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Auf die seit Jahrzehnten gewohnte Beschwerde, die der Dreck der Zeit gegen mich vorzubringen hat: daß ich mich mit ihm abgebe, wie auf den besorgten Einwand aller, die sich in seiner Atmosphäre wohl fühlen; auf die Wutschreie der Getroffenen wie auf den Gleichmut einer weit verhaßteren und gefährlicheren Neutralität – antworte ich mit der bündigen Erklärung: daß die Siegeszuversicht meines Weltkriegs, den ich als einen heiligen Angriffskrieg bekenne, tiefer gegründet ist als der imperialistische Wahn, der unter dem Vorwand der Verteidigung die besser geordnete Umwelt herausgefordert hat. Allen, denen das Niedrige des Anlasses ein Ärgernis ist, antworte ich mit der Versicherung, daß ihre Einbeziehung in den Kampf den Gegenstand erheblich vergrößern wird. Allen, die da meinen, daß eine solche Einbeziehung der Neutralen die Position des Feindes stärken oder gar den Gewinn gemeinsamer Gegner bedeuten werde, entgegne ich, daß ich es nicht gewollt habe; daß mir aber nichts erwünschter wäre als die Erweiterung der Chance, die Erbärmlichkeit unseres öffentlichen Lebens darzustellen, ohne doch vom eigentlichen Anlaß abzulenken. Es gibt keine Dummheit taktischer Einrede, die ich nicht längst erfunden hätte, bevor sie mir opponieren könnte; es gibt keine politische Velleität, die ich nicht auf ihr menschliches Nichts herabgesetzt hätte, ehe sie es wagte, an mich heranzukommen. Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Feiglinge! Ich kenne aber auch das wahrhaft revolutionäre Bedürfnis nach Menschenwürde, das sich von meinen Bestrebungen angesprochen fühlt, das ihnen mit der stärksten Sympathie antwortet und jenen die Antwort nicht schuldig bleiben wird, die den Umsturz mit dem errungenen Zeremoniell einer verkrachten Welt besiegelt wähnen. Und wenn mir die Äußerung von Politikern ans Ohr dringt, die mir bisher in dem, was sie von mit begreifen, zugestimmt haben: mein Kampf habe für sie »kein Interesse«, so mögen sie versichert sein, daß mich noch weit mehr als der Gegenstand die Gründe dieses Nichtinteresses interessieren und daß ihnen mindestens die eine Entscheidung nicht erspart bleiben wird: ob ich die Furcht der Machthaber vor dem Erpresser oder die Stumpfheit der Kulturträger in geistigen Dingen für verächtlicher und angriffswürdiger halte. Denn nichts könnte es geben, was mein Interesse an einer Angelegenheit, die ich mit dem Herzen durchflamme, weniger abzuschwächen vermöchte als die Gleichgültigkeit der andern, welcher bei aller Bindung an den Spezialfall doch auch noch etwas von meiner Wachsamkeit und meiner Kraft der Exemplifizierung bewahrt bleibt. So sei denn mit Genugtuung ausgesprochen, daß ich durch die Befassung mit einem einzigen Schuft – zu dem Ihnen ohne Zweifel soeben der dazugehörige Eigennamen einfällt – fürs Leben ausgesorgt habe, indem es nur des geringsten Einspruchs bedarf, um meinen Horizont zu erweitern, und daß ich nicht ermüden werde, mir dort die Anregung zu holen, wo sie mir vermöge meiner Art, die Dinge des Lebens zu betrachten, leider Gott sei Dank zuteil wird. Was den eigentlichen Kampf betrifft, gibt es, solange das Übel fortwirkt, mag es nun mich selbst oder andere berühren, kein Ende. Ich habe, wenn ich ihn je hatte, längst nicht mehr den Wunsch nach Helfern, sie mögen sich für ihre Zurückhaltung durch die Erkenntnis entschädigt fühlen, daß der Starke am mächtigsten allein ist, aber sie werden staunen, daß er auch noch die Kraft finden wird, sie in all ihrer Schwäche darzustellen. Auch zweifelt er gar nicht daran, daß sie ihm zur Seite springen werden, wenn der Sieg errungen sein wird. Dieser Sieg muß beileibe nicht darin bestehen, daß ein Gebrandmarkter die Stätte seiner ruchlosen Wirksamkeit verläßt. Es genügt, daß der Umkreis jener immer größer wird, die von einem Grausen gepackt werden, daß dergleichen im Leben einer Kulturregion Platz habe. Und diesen Ausgang werde ich mit allen geistigen und moralischen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, herbeiführen, so entschieden, daß die Indifferenz, die dem Treiben zusah, sich als Ehrlosigkeit erkennen wird und nicht wissen, ob sie vor sich selbst ausspucken soll oder vor dem Typus, den sie ertragen hat. Und gelänge es mir bei den Mitlebenden nicht, so, hoffe ich doch für deren tiefe Verachtung durch die Nachlebenden vorgesorgt zu haben. Denn die werden staunen, welche journalistische Furie sich diese Nachkriegszeit gezüchtet hat zur Strafe für das Kriegsverbrechen und als Ablösung jener Presse, die es verschuldet hatte. Sie werden den Umfang meines Wirkens gegen die Pest, den Inhalt positivsten Tuns, mit einer höheren Gerechtigkeit ermessen als eine Gegenwart, die nur von Bildungswegen zur Kenntnis nahm, daß ich in diesem Kampf erlauchte Vorfahren hatte, welche gleich mir es nicht unter ihrer künstlerischen Würde gefunden haben, das Ideal im Widerspiel des Drecks der Zeit zu bejahen. Doch wenn der Starke am mächtigsten allein ist, so wäre er es auch in der Gegenwart nicht ohne den Rückhalt der Ungezählten, die mit ihm die Schmach empfinden, lebenslänglich zu dieser Gegenwart verurteilt zu sein. Eine Frau war es, die, mit besserer Ahnung für das Unheil unseres Lebens begabt als die Politiker, mir kürzlich das ganze Staunen über die Entartung, in der wir verenden, in der Frage darbot, wie es denn zugehe, daß ihr Friseur einen Befähigungsnachweis benötige, aber ihr Journalist keinen. Das kommt, sagte ich, daher, daß dieser die Köpfe von Tausenden behandelt, und als hätte ich es nicht schon tausendmal gesagt, erklärte ich, zu welcher Kulturbarbarei die Idolatrie der Preßfreiheit uns verdammt und daß ich, über den Wert der geänderten Staatsform hinaus, für einen ganzen Umsturz keinen Pfifferling gebe, der das zentralste Problem unseres Lebens nicht nur unberührt gelassen hat, sondern zur brennendsten Schmach gereift. Denn war es schon immer so, daß der einzige Befähigungsnachweis, den der Journalist erbringen mußte, darin bestand, daß er einen andern Beruf verfehlt hatte, so wird ihm jetzt selbst dieser Nachweis erlassen, indem nur mehr die Kriminalität als Vorstufe verlangt wird und der letzte Spitzbube, der freilich sein Metier durchaus verstanden haben muß, wenn er nur auch genügend Mittel für den Druckbetrieb erpressen kann, die Macht hat, zur kulturellen Instanz emporzusteigen. Ich wirke planvoll und zielbewußt an der Durchkreuzung dieser Karriere, ich arbeite an dem Zusammenbruch des Geschäfts, das ein abgefeimter Budapester Seifenagent mit dem Kapital der Wiener Indolenz betreibt, und ich lege schon heute das Bekenntnis totaler Erbarmungslosigkeit ab, wenn es gelingen sollte, etliche Dutzend Helfer – die um des schmutzigsten Brotes willen mittätig sind, die moralische, geistige und materielle Sicherheit dieser Stadt zu bedrohen, und deren Gewerbe selbst von der regulären Berufskorruption verfehmt wird – dem Heer der hunderttausend Arbeitslosen anzugliedern, deren jeder einzelne doch ein nützliches Geschäft verlassen mußte und mehr Mitleid verdient als die zur Qual der Menschheit erschaffene Wanzenbrut!
Ich habe zu berichten, was im unerforschlichen Ratschluß dieses schöpferischen Wesens, das weder zu begreifen noch zu fassen ist und dessen Anonymität im Selbstwegwurf triumphiert, seit meiner letzten Räucherung ausgesonnen wurde. Da ich die Angelegenheit als eine in ihrem Wesen und in ihren Wirkungen rein kriminelle betrachte und nur die Möglichkeit ihrer Verbindung mit dem, was man Geistesleben oder öffentliche Meinung nennt, als ein Kulturphänomen, so erwarte man nicht, daß ich mich bei Zwischenfällen aufhalten werde, die, aus dem Rahmen der Anonymität herausspringend und sich leiblich auf mein Podium wagend, von mir der gerichtlichen Überprüfung anvertraut sind wie auch etwa der Untersuchung, ob das gesprochene Wort einen höheren Anspruch auf Verantwortlichkeit rechtfertige als das gedruckte. Nicht was sich hinter dem Druckwesen an Menschlichem verbirgt, um vor dem Auswurf der Stadt in Erscheinung zu treten – vermöge meiner verwünschten Zugkraft, die auch dann einen Saal füllen kann, wenn ich nicht auftrete –, nicht das hat mich hier zu bekümmern; nicht der hundertmal erlebte Fall der Selbstauflösung einer Nichtsubstanz, die auf mich abwälzt, was sie an sich selbst unerträglich fühlt; nicht das Unzulängliche, das den Platz des Karl Kraus bereits besetzt findet und durch die Chance dieses Pechs zum Ereignis werden möchte; nicht die altgewohnte Revanche der Wesenlosigkeit, die mich mit ihren Attributen bewirft und sich kühn entschloß, mich grenzenlos zu hassen, weil sie der Mut verließ, mir gleich zu sein. Nicht dies geht mich an, sondern die Möglichkeit, daß es in öffentliche Meinung übersetzbar ist. Mag, was gedruckt ist, der psychischen Verwirrung der Haßliebe oder dem reinen Antrieb der Büberei entstammen, mich fasziniert die Zeile, an der Setzerkräfte gewirkt haben, um dem Namenlosen Autorität vor Leserhirnen zu leihen. Da ist denn zu berichten, daß die Wirkung meiner letzten Symphonie mit dem Presto: »Hinaus aus Wien mit dem Schuft!« nicht einmal mehr die war, daß dem Leumund auch nur die Nachtigall geantwortet hätte. Nein, es wurde mit der Scherzhaftigkeit des Selbstwegwurfs darüber geschäkert, daß ich mich mit einem Bekessy abgebe, zu dessen Eckermann ich geworden sei. Immerhin schien ich diesmal, insbesondere durch meine Eröffnung, daß in Budapest Kräfte an der Befreiung Wiens tätig seien, verständlich genug gewirkt zu haben, um jenen Zustand zu erzeugen, den man in Lemberg mit dem Ausdruck bezeichnet, daß jemandem »kalt am Pipek« geworden sei. Denn Bekessy ist nun einmal unser Mitbürger und strebt als dieser nach Ehre, schon um den natürlichen Mangel einer solchen wettzumachen, der ihn bekanntlich außerstande setzt, wegen ihrer Verletzung zu klagen. Ich bin darin ganz anders geartet. Gemeinsam haben wir nur, daß wir beide Shakespeare kennen, und der Hauptunterschied zwischen uns dürfte wohl darin bestehen, daß ich kein Erpresser bin, aber er mir trotzdem wehrlos preisgegeben ist. Er kann mir zwar bei den Zeitgenossen schaden, aber ich protegiere ihn dafür bei der Nachwelt, und während ich gewisse Unordentlichkeiten, die ich in seiner Vergangenheit bemerkt habe, in Ordnung bringe, ist er gänzlich außerstande, mein Nachleben durch eine üble Leumundsnote zu diskreditieren. Er hatte sich darum als der Klügere von uns beiden entschlossen, nachzugeben, seinen Leumund zu halten und mich in Ruhe zu lassen, in der Hoffnung, daß ich dann schon nicht bemerken werde, was er sonst für Passionen hat und daß er sich etwa vorbehalten wolle, unter sittlicher Entrüstung an der Infamie eines Schlüsselromans zu schmarotzen und gar die Namen der darin vorkommenden Frauen, der Opfer eines belletristischen Leichenschänders, preiszugeben. Nein, ich will das nicht und er wird mich für ein Sittengericht des Zuhälters, das auf Teilung der Beute abzielt, nicht gewinnen. Es ist mir gewiß angenehm, wenn er mir Ruhe läßt, solange ich an ihm arbeite, und wenn er mir nicht hineinpfuscht; aber zu bestechen wäre ich nur durch seine Entfernung, die ich äußersten Falles sogar zu erpressen bereit bin. Er jedoch pflanzt noch am Grabe die Hoffnung auf, daß es mir um mich zu tun sei und nicht um ihn, und er ließ mir wie so oft schon zu Ohren kommen, also ganz im Stil dieser unverantwortlichen Redakteure, die sich selbst und einander verleugnen: ach er sei des Treibens müde und nicht schuld an dem, was ihm seine Zauberlehrlinge da eingebrockt haben – um dann wieder durch Loslassung eines derselben die Angelegenheit auf ein sozusagen literarisches Gebiet abzulenken, auf welches ich aber, da ich mehr Strafrechtler bin, nicht folge; worauf er auch für dieses Experiment die Verantwortung ablehnte. Ein unzuverlässiger Kantonist, der er mithin ist – weshalb ihn auch die Schweiz nicht über die Grenze gelassen hat –, verfällt er nun plötzlich auf den fettgedruckten Spaß, mir die folgende selbstmörderische Schlinge zu legen:
KARL KRAUS, DER KÄMPFER
Ein Versuch der Beamtenbestechung in Budapest
Aus Budapest wird uns telegraphiert: Dieser Tage erschien im Evidenzbureau des Budapester Strafgerichtes der vorbestrafte und von der Anwaltskammer vor kurzem auf drei Monate suspendierte Rechtsanwalt Dr. Miksa Rosenberg und verlangte unter Hinweis auf eine Vollmacht des Wiener Schriftstellers Karl Kraus die Ausfolgung von Akten, die sich auf angebliche Prozesse des Herausgebers der »Stunde« beziehen sollen. Der Rechtsanwalt erklärte, er müsse die Akten haben – »kost's, was' kost«. Auf die Frage, was er unter »kost's, was' kost« verstehe, erwiderte Rosenberg, er würde für die Akten jeder angeführten Ziffer eine Million Kronen »anlegen«. Gegen Rosenberg wurde daraufhin wegen des Versuches der Beamtenbestechung die Strafamtshandlung eingeleitet.
***
Diese Meldung, die uns von unserem Budapester Korrespondenten übermittelt wird, beweist nicht nur, welchen Grad von Zuverlässigkeit Herr Kraus den von ihm selbst so siegessicher reproduzierten Aktenziffern beimißt, sondern auch, wie die Kampfmethoden dieses Ethikers überhaupt beschaffen sind. Man kann dem Herausgeber der »Stunde« nicht zumuten, mit Hausnummern zu polemisieren; was aber die Neugier Herrn Krausens anlangt, ob sich diese Nummern denn auch mit Tatbeständen decken, so wird sie bald restlos an anderer Stelle befriedigt werden.
Da es in der ›Stunde‹ stand, so war immerhin für einen Teil der Bevölkerung, der bis dahin noch schwanken mochte, die Gewißheit gegeben, daß nie ein Telegramm aus Budapest eingetroffen ist, daß dort kein vorbestrafter und suspendierter Rechtsanwalt namens Dr. Miksa Rosenberg existiert, daß ein solcher, wenn er existierte, nie eine Vollmacht von mir erhalten, nie auf eine solche hingewiesen hat, nie in einem Evidenzbureau, wo allerdings Akten über Herrn Bekessy aufliegen, erschienen ist, nie jene Zauberformel gesprochen hat, mit der man die Druckfahnen der ›Stunde‹ erlangt: »kost's, was kost«, und infolgedessen auch nie wegen des Versuchs der Beamtenbestechung, die ein Delikt ist, während die Journalistenbestechung als Annehmlichkeit gilt, in Untersuchung gezogen wurde. So weit wäre die Meldung zuverlässig. Welchen Grad von Zuverlässigkeit ich jedoch den von mir so siegessicher reproduzierten Aktenziffern beimesse, wird Herr Bekessy schon mir überlassen müssen und ich kann ihm versichern, daß dieser Grad ein hoher, ja sogar um eine Aktenziffer höher geworden ist, so daß ich, wenn ich nicht die im Volkswirt' gedruckte Liste reproduziert hätte, sondern die amtliche Originalliste, von rechtswegen eigentlich statt 15 16 Indianerkrapfen hätte verschlucken müssen. Denn es fehlte noch:
1917 4756 Verbrechen des Betruges
Meine Schlamperei mag entschuldigt sein durch das Beispiel des Herrn Bekessy, der diesen Punkt selbst übersehen hat, als er am Tage vor dem Schwurgerichtsprozeß Stolper-Federn dem Landesgericht eine geradezu diabolische Eingabe machte, in der er die im ›Volkswirt‹ angeführten 15 Punkte zu »entkräften« versuchte. Hätte er diese mit dem den Prozeßakten beigeschlossenen Original verglichen, so hätte er gewiß Vorsorge getroffen, sein Weh und Ach noch aus dem einen Punkte zu kurieren und sich eine Bescheinigung über die Einstellung auch dieses Verfahrens – mit Weglassung der »Gründe« – ausstellen zu lassen, was doch in einem Ehrenaufwaschen gegangen wäre. Was nun die Hausnummern betrifft – die Nummern eines grauen Hauses –, so zwingt ihn natürlich niemand, mit ihnen zu »polemisieren«. Nur wäre es endlich an der Zeit, daß er sein altes Versprechen einlöse, welches er seinen Lesern gegeben hat: nachzuweisen, daß er mit all dem nur als Anzeiger oder Zeuge zu tun gehabt habe – wodurch er mindestens beweisen würde, daß er lauter erfolglose Prozesse angestrengt hat, die noch vor dem Freispruch des Angeklagten eingestellt wurden. Er hatte es am 29. November 1923 für die nächste Woche versprochen, hatte über die Schwierigkeit der Beschaffung von Budapester Akten (über die ich keineswegs zu klagen habe) gejammert, und er war am 17. Januar 1924 endlich so weit, ihre Darbietung vor den Geschwornen zu riskieren, wiewohl daraus immerhin ersichtlich war, daß er in keinem einzigen der Fälle als Anzeiger oder Zeuge fungiert hatte. Nun sollte er doch endlich diese Eingabe, welche die Entkräftung enthält, veröffentlichen, damit sich die in den einzelnen Akten genannten Personen melden können, um die sie betreffenden Fälle, die am Gerichtstag bloß einen günstigen Eindruck für Herrn Bekessy zurückgelassen hätten, zu erläutern. Er hat es, im Besitz so gründlicher Entkräftung, bis heute nicht getan. Ich plage mich, zitiere Hausnummern wieder und wieder, und Herr Bekessy, der doch dem Schwurgericht den Beweis ihrer Nullität angeboten hat, verzichtet darauf, mit ihnen zu polemisieren, und begnügt sich damit, sich durch Gentlemen, die die Nummer meines Hauses anstarren und die ich abgeschafft habe, darüber unterrichten zu lassen, wer zu mir komme, um meine Neugier nach Tatbeständen zu befriedigen. Und doch haben wir beide kein Geheimnis vor einander.
Nur was er freilich mit der Ankündigung meint, daß sie, meine Neugier, »bald restlos an anderer Stelle befriedigt werden wird«, das vermöchte der beste Kenner dieser Vexierjournalistik nicht zu erraten und nicht der geübteste Leser spannender Kriminalromane, der immerhin jetzt das Gefühl haben muß, beim vorletzten Kapitel zu halten. Will er klagen? Will er mich in sein Verderben rennen lassen? (Wos will er?) Soll es am Ende bedeuten, daß er über eine funkelnagelneue Leumundsnote verfügt, mit der er die alte auszustechen gedenkt und mit der er schon christlichen Bauernblättern, die diese nachgedruckt haben, zu imponieren sucht? Aber er könnte doch nicht glauben, daß es gelingen würde, einen Historiker wie mich unsicher zu machen und die Bekessy-Forschung zu verwirren, die einzig auf der amtlichen, am 14. November 1923 auf Grund der Auskünfte der Oberstadthauptmannschaft in Budapest von der Wiener Polizeidirektion ausgestellten, am 17. November 1923 im Landesgericht für Strafsachen eingelangten und von da nicht zu beseitigenden Leumundsnote fußt. Sie lautet:
In Erledigung der an das Bezirkspolizeikommissariat Mariahilf in Wien gerichteten Note vom 22. September 1923 Z1 etc. beehrt sich die Polizeidirektion folgendes mitzuteilen:
Emmerich Bekessy
Herausgeber und Chefredakteur der periodischen Druckschrift ›Die Börse‹und Herausgeber der periodischen Druckschrift ›Die Stunde‹ ist am 13. Oktober 1887 geboren etc. Der Genannte war früher nach Budapest zuständig und ungarischer Staatsbürger, erlangte jedoch im Juli d. j. die Wiener Landesbürgerschaft und das Heimatsrecht in Wien.
Dieser gravierenden Feststellung, die zunächst den Leumund der Stadt Wien betrifft, folgt die wehmütige Erinnerung:
Bis zum Jahre 1920 domizilierte er in Budapest, weshalb auch bei der Oberstadthauptmannschaft Budapest angefragt wurde. Nach der eingelangten Auskunft hat sich Bekessy während des Krieges und auch nach dem Umsturze kaufmännisch und journalistisch betätigt.
Daran schließt sich eine Erwähnung seiner journalistischen Tätigkeit vor und während der Rätediktatur, die ihn zum Leiter der Presseabteilung des Kommissariates für Volksunterricht machte, »wodurch er die geistige und administrative Kontrolle über sämtliche Provinzblätter erhielt«. Dann heißt es wörtlich:
Während seiner journalistischen Tätigkeit in Ungarn hat sich Bekessy dadurch, daß er als Redakteur des nicht mehr bestehenden Tagblattes ›Nemzet‹ ein von einem französischen Schriftsteller stammendes Feuilleton als von ihm verfaßt veröffentlichte, im Kreise seiner Berufsgenossen kompromittiert. Zu einer behördlichen Behandlung kam es allerdings in dieser Angelegenheit nicht.
In Budapest fungierte Bekessy auch als Direktor der Handelsgesellschaft »Commercia«. Nach einer Mitteilung der Oberstadthauptmannschaft in Budapest gab er der eben genannten Sicherheitsbehörde wiederholt Anlaß, sich mit ihm zu befassen. In den Jahren 1912 bis 1921 waren dort folgende Amtshandlungen gegen ihn anhängig :
Folgen die 16 Punkte.
Als vorbestraft erscheint Bekessy jedoch in Ungarn nicht vorgemerkt.
Seit dem Jahre 1920 hält sich Bekessy in Wien auf.
Wieder ein Stich, dem sich eine sachliche Darstellung der Zwecke anschließt, welche die »Kronos-Verlag A. G.« – außer dem eigentlichen Zweck – verfolgt, eine Aufzählung der verschiedenen Betriebe, eine Mitteilung über das Stammkapital und die Verteilung der Aktien.
In der am 6. November 1922 abgehaltenen konstituierenden Generalversammlung der »Kronos-Verlag A. G.« wurde Bekessy zum Präsidentenstellvertreter gewählt; die Stelle des Präsidenten blieb unbesetzt.
Und nun kommt ein Schluß, für den ich dem Stilisten der Polizeidirektion meine Anerkennung ob des knappen und sachlichen Ausdruckes einer rauhen Wirklichkeit so wenig versagen darf wie dem Autor des Kriegsmanifestes, nur mit dem Unterschied, daß ich hier auch dem Gedanken zustimme und dem Mut, den die Obrigkeit nach unten bewährt hat und welchen sie denn auch seit dem Datum dieser Urkunde zu büßen hatte. Es heißt da wörtlich:
Bekessy, der als reich gilt, vertritt nach der Äußerung weiter journalistischer Kreise in Wien in seiner journalistischen Tätigkeit eine ganz eigenartige Auffassung, die von der Wiener Journalistik als mit den Standespflichten eines Journalisten nicht vereinbar angesehen wurde. Diese Auffassung geht dahin, daß, ebenso wie der Rechtsanwalt oder der Arzt von seinem Klienten, bezw. Patienten für geleistete Dienste honoriert werde, auch der Journalist auf Entlohnung von Seite der Personen Anspruch erheben könne, welchen er durch Publizieren, aber auch durch Verschweigen von Mitteilungen Dienste erwiesen habe. Die von ihm herausgegebenen Zeitungen trachten durch sensationelle Aufmachung der einzelnen Artikel und Notizen die Kauflust des Leserpublikums anzuregen.
Als vorbestraft erscheint Bekessy auch in Wien nicht vorgemerkt.
Das ist eine zwar traurige, aber unleugbare Tatsache, da auch der eine Kriminalfall, in dem ein Verfahren wegen Erpressung schwebte, resultatlos verlaufen ist, wie allem Anschein nach sämtliche Fälle in Budapest, was gewiß für den Grad der Einschüchterung der Klienten spricht, von denen Herr Bekessy für geleistete Dienste honoriert wird. Ob seine Macht als Machthaber der Budapester Kommune noch weiter ging als die während des Krieges, an dessen Front er, zwischen sonstigen Geschäften, das jüngere Blut dirigieren konnte, und wie weit die Spuren ihrer Wirksamkeit verwischt werden konnten, auch dies wird sich noch – aus den »teilweise nicht existierenden Akten«, auf die er einst mit Recht hingewiesen hat – feststellen lassen und an diesem besonderen Fall die Wahrheit des Wortes, daß nicht in der Welt ist, was nicht in den Akten ist, zuschanden werden.
Bis dahin bleibe der Mut anerkennenswert, mit dem er sich plötzlich, pour passer le temps, entschlossen hat, von den Hausnummern zu sprechen und wenigstens mit leisem Klang anzudeuten, daß es doch der Leumund war und nicht die Nachtigall. Da hatte er aber ein in der kriminalistischen Geschichte geradezu einzig dastehendes Pech, und damit kommen wir auf jenen Dr. Miksa Rosenberg, den es nicht gibt, zurück. Denn es gibt ihn. Bekessy hatte erfunden, daß ein Advokat dieses Namens in Budapest existiere, und er existiert! Die Sache verhält sich also anders als die jenes Herrn Karl Krause, der mit mir nicht identisch sein wollte. Aber das Wunder wächst: an dem Tage, an dem der Artikel erschien, war der Budapester Rechtsanwalt Dr. Miksa Rosenberg, den es gibt, wiewohl es die ›Stunde‹ behauptet hatte, auf der Durchreise in Wien, las es, ging in die Redaktion und verlangte, unter Vorbehalt weiterer Schritte, eine Berichtigung. Sie erschien wie folgt:
Karl Kraus, der Kämpfer
Die ›Stunde‹ hat in ihrer gestrigen Nummer ein Telegramm ihres Budapester Berichterstatters veröffentlicht, daß ein Budapester Rechtsanwalt namens Dr. Miksa Rosenberg im Evidenzbureau des Budapester Strafgerichtes unter Hinweis auf eine Vollmacht Karl Krausens »Material« gegen unseren Herausgeber auf dem Wege der Beamtenbestechung sammeln wollte. Der in diesem Artikel erwähnte Dr. Miksa Rosenberg ist nicht mit dem bekannten, in Budapest, Rakoczistraße 70, wohnhaften Rechtsanwalt gleichen Namens identisch, der zurzeit Verhandlungen in Wien führt und mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um den suspendierten Anwalt Dr. Miksa Rosenberg, der wegen Defraudation zu drei Monaten Kerkers verurteilt und von der Rechtsanwaltskammer suspendiert worden ist.
Wonach nun schon gar kein Zweifel mehr bestand, daß es auch keinen zweiten Budapester Anwalt Dr. Miksa Rosenberg gibt, der wegen Defraudation zu drei Monaten Kerkers verurteilt worden ist, also ein Schicksal erfahren hat, das Herrn Bekessy bis heute allem Anschein nach erspart geblieben ist. Denn es muß einmal gegen alle Mißdeutung und Munkelei klipp und klar gesagt werden: gewiß, das eigentliche Bekessy-Problem liegt in der Frage, ob er gesessen ist oder nicht – aber es kann, soweit die vorhandenen Kräfte reichen, heute nur mit Nein beantwortet werden und der einzige Vorwurf, der Herrn Bekessy gemacht werden darf, ist der einer nicht ausgestandenen Strafe, wiewohl er sich keineswegs gebessert hat, sondern im Gegenteil die ›Stunde‹ herausgibt. Aber das macht nichts und es wäre ebenso kleinmütig, darum die Hoffnung aufzugeben, wie es kurzsichtig wäre, über einer Vergangenheit, die noch weit günstigere Aussichten bietet als sechzehn eingestellte Strafamtshandlungen, gar die blühende Gegenwart zu vergessen. Gut Ding braucht Weile, und man muß nicht gleich mit der Tür ins graue Haus fallen wie der espritvolle Chroniqueur, der in der Zeitung des Herrn Bekessy die Schilderung des Gerichtsmilieus mit dem Apercu schmückt:
Einer der Häftlinge blickte mich beinahe feindselig an. Die ewige Bruderfrage einer entarteten Welt starrt mir entgegen: Warum ich und nicht Du?
Nein, Bekessy ist nach menschlichem Ermessen unbescholten, er hat schon 1923 geklagt, nämlich daß es so schwer sei, dies nachzuweisen und daß man »da auf ähnliche Schwierigkeiten stoße wie beim Beweise der Jungfrauenschaft; hat man sie nachgewiesen, so ist sie auch schon nicht mehr da«. Man kann ihm den Zustand nachfühlen und darum auch den Rat geben, lieber nichts nachzuweisen. Das Wunder dieser Unbeflecktheit soll mehr den Glauben befriedigen als die Neugier reizen. Wer wird denn immer darauf lauern, zu erfahren, ob ein quicker Tänzer nicht doch einmal müde geworden und gesessen sei? Und wenn es gewiß leichtsinnig von Bekessy ist, in Berlin rauschende Feste zu feiern, während sich ernste Männer in Budapest bemühen, seine Angelegenheiten endlich und ganz ohne Kosten und Risiko in Ordnung zu bringen, so ist es doch eben der Reiz seiner Eigenart, daß man zwar beim Geschrei der ›Stunde‹-Kolporteure jedesmal glaubt, sie hätten den Herausgeber erwischt, daß dies aber offenbar noch nie der Fall war, nicht durch seine ganze Karriere hindurch, die eine Entlaufbahn darstellt vom Schieberkommis und Debrecziner Journalisten, vom Plagiator, Zeugnisfälscher und routinierten Selbstmörder, über den beliebten Feuerwerker beim Gebirgsartillerieregiment Nr. 4, bis zum Brillantfeuerwerker der Wiener Publizistik – eine Karriere, die der Mitwelt nicht allein die zum Tatbestand erforderlichen gegründeten Besorgnisse einflößt, sondern auch das Staunen, wie eine solche Fülle von Abenteuern von solchem Talent des Herauskommens begünstigt sein konnte, daß man fast glauben möchte, die Devise »Gut is gangen, nix is g'schehn« sei Pester Ursprungs und später erst in Wien eingebürgert. Wobei man allerdings nie vergessen darf, daß der ungarische Betrugsparagraph den zivilrechtlichen Ausgleich ermöglicht, Wenn der Unbescholtene darum seinen Humor behalten hat und morgen wieder geschmeichelt tun wird, weil ich ihm viel Beachtung schenke, so kann ich ihm sagen: nicht als sein Eckermann hoffe ich ihn zu überleben, wohl aber als sein Balzac oder gar als Plutarch eines Heroenlebens, das insbesondere durch die Taten in jener großen Zeit der Überlieferung wert ist, da er als Leiter einer Freiwilligenschule über den Heldentod zu verfügen hatte und seine artilleristische Überlegenheit über die Seinen kriegsgeschichtlichen Ruhm erwarb.
Arma virumque cano, und um diesen Zweck, der allein die Berufung des Mannes zum Faktor des Wiener Kulturlebens hinreichend dartun würde, zu erfüllen, brauchte ich in Budapest keinen Heller anzulegen, und was meinen Versuch der Beamtenbestechung anlangt, so beruht er vielmehr darauf, daß Herr Bekessy ein ebenso starkes Interesse für die Unzuverlässigkeit von Hausnummern hat wie ich für deren Notorietät. Wenn dies nicht so evident wäre wie alles, was man in einem Evidenzbureau erfahren kann, so hätte es mir die Aussage des Dr. Miksa Rosenberg bewiesen, nämlich des existierenden. Mein Anwalt hatte an ihn eine Anfrage gerichtet, die sich mit dem folgenden Brief kreuzte, den Herr Dr. Miksa Rosenberg spontan an mich geschrieben hat:
Budapest, 31. X.
In Tagblatt ›Die Stunde‹, in der Nr. vorn 29. Oktober 1925 las ich, daß ich auf Grund Ihrer Vollmacht in der Kanzlei des Budapester Strafgerichtshofes erschienen wäre und Abschriften von bestimmten Akten anschaffen wollte.
Ich erkläre, daß die ganze Notiz eine Erdichtung ist, und daß ich gerade dieser Tage in Wien war und es physisch unmöglich ist, daß ich zur selben Zeit in Budapest gewesen wäre.
Die ›Stunde‹ hat wohl in ihrer Freitag-Nummer in entsprechender Weise den auf mich bezughabenden Teil korrigiert, ich halte es jedoch trotzdem für notwendig zu erklären, daß ich Sie nie gesehen, Sie nicht kenne, von Ihnen nie eine Vollmacht erhielt und überhaupt nicht weiß, um was für eine Angelegenheit es sich handelt, und nicht, daß ich ihn selber kommissioniert hätte.
Empfangen Sie unbekannter Weise den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung
Dr. Rosenberg Miksa
Advokat.
Die Antwort an meinen Anwalt, vom 5. November, verweist auf den Expreßbrief, der an mich abgegangen sei, wiederholt dessen Feststellungen und erledigt die Frage, ob ein zweiter Anwalt des gleichen Namens in Budapest existiere, und den Zweifel, daß es der Fall sei, wie folgt:
Herr Kollege haben vollkommen darin Recht, daß bei der Budapester Advokatenkammer ein Advokat gleichen Namens nicht figuriert, ebenso ist es unrichtig, daß ein Budapester Advokat desselben Namens in der Angelegenheit vorgegangen sei, des ferneren aber auch, daß ein Advokat des gleichen Namens für was immer bestraft worden wäre oder von der Ausübung der Advokaturspraxis suspendiert worden wäre.
Die Richtigstellung war ebenfalls unrichtig. Wahrscheinlich hat jemand mit meinem Namen Mißbrauch getrieben, dies zu eruieren halte ich mich schon aus dem Grunde meiner persönlichen Reputation für verpflichtet, um es dann mit allen mir zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln zu ahnden. Es ist mir gelungen, so viel nachträglich in Erfahrung zu bringen, daß gerade das Gegenteil geschah; nicht im Namen und im Interesse Ihrer Partei, sondern im Interesse der Gegenpartei, die ich ebenfalls kenne, verlangte ein älterer Advokat, der einen guten Namen hat, eine amtliche Bescheinigung zwecks Nachweis der Einstellung gewisser Verfahren.
Falls Herr Kollege es wünschen, riskiere ich gerne die Kosten und werde Herrn Kollegen sowohl mein Leumundszeugnis wie auch die Bescheinigung der Kammer einsenden, daß ich nie und für nichts unter Strafverfahren stand oder von der Ausübung der Praxis suspendiert war und auch nicht bin.
Ich erachte damit die Angelegenheit von diesem Gesichtspunkte meinerseits für beendet und zeichne in Erbittung Ihrer beruhigenden Antwort
Achtungsvoll
Ihr ergebener Kollege
Dr. Rosenberg Miksa
Rechtsanwalt.
Dieser existierende Dr. Miksa Rosenberg hat nun die Anzeige gegen unbekannte Täter bei der Staatsanwaltschaft in Budapest als dem Ort der angeblichen Aufgabe des Telegramms erstattet und will beim Wiener Gericht die Ehrenbeleidigungsklage überreichen. Ich will dem nichtexistierenden Dr. Miksa Rosenberg zunächst gleichfalls in einem Beleidigungsprozeß gegen Herrn Bekessy Gelegenheit geben, gegen mich als Zeuge für den Vorwurf der Beamtenbestechung aufzutreten, der aber als der Vorwurf eines Verbrechens mich in eine Untersuchung bringen und sich als das Verbrechen der Verleumdung qualifizieren könnte. Herr Bekessy wird vermutlich erklären, daß er von nichts wisse, den Artikel, in dem zum erstenmal von seiner vitalsten Angelegenheit gesprochen wird, nicht geschrieben, nicht veranlaßt, nicht vor dem Druck gelesen hat, ja im Sanatorium gelegen sei, so daß vermutlich dank einer Freiheit, die die Mitwisser des anonymen Preßverbrechens auch vom Zeugniszwang befreit hat, nichts herauskommen dürfte als daß einer für die Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge, also das einzige Delikt, das dort bestimmt nicht begangen wird, sagen wir 16 Schilling zu zahlen hat. Schopenhauers Forderung: »Nenne dich Lump, oder schweige!« wird doppelt unerfüllt bleiben und das Epitheton, das er empfiehlt: »der verkappte anonyme Schuft«, auch weiterhin zu vergeben sein.
Immerhin wird sich nebst dem Ertrag, die Erkenntnis der Schufterei zu verbreiten, doch eine Gelegenheit bieten, mit Hausnummern polemisieren zu lassen, da die Materie nun einmal angeschnitten ist, und eine der zahlreichen kriminalistischen Möglichkeiten, die ich rastlos ergreife und wenigstens mit dem Erfolg, daß allein die Serie der Bilderfälschungsprozesse ein erpreßtes Vermögen um etwa 40 Millionen Kronen geschmälert hat – ein Vorbild für eine Bevölkerung, die so friedliebend ist, daß sie Herrn Bekessy sogar Expensen sparen hilft, seine Tasche mehr schont als er die ihrige und nicht nur auf die Hundspeitsche verzichtet, sondern auch auf das adäquate Mittel, zumindest die Gewinnsucht des Ehrenraubs zu bestrafen. Was aber die Hausnummern anlangt, so bleibe ich ein Fremdenführer hors concours, und sollten sie sich nicht mit Tatbeständen decken, so kann ich Herrn Bekessy nur raten, mit einer Geschwindigkeit, die seiner Entfernung aus Wien ziemen würde, wenigstens die Entkräftung, die er dem Landesgericht angeboten hat, zu publizieren – die in der ›Stunde‹ zwischen den preisgegebenen Namen von Selbstmörderinnen sicherlich noch genug Sensation machen würde und der Welt nicht nur ein Staunen ließe über das Glück seines Vorlebens, sondern auch über die Chance, von solcher moralischen Grundlage zu einem Beherrscher der öffentlichen Meinung Wiens aufzusteigen. Nicht die Art, schon das Milieu seiner vorjournalistischen Erwerbstätigkeit hat ihn dazu prädestiniert. Denn er unternimmt heute mit Druckerschwärze nichts anderes, als was er ehedem in Berufen getan hat, die vom Gesichtspunkt des kulturellen Gemeinwohls nicht ganz so beträchtlich sind. Und dennoch kommt diesem seine heutige Tätigkeit wenigstens mittelbar zugute. Denn durch die Erfindung eines suspendierten Budapester Anwalts, den ich mit der Beamtenbestechung betraut habe, hat er meinen Wiener Anwalt auf die gute Idee gebracht, nach Budapest zu reisen, woselbst er dank dem Entgegenkommen der Bevölkerung meine Neugier vollauf befriedigen konnte, um mit einem Liebesgabenpaket heimzukehren. Ohne »kost's, was' kost'« brauchte er bloß die Spatzen auf den Budapester Dächern anzuhören, die weit besser Bescheid wissen als die Nachtigallen von Wien, wobei ihm auch das Lachen der Budapester Hühner nicht entging, darüber, welchen Treffer Wien gemacht habe. Suspendiert wurde er nicht; wiewohl er auch ins Evidenzbureau ging. Nun ist die ordnende Wissenschaft am Werke, denn es ist »viel geschehen, was die Menschen weit und breit so gern erzählen, aber der nicht gerne hört, von dem die Sage wachsend sich zum Märchen spann«, wie Goethe sagt, der alles vorausgewußt hat. Es soll einer Rechtssache dienen, die mich nicht unmittelbar betrifft, und mir selbst diene es bloß als Hintergrund der einen grauenvollen Tatsache, die die Leumundsnote nicht verschweigt und die Herr Bekessy leider durch kein neues Sittenzeugnis aus der Welt schaffen könnte: daß er im Juli 1923 die Wiener Landesbürgerschaft und das Heimatsrecht in Wien erlangt hat. Alle anderen Sachverhalte sind nur nötig, um die Bedeutung dieses einen ganz zu erfassen und die fahrlässige Schuld jener, die ihn ermöglicht haben, ganz ermessen zu können, und nur in diesem Bestreben wurzelt all meine Neugier. Sollte Herr Emmerich Bekessy, der geschrieben hat, sie werde bald restlos an anderer Stelle befriedigt werden, vielleicht aus diesem Grunde nicht wissen, welche Stelle er meint, so empfehle ich ihm das Bezirksgericht, vor dem er mich wegen der Sätze, die ich bisher gesprochen habe und insbesondere wegen eines Satzes, den ich noch sprechen werde, anklagen kann, wenn er wegen des Gedruckten den Apparat des Schwurgerichts nicht in Anspruch nehmen möchte. Was immer ich spreche und schreibe, ist freilich, da ich nicht fließend stammeln kann, mit dem Hindernis des unpopulären Ausdrucks behaftet und schafft den Vorwand, daß solche Entehrung bloß ein Kunstwerk sei und darum sowieso von keinem Menschen verstanden werde, wenigstens nicht von jenen Kreisen, die für das Geschäft als Opfer oder Kundschaft in Betracht kommen. Und wenn ich die klare Parole ausgebe: »Hinaus aus Wien mit dem Schuft!«, so wird sie zwar populär, verhurt aber an Ernsthaftigkeit durch die Eignung zur Arie, zum Coupletrefrain und kann am andern Tag als Text einem Tanz im Grünen unterlegt werden. Es bleibt also, da man mir immer zunächst künstlerische Absichten zutraut, nichts übrig als so zu sprechen, wie es der gemeine Mann unbedingt verstehen muß, und schlicht zu sagen: Imre Bekessy ist ein Schuft. Vor 900 Zeugen, unter denen doch mindestens neun sind, die es ihm bestellen werden, wenngleich sie sich in dem Moment, da sie's hören, unbehaglich fühlen dürften. Alle übrigen aber fordere ich auf, es ihm gleichfalls zu sagen, das heißt: ihn so zu nennen, wie ich ihn nenne, in welchem Fall sie nicht das geringste zu riskieren haben. Denn entweder verklagt er den, der ihn so nennt: dann bin ich zwar nicht Tatzeuge, aber ihm mit meiner ganzen Zeugenschaft für die Taten des Klägers zur Verfügung. Oder er verklagt ihn nicht – eine Möglichkeit, die ich für sicher halte –: so besteht auch keine Gefahr. Müßten wir aber, ob er nun mich nicht verklagt oder einen andern, schon auf eine große Aussicht verzichten, so bliebe doch die Hoffnung, daß das Faktum dieser Nichtklage alle sonstigen Fakten überstrahle, daß das Wort, sich verbreitend, das Bewußtsein einer Bevölkerung durchdringe, allen Eingeschüchterten, allen Feigen, selbst allen Politikern Mut einflöße, ja vielleicht sogar jener Macht, die den ungebärdigen Bürger zu meistern nicht in der Lage ist. Und wenn nicht nur allen, die den Namen Bekessy nennen, die zugehörige Bezeichnung Schuft einfällt, sondern auch zur Bezeichnung der zugehörige Namen, dann wird es bald kein künstlerisches Geheimnis mehr sein, dann ist ein soziales Werk vollbracht, das dem demokratischen Geist die Ehre erstattet, die ihm der Versuch, mit der Schande zu paktieren, genommen hat – und dann tönt es, freudig und nicht bekümmert über die mitgehenden Milliarden, als Abschiedsruf: Hinaus aus Wien mit dem Schuft!