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Es gelang Anna, Klothilde an diesem Abend unbemerkt zu sprechen. »Seien sie vorsichtig, gnädige Frau, er ahnt etwas«, sagte sie. »Auf mich dürfen Sie zählen, nie wird ein Wort über meine Lippen kommen. Man löscht das Feuer nicht, wenn man Öl hineingießt. Dann wäre ich schon längst verbrannt! Machen Sie alles wieder gut, das ist das Beste. Wenn Gras gewachsen ist, dann sieht man nicht mehr, was zuerst da war. Die Männer besiegen uns mit ihrer Stärke, deshalb müssen wir schlauer sein, als sie ... Ich weiß ja, daß Sie mich nicht mehr leiden können, aber ich habe nichts Übles gegen sie im Sinn, und deshalb bin ich gekommen.«
Klothilde sah ein, daß stolze Abweisung ihr nur geschadet hätte, sofort hatte sie eine Veränderung im Wesen ihres Mannes bemerkt, die sie aber auf geschäftlichen Ärger zurückführte, denn so war er öfters. Heute beim Diner hatte er sich heiter gezeigt, und sie war ihm darin gefolgt in einer Galgenstimmung, immer mit dem Gedanken an den Andern. Nun aber ging ihr ein Licht auf von einer Freundin, die sie nie in Frau Dolinsky erwartet hätte. Beide waren oben ungestört, denn unten auf der Veranda saß Gläser noch mit den Tiefbauingenieuren. Er hatte eine Sektbowle gebraut und hielt sie dadurch fest, was er sonst nie so spät mehr tat. Laut hörte man seine Stimme durch den Abend schallen.
»Ich danke Ihnen sehr«, sagte Klothilde, zog sie an sich und küßte sie. »Es ist hübsch, daß sie auf meiner Seite sind, ich finde es auch ganz natürlich. Nun kann ich es Ihnen ja auch verraten: längst weiß ich es, wie sie zu ihm gestanden haben und was er Ihnen war. Später haben Sie gelogen, aus Furcht vor ihm. Wir wollen zusammenhalten, denn wir kennen jetzt beide unser Geheimnis.«
Anna erwiderte nichts, denn dadurch kam sie wohl am besten darüber hinweg. Als sie aber glücklich wieder draußen war und durch den blauen Abend ging, blieb sie stehen und sann nach. »Sicher hat sie damals gelauscht«, war ihr Gedanke. Dann, als sie weiterschritt, lächelte sie still vor sich hin. Mochten sie alle über ihr Verhältnis zu Gläser denken, was sie wollten – sie ging nur darauf aus, Frieden zu stiften, weiter nichts!
Aber schon am andern Tage tat es Klothilde leid, Frau Dolinsky ihre Schwäche gezeigt zu haben. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihr, und ruhelos trieb es sie nach Berlin, dem Postamt zu, wo sie die Briefe von dem Geliebten abzuholen pflegte. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Herbst schrieb in alter Zärtlichkeit, aber demütig, wie der reuige Sünder, der um Vergebung fleht.
»Verzeihe, verzeihe! Richte nicht, bevor wir uns nicht gesprochen haben. Und wir müssen uns sprechen, unserer eigenen Sicherheit wegen. Noch scheint dein Mann nichts zu ahnen, denn sein Benehmen gegen mich war heute unverändert (mit keinem Wort kam er auf den gestrigen »Überfall« zu sprechen), aber deine Kälte fiel mir auf. Und ich kann dir sagen: ich fürchte dich am meisten! Haß sprach aus deinen Zügen, ich sah es wohl! Der Haß der Eifersucht! Aber auf wen eifersüchtig? Auf diese Kleine, die ich nie mehr wiedersehen werde? Stolze Juno, das würde dich nicht göttlich kleiden! Auch ein Gourmand in der Liebe kann sich einmal von den Sektperlen seiner Gefühle zu Selterwasserspritzern verirren ... Alles weitere mündlich (auch figürlich gemeint: Lippe auf Lippe). Teile mir nächste Woche mit, wann wir uns sehen können. Und komme, komme! In brennender Sehnsucht nach dir
Dein Oskar.«
»Oh, dieser –!« In Gedanken fluchte sie ihm, denn zwischen jeder Zeile las sie die Züge, seinen heuchlerischen Wunsch, es nicht mit ihr zu verderben. Noch am Schalter stehend, zerballte sie den Wisch, und wieder auf der Straße, wollte sie ihn schon zerreißen, um die Fetzen allmählich fallen zu lassen, wie sie es stets getan hatte. Aber merkwürdig, – diesmal fand sie nicht die Kraft dazu. Sorgsam glättete sie ihn wieder und verbarg ihn in ihrer Tasche. Später, wenn sie ruhiger geworden war und bei Josty ihre Schokolade trank, wollte sie ihn zum dritten Male lesen, denn gerade jetzt fühlte sie, daß sie Herbst noch immer liebe und daß sie ihn niemals werde vergessen können. –
Wenn Gläser sich nichts merken ließ, so gab er nur den Beweis dafür, wie sehr er sich in der Gewalt haben konnte, sobald es sich um einen großen Schachzug in seinem Lieben handelte. Und hier empfand er, daß der Spieleinsatz entscheidend für seinen inneren Menschen sein würde. Ja, ja, auch er hatte eine Seele, – das kam ihm jetzt täglich beim Anblick von Weib und Kind doppelt zum Bewußtsein. Neben der Liebe zu seinem Jungen meldete sich der Schmerz um die Mutter. Er sah, wie Klothilde sich plötzlich um Viktor sorgte, als hätte sie einen Neugeborenen vor sich, dem nur Zärtlichkeit zuteil werden müsse. Fräulein Leseur schlug die Hände zusammen und freute sich, denn sie hatte jetzt noch weniger zu tun. Auch Anna wurde des Vormittags fast überflüssig.
»Ei, das ist hübsch von dir, daß du die Scheu vor ihm endlich überwindest«, sagte er freundlich, lachte dann aber grimmig in sich hinein, weil er das alles nur für Mache hielt. Sie sollte ihn nicht mehr täuschen, denn er wußte mehr. Dann aber, wenn er sie so beide des Morgens, bevor er nach Berlin fuhr, in den Parkgängen verschwinden sah, schlug seine Stimmung um. Dieses Weib, dieses Weib! Seine fünf Sinne hatte sie unterjocht, als er zum ersten Male ihre Nähe fühlte. War es möglich, daß sie ihn betrog? Was fehlte ihr, worüber durfte sie sich beklagen? Hatte sie damals nicht gesehen, daß er kein Adonis war? Wenn sie wüßte, wie die rechte Hand sich krümmte, um sie zu zerreißen und wie die linke sich sehnte, sie liebevoll heranzuziehen, damit er sie fragen könne: »Sage mir, daß es nicht wahr ist, daß diese erbärmliche Welt, die ich mit allen ihren Schlichen kenne, nur gelogen hat!«
Aber sein Weh verschwand unter gärender Wut. Spielte sie ihm eine Komödie vor, so wollte er der größere Künstler sein. Seine Reise nach Frankfurt gab er auf, weil durch einen Depeschenwechsel alles erledigt wurde. Er hätte die Fahrt heucheln können, aber er verschmähte diesen alten Trick, denn etwas anderes schwebte ihm vor. Klothilde machte auch nicht den Eindruck, als ob sie so schnell aus der Rolle der Büßerin fallen würde. Und sollte sie sich auch für immer so wohl fühlen, – das Gewesene mußte aufgedeckt werden. Herbst brauchte er noch, er schläferte ihn also ein, indem er bei Gelegenheit den Weisen spielte: »Daß Sie sich nur nicht unterkriegen lassen von solchem Frauenzimmer, wissen Sie! Beizeiten den Laufpaß geben! Übrigens ein molliges Kätzchen – ich sah es gleich. Meine Frau war ja verlegen, aber später hat sie gelacht. Die Situation war ja auch zu komisch.«
Und Herbst, der schon wußte, daß Klothilde den Brief abgeholt hatte, ohne daß sie etwas von sich hören ließ, fühlte sich geehrt und beruhigt. Nur etwas fiel ihm auf: Gläser zog ihn nicht mehr in das Vertrauen wie früher. Sonst besprach er sofort bei seinem Erscheinen wichtige Vorgänge mit ihm, jetzt war er schweigsamer. Aber auch darüber kam Herbst hinweg, indem er diese Wendung auf eine andere Ursache zurückführte.
Dunkle Gerüchte lagen in der Luft, die vorläufig noch wie zerrissene Klänge umherschwirrten. Es stand faul um die Bank für Bodenbeleihung, die besonders seit letzter Zeit mit der Volks-Garantie-Bank eng verschwistert war. Bauend auf Gläsers Genie, auf die baldige Belebung seines Berlinend und die Verwirklichungen seiner sonstigen Unternehmungen, hatte sie ihm einen riesigen Kredit eröffnet und sich gründlich dadurch hineingeritten. Auf den Segen wartend, der kommen mußte, war sie auch nach anderer Richtung hin weit über ihre Kräfte gegangen. Die Bauwut hatte die Berliner plötzlich gepackt, und so machte sich in gewissen Gegenden, namentlich in den Vororten, ein Rückgang im Bodenwerte bemerkbar, auf den man nicht gefaßt war.
Der Aufsichtsrat vereinigte sich zu einer geheimen Sitzung, zu der Gläser geladen wurde. Es gab erhitzte Köpfe und erregte Szenen. Gläser aber schlug sie alle, Wie? Ihm die Darlehen kündigen und die Flügel beschneiden wollen? Gerade jetzt, wo er anfange, Bewegungsfreiheit zu bekommen? Das wäre etwas! Gut, gut! Dann solle man aber auch gefälligst die Folgen mit tragen! Wer ihn fallen lasse, stürze hübsch mit, und nicht so weich, wie man sich denke! Habe er ahnen können, daß er Millionen da draußen verbuddeln würde? Die Herren Direktoren hätten doch sonst eine seine Nase, die sie vorsichtig überall hineinsteckten! Weshalb sollten sie gerade diesmal das faule Grundwasser nicht gerochen haben! Wenn er nur gleich mit dem Profit gekommen wäre, dann würde man jetzt die Arme noch einmal so weit öffnen, statt ihn erdrücken zu wollen.
Er lasse sich nicht einschüchtern, denn er habe das gute Gewissen, uneigennützig gestrebt zu haben, um des Volkes Wohlfahrt willen. Einen Beweis dafür werde er demnächst wieder geben, denn sein Entschluß sei, aus Privatmitteln auf einem seiner Grundstücke in Berlin ein Hospital für arme Kinder zu erbauen, dessen Protektorin die deutsche Kronprinzessin werden solle. Er arbeite von früh bis spät und könne sich diesmal kaum eine Badereise gestatten, trotzdem sein Hausarzt sie ihm dringend anempfohlen habe. Man solle ihn nicht nach seinem gesunden Aussehen beurteilen, die Nerven sehe man nicht. Und überdies sein Magen!
Er besaß zwar eine Verdauung, die Kieselsteine hätte vertragen können, aber mit dem Fernrohr konnte man ihm im Augenblick nicht hineinsehen ... Überhaupt! Was man ihm plötzlich alles in die Schuhe schieben wollte! Man brauche einen Sündenbock für leichtsinnige Überwertungen infolge schlecht geprüfter Abschätzungen, und so möchte man ihm jetzt gerne eins auswischen, ohne sich selbst haftbar dafür zu machen. Man solle doch nicht so schreien, es sei schon richtig!
Die Direktoren schrieen ihn wirklich an, und um ihnen zu beweisen, daß trotz seiner Leiden die Lunge sich noch gehörig dehnen könne, ließ er seine Stimme schmettern, während der Vogelhals sich nach allen Seiten reckte ... Wie, was? Die Angriffe neulich von diesem übelriechenden Käseblättchen? Man möchte auch das Gute über ihn lesen, nicht bloß das Schlechte! Die Drohung mit dem Staatsanwalt habe genügt, um die Verleumdung zu zertreten. Hier sei die Nummer, in der das gerade Gegenteil stehe, ordentlich eine Glorifizierung seiner Person! Ja!
Und er schlug seine Mappe auf und ließ ein halbes Dutzend Exemplare auf einmal über das grüne Tuch des langen Beratungstisches flattern ... Und der Rückzug des Herrn von Bohnenstiel? Auch damit sei man gründlich reingefallen. Die kleine Exzellenz habe eben ihre Mucken und sei leider zu leicht Beeinflussungen niederträchtiger Neider zugänglich. Aber er werde dieser Hydra den Kopf zertreten. Hier sei die neueste Nummer der »Lösung« mit der Richtigstellung der irrtümlichen Nachricht seitens des Herrn von Bohnenstiel. Morgen gehe die Erklärung allen Zeitungen zu. Es falle der alten Exzellenz, die auf dem Gebiete der Hygiene besonders bewandert sei, gar nicht ein, Berlinend zu verlassen; im Gegenteil hoffe sie, dort draußen ihr ehrenreiches Dasein einstmals zu beschließen! Und abermals flogen die Blätter nach rechts und links, und Gläser gab sie hin mit der Miene des Oberfeldherrn, der seine Generäle zwingt, zu ihm aufzublicken.
Man verhandelte bei verschlossenen Türen und hatte schon die späten Abendstunden zugeben müssen. In dem kleinen, hell getäfelten Beratungssaal, der würdig dieses Palastes war, den man erst jüngst errichtet hatte, stiegen unaufhörlich die Dampfwolken der Importierten zur Decke empor, bildeten blaue Schwaden und zogen dann wie aufgescheuchter Nebel dem offenen Fenster zu, durch das aus der Tiefe herauf das schwache Leben der vornehmen Straße hereindrang.
Man trank nur Wasser, aus riesigen Karaffen, höchstens Selters oder irgendeinen Brunnen, denn Kommerzienrat Soldrich, der erste Direktor, ein kleiner, kugelrunder Herr mit Glatze und Doppelkinn, der als Erfinder neuer Saucen galt und dessen leicht gerötete Nase seine berühmte Kennerschaft teurer Rotweine verriet, sorgte dafür, daß man bei solcher wichtigen Gelegenheit alkoholfrei bleibe, um die Gemüter nicht erhitzen zu lassen. Auf seinen kurzen, merkwürdig zierlichen Beinen trippelte er alle zehn Minuten zur Türe und warf einen Blick in das Vorzimmer, um sich davon zu überzeugen, ob der Nachtdiener nicht in der Nähe sei. Manchmal verschwand er auf einige Augenblicke, um seine Forschungen bis zum Garderobenraum auszudehnen. Dann kam er mit belebter Miene wieder hereingetänzelt. Man hatte ihn in dem Verdacht, daß er irgendwo seinen Bordeaux stehen habe, von dem er rasch einen Schluck nehme.
Schon halb schläfrig, dachte man an das nahe Café, in dem man den Geist wieder beleben könnte.
Aber Gläser ermunterte sie alle und bot ihnen furchtlos die Stirn, wenn man seine Wechsel nicht mehr diskontieren wolle – gut, gut! Dann ginge er zur neuen »Innen-Hypothekenbank«, die ihm glänzende Anerbietungen gemacht habe. Die werde alle Verbindlichkeiten ablösen und ihm noch drei Millionen zugeben. Den Verdienst könnten einmal auch andere einstecken. In zwei Jahren werde in Berlinend kein Quadratmeter Boden mehr zu haben sein, denn jetzt schon müsse er die Nachfragen dreifach sieben, um sich die Elitebewohner auszusuchen. Die Einträglichkeit sei bis ins Kleinste berechnet und trotz der enormen Unkosten werde sich schon im ersten Jahre, wenn alles bewohnt sei, das Kapital mit acht vom Hundert verzinsen. Und er warf weiter mit Zahlen um sich, daß ihnen die Köpfe brummten und die Hände nur noch mechanisch seine riesigen Ziffern auf dem Block Papier, den jeder vor sich hatte, hinkritzelten, um etwas zu tun zu haben.
Alles das waren Augenblickseinfälle von ihm, die aber zogen und seine Gegner mundtot machten. Denn nur nicht den Profit der Konkurrenz gönnen, die sich dann vergnügt ins Fäustchen lachte! Und als er gar zum Schluß von dem Riesensanatorium sprach, das er hinten auf der Anhöhe, einen künstlich geschaffenen See zu Füßen, erbauen werde, und wofür sich ein berühmter Arzt bereits interessiere; und dann weiter unverfroren kurzen Prozeß mit ihnen machte, indem er erklärte, er werde seinen bisherigen Freunden den Stuhl vor die Tür setzen und dabei mit seinen wenig zarten Gründen der Öffentlichkeit gegenüber durchaus nicht zurückhalten, war man bereit, noch einmal in den sauren Apfel zu beißen und ein möglichst süßes Gesicht zu zeigen.
Beileibe nur keinen Skandal, nur nicht die Aktionäre wild machen, denn die waren das Hornvieh, das man streicheln mußte, schon der fetten Tantieme wegen, die man nach Jahresabschluß in die Tasche steckte, ohne selbst dabei etwas zu riskieren. Und sie dienerten alle vor ihm, reichten ihm die Hand und taten nun so, als hätte man während vier Stunden nur eine kleine Meinungsverschiedenheit behandelt, die nun aufgeklärt wäre.
»Aber, lieber Freund, weshalb haben Sie das nicht gleich gesagt, daß die Innen-Bank nach Ihnen schnappt«, wandte sich Soldrich heiter an ihn und klopfte ihm die Schulter. »Sie wissen doch, ich war immer für Sie Feuer und Flamme.«
Noch vor einer Stunde hatte er den größten Mund gehabt und plötzlich so getan, als wäre das ganze Vermögen der Bodenbeleihungsbank sein Eigentum. Und er legte heimlich los gegen die feindliche Gesellschaft, die mit Wucherzinsen arbeite, und deren erster Direktor Kosemann früher mit Neufchâteler gehandelt habe, weshalb man ihn an der Börse »Käsemann« nenne. Bei diesem Witz hüpfte er vor Freude und verschluckte sein Lachen, so daß der Bauch wackelte.
Gläser kniff das eine Auge zusammen, blickte auf ihn wie auf einen Zwerg hinab und lockte durch stilles Zuhören immer mehr aus diesem wunderlichen Herrn heraus, der als Jüngling in einer großen Stettiner Heringsniederlage gelernt haben sollte und nun sein Einglas mit einer Sicherheit sich einklemmte, als wäre er damit zur Welt gekommen. Mit der Zeit hatte er es den Landjunkern abgeguckt, wie sie spuckten und wie sie sich räusperten, und so näselte er auch hin und wieder, was sich aber in seinem ewigen Stockschnupfen schlecht vertrug.
»Sie sind doch immer gut informiert, Herr Rat«, warf Gläser ein, um ihm zu schmeicheln, während er am liebsten ganz etwas anderes gesagt hätte. »Wissen Sie übrigens, daß man Ihnen bald mit dem »Geheimen« kommen wird? Ich hörte es irgendwo. Ja, wo war es doch gleich?« Und er tat so, als sänne er nach. »Na, es wird mir schon einfallen. Jedenfalls hat man Sie dafür vorgeschlagen. Verdient haben Sie ihn sicher.«
Er sog sich das aus den Fingern, aber er kannte die Eitelkeit dieses Feinschmeckers, der heute ein fürstliches Diner gab und morgen eine große Summe zu Zwecken stiftete, die ihm im Hofmarschallamt die Nummer Eins einbrachte. Und sofort hüpfte Soldrich glücklich davon, um diese Neuigkeit seinem Schwager, dem Syndikus der Bank, zu stecken, was so laut geschah, daß die übrigen es hören mußten.
Man stand ein Weilchen in Gruppen umher, bevor man sich wieder setzen würde, um dann rasch zu Ende zu kommen. In einer Ecke unterhielt sich Finanzrat Graup lebhaft mit Schötting, dem zweiten Direktor, einem schmächtigen, blassen Herrn mit goldener Brille, der als sogenanntes Arbeitstier vom einfachen Buchhalter in diese Vertrauensstellung hinaufgerückt war und sich eine Bescheidenheit bewahrt hatte, die er nie ganz ablegen konnte. Soldrich, der unumschränkt herrschte, gebrauchte seine Jasager, und so hatte er ihm zu diesem Aufstieg verholfen und ihm seine älteste Tochter, ein häßliches Mädchen, zur Frau gegeben, damit das Geld hübsch in der Familie bleibe und zugleich die Verwandtschaft im Geschäft.
»Ich habe ja mein großes Bedenken, nicht bloß juristisches, gegen diese uferlose Ausdehnung des Kredits,« hörte Gläser, der stets seine Ohren aufhielt, den Finanzrat zu dem Brillenträger sagen, »aber was hilft's. Er steckt uns alle in den Sack mit seiner Brutalität. Er ist der Geldzyniker, wie er im Buche steht, aber ein Kerl, ein Kerl, das ist nicht zu streiten! Er hat den großen Zug, das Vertrauen zu sich selbst. Schließlich hat er recht. Haben wir einmal A gesagt, müssen wir auch B sagen. Aber ein dreimal Aufgeweichter ist er doch. Gewisse Garantien müssen wir haben, ich werde nachher den Antrag stellen ... Wissen möchte ich doch, was ihn die Sache gekostet hat, um diesem Banditen das Maul zu stopfen, der ihn so hübsch bloßgelegt hat. Und wollen Sie glauben, – die Geschichte mit Bohnenstiel ist auch nicht so ohne! Entschieden hat sich da etwas hinter den Kulissen abgespielt. Er kriegt sie alle 'rum.«
Gläser, der nur Brocken aufschnappte, hörte deutlich die letzten Worte und nickte vergnügt vor sich hin, als müßte er die Antwort für Schötting geben, der schweigend mit den Achseln zuckte und über die Brille hinweg fortwährend seinen Schwiegervater beobachtete, weil dessen Verhalten für ihn maßgebend war.
»Er soll ja noch vor zehn Jahren mit seiner Haarsalbe persönlich in der Stadt herumgezogen sein«, raunte Konsul Lippert dem alten Barral zu, einem früheren Rittergutsbesitzer, der, seitdem er seinen stattlichen Grund und Boden gegen zwei Paläste in Berlin vertauscht hatte, sich ergiebig mit Terrainspekulation beschäftigte und ein gewiegter Rechner geworden war. Sein mächtiger Kopf mit dem glattrasierten Gesicht glich dem eines ehemaligen Mimen, der mit der Zeit die Eitelkeit abgestreift hat; denn stets ging er nachlässig gekleidet, in einem Rock mit zu kurzen Ärmeln, unter dem der breite Buckel straff sich krümmte. »Und mit seinem Magenlikör soll er Kirchhöfe bevölkert haben ... Kennen Sie übrigens seine Frau? Ein statiöses Weib.«
Konsul Lippert schnalzte leise mit der Zunge. Als aber Gläser auf ihn zutrat, wechselte er die Miene und schlug einen verbindlichen Ton an, wobei er seinem strahlenden Lebemanngesicht einen freundlichen Zug gab. »Ich sagte eben zu Herrn Barral, wie außerordentlich ich Sie schätze, und daß wir uns diese ganze lange Sitzung hätten ersparen können. Ein Finanzgenie erster Güte, wie Sie! ... Wie geht's Ihrer verehrten Frau Gemahlin? Ich hatte lange nicht den Vorzug ...« Und seine schmiegsame, elegante Figur bog sich fast unter den Beteuerungen seiner aufrichtigen Gesinnung, mit denen er ihn nun überschüttete.
Gläser steckte alles ruhig ein, mit einer gewissen edlen Gönnerschaft, immer geradezu und plump in seiner Vertraulichkeit. Nur das linke Auge wurde wieder klein, als wollte es sprechen, was er dachte: »Heuchler, die ihr seid! Ich bin es auch bis zu einem gewissen Grade, aber ihr seid es ohne Talent, verkrochen wie die Zwerge, die sich vergeblich recken, größer zu erscheinen.«
Er durchschaute sie alle, die in ihm eigentlich nur den höheren Industrieritter erblickten, hinter dessen Rücken man drei Kreuze machen müsse, ihn aber doch umdrängten, weil sie den kühnen Unternehmer in ihm bewunderten, der durch dick und dünn ging, um den Pfad für die Nachtreter zu bahnen. Und weil er wußte, daß sie ihn fallen lassen würden, wie der Baum den faulen Apfel abwirft, sobald er ihnen nichts mehr zu verdienen gäbe, – deshalb verachtete er sie innerlich und behandelte sie als das, was sie ihm wert erschienen.
Als er dann lange nach Mitternacht seinen Wagen bestieg, der stundenlang vor dem Hause gehalten hatte, zeigte er die befriedigte Miene des Siegers, der die Kriegskosten errungen hat. Und während er, Berlin hinter sich, in die blaue Mondnacht hineinfuhr, seiner Schmerzensgründung zu, dachte er unwillkürlich daran, wie er damals auf dem Omnibus den ersten Feind geschlagen hatte, der ihn übertölpeln wollte. Ein riesiger Weg lag dazwischen, aber er, der kühne Springer, war derselbe geblieben. Zwar hatte er sich gemausert, aber nur äußerlich, – innerlich war er noch der urwüchsige Streber, der alles beiseite räumte, was sich vor ihm auftürmte.
Er lachte bei dem Gedanken, wie er Bohnenstiel wieder kirre gemacht hatte. Die Depesche, die gerade bei seinem Weggange eintraf, enthielt den Notschrei des Herrn von Rucks, und so hatte sich die Exzellenz schon am nächsten Tage bei ihm anmelden lassen, um mit dem berühmten »äh, äh«, das diesmal bedeutend zurückgeschraubt war, zu Kreuze zu kriechen, allerdings mit aristokratischer Würde, die Gläser durchaus nicht schmälerte. Wenn er schon jemand aufhing, so geschah es nobel, sozusagen mit einer seidenen Binde, die sich wie ein letztes Dekorationsstück ausnahm.
Ja, das Geld, das Geld! Es beugte die Nacken der Stolzesten und ließ fünf gerade sein, ganz gleich, ob auf der Höhe oder in der Tiefe. Es verheerte den Menschen, hob ihn und öffnete ihm alle Quellen des Lichts und verscheuchte doch nicht das Dunkel aus seiner Seele.
Die Kohlrappen griffen kräftig aus, und unter dem gleichmäßigen Getrappel auf der Chaussee, das seinen Schall in die stille Nacht trug, empfand Gläser diese Finsternis, die sein Sinnen umhüllte. Mit der Herrschaft über neue Millionen kehrte er nach Hause zurück, aber bettelarm dünkte er sich, wenn er an das Heim dachte, das ihn empfing. Sein Weib, sein Weib! Mit welchen Gedanken war sie eingeschlafen, wer füllte jetzt ihre sündhaften Träume aus?
Er hatte Bohnenstiel gehörig in die Enge getrieben und das Nötige aus ihm herausgepreßt. Dann war ihm ein seltsames Lachen durch die Zähne geflogen, das den Vorgang auf der Veranda harmlos hinstellen sollte. Ob die Exzellenz denn nicht wisse, daß sie als besonders kurzsichtig gelte? Im übrigen sei es doch bekannt, daß Verwandtschaft die beiden verbinde, was man schon längst aus dem engen Familienverkehr geschlossen haben müßte. Er würde jeden zertreten, der sich herausnehme, etwas anderes dabei zu denken. Und der alte Abbrüchige hatte sein berühmtes »äh, äh, so? Ja, dann Pardon«, gequakt und eine lange Gedächtnislücke gezeigt.
Gläser brütete weiter. Sein Weib, sein Weib!
»Franz, was ist denn das heute? Wir kommen ja gar nicht vorwärts. Geben Sie die Peitsche«, zeterte er plötzlich, weil ihm das Schweigen zur Last wurde.
Die Bäume zogen im Vollmondschein wie eilende Gespenster vorüber, aber Gläser ging das noch zu langsam. Es war ihm, als müßte sein Atem voraus fliegen, zu ihr hin, der sein Herz noch immer gehörte.
Ein Hund schlug in der Ferne an und das heisere Gebell eines anderen antwortete.
So würden die Menschen kläffen, wenn es zur Wahrheit geworden wäre, was jetzt nur als Geheimnis schlummerte. Der Wagen jagte an dem Gehöft vorüber, in dem ein wilder Köter an der Kette zerrte und mit seinem Heulen das Ohr erschüttern machte. Und Gläser verglich sich mit diesem Hunde, der, einmal losgelassen, nur noch Feinde sah.
»Franz, die Peitsche, die Peitsche! Ich will noch schlafen.«
Er glaubte aber selbst nicht an Ruhe.