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19.

Nach einer Woche, am frühen Nachmittage, wurde Gläser durch den Besuch seiner Frau in der Bank überrascht. »Nun, du hier? Was gibt's denn?« fragte er erstaunt, zog sie dann aber erfreut an sich und küßte sie. Jedesmal, wenn sie unverhofft auftauchte, glaubte er, es sei mit dem Jungen etwas passiert. Als sie ihn aber darüber beruhigt hatte und ihm sagte, daß sie Einkäufe besorgt habe, fügte er hinzu: »Na, das trifft sich gut. Dann können wir ja zusammen essen.«

Niemals erschien ihm ihre Gesellschaft willkommener als gerade heute, denn den ganzen Vormittag, hindurch war er in unheimlicher Stimmung gewesen. Er hatte nur Ärger gehabt und ungünstige Nachrichten empfangen. Bohnenstiel hatte auf seinen geharnischten Brief gar nicht geantwortet, zahlreiche Anteilscheine waren ihm gekündigt worden, und abermals waren flutartig Zuschriften eingelaufen, die sich mit den sogenannten Enthüllungen über »Berlinend« beschäftigten, vor einigen Tagen hatte ein Börsen-Winkelblättchen einen Brandartikel gegen ihn gebracht, der die Überschrift trug: »Der Mann, der alles gründet.« So nannte man ihn seit kurzem, weil er, bauend auf sein Glück, die wildesten Pläne ausheckte, die sich zwar sehr rosig ausnahmen, bei ernsten Zweiflern aber bedenkliches Kopfschütteln verursachten. Ein großartiger Börsentrick in den geramschten Aktien einer verkrachten Farbwarenfabrik, die sich plötzlich durch ein neues, patentiertes Verfahren wieder äußerst ergiebig zeigte, hatte ihm ein riesiges Kapital gebracht, und so ließ er sein Geld überall hinrollen, wo er es gut angelegt glaubte. Er war an einer Baugesellschaft beteiligt, die ein ganzes altes Stadtviertel niederlegen lassen wollte, um moderne Industriehäuser zu errichten; er steckte hinter der Gründung neuer Eiswerke in der Nähe Berlins, die die Konkurrenz aus dem Felde schlagen sollte; er hatte ein großes Sandfeld in Schöneberg weit über den Preis erworben, weil er der bestimmten Meinung war, die königliche Eisenbahnverwaltung werde es dringend bedürfen; er gab kleineren Banken Lombard, namentlich den Kreditvereinen, um sie sich gewogen zu machen, und hatte seine Finger bei vielen andern Dingen.

Unterhändler kamen und gingen, und wo ein neues Projekt auftauchte, hieß es: »Das ist etwas für Gläser.« Um die Sandwüste in Schöneberg auszunutzen, hatte er dort ein mächtiges Hippodrom entstehen lassen, das die Sonntagsmenge in Scharen anzog. Sein Name war beinahe volkstümlich geworden, denn nachdem seine alten Sünden abgewaschen waren, suchte er förmlich etwas darin, ihn zum Glanz zu bringen.

Und nun hatte man ihm einen gehörigen Wischer versetzt, der den Firnis der letzten Jahre von ihm abstrich und sein ganzes Gewordensein bloßlegte. Man hatte den einstigen »Tütenkleber« entdeckt, den »glorreichen Generalvertrieb des Haarbalsams« ausgegraben und das »Versandhaus für Magolin« mit allen Geheimnissen aus der Versenkung hervorgeholt. Die lieblichen Düfte aus Apotheker Dähnes Laboratorium wehten Gläser in der Einbildung wieder entgegen, die aber einen üblen Geruch annahmen, als man von der »Seuchen-Kolonie« sprach, die den Keim der Zerstörung in sich trage und deren leichtfertiger Ausbau würdig der Vergangenheit ihres Schöpfers sei, der seiner »schwindelhaften Höhe« nicht zu sehr trauen solle, weil ihm bald die Luft ausgehen könnte.

Selbst der »Gasthof zur Heimat« wurde gestreift und auf eine »arme Braut« hingewiesen, die sich als »Mädchen für alles« dem »Mann für alles« habe opfern müssen, dessen Geldgier sich mit dem Salonduft der oberen Zehntausend vermählt habe. Diese ganze Spitzenverteilung, die zum Schluß den Vermerk trug: »Ein zweiter Artikel folgt«, roch förmlich nach dem Pulverdampf des Revolvers, der durch seine Platzpatronen schrecken sollte.

Gläser dachte sofort an Dähne, der den Stoff dazu geliefert haben könnte, trotzdem er sich sagen mußte, daß mehrere Fährten durcheinander liefen. Und um dem Giftgeschwollenen auf die Spur zu kommen, sandte er noch an demselben Tage Herbst ab, der vorsichtig die Fühler ausstrecken und durchleuchten lassen sollte, daß man zu einem gewissen Opfer bereit wäre, falls man Entgegenkommen fände. Zuerst hatte er geschwankt, ihn auch in dieses Vertrauen zu ziehen, als Herbst aber selbst darauf zu sprechen kam, um ihm gefällig zu sein, weihte er ihn auch in dieses Geheimnis ein. Das meiste sei natürlich erlogen und erstunken, fügte er wie selbstverständlich hinzu, aber es müsse in der Sache etwas geschehen. Und Herbst tänzelte mit vergnügter Miene davon und kehrte mit der wichtigen Nachricht zurück, daß alles in bester Ordnung sei. Er habe die Angelegenheit vom juristischen Standpunkte aus behandelt und die Gesellschaft gehörig eingeschüchtert. Man werde sich die Sache aber doch etwas kosten lassen müssen, um das Gesindel mundtot zu machen. Irgendein verkommener Mensch stecke dahinter, das sei sicher; man habe aber damit nicht herausrücken wollen.

Gläser war beruhigt, zollte ihm Anerkennung und überließ es ihm, am andern Tage die Verhandlungen weiterzuführen, die dadurch zum Abschluß kamen, daß die Bank das Blatt in hundert Exemplaren bezog, sich verpflichtete, allwöchentlich eine Ankündigung der Landhausstadt mit hoher Bezahlung beizulegen, und zweitausend Mark »Betriebskosten« einschloß, wofür die »Berichtigung« des Angriffs erfolgen sollte. Dabei verschwieg Herbst wohlweislich, daß er den Herausgeber des Blättchens, einen kaltgestellten Fondsmakler, der bei seinem Fischen im Trüben ein vortreffliches Leben führte, schon seit längerer Zeit kannte, weil dieser in Beziehungen zu einer Freundin Loris' stand, und er sich eines Abends beim Sekt vergessen hatte, ihm unschöne Mitteilungen über seinen Chef und über den Stand der Dinge zu machen, die man nun gegen seinen Willen verwertet hatte.

Trotz der geringen Verbreitung dieser Zeitung war von dem Artikel doch etwas in weitere Kreise gedrungen, denn einige anständige unabhängige Blätter hatten sich verpflichtet gefühlt, die Sache von der Person zu trennen und auf frühere Gerüchte über »angebliche Zustände« in der wachsenden Landhausstadt hinzuweisen. Gläser sah ein, daß ein Hauptstreich geschehen müsse, um allen diesen Widersachern zu begegnen. Millionen hatte seine Gründung bereits verschlungen, und immer aufs neue mußte er Hunderttausende einschießen, um zu der Krönung des Werkes zu kommen, das mit seinem ganzen Dasein zusammenhing.

»Weißt du, wir könnten erst rasch zu Herbst fahren, wenn es dir recht ist«, sagte er zu Klothilde, nachdem er sich im Seitenraum die Hände gewaschen hatte. »Mir ist da noch etwas Wichtiges eingefallen, er kommt nämlich nicht gleich ins Geschäft. Sicher wird er zu Hause sein, und einen großen Umweg machen wir nicht.«

Bleich saß sie da und schwieg sich aus, mit dem Schreck in den Gliedern, den die Witterung einer Gefahr verursacht. Vor einer halben Stunde erst hatte sie Herbst gesprochen, denn heute war ihr Besuchstag bei ihm. Um ganz sicher zu gehen, pflegte sie jedesmal einige postlagernde Zeilen von ihm abzuholen. Sie war gerade auf dem Wege dahin, als er ihr entgegenkam mit der Nachricht, daß heute etwas dazwischengekommen sei, und daß er in einem Restaurant speisen müsse; und so könne er sie nur auf nächste Woche vertrösten, wo Gläser nach Frankfurt fahren wolle und sie alsdann um so sicherer seien. Sie waren in eine kleine Konditorei gegangen und hatten im menschenleeren Hinterzimmer einige Minuten verplaudert, er gleichmütig wie immer, sie von einem unerklärlichen Mißtrauen erfüllt. Nun aber hörte sie, daß sie ihm Unrecht getan habe, als sie annahm, er wollte nur eine Ausrede gebrauchen.

Im Augenblick wußte sie nicht, was sie ihrem Manne erwidern sollte. Fast unwillkürlich hätte sie sagen mögen: »Nein, nein, er ist nicht zu Hause, du irrst dich.« Dann aber empfand sie wieder die Unruhe, die sie vorhin gehabt hatte, und so preßte sie ein gleichgültiges »meinetwegen« hervor. Und als er einwarf, daß sie ja in der Droschke sitzen bleiben könne, nickte sie eben so schwerfällig. Was konnte auch Großes geschehen! War Oskar nicht zu Hause, dann würde ihr Mann doch gleich umkehren, und traf er ihn an, so brauchte sie nichts zu befürchten. Sie waren stets auf jeden Überfall vorbereitet gewesen, alle Zeichen für ihre Anwesenheit waren verwischt, und selten hatte sie jemand in das offene Haus hineingehen sehen und ebensowenig hinaus. Die alte, halb taube Wirtschafterin, die hinten ihr Zimmerchen hatte, wußte nicht, wer sie war, und wäre im übrigen verschwiegen wie das Grab gewesen, schon aus Gründen ihrer Selbsterhaltung.

Sie fuhren los. Herbst wohnte im unteren Teile der Luisenstraße, in einem der stillen Häuser aus früherer Zeit, die sich durch ihre saubere, schmucklose Fassade ein gewisses kleinstädtisches Aussehen bewahrt hatten. Eiserne Prellpfeiler mit Ritterhäuptern standen vor dem breiten Torweg, der zugleich auch die Einfahrt war für den Wagen eines Sanitätsrates, der das erste Stockwerk innehatte ... Die weiß gestrichenen Fenster, deren doppelte Flügel nach der Straße zu offen standen, glänzten neu aufgefrischt, und in den Scheiben spiegelte sich grell das Sonnenlicht. Kein Laden störte die Eintönigkeit dieses alten Steinkastens, dem selbst der Vorderkeller fehlte. Die Parterrefenster rechts waren dicht verhängt, auf der linken Seite jedoch prangten die chirurgischen Instrumente eines Fabrikanten, als ein Zeichen dafür, daß man sich in dem medizinischen Viertel befand.

»Also hier hat er sich verkrümelt«, sagte Klothilde mit klopfendem Herzen, als der Wagen hielt. Rasch stieg sie mit aus, denn unterwegs war sie anderen Sinnes geworden. Gläser hätte doch fragen und die Schwerhörige ihn falsch verstehen können; und wollte es der Zufall, daß Herbst doch zu Hause war, so konnte es nicht schaden, wenn sie ihm zur Strafe einen leichten Schreck einjagte. Was für Augen er wohl machen würde, wenn er sie in dieser gefährlichen Begleitung sähe!

»Gut, komm' mit«, warf Gläser ohne weiteres ein und ersuchte den Kutscher, zu warten. »Es könnte doch etwas länger dauern, und dann brennt heute die Sonne ganz eklig.« Er dachte sich nichts Besonderes dabei, denn schließlich gehörte Herbst doch zum Hause. Als sie dann die altmodische Treppe mit den breiten, niedrigen Stufen emporstiegen, über den schmalen, ausgetretenen Läufer hinweg, meinte er plötzlich, daß man ja Herbst zu Tisch einladen könnte, falls er noch nicht gespeist haben sollte.

»Ach, das laß nur, du hast ihn schon genug verwöhnt«, gab sie zurück, weil sie immer noch glaubte, man würde den Weg vergeblich machen. Im Innern jedoch hätte sie es nett gefunden, so einmal zu Dreien im Restaurant zu dinieren, was noch niemals der Fall gewesen war. Sie zählte die Stufen bis zum zweiten Stock; es waren zweiundfünfzig, sie wußte es genau. Wie oft hatte sie das getan, wenn sie so langsam emporgestiegen war, namentlich in der ersten Zeit, als die Reue manchmal an ihr nagte und die Stimme eines Unsichtbaren ihr von oben zuflüsterte: »Kehr' um, noch ist es nicht zu spät.« Aber hinter ihr stand die Sünde und schob sie hinauf, bis sie rasch zweimal klingelte, als Zeichen, daß sie da sei. Während Gläser als großer Neuerer seine Glossen über diese Art alter Baracken machte und im Halbdunkel des ersten Stockwerks am Türschild herumschnüffelte, weil er nicht wußte, wie hoch Herbst wohnte, lachte sie hinter ihm still in sich hinein. Am liebsten hätte sie ihm zurufen mögen: »Geh' doch nur schon, hier ist's ja nicht. Noch eine Treppe«, aber geduldig ließ sie ihn reden, wartend wie eine, die sich selbst führen lassen muß.

Dann waren sie oben und standen vor der eichenartig gestrichenen Doppeltür in der Mitte des Flurs. Dahinter lag das geräumige Vorderzimmer, das einen eigenen Eingang von hier aus hatte. Früher gehörte es zur größeren Wohnung, als diese aber frei wurde, nahm es Herbst auf Klothildes Wunsch und ließ eine Verbindungstür herstellen, da es bisher ganz abgeschlossen war. Sobald sie geklingelt hatte, öffnete er selbst und empfing sie hier, wo gegessen wurde. So war sie sicher vor neugierigen Augen, falls er einmal anderen unerwarteten Besuch hatte.

Schon wollte Gläser an der Tür links klingeln, weil er dort den Namen las, als durch die Mitte lautes weibliches Lachen erschallte, das sich fast wie ein unangenehmes Kreischen anhörte. Deutlich vernahm man Herbsts Stimme: »Aber Lori, bist du toll?« Sie schienen sich zu jagen, denn während es polterte, erschallte wieder das helle Lachen.

»Da drinnen scheint es ja lustig zuzugehen«, raunte Gläser und dachte sofort an die üble Nachrede über Herbst.

»Weißt du, wir wollen sie überraschen«, gab sie leise zurück, kaum fähig, sich zu beherrschen. Nun wußte sie, was sie heute so unruhig gestimmt hatte und weshalb er in letzter Zeit so oft mit Ausreden gekommen war.

»Nein, nein, das ist nichts für dich«, wandte er ein. »Sei so freundlich und geh' hinunter, ich werde es kurz machen.«

Aber die Eifersucht krallte an ihr und hielt sie fest. »Doch, doch!« keuchte sie hervor, gar nicht mehr daran denkend, was ihr Unangenehmes geschehen könnte. »Vielleicht ist es besser, wenn du ihn einmal so zu Hause siehst. Leichtsinnig war er immer. Laß mich nur machen.« Und ehe er es verhindern konnte, klopfte sie laut, mit der Kraft eines Menschen, der durchaus Einlaß begehrt.

Arglos öffnete Herbst und steckte den Kopf hinaus, sie aber riß die Außentür weit auf, so daß sie das Püppchen noch sehen konnte, ehe es entwischte. Es saß da, den Zottelkopf in die Hände und die bloßen Arme auf den Tisch gestützt, mit der Miene eines Leckermäulchens, das sich soeben an üppiger Tafel gesättigt hat und auf weitere Genüsse wartet. Fast ein Bubengesicht mit hübschen, großen Augen, die mit holder Lüsternheit neugierig in die Welt blickten. Auch sonst schimmerte ihre weiße Haut in ungenierter Frische unter dem spitzenbesetzten, allzu durchsichtigen Morgenkleid, das sie grünschillernd wie das Gewand einer Nixe umgab, anscheinend mit Absicht wenig geschlossen, um der Wärme Trotz zu bieten.

»Ach, welche Ehre, Herr Direktor«, sagte Herbst sofort mit Beherrschung. »Gnädige Frau, bitte mich nicht anzusehen.« Er war in Hemdsärmeln, und so bat er um Entschuldigung und wollte die Tür heranziehen in der Erwartung, sie würden seinen Zustand zu würdigen wissen. Blaß geworden, würgte er die Worte nur hervor, denn er witterte Unheil hinter diesem Doppelbesuch. Schon aber machte Gläser die Bemerkung, daß das nichts zu bedeuten habe, und so trat er rücksichtslos mit Klothilde ein. Sie sah noch, wie der Tituskopf sich rasch erhob, wie feurige Brillantfunken von ihren Ohren und Fingern sprühten und wie der sanfte Schein der roten Fenstervorhänge leuchtend in ihr Nixengrün tauchte, ehe sie im Nebenzimmer verschwand.

»Wir haben Sie wohl gerade gestört?« fuhr Gläser fort. »Ei, Sie verstehen zu leben! Was Sie für ein Duckmäuser sind, sehen Sie mal an!« Mit einem großen Blick erfaßte er alles im Zimmer: die geschnitzten Möbel, die grünseidenen Gardinen, die Ölbilder in Goldrahmen, den echten Teppich, das Porzellan und Silber auf dem Tisch – die ganze elegante Einrichtung eines unverheirateten Lebemannes, dem das Sektdiner eine Gewohnheit ist. »Sie haben wohl Ihre Gratifikation gleich gut angelegt, wie?« fuhr er lachend fort, aber das Lachen kam ihm nicht vom Herzen. »Kaviar, Hummer und junge Gänse, hm – was sagst du dazu, Klothilde? Der ganze Borchardt steht auf dem Tisch.«

Sie sprach gar nichts. Unbeweglich stand sie da, bleich wie Wachs, mit heftig arbeitender Brust, Trockenheit in ihrer Kehle, in der sie ihren Wutschrei zurückhielt. Eine zertrümmerte Welt lag vor ihr, das sah sie, und aus diesen Resten stieg der scharfe Geruch von Moschus auf, der ihr widerlich in die Nase drang und um so ekler ward, als er sich mit den Speisenüberbleibseln vermischte. Ihr feines Parfüm war verdrängt durch das betäubende einer besseren Dirne. Sie erwog gar nicht, daß sie hier ebenso gesessen hatte, wie dieses halbentblößte Mädchen – nur maßloser Zorn brannte in ihr darüber, daß er sie, die Frau der guten Kreise, die so viel für ihn geopfert hatte, heute dieses frechen Püppchens wegen verschmähen konnte, nicht offen, sondern mit Lug und Trug.

»Und Pommery sogar, ei, ei!« sagte Gläser wieder und hob eine geleerte Sektflasche in die Höhe. Eine gefüllte stand noch im Kühler, um den herum es sehr wüst auf der kleinen Tafel aussah. Ein Glas war umgegossen, Sauce war auf den Tisch gepanscht, geöffnete Delikatessendosen standen umher, rote Rosen steckten in einer leeren Pulle, und im geschmolzenen Vanilleeis schwammen verkohlte Zigaretten.

»Sie haben wohl Verlobung gefeiert, wie?« fragte Gläser dann, nachdem er sich mit Kennerschaft rasch davon überzeugt hatte, daß das Besteck von schwerem Silber war. Leiser Verdacht stieg in ihm auf, der dem Gedanken an das Jahreseinkommen seines Sekretärs entsprang. Niemals hatte er geglaubt, eine derartige Überraschung erleben zu müssen.

»Nein, noch nicht«, erwiderte Herbst, nun ebenfalls lachend, da er aus dieser Laune seines Chefs nichts Schlimmes mehr für sich befürchtete. Und was Klothilde anbetraf, so verstand er ihre Stimmung zu würdigen, die sich aber jedenfalls bald legen würde, wenn der Ärger verrauscht war. »Ein junger Mann hat eben auch seine Geheimnisse«, fügte er hinzu und schlüpfte schnell in seinen Rock.

»In die man aber nur nicht hineinplatzen darf«, sagte Gläser abermals, ohne von der Einladung, sich zu setzen, Gebrauch zu machen. »Wir waren eigentlich mit der Absicht gekommen, Sie zu Hiller mitzunehmen, aber jetzt –«

»Jetzt nicht mehr«, ergänzte Klothilde so rasch und bestimmt, daß nicht nur Herbst, sondern auch ihr Mann verwundert aufblickten. Gläser legte ihr frostiges Verhalten nach seiner Art aus. Ja, sie hatte recht: diese unterbrochene Orgie mußte ihr zu denken geben und ihr Feingefühl verletzen, wenn man auch gern ein Loch zurückstecken und der Jugend ihr Recht geben wollte.

Herbst jedoch verstand sie nicht. Erst jetzt sah er ihre zusammengekniffenen Lippen, den kalten Ausdruck ihrer Augen, die nichts Ermunterndes mehr für ihn hatten, sondern an ihm vorüber dem offenen Türvorhang zugingen, hinter dem ihr geschärftes Ohr zeitweilig leichtes Rauschen vernahm, als wenn die freche Neugierde dort hinten lauerte. Es war ihr, als zöge der Patschuliduft immer aufs neue herein, um sie daran zu erinnern, daß ihre Herrschaft hier von einer andern abgelöst sei.

»Oh, das tut mir leid, Herr Direktor«, erwiderte Herbst geschmeidig, indem er mit einer gewissen Absicht Klothilde nicht beachtete. Verstrickte sie sich durch ihre eigene Unvorsichtigkeit, so hatte sie auch die Folgen dafür zu tragen, die für sie jedenfalls böser sein würden, als für ihn. Endlich glaubte er doch besser zu fahren, wenn er halb mit der Wahrheit herausrückte, und so gab er Gläser die Aufklärung, daß es sich um eine Dame vom Theater handle, für die er sich ihres Talents wegen interessiere und mit der er Abschied gefeiert habe, weil sie morgen schon in die Provinz an ein Sommertheater gehe. Man möchte seinen Geschmack nicht zu gering einschätzen.

Gläser gefiel diese Offenheit, die sich fast mit dem Gehörten über ihn deckte, und so fragte er leichthin: »Sie wohnen hier möbliert, he? Sehr nett, sehr nett!«

»Nein, Herr Herbst hat eigene Wohnung und eigene Sachen«, warf Klothilde mit derselben Gelassenheit ein, wie vorhin. »Das müßtest du doch wissen, er hat doch darüber gesprochen.«

Sie hätte nichts anderes sagen können, und wenn die Decke über ihr zusammengestürzt wäre; denn mit Genugtuung hatte sie beobachtet, wie ihr Mann allmählich in Staunen geraten war. Ihr Scharfsinn sagte ihr, daß dieser Mensch gelogen habe und weiter lügen werde um seiner neuen Liebsten willen, die morgen und all die andern Tage hier ebenso sitzen würde, um das zu genießen, was sie, die Betrogene, mit ihrem Gelde bezahlt hatte. Wie hatte sie sich jedesmal gefreut, wenn sie ihm sagen konnte: »Du, ich habe dir 'was gekauft, es fehlt dir noch.« Immer geschah es in Geschäften, wo man sie nicht kannte; nur der Name des Empfängers wurde genannt. Diese silberne Fruchtschale, von der die Andere nun langte, hatte sie ihm vor vierzehn Tagen erst gestiftet, als sein Geburtstag war. Die Bilder hatte sie für ihn ausgesucht, das Porzellan und die schweren Messer und Gabeln. Antike Sessel hatte sie gekauft, die er so sehr liebte, teure Vasen und echte Bronzen. All die Stickereien und feinen Gewebe stammten von ihr – die ganze Ausschmückung einer Wirtschaft hatte sie so zusammengetragen, nachdem die erste Ausstattung durch ihre Mittel beschafft worden war. Und jedesmal hatte sie sich wie ein Kind gefreut, sobald sie seinen Beifall hörte. Wenn er sich einmal einen Hausstand gründete, dann sollte er es mit dem Gedanken an eine gute Freundin tun, die er in ihr gehabt hatte! Um einer anständigen Frau willen hätte er sie aufgeben können, niemals aber einer Solchen wegen!

Auf dem Büfett stand eine ganze Batterie teurer Weine, wie hingestellt zu einem großen Abend. Es schlürfte sich gut der Champagner und Burgunder, wenn eine noble Hand ihn für den Keller gespendet hatte!

In Klothilde raste etwas, was ihre äußere eisige Ruhe zu durchbrechen drohte, aber tapfer hielt sie sich. Wenn sie jetzt mit ihm allein gewesen wäre und er hätte vor ihr auf den Knien gelegen, so würde sie ihn mit Verachtung zurückgestoßen haben.

»So, so, allen Respekt«, sagte Gläser und fügte zerstreut hinzu, daß er das wohl überhört haben müsse, ohne daran zu denken, daß es nur ein augenblicklicher Einfall seiner Frau sein könnte. Er hatte ja stets zuviel andere Dinge im Kopf, um ihn sich über solche Nebensachen zu zerbrechen. Unfreundlichkeit sprach aus seinen Zügen, während die Vogelaugen hin und her gingen, noch einmal die ganze Runde im Zimmer nahmen und dann die Gestalt des Vertrauten entlang liefen, von unten bis oben. Wollte er sofort ganz offen sein, dann hätte er sagen müssen: »Sie haben wohl einen ganzen Tresor geleert, wie?« Statt dessen aber fragte er nur: »Haben Sie Glück an der Börse gehabt, auf eigene Faust? Mich sollte es freuen.«

»Es kann wohl sein, Herr Direktor«, erwiderte Herbst, den tödliche Verlegenheit erfaßt hatte, aus der er sich nun herauszuwinden versuchte. Bleich wie dieses rätselhafte Weib stand er da, das er nicht begreifen konnte, weil er die Frauen zu wenig kannte.

»Wollen wir nicht gehen?« fragte Klothilde plötzlich, weil sie nun die Furcht packte, die Aussprache darüber könnte eine unangenehme Wendung nehmen.

Gläser jedoch war neugierig, auch den übrigen Teil der Wohnung zu sehen, und so ging er, geführt von Herbst, in die Nebenräume. Und Klothilde schritt langsam hinterher, teilnahmslos wie eine Frau, der nichts mehr fremd ist. Zwar bekam sie einen Wink von ihrem Mann, zurückzubleiben, aber sie achtete nicht darauf. Irgendwo hätte der Verrat doch schlummern können, den sie in wahnsinniger Verblendung beinahe selbst erweckt hätte. Ihr eifersüchtiger Blick suchte die Andere, ohne sie zu entdecken. Wer wußte, wohin sie sich verkrochen hatte! So, wie sie selbst sich versteckt haben würde, wenn ungebetene Gäste sichtbar geworden wären! Während sie schwer und tief atmete, glitt ihr Blick im Kreise durch das Wohnzimmer, das stets ihr Schmollraum für Stunden war. Und sie hatte die Empfindung, als müßte sie mit ihren Augen all das mitnehmen, was ihr so heimisch und vertraut geworden war und das sie niemals mehr zu sehen bekommen würde. Anderer Duft lag in diesen Räumen, andere Füße schritten über den weichen Smyrna. Aber recht so: wer betrog, durfte sich nicht beklagen, mit gleichem Maße gemessen zu werden!

Vor sich sah sie die beiden Männer gehen, den starkknochigen, unbeholfenen neben dem biegsamen und schlanken. Wie im Taumel blieb sie stehen und schloß die Augen. Alles hatte sie ihm geschenkt, und das Süßeste wollte sie empfangen von diesem –!

Gläsers Worte rissen sie aus diesem Traum. »Alles patent, sehr patent«, sagte er laut. »Und stilvoll obendrein.« Damit ging er rasch darüber hinweg und sprach sogleich von dem, was ihn hierher geführt hatte. Klothilde merkte ihm an, daß im Augenblick der geschäftliche Wert dieses Mannes tiefer wog als der private Ruf.

Sie gingen, Gläser mit freundlichen Abschiedsworten, sie mit einem kurzen Nicken, gnädig wie immer, aber ohne das Suchen nach seinen Augen. Diesmal nahmen sie den Weg durch den Korridor. Gerade als Herbst die Tür aufriß, um beide durchzulassen, flitzte die Grünumwallte drüben auf der anderen Seite hinein. Sie mußte hinter dem Fenstervorhang gestanden und rasch den Weg durch die Mitte genommen haben.

»Also wohnt sie auch hier,« sagte Gläser, als sie die Treppe hinuntergingen, »und wahrscheinlich auf seine Kosten. Was meinst du dazu?«

Sie schwieg zuerst, denn sie mußte dieses neue Ereignis erst in sich verarbeiten. Und sofort entsann sie sich, daß dort andere Leute eingezogen sein sollten, wie sie von Herbst erfahren hatte. Also war dieses Spiel schon längst mit ihr getrieben worden! Jede Weichheit verflog durch ihren neuerwachten Zorn. »Er ist ein Filou, ein großer Filou, verlaß dich darauf!« kam es über ihre Lippen. »Sieh' dich vor, sieh dich vor!«

Er begriff ihre Erregung nicht, wagte aber nichts einzuwenden. Etwas wie Freude erfaßte ihn, sie plötzlich so um ihn bedacht zu sehen. »Meinst du?« sagte er dann.

»Ja, das meine ich.«

Einsilbig fuhren sie von dannen.


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