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Entlarvt durch Bekessy

Zwei unbezwingbare Marotten sind es, die mein Leben, das äußere und das innere, bestimmen. Auf den ersten Blick, den in die ›Stunde‹, würde es scheinen, daß es sich »zwischen Autofahrerei und Kaffeehaussitzen abspielt«. Dem ist aber nicht so, und wenn doch, so käme es noch immer darauf an, was dazwischen Platz hat, nämlich auf die Leistung, zu der hundert Erpresser-Energien, und wenn der Tag hundert Stunden hätte, nicht imstande wären. Nein, ich meine, daß meine Arbeit von einer Marotte regiert wird, und von einer andern die Verwendung ihres Ertrages. Was die Arbeit anlangt, so besteht sie doch eigentlich in nichts anderm als dem, was Gogol als die Bestimmung des satirischen Dichters definiert hat: »alles das heraufzubeschwören, was die Menschen ständig vor Augen haben und was sie in ihrer Gleichgültigkeit doch nicht sehen – den ganzen furchtbaren Kleinigkeitsschlamm, in dem unser Leben versinkt, das innerste Wesen dieser kalten, zersplitterten Alltagsmenschen, von denen unser Erdenweg, der oft so bittere und langweilige, nur so wimmelt«. Und hier kann ich, wie er, nicht den Einwand falscher Wirksamkeit gelten lassen: daß der Schuft selber doch der erste sei, der über den gestalteten Schuft ein Gelächter anschlage. Hier darf ich, wie er, sagen: Der Nachwelt-Schuft lacht gewiß, aber der zeitgenössische Bekessy ist dazu nicht imstande. Denn »er spürt schon, daß sich allen bereits eine unabweisbare Gestalt eingeprägt hat«, sagt Gogol, »und daß seinerseits eine einzige niedrige Bewegung genügen würde, um mit ihr auf ewig agnosziert zu werden; denn vor dem Spott hat doch selbst jener Angst, der bereits vor nichts mehr auf der Welt Angst hat«, sagt Gogol. Und da ich weiß, daß der Zeitgenosse seine Abgesandten hier im Saal hat, so will ich hoffen, daß auch sie sich durch keine einzige niedrige Bewegung verraten werden. Ich will die Kraniche des Ibykus über ihre Häupter senden, aber sie werden sich hüten, durch einen Schrei aus der gewohnten Anonymität herauszutreten; denn wir lieben ja das Aufsehen nicht. Und wir haben uns heute nur zusammengefunden, um der unabweisbaren Forderung einer Sittlichkeit zu genügen, die, schiene sie mir weiterhin unerfüllt, würde ich nur Applaus ernten statt Erfolges, mich nicht mehr als Fürsprech vor Sie hintreten ließe. Es handelt sich um die Entscheidung, ob selbst auf dieser Inselwelt, die ich zur zweihundertsten Wiener Vorlesung begrüßt und von der ich gesagt habe, daß »auf ihr doch nichts als die Verzweiflung an der umgebenden Schmach und Lüge laut wird«, mein Ruf ohne Echo und mein Opfer unbedankt bleibe. Denn von allen Gefahren, die es abzuwenden gilt, wäre diese die größte. Nein, vor Ihnen kann der Einwand einer »zeitgenössischen Kritik« nicht gelten, welche nach Gogol die vom Autor gehegten und betreuten Geschöpfe »gemein und unbedeutend« nennt und bereit ist, ihm deren eigene Eigenschaften beizulegen, aber alles andere abzusprechen: »Herz, Geist und die göttliche Flamme des Talents«, die ihren Erdenrest verzehrt hat. Der Einwand jener zeitgenössischen Kritik, die nicht wie wir »von diesen Gestalten wie von lebendigen Gespenstern auch nach Schluß der Vorstellung verfolgt« wird und die nach Gogol nicht anerkennt, »daß es gleichermaßen wunderbar geschliffene Gläser sind, die die fernsten Sonnen und die die unscheinbarsten Infusorien sichtbar machen«; und die nicht anerkennt, »daß viel geistige Tiefe dazu notwendig ist, um ein dem verächtlichsten Leben entnommenes Bild durchdringend zu beleuchten und zur Perle der Schöpfung emporzuheben«. Doch wie Gogol muß ich klagen, daß solch einem Verwandler »keine Teilnahme, keine Antwort, kein Mitgefühl an seiner Straße blüht, auf der er sich nun allein findet, ein heimatloser Reisender«. Und mit größerem Recht als je einer, und jemals ich selbst, nehme ich es in diesen Tagen wahr, da dem stärksten moralischen Vollbringen gegen das maßloseste Unterfangen der Antimoral nur die Neugierde beispringt, jene, die ein artistisches Schauspiel genießt, wenn nicht gar ein Spektakel mitmacht, und nichts als die Lethargie eines Zeitalters antwortet und einer Bevölkerung, welche, im Innersten unbewegt von dem Bemühen, Schmach von ihr abzuwehren, sie dem antun läßt, der's für sie gewagt hat, keinen Finger rührt und kaum einen Mund ihrer kulturellen Instanzen öffnet, um sich zu dem, der für die Ehre der Menschheit stritt, zu bekennen und an der Ehrlosigkeit mindestens das Exempel der ausgesprochenen Achtung zu vollziehen. Aber wahrlich, die Erkenntnis, noch dort allein zu sein, wo man zu den anderen steht, trägt gleichermaßen den Fluch wie den Lohn des Bewußtseins, daß man, was man schreibt, nur sich selbst zuzuschreiben hat und keinem andern auf der Welt. Und dies Bewußtsein nährt den Stolz, der das Argument aller Banalität und feigen Lebensbequemlichkeit hohnlachend abweist: daß man sich mit etwas befasse, was unter aller Würde sei. Denn wenn eben das, was unter aller Würde ist, eine Stadt regiert, ihr Ohr erfüllt und ihren Blick von der Mittagssonne zu den Nachttöpfen abzieht, wenn die Faszination des Schmutzes und der schwarze Terror der Frechheit das Ehrgefühl einer Bevölkerung lähmen, dann ist es nicht nur notwendig, diesen Zustand zum abschreckenden Beispiel für die Nachkommenden festzuhalten, deren Vorfahren ihn ertragen haben, und so festzuhalten, daß der Nachwelt-Schuft noch über den Düpe der Stunde lachen wird – dann erwächst das nichtswürdige und erbärmliche Thema zur großen Absage an die Nichtswürdigkeit und Erbärmlichkeit, die die eigene Verwundung durch den Stoff nicht gespürt hat, die dem sittlichen Versuch, ihn zu überwinden, nicht anders als mit dem Anteil gefolgt ist, mit welchem sie der Tierhatz ihrer sportlichen Feste zusah, und mit der Sensationslust, mit der sie in der Atmosphäre des Übels angesteckt ward! Nein, nicht einmal mit der Verachtung, die ich für das Wesen habe, das ich zu beachten liebe, werde ich mich zu dem Einwand stellen, daß ich mich mit unwürdigen Dingen abgebe, und jeder, der mir damit in den Weg tritt, kann sicher sein, daß ich ihn in den Kreis solcher Beachtung einbeziehe! Tiefer unter meiner Würde als das Objekt meiner Polemik steht das Argument, das mit der Schmeichelei solcher Distanzierung wähnt, mein lebendiges Fühlen und künstlerisches Messen könnte sich je dieser Weltfeigheit anbequemen; und nichts stünde mir schlechter an, als wenn ich auf die Marotte, das dem verächtlichsten Leben entnommene Bild zur Perle der Schöpfung emporzuheben, verzichten, nein, sie nur ernsthaft verteidigen wollte gegen solche, die, fühllos vor der Materie der Schmach, blicklos vor der Kunst, welche sie zur Gestalt formt, den Kämpfer und Künstler in die Roheit und Niedrigkeit einbeziehen, die ihrer erhabenen Gemütslage so wenig anhaben konnte. Nein, mit dieser Marotte, die aus dem Lebendigen allen Sachverhalt eines entstellten Lebens restlos durchdringt und zwischen der Anregungsfähigkeit eines Bekessy und eines Schmetterlings nicht unterscheidet; die einen Sonnenstrahl so hegt und betreut wie den Stoff des Abscheus, der ihn bricht mit dieser Marotte, die bis zur Zwangsvorstellung sich steigert einer persönlichen Verantwortlichkeit für Sünden, die andere begangen haben und andere nicht fühlen, kann ich nicht fertigwerden!

Und auch nicht mit der, die meine äußere Lebensführung bestimmt und die Verwendung der Einkünfte betrifft, welche aus einem Werk so nichtswürdigen Inhalts erfließen. Denn da ich mit der Empfindung beschwert bin, daß die Welt, die sich doch nicht mit Widerwillen von solcher Produktion wendet, sondern ihr zuläuft – daß sie am Ende bloß die äußere Bravour der Leistung bewundert und belohnt, so fühle ich mich nicht berechtigt, deren Ertrag ausschließlich für mich zu nehmen: über die Notwendigkeit hinaus der körperlichen Erhaltung eines Lebens, das solchem Werke dient, wiewohl ich ihn ganz gewiß reinlicher und mühevoller verdient habe als irgendeiner der geistigen Produzenten von heute, die unter geringeren problematischen Widerständen arbeiten. Denn die Begeisterung, die meine Vorträge entfachen, bietet mir in Verbindung mit deren realem Mißerfolg jahraus jahrein einen so hoffnungslosen Aspekt von der Möglichkeit, daß das, was um zehn Uhr aus ist, den Applaus überdauere, daß mir nichts übrig bleibt, als den moralischen Schlußpunkt des Programms wenigstens in der Zuwendung an wohltätige Zwecke zu setzen, damit ich doch nicht umsonst meine Arbeit getan habe.

Und hier nun gelange ich zu dem eigentlichen, wahrhaft nichtswürdigen Gegenstand meiner Betrachtung. Wenn ich nicht von dieser unbezähmbaren Laune verfolgt wäre, von dem so großen Ertrag meiner Vorlesungen, der, trotz den mäßigen Eintrittsbedingungen, sicherlich die Einkünfte aller europäischen Konzertsaalkünstler übersteigt, den größeren Teil wohltätigen Werken zu überlassen; wenn ich den Mut aufbrächte, diese großen Summen, die noch größer wären, möchte der Applaus am Schluß nicht die Saalmiete verteuern, diese Unsummen, die wohl lebernännischen Luxus decken könnten, nur an die Erleichterung des eigenen Arbeitslebens hinzugeben (das nun doch die Möglichkeit einer Erholungsstunde einem kleinen Automobil verdankt, einem Automobil, so klein, daß es gar nicht der Rede wert ist, die ich halte); wenn ich nur ein wenig von dem Lebenssinn mein eigen nennte, der meine Feinde zur Zier der Menschheit macht – so hätte ich einen Plan.

Was mich nebst allem Irrsinn und aller Hysterie meiner verehrenden und hassenden Umwelt, nebst allem Hindernis, das durch keine materielle Hingabe zu beseitigen wäre, an der Arbeit hindert, ist doch nichts als die Arbeit, die ich habe, ehe ich zu der Arbeit gelange, welche ich haben möchte; denn man kann mir schon glauben, daß ich für die andern viel lieber die Kastanien aus dem Feuer hole als aus dem Dreck. Mit welcher durch die Jahre ungestillten Lust könnte ich mich in jenes stürzen, wäre ich nicht der Lust, mich in diesen zu begeben, wehrlos ausgeliefert! Daß sie und mit ihr die Kraft an dem Entstehen einer Liebesdichtung nicht anders beteiligt ist als an der Verarbeitung dessen, was mir der Tag zuträgt und sogar die Stunde, darüber mögen, immer wieder sei's gesagt und ertragen, die Kunststoffel aller Lager die Köpfe schütteln, deren wacher Sinn die Vorstellung abweist, daß das Gedicht der Imago und das Couplet der Psychoanalen demselben Traum von Sprache und Leben entsprungen wären. Aber wenn sie vermuten, daß die Nervenlust, den allzu irdischen Stoff anzufassen, eine geringere sei, so kann ich ihnen das vorempfinden. Trotzdem muß ich es tun. Und vermöge dieses mir wie keinem andern fühlbaren Defekts meiner Natur, kraft dieser Schwäche, also gemäß einer Zwangsvorstellung, die ich noch nicht auf dem Wege der Psychoanalyse zu beseitigen versucht habe (aus Ersparungsgründen; um lieber andere karitative Zwecke zu unterstützen) eben deshalb ist es durchaus dem Belieben jedes Budapester Erpressers anheimgestellt, meinen Produktionsprozeß zu beeinflussen. Und nicht etwa dadurch, daß er sich mit mir befaßt, mich persönlich reizt, meine Eitelkeit provoziert, die sich ja manchmal bis zur körperlichen Selbstgefälligkeit steigert, mich herausfordert, coram publico Wert auf die Feststellung zu legen, daß ich keinen Buckel und wohlgeformte Füße habe; nicht durch das Attentat auf das leiblichste Leben, welches ich etwa bloß darum als eines auf die menschliche Gesittung empfinde, weil es mich selbst betrifft; nicht weil er mir die tragische Pflicht aufzwingt, von meinem Körper zu sprechen und in mein eigenes Privatleben zu greifen, um es in die Ordnung zu bringen, die es hat – das, wenn es sie nicht hätte, Herrn Bekessy ja noch immer jenen Dreck anginge, mit dem er es besudelt. Nein, nicht dadurch, daß er mich zur Klarstellung der Angelegenheiten, die mich selbst betreffen und nur mich selbst angehen, nötigt. Denn schließlich könnte ich aller Voraussicht nach, wenngleich verworfen vom Sittengericht der ›Stunde‹, entlarvt durch Bekessy, vor einer toleranteren Nachwelt bestehen, die schon durch seine Finger sehen wird, und möchte am Ende Gnade finden, ohne daß ich nachgewiesen hätte, daß ich nicht in die Bar gegangen bin und gewiß nicht, um dort Bitterwasser zu trinken. Nein, wenn ich sage, daß er mit meinem Lebenswandel auch meinen Produktionsprozeß in der Hand hat, so meine ich es so: er beeinflußt mein Schaffen nicht so sehr dadurch, daß er mich negiert, als dadurch, daß er auf der Welt ist und was immer tut oder von gleichgestimmten Naturen besorgen läßt. Nein, dadurch, daß die Welt sein Dasein mit dem ihren vereinbar findet. Nein: mit dem meinen! Denn nicht daß der Verfasser der »Letzten Tage der Menschheit« Automobil fährt, ist ein heuchlerischer Widerspruch, der Entlarvung wert. Selbst das Paradoxon, daß sich einer des technischen Lebens bediene, um ihm schneller zu entkommen, ist schon von mir vorweggenommen worden, dort, wo ich meine Widersprüche zu Sprüchen abgefaßt habe. Und wenn es wahr wäre, daß ich Wasser predige und Wein trinke, so gäbe es wohl noch immer ein geistiges Problem der Berechtigung, das man vor Säufern nicht verteidigen und mit Trotteln nicht erörtern wird. Der schmählichste Widerspruch, dessen ich offenbar schuldig bin, besteht darin, daß ich nicht nur in demselben Zeit- und Weltraum atme, in dem Herr Bekessy vorkommt, sondern in derselben Stadt, und daß sie ihn seßhaft gemacht hat und mich noch immer nicht ausgewiesen; daß ich hier der »heimatlose Reisende« bin, Herr Bekessy aber das Heimatsrecht bekam. Doch daß mit seinem gegen mich gerichteten Dasein auch sein polemischer Unfug mich betrifft, ist nebst der inneren Notwendigkeit nur ein verwünschtes Nebenbei, ohne welches ich das Phänomen ganz genau so und in jeder einzelnen Lebensäußerung wahrzunehmen und festzuhalten befähigt und beflissen wäre. Denn meine Weltansicht, von solcher Erscheinung verstellt und erfüllt, unternimmt gern verallgemeinernde Schlüsse von allem Hindernis der Natur auf die Welt, die es beherbergt, indem – umgekehrt wie bei der Sauce in Gogols Revisor, die »nicht da ist«, wiewohl sie »da ist« – eben die Dinge in der Welt da sind, die nicht da sind. Und wenn ungarische Emigranten, eingeweiht und des Staunens voll, versichern, daß selbst in Budapest ein Revolver dieses Kalibers nicht möglich wäre und daß solche Erbärmlichkeit doch an meine Schuhsohle nicht tippen und an meinen Horizont nicht grenzen dürfte, so befleiße ich mich nur umso feuriger der Aufgabe, in ihn das Faktum einzubeziehen, daß dergleichen in Wien möglich ist, daß ein ausgedientes Bollwerk gegen die Türkengefahr sich solchem Belagerer an jedem hellen Mittag unterwirft, und daß dieses Wien weder von den untätigen Hilfstruppen der Anständigkeit entsetzt wird noch sich selber entsetzt. Freilich kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die unwahrscheinliche Schmutzigkeit dieses neujournalistischen Wesens, dessen polemischer Abwehr, und wäre sie noch so aussichtslos, kein Zuspruch mich entziehen könnte, keine Rücksicht auf mein Nervenwohl, kein Bedenken irgendwelcher Gefahr, und dessen künstlerischem Anreiz zu erliegen meine ureigenste Kraft ist – daß sich das Wunder dieses Schmutzes am reinsten und beispielhaftesten in der Annäherung an mich und meine Sphäre offenbart. Ist es mir im Leben immer wieder gelungen, den durchschnittlichen Ehrenmann in eine schwankende Gestalt zu verwandeln, die mittlere Intelligenz in einen überzeugenden Schwachkopf und approbierte Revolutionäre in Philister, so wird es sich schon von selbst verstehen, daß die anerkannte Ordinärheit und Schlechtigkeit – der, um nicht erkannt zu werden, nichts übrig bleibt als sich selbst zu bekennen – an mir zum Exzeß getrieben wird. Das war immer so. Ich habe nun, um der von mir provozierten Annäherung der schwankenden Gestalten zu wehren und um den Zuzug der Rohstoffe und Reizmittel fernzuhalten, kurz, dieses ganzen furchtbaren Kleinigkeitsschlammes, in dem unser Leben versinkt, und dessen Fülle zu bewältigen selbst eine in den kurzen Schlaf fortgesetzte Arbeit nicht hinlangt – ich habe da schon oft und oft die mich unterhaltende Chimäre ausgesponnen, daß ich ein Rothschild wäre oder ein Castiglioni – je nachdem, ob ich es mit der alten oder mit der neuen Publizistik zu tun habe –; um mir also vor all den nichtswürdigen Anlässen, die mich ohne Schuld meiner angebornen Kraft in den Ruf der Kleinlichkeit gebracht haben (von der Eitelkeit nicht zu reden), auf die gangbarste Art Ruhe zu verschaffen. Ich weiß aber wohl, daß das nicht so leicht ginge. Erstens, weil man an die Presse hinausgeworfenes Geld nach dem neuen Gesetz zurückverlangen kann und sie mir in diesem Punkt mißtrauen würde. Zweitens, weil ich, selbst wenn ich täglich eine Vorlesung hielte, kein Rothschild würde. Und schließlich, weil zum Beispiel gleich die Neue Freie Presse für mich nicht zu haben wäre, indem sie weder wenn Beethoven bei ihr annoncieren wollte, daß er ein Gedicht von mir vertont hat, mit sich reden ließe noch wenn ich bereit wäre, ihr die geringste der Schlechtigkeiten, die sie dafür begeht, abzukaufen. Ich weiß, daß Benedikt junior eher Harakiri machen würde, ehe er von mir, sei es für eine Handlung, sei es für eine Unterlassung, selbst eine Milliarde nähme; denn man hat schließlich noch eine Überzeugung.

Anders stünde es, wenn ich ein Castiglioni wär', mit Bekessy. Das ist ein Mann von einem Gegenwartssinn, welchen kein Ideal (das er doch ohneweiters als die unverwirklichte Folge von Jugendsünden durchschaut) je abhalten könnte, die rechten Werte zu ergreifen, und welcher, während seine Leser das, was er schreibt, für bare Münze nehmen, beherzt desgleichen tut, um es nicht erscheinen zu lassen. Das ist ein Mann, von dem zu vermuten ist, daß, wenn er überhaupt etwas in seinem Innern trägt, solches nur den Zweck hat, es gegebenen Falles zu veräußern. Während selbst aus der Art geschlagene Juden bekanntlich dies und jenes noch »halten« und also der junge Benedikt es um keinen Preis über sich brächte, das elfte Gebot, wonach einer nicht genannt werden soll, zu übertreten, so ist Bekessy ein solcher, den keine Überlieferung, kein Altväterglaube, selbst kein persönliches Vorurteil je anfechten könnte. Dürfte man bei ihm auf Treu und Glauben in der Korruption rechnen, so würde ich ihm den folgenden Vorschlag machen. Ich brauche Ruhe. Nicht etwa in dem Sinne, als ob ich die Kränkungen, die er beharrlich meiner Ehre zufügt, die strenge Kontrolle meiner heimlichen Neigung, Auto zu fahren, die Versuche, mein Ansehen auf dem Franzjosefskai herabzusetzen oder, wie er sagt, das papierene Postament, auf dem ich stehe, zu zerreißen – nicht als ob ich all das unerträglich fände oder all dem mit geringerem Gleichmut gegenüberstände als ein Monument, auf dessen Sockel ein Schweinkerl, gewohnt an anderen Wänden literarisch zu produzieren, Spuren seiner Selbstbehauptung zurückläßt. Ich kann ihn darüber beruhigen, daß meine soziale Position schon darum nicht ins Wanken gebracht werden könnte, weil ich keine habe, weil die Geltung in der Welt, an die er sich wendet, mein innerer Zusammenbruch wäre, und weil es sich nicht so sehr darum handeln kann, wie die Mißgeburten, die sich an den Bildern der ›Stunde‹ erquicken, zu mir stehen und wie mich der Auswurf der Menschheit einschätzt, als vielmehr, wie ich diesen einschätze; und weil doch nichts klarer auf dieser Welt sein dürfte als daß es nur eine Art von Menschen geben kann, die ich noch unter das moralische Niveau der Verfertiger der ›Stunde‹ stelle, nämlich die Gesellschaft, in deren Achtung sie mich entwurzeln will. Ich kann diesen ganzen Verein von Produzenten und Konsumenten des Drecks darüber beruhigen, daß mir um mich auch dann nicht bange wäre, wenn Herr Bekessy vor der Sorte, auf die er suggestiv wirkt, behaupten möchte, daß ich noch am Tage des Krachs der Nordischösterreichischen Bank von ihr den Schandlohn einkassieren wollte für die Förderung ihres betrügerischen Geschäfts; daß vor meinem Hause nicht nur ein Kleinauto zu sehen war, welches in geschickter Wiedergabe die Dimensionen eines Rolls-Royce annahm, sondern die Wiener Hausherren Queue gestanden sind, um mir Druckablösungsspenden für eine bedrohliche Kampagne darzubringen; daß ich von Brotwucherern zwei Milliarden bekommen, mich bei einem Bankier rechtzeitig nach Details aus seinem Eheleben erkundigt, vor einem Enthüller meiner Praktiken auf den Knien gerutscht und durch Selbstmorddrohung Gnade erpreßt habe, und daß ich mit einem Wort ein Haderlump bin, dessen Behauptung, der Annoncenteil der Fackel sei unverkäuflich, darauf zurückzuführen ist, daß Herr Castiglioni ihn längst gekauft hat. Nein, nicht vor all dem, was Herr Bekessy von mir erzählt und was ungefähr so wahr ist, wie alles was er von mir erzählen könnte und noch erzählen wird, wünsche ich Ruhe, weil es mir schaden könnte, sondern ich brauche Ruhe für allerlei Arbeit, die ich vorhabe und an die ich nicht gelange, wenn Bekessy mein Interesse, meine Zeit, meine Kraft von ihr ablenkt und fast ausschließlich auf die Befassung mit seinen Schlechtigkeiten festlegt. Gewiß, die Arbeit würde die Betrachtung seines publizistischen Typus nicht ausschließen. Aber indem er ihn vornehmlich an mir beweist und betätigt, erschwert und kompliziert er meine Aufgabe, da ihr der Verdacht angeheftet wird, sie gelte nur meiner Sache und sei in einem doch scheinbar überflüssigen Abwehrkampf gegen das mir selbst angesonnene Übel beschlossen. Wie ich von jener ehrenhaften Publizistik, die hier gewiß zum Eintreten verpflichtet ist, keinen Sukkurs für mich, sondern den eindeutigen und unablässigen Kampf gegen die Pest, die über Wien hereingebrochen ist, verlange; wie es mir wichtig scheint, daß die sozialistische Presse es über sich bringe und eben treffe, sich in diesem Falle sogar der Herren Reitzes und Benedikt anzunehmen – weil die Unantastbarkeit fremder Genitalien selbst dann ein Kulturgebot ist, wenn die Besitzer beruflich gefrevelt haben, und zumal dann, wenn das Geschlechtsleben nur so mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängt, daß für die Diskretion gezahlt werden müßte –; wie ich also hier eine beharrliche Demonstration gegen die Schmach für notwendiger halte als die gelegentliche für den Wert: so ist mir nichts unerwünschter als mir selber Sukkurs zu leisten, was mir ja zwar noch immer am besten gelingt, was aber doch die Gefahr einer Verwirrung der Sachlage heraufbeschwört. Wohl, ich darf es nicht unterlassen, weil ja mein Fall zugleich auch einen der stärksten Nachweise bildet für die korrosive Wirksamkeit, die es auszubrennen gilt; und weil der Angriff erst recht auf das besondere Motiv zurückgeführt würde, wenn er allgemein bliebe und das Beispiel verschwiege. Aber da ich gerade zum Totalkampf der Berufene und Entschlossene bin, so ist nichts dringender als die Scheidung eines nur zu leicht vermuteten persönlichen Interesses von der sachlichen Notwendigkeit, möge für den schärferen Blick auch jenes hinter diesem verschwinden. Sicherlich noch stupider als frech ist der Schwindel, mein Kampf gegen die ›Stunde‹ sei daraus zu erklären, daß sie den empfindlichen Nerv meiner Eitelkeit berührt, meine Familienrente dem Publikum angezeigt, meinen »Höcker« enthüllt und als den Sitz meines Zeitekels offenbart habe, welcher Nachweis speziell den Bankenverband und die bürgerliche Presse zur Betreibung einer lex Bekessy bestimmt haben soll, mit denen ich nun im Bunde bin. Die Wahrheit ist – wenn es sich überhaupt verlohnt, zu sprechen, wo ein Schaffel Wasser über den Schwachkopf die einzig mögliche Remedur wäre –: daß meine Stigmatisierung des Schandtreibens, ob es nun Familienrenten, Ehebrüche, Höcker oder nur Schweiggelder apportiert, die Antwort auf die vielfachen Versuche der Anbiederung war, daß meine Duldung mir Hymnen gesichert hätte und daß die ›Stunde‹ erst, nachdem ich ihr einen Tritt nach dem andern versetzt hatte, die Entdeckung machte, der Fuß sei platt und mißgeformt. Sie könnte sich wahrlich leichter durch ihre Angriffe als durch ihr Lob meine Schonung sichern. Denn die Nötigung, jene abzuwehren, zieht mir die Mißdeutung zu, das Pathos, mit dem ich dem größten Greuel der Zeitgeschichte gegenüberstehe – und ich reduziere jeden, der mir Überschätzung vorwirft –, der Zeitekel, der mich aus diesen Lettern anspringt, sei auf persönliche Reizung zurückzuführen. Ich möchte also, geradeheraus gesagt, von Bekessy nicht mehr angegriffen werden; um mich unverdächtiger der Betrachtung seines Geschäfts wie auch anderen lyrischen Arbeiten hingeben zu können. Und vor allem dagegen gesichert sein, daß immer, wenn ich schon alle Mühsal der Formung an ihn gewandt, wenn ich wie nur ein Franz Moor meine Nächte durchwacht und Abgründe eben gemacht habe, wenn ich gegen alle Instinkte der Wiener Menschheit rebellisch worden bin, mir zuletzt dieser seßhafte Landstreicher durch meine künstlichsten Wirbel tölple und ich immer wieder genötigt bin, aufzutrennen für neue Motive der Schlechtigkeit, und neue Argumente des Schwachsinns zu entwirren. Er hat es wahrlich leichter als ich: er braucht nur zu stinken, und ich muß ein Gedicht draus machen. Und da er sich täglich verbreitet, ich aber am Eindruck haftend und formgebunden lebe, da der leichteste Dreck schwerflüssiger Kunst diktiert, da dem Einfall des Chaos das Chaos der Einfälle antwortet, so ermesse man das Mißverhältnis und die Qual. Zu deren Linderung, zu diesem wahrhaft wohltätigen Zwecke bin ich entschlossen, einen entscheidenden Schritt zu tun und nicht nur meine Vorträge der ›Stunde‹ zu widmen, sondern auch einen Teil des Ertrags. Damit mir meine Familienrente nicht mehr vorgehalten wird, was mir begreiflicherweise peinlich ist, wäre ich bereit, zu Gunsten Bekessys auch auf diese zu verzichten. Von meinem Auto möchte ich mich nicht trennen, davon soll später noch die Rede sein. Ich weiß, daß diese Methode der öffentlichen Anbietung von Schweiggeld einem Naturell zusagen wird, welches doch gerade durch den Stolz, es zu nehmen, sich von dem veralteten Typus einer auf Schleichwegen wandelnden Preßkorruption unterscheidet. Denn das ist ja doch eben die besondere Note, die Bekessy in das Wiener Zeitungsleben gebracht hat, daß da kein Umschweif gemacht und selbst in diesem Punkte ausgesprochen wird, was ist und was es kostet. Bekessy ist eine Natur, die unpathetisch, aber fest zugreift, jeden Schein verschmäht, der einen heimlichen Handel decken und eine Ehrbarkeit vortäuschen soll, wo sie nun einmal nicht vorhanden ist, und in einem Milieu der Unfreudigen und Bresthaften ein Mann von durchaus gesunder Prostitution. Freilich wurzelt seine Besonderheit auch darin, daß auf ihn kein Verlaß ist und daß er zwar nimmt, aber nicht gibt. Es soll schon wiederholt vorgekommen sein, daß Leute, die gezahlt haben, dennoch angegriffen wurden, weil Bekessy sich eben von den anderen Journalisten, die Geld nehmen, auch dadurch unterscheidet, daß er unbestechlich ist. Seine antikapitalistische Sendung besteht im Wesentlichen darin, die Expropriateure zu expropriieren, ohne unter allen Umständen ihre schmutzigen Erwartungen zu befriedigen, und man hat gerade im Fall Castiglioni die Erfahrung gemacht, daß selbst noch dieses Geschäft seinen Mann nährt, weil die Unbeugsamkeit, die sich in der Nichterfüllung eines Bestechungsvertrages beweist, die Chancen der Bedrohung erhöht. Bekessys Einstellung zur Bankenwelt besteht im Wesentlichen darin, daß er sich nicht in die Zwangslage der Alternative begibt: »Geld oder Leben!«, sondern freie Hand behält und beides nimmt. Kein Zweifel, wir stehen da vor der sensationellen Erscheinung einer Laus im Gürtelpelz, und ein Mann wie Bekessy, wenn er nur konsequent bliebe, könnte eigentlich sein publizistisches Leben mit einer Überzeugungstreue durchhalten, die durch keinen noch so gelungenen Bestechungsversuch zu erschüttern wäre. Daß ihm in der Praxis doch hin und wieder Abweichungen nachzuweisen sind, beweist nichts gegen das starre System, welches von den hergebrachten Korruptionsnormen und –formen so vorteilhaft absticht. Was mich betrifft, so würde ich freilich auf strenger Vertragserfüllung bestehen, vielleicht sogar das Geld zurückverlangen, und für solch extreme Forderungen ist seine Natur vermöge des ihr innewohnenden Freiheitsdranges nicht zu haben. Bei allem praktischen Sinn, der die Werte nicht mißachtet, ließe er es sich doch nicht nehmen, über mich die Wahrheit zu sagen und gelegentlich darauf anzuspielen, daß der Betrag, mit dem sein Wohlwollen erkauft wurde, aus der Familienrente stamme, genau so wie ihn der ärgste Schimpf, den er mir antut, nicht abhalten könnte, seiner Überzeugung entsprechend begeistert über mich zu schreiben. Alles in allem kann man wohl sagen, daß auf ihn kein Verlaß ist, und während so viele Journalisten alten Stils ihre Integrität vornehmlich dem Umstand verdanken, daß sie niemand zu korrumpieren versucht hat, ist Bekessy zwar stets dieser Gefahr ausgesetzt, hat aber gerade an den Fällen, wo er bestochen wurde, seine Unbestechlichkeit dargetan. Da er jedoch auch allen Grund hätte, mir zu mißtrauen, indem ich ja, selbst wenn er mir Ruhe ließe, nicht aufhörte, seine Tätigkeit zu betrachten; da ich doch gewiß noch weniger als er gesonnen bin, um eines persönlichen Vorteils willen meine publizistische Pflicht zu versäumen; da er, auch wenn ich ihm Schweiggeld gäbe, von mir nicht Ruhe hätte – so sehe ich schon, daß wir nicht zusammenkommen werden. Also bleibt nichts übrig, als den Dreck durchzustehen; nichts übrig, als unbeirrt zu bleiben von jener Pein, die nicht der Angriff bedeutet, sondern der tragische Zwang, sich in seine Niederung zu begeben und das persönlichste Leben dort zu eröffnen, wo es von schmutziger Hand entblößt wurde. Und möge sie morgen über meinem Haupte zusammenschlagen – nach mir die Dreckflut!

Und nichts bliebe auch übrig als die Folterqual, in der Sphäre der Erfolglosigkeit, Echolosigkeit und Hoffnungslosigkeit und in der stündlichen Erwartung hundertfach gesteigerter Rabies der Lüge Kunst zu wenden an die lückenlose Registrierung dessen, was nach einem Vierteljahrhundert der Fackel in der Metropole der kulturellen Wurstigkeit möglich war und was sie gleichermaßen sich wie mir antun ließ. Aber da sei Gott vor! Etwas von der Indolenz, mit der diese Stadt dem Ungewöhnlichen zusieht, möge auch dem zugebilligt werden, den es persönlich betrifft. Seit jener wiederholten und bisher durch keine Rechtshilfe abgestellten Besudelung eines anmutigen Jugendbildes, seit der Anähnlichung seiner edlen Züge an eine Kinderstube, deren Häßlichkeit die Rache des Bubenstreiches entsprungen war, und seit der umgebenden Orgie einer durch Blödsinn kaum gemilderten Ordinärheit hat ja die ›Stunde‹ keinen Tag vergehen lassen, ohne im natürlichen Drang nach Entschädigung moralisch und ästhetisch mich mit ihresgleichen zu verwechseln und mir ihres Wesens eigene Zeichen ins Gesicht zu schmieren. Sie hat, die Motive der Kneipzeitung übertreibend, die ihr im Fasching als Karikatur entgegengestellt wird, ihren Pissoirwitz bis zu der Behauptung gesteigert, meine Knabenphotographie sei gefälscht und die ihre der wahre Abdruck meines Menschentums; sie hat alle Register der humorlosen Schufterei spielen lassen und nichts, dessen Verüber man ehedem aus dem Zimmer gejagt hätte, frischfröhlich und coram publico unversucht gelassen, bis zu dem schönen Bilderrätsel mit der Unterschrift »R. R. Laus-Kak«, dessen glücklicher Gewinner einen Monat Semmering erhalten wird, aber nicht bedingt, sondern wirklich, so daß man das Monstrum auf den Waldwegen Gottes leibhaftig wird antreffen können. Sie hat jenen Herrn Krause erfunden, der mit mir nicht verwechselt sein will und nun eine »Ehrenaffäre« mit mir hat, indem er mir seine Zeugen geschickt hat, vor denen ich irgendeine idiotische Erklärung gestammelt habe, und sie hat im Schneeballsystem der entfesselten Lausbüberei dergleichen mehr ersonnen, gemäß der geheimnisvollen Gabe, wonach ihr aus dem Setzkasten mehr Lügen als Lettern zuspringen. Sie hat erzählt, daß ich die Druckfahnen eines nächsten Heftes der Fackel im Kaffeehaus vorzulesen pflege – und zwar »mit geil überfließendem Mund und verkrümmtem Rücken wie ein Baumaffe des Sarkasmus« –, und sie hat im Vollbewußtsein jener publizistischen Pflichterfüllung, die nur große Gegenstände im Auge hat, versprochen, statt einer Hühneraugenoperation in mir ihren Lesern den Buckel im Bild vorzuführen, den sie als die physiologische Ursache meiner Aversion gegen die ›Stunde‹ erkannt hat. Sie hat mich von einem Mann, von dem Augenzeugen der Gerichtsverhandlung schwören, daß er kein Adonis sei, einen »mießen Bocher« nennen lassen, der schon in seiner frühesten Jugend, bekanntlich, einen Mund hatte, »der schier von einem Ohr zum andern reichte, eine auffallend häßliche Nase und abnormal große Plattfüße«, und sie hat die Zurechtweisung des Richters fast in ihr Gegenteil verfälscht. Sie hat entdeckt, daß mein Weltschmerz sich einfach aus dem Umstand erkläre, daß ich »nicht blauäugig und blond« bin, aber ungerechterweise übersehen, daß die gelegentlichen Abstecher zur Lebensfreude, die sie mir nachsagt, einzig der Zufriedenheit entstammen, daß ich nicht so aussehe wie die Redakteure der ›Stunde‹. Und der weltbejahende Optimismus, den einer aus diesem Gefühl schöpfen mag, würde schon glaubhaft werden, wenn ich die »Methode der boshaften Photographie« auf solche Beweisführung ausdehnen wollte, von der ich mir bei vollkommener Vermeidung jeglicher Retouche eine niederschlagende Wirkung verspreche. Denn es kommt nicht darauf an, daß man erfährt, wie der anonyme Lump heißt; aber wie die Individualität aussieht, die hier geistige Sachverhalte auf ästhetisch-physiologische Defekte zurückzuführen unternimmt, das dürfte schon des Interesses nicht entbehren.

Doch gegen das System des Selbstwegwurfs wäre vermutlich nicht einmal das Kraut solcher Demonstration gewachsen; denn man kann nicht etwas ad absurdum führen, was von dem Triumph der eigenen Absurdität sein Dasein fristet. Wenn vor dieser Neuerung das alte Preßübel ein Aroma von Ehrwürdigkeit gewinnt und wenn sich zum Beispiel doch niemand vorstellen könnte, daß ein Händler die Administration der Neuen Freien Presse dazu brächte, ihren ehrlichen Hurennamen für sein Geschäft zu prostituieren und etwa ein Mittel zu empfehlen, das eine »Neue Freie Verdauung« gewährleistet, so ist es ohneweiters möglich, daß unter getreuer Nachbildung des Titelklischees das Folgende erscheint:

Aber wiewohl die Bereitschaft, sich ins Gesicht spucken zu lassen, nur ein Problem der tarifmäßigen Abstufung bedeutet, so darf man darum doch wieder nicht glauben, daß die prinzipielle Ehrlosigkeit so durchaus der Berechnung dient, daß sie nicht auch jener fanatischen Unehrlichkeit Raum ließe, die sich an mir spielerisch ergötzt. Und wie viel kostbaren Raum widmet die ›Stunde‹ selbstlos diesem Drang, so daß sogar der Verdacht bestand, daß sie die wiederholte Nennung der Type meines Autos ohne Absicht auf die Erkenntlichkeit der Firma besorgt habe. Dieser Verdacht, den ich von allem Anfang an nicht hegte, hat sich natürlich als ungerechtfertigt herausgestellt und meine Neugierde, wieviel's geschlagen hatte, wurde befriedigt. Mit einer Geschwindigkeit, die sich in Automobilangelegenheiten von selbst versteht, erschien ein Inseratenagent bei der Vertretung der Fabrik, bewarb sich um einen Auftrag für die ›Stunde‹, unter Hinweis auf die mit meinem zugkräftigen Namen verknüpfte Fleißaufgabe, deren Eifer umsomehr ins Gewicht fiel, als er schon einige Tage vorher anläßlich einer Automobilkonkurrenz die gleiche Bitte vergeblich gestellt hatte; und fand kein Gehör. Umso bemerkenswerter die Selbstlosigkeit, mit der die ›Stunde‹ noch eine Zeitlang fortfuhr, die Type zu nennen. Herr Bekessy wird da vermutlich auf seine Verteidigung im Prozeß Stolper hinweisen:

Man kann mir doch unmöglich, selbst in weitestgehender Anerkennung des Standpunktes, daß ein Zeitungsherausgeber und Unternehmer im allgemeinen für das Unternehmen haftbar ist, alles zur Last legen, was andere, in diesem Falle die Inseratenagenten, in anderen Fällen die Redakteure oder andere getan haben.

Und anderseits hätte ihm doch wieder nicht der Heroismus zugemutet werden können, das Inserat abzulehnen, wenn es ihm als Lohn für die Entlarvung eines Moralisten in den Schoß gefallen wäre. Denn man muß ja nicht wissen, wovon man fett wird, wenn man's nur wird; und hiefür könnte sich Herr Bekessy wieder auf sein Diktum im Prozeß Stolper berufen:

Die Zeitung ist, was man Ihnen hier vormachen wird, meine Herren Geschwornen und hoher Gerichtshof, keine moralische Institution ... Ich bin auch der Meinung, daß eine Zeitung ein Geschäft ist, das auf der einen Seite mit reinen, auf der anderen Seite mit unreinen Händen geführt wird.

Wiewohl sich Herr Bekessy erfahrungsgemäß lieber auf der anderen Seite zu schaffen macht, so muß doch zugegeben werden, daß er wenigstens in meinem Falle reine Hände hat, da sogar eine Automobilfirma der Versuchung widerstanden hat, etwas in sie zu drücken, und eine Zurückhaltung an den Tag legte, die bereits an Undank grenzt. Ja, wenn nicht die Befassung mit mir einen gewissen Mehrabsatz gewährleistete, so müßte man ihm einen hohen Grad von Selbstlosigkeit zuerkennen. Wie gesagt, eine Registrierung des ganzen Reichtums von Einfällen, die da um Gottes Lohn produziert werden, weil wirklich sonst nirgends dafür einzukassieren ist, geht selbst über meine Gewissenhaftigkeit. Die Fülle und die Qualität der Leistung machen gleichermaßen das Phänomen aus. Zur Erklärung mag der Glaube helfen an etwas wie einen sittlichen Ausgleich der Natur im Sinne einer psychischen Relativität, indem doch die Schlechtigkeit nicht bestehen könnte, wenn sie nicht auch das Gute schlecht machte, weil ja dem Teufel, bekanntlich, der Himmel schwarz vorkommt. Von Automobilen abgesehen, dürfte somit nicht Gewinnsucht, sondern Selbsterhaltungstrieb der Motor sein. Unter Wiederholung aller bewußten Lügen ist es der ›Stunde‹ doch immer wieder gelungen, neue zu finden und durch Verknüpfung unentwirrbar zu gestalten. Wie: daß ich »mit sichtlicher Enttäuschung aus Paris zurückgekehrt bin« – denn ich drucke nur eine einzige Pressestimme ab und die sei von »einem Monsieur Schweitzer«, wenngleich es zwei sind und aus ihnen der ungeheure Erfolg hervorgeht –; daß ich »demnächst in Berlin sprechen« wolle – von wo ich gerade gekommen bin – und, um daselbst »nicht die gleiche Enttäuschung zu erleben«, durch einen Angriff auf den prominenten Herrn Kerr, der »kennzeichnender Weise« eben auf einer Weltreise großen Vortragsruhm erntet, das Berliner Publikum für mich zu interessieren« suche; »nachfolgend Kerrs Antwort«. Und nun folgte das von mir im Juli 1911, von welchem Datum die Nachwelt des Herrn Kerr begonnen hat, eben dieser übergebene Produkt, an das ich mit den Worten anknüpfte:

Es ist das Stärkste, was ich bisher gegen Herrn Kerr unternommen habe.

Diesen für alle Zeiten der Literaturgeschichte einverleibten Selbstmord entnahm Herr Bekessy also keinem Reisebrief des Herrn Kerr, nicht einmal einer Nummer des längst verstunkenen ›Pan‹, sondern der Fackel und zwar jenem Heft, für das er wegen des Bildes des Moriz Benedikt ein spezielles Interesse hat, weil er daraus meine Rädelsführerschaft in der Methode der boshaften Photographie ableiten konnte. Schon der einleitende Satz:

Herr Kraus (Wien) sucht fortgesetzt aus unseren Angelegenheiten Beachtung für sich herauszuschlagen

der doch gar keinen Zusammenhang mit einer aktuellen Polemik haben konnte, bezog sich auf die Privatlebenseingriffe des Herrn Kerr in der Affäre Jagow-Durieux. Zur Aktualisierung wurde dann das Wörtchen »unlängst« in »einst« gefälscht, aber einen Schlager druckte die ›Stunde‹ gesperrt, um auch in Dingen des Privatlebens ihre guten Sitten als das Opfer meines schlechten Beispiels zu rechtfertigen:

(Er bekam die einleitende seiner Ohrfeigen, als er Privatsachen, die reine Privatsachen waren, ohne jedes Recht besabberte.)

Daß ich dieser tollen Lüge eines Vorkämpfers des Herrn Bekessy gleich darauf die Wahrheit entgegenstellte (die mich von »besabberten« Privatsachen erheblich weiter entfernt zeigt als Herrn Kerr), mußte jenen, dem es ja nur um Tonfall und Titel zu tun ist: »Antwort an Karl Kraus. Von Alfred Kerr (Berlin)«, keineswegs anfechten; wie ihn auch meine gleichzeitige Darstellung der drei Überfälle, von denen zwei der Staatsanwalt angeklagt hat, nicht hindern konnte, mein geistiges Dasein von diesen kaum mehr gerichtsbekannten Taten der Gewalt, der Rachsucht und der Volltrunkenheit befleckt erscheinen zu lassen. Ich weiß nicht, wie viel Ohrfeigen das aus Budapest emigrierte Gerücht Herrn Bekessy zuerkennt: wie viele er noch nicht erhalten hat, kann man sich in Wien an den Fingern der Hand, die dafür in Betracht käme, gewiß nicht abzählen. Und dieser Freibeuter sämtlicher nur in Geld umsetzbaren Lebensgüter, dessen Geschäft in der mittelbaren oder unmittelbaren Verwertung aller vorhandenen oder erfundenen Bettgeheimnisse von Bankiersgattinnen beruht und der in zitternder Angst vor der Störung durch ein drohendes Gesetz die unbezahlbare Rechtfertigung niederschreibt:

Das Privatleben ist oft nur der Vorraum, durch den der forschende, kritische, soziologische Geist in das Geschäftsleben eines bestimmten Individuums gelangen kann

– ein Bekenntnis, von dem man sagen darf, daß es keineswegs des Reizes entbehrt –, dieser Bekessy erzählt seinen Lesern, daß die drei Überfälle, die ich vor dreißig und zwanzig Jahren erlitten habe, »geeignet seien, das Gebiet, auf dem meine Literatur betrieben wird, verdächtig zu machen«!

Aber wenn darüber selbst den Budapester Hühnern das Lachen vergeht, so müßte doch eine Stadt wie Wien die Tragik der Hanswurstiade empfinden, daß an mir die Kriminalität zur Sittlichkeit erstarkt. Nichts bleibt mir übrig, als vor der ethischen Instanz der ›Stunde‹ mich gegen die Anschuldigungen zu verantworten, die nur aus ungenauer Information – denn das Blatt muß in den Vormittagsstunden gemacht werden – stammen, und zu bekennen, daß manches, was jetzt über mich vorgebracht wird, wahr ist. Also ganz nach der Methode, wie Herr Bekessy im Gerichtssaal seine Korruption zugab, um dem Nachweis zu begegnen. Ich will meine Entlarvung durch Bekessy vornehmen! Wie? Ich habe Hunderte von Anhängern, die darauf schwören, daß mein Lebenswandel vor einem aus Buddha, Sokrates und Kant zusammengesetzten Ehrengericht bestehen könnte, und wenn der Demosthenes vor ihm eine Philippika gegen mich hielte? Ich lehne es als befangen ab, speziell Buddha, der sich gleich mir zeitweise weltlichen Freuden hingegeben hat, und unterwerfe mich der Entscheidung durch Bekessy und seinen Redaktionsstab, der zu grünen beginnt, seitdem er in der Frage der Beteiligungen reiner befunden ward als der Chef, der bekanntlich keine Einmischung von Angestellten in die Finanzpolitik des Blattes duldet. Wie sollte ich denn nicht? Fern sei es von mir, den Huren durch die Heranziehung zu Vergleichen mit dem Journalleben nahetreten zu wollen; aber die Menschheit versteht diese Angelegenheiten, vor denen sie noch immer einen heillosen Respekt hat, erst durch die Beziehung aufs Bordell. Ist es also nicht klar, daß kein Mensch moralisch so berechtigt sein könnte, sich über die Unsittlichkeit der Ehrbaren zu entrüsten, wie ein Mensch? Wer hat ein Recht zu dem aus innerster Aufwallung bezogenen Bannfluch, der da lautet: »Selber a Hur!« Wer wäre berufener, mich, der fünfundzwanzig Jahre für rein galt, zu entlarven als Bekessy, der solche Tugend nie geheuchelt hat, sondern stolz wie nur eine Heldin Hans Müllers sich zu dem, was er ist, bekennt? Denn zu Pathos ist dergleichen nur in der Verteidigung seiner Unsauberkeit fähig, und Bekessy erlebte einen seiner großen Augenblicke, da er den Geschworenen als Angeklagter im Prozeß Stolper-Federn das stolze Wort hinwarf, die Zeitung sei ein Geschäft, das nur auf einer Seite mit reinen Händen geführt wird. Und ist nicht sein Verteidiger dem Nachweis der »anderen Seite« auf das wirksamste zuvorgekommen, indem er ihn einfach als Ehrenzeugnis reklamierte? Sind je stolzere Worte aus dem Bureau gedrungen als diese:

... Emmerich Bekessy hat zu wiederholten Malen und bei wiederholten Gelegenheiten – und er leugnete es niemals – vom Hause Castiglioni erhebliche Beträge bekommen. Das ist keine Verleumdung. Castiglioni ist der Finanzmann der »Börse« . ... Bekessy ist als armer Teufel nach Wien gekommen, hat kein Geld dazu gehabt und Castiglioni hat ihm Geld dazu geliehen und ihm wiederholt später Beträge gegeben. Daß das natürlich – anders können die Herren nicht – in gehässiger, entstellender, verdrehter Form gebracht wurde, ist gleichgültig. Die Tatsache soll hier einmal geklärt werden, daß Bekessy eine Zeitung führt, die einen Finanzmann, und zwar den Großindustriellen und reichen Mann Castiglioni ... zum Finanzmann hat, daß Bekessy von ihm Geld bekommen hat und daß er sich dessen im Gegensatz zu anderen Blättern nicht schämt.

Wenn man nicht bestimmt wüßte, daß es der Verteidiger gesagt hat, würde man glauben, der Ankläger sei es gewesen. Aber gemäß der Relativitätstheorie dieser neuen Welt kommt es offenbar wirklich nur darauf an, den berühmten Text, worin der Sohn den Vater um ein paar alte Hosen bittet, so oder so zu lesen. Nur zufällig war es nicht der Verteidiger, sondern der Gegner, der das Folgende gesagt hat:

... Wir werden Ihnen den Gegenbeweis führen ... daß Herr Camillo Castiglioni, damit Herr Bekessy seine Meinung in der Alpinensache ändere und damit er weiter den Interessen des Hauses Castiglioni dienstbar sei, im Juni 1923 einen Betrag von mehr als 1 Milliarde gegeben hat, und daß tatsächlich in Durchführung dieses Paktes er von da an in der Alpinen Montan-Angelegenheit seine Meinung geändert hat und von da an den Interessen des Hauses Castiglioni ständig dienstbar war.

Das hat also nicht der Verteidiger gesagt; wohl aber dieses:

. . . Ich glaube, ausführlicher, als ich über Castiglioni geredet habe, kann man es nicht tun. Wir sagen: Ja, das alles ist wahr, nur die Summen sind zu gering angesetzt. (Lebhafte Heiterkeit.)

Da entstand offenbar jenes Mot, das Herrn Bekessy zugetraut hat, die Anwürfe seiner Widersacher, wenn er schon seine Klage gegen sie zurückgezogen hatte, wenigstens mit der Berichtigung zu entkräften. »Es ist unwahr, daß ich von Castiglioni eine Milliarde bekommen habe; wahr ist vielmehr.« Und der Verteidiger, nicht der Gegner war es, der auch gesagt hat:

... Castiglioni ist – wir leben in einer traurigen Zeit, wo das notwendig ist – der Finanzier der Zeitschrift ›Börse‹. Die ›Börse‹ ist in einer gewissen Abhängigkeit ihres Geldgebers, trotzdem die Persönlichkeit Bekessys eine solche ist, daß diese Abhängigkeit auf ein Minimum herabgesetzt ist. Im übrigen fühlt er sich durch diesen Vorwurf, von Castiglioni finanziert zu sein, in seiner Ehre nicht beleidigt, nimmt es zur Kenntnis und wiederholt es 25 mal.

Aber wenngleich Bekessy es so oft wiederholt, so ist es darum doch wahr, und ohne Zweifel bietet seine Persönlichkeit auch bei nachgewiesener Geldannahme eine gewisse Garantie der Unverläßlichkeit; gerade Castiglioni hat es ja öfter zu spüren bekommen, wie schwer es ist, Bekessys Abhängigkeit zu erschwingen. Trotzdem konnte Bekessy, über seine Beziehung zu Castiglioni befragt, die schlichten Worte sprechen:

Er ist mein Freund, da können Sie nichts dagegen tun,

Höchstens etwas dazu, nämlich eine Fußnote im Protokoll:

Bekessy hat seinen Freund Castiglioni in zahlreichen Artikeln wiederholt des Betrugs, der Bücherfälschung, der Steuerhinterziehung, des Bilderschmuggels, der Valutenschiebung, unlauterer Börsenmanipulationen u. s. w. bezichtigt.

Aber natürlich nur, wenn die Abhängigkeit auf das Minimum herabgesetzt war und wenn alle die Betätigungen, die er an Castiglioni tadeln mußte, eine Erhöhung zuließen. War es nun der Verteidiger oder der Gegner, der das folgende gesagt hat?

... Und sehen Sie, meine Herren Geschworenen, das ist nun für den Mann und sein Blatt so ungeheuer charakteristisch: man kann wirklich nicht an ihn heran. Wenn man ihm sagt: Du hast ein Verhältnis, so sagt er: Natürlich, ich bin doch eine Prostituierte, ich bekomme immer wieder Geld, ich lasse mich ja bezahlen; die Zeitung ist doch ein kaufmännisches Unternehmen ...

So kann also weder der, der ihn kauft, an ihn heran noch der, der es behauptet. Gleichwohl hat er's auf keinen grünen Zweig gebracht; wie der Gegner feststellte, nicht der Verteidiger:

... Wir haben soeben von seiner traurigen Notlage gehört. Der Mann ist vielfacher Milliardär, hat zwei Autos, eine Villa und ein Landgut und war vor ein paar Jahren ganz arm.

Was soll unsereins da erst sagen! Nun, wenn es schon für einen Verteidiger eine Genugtuung bedeuten mag, ein so reines Moralprinzip gegen alle Verkennung zum Siege zu führen, so werden die Details der Korruption, die sich da noch der Betrachtung darbieten mögen: wie etwa daß Bekessy vom tschechischen Bankenverband ein Jahrespauschale von über 600 Millionen österreichischen Kronen verlangt hat, zur planen Selbstverständlichkeit, und man kann dem Verteidiger schon das echte Gefühl nachempfinden, mit dem er eine gute Sache auch als eine vernünftige Sache aufzuklären vermag. Nämlich der Verteidiger, nicht der Gegner war es, der da gesagt hat:

Mit dem Bankenverband ist das so: Tschechische Banken, sagen wir, die Zivnostenska banka usw., annoncieren in großer Zahl in der »Börse«. Alljährlich einmal fährt der Annoncendirektor der Bekessy-Blätter, dieser Herr Forda, den wir als Zeugen hören werden, nach Prag, um dort die Annoncenaufträge zu erneuern, und da kam dem Manne die Idee, ich werde nicht zu jeder einzelnen Bank mit jeder einzelnen Annonce hausieren gehen, nicht mit jeder Bank einzeln abrechnen, sondern ich werde zum Bankenverband gehen und werde ihm sagen, er möge einfach einen gemeinsamen, bestimmten Raum bei ihm mieten, in dem sich dann die Banken ihre Annoncen aufteilen. Der Gesamtverband möge den Raum mieten und bezahlen und die einzelnen Banken mögen es sich innerhalb des Bankenverbandes repartieren ...

Na, das ist doch einmal eine Idee, so einfach, daß das Ei des Columbus dagegen auf Schwierigkeiten stößt! Der Mann, der sie hatte, heißt zwar Forda, aber er läßt mit sich reden, wenn die Bankdirektoren umgänglich sind. Er fährt alljährlich einmal nach Prag, um die Aufträge (die er den Banken gibt) zu erneuern, weil sich das schriftlich nicht gut machen läßt und weil die Aufträge (die die Banken geben) vielleicht nicht ankommen würden. Aber warum zu jeder einzelnen Bank hausieren gehn? Natürlich, sie sollen sich das unter einander ausmachen, was geht das Bekessy an, der andere Sorgen hat! Daß er gar nichts davon gewußt hat, darüber wird dieser Herr Forda als Zeuge aussagen. Und ein wie geringer Zusammenhang, garantiert durch die Persönlichkeit Bekessys, zwischen dem redaktionellen und dem administrativen Bewußtsein besteht, geht schon aus dem Brief der Böhmischen Eskomptebank an deren Wiener Verwaltungsrat hervor, den der Gegner verlesen hat (nicht der Verteidiger):

– ... Die ›Börse‹ hat sich vor einiger Zeit an die Zivnostenska banka gewendet und ihr eine volle Seite in jeder Nummer für solche Nachrichten angeboten, an deren Publikation die Zivnostenska banka Interesse hätte ...

Als Entgelt hiefür wurde das ›sicherlich bescheidene‹ Pauschale von Kc 300 000 jährlich beansprucht. Die Zivno hat sich aus der Affäre gezogen, indem sie das Ersuchen an den Bankenverband als alle Banken interessierend weiter geleitet hat, und der Bankenverband hat das freundliche Angebot selbstverständlich refüsiert.

Es dürfte jedoch auch für Sie von Interesse sein zu erfahren, daß an Pauschale für Insertion von der Zivnostenska banka Kc 30 000, von der Böhmischen Unionbank Kc 20 000 und von uns leider Kc 15 000 jährlich bezahlt werden. Wir haben uns zu dieser Insertion selbstverständlich entschlossen, nachdem die beiden vorgenannten Banken, ohne vorher ein Einvernehmen mit uns zu suchen, abgeschlossen hatten, und haben inzwischen erfolgte Versuche der ›Börse‹, das Pauschale auf Kc 30 000 zu erhöhen, abgelehnt. Es ist also anzunehmen, daß auch wir uns eines Angriffes zu erfreuen haben werden.«

Bekessy wußte manches Treffende hierauf zu erwidern, das in dem Satz gipfelte:

Ich konstatiere hier die Erniedrigung des geistigen Menschen durch den Bankdirektor.

Nach vielfachen Berechnungen, wie viel von all dem Treiben der kapitalistischen Gesellschaft für Herrn Bekessy abgefallen war, und nachdem er noch versichert hatte, daß aus diesem Prozeß weit weniger herauskommen werde, nämlich bloß die Erkenntnis, daß alle Zeitungen »Geschäfte nach ihrer Art machen«, daß jede trachte, »ihr redliches Auskommen zu finden«, und daß er »wirklich glücklich wäre, wenn dieser Prozeß mit einem vernünftigen Ausgleich enden würde«, gab er die Erklärung ab, daß er alle seine Anwürfe gegen die Kläger »als durchaus unbegründet mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns zurückziehe«. Nachdem er seine eigene Klage zurückgezogen hatte. Er hat also auf doppelte Art festgestellt, daß die folgenden am 7. Juli 1923 im ›Österreichischen Volkswirt‹ erschienenen Sätze keine »Verleumdung« sind:

  1. Imre Bekessy ist seit jeher ein politisch schamloses, charakterloses Subjekt.
  2. Imre Bekessy ist ein Lügner und Schwindler, der erfundene falsche Nachrichten verbreitet, die nur der Befriedigung persönlicher Rachsucht oder der persönlichen Bereicherung dienen können.
  3. Imre Bekessy ist ein käuflicher Journalist, der Bezahlung fordert und nimmt für die Verbreitung von redaktionellen Nachrichten und Artikeln, die Wertpapiere anpreisen oder sonst geschäftliche und persönliche Interessen seiner Auftraggeber fördern sollen.

Die Zurückziehung der Klage wegen dieser Beschuldigungen hat Herr Bekessy mit Recht als »ein Gebot der Klugheit« bezeichnet. Aber nimmt sich diese ganze Angelegenheit von damals, als versucht wurde, einen Vorstoß der Antimoral zurückzuweisen, nicht wie der erste Entwurf aus zu dem weit größeren Kontrast, der die Antimoral als Sittenrichter gegen mich mobilisiert zeigt? Die Kläger hatten damals beklagt:

daß wir uns in der unflätigsten Weise von einem Manne haben beschimpfen lassen müssen, der als notorisch Bestochener, als Lügner und Schwindler nicht nur von uns, meine Herren Geschworenen, sondern von der ganzen Welt ohne Unterschied der Partei bezeichnet und behandelt wird.

Und man wird, daß alles schon einmal dagewesen ist, erkennen, wenn man die folgenden Sätze aus dem ›Volkswirt‹ vom 24. November und vom 1. Dezember 1923 liest:

... Daß ein Ehrloser nicht beleidigen kann, ist eine allgemein gültige Regel unter anständigen Menschen. Selbstverständlich reicht die neue Schmutzlawine, die Bekessy täglich auf die arme Wiener Bevölkerung niedergehen läßt, an uns so wenig heran wie seine unflätigen Artikel in den vier Monaten zwischen der Veröffentlichung unserer ersten Erklärung und dem Prozeßtermin ...

... Wir wiederholen nochmals mit Nachdruck, daß wir in dieser Sache uns ausschließlich als freiwillige Beauftragte der anständigen Menschen dieses Landes betrachten, daß wir ... uns der peinlichen Aufgabe ... nur unterzogen haben, weil sich in der Demokratie einer schließlich jeder notwendigen Aufgabe unterziehen muß. Es wäre uns eine große Freude gewesen zu sehen, daß sich andere zu dieser Aufgabe drängen, und wir hätten dann gewiß nicht die erbärmliche Rolle derer gespielt, die höhnisch interessiert und mit leidenschaftsloser Objektivität zusehen, wenn Publizisten, die von allen Parteien die deutlichsten Zeichen der Wertschätzung erfahren haben ... von einem eben zugereisten Preßpiraten, der sich außerhalb des Gesetzes stellt, mit Schmutzkübeln übergossen werden. Aber man glaube nicht, daß unsere Fähigkeit zur Verachtung sich an Imre Bekessy erschöpft.

... Wenn die österreichische Öffentlichkeit nach dem, was sie bisher weiß ... diesen Mann und seine Blätter noch solange in ihrer Mitte duldet, so sind wir die letzten, die das anficht. Wir tun unsere Pflicht, unterlassen die andern die ihre, so trifft sie die Verantwortung, daß dieses Land schließlich in einem moralischen Sumpf verkommt ... Die Vernichtung eines schmutziges Reptils ist keine geistige Angelegenheit, sondern nur ein peinliches Gebot der Reinlichkeit.

Das aber sagte natürlich der Gegner, nicht der Verteidiger, und man wird es demnach verstehen, daß der Verteidiger, nicht der Gegner, die zusammenfassenden Worte über Bekessy gesprochen hat:

... daß hier einer steht, der zwar dreist und kräftig hineingreift, der aber im Kern der anständigste Mensch von der Welt ist, ja mehr, der sich ein wenig spielerisch in der Rolle gefällt, der Böse zu sein.

Also, wiewohl er alles nur in allem nimmt, er war ein Mann; und der Verteidiger hat mich überzeugt. Als Angeklagter und als Kläger hat Bekessy verzichtet; als Richter erkenne ich ihn an. Und wäre ich nur des Tonfalls habhaft, mit dem sich in der Welt der ›Stunde‹ alles machen läßt, so daß Schmach zur Ehre wird und vice versa – wie rein und aufrecht wollte ich, entlarvt durch Bekessy, Ernst beiseite, mit meinen sämtlichen Makeln dastehn!

Ja, ich erkenne es an, diese und keine andere ethische Instanz ist zuständig, über mich zu richten. Denn wer die eigene Verworfenheit mit freier Stirn darbietet, wer seine Niedertracht auf die leichte Achsel nimmt und dennoch an mir moralisch orientiert ist, der entpuppt sich mit einem Zauberschlag als die sittliche Potenz, die Macht hat, an den eigenen Pranger zu stellen und dem Verwegenen ein »Bis hieher und nicht weiter!« zuzurufen. Viele haben es versucht, viele sich in dem Abenteuer, »Material« gegen mich zu sammeln, die Füße wundgelaufen und die Sporen verdient. Unvergessen bleibt das Wagnis jenes Lyrikers, der auszog, mir nachzuweisen, daß ich an der Börse spiele, wiewohl er bis dahin von mir nichts anderes gewußt hatte, als wie man Verse macht; der, weil ich mit Ultramarinerzeugern verwandt bin, die Genugtuung empfand, ich sei durch die Explosion einer Anilinfabrik ruiniert worden, und sich schließlich bescheiden mußte, die noch nähere Verwandtschaft meines Gedichtes »Apokalypse« mit der Apokalypse nachzuweisen. Unbelehrt durch die Erfahrung, daß über keiner Höllenpforte mit mehr Recht die Inschrift »Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate« stehen dürfte als vor dem Versuch, mein Werk durch Tatsachen meines Lebens zu entwerten – weil immer etwas dran ist, nämlich das Gegenteil –, haben sich immer wieder Wagemutige, Rittersmann oder Knapp, eingetaucht. Selbst Bekessy, der doch im Kampf um die Sittlichkeit gewiß kein heuriger Kohlhaas ist und vor keiner Erfindung dessen, was nicht zu haben ist, zurückscheut, mußte erkennen, daß dieses das einzige Geschäft sei, welches nicht zu machen ist. Denn man kann leichter Akten über das eigene Vorleben in Budapest verschwinden machen als solche über das meine in Wien erzeugen. Da blieb denn nichts übrig, als die einzige Tatsache meines Privatlebens zu enthüllen, die wahr ist, nämlich mein Privatauto, und die einzige Tatsache meines Familienlebens von öffentlichem Interesse, nämlich meine Familienrente. Alles übrige: wie man diese Tatsachen gruppiert und zu unbestreitbarer Wirkung bringt, blieb dem Zauber der Druckanordnung und des Tonfalls überlassen, der die Publizität der ›Stunde‹ zu einer so einzigartigen Quelle der Wahrheitsforschung gemacht hat; dem System, welches dem Schuldigen das Tonfalltuch, dem Unschuldigen das Tonfallnetz breitet; der Tarnkappe des Tonfalls, mit der in der Hand man durchs ganze Land kommt, welches die Mäuler aufreißt, sobald einer nur ruft: »Aha, das ist der Herr, den ich gestern auf der Ringstraße getroffen habe!« Es bilden sich Gruppen, sie glauben es der ›Stunde‹ aufs Wort und machen sich anheischig, den Verdächtigen in der Luft zu zerreißen. Denn was nicht ist, ist wenigstens »bekanntlich«. Wenn nun gar die einzige Wahrheit, die je in der ›Stunde‹ gestanden hat: daß ich ein Automobil besitze (Fabrikat N., Marke T.), durch photographische Abbildung erhärtet wird, so ist wohl der unwiderlegliche Beweis erbracht, daß dieses Automobil existiert – die sichtbare Polizeinummer, mit der ich bisher heimlich herumgefahren bin, läßt ja gar keinen Zweifel übrig –, und gelänge es nun noch, mich selbst darin auf frischer Fahrt zu ertappen und zu photographieren, so wäre für die Leser der ›Stunde‹ der letzte Zweifel behoben, daß ich darin sitze, und immerhin die Wahrscheinlichkeit, daß ich auch der Besitzer sei, hergestellt. Da hätte selbst Bekessys Verteidiger, dem manche Klärung gelingt, einen schweren Stand. Denn man denke: daß Bekessy Geld nimmt, das sieht man doch nicht und darum muß man's nicht glauben, selbst wenn er's sagt. Aber die Photographie meines Autos hat man gesehen, und wenn die Leute nun noch das Glück hätten, es zu agnoszieren, so wäre nicht allein die Glaubwürdigkeit der ›Stunde‹ bewiesen, sondern man würde zugleich auch einen Begriff von einem Zynismus bekommen, der trotz der Enthüllung durch die ›Stunde‹ es wagt, dieses Auto noch zu benützen und an eine Abtretung an Bekessy, der ohnedies zwei hat, nicht einmal zu denken! Die Entrüstung darüber ist, wie die ›Stunde‹ bereits wahrgenommen hat, bei ihren Lesern eine so allgemeine wie die Verblüffung, als sie es enthüllte. Denn die Schieber empfinden ganz richtig, daß man zwar mit erwuchertem und erpreßtem Geld in Luxusautos herumfahren soll, aber das wird sich die ›Stunde‹ nicht einreden lassen, daß ein »Verteidiger der Gefallenen« (und trotzdem Ankläger des Herrn Bekessy), ein »einsamer Menschenfreund«, ein »Verächter der kapitalistischen Sitten« seinerseits auch Benzin gebrauchen dürfe, um jenen Schreckgestalten zu entfliehen. Gott, ich bin ja gern bereit, Bekessy nur jeden möglichen Beweis zu geben, daß ich trotzdem kein Prasser bin und daß der kleine Wagen, dessen Verwendung zu den dadurch angenehmern Vortragsreisen keine Verschwendung bedeutet, nebstbei nur noch dem Zwecke dient, mich für eine Stunde dem Pestgehege, in dem sie ausgebrüllt wird, zu entrücken, um statt ihrer eine Nachtigall schlagen zu hören. Der Wagen ist vom Verlag der Fackel angeschafft worden, aber der Administrationschef macht damit keine Erpreßreisen zum Bankenverband nach Prag, sondern der Chefredakteur, um dort Vorlesungen zu halten, und wahrhaftig, in derselben Stunde, in der von dem grimmigen Kontrast zu lesen war, daß der große Satiriker, der diese »im Auto am Elend vorbeifahrende Zeit« verflucht, selber eines besitze, war dieses auf dem Weg nach Brünn, also zum Elend hin, das die dortigen Theatermitglieder meine Hilfe anrufen ließ, die ich ihnen ohne diese Art der Beförderung kaum gewährt hätte. Wenn Kierkegaards Hund, den sich das Publikum zum Vergnügen hält und der »auf den Besseren gehetzt wird«, jetzt hinter einem Automobil bellt, so gehört das zu den üblichen Hindernissen der Landstraße – das Automobil zieht weiter. Im übrigen möchte ich in Berücksichtigung des Umstandes, daß es eigentlich Herrn Bekessy einen Dreck angeht, also in sein Ressort fällt, mein Bedauern aussprechen, daß ich ihn enttäuscht habe, indem meine Lebensführung nicht ganz so antikapitalistisch gehalten ist, wie er sichs immer vorgestellt hat. Der Eremit lebt von Wurzeln, der Journalist von Pauschalien, ich nach meiner Façon; das ist ganz verschieden. Ich nehme des Tags nur eine Mahlzeit zu mir, entarte aber dafür in andern Bedürfnissen. Ich habe elektrisches Licht, Telephon, Bad im Hause, der Verlag der Fackel ist im Clearing-Verkehr, und ob ich ersparte hundert Millionen Kronen, die keineswegs durch Korruption verdient wurden, für ein Kleinauto ausgebe, für Hummermayonnaisen oder für andere Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten meines Lebens, das müßte Bekessy schon mir überlassen, wenn nur er dadurch nicht verkürzt wird. Ich habe auch schon, mit und ohne Auto, Reisen unternommen, die Geld gekostet haben, war anderseits wieder – such's Bekessy – Gast auf Schlössern und habe noch sonst im Leben allerlei getan, was auch solche tun, die nicht die »Letzten Tage der Menschheit« geschrieben haben. So ist das Leben. Die Tatsache meines Automobils ist wahr, wenngleich übertrieben. Vor dem Krieg, also zu einer Zeit, da ich mich auch schon der Prostituierten angenommen habe und die Journalisten bekämpfte, besaß ich ein größeres, das, ein Gelegenheitskauf, wirklich meiner Weltanschauung nicht angepaßt war und zum Glück vom Ärar eingezogen wurde. Trotzdem, und wiewohl ich schon vieler Herren Länder im Automobil durchquert habe – zum Beispiel die Schweiz, in die zu gelangen Herr Bekessy Schwierigkeiten hat, weil man dort seine österreichische Heimatberechtigung neidlos anerkennt –, trotzdem muß ich sagen, daß ich dadurch der Autoschieberwelt, in die mich die ›Stunde‹ auch durch eine scherzhafte Rundfrage einbeziehen möchte, um keinen Kilometer nähergekommen bin. Meine Nummer ist polizeibekannt, das haftet mir an, sie ist in der ›Stunde‹ erschienen, das kann ich nicht ändern, aber ich hoffe wenigstens, daß sie eben darum mit keiner der Aktennummern, die in einer Leumundsnote stehen, verwechselt werden wird. Ich habe bisher noch keinen Anstand gehabt und bin also höchstens darin mit Herrn Bekessy, von dem mich doch sonst Welten trennen, in einen entfernten Vergleich zu bringen.

Indes weiß ich, daß mir diese Rechtfertigung bei ihm nichts nützen wird. Denn wenn ich dem Stundegebell hinter meinem Auto schon Beachtung schenke, so darf ich nicht überhören, daß mir auch die unreine Quelle seiner Erwerbung zum Vorwurf gemacht wird. Bekessy ist ein starker Polemiker, dem die handgreiflichsten Argumente selbst dann zu Gebote stehen, wenn er von ihnen nichts hat. Da kommt es natürlich nicht darauf an, daß er den Verfasser des Artikels der Arbeiter-Zeitung zugleich einen »Oberlehrer« nennt, bei dem ich mich über die ›Stunde‹ beklagt habe, und einen »Vorzugsschüler«, der in der ersten Bank der Kraus-Schule sitzt und seinem Lehrer die Wünsche vom Gesicht abliest; die Hauptsache ist die Durchhaltung der Sphäre der Schulbüberei, die die ganze ›Stunde‹ hindurch getrieben wird. Dabei verschlägt es auch gar nichts, daß Herr Bekessy, wenn er einmal vor die Geschwornen gerufen wird, die Verwandlung seines Vornamens in den angestammten »Imre« mit den Worten beklagt:

Es ist einer der ärgsten Schulbubenwitze, jemanden mit dem Namen zu Boden strecken zu wollen

jedoch sobald sich der Lehrer in der Klasse nur umdreht, »Laus-Kak« an die Tafel schreibt. Das ist so seine polemische Eigenart, aber es kommt ja doch auf die sachlichen Argumente an, die ihm zur Hand sind, und da kann er seine Leser mit einer Familienrente bedienen, die sich gewaschen hat. Er erzählt ihnen, daß ich ihm zürne, seitdem er enthüllt hat, daß der Bekämpfer der kapitalistischen Gesellschaft Schritte unternommen habe, »um sich die Aufwertung einer Leibrente aus der Erbschaft nach seinem Vater in juristisch einwandfreier Form feststellen zu lassen«, und rühmt mir »die Tüchtigkeit, sich vor den Folgen der Geldentwertung zu sichern« nach. Ob diese Tüchtigkeit auch nur entfernt an die seines Metiers hinanreicht, könnten jene Leser der ›Stunde‹ entscheiden, die sich noch erinnern, daß auf die Lüge von einem Erbschaftsstreit, den ich führe, mein Vertreter, der Abgeordnete Dr. Eisler, am i. Februar 1925 mit einer umfassenden Zurückweisung der Absurdität und einer Darstellung des Sachverhaltes geantwortet hat, welche ich für die Mehrzahl, die es vergessen hat, nicht wiedergeben kann, weil der Abscheu vor solcher Befassung doch stärker ist als die sachliche Notwendigkeit. Diese Berichtigung, die sich bemüht hat, dem Widerstand gerecht zu werden, den ich durch Jahre und selbst nach Erlassung des Familiengläubigergesetzes jedem Schein eines zwar im höchsten Grad moralisch, aber vielleicht nicht gesetzlich berechtigten Empfangs und jedem Anbot außerhalb der schiedsrichterlichen Entscheidung entgegengesetzt habe, hat das Infamilienblatt mit der Bemerkung versehen, es bringe sie »mit Rücksicht auf die Persönlichkeit, um die es sich handelt«. Eine Rücksicht, die es weder abgehalten hatte, die Lüge vom Erbschaftsstreit zu bringen, noch abhielt, sie zu wiederholen, auf völlig Unbeteiligte auszudehnen und schließlich den selbstverständlichsten Anspruch von der Welt (den es zuvor sogar als das »billige Ansinnen des berühmten Schriftstellers« bezeichnet hat), an dem nichts ungewöhnlich ist als der jahrelange Verzicht und an dem sich der berechtigte Privatmann wahrlich uninteressierter gezeigt hat als die Öffentlichkeit des Herrn Bekessy, die es doch einen Schmarren angeht – diese Affäre, für die ich selbst keinen Finger gerührt habe, als eine Aktion der Gewinnsucht und als unsaubern Kampf um ein unsauberes Gut hinzustellen. Ich werde dem Herrn Bekessy, wiewohl ich vor ihm so wenig ein administratives Geheimnis habe wie vor der ganzen Welt mit Ausnahme von mir, der sich noch nie um dergleichen gekümmert hat – ich werde ihm nicht fatieren, wie ich schon im Frieden die mir rechtlich zukommende Rente verwendet habe und wie ich sie jetzt zu verwenden beliebe. Wie stupid die Vermutung ist, daß mir aus dieser Quelle ein Reichtum zufließe, nach dem ich gelechzt habe, geht aus der ganzen Ökonomie meiner Einkünfte hervor. Ein dreimal so großer Betrag wie diese Rente wird von mir jahraus jahrein wohltätigen Zwecken zugewendet, und vielleicht würden diese entsprechend weniger erhalten, wenn ich auf das mir rechtlich Gebührende verzichtet hätte. Gewiß, die Milliarde, die ich unter Mühen so in zehn Jahren hingegeben habe, muß Bekessy nicht imponieren, es ist ungefähr der Betrag, den Herr Castiglioni in einer Unterredung mit ihm opfert. Aber daß er sich an einer so geringfügigen Summe wie dieser Familienrente stößt, nimmt mich Wunder; für so etwas ließe er doch keine Zeile ungedruckt! Dagegen druckt er etliche, um die Gewinngier aufzuzeigen, die die Annahme einer Erbsumme selbst dann nicht verschmäht, wenn sie sich deren unsauberen Ursprungs bewußt ist. Verwöhnt durch die reine Quelle des eigenen Erwerbs, gibt Herr Bekessy seinen Lesern die Ungeheuerlichkeit zu bedenken, daß der Vater eines Mannes, der sich eine ethische Aufgabe anmaßt, »Pächter der Sträflingsarbeit in den österreichischen Gefängnissen war« und daß somit »an der Leibrente dieses hitzigen Ethikers Blut und Schweiß ausgebeuteter, wehrloser, dem Arbeitswucher von staatswegen ausgelieferter Sträflinge klebt«.

Wie soll man aber einen Menschen als Moralisten, Gesellschaftskritiker und Ethiker gelten lassen, der aus einem solchen Nutzen eine Leibrente erbt und zu dem Familiengläubigergesetz seine Zuflucht nimmt, in dem Augenblick, da diese Leibrente durch die Geldentwertung eine Einbuße erlitten hat?

In dem Augenblick konnte es nicht geschehen, weil, erst nachdem ich durch Jahre verzichtet hatte, das Familiengläubigergesetz erlassen wurde, welches immerhin gerechter ist als das Strafgesetz, das es nicht erlaubt, in Ausnahmsfällen die Hundspeitsche anzuwenden, von der weiß Gott auch ein Moralrichter, Gesellschaftskritiker und Ethiker Gebrauch machen würde, »an dessen Hand« heute nur »eine Leibrente klebt«: wenn ein Libertiner, Gesellschaftsschnüffler und Erpresser mit fetten Lettern die Ehre seines toten Vaters zu beschmieren wagt! Der Versuch, aus demselben Grunde einen publizistischen Vorkämpfer des Herrn Bekessy vor die Geschwornen zu bringen, ist vor Jahrzehnten daran gescheitert, daß der Schächer, der nichts getan haben wollte, sich ihnen selbst als Familienvater vorgestellt hat und mich als Störer seines Geschäfts. Dieser Freispruch – der Vorsitzende hatte »drei Monate« auf der Zunge gehabt – war einer der grausamsten Beweise für die Notwendigkeit der Gesetzesreform. Die Schmähung hat dann kein geringerer als Großmann durch die Zeiten fortgepflanzt, und der Wahnwitz einer Behauptung, deren winziger Tatsachengehalt durch sechzig Jahre nichts von seiner Ehrbarkeit und sozialen Anständigkeit einbüßen konnte, wie die Tollheit seiner Beziehung auf meine Rente, ist von mir mit einem solchen Schlag auf ein Schandmaul beantwortet worden, der jede Züchtigung und jede strafrechtliche Genugtuung aufwiegt. Daß die Infamie von Herrn Bekessy übernommen wird wie etwas, wozu ich noch nie Farbe zu bekennen gewagt habe, bis zu der festen Prägung meines »Kampfes um das Geld des Sträflingsausbeuters« – und selbstverständlich in Schwang bleiben wird –, geschieht dank der Unzulänglichkeit des Strafgesetzes und zufolge der Wirksamkeit des physikalischen Gesetzes von der Affinität des Schmutzes, der sich aber vermöge intellektueller Inkonsistenz das Argument entgehen läßt, daß ich doch schon vor der Geldentwertung im Besitz der Erbschaft war und nicht erst seit der Valorisierung die Sitten richte, wie daß ich zu diesem Amt eigentlich seit dem Tage untauglich bin, wo ich am Tisch meines Vaters gegessen habe. Gleichwohl wäre ich noch kompetent, den moralischen Abstand seines Geschäftes zu beurteilen – und hätte es wirklich nur in der Beschäftigung von Sträflingen bis zu seinem Tod bestanden –, von dem Gewerbe des Herrn Bekessy, der keineswegs davor zurückgescheut hätte, seinen Anteil an ihrem Blut und Schweiß in Form eines Inserats zu nehmen; dem Geschäft von Banditen, die, in die Schlinge der sozialen Achtung getrieben, sich keinen andern Ausweg wissen, als die Ehre eines Toten an dessen Sohn zu erschlagen. Aber Herr Bekessy möge nicht zu laut über Sträflingsarbeit murren, sondern lieber der Vorsehung danken, wenn sie es in ihrem unerforschlichen Ratschlusse wirklich gefügt hat, daß ihm eine so nützliche Beschäftigung wie das Kleben von Papiersäcken bis heute erspart geblieben ist. Doch wenn es auch möglich wäre, daß er noch dieserart zum »Zusammenkleben eines Kapitals« beitragen müßte, von welchem dereinst ein Ethiker seine Leibrente bezieht, so sind seine Informationen in meinem Falle doch so verlogen, daß man glauben müßte, er habe sie nicht von Großmann, sondern direkt aus der ›Stunde‹. Ob einer das Recht hat, »sich aus einer Leibrente ein Auto zu kaufen«, besonders wenn er es sich schon lange vor deren Zuerkennung gekauft hat, wird zuallerletzt von Soziologen entschieden werden, die es sich aus den Sporteln anschaffen, welche ihnen die Automobilindustrie doch in den meisten Fällen zukommen läßt.

Item (oder eigentlich lstenem), Herr Bekessy hat mich durchschaut: ich treibe Sprachlehre, aber man ist mir hinter meine Schliche gekommen und alles war nur ein Vorwand, um nach fünfundzwanzig Jahren unauffällig Auto fahren zu können.

... Niemals werden wir uns ... auf eine Linie drängen lassen, die am Wesen vorbeigleitend sich von dem autofahrenden Erben des Sträflingspächters Sprachlehre und Gesellschaftsethik gebrauchsfertig vormachen läßt.

Das würde weiß Gott weder der Gesellschaftsethik gelingen, die schon erkannt hat, woran Herr Bekessy in seinem Leben vorbeigeglitten ist, noch der Sprachlehre, welche mit einer Linie, die sich etwas vormachen läßt, nicht zu Gericht gehen kann – wenigstens nicht wie mit dem Zeitungsstrich. Seinerseits verzichtet aber auch Bekessy auf eine »sachliche Polemik« mit mir und verspricht, sich lieber an meinen Buckel halten zu wollen, den ich ihn aber doch nicht herunterrutschen lassen werde, weil das zu unappetitlich für mich wäre. Vorläufig hat er sich entschlossen, eine unretouchierte Photographie von mir zu veröffentlichen, von der die verblüfften Leser der ›Stunde‹ versichert haben, daß sie seinem Kommentar, »die Häßlichkeit des Herrn Kraus sei keine Privatangelegenheit«, lebhaft widerspreche. Da ich aber von diesen Kreisen keine Komplimente annehme, so sind die gerichtlichen Schritte wegen der Aneignung des Bildes eingeleitet worden. Sein Abdruck sollte, wie die ›Stunde‹ versichert, nicht so sehr als Darstellung der Wirklichkeit gelten denn als »Prophezeiung«. Hinter die naturgetreu wiedergegebene Gestalt ist eine »Salonkapelle« von sieben Mann hineinkomponiert, von jener Sorte, deren Reklamen die Welt der ›Stunde‹ beleben; darunter aber steht:

Karl Kraus, der bekannte Schriftsteller und Autofahrer (folgen Fabrikat und Marke), verschmäht die gute Zigeunermusik nicht. Sein Lieblingsgetränk: Hunyady-Janos-Bitterwasser (Photo Schütz)

Ob Hunyady-Janos bezahlt hat, konnte ich nicht ermitteln, da ich nicht Bezieher dieser Firma bin. »Photo Schütz« jedoch ist die Bezahlung für den Streich des gleichnamigen Erfinders, der der ›Stunde‹ sich selbst als König Boris von Bulgarien eingepflanzt hat. Der Titel:

Mulatschag, oder vom Privatauto zur Bar ist nur ein Schritt

drückt allerdings deutlich die Absicht der Prophezeiung aus, denn der Gedanke ist bloß die »feste Überzeugung, daß zwischen Leibrente, Privatauto und Zigeunermusik ein Kausalnexus besteht« und daß mein Leben, welches sich, bekanntlich, »zwischen Autofahrerei und Kaffeehaussitzen abspielt«, todsicher in der Bar endet. Das ist natürlich ein wohlgemeinter Irrtum. Ich glaube nicht, daß ich je noch in die Lage kommen werde, die Milieus, denen das Grauen der ›Stunde‹ entstieg, nachzustudieren, ich habe deren Brechreiz fürs Leben ausgenossen, mein ganzes Werk, mein Tag und mein Traum widerhallen von ihren Mißtönen, die ich besser kenne als ein Schieber, ohne sie je anders als flüchtig erlebt zu haben, und zur Flucht aus der Sphäre, wo Schublacken und Gürtelpelze nebst deren Parasiten hausen, bietet mir das Auto die Hilfe. Obzwar es mir weiß Gott nicht gelingen wird, die öffentliche Aufmerksamkeit von diesem durch die Sprachlehre abzulenken.

Wenn nun weder die Fassungskraft des Hörers oder Lesers noch selbst meine eigene zur Bewältigung dessen zureicht, was die ›Stunde‹ an Lüge, Fälschung, Blödsinn und Büberei in einem Monat über mich zustandegebracht hat, nebst so vielem noch das Staunen übriglassend, daß solche Geistesarmut doch so unerschöpfliche Varietät ergeben könne – so geniert das zuallerletzt die ›Stunde‹. Wie nach Nestroy die Wirklichkeit immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit ist, so ist bei der ›Stunde‹ die Behauptung immer der stärkste Beweis für die Unmöglichkeit. In diesem Sinne behauptet sie, daß die Hüter der Preßfreiheit von Herrn Kraus – wie Herr Bekessy »weiß« – »bis zum Überdruß drangsaliert werden, etwas für ihn zu tun«. Während die Wahrheit ist, daß ich von den Hütern der Preßfreiheit bloß erwarte, daß sie etwas für die Ehre dieser durch die Einbürgerung des Herrn Bekessy verunehrten Stadt tun und für deren kulturell und ökonomisch bedrohte Bevölkerung, indem sie einer Gerichtsbarkeit, die dem als Journalismus verkappten Buschkleppertum Durchschlupf gewährt, legislatorisch nachhelfen. Und wenn es notwendig ist, das Parlament zu drangsalieren, so geschieht dies nicht in den Couloirs, sondern von meiner eigenen Tribüne, wo ich keinen Überdruß, nicht einmal den des eigentlich Bedrängten, scheuen werde, es so lange zu tun, bis ihm vor Schrecken der Revolver aus der Hand fällt. In dem gleichen Sinne, der meine Beziehungen zur sozialdemokratischen Partei so gründlich verkennt, behauptet er, ich sei »den Arbeitern via Kunststelle als Vortragskünstler aufgezwängt« worden. Was die ›Stunde‹ längst nicht mitansehen konnte und weshalb sie auch die Liste der letzten künstlerischen Maifeiern eigens gebracht hat, um deren wichtigste herauszufälschen. Da offenbar zum Unterschied von mir nicht jeder das, was in der ›Stunde‹ steht oder nicht steht, für beachtenswert hält; da die Kunststelle bis heute den Sachverhalt nicht klargestellt hat, so wird ihn wohl meine künftige Praxis dokumentieren müssen, indem ich, wenn die Kunststelle wieder an mich herantritt, die Arbeiter noch des Zwangs entheben werde, in ihr auch nur den Administrator zu erblicken, geschweige denn den Protektor; denn sie weiß, unter welcher Kautel ich es in der letzten Zeit ermöglicht habe, dem Herzenswunsche der Arbeiter mit der gleichen Empfindung zu entsprechen, ohne damit die künstlerische Sanktion für eine Kunstpolitik beizustellen, durch die den Arbeitern das Repertoire der Wiener Theaterdirektoren auf gezwängt wird. Ich werde ihr raten, jenen statt meiner am Tag der Republik und am 1. Mai, falls sie es schon mit den Herren Hofmannsthal und Werfel nicht wagen kann, einen so ausgesprochenen Linksradikalen wie Bekessy zu bieten, und wenn ich dann nur dem direkt an mich ergehenden Ruf der Arbeiter Folge leisten werde, so werde ich auch dies nicht tun, ohne die Arbeiter zu fragen, ob sie wirklich, wie jener behauptet, ungehalten sind, sobald sich einmal ihre Zeitung aufklärend mit der Besudelung eines Schriftstellers befaßt, der bisher als der einzige in Betracht kam, wenn es galt, an ihren Festtagen zu ihnen zu sprechen. Daß er auch der einzige ist, der Konsequenz gegenüber dem bürgerlichen Schmutz betätigt und fordert und Klarstellung in Dingen, die seinen Glauben an Konsequenz berühren, wird sich in diesem Fall und bis an das Ende seiner Tage weisen. Der Gleichmut ist nicht seine Sache, der die stündliche Schändung der Lebensgüter zu dem übrigen legt, den grundsätzlichen Unterschied verkennend, zwischen der unmittelbar abzustellenden Erscheinung einer publizistisch verkleideten Kriminalität, die bloß noch nicht kriminell zu fassen, und dem Weltübel der Presse, das nur durch Erziehungsarbeit an Generationen zu bekämpfen ist. Und wenn ich mich des Einbrechers erwehren will, der mir das Fenster einschlägt, so werde ich selbst die Unterstützung durch den vorbeigehenden Hochverräter nicht zurückweisen, ohne der Erkenntnis von dessen tiefer wirkenden Gefahr etwas zu vergeben, ja gerade um mich ihr unbelästigt hingeben zu können. Das Problem der ›Stunde‹ – und dies bildet das Novum in der Zeitungsgeschichte – ist das Problem des sich automatisch erzeugenden Drecks, der (im Gegensatz zur Anonymität des alten Journalismus, die immerhin durch das Medium einer gewissen erlogenen Würde und dürftigen Reflexion in Erscheinung trat) so wenig von der Persönlichkeit verantwortet wird, daß sie ihn hinterdrein selbst verleugnet. Charakteristisch für die unmittelbare Umsetzung der Schulbüberei in Publizität ist das Ergebnis, das innerhalb dieses fluktuierenden Wesens einzig feststellbare: daß es jeweils keiner getan haben will. Es sind unverantwortliche Redakteure, wie die albanischen Fliegen, die dem armen Soldaten im Glas Wasser waren, wenn er's nur an den Mund setzte, mochte er's noch so sorgsam zugedeckt haben. Eine Naturerscheinung. Wenn dergleichen etwas Autoritäres von sich geben will, so bleibt er nicht anonym, sondern unterzeichnet »Nemo«, wiewohl da für die Leser der ›Stunde‹ immerhin ein Mißverständnis naheliegt. Aber es soll nur ausgedrückt sein, daß, während die Anonymität der alten Journalistik die Nichtigkeit des Urhebers zur Potenz erhob, hier aus dem persönlichen Minus noch die Wurzel zu ziehen ist. Es ist die reine Privatangelegenheit: des Schreibers, des Lesers, des Betroffenen. Ein Ineinanderfluten der Interessen in jenem Stil der szenischen Schamlosigkeit, wonach sechs Personen einen Schmierer suchen, und wenn man doch nichts daran ernst nimmt als eine Verlotterung, die sich selbst nicht ernst nimmt, so taucht schließlich ein Lausbubikopf empor, der mir lachend bedeutet, etsch, ich sei ihm »hereingefallen«, und die Eingriffe in Privatauto und Familienrente, die Vexierbilder, alles war nur Scherz, Fopperei, Parodie auf den Ernst der Bösen Buben-Zeitung. Diesem neuen Stil, dessen Unsicherheit nach allen Richtungen geschützt ist, auch gegen die Prügelstrafe, zu der er Lust macht, und der in der Entwicklung des Zeitungswesens so recht als Erpressionismus in Erscheinung tritt – diesem Stil entspricht es dann durchaus, daß abwechselnd auch alle wieder empört sind über das, was da einer von ihnen, sie wissen nicht wer, angestellt hat; denn die Akteure dieser Raumbühne sind zwar entfesselt, jedoch von allen Seiten unsichtbar. Sie mißbilligen es lebhaft, es wurmt sie ordentlich, was da wieder im Blatt gestanden ist, ja selbst Bekessy soll ungehalten sein über die Artikel, deren Autorschaft ihm zugeschrieben wird, und die Bevölkerung, die, wenn nicht mit Schadenfreude oder Neugier, so doch mit der ihr eingebornen Indolenz dem Schauspiel zusieht, könnte sich ein Beispiel an den Redakteuren der ›Stunde‹ nehmen, die es schier schon nicht mehr ertragen können, und die mich teils zu grüßen versuchen (wenngleich es mißlingt), teils, wie zum Beispiel Herr Liebstöckl, vor Ohren, durch die ich's hören mag, den Ausspruch tun, die Zeitung, für die sie weiter schreiben, sei »ja das reine Banditenblatt geworden« (wobei das Zugeständnis einer Entwicklung als Retouche wirkt). Das ist das psychische Milieu, in dem die Erscheinung und die Mitwirkung gleichergestalt möglich sind. Und darin eben ist das »Selbstbestimmungsrecht« seiner Redakteure verankert, auf das Herr Bekessy in der Gerichtsverhandlung so stolz hinwies, »also das, was die Völker nicht bekommen haben«:

das heißt, daß meine Redakteure schreiben können, was sie wollen.

und dementsprechend auch einschätzen können, was sie schreiben, während Herr Bekessy »die Zeitung meist in fertigem Zustand sieht«, also wenn der mysteriös entstandene Dreck bereits die feste Form angenommen hat, in der er ausgebrüllt werden kann. Es bleibt dem Kenner überlassen, die stilistischen Bilderrätsel dieser mießen Individualitäten zu erraten und auseinanderzuhalten, alle einig in der Überzeugung, daß das, was der andere und wahrscheinlich er selbst vollbracht hat, abominabel sei, um es in der nächsten Stunde mit der gleichen Frische zu produzieren. Nein, dies hurische Element hat nichts mehr von jener Planmäßigkeit, deren man sich auf dem alten Zeitungsstrich versehen und erwehren konnte; sie wissen, gleich Lulu, nur das eine: »Ich weiß es nicht«. Es erscheint, mangels jeder Charaktersubstanz, von selbst, und was nicht da ist, ist eben da. Der einzige Leitgedanke, der solche Tätigkeit ermöglicht, an der doch jedes Menschengefühl zuschanden gehen müßte, ist die Hoffnung, daß der, den sie belästigt, »zerspringen« werde, eine Hoffnung, die aber gleichfalls das reine Ideal bleibt. Könnte man sich vorstellen, daß ein menschliches Hirn aus Erwägung, auch nur pour passer le temps und nicht in der Automatik der grundsätzlichen Schamlosigkeit den Einfall aushecken wird, auf der Rückseite des Blattes, das mich als Erbeuter unrechten Gutes entlarvt, für den »bekannten Monarchisten Padajaunig«, »der ein innerlich vornehmer Mensch ist«, nämlich der mich bedroht hat, das Mitleid wachzurufen? Unmöglich kann man sich ja denken, daß bloß die Interessengemeinschaft der Erpresser das Eintreten eines »linksradikalen« Blattes für einen Monarchisten und einen so beschaffenen befürworten würde.

Nein, Bekessy treibt sein Spiel mit mir, so lange, bis ihm der Ernst des Vorlebens entgegentreten wird – und das kann schon in derselben Stunde geschehen, in der er sich entschlossen hat, das System einer Publizistik, die bloß als Gerücht auftritt, mit freier Stirn zu durchbrechen, mit dem offenen Visier seines ehrlichen Namens, mit dem Schwergewicht seiner moralischen Autorität mir entgegenzutreten und persönlich eines jener Hühnchen mit mir zu pflücken, die sich darob des Gelächters nicht erwehren können. Wenn er sich nun auch entschließen sollte, seine Anwürfe, die ja immer noch zuletzt auf den Drang nach Feschität zurückgeführt würden, etwas zu konkretinisieren und deutlich umgrenzbare Wahrheitsbeweise zu ermöglichen, so wollte ich ihm nicht verbürgen, daß ich nicht noch vor Erlassung seines Spezialgesetzes ihm Gelegenheit verschaffen würde, einem Gerichtshof über seine Karriere Auskunft zu geben und etwaige Ergänzungen von berufenen Sachverständigen zu hören. Da nun ein authentisches Dokument – ich meine über Bekessys Stil – vorliegt, so muß ich zunächst eine mich selbst vernichtende Wirkung feststellen: daß ich erkenne, noch in dieser sittlichen und geistigen Region einen Schüler zu haben. Er will »auf seiner Wanderung« – man stelle sie sich vor! – den Artikel des Herrn Julian Sternberg über das kommende Gesetz, das ihm bange macht, nicht gelesen, aber durch »ein kleines Meisterstück parodistischer Stileinfühlung«, wie er sagt, rekonstruiert haben, also ganz in meiner Art, wozu er sich auch aller möglichen satirischen Motive der Fackel bedient. Natürlich gelingt es ihm, daß er Anfang und Schluß wortwörtlich errät, was mir keineswegs gelänge. Da Herr Sternberg von »Erpreßfreiheit« spricht, führt Bekessy, der auf seiner Wanderung auch meine täglich erstarkende Verbindung mit der Neuen Freien Presse ahnt, diese Wendung auf das Wort »Erpreßgeschwindigkeit« zurück, das ich einmal gegen die Neue Freie Presse gebraucht haben soll, in der Zeit, da ich noch bös auf sie war. »Haltet mich fest« ruft er, aber nicht etwa um die Behörden seiner ursprünglichen Heimat zu frozzeln, sondern bei der sprachkritischen Entdeckung, die ihn auf die Fährte der »unleugbar vorhandenen Gefühls- und Gedankenverbindung zwischen Kraus und Sternberg« gebracht hat. Natürlich habe ich einen so völlig wurzellosen Blödsinn nie geschrieben, wohl aber von einem »Erpreßzug«, mit dem meiner Erinnerung nach vor Jahrzehnten ein Angehöriger der Neuen Freien Presse reiste, vielleicht von so einem, wie er den Vertreter des Herrn Bekessy zum Prager Bankenverband geführt hat. Wie dem immer sein mag, sein »prophetischer Blick« sah »den historischen Augenblick, wo Sternberg für Kraus eine Lanze brechen werde, schon lange kommen«. Er gibt sogar das Datum an:

Ich sah ihn kommen genau von dem Tage an, als ich erkannte, daß die ›Stunde‹ ganz ohne dies besonders zu wollen, Herrn Kraus das Handwerk legen werde.

Ungefähr also der Moment, wo man in Wien »Gehst denn nicht« sagt oder auch »Mausi«, wenn's nicht gerade ein Ratz ist. Und nun führt Bekessy aus, welch ein Unterschied bei scheinbarer Gleichheit der antikapitalistischen Tendenzen zwischen ihm und mir obwaltet. Könnte es denn einen Unterschied geben zwischen uns beiden? Daß ich beim Kapital nicht einkassieren gehe? Oder daß er sich bedenken würde, seine Familienrente valorisieren zu lassen und ein Auto mit einer Polizeinummer zu haben? Daß ich nicht der Plutarch der Inflationsheroen und Turfmatadoren bin, der Tyrtäus der Fressack und Naschkatz, der den anerkennenden Satz druckt:

Die Cypruts hielten sich während des Krieges für die Begründer einer neuen Gelddynastie ...

daß ich nicht Hausfreund bei Raffke und Neureich hin, abwechselnd um deren Kasse und um deren Bett bemüht? Nein, das ist nicht der Unterschied. Gewiß, ich habe die Metaphysik der Haifische bloß zitiert und nicht geschrieben, und die Fackel ist kein Fachorgan für die Interessen der Leichenfledderer. Aber der Unterschied ist ein ganz anderer, nämlich: ich dresche bloß wie ein dummer August auf den »Würdevorhang« los, hinter dem die bürgerliche Gesellschaft »ihr Treiben schamlos und ungestört zu verbergen vermag« (also nicht etwa, wie man glauben würde: schamhaft, sondern schamlos zu verbergen). Ich »glaubte ein Stürmer wider die Gesellschaft zu sein«, während hingegen aber das muß man hören:

Dann kam die ›Stunde‹. Sie schob den Vorhang beiseite, sprach ein » ecce mundus« und machte den Kraus dadurch überflüssig.

Spitzbub das. Ich weiß nicht, ob die Inseratenagenten des Herrn Bekessy mit einem »ecce mundus« auf den Lippen die Comptoirs betreten; aber wahr ist, daß man, als die ›Stunde‹ kam, »auf einmal das ganze Treiben sah«.

Kein sittliches Roß wurde geritten und doch war schon das Aufzeigen eine sittliche Tat.

Wenn dann hin und wieder Artikelserien oder gar Romane abgebrochen wurden, so war doch die Aufmerksamkeit hinreichend auf das Übel gelenkt. Die ›Stunde‹ kam, sah und nahm, was sie ersiegte. Sie griff hinein ins volle Menschenleben, und wo sie's packte, da war's interessant, und während die polemischen Handlungen der Fackel bekanntlich »von Eitelkeit, Überhebung, Haß, Neid, Rachsucht und Schadenfreude gelenkt werden«, machte sich die antikorruptionistische Wirksamkeit der ›Stunde‹ schon durch ihre reinen Motive bezahlt. Und durch die Konsequenz, mit der sie aufs Ziel losging. Denn wenn Amundsen, wie ausgerechnet wurde, gerade um die Entfernung Wien – Prag hinter dem Nordpol zurückgeblieben ist, so hätte Bekessy ihn erreicht, wenn dort die Zivnostenska banka eine Filiale hätte, wobei er vorher noch mit der nordischen Nebelbank fertig geworden wäre. Und mit vollem Bewußtsein tritt er vorerst in das Privatleben ein, weil er als Soziologe nur auf diesem Wege in das Geschäftsleben eines bestimmten Individuums gelangen kann. Der »von Kraus und Sternberg entfachte Rummel« könne ihm gleichgültig sein.

Wir sind Kummer gewohnt.

Ein Sätzchen, schlicht wie jenes Benediktsche »Es rieselt im Gemäuer«, mit dem Herr Bekessy in meinem Geiste seinen Angriff auf die Neue Freie Presse einleitet. Spitzbübische Melancholie, wie bei Shakespeare. Oder vielleicht eine Variation vom Seufzer des Konfusius über die Räuberei, bei der nichts herausschaut: »Es bleibt immer ein unsicheres Brot«. Dafür bleibt das Prophezeien Bekessys starke Seite. Wie er erkannt hat, daß mein Lebensweg per Auto zur Bar gehen wird, so weiß er auch, daß nun »nichts mehr den Weg verrammeln kann, der von der aktuellen Waffenbrüderschaft Krausens mit Sternberg zu einem engen Bündnis mit der ›Neuen Freien Presse‹ führt«:

Noch ein paar Worte gegen Angriffe auf das Privatleben »eines bedeutenden Schriftstellers« und sie hat ihn schon. Ma' wird doch da seh'n – würde Emanuel Edler von Singer sagen ...

Ich glaube, daß die Kassandra gegen Bekessy ein Waisenmädchen war. Aber wenngleich er in meine Zukunft schaut, wird es ihm darum doch nicht gelingen, meinen Blick von seiner Vergangenheit abzulenken. Auch ich denke ja manchmal: »Sie hat ihn schon«; doch wenn ich mir ihn dann freien Fußes auf Bergen wandernd vorstelle, so meine ich wieder: Der kann nicht schwindeln, denn er hat sich durch halsbrecherische Kletterübungen auf Treppengeländern trainiert. Aber ich verstehe im Ernst nicht, wie ein Mann, der so viel von mir gelernt hat – die boshafte Photographie, die Benützung des Privatlebens und den schlechten Stil –, eine so geringe Meinung von mir haben kann. Nein, nein, was man doch da sehn wird, dürfte eher den Schüler betreffen, dem ich kein günstiges Horoskop stelle, als den Meister ... Doch leugnet dieser nicht, daß er müde ist und entschlossen, sein Amt, das durch die ›Stunde‹ überflüssig geworden ist, der jüngern Kraft zu vertrauen, während wir, wie Lear, zum Grab entbürdet wanken (nicht ohne vorher Bekessy zu fragen, ob er mich gern haben will). Uns der Macht und Rente begebend, bewahren wir nur den Namen, des Königs Ehrenrecht und das Automobil. Nun könnte es ja Kents und Narren genug geben, die vor so unüberlegter Hingabe warnen und der Meinung sind, daß die Fackel durch die ›Stunde‹ nicht überflüssig, sondern notwendig geworden sei. Aber das ficht mich nicht an, ich mache Schluß, und schreibe als letzte Satire die feierliche Übergabe meiner Agenden durch Bekessy, wobei ich nicht unterlassen werde, den Nachfolger dem Wohlwollen der Kundschaft wie auch anderer in Betracht kommender Faktoren zu empfehlen. So zwei wie wir zwei unterscheiden uns ja höchstens darin, daß, während er die fruchtbarste Epoche seines Schaffens in Budapest durchgemacht hat, die Akten über mein Nachleben noch nicht geschlossen sind. Selbstverständlich muß ich ihm auch das ganze irdische Inventar meines Ruhms abtreten und er wird sich nicht wenig wundern, daß es da plötzlich Bekessy-Verehrer geben wird und, wenn statt meiner die Gestalt eines Blauäugigen und Blonden auftaucht und Vorträge gegen die Fackel hält, die Mänaden aus dem Podium wachsen. Er wird natürlich Briefe bekommen, aber ich glaube, er wird im Gegensatz zu mir mit sich reden lassen, und er wird sich, wenn ich abtrete, in mein Privatleben zurückziehen. Auch könnten sich Quiproquos ergeben, wie daß etwa bei Personen, die schon in den »Letzten Tagen der Menschheit« vorkommen, noch einkassiert wird, kurz Dinge, die ich nicht ausmalen will, denn ich stehe nicht hier, um diese Stadt über eine tragische Angelegenheit, die in ihr spielt, mit Possen zu betrügen. Mir ist es bitter ernst zu Mut, und wenn diese Stadt schon ihr Gaudium daran hat, daß ein zugereister Pirat Leben in die Bude bringt und dem eingesessenen Todfeind ihrer Gedankenlosigkeit Schabernack spielt, so will ich ihr den Nachfolger ganz und gar empfehlen! Ich übergebe das Verlaßtum meiner Ehre, die nicht einmal durch den Umstand berührt werden konnte, daß ich Zeit- und Ortsgenosse solcher Greuel war, und behalte bloß den Leumund des Mannes in der Hand, der als der Vollstrecker einer sittlichen Sendung mich überflüssig gemacht hat. Wir sind alle Sünder und jedem von uns haftet etwas an, eine Leibrente oder ein Auto, und wären sie noch so klein, aber doch etwas, was im Widerspruch steht zu seinem öffentlichen Gebaren. Der einzige, dem solches nicht nachgesagt werden kann, dessen Leben spiegelglatt die volle Harmonie von privater Menschlichkeit und öffentlichem Tun erweist, ist Bekessy, dessen Leumundsnote, die das Landesgericht für Strafsachen bei der Polizeidirektion Wien eingefordert hat, die folgenden Begebenheiten aufweist.

Jahr

Aktenzahl

Delikt

1912

62 112

Verleumdung beg. durch die Presse

1913

37 993

Erpressung

1913

78 373

Verleumdung beg. durch die Presse

1913

101 460

Verleumdung beg. durch die Presse

1916

27 628

Erpressung

1916

100 941

Preistreiberei

1916

75 951

Vergehen des Betruges

1916

94 187

Vergehen des Betruges

1916

131 206

Vergehen des Betruges

1916

132 121

Vergehen des Betruges

1916

100 610

Verbrechen des Betruges

1917

99 354

Verleumdung beg. durch die Presse

1919

106 243

Verleumdung beg. durch die Presse

1920

51 419

Verbrechen der Aufwieglung

1921

2 807

Verbrechen des Diebstahls

Diese Liste ist im ›Österreichischen Volkswirt‹ vom 24. November 1923 erschienen und zu ihrer Wiedergabe sei gerne festgestellt, daß immerhin die Vermutung besteht, keine dieser Strafamtshandlungen, die gegen Bekessy anhängig waren, habe – also bei ruhendem Verfahren – zu einem Abschluß geführt, zu einer Verurteilung oder zu einem Freispruch. Dem Herausgeber der ›Stunde‹ und der ›Börse‹ kann somit wohl keine ausgestandene Strafe vorgeworfen werden, höchstens das Faktum, daß er sich seit damals nicht »rechtschaffen beträgt«, sondern die ›Stunde‹ und die ›Börse‹ herausgibt. Wenn Strafamtshandlungen wegen Erpressung, Verleumdung und Betrugs einen Bestandteil des Privatlebens bilden und er das Privatleben dort anprangert, wo es ihm im Widerspruch zu der öffentlichen Wirksamkeit der Person zu stehen scheint, so läßt sich mithin in seinem Falle geradezu ein Musterbeispiel von Konsequenz nachweisen. Diese Leumundsnote ist wahrlich das Zifferblatt, von dem sich jede ›Stunde‹ ablesen läßt. Aber der politischen Uhr, nach der sich die Maßnahmen des öffentlichen Lebens richten und die immerzu Taktik, Taktik macht, verdanken wir das Glück, Herrn Bekessy als Wiener zu begrüßen; denn der weiße Terror dieser unausgelebten Leumundsnote war jener, der ihn im Namen der Freiheit vor dem Unheil bewahrt hat, jemals noch seiner Heimat rückerstattet zu werden, um in unserer Mitte Lebende und Tote zu verunehren, die Kindheit zu schänden, indem er sie teils mit Gonokokken behaftet ausstellt, teils aber mit der ›Stunde‹ in der Hand, kurzum: mich überflüssig zu machen. Und er, dem ich nicht so leicht das Handwerk legen könnte wie er mir, würde es fortführen, selbst wenn ich die Szene beschreiben wollte, sprechender als ein Leumund, da er vor einem Enthüller auf den Knien lag, um Gnade flehend und vor dem Sprung in den Abgrund eines Treppenhauses. Denn das Journalleben hat seine Romantik wie das der Briganten und Turnierritter mit Aktienpaketen, und Herr Bekessy kann auch mit einem fremden Bürstenabzug in der Hand, in die er ihm gespielt ward, auf den Angreifer einwirken, Mitleid statt Furcht erregend, immer mit fliegenden Fahnen im feindlichen Lager, mit den eigenen bedrohlich, mit den fremden zahm. Ich glaube an seine Auferstehung selbst aus solcher Lage, ganz wie es in der ›Stunde‹ von einem Tüchtigen dieser Welt, dem nachgerühmt wird, daß er den Gegenwert für französische Waren schuldig geblieben sei, prophetisch heißt:

Emil Cyprut wird sicher wieder auferstehen ... seine Finger können noch viele Ringe tragen ... Es gibt keinen Untergang für Menschen, die selbst immer einen Übergang bedeuten.

Und in diesem Sinne mag man fragen, was Herr Bekessy geantwortet hat, als der Leumund zu sprechen anhub. Also wie macht man das? Ganz einfach, er sagte: ecce mundus und leugnete den Leu, in der Stunde, nachdem er geweckt war. Das klingt wie von Schiller, ist aber das nüchternste Ding von der Welt. Er erwiderte, daß er mit allen diesen Strafamtshandlungen »nur als Anzeiger oder Zeuge« zu tun gehabt habe; woraus sich die Wahrscheinlichkeit ergibt, daß in meiner Leumundsnote der Biberpelz vorkommen dürfte, der mir einmal gestohlen wurde. Und in der ›Börse‹ (29. Nov. 1923) antwortete er – in jenem Artikel, dessen Einleitung die Berufung auf mich war und auf Shakespeare, der alles vorausgewußt hat –: er werde »nächste Woche« aktenmäßig die Leumundsnote entkräften.

Die »Akten« sind aus Budapest noch nicht eingetroffen, ihre Übersetzung nimmt auch einige Zeit in Anspruch, sie werden aber nächste Woche doch zur Veröffentlichung gelangen.

Und in der nächsten Woche, die nicht mit einem Zitat aus Shakespeare, sondern aus Horaz begann:

Ich hätte nie geglaubt, daß es so schwer sei, die Unbescholtenheit öffentlich nachzuweisen. Man stößt da auf ähnliche Schwierigkeiten, wie beim Beweis der Jungfrauenschaft; hat man sie nachgewiesen, so ist sie auch schon nicht mehr da ... Wir bemühen uns seit 14 Tagen, alle »Akten« zusammenzubringen, die meine Unbescholtenheit nachweisen sollen, man müßte aber rein einbrechen, um in das künstliche Gewirr falscher Zahlen und teilweise auch nicht existierender Akten hineinzuleuchten.

Und hier, beim Einbrechen, spielte er das Prävenire des Witzes:

Täte ich dies, so wäre es aber wieder mit meiner Unbescholtenheit vorbei und so muß ich noch um ein wenig Geduld bitten, bis ich die Grenze der Niedertracht, das Maximum der Schmähsucht im Lichte unwiderleglicher Akten dem P. T. Publiko aufgezeigt habe.

Es wartet noch heute; und wie man zugeben muß, mit einer unerbittlichen Geduld. Ich zerreiße sie! Hinaus aus Wien mit dem Schuft! Sein »Schaffensdrang«, rief er den Geschworenen zu, »in dieser Stadt eine Zeitung zu gründen«, gehe »auf die Dankbarkeit zurück«, die er für diese Stadt empfinde, in der er »eine Heimat gefunden« habe. Die Stadt raffe sich auf und werfe ihm das Geschenk an die Stirn, wenn sie schon je den Wahnwitz beging, ihn sich zu verpflichten! Sie zerreiße es auf der Straße, anstatt sich durch Annahme des Douceurs, durch Förderung des Schaffensdranges mit Unehre zu beladen! Sie bewahre sich vor dem Ausgang, daß es leichter gelingen sollte, Wien unmöglich zu machen als daselbst unmöglich zu werden! Was würden ihr die aus vorbildlichem sozialen Geist erschaffenen Bäder nützen, wenn sie im Schmutz der geistigen Lumperei versinkt! Was würde es ihr helfen, wenn sie, deren Jugend weiß Gott schon gegen geringere kulturelle Gefahr demonstriert hat, tatlos zusähe, wie Geist und Sittlichkeit im Kampf gegen die Übermacht der schuftigen Materie erliegt! Nicht ich, Wien wäre besiegt, wenn es eingeschüchtert von einem importierten Revolver, mit allem Wert und allem Ehrbewußtsein, die es aufzubieten hat, auch weiterhin schwiege. Wohl, das einem Strafgesetz zum Trotz einzig sittliche Mittel leiblicher Remedur der Schmach, der das Strafgesetz nicht beikommt – es sei verpönt, weil es in ruchlosem politischen Kampf kompromittiert wurde. Die Hundspeitsche, die ihn doch gewiß nicht zum Märtyrer der Reaktion machen könnte, selbst das Argument, das auf der flachen Hand liegt, sei dem Manne erspart, der gegen eine Reform des Strafgesetzes auf dem Freiheitsrecht besteht, das leiblichste Leben auf die publizistische Szene zu zerren, um durch diese wirksamste Drohung in andere Güter einzugreifen. Aber wenn der politische Exzeß den natürlichsten Ausdruck der Empörung unverwendbar gemacht hat, so helfe man sich anders! So dulde man nicht, daß die Nichtswürdigkeit, die noch tief unter solcher Moral wirkt, von der Schonung profitiere, sondern stehe auf zu jeglicher Art von Protest: Der diese Enthaltung ausspricht und beklagt. Der ein Gelübde leistet, die Mitwirkenden gesellschaftlich zu ächten und jeden für ehrlos zu erklären, welcher das Geschäft der Schande unterstützt, selbst jene törichten »Verehrer«, die noch das roheste Rohmaterial meiner Betrachtung »sammeln«, statt mir den einzig legitimen Bezug des Schandblatts zu überlassen. Der zu jedem Kolporteur einen mit der plakatierten Leumundsnote stellt, mit Flugblättern das sensationelle Unterfangen der Schamlosigkeit ereilt, das Gebrüll der täglichen Exhibition übertönt, damit der gerühmte Vorsprung vor meiner publizistischen Saumsal doch wettgemacht sei! Und zu einem Protest, welcher im engern Umkreis der von mir erregten Leidenschaften mir nicht durch Hervorrufe für eine künstlerische Leistung dankt, sondern ein sittliches Vollbringen durch andere Rufe bestätigt! Der Plebiszite anregt, Gesetzgeber zu befeuern und die Stadtväter um die Entsühnung der Stadt zu beschwören, der solche Sünde eingebürgert ward: durch ein Wort des Mutes, das alle Rücksicht der Politik im Namen der Ehre austilgt! Ich, der für alle tut, was er für sich tut, brauche keine Hilfe, nicht von der stärksten Macht, die sie gewähren könnte. Aber schonungslos mache ich das Zaudern hier zum Maß und werde die Geister und Herzen nach ihrem Verhalten zum Übel richten, solange sie nicht mindestens den Mut aufbringen, mich zum Narren zu stempeln, weil ich es überschätze und weil ich wichtig nehme, was ein Wicht schreibt. Daß eine Publizistik, welche von der Schadenfreude lebt und von einer Gleichgültigkeit, die sich die Pein der Bedrohten nicht einmal vorstellt – daß sie ein beherrschender Teil der öffentlichen Meinung sei, ist eine Möglichkeit, die das sozialistische Wien als seiner unwürdig von sich abtun muß! Es mache tabula rasa mit dem frechen Vorwand einer linksradikalen Gesinnung, die sich für das Parasitentum am Kapitalismus die Gunst der herrschenden Partei sichern möchte, ganz wie sie sich von ihr die Einbürgerung des Parasiten erschlichen hat, damit er der ihm zukommenden Seßhaftigkeit entgehe. Im Namen jeder Ehre, die es gibt, der sittlichen und der intellektuellen, und der politischen, die es noch geben könnte, sondere es die blutig errungene Freiheit von dem spekulativ betriebenen Schein einer Verbindung mit dem Libertinertum dieser Umkehrung aller moralischen Begriffe, mit dem Triumph jeglicher Blasphemie und mit den täglichen Orgien der Zeitkanaille, die dank dem Mißbrauch des Begriffes der Freiheit selbst hier nun im eigentlichen Sinn des Wortes entfesselt wirkt. Es vereinige sich in dem Ruf: Schluß damit! Wenn für den Schmutz, den das Blut der Welt zurückgelassen hat, die neue Staatsform nichts kann und gegen ihn nichts vermag – die Glorie des Schmutzes, seine täglich sichtbare Verkörperung, hat abzudanken wie die Glorie des Bluts! Gegen eine Journalistik der Fressack und Naschkatz, die noch den Herrn der Hyänen beschämt, wehre sich die Preßfreiheit selbst. Unerträglich finde das republikanische Gefühl, daß die Abneigung der Geistesarmen gegen die neue Staatswelt in der einen Gewißheit doch berechtigt sei: daß dergleichen unter den Habsburgern nicht möglich gewesen wäre! In dem heiligen Glauben an die Unehre ihres Waltens sei es beschworen: Lieber bereute ich die »Letzten Tage der Menschheit« in der Kapuzinergruft, lieber zwänge ich mich an seinem Sarge knieend Franz Joseph um Verzeihung zu bitten – ehe ich die Freiheit einem Bekessy verdanken wollte und den Stimmen, die seine Hilfe ihr geworben hat! Was sich nicht zurücknehmen läßt: daß er mein Mitbürger sei, werde ausgeglichen durch die Tat eines Gesetzes und bedauert durch das Wort einer Ehrenerklärung für die beleidigte Stadt! Ihr Bürgermeister finde es nicht unter seiner Würde, die Ortsgemeinschaft des Gezeichneten mit dem Zeichner zu beklagen, dessen »gewaltige Geistesarbeit« er mit jedem Wiener zu kennen versichert hat. Er hat mir in seinem und aller Namen »für den ebenso unermüdlichen wie unerbittlichen Kampf« gedankt »gegen alles Schlechte und Verlogene in der Welt«, den ich, wie er gesagt hat, mit den Waffen des Geistes geführt habe, »die immer, mögen scheinbar eine Zeitlang Lüge, Hoffahrt und Anmaßung triumphieren, zum Siege gelangen«. Er hat mir gedankt für alles, was ich »zur Befreiung der Gehirne von dem Vorurteil, der Herzen von den Lastern, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung züchtet, getan« habe. »Für die warme und echte Liebe zu den Gepeinigten und Gedemütigten«, die ich, wie er anerkannt hat, »auch in beträchtlichen Zuwendungen für wohltätige Zwecke bekundet« habe. Er hat mir »für die Treue zur Republik« gedankt, für die ich, wie er gerühmt hat, »durch die Abrechnung mit dem Monarchismus so glänzend vorgearbeitet« habe. Für »den mit sittlicher Leidenschaft geführten Krieg gegen den Krieg«, dessen Unmenschlichkeit, wie er gesagt hat, ich »in meiner unsterblichen Tragödie so geschildert habe, daß die Menschheit es nie vergessen kann«. Für den moralischen Mut, daß ich »den steten und beharrlichen Kampf gegen alle, die das öffentliche Leben verfälschen, die den Lügengeist der Zeit bestimmen«, auf mich genommen und »unbekümmert um äußerlichen Erfolg, allen Verkleinerern und Widersachern zum Trotz, mit nie versagender Energie geführt« habe. Nicht minder »für die künstlerische Freude«, die von meinen Schriften ausgehe, denn ich hätte »den Menschen Ehrerbietung vor der Sprache gelehrt und die Kunst des gedanklichen Ausdruckes zur Vollendung gebracht«. Und weil wir auch wissen, sprach er, daß der Bann des Schweigens gebrochen ist und der Ruf meines Wirkens und meiner Kunst sich im Ausland zu verbreiten beginnt,

so darf ich sagen, daß die Stadt, die Sie so oft gescholten, aber immer geliebt haben, stolz sein kann, Sie zu ihren Bürgern zu zählen.

Wenn ihr Bürgermeister diese Leumundsnote aufrecht erhält, wenn sie so wahr ist wie die eines andern Publizisten, den die Stadt Wien, ob stolz oder nicht, aber immerhin zu ihren Bürgern zählt, wenn ihr Wortführer nicht anläßlich meines Kampfes gegen das stärkste Beispiel der Verfälschung durch den Lügengeist der Zeit andern Sinnes geworden ist und sich nicht den Verkleinerern meines Wirkens angeschlossen hat, dann sinne er auf ein Mittel, den schmählichsten Widerspruch meines Lebens, der in der Landsmannschaft zweier Leumundsnoten begründet ist, aus der Welt, aus der Stadt zu schaffen. Ich möchte, immer wieder Wort für Leben nehmend, gerade ihn fragen: Wie lange wird die Wirkungslosigkeit des meinen währen? Wie lange soll ich »unbekümmert um äußerlichen Erfolg« dahinleben? Für meine geistige Ehre ist mir vor dem Mißerfolg nicht bange; und die mit mir die Wehrlosigkeit einer überlegenen Moral empfinden und teilen, die Bewohner dieser Inselwelt, wissen mit mir, daß ein Unterliegen in der umgebenden, und entschiede sie selbst für ihren Erpresser gegen ihren Befreier, nur die Erfüllung meiner Vision von ihr wäre. Doch auch von Ihnen erwarte ich eine Entscheidung; und ich könnte nicht mehr als Sprecher dessen, was uns moralisch verbindet, vor Sie hintreten, wenn der Ausdruck Ihrer Zustimmung mit meinem Wort verstummte, wenn auch hier um zehn Uhr alles aus wäre und wenn Sie nicht wenigstens im Umkreis dieser Wirksamkeit sie durch ein solches Votum bekräftigt hätten, das ins Ohr einer Welt dringt, die nur den Mißton hört. Nein, Sie werden zu mir stehen und zu dem Fluch, der mir wurde, ihr fluchen zu müssen! Denn mag sie es auch weiter unter meiner Würde finden, sie zu beachten, so will ich es doch tun. Und jenen auf ihr, die das zu sagen meiner unwürdig finden, was zu schweigen sie ihre Halbheit zwingt, will ich, mit Worten aus Stein in den Schüsseln, ein Gastmahl des Timon rüsten – den Senatoren von Athen zusammt der gemeinen Hefe der Gesellschaft, und allen, die zu erhaben waren, um sich zu mucken, aus Furcht vor der Pest sie nicht beim Namen nannten und darum verantwortlich sind für die Verbreitung. Ihnen sei, was Shakespeare vorausgewußt hat:

Bankrutierer,
Halt fest, gib nichts zurück; heraus das Messer
Für deines Gläub'gers Hals! Stehlt, ihr Leibeignen!
Langhänd'ge Räuber sind ja eure Herrn,
Rechtliche Diebe ...
Du, sechzehnjähr'ger Sohn,
Die Krücke reiß dem lahmen Vater weg,
Und schlag ihm aus das Hirn! Furcht, Frömmigkeit,
Scheu vor den Göttern, Friede, Recht und Wahrheit,
Stürzt euch vernichtend in eu'r Gegenteil,
Bis nur Vernichtung lebt! ... ... Lust und Frechheit,
Schleich in das Mark und das Gemüt der Jugend,
Daß sie, dem Tugendstrom entgegenschwimmend,
In Wüstheit sich ertränkt! ... schief ist Alles;
Nichts grad' in dieser fluchbeladnen Menschheit,
Als offne Schurkerei.

Dies jener Welt als Lebenslohn der Lektüre! Höflichen Mördern, sanften Wölfen, freundlichen Bären, den Narr'n des Glücks, Tischfreunden, Tagesfliegen, scharrfüß'gen Sklaven, Wolken, Wetterhähnen – kurz, einem Menschenschlag, der zu viel Mehl im Leib hatte, als daß darin noch Platz war für Ehre. Mitbürgern Bekessys, Bürgern von Groß-Wöllersdorf, Zuständigen eines Landes, das keinen Richter brauchen wird, weil sich alles von selbst prostituiert!


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