durch den Nachweis vermehren wollte, daß Fürst Eulenburg homosexuell veranlagt sei. Herr Alfred Kerr, der dieses Wagnis, einen erotischen Hinterhalt für die Politik und den politischen Vorwand für das Geschäft zu benützen, tadelte, hat einen schüchternen Versuch gemacht, es zu kopieren, indem er, gestützt auf die erweisliche Wahrheit, daß Frau Durieux die Gattin des Herrn Cassirer sei, sich bemüßigt fand, in Bezug auf die Erotik des Herrn v. Jagow »auszusprechen was ist«. Herr Kerr ist dabei zu Schaden gekommen. Denn eine üble Sache wird dadurch nicht schmackhafter, daß man sie statt in Perioden in Interjektionen serviert, und der Moral ist nicht besser gedient, wenn sie von einem Asthmatiker protegiert wird, als von einem Bauchredner. Das demokratische Temperament mag es ja als eine geistige Tat ohnegleichen ansehen, daß einer dem Polizeipräsidenten »hähä« zugerufen hat, und die Verehrer des Herrn Kerr, dessen Stil die letzten Zuckungen des sterbenden Feuilletonismus mit ungewöhnlicher Plastik darstellt, mögen diesen Polemiker sogar für den geeigneten Mann halten, mich für »Heine und die Folgen« zur Rede zu stellen. Ich möchte das Talent des Herrn Kerr so gering nicht einschätzen wie jene, die ihm zu politischen Aktionen Mut machen. Im sicheren Foyer theaterkritischer Subtilitäten hat er es immerhin verstanden, aus dem kurzen Atem eine Tugend zu machen, und man könnte ihm das Verdienst einer neuen Ein- und Ausdrucksfähigkeit zubilligen, wenn es nicht eben eine wäre, die wie alle Heine-Verwandtschaft Nachahmung ihrer selbst ist und das Talent, der Nachahmung Platz zu machen. Das bedingt einen geistigen Habitus, der auch den leiblichen geflissentlich dazu anhält, sich noch immer als Jourbesucher der Rahel Varnhagen zu fühlen, und dem das politische Interesse bloß eine Ableitung dessen ist, wovon man leider stets im Überfluß hat: der Sentimentalität. Sie allein macht es verständlich, daß Ästheten, die aus Lebensüberdruß Gift nehmen könnten, weil es grün ist, und die einen Pavian um den roten Hintern beneiden, manchmal drauf und dran sind, die Farbe, die bisher nur ihr Auge befriedigt hat, auch zu bekennen. Diesen politischen Zwischenstufen zuliebe ist der »Pan« gegründet worden, und wenn man schon glaubte, alle Sozialästheten würden sich wie ein Heinrich Mann erheben und fortan nach seinen Gedanken handeln, die an der Oberfläche sind und doch tief unter seiner Form, – so erschien ein offener Brief an Herrn v. Jagow. Er war die Antwort auf einen geschlossenen. Herr v. Jagow hatte sich der Frau Durieux »außergesellschaftlich« nähern wollen. Man denke nur, welchen Eindruck das auf Herrn Kerr machen mußte, dessen Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung sich in dem Worte »Ecco« erschöpft, wozu aber, wenn er gereizt wird, in der Parenthese noch die treffende Bemerkung »Es ist auffallend« hinzutreten kann. Herr Harden hätte in solchem Falle vom Leder gezogen, das heißt er hätte den Feind dieses riechen lassen statt des Gewehrs. Herr Kerr begann fließend zu stottern, teilte den Polizeipräsidenten in sechs Abteilungen und fühlte sich aristophanisch wohl. Herr Cassirer, der am Skandal und am Geschäft beteiligte Verleger, duldete still. Und der Fall wurde zum Problem, wie viel Aufsehen man in Deutschland mit schlechten Manieren machen kann. Gewiß, man muß von modernen Literaten nicht verlangen, daß sie die Qualität einer Schauspielerin eher in der Fähigkeit erkennen, sich eine außergesellschaftliche Annäherung gefallen zu lassen, als in dem Ansehen, das sie als Hausfrau eines Kunsthändlers genießt. Gewiß, man mag es hingehen lassen, daß ein moderner Impressionist über die Psychologie der Schauspielerin so korrekt denkt wie ein Schauspieler, der ja der Erotik zumeist als Mitglied der deutschen Bühnengenossenschaft gegenübersteht. Aber man muß über die Promptheit staunen, mit der hier – jenseits des Problems der Theaterdame – die allerordinärsten Abfälle des Moraldogmas aufgegriffen wurden, die die Hand des Bürgers davon übriggelassen hat. Und daß hier die laute Entrüstung einem Geschäft helfen sollte, da die stille nur der Ehre Vorteil gebracht hätte, macht den solid bürgerlichen Eindruck der Angelegenheit vollkommen. Fast könnte man fragen, ob Herr v. Jagow dem »Pan« durch die Unterlassung der Annäherung an Frau Durieux nicht mehr geschadet hätte, als durch die Konfiskation der Flaubert-Nummer, und der Ausruf auf der Friedrichstraße: »Der Polizeipräsident hat meine Gattin beleidigt. Sensationelle Nummer des »Pan'! – legt die Erwägung nahe, ob man in solchen Ehrenhändeln dem Störer des ehelichen Friedens nicht prinzipiell zwei Kolporteure ins Haus zu schicken hat. Herr Cassirer hatte zwar schon durch einen Rittmeister Aufklärungen empfangen und »seinerseits« die Sache für erledigt erklärt; er hatte aber »keinen Einfluß« auf die Entschlüsse der Redaktion. Deutsche Verleger sind gegenüber den Geboten ihrer Redakteure vollkommen machtlos und gegen einen ausbeuterischen Angestellten helfen ihnen bekanntlich weder die Gerichte noch können sie selbst mit dem Komment in der Hand einen Privatwunsch durchsetzen. Die Redakteure des »Pan« waren nicht davon abzuhalten, einen Eingriff in das Familienleben ihres Verlegers zu begehen. Zwar hat Herr Cassirer zugegeben, eine Bemerkung des Herrn v. Jagow – »der »Pan« kann über mich schreiben, was er will« – habe ihn schließlich bestimmt, seine Redaktion gewähren zu lassen. Aber wenn er nach einer solchen ausdrücklichen Erlaubnis des Polizeipräsidenten sich schon nicht bewogen fühlte, Herrn v. Jagow zu schonen, so bleibt es immerhin verwunderlich, daß es dem »Pan« unbenommen blieb, über seinen eigenen Chef zu schreiben, was er wollte. Indes, es war nicht nur Naivität notwendig, um die Publikation zu rechtfertigen, sondern wahrlich auch, um sie zu veranlassen. Der Glaube an die Plumpheit des Herrn v. Jagow war plumper. Denn der Amtsmensch ist zwar ungeschickt genug, um seinen Besuch bei der Schauspielerin mit der Berufung auf sein Zensoramt harmlos zu machen, aber so ungeschickt, um sein Zensoramt als Besucher der Schauspielerin gefährlich zu machen, ist er nicht. So ungeschickt, es zu glauben, sind nur die Polemiker und die Verleger. Herr v. Jagow hat es schriftlich gegeben, um sich zu decken. Hätte er drohen wollen, so hätte er es mündlich gegeben. Ganz so dumm, wie die Journalisten es brauchen, sind die Machthaber nicht in allen Fällen; sie sind nur manchmal dumm genug, dem Verdacht, dem sie ausweichen wollen, entgegenzukommen. Wenn sie das Interesse für Theaterfragen zum Vorwand für erotische Absichten nehmen, so machen sie es anders, und wenn sie sich auf ihr Amt berufen, so wollen sie sich schützen, nicht preisgeben. So flink macht einer einem tüchtigen Verleger nicht den Tartuffe; er müßte denn von einem tüchtigen Verleger dafür bezahlt sein. Daß die Freundlichkeit der Dame, die Herrn v. Jagow auf der Probe kennen gelernt hatte, inszeniert war, muß man trotz der Pünktlichkeit des Aufschreis des gekränkten tüchtigen Verlegers nicht annehmen. Das ist nur in jenen Teilen der Friedrichstraße üblich, wo keine Zeitschriften feilgeboten werden. Aber daß das Maß dieser Freundlichkeit die Annäherung des Dritten nicht absurd erscheinen ließ, ist ebenso wahrscheinlich, wie es für eine Schauspielerin nicht unehrenhaft ist, daß sie zur Ansprache eines Polizeipräsidenten ein freundliches Gesicht macht. Es geht nicht an, die erotische Dignität und den erotischen Geschmack des Paares unter Beweis zu stellen, und darum kann Herrn v. Jagow nichts Schlimmeres vorgeworfen werden als Neugierde, wiewohl ihm auch die erwiesene Absicht auf eine Schauspielerin selbst die Todfeinde seines Regimes nicht ankreiden würden. Nur der Liberale trägt kein Bedenken, gegen den Tyrannen die Argumente des Muckers anzuführen, und was er Satire nennt, ist das mediokre Behagen über einen Zeremonienmeister, der durch eine Orangenschale zu Fall kommt. Und antwortet man ihm, daß man Schutzmannsbrutalitäten verabscheuen und gleichwohl das Gewieher über den ausgerutschten Präsidenten verächtlich finden kann, so wird das Maul, das bisher nur »etsch« sagen konnte, frech über alle Maßen. Herr Kerr nennt jetzt jeden, der »noch behauptet, er habe einen Privatbrief öffentlich behandelt«, und jeden, der »noch behauptet, er habe unbefugt eine völlig beigelegte Sache der Öffentlichkeit übergeben, einen Halunken«, und der »Pan« setzt seine Bemühungen, sich interessant zu machen, fort. Herr Cassirer, der nur noch am Geschäft Beteiligte, duldet still. Ich will dem aufgeregten Feuilletonisten, der schon vergebens bemüht war, den Schleier vom Vorleben des Herrn v. Jagow wegzuzupfen, die Freude an keiner seiner neuen »Feststellungen« verderben. Er verspricht zu kontrollieren, welche Blätter sie ihm unterschlagen werden, und es ist zu hoffen, daß alle so klug sein werden, sie ihm nachzudrucken. Denn kein Angriff vermöchte die Miserabilität der Angelegenheit besser zu entblößen, als diese Verteidigung. Ich möchte Herrn Kerr den Rat geben, sein Geschrei zu verstärken und auch noch denjenigen einen Halunken zu nennen, der ihn beschuldigt, Herrn v. Jagow die goldene Uhr gestohlen, oder seine Tante Friederike Kempner geschlachtet zu haben. Je mehr Leute, die grundlose Behauptungen aufstellen, er Halunken nennt, desto besser lenkt er die Aufmerksamkeit von den gegründeten ab und dem »Pan« zu. Denn ob Herr Kerr »befugt« oder nicht befugt war, im »Pan« etwas zu veröffentlichen, hat er mit seinem Verleger auszumachen, und ob er diesem die Erlaubnis abgeschmeichelt oder abgetrotzt hat, ist eine Sache, die die Öffentlichkeit nicht sonderlich interessiert. Ob Herr Kerr eine Affäre, die der Ehegatte beigelegt hatte, ausweiden durfte, hat er mit dem Ehegatten auszumachen. Wesentlich allein ist, daß dieser nichts dagegen einzuwenden hat. Nicht wesentlich zur Beurteilung der Ethik des Herrn Kerr, aber zur Beurteilung des Falles. Nicht ob Herr Kerr tut, was ihm vom Verleger-Gemahl erlaubt oder verboten ist, sondern ob dieser erlaubt oder verbietet, ist relevant. Dieser hat sich, so versichert Herr Kerr, bei der Erledigung der persönlichen Affäre zwischen ihm und dem ehestörenden Herrn v. Jagow »nachdrücklich« die Verwertung des »politischen Charakters der Angelegenheit« durch Herrn Kerr vorbehalten. Das heißt, er »hat sich zwar gegen die Veröffentlichung des Angriffs im »Pan«, weil er dessen Verleger ist, gesträubt – keineswegs aber gegen seine Veröffentlichung überhaupt«. Man muß zugeben, daß eine bessere Verteidigung eines Mannes, der beschuldigt wird, die Beleidigung seiner Frau zur Hebung seiner Halbmonatsschrift verwendet zu haben, gar nicht gedacht werden kann. Herr Kerr sagt, daß ihm etwas erlaubt war. Herr Cassirer hat bei den ritterlichen Verhandlungen mit Herrn v. Jagow ausdrücklich das staatsgrundgesetzliche Recht des Herrn Kerr, zu denken und zu schreiben, was er will, gewahrt. Dagegen, daß es im »Pan« geschehe, hat sich Herr Cassirer gesträubt. Aber dann hat er's doch zugelassen. Es ist nun wohl denkbar, daß bei der ritterlichen Austragung Herr v. Jagow die Gedankenfreiheit des Herrn Kerr, gegen die Herr Cassirer nichts ausrichten zu können beteuerte, anerkannt hat. Aber es ist immerhin zu bezweifeln, ob er die Austragung noch als ritterlich akzeptiert hätte, wenn der Gegner sich die Verwertung im eigenen Blatt vorbehalten oder ihm auch nur gesagt hätte: Herr v. Jagow, auf Ehre, Sie sind ein Ehrenmann, ich bin jetzt davon durchdrungen, daß Sie meine Frau nicht beleidigt haben. Aber, auf Ehre, ich hab da eine etwas wilde Redaktion und beim besten Willen kann ich es nicht verhindern, daß zum Quartalswechsel so etwas hineinkommt wie, daß Sie doch meine Frau beleidigt haben ... Hätte sich Herr Cassirer mit Herrn v. Jagow geschlagen, so böte immerhin die Möglichkeit, daß die Gegner unversöhnt schieden, eine Entschuldigung. Aber er hat sich ausgeglichen, versichert selbst im »Pan«, sein persönlicher Zwist zwischen ihm und Herrn v. Jagow sei »völlig beigelegt«, verspricht, auf »den zwischen uns erledigten Fall« nie mehr zurückzukommen – dazu würden ihn auch »keinerlei Angriffe bewegen« –: und läßt Herrn Kerr seine nachträgliche Forderung präsentieren. Denn Herr Kerr »sei befugt, die Angelegenheit öffentlich zu behandeln.« Es ist so albern und klingt so gentlemanlike, daß man sich fragt, ob es nicht doch vielleicht einen Komment gibt, der dem Beleidigten ausdrücklich gestattet, nachdem er volle Genugtuung erholten hat, den Gegner zwar nicht selbst anzuspucken, aber es durch einen Dritten besorgen zu lassen. Ecco. Herr Kerr nennt das Ganze einen »ethischen Spaß«. Ich nenne es eine völlig humorlose Unsauberkeit. Und für den Fall, daß Herr Kerr mich deshalb einen Halunken nennen sollte, behalte ich mir nachdrücklich das Recht vor, den politisch-persönlichen Charakter seiner Affäre so eingehend zu besprechen, daß ihm einige Parenthesen wackelig werden könnten. Bis dahin hat er die käsigste demokratische Gesinnung auf seiner Seite. Auch die Politiker in Schönheit, die sich der Geste freuen, welche einem Machthaber auf den Hosenlatz weist, mögen die Schlacht für gewonnen halten. Zu bald aber dürfte die Ansicht populär werden, daß es der Ästheten nichts hilft, wenn sie sich durch schlechte Manieren einer guten Sache würdig erweisen wollen. Die Kultur, die auf Old Stratford-Papier arbeitet, versagt bei Gelegenheiten, wo manch ein deutscher Kommis seinen Mann stellt. Nur im Geschäft ist sie ihm über. Pan war der Sohn des Hermes. Dieser aber ist ein Handelsgott und heißt jetzt Cassirer.

Der kleine Pan röchelt noch

Man sollte meinen, daß von Kultur erst dort die Rede sein könne, wo die Frage der Zimmerreinheit geklärt ist. Was nützen uns die schönen Künste des Spitzes, wenn die Hose leidet? Ecco. Darüber gibt's keine Debatte, und wenn das demokratische Gefühl in den beteiligten Kreisen hier die Politik ausspielt, so liegt insoferne ein bedauerliches Mißverständnis vor, als durch Politik höchstens die Freiheit vom Maulkorb erstrebt werden kann, nie aber das Recht, zu stinken. Ein anderes Mißverständnis liegt in der Entrüstung darüber, daß man einem Genius wie Herrn Alfred Kerr imputieren wolle, er habe Unsauberkeiten begangen, um das Geschäft einer Halbmonatsschrift zu heben. Da die Halbmonatsschrift nicht Herrn Kerr gehört, so dürfte keiner von den vielen, die sich bei dieser Begebenheit die Nase zuhielten, Herrn Kerr für den Cassirer der Sensation gehalten haben. Der Fall liegt schlimmer. Herr Kerr tat wie Herr Harden, aber aus reinen Motiven. Er hat eine ungeistige Aktion aus Überzeugung vertreten. Er reicht an die Beweggründe des Herrn Harden nicht heran. Um eine schlechte Sache zu führen, muß man ein guter Politiker sein. Herr Kerr ist nur das Opfer seines politischen Ehrgeizes. Herr Harden ist für eine Unanständigkeit verantwortlich; er weiß, daß es im Leben ohne ethische Betriebsunfälle nicht abgeht, und die Kollegen von der Branche können darüber streiten, ob er zu weit gegangen ist. Herr Kerr aber hat einen geistigen Horizont entblößt, der so eng ist, daß ihm nur eine Unanständigkeit zur Erweiterung hilft, und wäre es selbst eine, die er sonst erkennen würde. Er ist der Typus, der seine Gehirnwindungen als Ornament trägt und, da ein Muster der Mode unterworfen ist, keinen Versuch der Renovierung scheut. Die verzweifelte Sehnsucht, von der Nuance zur Tat zu kommen, macht den blasiertesten Artisten wehrlos vor Devisen wie: Alle Menschen müssen gleich sein, Per aspera ad astra oder J'accuse. Die Linie, die durch die feinsten Schwingungen und apartesten Drehungen nicht populär wird, gibt sich einer Perspektive preis, in der sie als Fläche wirkt. Das Problem des Ästheten – Herr Kerr ist einer, und mögen ihn noch linearere Naturen um seine Raumfülle beneiden – ist von Nestroy mit unvergeßlichen Worten umrissen worden. »Glauben Sie mir, junger Mann! Auch der Kommis hat Stunden, wo er sich auf ein Zuckerfaß lahnt und in süße Träumereien versinkt; da fallt es ihm dann wie ein fünfundzwanzig Pfund-Gewicht aufs Herz, daß er von Jugend auf ans G'wölb gefesselt war, wie ein Blassel an die Hütten. Wenn man nur aus unkompletten Makulaturbüchern etwas vom Weltleben weiß, wenn man den Sonnenaufgang nur vom Bodenfenster, die Abendröte nur aus Erzählungen der Kundschaften kennt, da bleibt eine Leere im Innern, die alle Ölfässer des Südens, alle Heringfässer des Nordens nicht ausfüllen, eine Abgeschmacktheit, die alle Muskatblüt Indiens nicht würzen kann.« Mit einem Wort, auch der Feuilletonist hat Stunden, wo er sich nach dem Leitartikel sehnt. »Der Diener ist der Sklav' des Herrn, der Herr der Sklav' des Geschäfts«, sagt einer, der dem Prinzipal wohl geholfen, aber von dem Handel nichts profitiert hat. Und: »Wenn ich nur einen vifen Punkt wüßt' in meinem Leben, wenn ich nur von ein paar Tag' sagen könnt': da bin ich ein verfluchter Kerl gewesen. Aber nein! Ich war nie ein verfluchter Kerl. Wie schön wär' das, wenn ich einmal als alter Handelsherr mit die andern alten Handelsherren beim jungen Wein sitz' ... wenn ich dann beim lebhaften Ausverkauf alter Geschichten sagen könnt': Oh! Ich war auch einmal ein verfluchter Kerl! Ein Teuxelsmensch! Ich muß – ich muß um jeden Preis dieses Verfluchtekerlbewußtsein mir erringen! ... Halt! Ich hab's! ... Ich mach' mir einen Jux! ... Für die ganze Zukunft will ich mir die kahlen Wände meines Herzens mit Bildern der Erinnerung schmücken. Ich mach' mir einen Jux!« Einen Jux will er sich machen, der Weinberl. Einen ethischen Spaß nennt es der Herr Kerr. Er will einmal beim lebhaften Ausverkauf alter Geschichten sagen können: Oh! Ich war ein verfluchter Kerr! ... Er habe ja nicht auf das Pathos des Moralphilisters spekuliert. Aber der ethische Spaß lebt von der Heuchelei so gut wie das moralistische Pathos, und es gehört schon ein tüchtiges geistiges Defizit dazu, zu glauben, es sei kulturvoller, durch die Enthüllung eines hochgestellten Lasters das Gewieher des Bürgers herauszufordern, als seine Wut. Als ob in erotischen Situationen eine Heiterkeit möglich wäre, wenn's kein Ärgernis in der Welt gäbe, als ob Schwankfabrikanten nicht rückwärts gekehrte Mucker wären und die Zote nicht das Widerspiel, das widrige, der Zensur. Ein Überzensor, der Herrn von Jagow kontrolliert hätte, wäre weit sympathischer als dieser Pan, der ein Bocksgelächter anschlug, aber nur gleich dem Sohn des Hermes blinden Lärm erzeugte. Es ist die Sehnsucht nach dem Leitartikel. Denn im Leitartikel wird eine Tat getutet, während im Feuilleton nur eine Tüte gedreht wird. Ob es nun für den »Tag« zizerlweis oder für die »Königsberger Allgemeine« in einem Zug geschieht. Ich halte die Enthüllung, daß die rechte Hand des Herrn Kerr nicht weiß wie die linke schreibt, allerdings für eine Enthüllung des Herrn Kerr, wiewohl ich ihrer nicht bedurft und ganz genau gewußt habe, daß unter den impressionistischen Fetzen ein gesunder Plauderer steckt. Ich halte die Entschuldigung, die die tölpelhaften Helfer des Herrn Kerr vorbringen, der Stil ergebe sich aus dem Gegenstand, der behandelt wird, für ein Malheur. Denn es ist auffallend, würde Herr Kerr in Parenthese sagen, und es ist monströs, würde ich fortsetzen, daß sich die organischen Notwendigkeiten so genau an die redaktionellen Verpflichtungen halten, und daß einer, der in Berlin mit dem Matchiche Furore macht, in Königsberg so gut Polka tanzt. Freilich würde ich hinzufügen, daß ich an den Matchiche nie geglaubt habe, und daß es wirklich gehupft wie gesprungen ist, wie diese Tänzerischen (die ein Echo von Nietzsche in eine Verbalinjurie verwandeln) das Tempo ihres Lebensgefühls nehmen. Takt halten sie in keinem Fall. Was aber ferner auffällt, ist, daß die Arbeitseinteilung des Herrn Kerr seinen Verehrern nicht auffällt, ja, daß sie fortfahren, seine oszillierenden Banalitäten, die vor dem kategorischen Imperativ von Königsberg sofort zur Ruhe kommen und als Zeitungsgedanken agnosziert werden, im Munde zu führen und als »fanalhafte Symptome der aufregenden Herrlichkeit dieses Künstlers« zu empfehlen. Wenn Herr Kerr in Königsberg »die Seligkeit, die Seligkeit, die Seligkeit des Daseins« preisen wollte, würde sie ihm zweimal gestrichen werden, und mit Recht. Denn wenn er es einmal tut, ist es bloß keine Weltanschauung, aber wenn er es dreimal tut, ist es bloß eine schmalzige Stimme. Ich glaube, daß man sich da auf mein Ohr verlassen kann. Auch habe ich wohl ein Gefühl für die Abhängigkeiten des Stils, den nicht nur der »Gegenstand« bedingt. Zum Beispiel bin ich selbst schon in der nämlichen Minute von einer Apokalypse zu einem Hausmeistertratsch hinuntergestiegen. Aber ich lasse mich hängen, wenn nicht eine Blutuntersuchung die Identität ergibt. Und wenn sie nicht bei den Kontrasten des Herrn Kerr die Nullität ergibt, jene, die eine Verwandlung auf technischem Wege ermöglicht. Meine Verehrer, die mich nur halb so gut verstanden wie verehrt haben, müßten dies einsehen, und sie dürften mir nicht abtrünnig werden, weil sie es nicht einsehen. Wenn mir aber ein Weichkopf, der Absynth noch immer für einen ganz besondern Saft hält und von der Unentbehrlichkeit des Montmartre überzeugt ist, »Austriazismen« vorwirft, so muß ich mich in die Resignation flüchten. Denn mein Stil wimmelt nicht nur von Austriazismen, sondern sogar von Judaismen, die jenem nur nicht aufgefallen zu sein scheinen, mein Stil kreischt von allen Geräuschen der Welt, er kann für Wien und für den Kosmos geschrieben sein, aber nicht für Berlin und Königsberg. Es schmerzt mich ja, daß ich so vielen Leuten den Glauben an mich nehme, weil ich ihnen den Glauben an andere nehmen muß. Aber war es schon bei Heine unerläßlich, so muß ich auf die Anbetung vollends verzichten, wenn sie von der Duldung einer Kerr-Religion abhängen soll. Selbst die einfältigsten unter meinen ehemaligen Verehrern (jene, die imstande sind, zugleich zu sagen, daß ich ein nationales Ereignis bin und daß ich mich schämen soll; die Herrn Kerr den einzigen ebenbürtigen Kritiker nennen, der es wagen dürfte, mich zu stellen, und dann behaupten, die Nennung meines Namens in seiner Nähe sei mir zu Kopf gestiegen), selbst solche müßten doch vor der Freiwilligkeit meines Angriffs stutzig werden und sich überlegen, ob es nicht endlich an der Zeit wäre, sich statt über mich über Herrn Kerr aufklären zu lassen. Denn meine Beweggründe sind auch nicht zu verdächtigen. Ich bin weder ein »Schlechtweggekommener« noch ein »verhaltener Dyspeptiker«, Herr Kerr hat sich immer sehr freundlich gegen mich benommen und ich habe ihm gegenüber stets einen guten Magen bewährt. Ferner hätte ich allen Grund, das Odium gewisser Bundesgenossenschaften zu fliehen und die Zustimmung von Leuten zu meiden, mit denen man nur darin ein Urteil gemeinsam haben möchte, wenn sie es einem ohne Angabe der Quelle abdrucken, von solchen, die Herrn Kerr Stil-, Moral- und Urteilswechsel nur deshalb vorwerfen, weil sie keinen Stil, keine Moral und kein Urteil zu wechseln haben. Wenn die starke Hemmung, auf einer Schmiere des Geistes auch nur ein Extempore abzugeben, mich nicht halten konnte, dann war die Lust wohl größer. Nicht die, die literarische Persönlichkeit des Herrn Kerr für einen Irrtum büßen zu lassen, sondern den Zusammenhang zwischen Tat und Stil zu beweisen. Nicht ihn wie einen Holzbock aus dem Schlafzimmer zu jagen oder wie einen Harden aus dem Geschäft, sondern die Schnüffelei als Erlebnis zu erklären, den Skandal als den Tatendrang eines von den Ereignissen ausgesperrten Feuilletonisten. Herr Alfred Kerr ist nicht unwürdig, in ein geistiges Problem bezogen zu werden. Die kulturelle Niedrigkeit dieser Sensation ist nicht in dem Mittel, sondern in dem Zweck begründet, den man Herrn Kerr erst einräumen muß, um zur Geringschätzung zu gelangen. Die antikorruptionistische Absicht des Mannes, nicht die Skandalsucht macht ihn primitiv. Denn das ist der Fall Kerr: die geistige Belanglosigkeit des Jagow'schen Vergehens und der Eifer, mit dem sich ein Komplizierter auf der Tatsachenebene zu schaffen macht. Und da ihm Herr O. A. H. Schmitz, ein Mann, der in einem schlechten Feuilleton nie seine gute Erziehung vergißt, also immerhin ein Sachverständiger für die »Pan«-Affäre, Vorwürfe zu machen beginnt, antwortet Herr Kerr bitter, daß man schließlich »noch die Kreuzigung eines wirklichen Heilands oder die französische Revolution« pathosfrei und weltmännisch betrachten werde. Er ist ein Fanatiker. Er scheint von seiner Mission, dem Herrn v. Jagow Absichten auf Frau Durieux nachzuweisen, so erfüllt, von dem umwälzenden Erlebnis, eine Unregelmäßigkeit im Polizeipräsidium entdeckt zu haben, so erschüttert zu sein, daß ihm Nuancen nicht mehr auffallen. Der Unterschied zwischen der französischen Revolution und der Verwertung des Briefes des Herrn v. Jagow ist nämlich bloß der, daß man nicht Aristokrat sein muß, um das spätere Ereignis zu mißbilligen. Ekstatiker übersehen dergleichen. Je länger sie beschaulich gelebt haben, um so dringender verlangen sie zu wirken. Sie wollen für ihr Tun auch leiden; sie wollen aber nicht mißverstanden werden. Die Reinheit des Glaubens ist außer Zweifel; mißverstanden wird höchstens das vielfach punktierte und verklammerte Bekenntnis. Dafür war mir die vorhergehende Stelle ganz klar: »Wenn Schmitz auch nicht durch hervorragenden Scharfsinn ausgezeichnet ist, plaudert er doch geschmackvoll, umgänglich und scheut keine Anstrengung, einen leicht abgeklärten Eindruck zu ertrotzen«. Ein Satz, der immerhin auch für das Plaudertalent des Verfassers zeugt und ganz gut in Königsberg gedruckt werden könnte. Ich kenne Herrn Kerr noch aus der Zeit, wo er Wert darauf legte, daß auch in Breslau Subjekt und Prädikat an rechter Stelle standen. Schon damals, wo die Welt der Erscheinungen sich ihm noch nicht nuanciert hatte, gelüstete es ihn nach einer Tat. Er beschuldigte den alten Tappert, den ernstesten Musiklehrer Berlins, den Hunger dazu getrieben hatte, sich als Kritiker bei Herrn Leo Leipziger zu verdingen, dieses »Amt« zur Erteilung von Privatstunden an Sänger mißbraucht zu haben. Der Kritiker hatte schon früher unterrichtet, und berühmte Sänger, die seinen Tadel nicht fürchten mußten, konnten seinen Rat brauchen. Der Greis, den die Ranküne der Fachgenossen in die Klage hineingetrieben hatte, weinte im Gerichtszimmer, und der Antikorruptionist erreichte, daß Herr Leipziger eine Gage ersparen konnte. Tragisch ist, als Einzelfall nicht für den typischen Übelstand, sondern für die Geistlosigkeit des Enthüllers geopfert zu werden. Mir war es Beruf, mich mit Einzelfällen abzugeben, und noch im Mißgriff der Person verfehlte ich die Sache nicht. Den Irrtum berichtigte die Leidenschaft. Herr Kerr, der sich zum Kampf gegen die Korruption von Fall zu Fall entschließen mußte, hat keinen Zusammenhang mit seinen Wahrheiten. Er ist ein Episodist, während Herr Harden kein Heldenspieler ist. Er will sich nur Bewegung machen, er schwingt Keulen, damit das ästhetische Fett heruntergeht. Theaterkritik ist eine sitzende Beschäftigung. Man sieht im Zwischenakt den Zensor mit der Salondame sprechen und ruft J'accuse. Es entsteht eine kleine Panik und man beruhigt sich wieder. Es jaccuselt im Feuilleton schon die längste Zeit. Und wird einer, der den Mund zu weit aufgemacht hat, niedergezischt, so sind sofort die Claqueure da, die die eigene Sache mit der fremden Sache und die persönliche mit der allgemeinen verbinden, zwischen den Herren Harden und Kerr gegen mich entscheiden und anarchisch die entstehende Verwirrung zu einem Schüttelreim benützen möchten. Als dem beschädigten Herrn Harden Dichter zu Hilfe eilten, als ihr gutes Recht auf Kritiklosigkeit von einer Zeitschrift mißbraucht wurde, nannte Herr Kerr diese ein Schafsblatt. Pan ist der Gott der Herden, und Herr Kerr verzeichnet liebevoll, was jetzt den Leithammeln nachgeblökt wird. Wenn ich besudelt werde und von denen, die mich vergöttert haben, so ersteht mir kein Helfer unter jenen, die es heute noch tun. Das ist nicht unerträglich. Die polemische Unfähigkeit des Herrn Kerr bedarf der Stütze. Daß sie sie eben deshalb nicht verdient, weil sie ihrer bedarf, geht den Helfern nicht ein. Herr Kerr, der jene zu züchtigen versprach, die seine Feststellungen verschweigen wollten, verschweigt meine Widerlegungen. Er begnügt sich mit einem Argument, das ihm ein Geist zur Verfügung gestellt hat, unter dessen Schutz keine Schlacht gegen mich zu gewinnen ist. Aber so leicht will ich ihm das Leben nicht machen. Wenn er schon wie ein Harden reden kann, durch die Fähigkeit, wie ein Harden zu schweigen, wird er seine Anhänger nicht enttäuschen wollen. Es geht denn doch nicht an, daß man auf einem sorgsam vorbereiteten Terrain nicht erscheint, den Gegner, den weder unsaubere Motive noch ein ehrloses Vorleben noch Namenlosigkeit kampfunwürdig machen, glatt im Stiche läßt und die Zuschauer nach Hause schickt. (Es ist auffallend). Herr Kerr zitiert drei Zeilen und Herr Cassirer stellt Strafantrag gegen den Berliner verantwortlichen Redakteur der »Fackel«. Die Arbeitsteilung ist im Stil der Affäre. Herr Kerr hat dem Herrn Cassirer bestätigt, daß er sich gegen die Veröffentlichung gesträubt habe, und Herr Cassirer dem Herrn Kerr, daß er zur Veröffentlichung befugt gewesen sei. Ich bin aber unduldsamer als Herr v. Jagow. Ich bestehe Herrn Kerr gegenüber auf dem Rendezvous, zu dem ich ihn mit Berufung auf mein Zensoramt geladen habe, und was die Ehre des Herrn Cassirer anlangt, so muß ich es freilich ihm als Geschäftsmann überlassen, zu entscheiden, ob durch eine Fortsetzung der Sensation im Gerichtssaal für den »Pan« noch etwas herauszufetzen ist. Nur möchte ich ihn bitten, den Berliner verantwortlichen Redakteur, der den Angriff vielleicht später gelesen hat als er selbst, aus dem Spiele zu lassen und mit mir vorlieb zu nehmen. Ich will auch vor einem Berliner Gericht verantwortlich sein und verspreche, daß ich mich gegebenenfalls auch als österreichischer Staatsbürger den Folgen eines Freispruchs nicht entziehen werde. Was die Helfer betrifft, so gebe ich ihnen eines zu bedenken. Das Café des Westens ist ein geistig schlecht ventiliertes Kaffeehaus. Ich könnte da ein bißchen Luft einlassen und würde dabei auf die Erhitzung der Stammgäste keine Rücksicht nehmen. Sie mögen sich den Schmerz darüber, daß ich ihrem Glauben an Herrn Kerr abtrünnig wurde, nicht zu sehr zu Herzen nehmen, und wenn sie nicht anders können, sich im Ausdruck mäßigen und nicht das Problem der Zimmerreinheit, das durch die Affäre selbst berührt wurde, noch mehr verwirren. Ich verlange nicht Verehrung, aber anständiges Benehmen. Sie mögen bedenken, daß mir meine polemische Laune nicht so leicht zu verderben ist, denn während andere Polemiker sich dadurch beliebt machen, daß ihnen der Atem ausgeht, regt mich das Fortleben meiner Objekte immer von neuem an. Sie mögen bedenken, daß ich die Großen bis zu den Schatten verfolge und auch dort nicht freigebe, aber auch schon manchem kleinen Mann den Nachruhm gesichert habe. Das kommt davon, daß mir die, welche ich treffe, nur Beispiele sind, und die, welche ich gestalte, nur Anlässe. Über den Verlust des Herrn Kerr, dem solche Willkür nicht zur Verfügung steht und dem nicht Phantasie die polemische Potenz erhöht, müssen sie sich trösten. Sie müssen endlich aufhören zu glauben, daß auch nur eine der nachkommenden Generationen, und machte man selbst den Versuch, die Säuglinge der Zukunft mit Absynth aufzuziehen, sich auch nur eine Stunde lang erinnern wird, daß um 1910 in Berlin Leute gelebt haben, die sich für Tänzer hielten, weil sie nicht gehen konnten, in die Aktion flüchteten, weil ihnen die Persönlichkeit ausging, und zwischen Kunst und Leben sich mit Psycholozelach die Zeit vertrieben haben. Wenn diese vorbei ist und sich meine Satire nicht erbarmt, kommt nichts dergleichen auf die Nachwelt! Und was sind denn das für Helden, die mir vor der Nase herumfuchteln, wenn ihr Heiland der Polemik gegen einen Polemiker die gegen einen Polizisten vorzieht? Man ist über ihre Herkunft informiert. Als Gott einen Mann namens Pfemfert erschuf, vergriff er sich und nahm zu viel Lehm. Kopf und Kehle wurden voll davon. Der Mensch hustete: Pf ... mpf ... t. Und Gott ward unmutig und sprach: Heiße fortan so! ...Zur Ehre des damals an die falsche Seite Verirrten sei festgestellt, daß er inzwischen wiederholt und nachdrücklich den Irrtum bekannt und – in der »Aktion« (XVIII 2/3) – jene »Rettungsaktion für Herrn Kerr« bereut hat, die, »als Karl Kraus ihn beinahe völlig niedergeboxt hatte«, erfolgreich durchgeführt worden sei, »daß der Fasterledigte sich allmählich wieder an die Öffentlichkeit wagen durfte«, Er wird bald wieder in den Zustand zurückfinden, aus dem er gerettet wurde. Und das sind meine Gegner! Ich habe zu viel Odem bekommen, ich blase sie weg. Noch ein Wort, und es könnte ein Südwind gehen, daß sie Herrn Alfred Kerr von einem Journalisten, Herrn Cassirer von einem Verleger und den Montmartre vom Kreuzberg nicht unterscheiden!

Der kleine Pan stinkt schon

So ward die Hyäne zum Aas. Es konnte nicht anders kommen. Der Weg in das Schlafzimmer eines Hochgestellten ist immer die ultima ratio einer verzweifelnden Administration. Ich werde diesen sterbenden Blick nicht vergessen. Aber nur kein Mitleid! Die rechtschaffenen Hyänen gehen auf den toten Krieger. Die literarischen auf das Privatleben eines Polizeidirektors. Aus solchem Leben erhoffte sich ein ästhetischer Schlemihl Bereicherung, das nannte er Tat, das war die politische Gebärde, auf die es jetzt alle abgesehen haben, die bisher ihre Zeit damit verbrachten, für die letzten Dinge einer Tänzerin die Formel zu suchen. Wer aber beschreibt die Wut des Verlegers, der seine ganze Hoffnung auf den Konkurs dieser Weltanschauung gesetzt hat? Zu spät erkennt Herr Cassirer, der sich mit den Nuancierten einließ, daß die Sexualräumerei heute nur von einem handfesten Harden mit vorübergehendem Erfolg zu leisten ist. Der weiß, durch welches Schlüsselloch man zu schauen hat, hinter welcher Gardine man sich versteckt und wie man, wenn die erweisliche Wahrheit sich rentiert hat, mit Anstand verduftet. Herr Kerr verrät sich durch ein vorzeitiges »Hähä«. Er ist zu kindisch. Erwischt man ihn, sagt er, er habe sich einen ethischen Spaß machen wollen. Aber diese Sorte von ethischen Spaßmachern, die zu lachen beginnen, wenn sie bei einer unethischen Handlung betreten werden, ist schon die richtige. Jungen, die in fremdem Garten Kirschen pflücken, haben auch ein Erlebnis, aber behaupten nicht, daß der Geist endlich den Weg zur Tat gefunden habe. »Ecco:« das ist bloß eine lange Nase. Ecco: das ist auch die Rechnung, die man in italienischen Gegenden präsentiert bekommt, wenn man so unvorsichtig war, sich mit einer Donna in ein Gespräch zu begeben. Auf Herrn Kerr paßt es zwar nicht, denn er zieht keinen Vorteil aus dem Handel, und Herr Cassirer sagt wieder nicht ecco. Dagegen sind beide Herren fest entschlossen, aus dem Geschäft, das nach gegenseitiger Bestätigung ihrer Unverantwortlichkeit zustandekam, mit allen bürgerlichen Ehren hervorzugehen. Das wird ihnen nicht gelingen. Auch dann nicht, wenn sie von einem Prozeß gegen mich abstehen. Diesen Prozeß habe ich mir nämlich frei erfunden. Zwar hat mir die Berliner Verlagsstelle der »Fackel« telegraphisch mitgeteilt, Herr Cassirer habe Strafantrag gegen den verantwortlichen Redakteur der »Fackel« in Berlin gestellt; zwar war sie zu diesem vermessenen Glauben berechtigt durch das wiederholte Erscheinen eines Kriminalbeamten, der mit dem Heft in der Hand, das die Beleidigung enthielt, technische Aufklärungen verlangte und sich nach dem Wohnort des verantwortlichen Redakteurs erkundigte; zwar wurde die Untersuchung auch bei diesem fortgesetzt und eine Vorladung erlassen; zwar hatte der Anwalt des Herrn Cassirer das Heft bestellt; zwar haben Berliner und Breslauer Tagesblätter detailliert berichtet, daß Herr Cassirer Strafantrag gestellt habe und durch welche Behauptung er sich beleidigt fühle. Trotzdem könnte es möglich sein, daß Herr Cassirer nicht etwa seine Absicht oder seine Anzeige zurückgezogen, nicht etwa die Staatsanwaltschaft ihm den Dienst versagt hat, daß er nicht etwa jetzt den Fehlschlag für Zurückhaltung ausgibt und die Schwierigkeit von Erkundigungen vorschützt, sondern: daß er nie die Absicht gehabt, nie eine Anzeige erstattet hat und daß nur eine Häufung von Zufällen, die zeitliche Nachbarschaft irgendeiner andern Untersuchung, deren Tendenz bisher unbekannt ist, meinen Größenwahn genährt und mich in den Glauben getrieben hat, ich könnte die Kompagnie Cassirer-Kerr beleidigen. Das ist nun offenbar wirklich nicht möglich. Aber nicht, weil durch eine dicke Haut kein Messer geht, sondern weil ich an das Ehrenniveau der Kompagnie Cassirer-Kerr nicht heranreiche. Das ist eine wichtige tatsächliche Information. Es ist gut zu wissen, daß es nach der Jagow-Affäre noch ein Ehrenniveau der Kompagnie Cassirer-Kerr gibt. Man hätte es sonst vielleicht mit unbewaffnetem Auge und mit unbewaffneter Nase nicht wahrnehmen können. Und wenn wir nunmehr vor der Frage stehen, warum gerade ich, der doch noch nie mit einem Polizeipräsidenten etwas ritterlich ausgetragen und etwas über ihn veröffentlicht hat, gerade ich an dieses Ehrenniveau nicht hinanreiche, an das doch bald einer hinanreicht und jeder Herausgeber einer Berliner Großen Glocke hinanreicht, so finden wir im »Pan« die Antwort: Hähä! ... Weil ich bereits brachialen Attacken ausgesetzt war. Dieses Motiv meiner Unfähigkeit, auch nur im Gerichtssaal dem Herrn Cassirer Satisfaktion zu geben, wird nun von diesem oder von Herrn Kerr oder von dem Schreiberlehrling, der dort gehalten wird, in einer anonymen Notiz und in einer Art variiert, daß es gar nicht mehr der Jagow-Affäre bedarf, um Herrn Cassirer, Herrn Kerr oder den Schreiberlehrling, der dort gehalten wird, für ehrlos zu erklären. Die Berufung auf die Tat eines besoffenen Cabarettiers, den eine erste Instanz zu einem Monat Arrest und eine zweite nur unter Anerkennung der geminderten Verantwortlichkeit zu einer hohen Geldstrafe verurteilt hat; auf eine Schandtat, der Frank Wedekind, Hauptmitarbeiter des Herrn Cassirer, in einem offenen Brief an mich jeden mildernden Umstand versagt hat, ist eine so vollkommene Unappetitlichkeit, daß zu ihrer Erklärung kein ethisches Gebreste, sondern nur die Verzweiflung eines geistigen Debakels ausreicht. Wie wäre es sonst zu erklären, daß eine Zeitschrift, die zwar eingestandenermaßen zur Förderung der Kultur, aber doch nicht direkt zur Förderung des Plattenwesens gegründet wurde, sich solchen Arguments erdreisten und gegen einen Mann, der sich seinen Haß mit der Feder verdient hat, solche Revanche predigen kann. Wie könnte die Feigheit, die ihr Mütchen mit fremder und verjährter Rache kühlt, sich so hervorwagen, wie könnte eine Gesinnung, die meinen Speichel geleckt hat, um mir ihn ins Gesicht zu spucken, so unter die Augen deutscher Leser treten, wenn nicht die Reue über eine ungeistige Tat, die verwirrende Fülle der Niederlagen, das Bewußtsein der selbstmörderischen Wirkung jedes weiteren Wortes, das durchbohrende Gefühl eines Nichts, das mit eingezogenem Schweif in die Hütte kriecht, der Taumel der Erlebnisse, der einen Ästheten durch die Politik in die Luft riß, den Grad der Zurechnungsfähigkeit so herabgesetzt hätte wie bei einem volltrunkenen Cabarettier? Eine Ohrfeige kann ein literarisches Argument sein. Sie kann der geistige Ausdruck der Unmöglichkeit sein, eine geistige Distanz abzustecken, und ich habe es oft empfunden und gesagt, daß die Polemik ihre Grenze in dem Wunsch hat, statt der Feder das Tintenfaß zu gebrauchen. Luther, der schreiben konnte, ließ sich in der Polemik gegen den Teufel dazu hinreißen. Die Drohung mit der Faust kann ein Kunstwerk sein, und Herr Harden wird es mir bestätigen, daß ich das Wort Ohrfeige schon so gebraucht habe, als wäre es die erste, die in der Welt gegeben wurde, und als hätte nie zuvor ein Kutscher mit einem andern polemisiert. Die Berufung auf fremde Roheit ist unter allen Umständen der Beweis ohnmächtiger Büberei. Nie beruft sich ein Temperament auf die Prügel, die ein anderer gegeben hat, doch immer ein Schuft. Ich bedarf nicht des Beistands der deutschen Dichter, die diesem Pan zu Hilfe eilen, in dem Glauben, daß sie ihn noch lebendig machen können. Mögen sie ihren Namen für die Rundfragen jenes Demokratins mißbrauchen lassen, der seine Götter stürzt, wenn sie ihm keinen Nachdruck ihrer Aufsätze erlauben, der an mir Gotteslästerung begeht und für Herrn Kerr die Kastanien aus dem Dreck holt. Mögen die Literaten, die mir verehrende, nein »ehrfürchtige« Briefe schreiben, zu den Pöbeleien wie zu den Lügen schweigen, mit denen ein Schwachkopf seine Enttäuschungen motiviert. Mögen sie es glauben, daß ich Ansichtskarten mit meinem Porträt in einem Kaffeehause verkaufen ließ, glauben, daß diese Wahnvorstellung die Abkehr eines Nachläufers motivieren kann, der noch ein Jahr lang an meinem Namen schmarotzt hat. Ich brauche keine Hilfe und scheue kein Hindernis. Ich werde mit der ganzen Schweinerei allein fertig. Aber ich werde darauf achten, mit der pedantischen Zähigkeit, die mich zu einem so üblen Gesellschafter macht, darauf achten, wer dem Herrn Cassirer, dem Herrn Kerr oder dem dort gehaltenen Schreiberlehrling noch die Feder reicht. Ich werde mich unter Umständen nicht scheuen, manchem der Herren Dichter mit dem Hut in der Hand einen Fußtritt zu versetzen. Im Dichten nehm' ich's mit ihnen auf, aber sie nicht mit mir im Anspruch auf Sauberkeit. Nicht in der Fähigkeit, Distanz zu wahren. Ich dichte nicht Poesie, um es dann mit der Krätze zu halten. Ich mache aus der Krätze ein Gedicht und veranstalte Sympathiekundgebungen für die Poesie. Wollen sehen, wer's weiter bringt. Ich kann zur Not den Herrn Kerr gestalten, aber sie können ihn nicht verteidigen, wenn ihm etwas Menschliches passiert ist. Und seine menschliche Abwehr belastet ihn. Jedes Wort, das er spricht, wirft ihn um. Er wehrt sich nicht, weil ich ihn angreife, sondern ich greife ihn an, weil er sich wehrt. Wenn ihn meine Kraft geschwächt hat, so stärkt mich seine Schwäche. Das ist nun einmal das ewig unverrückbare Verhältnis zwischen der guten und der schlechten Sache. Ihre Vertreter kämpfen mit ungleichen Waffen, und recht hat der, der es sagen kann. Herr Kerr kann es nicht einmal stottern. Auch diese Fähigkeit habe ich ihm genommen. Früher, in seiner Glanzzeit, hätte er noch sagen können: Herr Kraus hat einen A ... a ... ar ... tikel gegen mich geschrieben. Es war nicht, wie's auf den ersten Blick scheint, gebrochenes, sonders gespieenes oder noch ein anderes Deutsch. Das hat in Berlin eine Zeitlang Aufsehen gemacht. Nun hat man erfahren, daß es in Königsberg fließend geht, und der Nimbus dieses Percy, der nur Stotterer, nie Heißsporn war, dieses Schreibers, der so schrieb, als ob er den Schreibfinger im Halse stecken hätte, ist dahin. Er war eine Qualle, die immerhin Farbe hatte. Auf den Lebensstrand geworfen, wird sie von mir zertreten. Grauere Schaltiere mögen sie bewundert haben und ihr nachweinen. Mollusken mögen über meine Grausamkeit klagen. Aber der Ozean ist groß und im Sturm vergehn die Ästheten. Herr Kerr hätte nicht an meinem Fuß kleben bleiben sollen. Und nicht in Fischers Aquarium lebendig werden, wo er die Worte hervorbrachte: »Und Karlchen Kraus, der neuerdings als Zwanzigpfennig-Aufguß von Oscar Wilde oder als Nietzscherl Heiterkeit fand, schwenkte die betropfte Fackel.« Das ist keine Antwort, das ist ein Schwächezustand. Auf den Preis kommt's nicht an, es gibt Revuen, die für zwei Mark fünfzig eine stinkende Langweile ausatmen. Eine betropfte Fackel bietet immer noch einen respektableren Anblick als ein befackelter Tropf. Und wiewohl ich von Nietzsche wenig gelesen habe, habe ich doch die dunkle Empfindung, daß ihm mein Tanz besser gefallen hätte als die Zuckungen eines tänzerischen Demokraten, und daß ein Nietzscherl immer noch ein Kerl ist neben einem ganzen Kerr. Polemik soll den Gegner um seine Seelenruhe bringen, nicht ihn belästigen. Seitdem Herr Kerr den Schreibfinger aus dem Hals gezogen hat und mir in der Nase bohren möchte, ist die Situation bedrohlich. Herr Kerr kennt mich ziemlich genau und weiß, daß ich mehr bin, als er glaubt. Aber er gehört zu der ohnmächtigen Sorte, die mich für groß hält bis zu dem Augenblick, da ich trotzdem sage, sie sei klein. Seine Anhänger, die mich in ihren Blättern wöchentlich in Hymnen und Mottos ehrten, ihren Sabbath heiligten, wenn er ihnen einen Nachdruck aus der Fackel bescherte, und mich einen Gott nannten, sagen, ich sei größenwahnsinnig, wenn ich mich neben Herrn Kerr stelle. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß die Verehrer stützig werden, wenn der Verehrte anfängt, sie für Esel zu halten. Warum eigentlich? Bin ich dadurch kleiner geworden? Oder hat zu meiner Wesenheit die vorausgesetzte Sympathie für eine Leimgeburt gehört, die ich mit einem »Pft« davonblase? Da lebt und webt in Prag ein empfindsamer Postbeamter. Er hat mir Briefe zugestellt, in denen er mich seiner höchsten Verehrung bezichtigte. Er hat mir geschrieben, daß sein Essay über das Wesen der Kritik – oder über was man halt so schreibt – mir auf den Geist zugeschnitten sei, oder was man halt so schreibt. Er hat mir auch Drucksachen zugestellt, nämlich selbstverfaßte Bücher mit Huldigungen auf dem Widmungsblatt, und einen Roman darunter, in dessen Text ich auch verehrt sein soll. Ich habe nie gelesen, aber immer gedankt. In der Fackel findet sich der Name dieses Autors weder im Guten noch im Bösen; sein Unfug in Journalen hat mich oft erzürnt, aber wie sollte man alle Eindrücke bewältigen können? Es ist ja ein vertrackter Zufall, aber es ist ein Zufall, daß der Name des Herrn Max Brod bis zu diesem Augenblick nie von mir erwähnt wurde. Das hat ihn verdrossen. Meine Meinung über ihn, um die er sonst im Dunkel getappt hätte, kam ihm nur zu Ohren, als ihm erzählt wurde, was ich von einem erotischen Gschaftlhuber, der in München lebt, gesagt hatte: er habe in Prag seinen erotischen Wurmfortsatz, und dieser sei Herr Max Brod. Das hat ihn wieder verdrossen. Und nun – eine verspätete Zustellung, wie sie bei der Post häufig vorkommt – erscheint ein Protest zugunsten des Herrn Kerr, in welchem es heißt: »Überdies ist er sehr schön. Ich meine: persönlich, schön anzusehen. Das ist sehr wichtig und gut. Dichter sollen schön sein ...« Nun, bis hieher habe ich noch keinen Grund zur Eifersucht; es muß auch solche Schwärmer geben. Ich bin überzeugt davon, daß die Freiheit den schönen Augen des Herrn Kerr zuliebe nicht nein sagen kann, ich habe selbst die Empfindung, daß in ihnen der Völkerfrühling glänzt, und es ist kein Zweifel, daß Herr Kerr so aussieht, als ob man sich letzten Mittwoch auf dem Jour der Rahel Varnhagen um ihn gerissen hätte. Einer der wenigen originellen Menschen, die unter der Berliner Literatur sitzen, soll sogar, als er zum erstenmal dieser aus dichtem Bartbeet hervorleuchtenden Backen ansichtig wurde, entzückt ausgerufen haben: Hier sollten Rosen stehen! Doch das sind Geschmacksachen, ich selbst weiß aus eigener Wahrnehmung, daß ich nicht schön bin, und vom Hörensagen, daß Herr Brod es auch nicht ist. Dieser aber erwähnt die körperlichen Vorzüge des Herrn Kerr nur, um meine Eitelkeit zu reizen, deren Wesen er völlig mißverstanden hat, und fährt fort: »Ein mittelmäßiger Kopf dagegen, wie Karl Kraus, dessen Stil nur selten die beiden bösen Pole der Literatur, Pathos und Kalauer, vermeidet, sollte es nicht wagen dürfen, einen Dichter, einen Neuschöpfer, einen Erfreuer zu berühren. – So würde ich die Welt einrichten.« Es ist gut, daß Herr Brod die Welt nicht eingerichtet hat. Sonst müßte der liebe Gott Buchkritiken für die Neue Freie Presse schreiben, eine lächerliche Altenberg-Kopistin für eine bewundernswerte Künstlerin halten und den Zifferer loben. Sonst hätte Gott gottbehüte den Satz geschrieben, den ich in einer Prager Zeitschrift finde: »Sie ... kam schnell mit einem Teller wieder, auf dem mehrere Schnitten Wurst, ein halbes Stück Imperialkäse lagen, und an ihn grenzend eine angefangene Rolle Butter in ihrem Seidenpapier noch. Es sah nicht anders aus wie eben Reste einer Mahlzeit. In ihm aber erwachte der Hunger. ..« Und Gott selbst wüßte nicht, ob er gewollt hat, daß im Käse, an den die Butter grenzt, der Hunger erwacht ist, und er sähe, daß es nicht gut war, und würde den Satz anders einrichten. Die Stelle ist einem Roman »Jüdinnen« entnommen, der das Milieu in manchen Redewendungen überraschend gut zu charakterisieren scheint. Floskeln wie: »Hast du heuer schon gebadet?« und »In Kolin wie ich noch klein war« gehen dem Autor so aus dem Handgelenk, daß die Sicherheit erstaunlich ist, mit der es ihm manchmal gelingt, in seiner eigenen Sprache den Jargon zu vermeiden. Immerhin wird man es mir nicht verübeln können, daß ich mich mit Herrn Brod nicht in eine Auseinandersetzung über meinen Stil, über Pathos und Kalauer einlasse und mich damit begnüge, ihn durch die Versicherung zu verblüffen, daß mein Stil diese beiden bösen Pole nicht nur selten, sondern geradezu nie vermeidet. Ob es die höchste oder die niedrigste Literatur ist, den Gedanken zwischen Pathos und Kalauer so zu bewegen, daß er beides zugleich sein kann, daß er eine feindliche Mücke in die Leidenschaft mitreißt, um sie im nächsten Augenblick in einem Witz zu zertreten, darüber lasse ich mich mit keinem lebenden Deutschen in einen Wortwechsel ein und mit einem aus Prag ganz gewiß nicht. Ob es der Beweis eines mittelmäßigen Kopfes ist, werden die Weichtiere selbst dann nicht zu entscheiden haben, wenn sie unvermutet einen Panzer anlegen. Über meine Wertlosigkeit ließe sich streiten – der Annahme meiner Mittelmäßigkeit könnte man fast schon mit einer tatsächlichen Berichtigung widersprechen. Denn irgendein Problematisches muß wohl an mir sein, wenn so viele Verehrer an mir irre werden. Ich führe ein unruhiges Leben; und bin doch an Herrn Max Brod nie irre geworden. Was ich aber als eine überflüssige Störung meiner Wirrnisse empfinde, ist, daß seinesgleichen gegen mich frech wird. Das sollten die andern nicht erlauben; die noch an Götter glauben. Es ist gegen alle Einteilung. Wenn einer, dem ich geopfert habe, über mich schriebe, er halte nichts von mir, dann würde ich über mich nachzudenken beginnen und nicht über ihn, und wenn ich doch zu dem Entschluß käme, nicht mich, sondern ihn zu verwerfen, so würde ich die verschmähte Liebe, die abgestoßene Eitelkeit, die verratene Geschäftsfreundschaft als Motiv in meinen Angriff aufnehmen und meine Schäbigkeit nicht Entwicklung nennen. Dann wäre der Ausdruck eine Mißgeburt, aber er hätte auch ihr Gesicht! Man fahre ihr in die Augen, wenn man ihrer in zwölf Jahren in einem einzigen Exemplar habhaft wird. Und man halte den Haß meiner Gegner in Ehren, wenn man ihm nachsagen kann, daß er aus innerer Umkehr entstanden ist. Den Blitz, der sie aus heiterm Himmel trifft und den sie sonst als Schauspiel bewundert haben, zu verfluchen, ist menschlich. Aber damit ist nur bewiesen, daß der Blitz, der Menschliches treffen will, nicht geirrt hat. Und gewiß nichts gegen die Bedeutung des Blitzes bewiesen, wenn der Bauer »Sakra!« sagt. Wenn Herr Kerr aber ordinär wird und das, was ihn niedergeschmettert hat, Kunst war, dann ist Recht und Unrecht mit einer Klarheit verteilt, wie sie nie sonst über einem Kampf der Meinungen walten könnte. Immerhin hätte ich es mehr als der Dichter Beer-Hofmann verdient, daß Herr Kerr »Ave poeta« ruft. Auf die Knie hatte ich ihn schon gebracht. Auf Erbsen kniend müßte er noch als geübter Ästhet die Gebärde loben, die ihn bezwang, oder, wenn anders er solcher Objektivität nicht fähig ist, verstummen. Er plumpste mit einem gemeinen Schimpfwort hin. Ich bin nicht würdig, vom Herrn Cassirer verklagt zu werden. Ich bin nur würdig, von ihm aufgefordert zu werden, meine künftigen Bücher seinem Verlag zu überlassen. Er drückt mir die Hand für meinen Kampf gegen Herrn Harden, aber er könnte sie mir nicht reichen. Mißverständnisse über Mißverständnisse. Wir wollen einander nicht mehr wehtun. Es ist genug von Prügeln die Rede gewesen. Von den körperlichen, auf die sich die Ästheten berufen, und von den schmerzlicheren, die ich gegeben habe. Ein Kunsthändler, selbst einer, der Affären ritterlich austrägt, um sie publizistisch hinauszutragen, ist eine viel zu unbeträchtliche Gestalt, als daß sie länger als nötig den Horizont verstellen sollte. Auch muß der Prinzipal, dem hundert dienstfertige Schreiberjungen die Sorge für das Geschäft nicht abnehmen können, den Kopf behalten, um im richtigen Augenblick Manet von Monet und gar Kerr von Harden zu unterscheiden. Wenn sie sehen werden, wie er sie gegeneinander ausspielt, werden die Berliner Cliquen schon von selbst lernen, daß das Geschäft wichtiger ist als die Kultur. Dann wird sich dieser ganze dionysische Flohtanz zur Ruhe setzen, und die Mont-Martre-Interessenten, die heute noch von den Sehnsüchten nach einem Hauch einer Erinnerung an Düfte vibrieren und in Wahrheit Apachen des Wortes sind, werden mich in Liebe und Haß verschonen. Ihnen, die auch anders können, wird nichts andres übrig bleiben. Denn es ist heute in Deutschland gegen mich nicht aufzukommen; nicht gegen mich. Und wenn sie sich mit ihrer ganzen Pietät für Heine umgürten, und wenn er selbst zu ihnen auferstünde! Denn es ist ein Kampf mit ungleichen Waffen, wenn die gute und die schlechte Sache gegeneinanderstehen. Die schlechte kann nur schlechter werden. Polemische Ohnmacht ist der stärkste Ausdruck des Unrechts. Der Privatmann, der recht hat, schreibt recht. Der Literat, der unrecht hat, wird in der Polemik kleiner als er ist und gemeiner; er hat nicht Rausch noch Ruhe, er hat Reue; entblößt das Unrecht mit jedem Versuch, es zu decken, und begeht Selbstmord im Zweikampf, während dem Gegner die Vertretung eines belanglosen Rechts schon hinter der wahren, heiligen, unentrinnbaren Mission verschwindet, die Talentlosigkeit zu züchtigen.

Der kleine Pan stinkt noch

Herr Alfred Kerr hat am 1. Juli das Folgende erscheinen lassen:  
  Vive la bagatelle!
Swift

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