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In tiefen Gedanken wandelte Moorfeld tags darauf durch die Wallstreet, als ein Tilbury vor ihm anhielt und ein Kopf, ganz Stirn und Nase, wie ein Luft-Meteor in seine Träume hereinfiel. Guten Tag, Herr Doktor, soeben fahre ich zu Mr. Bennet; darf ich Ihnen die Hälfte meines Wagens anbieten? ich werde das Vergnügen haben, Sie vorzustellen. – Es war Moorfelds Logen-Nachbar von vorgestern, der seltsame Lord Ormond.
Moorfeld erinnerte sich kaum noch des Begegnisses; – Kleindeutschland, Benthal, der Urwalds-Traum, ins unmittelbarste Stadium der Tat tretend, das alles erfüllte wie eine Welt für sich die achtundvierzig Stunden seit der Vorstellung des »Kapitän Ebenezer Drivvle«. Auch lehnte er dankend ab, er sei auf einem Geschäftsgang zu seinem Bankier begriffen.
Aber der Lord war nicht irre zu machen. Er sprang aus dem Wagen, den er selbst kutschiert hatte, warf die Zügel dem Bedienten zu und nahm Moorfeld unter den Arm, indem er ihm auseinandersetzte, wie notwendig er ihn heute vorstellen müsse.
Der Mann hat wirklich einen Sparren, dachte Moorfeld bei sich; wäre der Engländer nicht jüngeren Alters gewesen, so hätte er fast geglaubt, mit dem nämlichen Sonderlings-Exemplar zu tun zu haben, welches, nach Graf de La Gardes Memoiren, auf dem Wiener Kongreß durch seine Sucht, vorzustellen und vorgestellt zu werden, eine Art Berühmtheit erlangte und dem Prinzen Ligny zu einem seiner unzähligen Bonmots Veranlassung wurde. Wenn sich Moorfeld ihm doch überließ, so geschah es nur, weil die Gelegenheit in der Tat keinen Aufschub gestattete. Der Engländer teilte nämlich mit, die Familie Bennet stünde auf dem Punkte, nach Saratoga in die Bäder zu gehen, und eben heute sei letzter Empfang in der Stadt, nachdem im Landhause drüben auf New-Jersey die große Abschieds-Soiree vorgestern stattgehabt. Das also war die beleuchtete Villa gewesen, welche ihm vorgestern in Stunden unaussprechlicher Phantasien vor Augen geruht! Zu jenem Wonnetraum seiner amerikanischen Zukunft hatte dem Dichter der Freund der Dichter wie zu einer Brautnacht die Fackel vorgetragen! Von dieser Assonanz des Zufalls fühlte sich Moorfeld seltsam angeklungen. Eine ganz neue Luftströmung ging durch sein Gemüt und änderte auf einmal das innere Wetter. In der Tat entschied ihn dieser Umstand. Er ergriff den dargebotenen Gedanken erst jetzt mit voller Lebendigkeit, wie einen freudigen, eignen Entschluß. Er zog dem Namen Bennet gleichsam mit klingendem Spiel entgegen. Er folgte dem Engländer.
Unterwegs ließ ihn aber ein Zufall bedenklicher Art seine rasche Fügsamkeit fast wieder bereuen. Lord Ormond hatte seine Dogge bei sich, an die er schon im Theater so verwunderliche Ansprachen gehalten. Auf dem Hannover-Square begab es sich nun, daß das edle Tier Gesellschaft fand, und nachdem es mit seinem intelligenten Näschen eine sorgfältige Wappenprobe an dem neuen Standesgenossen gehalten, zu der Überzeugung gelangte, daß es die Würde seines Stammbaumes bei diesem Rendezvous nicht im geringsten kompromittiere. Man sah also eine Verbindung eingehen, welche den Freunden und Verwandten beider Parteien gewiß eine ehrenvolle gedeucht hätte, anders aber dem eigensinnigen Briten. Er rief seinen Hund zurück, faßte ihn sanft beim Ohr und sah ihm mit einem wehmütigen Blick Aug' in Auge. Ist das Ihre Aufführung, Omar? Erröten Sie nicht? Wie oft habe ich Ihr rücksichtsloses Betragen gegen Personen des anderen Geschlechts verabscheut! Empfinden Sie nicht das Unanständige Ihrer Galanterien? Sehen Sie mich an, Omar! Können Sie diesen Blick über sich ergehen lassen, ohne eine bessere Regung zu fühlen? Leichtsinniger! Sie werden meine Geduld noch erschöpfen. – Der Hund hörte diese zwecklosen Reden mit der ganzen Fassung eines unbefangenen Naturwesens, Moorfeld aber erschrak lebhaft darüber. Er schielte mit scheuem Blicke seitwärts nach den Leuten, welche anfingen stehen zu bleiben, und indem ihm der Reflex, der von der Tollheit seines Begleiters auf ihn selbst zurückfallen mußte, nichts weniger als gleichgültig war, sagte er zu diesem auf französisch: Lassen Sie uns gehen, Sir, dieses Volk scheint mir wenig imstande, den Humor Alt-Englands zu würdigen. Der Lord ignorierte die Begaffer mit der Sorglosigkeit des vornehmen Mannes, zu Moorfeld aber sagte er im Weitergehen: Pardon, Sir, ich möchte es nicht für Humor gehalten wissen, was ich mit dem jungen Omar spreche; mir gilt es den Ernst. Wie denken Sie von der Perfektibilität der Tierseele, Sir? Ich weiß nicht, ob Sie dieses Philosophem Ihres speziellen Interesses zu würdigen pflegen, was mich betrifft, so tue ich es. Und um mein Bekenntnis über diesen Gegenstand abzulegen, so gestehe ich gerne, daß mir eine nicht zu umgehende Konsequenz darin zu hegen scheint, von der Bildungsfähigkeit der menschlichen Seele auf die des Tieres zu schließen. Denn wo, dürfen wir fragen, liegt die Grenzlinie zwischen der einen und der andern? In Wahrheit, man hat sie bisher noch nicht feststellen können; oder, um mich genauer auszudrücken, man hat eine Tatsache der Erfahrung, die nur nach einer Seite galt, irrtümlich für beide gelten lassen. Man schließt von der Tatsache, daß die Tierseele bisher nicht in dem Zustande der menschlichen Kultur erblickt worden ist, auch auf die Unmöglichkeit, daß sie diesen Zustand erreichen könne; aber man bedenkt nicht, daß man umgekehrt oft genug Menschen im Zustande völliger Tierheit vorgefunden hat, ohne daß es indes versucht worden wäre, auch in diesem Falle die Perfektibilität zu leugnen. Darin liegt eine Inkonsequenz. Diese Inkonsequenz nun sehen Sie mich in der Behandlung meines Omars aufheben, indem ich rückschließend also denke: Ist es möglich, daß ein Tier, welches der Jäger bald für eine Wildkatze geschossen hätte, nachträglich noch ein Mensch wird, bloß darum weil man es zum Menschen erzieht: warum soll, darf oder muß ich nicht vielmehr von dem Tiere, das wir hier vor Augen haben, gleichfalls erwarten, daß es durch Erziehung erzogen werden kann? Man zeige mir die Lücke in diesem Syllogismus. Nein, mein Herr! kann die Menschheit zur Tierheit verwildern, so kann die Tierheit zur Menschheit veredelt werden: dieser Satz muß notwendig gelten, wenn von Logik überhaupt die Rede sein soll. Aber gewisse Entscheidungen werden statt durch die Logik, durch unsern Egoismus gefaßt. Dahin gehört unsre ganze Behandlung des Tierlebens. Wir regieren die Tierwelt nicht loyal-konstitutionell, sondern mittels lettres de cachet. Weil der Stoff des Tieres uns zum Verbrauche dient, so hütet sich unser Eigennutz, den Geist des Tieres in seinen verfassungsmäßigen Rechten anzuerkennen. Sie sehen wohl, es ist hier von Gewalt, nicht von Vernunft die Rede. Nehmen wir z. B. diese Union hier. Sie bedient sich einer unzähligen Menge von Menschenkörpern stofflich, indem sie die schwarzen Sklaven ganz so verbraucht, wie man ein Haustier verbraucht. Der Nigger ist Tier. Sie erweitert das Tierreich mit einer neuen Spezies. Umgekehrt wird die große britische Nation durch das glorreiche Beispiel der Sklaven-Emanzipation eine Tier-Spezies, um mich so auszudrücken, in die menschliche Gattung avancieren lassen. Da haben Sie die Wandelbarkeit der Grenzlinie, wovon ich zuvor sprach. Aber lassen wir das beiseite. Fleischesser mögen sagen, es ist Notwendigkeit, den Tiergeist zu ignorieren, um den Tierstoff zu verbrauchen, Sklavenhalter mögen sagen, es ist Interesse, die Nigger-Perfektibilität zu leugnen, um die Nigger-Haustier-Arbeit nutzbar zu machen: meinem Hunde gegenüber fallen diese Rücksichten weg. Ich will weder sein Fleisch verzehren, noch seine Arbeitskraft benützen, ich habe keinen Grund, das intellektuelle Wesen in ihm aufzuopfern. Der Jesuit Pater Bougeant hindert mich wenigstens nicht, indem er die Tierseele für eine Teufelsseele erkannt wissen will. Es liegt auf der Hand, daß sein System nur der Versuch einer Vermittlung zwischen dem Mißbrauch des Tierstoffes und der Anerkennung des Tiergeistes ist. Wir nehmen Akt von der philosophischen Seite seines Bekenntnisses und lassen die theologische auf sich beruhen. Ich behandle also meinen Omar als Geist. Ich ignoriere seine niedere Natur und wirke auf seine höhere. Ich wecke seine schlummernde und gebundene Sittlichkeit. Ich begegne ihm mit Achtung und werde dadurch seine Selbstachtung anregen. Kurz, ich verfahre mit ihm, wie man mit jenem Wilde verfährt, welches Wurzeln gräbt, Gras ißt, Vögel und Ratten jagt, unartikulierte Laute ausstößt, behaarten und zottigen Leibes ist, und welches man doch nicht im Stalle, sondern im Boudoir erzieht, weil es nach Familien-Erinnerungen und Kirchenbüchern sich als eine Baronesse ausweist. Sie werden sagen, dem Tier fehlt die Sprache. Dieser eine Mangel stehe seiner Perfektibilität entscheidend im Wege. Aber fehlt die Sprache den Taubstummen nicht auch? In der Tat, Sir, sobald ich meinen Omar nur so weit gebracht habe, daß das Persönlichkeitsgefühl in ihm wach ist, so will ich es auch mit der Zeichensprache versuchen. Man hat zu Boston ein vortreffliches Taubstummen-Institut. Omar soll hin, denn ich zweifle nicht, daß der Direktor ein vorurteilsfreier Mann sein wird.
Hier schwieg der Engländer. Moorfeld hatte diese ganze Demonstration mit jener Bewunderung angehört, die ihr nicht wohl zu versagen war. Er sann im stillen darauf, wie er sich der Einführung durch einen Mann entziehen könne, der nach dieser Probe offenbar die bête noire der Salons sein mußte. Aber schon hatte unser Paar Whitehall-Street quer durchstrichen und das Schmuckkästchen New Yorks, die Battery, tat ihre Pracht und Herrlichkeit auf. Die olympische Luft, die durch diese Park-Anlagen, durch diese Palast-Enfiladen voll geschäftsloser Ruhe und vornehmer Verschlossenheit wehte, goß alsbald ihren berauschenden Duft um die dichterischen Sinne unsers Freundes. Hier ist Mr. Bennet, sagte der Lord auf ein Haus deutend, das schönste des ganzen Quartiers, eine wahre Blume von Bauschönheit. Moorfeld erschrak mächtig, wie kopfhängerisch-trüb er sonst hier promeniert haben mußte, daß ihm diese Perle nicht längst in die Augen geleuchtet. Eine Begierde, eine Art leidenschaftliche Genußsucht hier einzutreten, ergriff ihn sogleich, die ihm über alles andere hinweghalf. Er dachte von dem Engländer jetzt mit einer gewissen Liberalität, seine vorigen Bedenken schienen ihm kleinlich, er beurteilte ihn auf einer Höhe, wo selbst der Narr berechtigt ist und die Tollheit nur für Sport gilt. Zu solch geistiger Vornehmheit erhob ihn der Anblick eines Gebäudes. Das Haus hatte aber wirklich seinesgleichen nicht in allem Glanz seiner Umgebung. Es stand da wie ein Mensch, der nichts Gemeines denkt unter Menschen, die ihre Gemeinheit mit Gold bedecken. Seine Verhältnisse waren einfach, seine Ornamente schicklich, jede Linie mit dem Takte des Genies getroffen. Das Auge lief auf und ab daran und empfand nichts Störendes, nur Harmonie und höchste Idealität der Formen. Moorfeld fragte nach dem Baumeister – es war freilich eine Kopie des Palazzo Pandolfini-Nencini in Florenz und die geborene Kunstschönheit hatte den Plan dazu gemacht – Rafael.
Ein Reflex der untergehenden Sonne warf ein charakteristisches Schlaglicht über das Haus und die Ulmenpartie vor demselben und adelte den Anblick noch mehr. Moorfeld pries die gute Stunde, da er gekommen; sein Gefühl für diesen Besuch wurde immer voller, immer ahnungsreicher. So stieg er die geschliffenen Granitstufen der Freitreppe hinan, der Lord zog die Klingel, ein Neger in weißen Glacéhandschuhen öffnete. Wie befindet sich der junge Herr? rief derselbe sogleich die Dogge an, die ihm wedelnd entgegensprang. Er ist Eurer Gesellschaft überlassen, ich hoffe sie ist eine gute, sagte der Lord, worauf der Neger sich ernsthaft verbeugte. Aber Moorfeld hatte keine Zeit mehr, diesen Eintritt sich zu Herzen zu nehmen. Jetzt galt ihm's, von dem Hause, dessen Äußeres Rafael war, das Innere in sich aufzunehmen, das Bennet war. Er stand im Vestibül. Der Eindruck war ein vollkommener. Marmorboden, Marmorwände, Marmortreppen mit vergoldetem Bronzegeländer usw. verstand sich von selbst. Worauf es hier ankam, war das Wie? Moorfeld hatte manch reichornamentiertes Vorhaus gesehen, reicher als dieses. Im Hause seines Bankiers hüteten zwei marmorene Sphinxen den Eingang; ohne Frage ein prächtiges Ornament, aber die Sphinxen trugen blau und rot gemalte Schabracken. Andere Vestibüls waren mit Gold- und Lackfarben im Arabeskenstil ausgemalt, aber leider hatte man auch die Pracht gemalter Fenstergläser über dem Haustore nicht missen wollen, und niemand fühlte, daß die einfallenden Buntlichter mit den inwendigen Malereien einen optisch-gräßlichen Krieg führten. Mr. Bennets Vestibül dagegen war einfach und nichts als dieses. Das Tageslicht transparierte durch milchweiße mattgeschliffene Spiegelscheiben, die Marmorwände waren glatt und flach, durch Nischen, Kannelierungen, Pilastern und Büsten nicht unterbrochen; das Vorhaus wußte, was es zu sein hatte, ein Vorhaus. Nur eine Zierde besaß es, aber eine klassische; in der Mitte stand auf römischem Sockel – ein Apollino. Selig blickte die Schönheit des nackten Gottes dem Eintretenden entgegen, Prüderie hatte den Anblick in keinem seiner Teile beleidigt. Moorfeld faßte den höchsten Begriff von dem Hausherrn.
Der diensttuende Neger meldete die Gäste und öffnete die Flügeltüren des Parlours. Mit höherem Herzschlage trat Moorfeld über diese Schwelle. Es war das erstemal in New York, daß ihm die menschliche Fähigkeit der Pietät wieder in Übung gebracht wurde.
Das Gemach, in welchem er jetzt stand, war ein Füllhorn von Reichtum und Kunst. Der Fuß versank in den Blumen und Blättern eines kostbaren Brüsseler Teppichs. Das Auge taumelte an den Wänden von Goldrahmen zu Goldrahmen durch einen Himmel italienischer Schönheitswunder. In Ottomanen, Fauteuils, Bergeren und Taburetts strahlten die Meisterwerke französischer Ebenisten und Tapezierer umher, von der Decke hingen zwei schwere, goldene Kronleuchter. Ein prächtiger Goldspiegel über dem Kamin und auf dem Gesimse des letztern eine Kopie der Danneckerschen Ariadne in Alabaster schmückten den wirtlichen Mittelpunkt des Salons. Das Tageslicht fiel durch gelbseidene Gardinen ein, welche in reichen Falten, von lanzenförmigen Haltern getragen, an den Boden herabflossen. Vor den Fenstern blühte in einer Art Glashaus ein kleines Schiras von seltenen Pflanzen und Blumen, dazwischen hingen vergoldete Käfige mit Kanarienvögeln, ein noch seltenerer Luxus dieses vogelsanglosen Landes. Im Wandpfeiler zwischen den zwei mittleren Fenstern stand die Statue einer Diana unter einem Laubwerk von Efeu. Die beiden oberen Ecken des Gemaches nahmen zwei Scagliola-Tische ein, bedeckt mit Nippes und Büchern in Prachteinbänden. Der Farben-Grundton des ganzen Gemaches klang unter dem Reichtum dieser Ausstattung eben nicht übermächtig durch, die Tapeten schienen bronzefarbige Seide mit Golddruck.
Dies war das rasche Totalbild des Saales, welchen Moorfeld im ersten Augenblicke nur flüchtig mustern konnte. Die Person des Hausherrn stand vor den Eintretenden.
Der Engländer präsentierte seinen Begleiter mit dem Air eines Habitués: Doktor Muhrfield, ein literary gentleman aus Deutschland, Kunstkenner und –
Selbst Künstler, ergänzte Mr. Bennet in eben jenem Charakter von Bequemlichkeit. Ich setze das voraus, Mylord, bei meinen verehrten Gästen aus Deutschland. In Deutschland entspringt der Geschmack an den Künsten aus der angeborenen Fähigkeit, sie auszuüben. Ein wunderbares Land, dieses Deutschland. Ich war in Wien in ein Kolleg eingeführt – ein Estaminet, das unsern irischen Brandystuben nicht unähnlich sah – aber da hießt es: dieser Herr hat die Ahnfrau gedichtet und jener Gentleman die Totenkränze und ein dritter den österreichischen Dialekt auf den Parnaß erhoben, und die Spitze von allen war ein kleiner unansehnlicher – Shopkeeper hätte ich bald gesagt, aber man nannte ihn Beethoven! In Stuttgart zog ich mein Wagenfenster auf, als ich durch die Friedrichstraße fuhr, aber im nämlichen Augenblick rief auch schon mein Begleiter: Sehen Sie da, soeben tritt Uhland aus jenem Hause. Mit dem ersten Luftzug hatten wir einen Dichter ersten Rangs geschnappt. In Weimar erwartet man nichts anders als eine Peerage von Genies; neben dem ehrwürdigen Goethe, den ich noch zu sehen das Glück hatte, verschwinden dort Namen, die bei uns nicht Planeten, sondern Sonnen eines eigenen Planetensystems wären. Fährt man von Weimar über Leipzig und Dresden nach Berlin – ein Gebiet beiläufig wie eine Baumwollenplantage, oder das Jagdgebiet eines einzigen Indianers, – so lernt man auf dieser Spanne deutscher Erde mehr Verdienst für Kunst und Wissenschaft kennen, als in den fünf Zonen der übrigen Erde zusammen. In Berlin könnte man bequem ein Bataillon formieren aus Männern, welche jeder den Marschallsstab eines klassischen Werkes in ihrer Patronentasche tragen. Ich sage klassisch, Mylord, und unterscheide ausdrücklich von modisch. Ich heiße Sie bestens willkommen, Herr Doktor!
Dieser Empfang war mehr, als Moorfeld erwartet hatte. Sein Auftreten im Hause Bennet war ihm durch die Einführung des abenteuerlichen Engländers also nicht nur nicht verdorben – wovon er freilich nicht schon im ersten Augenblicke Symptome fürchten gedurft – sondern die Zuvorkommenheit des Wirtes übertraf nach der entgegengesetzten Seite noch das Maß des Gewöhnlichen. War's möglich, daß Deutschland in Amerika so gehuldigt wurde? Freilich huldigte der Amerikaner eigentlich sich selbst, wie überhaupt seine ganze Empfangsrede nach europäischen Begriffen von gutem Tone zu lang und wortreich war. Aber Moorfeld kannte bereits den transatlantischen Stil und die Persönlichkeit Mr. Bennets rechtfertigte denselben vollends. Mr. Bennet war eine mittelgroße Figur von schlanker Beweglichkeit, raschen Gebärden, reizbarem Mienenspiel, um den Mund etwas humoristischer Lebemann, im Blick geistreich, scharf, rastlos, wie auf beständigem Bienenflug der Gedanken, in seiner Haltung freier und entwickelter, als es dem Amerikaner schon seine physische Brustbildung zuläßt: das ganze Charakterbild schien überhaupt mehr französische als angelsächsische Rasse; Moorfeld urteilte, daß mindestens das gallische Blut Irlands in Mr. Bennets Adern fließe. Er hatte ihn während seiner Rede wie vor einem Flintenlauf visiert, aber auch Bennet vertiefte sich in Moorfelds halbwilden, urmenschlichen Blick mit einer Art von Bezauberung. Die beiden Männer fühlten, daß sie sich gegenseitig am höchsten Maße maßen. In jedem regte sich das Eigenste beim Anblick des andern. Sie standen einen Augenblick lang wie im Duell, und indem sie wechselweise die Macht ausübten, ihr Persönlichkeitsgefühl auf die Spitze zu treiben, erkannten sie schnell den gemeinsamen Familienzug des Genies in sich. Ihr vis-à-vis befriedigte, denn es versprach.
Mr. Bennet bat sich die Ehre aus, seinen neuen Gast der Hausfrau vorzustellen, was dieser dankbar annahm. Die drei Herren verfügten sich in die Etage und durchschritten eine Reihe von Zimmern, wobei sich der Wirt mit dem Gaste im gelegentlichen Gespräche vor manchem Kunstgegenstand aufhielt, indes der Lord mit dem Gewohnheitsrechte des Hausfreundes seinen Weg ins Drawing-room allein fortsetzte. Diesen Umstand benutzte Moorfeld, sich über sein Verhältnis oder Nicht-Verhältnis zu dem bedenklichen Mann so weit zu erklären, als es die Rücksicht gegen Bennet und die Rücksicht für sich selbst in die Möglichkeit legte. Bennet seinerseits befand sich in dem nämlichen Falle, daher eine Verständigung wie von selbst erfolgte. Ein Original! lächelte Mr. Bennet, ein Doppel-sportman, bei dem sich Mensch und Tier wohl befinden. Die Tiere erzieht er zu Menschen, und die Menschen bringt er einander näher. Letzteres hat ihm soeben meinen Dank erworben; wir wollen Sr. Lordschaft darum mit Anerkennung gedenken. Ich sage, Sr. Lordschaft, und darin liegt meine Erkenntlichkeit schon. Denn eigentlich ist er ein jüngerer Sohn seines Hauses und ein noch jüngerer Sohn der Fortuna, welche seinen Maßstab am grünen Tisch einst so verjüngte, daß es Se. Herrlichkeit seitdem vorzog, in unsrer Mushroom-Aristokratie der erste, statt im Londoner Westend der zweite oder zweithundertste zu sein. Nun, er ist willkommen! Sind wir doch alle ein Volk von Flüchtlingen hier; die politischen Flüchtlinge des Pharao dürfen auch nicht fehlen. Damit war der Gegenstand, so viel hier nötig, abgefertigt; das Saitenspiel der Göttin Medisance sollte vorerst nicht weiter ausklingen über dieses dankbare Thema. Moorfelds Aufmerksamkeit war bei den Kunstsammlungen Bennets. Er machte auch gar kein Hehl daraus, daß er wie ein Wilder oder wie ein neugieriges Kind diese Säle durchschreite, er genieße wieder das erste jugendliche Gefühl seiner Gesundheit hier; in New York lähme der Schlag eine ganze Menschheitsseite, und wirklich sei die Stadt so unbefangen, das Haus Bennet ungefähr wie die Adresse eines berühmten Arztes zu nennen. Die Bevölkerung sei stolz darauf, aber ohne das Gefühl, ähnliche Ehren erwerben zu sollen, jeder einzelne bezahle seine ästhetische Schuld höchst sorglos mit einer Anweisung auf Mr. Bennet. Und doch gab es eine Zeit, antwortete Bennet, indem das geschmeichelte Lächeln seines Antlitzes schnell dem Ernste, ja einem gewissen Zug von Kummer wich, doch gab es eine Zeit, wo die Sache ganz anders lag. Ich habe eine seltsame Position zu meinen Mitbürgern. Sie lieben mich und meine Richtung eigentlich nicht, aber sie schmeichelt ihrem Nationalstolze. Einen guten Ruck zur Versöhnung würde ich vielleicht tun, wenn ich meine Sammlungen geradezu Bennets Museum oder noch besser amerikanisches Museum taufte. In der Tat haben mir Wohlmeinende diesen Schritt wiederholt geraten. Als ob die Kabinettstücke eines Privatmanns zu solchem Titel berechtigt wären! Aber dergleichen bedenkt man hier wenig. Wenn's nur klingt. Und dann bekenn' ich aufrichtig, daß mich die Aussicht disgustiert, einem gewissen Spektakel-Humbug zu verfallen, den ich von diesen Räumen nicht abhalten könnte, wenn ich ihnen einen öffentlichen Charakter verliehe. Kurz, ich kann mich zu dieser Avance nicht entschließen. Auch denk' ich der dringendsten Nötigung überhoben zu sein. Die eigentlichen Kämpfe sind bestanden.
Moorfeld ahnte in letzterem Worte, was gleich im Entree dieses Hauses zum lebhaftesten Gefühle kommt, und versagte seinem Wirte die Anerkennung nicht, es laut auszusprechen. Er bewunderte vor allem Bennets Mut, seine Kunstpflege so rein durchgeführt zu haben, daß er auch dem höchsten, aber zartesten Stoffe der Kunst, den Darstellungen des Nackten, nicht aus dem Wege gegangen sei, ein Mut, der den flüchtigsten Kenner der hiesigen Sitten noch mehr überrasche, als das Vorhandensein dieser Kunstpflege selbst. Und ich bin ein Mann, der drei Töchter hat! antwortete Bennet, gedenken wir dieses Umstandes nicht zuletzt, mein Herr. Jede Verdammungsthesis wider mich fand ihren Vorder-, Mittel- und Schlußsatz in meinem eigenen Hause. Ja, mein Herr, General Jackson hat viel Mut bei New-Orelans bewiesen, gegen die Bank noch mehr, aber gegen die Prüderie ich den meisten. Und doch macht mich niemand zum Präsidenten dafür, ich bin froh, daß ich das Leben davontrage, das nackte Leben! scherzte der aufgeweckte Mann mit einem wohlangebrachten Sinnspiele. Er fuhr sich mit einem echt französischen Wurf durch den Busch seiner Stirnhaare, wobei der Solitär an seiner Hand gleich einem Stern aus Wolken blitzte, und sagte wie im Andenken großer Erinnerungen: Zweimal spielt' ich va bancque mit meinem Leben, zweimal warf ich den Würfel eines kühnen Entschlusses über meine bürgerliche Existenz. Das erstemal war's eine Handelsunternehmung. Ich befrachtete mit einem kleinen oder auch großen Kapital – denn es war mein ganzes väterliches Erbe – ein Schiff nach der Habanna in Seide. Ich war vierzehn Jahre, mein Steuermann siebenzehn. Wir hatten einen luckigen Eindecker, der kaum noch See hielt, dazu Gegenwind aus Südwest, und um schneller reich zu werden, sparte ich auch noch die Assekuranz. Kurz, ein kompletter Knabenstreich. In Europa hätte man uns mit der Rute nach Hause gejagt, hier standen die Leute am Ufer und wetteten um den Punkt, wo wir scheitern mußten. By Jasus! am Cap Hatteras! schrie der eine; Good damn! sie kommen nicht über Shandy-Hoock, fluchte der andre; 'pon honour! im Florida-Golfstrom gehen sie auf den Grund, beteuerte der dritte. Ich hatte eine gute Ladung Kognak im Kopf, und diese Wetten machten mich vollends des Teufels. Beim Old Nick! schrie ich außer mir, nun wett' ich auch, ich! Jungens, wenn ihr die grüne Erbsensuppe schlucken müßt, verschwor ich mich meinem Steuermann-Buben und seinen vier Matrosen – denn das war unsere ganze Bemannung – wenn's euer Leben gilt, so halt' ich mit, ich jage mir ein Lot Blei in den Kopf. Dabei rief ich Umstehende, Fremde und Freunde zu Zeugen an, und nur ein alter Geistlicher verhinderte mich, den Notar zu rufen. Enfin, die Buben lavierten sich durch, auf halber Fahrt schlug der Wind um, wir hatten den Konkurrenz-Vorsprung und machten enormen Gewinn. Das aber ist gewiß, kam's anders, so war ich Mann genug, mein Wort zu halten. Raten Sie nun, was ich jener Wagetat an die Seite setze? die Tat, als ich zwanzig Jahre später – den Walzer hier einführte. Ja, Herr, das war mein zweites va banque! Man hatte bis dahin nur langweilig-sittsame Quadrillen und Ekossaisen gekannt; daß man im Tanze die Taille eines Weibes berühren könne, ging über all unsre Vorstellungen. War ja noch vor meiner grande route ein Pariser Ballett nach New York herübergekommen – es ist schlechterdings mit Worten nicht wiederzugeben, welches Aufsehen seine Vorstellungen erregten. Ich war bei der ersten zugegen. Schon der bloße Anblick der kurzen Ballettröcke brachte eine Bewegung im Hause hervor, die dem Ausbruch eines Volksaufstandes nicht unähnlich war. Als aber die erste Pirouette gemacht wurde, besagte Röcke rundum flogen und die Beine eine horizontale Richtung nahmen – da schrien die weiblichen Zuschauerinnen laut auf, und die nicht auf eigenen Füßen hinausstürzten, die wurden ohnmächtig fortgetragen. Die Männer aber erhoben ein Gelächter – kein wohlgefälliges, bewahre, ein satyrisches, ein Hohngelächter, nur lächerlich schien ihnen diese Kunst; die Sprache der Grazien verstanden sie nicht darin, in ganz New York war keine Ahnung darüber aufzutreiben. So sah das Land aus, in welches ich bei meiner Rückkehr von Europa den Walzer verpflanzen wollte. Lassen Sie mich sagen, mein Herr, neue Städte gründen ist etwas, aber neue Sitten gründen mehr. Noch habe ich die Geige im Glasschrank stehen, womit der deutsche Tanzmeister meinen Töchtern den Senfsamenwalzer einstudierte, – Gott weiß es, ich vergesse diese Klänge nie wieder. Der Ballabend brach an. Meine Töchter konnten damals noch für unmündig gelten, meine Frau ließ ich aufs Land gehen, – ich wollte die Verantwortung allein tragen. So ging ich in die Schlacht. Die Quadrillen und Ekossaisen schickt' ich natürlich voran. Als aber das Orchester den ersten Bogenstrich vom Senfsamenwalzer machte, als ich meine Cöleste an die Hand nahm, in die Mitte des Saales trat, und nun anfing unsern freien und aufgeklärten Bürgern das böse Beispiel eines Walzers zu geben – sehen Sie, Sir, da lief mein unversicherter Eindecker von neuem gegen den Wind aus. Meine bürgerliche Existenz stand zum zweiten Male auf dem Spiele. Mit dem Angstschweiß auf der Stirne erwartete ich die Wirkung. Mein Gott, ich durfte nicht lange warten! Da war die Miß Arabella Comonach, früher Fabriksmädchen in Lowell, jetzt eine Fregatte von Würde und Anstand, die fiel in eine pomphafte Ohnmacht und schrie um ein Riechfläschchen. Da war die Mistreß Lydia Hundington, die Frau des Hauptpastors an der Trinity-Church, die schoß wie eine Brandrakete zum Saale hinaus und grollte mir wütend zu, sie glaube in Singsing zu sein, d. h. im Zuchthaus. Da war aber auch der Kolonel Burr – erinnern Sie sich gefälligst an diesen großen, jetzt verschollenen Namen. Sie wissen, dieser Satan war nahe daran, König von Amerika zu werden. Seine Verschwörung, – ein unsterbliches Meisterwerk von menschlicher Weisheit und Frechheit, mißglückte zwar, aber so stark war der Anhang dieses Catilina, daß kein Gerichtshof ihn zu verurteilen wagte, aus Furcht vor seinen Dolchen. Entlassen mit einem »Nichtschuldig«, aber gescheucht und gemieden von aller Welt, lebte er seitdem vereinsamt in New York, mein Salon allein war's, der dieser unheimlichen Existenz noch offen stand. Ich verehrte das Genie in ihm; ich hatte Herz für sein Familienunglück. Denn seine Tochter ist heutigen Tags noch nicht wiedergefunden, da sie sich in der flagrantesten Krisis der Verschwörung auf eine Landreise von tausend Meilen aufgemacht hatte, um sich mit ihrem verfolgten Vater zu vereinigen. Kein Mensch weiß, was aus ihr geworden; eine Beute der Räuber, der wilden Tiere und der Novellendichter verschwand sie in unsern ungeheuren Wildnissen. Nun, dieser Kolonel Burr kommt auf mich zu, – es war das letztemal, daß ich diesen kleinen muskulösen Raubvogelkörper, diesen Alligatorenblick, diese Jupiterstirn sah, und mit der Haltung, womit er in seinen besten Tagen die Menschen wie Wachs bewältigte, sagt er mir unter die Augen: Wenn meine Tochter in diesem Augenblick so herumgeschleift würde, so möchte ich sie lieber tot wissen. Ich wollte Amerika beherrschen, aber nicht zerrütten, Mr. Bennet. Ich danke von heut' an für Ihre Gastfreundschaft. – Wenn Sie ein graues Har auf meinem leidlich schwarzen Kopf finden, so bekam ich's jene Nacht. Kolonel Burr, der sich gegen einen Walzer empört! Lange wälzt' ich mich schlaflos auf meinem Lager und sann darüber nach, wo der Grenzstein der menschlichen Natur stehe. War ich wirklich der Felddieb, der ihn verrückt hatte und morgen vor ganz Amerika die Stäupe dafür bekommen sollte? Es war eine Hölle, das zu fragen und die Antwort darauf abzuwarten wie ein wehrloses Schlachtopfer. Gegen Morgen endlich hatt' ich einen gescheiten Einfall. Ich sprang auf, nahm hundert Dollar, wickelte sie in ein Papier und adressierte sie an eine unsrer ersten Redaktionen, daß sie das Tagesereignis freundlich bespreche. Darauf wurde ich ruhiger und schlief ein par Stunden in den hohen Tag hinein. Als ich aufwachte, lag die gedruckte Zeitung schon auf meinem Toilettentisch. Meine Apologie strahlte heller darin als die frische Morgensonne. Der Mob machte Chorus dazu, und ich war gerettet. Das ist die Geschichte des ersten Walzers in Amerika.
»We are in a free country!« murmelte Moorfeld erschüttert.
Bennet, dem das Wort »frei« ans Ohr klang, bezog es anders und jubelte auf: Es lebe die freie Presse! ja, ja, mein Herr, das ist die Perle unsers aufgeklärten und glücklichen Landes. Die Knechtung der Presse ist ein vortreffliches Mittel der Freiheit; denn das Publikum bildet sich in diesem Falle sein eigenes Urteil; aber die freie Presse ist ein köstliches Werkzeug der Tyrannei, – der Mob vertraut ihr und betet ihr blind nach. Das Mittel mit dem Walzer schlug mir noch öfter an. Ich muß immer ein sardonisches Lächeln bekämpfen, wenn mich die Leute fragen, was mein Apollino, meine Ariadne und dgl. gekostet hat. Ich weiß wohl, wem ich diese göttlichen Nacktheiten am teuersten bezahlt habe. Es lebe die freie Presse!
Moorfeld zuckte zusammen. Er stierte mit einem toten Blicke vor sich hin. Was haben Sie? fragte Bennet, Anlage zur Melancholie? Hang, die Sachen von ihrer schwarzen Seite zu nehmen? Auf, in Frauengesellschaft! Meine arme Frau. Sie muß schon seit einer Stunde auf die Perfektibilität der Tierseele schwören. Kommen Sie, ich will ihr eine schöne Menschenseele vorstellen!
Wenn die Artigkeit des Herrn Bennet nicht ein angeborener, liebenswürdiger Hang zur Galanterie war, so konnte sie Moorfeld jetzt in einem neuen Lichte sehen. Es schien ihm nicht unmöglich, daß Herr Bennet seinen fremden Gästen darum soviel Aufmerksamkeit, ja, Devotion erzeige, um den Ruf seines Salons auch in Europa auszubreiten. Eine Rückwirkung davon auf sein eigenes Vaterland mochte dem amerikanischen Kunstmäzen, nach dem was Moorfeld gehört, in der Tat weder gleichgültig noch selbst entbehrlich dünken. Und Moorfeld gestand sich, daß auch er – Tendenzverse dichten könne.
Er trat jetzt an der Seite seines Wirtes in das Drawingroom, dessen offenstehende Flügeltüren schon auf die Entfernung mehrerer Zimmer das Innere dieses Boudoirs ins Auge fallen ließen. Moorfeld glaubte in einen Blumenkelch zu blicken. Decke, Plafond, Wände, Möbel, Teppiche, Tapeten – das ganze Gemach schmolz in ein einziges Laubwerk, in eine große Blätter-Arabeske zusammen. Nichts war Bedürfnis hier, alles Ornament, nichts Kante und Ecke, alles Wellenlinie, nichts Stein und Holz, alles eine lockere Blütenschneedecke, Auflösung in Faser, Falte, Flocke, Spitze, ein Sommernachtstraum aus Seide und Flor, eine Phantasie, ein Duft. Die Pracht hatte sich hier verflüchtigt, als scheute sie, durch irdische Schwere zur Last zu fallen, nirgends drückte die Erinnerung an Goldgehalt oder Karatgewicht, der Besucher konnte inmitten eines unschätzbaren Wertes glauben, alles sei mit größter Leichtigkeit da, quelle aus sich selbst wie eine Schaumperle auf. Die alabasterne Orchislampe an der Decke schien noch das einzige Stück von Masse hier; wie sie den schweren, goldenen Kronleuchtern im Parlour kontrastierte, so ungefähr verglich sich dieser Empfangssalon der Hausfrau dem des Hausherrn. Wenn wir sagen, Moorfeld trat in dieses Gemach ein, wie Faust den Himmelsatem der weiblichen Temperatur im ärmlichen Bürgerstübchen trinkt, so sagen wir zu wenig. Anders und höher noch atmet dieser Geist doch, wenn im Boudoir der Millionärin die Flammen unendlichen Reichtums aus allen Fugen schlagen und der Taubenflügel der weiblichen Bescheidenheit tuschend und dämpfend das Ganze zur Ruhe niederfächelt.
Die Bewohnerin dieses reizenden Aufenthaltes war eine kleine zarte Dame – eine Vignette von einem Frauenbild. Tiefe Blässe bedeckte ihr Antlitz, nicht jene Blässe der Amerikanerinnen, die einer immerwährenden Dyspepsie entspringt, es war eine echtere Ätherfarbe. Stille und Sinnigkeit lag um sie her, und der Ausdruck des allgemeinen Frauenloses, Geduld und Duldung. Wie sie im einfachen grauseidenen Kleide, die feine Hand im rosa Glacéhandschuh, den zarten Fuß im gestickten Atlaspantoffel, den Nacken von einem schmalen Spitzenkragen umrändelt, ohne Gold und Juwelen da saß und von dem weitgeschlungenen Schaukelstuhl fast nur den kleinsten Raum einnahm, so war es ein Anblick, als ob das weiche Glück zwar nicht wie eine Bürde auf ihr ruhte, aber wie jener Flaum, womit man das Leben eines Entschlafenen erprobt, und der sich nicht regt. Nicht bescheiden, – ergeben in ihren Stand schien dieses milde, ruhige Frauenbild.
Herr Bennet machte die Vorstellung Moorfelds französisch; Mistreß Bennet antwortet in derselben Sprache und mit einem Akzente, womit man nur die Muttersprache spricht. Moorfeld konnte sie ohne Frage für eine Pariserin nehmen. Es schien ihm diese Wahl nicht der unbedeutendste Charakterzug für Bennets Geistesrichtung – ob er auch ahnen durfte: für das gedämpfte Lebensgefühl der verpflanzten Seine-Blume?
Mrs. Bennet sprach von den Schönheiten des Rheins und der deutschen Literatur. Moorfeld antwortete mit Paris und Frankreich. Seine Lobesäußerungen wurden mit Dank erwidert, aber das Thema nicht fortgesetzt. Moorfeld ging auf Saratoga über. Mrs. Bennet sagte: sie hoffe viel für das Vergnügen ihrer Kinder von diesem Ausfluge. Die Formalität schlang dann noch einige andere Fragen und Antworten in ein loses Bukett zusammen, das man sich gegenseitig überreichte, und als sich Moorfeld wieder erhob, erfüllte sich dieses Bild auch im eigentlichen Sinne; die Hausfrau reichte dem Gaste aus einer Blumenvase ein feines Sträußchen von Vanille-Blüten. Es schien damit eine ständige Sitte beobachtet, denn selbst der Engländer, der Habitue des Hauses, hielt, wie Moorfeld sehen konnte, eine solche Gabe zwischen den Fingern.
Den sich Entfernenden schloß sich auch die Person des Letztgenannten jetzt wieder an. Die drei Herren traten jetzt in eine andere Enfilade von Zimmern über, als durch die sie gekommen, in die Gesellschaftssäle. Hier waren die Gardinen bereits niedergelassen, die Kronleuchter angezündet, und alles für den Empfang der abendlichen Gäste in Verfassung. Aber Moorfeld tat seinem Wirte die Bitte, bzw. Abbitte, er möge ihm erlauben, flugs nach Hause zu fahren und Toilette zu machen, er habe sich dieses Umstandes verhängnisvoller Weise keinen Augenblick früher als im Boudoir der Hausfrau zu erinnern vermocht, dort aber zu seiner großen Verlegenheit. Herr Bennet lachte und sprach von poetischen Charakterzügen; er ersuchte übrigens seinen Gast zu bleiben, er sei ja nur auf einen Rout gekommen. Es ist dieses eine Gesellschaftsform, erklärte er auf Moorfelds freimütige Äußerung, sie nicht zu kennen, welche vor einigen Jahren von England ausgegangen ist und in New York sich schnell eingebürgert hat. Sie empfiehlt sich See- und Handelsvölkern durch ein gewisses demokratisches Negligé, wie sich etwa ein bequemer Surtout empfiehlt, der für jede Gestalt paßt, aber freilich keine hervortreten läßt. Man könnte den Rout fast den Klub nennen, ins Privathaus verlegt. Seine wahre Form ist eigentlich die Formlosigkeit. Der Engländer setzte hinzu, seines Wissens seien im Westend und Downingstreet die ersten Routs in der sogenannten Restaurations-Periode gehalten worden, in jener Zeit der politischen Aufregung, wo der Ernst des Tagesgesprächs angefangen habe, der Handhabung der Frauen zu entwachsen, und die Behandlung von Fragen, welche fast lauter Lebensfragen waren, den leichteren Konversationston unmöglich zu machen. Der Rout sei ganz eigentlich ein Männer-Konvent. Es ist seltsam, reflektierte der Engländer weiter, daß hier in Amerika, wo der Kultus der Frauen so hoch wie in keinem Lande der Welt getrieben wird, der Einfluß der Frauen auf die öffentlichen Formen außer allem Verhältnis gering, ja eine Tonangebung des weiblichen Elements im Grunde gar nicht vorhanden ist. Der Typus aller Geselligkeit ist hier ein schroff männlicher; der Rout herrschte schon längst in Amerika, eh' ihm England den Namen lieh. Um Bennets Lippen spielte ein pikantes Lächeln bei dieser Bemerkung, nach einer Pause nahm er das Wort. Sie sprechen von der Abwesenheit der Frauen aus unsern geselligen Zirkeln, sagte er – meine Herren, ich will Ihnen ein Geschichtchen erzählen. Es war bei einer der glänzendsten Matinees der vorigen Präsidenten in Washington und Mädchen und Frauen die wünschenswerteste Menge anwesend. Sie waren da mit ihren Herren Brüdern, Vettern, Ehegatten, Senatoren, Offizieren, Staatsbeamten aller Grade und Würden. Den Reiz der Gesellschaft erhöhte ein Indianer-Häuptling, eine rothäutige Majestät aus dem Westen, ein wild-malerischer Kriegsgott. Er war auch der Abgott manch schönen Augenpaars, das die Salonfähigkeit dieses romantischen Mitmenschen gewiß nicht bezweifelte. All men are equal! Der Präsident führte seine Gäste in den Sälen herum und ließ sie die Sehenswürdigkeiten seines Hauses in Augenschein nehmen. Der stolze, schwarze Blick des Indianers verfolgte alles mit lebhaftem Anteil; jeder Zigarren-Aschbecher, jedes Feuerzeug-Etui interessierte ihn. Endlich ging's in den Bildersaal. Hier zeigte ihm der Präsident die Porträts unserer politischen Größen, unserer Land- und Seeheroen, Abbildungen unserer merkwürdigsten Bau-Denkmäler, unserer schönsten Fregatten. Unverhofft machten diese Bildwerke den geringeren Eindruck auf unsern Natursohn. Nun, Krieger, sagte der Präsident ihn bei der Hand fassend, was denkst du davon? – Bruder, antwortete der Häuptling, – diese groß sind, sie leben und atmen und ganz gegenwärtig sein; diese großen Gemälde, ich sage dir, sehr wirklich groß sind; aber ich habe noch besser. Und dabei drehte er sich um, bückte sich, zog seinen Mantel über den Kopf, und sagte, indem er mit der flachen Hand sich auf die beiden Schenkel klatschte: Schau, Bruder, hier tätowiert ist Alligator, und hier Waschbär; sind das nicht prächtig Bild? – Es wird mich im letzten Stündchen noch erheitern, was im Bildersaale das selbst für ein Bild gab: die kreischenden Weiber, die lachenden Männer, die Verlegenheit des Präsidenten, die Stellung des Indianers! Ich möchte das Bild gemalt haben, es ist ein Symbol. Es ist das einzig richtige Bild von der amerikanischen Gesellschaft, obgleich Genre, ein wahres Historienbild! Aber Sie sehen wohl, meine Herren, wie nahe uns noch die Wildnis liegt, wie das vorherrschende Kostüm unsrer Zirkel noch die Inexpressibles sein müssen, nicht die Roben. Denn wo Frauen unsicher sind, sind sie nicht. – Bennet fuhr fort: Wie lange nur ist es her, daß ich und einige Gleichgesinnte den Anfang machten, die Meldung der Hausbesucher einzuführen? Noch vor wenigen Jahren konnte man, zu den ersten Partien geladen, nichts als ein Öllämpchen im Vorhause antreffen, häufig auch das nicht, noch weniger einen Concierge, kurz nichts. Es geschah öfter als einmal, daß man auf gut Glück nach dem Salon tappte und in ein Gemach geriet, wofür man seine Glacéhandschuhe nicht angezogen. Mir selbst widerfuhr es einst. Und doch, wie übel nahm man mir meine Neuerung! Denn kein Luxus ist den Amerikanern zu luxuriös, aber jede Form zu formell. Ach ja, sie sind schwer zu disziplinieren außer dem Schiffe!
Moorfeld hatte während dieser Konversation – die Herren standen im äußersten Ende eines Eckzimmers und blickten von einer Art Erkerbalkon auf die noch tageslichte Straße hinab – seine Aufmerksamkeit zu teilen gehabt zwischen drolligem Hören und drolligem Sehen. Sein Auge war auf der Straße. Ein wunderliches Schauspiel zog es hinaus. Ein Rudel junger Schweine, wie Menschen gekleidet, schlumperte das Trottoir herab, eine absurde Sammlung von Jünglingen, zu kenntlich für die Maskerade, zu unkenntlich als Wirklichkeitswesen, Kerle, die eine Garderobe trugen und eine Toilette gemacht hatten, welche phantastisch sein sollte, aber nach einem Stile es war, als ob sich die Göttin Phantasie an irgendeinem Mondkalbe versehen hätte, da sie die Stutzerwitze dieser Erdärmlichen gebar. Der eine trug schlotternde Pumphosen mit schuhgroßen Karees, das Beinkleid des andern war eng und knapp wie Trikot. Dem einen hing die Weste über den Bauch herab, dem andern endete sie auf der Herzgrube, dieser balancierte ein Spazierstöckchen kurz und dünn wie eine Stricknadel, jener schleppte einen Prügel wie eine Herkuleskeule. Die Krawatte des Dritten war ein Zwirnsfaden, die des Vierten eine mäßige Gartenmauer. Der Fünfte hatte seinen Kopf durch einen Pfannkuchen gesteckt, so flach war sein Hut, der Sechste trug eine Kopfbedeckung von der halben Höhe seiner ganzen Person. Was sonst Rock oder Frack heißt, war am Leibe dieser Dandies ein Stück tollgewordenes Segeltuch, das den Fiebertraum träumte, nach allen Winden zugleich zu hängen und die widersprechendsten Formen, die es je angenommen, in einen einzigen Moment zu vereinigen. Dazu hatten die Wichte einen Gang wie Känguruhs, ein Mittelding zwischen Rutschen und Stolpern, indem sie entweder, weil sie es für Fashion hielten, oder aus wirklicher Marklosigkeit, bei jedem Schritt in die Knie brachen und die Unterbeine liederlich nachschleiften. Moorfeld sah diesem Zuge mit einer Art Fassungslosigkeit zu; er hatte im Straßenleben New Yorks ein solches Ensemble von Karikaturen noch nicht gesehen. Aber wie ward ihm, als das Gesindel an Mr. Bennets Haus die Klingel zog! Unwillkürlich bückte er den Hausherrn an; Herr Bennet senkte mit einiger Verlegenheit sein Auge, dann aber sagte er achselzuckend: Die Armen! Wo sollten sie sich bessern lernen, wenn ich ihnen auch noch mein Haus verschlösse! – Moorfeld fand diese Antwort groß. Die doppelte Liberalität gegen sich selbst und gegen die andern, denen er noch Besserungsfähigkeit zuschrieb, schien ihn den Nagel einer noblen Gesinnung auf den Kopf zu treffen. Übrigens, setzte Bennet hinzu, ist ihr ärgerliches Äußeres das Ärgste an ihnen. In der Gesellschaft sind sie die unschädlichsten Hasenfüße, die man sich wünschen kann. Es ist nie erhört worden, daß ein Dandy on short allowance – denn das ist ihr Kunstname – die Sitte des Salons freventlich durchbrochen hätte. Ihre ganze Selbständigkeit liegt in der Affenfratze ihres Anzugs, ihr innerer Affe muckst nicht in der Welt des guten Tons. Sie sollten sehen, wie lammsfromm sie unter Damen sind, wie sie das Pfötchen reichen, wenn meine Frau oder Töchter von ihrem Dasein Notiz nehmen. Und das geschieht zuweilen. Denn die Weiber haben bei aller Verachtung für unmännliche Männer doch auch eine Art Gutherzigkeit gegen den armen Narren, der so unglücklich ist, ihre Verachtung zu verdienen. Sie entdecken mit ihrem mikroskopischen Blick sein geringstes Verdienst, sie sagen selbst der Null, daß sie eine Komposition aus Wellenlinien ist. So haben meine Frauen auch diesen Jünglingen ihr Gutes abgelauscht. Der eine weiß z. B., wo man die hübschesten Hemdknöpfchen kauft, der andere will ein Putzpulver erfinden, gelbes Elfenbein wieder weiß zu machen, der Dritte besitzt eine Nagelfeile, womit er den plattesten Nagel konvex feilt. Besonders meine Jüngste, Cöleste ist es, die solche parfaits dans le petit, sublimes en bijoux, grands inventeurs de riens ich sage nicht zu schätzen, aber doch zu erziehen weiß. Das Mädchen lebt in einem Babel von Bagatells, sie umgibt sich stets mit dem Überflüssigsten, das superflu, chose trèsnécessaire ist eigens für sie gesagt. Die Sachen selbst sind ihr unendlich gleichgültig, die Wahl reizt sie, das Arrangement, eine Art schöpferischer Geist, der sie treibt. Wenn etwas bildend für diese Burschen sein kann, so ist es sie. Von der Auswahl eines netten Hemdknöpfchens bis zur Würdigung eines Raffaelschen Gemäldes kann ich mir sehr wohl eine Stufenleiter denken. Heute schickt man den Galopin nach Hemdknöpfchen aus, morgen läßt man ihn ein hübsches Muster für durchbrochene Strumpfzwickel auftreiben, übermorgen schon eins für Fußschemel oder Lichtschirme, so wird das Hämmelchen in die bildende Kunst eingeführt. Auch delirieren die Kerls nicht immer so in ihrer Garderobe. Wie wir sie heute sehen, läßt's keinen Schluß zu auf morgen, es ist ihnen nicht habituell. Schon im nächsten Salon können sie so wohlgekleidet eintreten wie andere Vernunftwesen. Sie sind eben die Schaumperlen einer Geldaristokratie, die in der Gärung begriffen ist. Der Reichtum hat seine Flegeljahre jetzt in Amerika. Er ist in einem Stadium der Abgeschmacktheit begriffen, aber es ist nur ein Stadium. Denn Geld wird immer zu Geist. Das ist mein Wahlspruch. Völker, die Geld ohne Geist hatten, wie Phönizier, Babylonier usw., sind heute doch nicht mehr möglich. Die Bildung ist kosmopolitisch geworden.
Moorfeld ließ sich diese Apologie gar wohl gefallen. Der geistreiche Mann hatte seinen Verdruß über jene melee wie weggehaucht. Mr. Bennet befestigte sich immer mehr in der Meinung, die ihm Moorfeld entgegengebracht.
Inzwischen hatte sich die jeuness doree durch die Gesellschaftssäle – auch den letzten – verbreitet und betrug sich ziemlich säuberlich. Moorfeld entdeckte sogar, daß sie erröten könne. Denn als einer der Bengel ihn durch sein Kneif-Lorgnon etwas ungezogen anstarrte, steckte Moorfeld sein eignes Lorgnon vor und fixierte ihn ebenso. Da errötete der Junge, ließ sein Lorgnon fallen und ging. Moorfeld und Bennet lächelten sich zu.
Nach und nach fand sich zahlreichere Gesellschaft ein.
Im Laufe einer Stunde war schon so viel »Welt« da, daß die Dandies on short allowance sich erträglich genug darin verloren. Zwar blieb das Publikum noch immer gemischt, wie Moorfeld im Kommen und Gehen dieser Menschen überhaupt einen erstaunlichen Grad von republikanischer Sittenfreiheit wahrnahm; auch bedauerte Mr. Bennet wiederholt, daß er Moorfelden nicht vorgestern auf New-Jersey bei sich gesehen, die Elite der Gesellschaft wohne jetzt draußen, und der heutige Rout sei mehr eine Förmlichkeit gegen die Stadt, gewissermaßen eine Beobachtung der demokratischen dehors; doch zweifle er nicht, es werde sich noch immer eine kleine Geistesgemeinde fürs Estaminet zusammenfinden, an die halte man sich dann und lasse den Mob laufen.
In der Tat erschienen bald darauf einige von den Häuptern, auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name ruhte. Die erste dieser Gestalten war ein Mann von majestätischer Hoch-Statur, stark gewölbter Brust und noch ausgebildeterem Abdominal-System, das plastisch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beschwert, was ein seltsamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrechlicher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrschend in diesem Bilde, wenngleich nicht alleinherrschend, denn seine Augen waren klein, und die etwas hervortretende Unterlippe sowie das weiche schwellende Kinn verrieten, daß der Mann den gutschmeckenden Dingen dieser Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doktor Channing, der erste Prosaist Amerikas, nach der Stimme des Landes – Amerikas Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüsterte, die öffentliche Vorstellung mit einer geheimen ergänzend.
Diesem Mann auf dem Fuße folgte sein direktestes Gegenstück. Es war ein hageres, fast gebrechliches Männchen, dessen graue Augen schüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indes sein kleines fleischloses Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zuviel Lernen beschwert wäre. Er war nicht alt, sah aber aus, als ob er nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein notwendiges Übel so schnell als möglich passiert wäre. Mr. Bennet begrüßte ihn mit tiefer Hochachtung und stellte ihn als Doktor Griswold vor, Bibliothekar an der neu errichteten Universität in New York, der fleißigste Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie wert ist, setzte er Moorfelden in obiger Weise hinzu.
Auch der vormalige Präsident Monroe erschien. Eine schwache abgemagerte Gestalt, gebeugt von Alter oder altmachenden Gemütsstimmungen. Moorfeld sah in ein mildes, aber glanzloses Auge, auf eine breite und gut begrenzte, aber platte Stirn, es verdroß ihn überhaupt, daß der ganze Charakterausdruck des Mannes, der den edelsten der Indianerstämme um sein Land betrogen, nicht einmal von geistiger Überlegenheit oder energischen Leidenschaften zeugte. Moorfeld haßte ihn noch von seinen glühendsten Studentenjahren her, in welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unser Freund, den wir nur nicht »Jüngling« nennen, um ein pathetisches Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht so weit hinter sich, daß ihm der Anblick dieses Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mißstimmung verursacht hätte. Nur der Umstand, daß Monroe, wie er hörte, jetzt in Armut lebe und von den Bestechungen, die in jenem diplomatischen Räuberroman gespielt, nicht persönlich gewonnen habe, milderte zum Teil seine Empfindungen.
Noch stand Moorfeld über dieses Thema mit Mr. Bennet im Gespräche, als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen ausgehend, welche die Person des jetzt Eintretenden kannten, und um so spannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche sie nicht kannten. Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz, und doch begleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohlwollens. Mr. Livingstone, Amerikas erster Jurist, sagte Herr Bennet. Verfasser des klassischen Carolina-Strafkodex? fragte Moorfeld – von welchem ich Ihnen eine Geschichte erzählen will, eine Geschichte in zwei Worten, setzte Bennet hinzu. Das Manuskript dieses Kodex ging abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunst seines Hauses in Flammen auf. Morgens um sieben Uhr saß Livingstone in einem andern Hause vor einem andern Buch Papier und begann es von neuem. Das ist nicht von einem Gelehrten erzählt, sondern von einem Enthusiasten, werden Sie sagen. Ich widerspreche nicht. Livingstone ist Dichter in seinem Berufe!
Wirklich war Mr. Livingstone eine außerordentlich gewinnende Persönlichkeit. Seine Gesichtszüge konnten keineswegs fein heißen, aber eine Herzenswärme lag darin, die alles, was selbst Herz und Menschlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittelgröße, seine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte sie, seine Sitte war Sittlichkeit.
Diese Personen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen, in welchen sich das eigentliche Leben des Routs kristallisierte. Zwar wurde Moorfeld, der literary gentleman, noch immer einer Anzahl von Anwesenden vorgestellt, welche ein großer, zum Teil weltbewegender Name in Handel und Industrie ebenbürtig neben die geistigen Koryphäen der Gesellschaft stellte. Es verdroß ihn aber bald, daß er Kaufleute, Fabrikanten und Schiffsreeder als Oberste, Kolonels, Kapitäns usw. durch alle Grade der Kasernen-Hierarchie zu salutieren hatte. Ein Land, das in seinem ganzen Begriff das Friedensreich der modernen Bürgerlichkeit bedeutet, mit soviel Vorhebe im Epauletten-Reflex sich bespiegeln zu sehen, war dem Europäer, dem zu Hause schon sein »Soldatenspielen« kulturwidrig dünkt, eine der widerwärtigsten Schwächen des amerikanischen Volkscharakters. Er dankte Gott, daß Mr. Bennet selbst seine Musen und Grazien nicht nach irgendeinem imaginären Korporalstock dirigierte. Wie entlegen und eigentümlich waren die Momente, die hier zur vollen Würdigung eines Mannes beitrugen!
Vom andringenden Strome der Gäste war in den letzten Augenblicken der Hausherr Moorfelds vorherrschendem Besitze entführt worden, und bis sie zu stillerem Begegnis sich wieder zusammenfanden, gefiel sich unser Freund, auf eigene Hand aus den Wellen der Gesellschaft zu schöpfen. Den bedeutendsten Personen aufs rücksichtsvollste vorgestellt, war ihm der Charakter des Fremden benommen; er hatte den Vorteil, in die einzelnen Gruppen einzutreten und sie zu verlassen nach freier Wahl und Bequemlichkeit. So konnte er wie in einem lebendigen Index die amerikanischen Zustände durchblättern: dort stand ein Kapitel Bankwesen, hier Schutzzoll und Freihandel, in diesem Trinkzimmer zechte die Sklavenfrage, in jenem die Indianer-Expropriation, in der Nische rechts zupfte die neue Universität an den Gardinenquasten im eifrigen Vortrag über die literarischen Landeszustände, in der Nische links kritisierte ein Börsensyndikus, d.h. ein Oberstleutnant die Bankrotte vom Jahre dreißig und stellte das Prognostikon der nächsten Kalamität.
Das war nun ein Amerika, nicht aus papierenen Quarterly Reviews, noch aus dem Tabakskot öffentlicher Sittenroheit zu studieren, sondern im Goldrahmen eines kunstsinnigen Salons, unter den Blumen des Landes. Diese Gedankenflora durchschwärmend, mußte sich's zeigen, ob Moorfeld auf einem jener optischen Punkte hier stand, wo ihm das Grau und Kalt des amerikanischen Reifschauers zu schönem Farbenspiel aufloderte – ein Punkt, der seinen Ahnungen in all diesen Tagen gläubiger oder verzagender vorgeschwebt. Wie er hier stand, fühlte er, stand er auf einem Gipfel; – haben die Götter einen heiteren Tag geschenkt, oder Hegt ein Nebel auf der vielverheißenden Aussicht? Moorfeld war ganz Empfänglichkeit.
Die Rolle des unbeteiligten Beobachters blieb ihm aber nicht ganz so frei überlassen, als es in seinem Wunsche und in der Freiheit des Routs selbst gelegen hätte. Er war heute der einzige Fremde aus Europa, der in Mr. Bennets Salon eingeführt war, es wurde ihm dadurch eine Aufmerksamkeit zuteil, deren Vorteile er lieber entbehrt hätte. Auch war diese Aufmerksamkeit selbst nicht ganz von der wohltuenden Art; der Mangel an Frauen verursachte, daß sie nicht eigentlich als zarter Persönlichkeitssinn, sondern vielmehr als sachliches Interesse für Europa gegen ihn sich kund gab, wenigstens glaubte unser Freund, dem wir ein feines Gefühl für diese Unterscheidung wohl zutrauen dürfen, etwas Ähnliches durchzuempfinden. Wenn es bekannt ist, daß der Amerikaner keine Frage beantwortet, ohne eine Gegenfrage zu tun, so kam Moorfeld überhaupt zunächst weniger zum Empfangen als zum Geben; die Neugierde forderte ihren Tribut, obgleich in der geglättetsten Form. So fiel es ihm auch auf, daß die Männer, deren Namen und Bedeutung wir zuvor genannt, nicht ganz jene stillbewußte Zurückhaltung beobachteten, womit in Europa der Mann von Verdienst sich bekleidet; sie wußten im Gegenteil vortrefflich die Attitüde zu finden, die sie ihren Mitbürgern im vollen Rund darstellte. Ebenso nahm sich Moorfeld vor, scharf darüber zu beobachten, ob die Artigkeit, die ihm mit einer wahren Farbenpracht von allen Seiten entgegengetragen wurde, wirklich vom echtesten Stempel des Bontons sei, oder eine gewisse tendenziöse Beflissenheit gegen den »literary gentleman« durchblicken ließ, der ohne Zweifel über seine Reise ein Buch schreiben würde. Kurz, unser Freund, der es nachdrücklich betont hat, nicht auf »absichtliche Täuschungen« nach Amerika gegangen zu sein, verwahrte sich auf diesem Boden, der ein Boden des idealisierten »shams« sein konnte, außerordentlich sorgfältig dagegen, rosiger zu sehen, als er sollte. Dürfen wir fragen, ob es mit der geheimen Lust geschieht, schwarz zu sehen?
Zuerst finden wir unsern Gast in der Gesellschaft des Mr. Livingstone, des Kriminalgesetzgebers von Louisiana, dem Moorfeld für die Abschaffung der Todesstrafe in diesem Staate seine ganze Pietät ausdrückt. Er spricht von den Hoffnungen der europäischen Reformer über diesen Punkt, oder vielmehr von dem Stand der Frage, da die »Hoffnung« noch weitaus die Minorität der europäischen Gewissen habe. Moorfeld findet es frappant, daß Livingstone die Todesstrafe eine – Präventivjustiz nennt. Denn, da der Mord durch seine Verdoppelung nicht sittlicher wird, sagt der Rechtsphilosoph, so könne von einer Sühne des verletzten Sittengesetzes durch eine Hinrichtung nicht wohl die Rede sein. Man habe daher die Talions-Theorie mehr und mehr aufgegeben oder tue es noch täglich, dafür spreche man desto überzeugter von einem Rechte der Notwehr, welches durch die Todesstrafe ausgeübt würde. Die Gesellschaft müsse sich schützen gegen den Feind der Gesellschaft. Nun wird sich aber die Gesellschaft gegen das geschehene Verbrechen kaum noch schützen können, sondern nur gegen das künftig zu wiederholende. Das heißt also, man spielt dem bösen Prinzip ein Prävenire durch Hinwegnehmung des Lebens. Allerdings die sicherste Präventivhaft ist das Grab. Moorfeld sprach die Vermutung aus, ob Mr. Livingstone den ersten Keim seines großherzigen Systems nicht in dem Bestreben gefunden habe, zunächst das Leben der Sklaven ihren Herren gegenüber zu sichern. Der herrliche Mann antwortete lächelnd: Verzeihung, mein Herr, man tötet ein nützliches Haustier nicht leicht. Die Todesstrafe bestand zwar in Louisiana wie sie in andern Sklavenstaaten noch jetzt besteht; aber die Praxis bringt sie fast gar nicht zur Anwendung gegen den Sklaven. Das Tribunal findet in den meisten Fällen eine ausbeugende Interpretation des tödlichen Paragraphen. Ein Virginier, in dessen unmittelbarer Nähe die Unterhaltung gepflogen wurde, wendete sich gegen Moorfeld, und sagte mit würdevoller Einfachheit: Ich darf mir vielleicht erlauben hinzuzusetzen, wie das Los unserer Sklaven überhaupt ein menschliches und besserer Vorstellungen würdiges ist, als unsre Gegner verbreiten zu können das traurige Glück haben. Es entgeht uns nämlich an diesem Punkte nicht, daß die öffentliche Meinung Europas über die Sklaverei fast allein das Produkt des Nordens ist, der seit allen Zeiten durch die Literatur, durch die Einwanderung, durch den Fremdenbesuch weitaus inniger mit der alten Welt zusammenhing als wir Südländer. In Wahrheit, wir stehen diesen Einflüssen gegenüber eigentlich unvertreten in Europa da. Wir handeln mit Europa nicht wie der Norden, unsre Zeitungen gehen nicht dahin, Gäste kommen uns nicht daher, oder in der Regel hat doch der Reisende früher den Norden besucht und betritt den Süden mit den Inspirationen unsrer glücklicheren Brüder. Vielleicht halten Sie es unter diesen Prämissen für einen verzeihlichen Eigennutz, mein Herr, wenn ich Sie geradezu einlade, von virginischem Gastrecht nach Ihrer Möglichkeit Gebrauch zu machen. – Der Pflanzer nannte County und Hof nebst seinem Namen – es war der altaristokratische der Mortons – und Moorfeld glaubte nur mit der Mitteilung seines unaufschiebbaren Vorhabens die edle Zuvorkommenheit dieses Anerbietens ablehnen zu dürfen. Doch setzte er mit der Festigkeit, womit er seinen inneren Widerspruch bisher nie unter ein äußeres Schweigen gebeugt, offen hinzu, daß auch das liberalste Gastrecht mit dem illiberalsten aller Prinzipien ihn nicht aussöhnen würde.
Der Virginier schüttelte leise das Haupt und antwortete mild lächelnd, als ob von den angenehmsten Dingen der Welt die Rede wäre: Ich zweifle, mein Herr, daß Sie Ihr Herz dem Zauber dieses illiberalen Prinzips verschließen würden. Sie würden unsre Neger wohnen sehen in gesunden und freundlichen Hütten, gekleidet nach Bedürfnis, genährt mit Freigebigkeit, wie ihre vollen und kräftigen Glieder bewiesen. Sie würden sehen ein Volk von zufriedenen Familien, das sein Leben zwischen zweckmäßiger Tätigkeit und freier Erholung so nützlich-angenehm hinbringt, wie wir nur immer menschliche Zustände, wenn nicht im goldenen Zeitalter, welches absoluter Müßiggang gewesen sein soll, doch im silbernen, will ich sagen, uns dichterisch ausmalen mögen. Sie würden bei ihnen Arbeit mit Gesang, Fleiß mit Muße, Anstrengung mit Genuß, die ernste Handlung ihres Lebens mit der scherzhaften ihrer Volks-Komödien naturgemäß wechseln sehen. Sie würden überall die wünschenswerteste Herrschaft der Vernunft erblicken. In der Tat, die Vernunft des Negers ist sein Herr. Sie steht verkörpert außer ihm, und das ist das Ganze des Unterschieds zwischen Freien und Sklaven. Wie der Dichter mit der glücklichen Kunst des Kontrastes das empfindende und das denkende Wesen in uns oft in zwei getrennten Personifikationen darstellt – Ihr Goethe liebte das – so stellen wir den Carlos, den Antonio, den Mephisto, wenn Sie wollen, und unsre Sklaven das instinktivere Wesen des Clavigo, des Tasso, des Faust dar. Aber nicht die Vernunft allein, auch die Liebe lassen wir ihr göttliches Amt erfüllen in unsrer Obergewalt über den schwarzen Bruder. Wir betrachten unsre Neger als Glieder unsrer Familie; ihre Kinder sind die Gespielen unsrer Kinder, wir nehmen wechselseitigen Anteil an den freudigen und traurigen Ereignissen, womit das Schicksal in der Kolonnade des Herrn wie in dem log cabin des Sklaven einkehrt. Wir haben unsern Negern Schulen errichtet, Spitäler und Versorgungshäuser, wir unterrichten sie im Christentume. Kurz, Sie erblickten in unsern Sklaven einen glücklichen und zufriedenen Bauernstand und würden lächelnd inne, wie seltsam-kindisch das Spiel ist, das die Menschen mit Worten treiben. Was noch von Resten alter, romantischer Schauer in Ihnen zurückbliebe, verschwände vollends, wenn Sie, da ich jetzt nur von der schwarzen Rasse sprach, Ihren Blick auf die weiße Rasse eines Sklavenstaates richteten. Bei uns erfüllt die weiße Rasse den Sinn des allgemeinen Gesetzes, daß die Mehrheit für die Minderheit arbeitet, durch wirkliche Kultur und nicht bloß durch äußerlich-scheinbare. Die Arbeit unsrer Sklaven gewährt uns die Muße, den höheren Funktionen der Menschheit obzuliegen. Wir lieben Künste und Wissenschaften, pflegen die Literatur, verfeinern die gesellige Sitte, bilden uns für den Staat und die schwere Erfüllung unsrer patriotischen Pflichten. Wir liefern dem Kongreß die hervorragendsten Mitglieder, der Republik die besten Präsidenten, Washington selbst war ein Sklavenhalter. Von all diesen Vorzügen ist im »freien« Norden nicht die Rede. Der Fabriksarbeiter lebt tatsächlich schlechter als unser wohlverpflegter und sorgenfreier Sklave, der Fabriksherr selbst aber kommt über den Unruhen seines bürgerlichen Erwerbes und als unfreies Glied in der Kette eines Kredit- und Konkurrenzsystems, das ihn willenlos fortreißt, ebensowenig zur Veredlung seines menschlichen, noch weniger zur Ausbildung seines großen staatsbürgerlichen Daseins. Wenn Amerika seine Freiheit verlieren kann, so wird die erste Gefahr von dort ausgehen, bei uns werden die unerschöpflichen Hilfsmittel eines wahrhaft republikanischen Patriotismus sein. Ja, ohne alle Paradoxie dürfen wir behaupten, die Sklavenstaaten sind die besten Stützen unsrer Freiheit.
Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos coepissent!« Welche Gefahr drohte uns, wenn unsere Sklaven uns zu zählen anfingen! sagte Moorfeld mit tiefer, ernsthafter Betonung. Ob Senecas Wort, fuhr er fort, nur vom römischen und nicht naturgemäß und notwendig von jedem Sklavenstaate der Erde gilt, mögen die Götter in der praktischen Beantwortung ebenso auf sich beruhen lassen, wie ich in der theoretischen. Ich gestehe gerne, daß ich über diesen Gegenstand – Kundigeren das Wort lasse.
Mr. Livingstone nahm den Wink auf und antwortete zwischen Moorfeld und dem Virginier: Da die Virginier nach den Gesetzen der Vernunft und der Liebe ihre Sklaven behandeln, so muß es ihnen außerordentlich unangenehm sein, überhaupt noch Sklavenhalter zu heißen. Wäre es nicht besser, sie erklärten ihre Sklaverei demnach für aufgehoben? Tatsächlich änderte ja dieser Großmutsakt nichts, denn die Sklaven, die sich heute so glücklich fühlen, würden sich wohl hüten, das bestehende Verhältnis zu lösen. Löseten sie's aber doch – nun, dann hätten sie sich eben nicht glücklich gefühlt. Und das ist der einfache und immer wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke der Sklaven die Rede ist. Laßt es auf ihre Wahl ankommen! – In der Tat, Herr General, in diesen Tagen, da uns zu jeder Stunde die Nachricht werden kann, das englische Parlament hat die Emanzipationsakte erlassen, fühlt die Union ein tödliches Herzklopfen, und wir sind aufgeregter als je, unser Herrenrecht über unsre Sklaven uns selbst und andern recht unzerstörbar einzureden. Als ob das Gift im Magen durch die Einbildung, es sei Honig, auch nur eine Sekunde lang in seinen tödlichen Wirkungen innehielte! Von ganzem Herzen beglückwünsche ich Mortonhall, daß es diesen Honigtraum zu träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich dem edlen Besitzer desselben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige Süden lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwischen dem Red-River und Potomac werde ich stündlich mit Briefen überhäuft, in welchen die Sklavenbeglücker mit jenem Angstschweiß auf der Stirne, den die Verurteilten der Geschichte an schwülen Vorabenden schwitzen, mich um Rat in ihren Gesetzgebungen bestürmen. Wie seltsam! Sie meinen, ich könne Gesetze erfinden, nach welchem eine Person zugleich als Sache zu behandeln, eine Macht zugleich als Recht auszuüben ist; diesen Widerspruch zu lösen schwebt ihnen als eine Kunst vor und sollte ihnen doch als eine Unmöglichkeit einleuchten. Ebensogut könnte der Räuber von mir Gesetze verlangen, die seinen Raub, den Erwerb einer Gewalttat, garantieren. In der Tat haben auch die Räuber Gesetze unter sich, die sie mehr oder weniger gut beobachten; nur schade, daß sie von uns andern gleichmäßig gehängt werden. Die Unglücklichen! sie wollen gerecht sein und merken nicht, daß sie es nicht können! Aus einer ungerechten Prämisse wollen sie gerechte Konsequenzen ziehen! Es ist nicht wahr, daß ihr eure Sklaven so gut behandelt wie eure Haustiere. Ein unaufhörlicher Argwohn, eine Eifersucht, die durch nichts zu beschwichtigen ist, leitet das Betragen des Herrn gegen den Sklaven. Die Interessen beider liegen in einem ewigen Kampfe, und nie und nimmer, auch bei seinem besten Willen nicht, kann der Herr den Sklaven in dem Lichte erblicken wie seinen Esel oder sein Pferd. Denn das Tier ist ihm sicher, der Sklave mitnichten; ohne Sicherheit aber kein Vertrauen, und ohne Vertrauen keine Behandlung, die eine gute heißen könnte. Könnt ihr den Sklaven aber nicht einmal als Haustieren gerecht werden – und das wäre doch euer geringstes! – wie mögt ihr euch überreden, ihnen als Menschen gerecht zu werden? Ihr unterrichtet sie? aber die fünfundzwanzig Buchstaben des Negers werden sogleich ein Kriegsheer gegen euch, denn er liest die Reden eines Wilberforce und Canning damit, und wird euch erwürgen. Ihr erzieht sie zu Christen? Aber der Schwarze wird über den Weißen herfallen, und – auf St. Domingo ist es geschehen – mit Rachegeschrei euch anklagen: die Weißen haben den Heiland ermordet! Wahrlich sie brauchen nur die Gattung für die Art zu nehmen, – ein sehr gebräuchlicher Tropus! – so sind ihre Massakers mindestens ebenso gerecht als die Judenverfolgungen unsrer mittelalterlichen Christen: denn die Juden waren doch unzweifelhaft Weiße und nicht Schwarze! Seht, so unversöhnlich ist ein Verhältnis von Sklaven und Herren, daß selbst die alles versöhnende Bildung den Abgrund nicht schließt, ihr mögt hineinwerfen, was ihr wollt. Nein, ein unsittliches Prinzip ist nicht sittlich zu handhaben. Zu verbessern ist nicht, was nur aufzuheben ist. Der Modus der Aufhebung kann allein hier Gegenstand des vernünftigen Nachdenkens sein, oder sagen wir besser: des ernstlichen Bestrebens. Leider verabscheuen meine Konsulenten im Süden die Aufhebung in all ihren Modalitäten. Was habe ich nicht versucht, Ganzes und Halbes! Ich habe das mildmenschliche Sklavenwesen Asiens und Afrikas studiert, und von dort her mindestens die erträglichsten Formen des Sklavenbesitzes entlehnen gewollt. Denn so trostlos liegt leider die Sache, daß Amerikaner, die exaktesten Christen der Welt, von Mohammedanern lernen könnten! Ich habe das Beispiel aufgestellt: auf dem Sklavenstande hafte im Orient keine Schande. Der Mohammedaner hat nicht Rassenhaß; die schmähliche Sophistik, den Negern die volle Menschheit abzusprechen, womit sich Christen befleckt haben, ist den Ungläubigen nie in den Sinn gekommen. Der Mohammedaner hat keinen Code noir; die Verbrechen der Sklaven werden von ihm mit einer sehr richtigen Würdigung ihrer bürgerlichen Unzurechnungsfähigkeit in allen Fällen nur mit der Hälfte der Strafen belegt, welche das gleiche Verbrechen des freien Mannes träfe. Wir Christen machen es bekanntlich umgekehrt. Ebenso habe ich angeraten, gleich den Mohammedanern, die Sklaven vom Herrn erben, ja sie in die Familie heiraten zu lassen; welch letzteren Gebrauch christliche Sklavenhalter leider in gleichfalls umgekehrter Tendenz, und zwar dergestalt pflegen, daß der Herr oder sein Sohn mit der Sklavin Kinder erzeugt, um aus Herrenblut Sklavenkapital zu münzen, statt entgegengesetzt. Gebet es auf, habe ich gepredigt, eure Verhältnisse zu den Schwarzen als das von Herren zu Sklaven zu betrachten; betrachtet es besser als ein Nebeneinander zweier Nationen: ihr wäret die siegende, jene die besiegte Nation. Wohlan, vermischt euch, riet ich, Sieger und Besiegte, zu einer neuen Nationalität, wie sich die Normannen mit den Sachsen zur englischen vermischt haben. Von eurem Blute tragen sie ja doch längst schon in sich, und von eurer Intelligenz ebenfalls; physisch wie geistig stehen eure Niggers den afrikanischen Bozals, was ihr auch sagen mögt, bereits ferne. Sie sind Bürger eures Bodens, erkennt es an, und euer Übel ist geheilt. Aber sie wollen nicht. – Andere zeigten sich besser gesinnt, riefen aber ratlos: Wohin mit unseren Freigelassenen? Gerne wären wir bereit, unser überflüssiges Kapital an sich selbst zu verschenken, aber wohin damit? Liberia hat sich als ein Puppenspiel erwiesen, die weißen Staaten wehren und erschweren den Eintritt von Niggers auf jede denkbare Weise – wie abolitionieren wir das Übel? Und in der Verlegenheit wissen sie sich nicht andern Rat, als das Übel fort und fort einander sich zuzuwälzen, jeden neu der Union zuwachsenden Staat mit allen bösen Künsten der Partei-Politik für den Fluch ihres Sklavensystems zu werben, wie kürzlich wieder Missouri, und atmen hoch auf, wenn die Geißel eine Sekunde lang ruht, bloß darum, weil ein neuer Riemen hineingeflochten wird. Denen schrieb ich: ist's möglich, daß wir bei dem guten Willen für Liberia nicht längst schon einen näher liegenden Gedanken gefunden haben? Räumen wir unsern Niggers ein Territorium in der Union ein! Machen wir sie zu einem Stern unsers Sternenbanners, gönnen wir ihnen ihr eigenes Staatsleben in einem unsrer eignen Staaten. Ein Liberia jenseits des Ozeans hat sich als unpraktisch ausgewiesen, ein Liberia jenseits des Mississippi wird praktisch sein. Aber sie wollen wieder nicht. Sie wollen nichts. Sie wollen nichts, was sie können, sie können nichts, was sie wollen. So läßt man den Ernst des Augenblicks herankommen, man zittert der englischen Abstimmung entgegen, man erkennt die Solidarität der Sklavensache in ihrer ganzen fürchterlichen Wahrheit, und doch scheut man die Solidarität mit der Klugheit und dem Mute der englischen Emanzipations-Politik. Unser Sprichwort sagt: die Engländer prügeln die ganze Welt, aber die Amerikaner prügeln die Engländer. Wollte Gott, wir täten's den Engländern auch diesmal nicht zuvor, sondern nur nach, und nur zur Hälfte nach. Das erstemal, daß wir uns hier auf einer Lüge ertappen lassen, kann uns verderben für immer. In Wahrheit, meine Korrespondenten im Süden sind darauf gefaßt, daß mit der ersten Nachricht von der Freiheit der englischen Sklaven der Sklavenaufstand in Amerika ausbrechen wird. Entsetzliches Angstgestöhn liegt in meinem Pulte. Alle die weißen Hände, die heute noch an mich schreiben, haben das Vorgefühl, sie können binnen Jahr und Tag von der Erde verschwunden sein. Ja, meine Herren, die größere Hälfte der Union, durch Sklavenarbeit ein Paradies, kann schauderhafte Sklavenarbeit bald in eine ausgebrannte Wüste, in einen Leichenanger voll gebleichter Gebeine verwandelt haben! – We are in a free country! bebte es unwillkürlich von Moorfelds Lippen; der Virginier aber sagte blaß lächelnd: er vertraue der göttlichen Vorsehung. Mr. Livingstone schwieg.
Die beängstigende Pause unterbrach der barocke Lord Ormond, der wie die lustige Person nach der Tragödie sich jetzt zu unsrer Gruppe fand. Er mußte dem Gespräche aus der Nähe gefolgt sein, denn er redete Mr. Livingstone an: Erlauben Sie, mein Herr, daß ich auf meinem Standpunkte Ihrer Philosophie mich anschließe. Sie haben die Bemerkung ausgesprochen, daß die amerikanischen Nigger um vieles höher stünden als ihre afrikanischen Stammgenossen. Diese Bemerkung ist so fruchtbar an Folgerungen, daß sie noch weit über Ihr gegenwärtiges Ziel hinausführt. Sie haben die Perfektibilität der Negerrasse ausgesprochen; – bei dem Worte »Perfektibilität« wußte Moorfeld sogleich, wohin der edle Lord ziele. Er sah sich nach einem passenden Rückzuge um, der Engländer aber nahm ihn freundlich bei der Hand und hielt ihn fest. Moorfeld seufzte. Der Engländer fuhr fort: – und doch ist diese Perfektibilität seit dem Anbeginn der Schöpfung in Afrika latent geblieben. Wäre sie in Amerika nicht zum Vorscheine gekommen, man hätte sie ganz und gar geleugnet. Das ist wichtig. Denn nun werden wir mit Recht weiter gehen und fragen dürfen: Hat sich der Bozal durch den Umgang mit einer gebildeten Rasse veredelt, müßte sich eine Art von erschaffenen Wesen, die zunächst unter den Bozals stünden, im Verkehre mit diesen nicht gleichfalls vermenschlichen? Ja, dürfen wir diese Frage auf jeder nächst tieferen Stufe der beseelten Schöpfung nicht stets von neuem wiederholen? Gewiß dürfen wir das. Damit ist aber eine Kontinuität der intellektuellen Welt gewonnen, welche die unlogischen Grenzen zwischen Mensch und Tier aufhebt. Sie sprechen von der Emanzipation der Neger, – ich spreche von der Emanzipation der Tiere selbst. Ich wünschte nichts so sehr – denn noch ist es nicht allen Menschen verliehen, einen Syllogismus wie eine Tatsache auf sich wirken zu lassen, – ich wünschte nichts so sehr, als daß es neueren Entdeckungsreisenden gelingen möchte, den Gorilla-Affen wieder aufzufinden, dessen Gattung der karthagiensische Seeforscher Hanno gesehen hat und dessen Menschenähnlichkeit in dem »Periplus« so merkwürdig beschrieben ist. Hätten wir diesen Gorilla-Halbmenschen, diesen einen ausgebrochenen Zahn in dem Uhrwerke der lebendigen Schöpfung, so würden wir wohl für immer aufhören, die Natur in eine tierische und menschliche zu zerreißen, d.h. wir würden anfangen, das Tier zum Menschen zu erziehen. Bis dahin, meine Herren, – und so demonstrierte der britische Philosoph weiter. Wir wiederholen im Salon nicht mehr, was wir schon auf dem Wege dahin zu bewundern Gelegenheit hatten. Zu bedauern fand es Moorfeld nur, daß es sich auch hier wiederholte. Nach der tiefernsten Stimmung, welche der vorige Gegenstand aufgeregt, war diese Farce doch recht unpassend an ihrem Platze. Sie wirkte nicht komisch, sie war nur widerwärtig.
Noch mehr.
Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfelds Aufmerksamkeit. Drei Damen hatten einen Gang durch die Gesellschaftszimmer gemacht – ihr Bild traf Moorfelds Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die Mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld verwunderte sich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchenkopf, ihm nicht unbekannt schien. Wie ein Strahl blitzte es auf in ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß sich von dem Engländer los, er staunte, er drängte der Erscheinung nach, welche mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme der älteren Dame und unter dem Andrang allseitiger Huldigungen sich durch die Wogen der Gesellschaft wand. Er kam zu spät. Der Engländer hatte im Eifer seiner Dissertation ihn wie mit Greifscheren festgehalten. Ja, zu seinem Verdrusse glaubte Moorfeld sogar zu bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten Lords mit einem fein-satirischen Lächeln auf den Lippen vorübergewandelt.
Das Ganze war das Werk eines Augenblicks.
Diese Episode riß unsern Freund aus allem Zusammenhang mit dem Rout. Er stand eine Weile lang in jener tiefsten Vereinsamung, welche mit Unrecht Geistesabwesenheit heißt. Sein Geist war von der Außenwelt abwesend, wie es ein Taucher von der Erde ist. Er versenkte sich in ein Element, worin keine Gesellschaft möglich ist. Die Damen verschwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab, und Moorfelds Auge folgte noch immer, gleichsam wie man einen Gegenstand oft in perspektivischer Entfernung betrachtet und hofft, seines Bildes sich deutlicher zu versichern als in der Nähe.
In diesem Zustande fand ihn Mr. Bennet. So in Gedanken, Sir? Nicht wahr, man kann recht sich selbst leben auf einem Rout? Aber was höre ich! General Morton aus Virginien sagt mir soeben, Sie beabsichtigten demnächst eine Ansiedlungsreise an den Ohio? Ist es an dem? Im Schreck darüber ließ ich den Bischof Parton stehen, der mich just zum Vertrauten seiner Kirchenbedürfnisse gemacht hat, und dem ich doch artig sein muß, denn der Zelot hat Einfluß, und ich erwarte jeden Augenblick eine Ladung Gipsabgüsse – nach dem Museo Borbonico!
Es war Moorfeld eigentümlich zumute, jetzt an sein Urwaldsprojekt erinnert zu werden. Er erschrak fast.
Bennet fuhr in seiner affablen Manier fort: Freilich gratuliere ich uns anderseits wieder, daß Sie ein Bürger unsrer Staaten werden wollen. Und dürfte ich dreinreden, so würde ich erinnern, daß unser Hudson hier auch ein angenehmes Flüßchen ist. Seine Naturschönheiten –
Ich halte die Wintersaison vielleicht in New York, antwortete Moorfeld. Das Wort war gesprochen, er wußte nicht wie. Doch fühlte er sein brennendes Erröten darüber.
Tant mieux! tant mieux! jubelte Mr. Bennet. Moorfeld hörte ihn und mußte sich zusammennehmen, ihn auch zu sehen. Sein Auge war wie gebannt. Und doch waren die Damen in der Reihe der Säle längst nicht mehr sichtbar, nur die Bewegung der Gesellschaft kräuselte noch wie Furchen, die der Schwan zieht, den Verschwundenen nach.
Ich bin gekommen, fuhr Bennet fort, Sie um Ihre Gesellschaft in den Teepavillon zu bitten. Wir wollen unsern Tee nehmen, wenn es Ihnen gefällig ist. Mr. Livingstone wird von unsrer Partie sein und noch einige andre Gentlemen meiner engeren Bekanntschaft.
Sollte Moorfeld seine augenblickliche Stimmung opfern, so tat er's noch am liebsten in Bennets Gesellschaft. Er folgte.
Der Hausherr führte seinen Gast die Konversationssäle, Spielzimmer und Trinkstuben entlang an das äußerste Ende der Appartements. Dort lud sich ein niedlich verstecktes Plauderkabinett erkerartig auf eine Terrasse aus, welche mit einer Fülle tropischer Gewächse besetzt war. Das Kabinett bildete eine Art Glaspavillon, seine Form war die des Achteckes. Ein runder, in diesem Augenblicke reich garnierter Teetisch nahm die Mitte des Gemaches ein; den übrigen Raum erfüllten breite Diwans, niedrige Fauteuils, sogar einige Schaukelstühle, zum Beweis, daß das reizende Reduit, außer seiner Bestimmung als Estaminet, auch schöneren Besuches gewürdigt wurde. Die acht Ecken des Gemaches verzierten Blumen- und Fruchtkörbe aus japanischem Bambusrohr auf vergoldeten Postamenten. Das Licht fiel von oben durch eine Konstruktion von Spiegelgläsern ein, welche aber ein Netz von Schlingpflanzen so anmutig überkleidete, daß vom ganzen Apparat nichts zu sehen war als seine Leistung selbst, eine milde, dämmerige Mondeshelle. Die Gardinen der Fenster waren niedergelassen mit Ausnahme eines einzigen. Dieses zeigte im Vordergrunde eine charaktristische Laubmasse vom Batterypark, darüber ein ritterliches Stück Mauerwerk vom Castle Garden, im Hintergrunde das Meer. Vor- und Mittelgrund lagen in tiefer Nacht, das Meer warf von seiner fernen Höhe das letzte purpurne Abendlicht herein. Der offene Fensterraum kontrastierte zu den Gardinenfarben, die ihn rechts und links einrahmten, und zu der eigentümlichen Beleuchtung des Kabinetts so täuschend, daß der Eintretende im ersten Augenblicke keine natürliche Aussicht, sondern ein bezauberndes Landschaftsbild, durch irgendeinen optischen Effekt erzeugt, vor sich zu haben wähnte. Moorfeld schickte aus vollster Seele dem Meere seinen Gruß hinaus.
Den Eingang des Kabinetts bildete nach gewöhnlichem Brauch englischer Trinkstuben ein Vorhang. Dieser Vorhang war halb zurückgeschlagen, so daß ein Teil des hier beschriebenen Inneren den Ankömmlingen schon aus einer gewissen Distanz bemerkbar wurde. Moorfeld erkannte von den anwesenden Gästen Dr. Channing, Dr. Griswold und Mr. Livingstone. Er erblickte aber noch drei oder vier andere Herren an der Tafelrunde, welche ihm unbekannt waren. Herr Bennet erklärte sie ihm folgenderweise: Rechts neben Dr. Channing sitzt Oberst Gault, Direktor der Militärakademie in Westpoint. Ein sehr gelehrter Militär, der aber möglicherweise den ganzen Abend den Mund nicht öffnen wird, wenn wir nicht zufällig von Mathematik sprechen. Auf der andern Seite erblicken wir Mr. Wood mit Schwager und Schwiegersohn. Die drei Herren sind die Firma einer patentierten Licht- und Seifenfabrik; sie zogen es aber, wie wir sehen, heute vor, in ihren glänzenden Uniformen zu erscheinen. Die beiden jüngern tragen weißes Beinkleid, blauen Frack und Lederzeug von rotem Maroquin. Es ist die Uniform der Kaufleute von den Freiwilligen-Kompagnien unsrer Miliz. Mr. Wood, der ältere, ist Major eines Freiwilligen-Schützenbataillons und trägt die theatralische Uniform der Bergschotten. Das Kostüm ist durch W. Scotts Romane fashionabel geworden. Diese Schwäche ausgenommen, sind es vernünftige Leute, die keine Partie verunzieren; sie besitzen vielmehr einen gewissen Verfeinerungstrieb, womit sie, wie ich mich ausdrücken möchte, ungefähr auf der Grenze von Böotien und Attika zu stehen kommen. Ohne selbst Juwelen zu sein, gleichen sie jenen Folien etwa, welche der Joailleur unter seine Juwelen legt, um ihren Glanz zu erhöhen. Sie sind als anregende und sekundierende Elemente verwendbar. Dabei besitzen sie die seltenste Eigenschaft eines Amerikaners: Autoritätsglauben. Bemerken Sie gefälligst, Dr. Channing, unser Cato, hält wieder einen seiner catonischen Vorträge. Er macht soeben unser Volk schlecht. Der Mann hat ein eigenes Talent dafür. Er seziert uns so deliziös, wie man eine Trüffelpastete zerschneidet. Und sehen Sie, die Herren Dekorationsoffiziere sitzen dabei und beobachten eine bewaffnete Neutralität. Das ist viel für einen Amerikaner.
In der Tat war es so. Die imposante Gestalt Dr. Channings saß wie ein heraldisches Brustbild hinter einem Eisaufsatz, welcher eine Fruchtpyramide bildete, bestehend aus künstlich geformten Trauben, Granatäpfeln, Ananasorangen, Zitronen, Mandeln und ähnlichen Fruchtformen. Das Hauptstück dieser Pyramide war eine Melone, gefüllt mit zusammengefrorenem Champagnerschaum. Indem Dr. Channing die Rinde dieser Eismelone anschnitt, redete er unter einem Duftstrom der köstlichsten Aromen ohne Barmherzigkeit auf die Herren Woods ein, welche mit gesenkten Häuptern zuhörten und in der köstlichen Süße des Augenblicks den Kontrast des Herben geduldig mit hinunterschluckten. Die Herren mußten ihre amerikanischen Institutionen gepriesen haben; denn Moorfeld hörte in dem Augenblick, den wir beschreiben, von Channings Rede noch folgendes:
In einer Hinsicht haben unsre Institutionen uns alle getäuscht. Sie haben nicht jene Veredelung des Charakters bewirkt, welche die köstlichste und in Wahrheit die einzig wesentliche Segnung der Freiheit ist. Unsre Fortschritte des Gedeihens sind in der Tat ein Weltwunder geworden, aber dieses Gedeihen hat auch viel dazu beigetragen, dem veredelnden Einfluß freier Institutionen entgegenzuarbeiten. Besondere Umstände der Zeit und unsrer Lage haben einen Strom von Wohlstand über uns ausgeschüttet und die menschliche Natur ist nicht stark genug gewesen, dem Anfalle einer so schweren Versuchung zu widerstehen. Tugend ist teurer geworden als Freiheit. Die Regierung wird mehr als ein Mittel zur Bereicherung des Landes als zur Sicherung der einzelnen betrachtet. Wir sind mit dem Gewinne als mit unserm höchsten Gute eine Ehe eingegangen, und niemanden darf es wundern, daß aus dieser Ehe die gemeinsten Leidenschaften entsprossen sind, welche alle bessern moralischen Stützen unsers Gemeinwesens entfestigen, während selbstische Berechnung, Neigung nach äußerm Schein, Verschwendung, unruhige, neidische und niedere Begierden, wilder Schwindelgeist und tolle Spekulationswut die Stelle dafür einnehmen. In Wahrheit, es geht ein Geist der Zügellosigkeit und der Verwilderung durch unser Land, der, wenn er nicht unterdrückt wird, der gegenwärtigen Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft die Auflösung droht. Selbst in den älteren Staaten der Puritaner nehmen Pöbelhaufen die Regierung in ihre Hand und eine verworfene Zeitung findet es leicht, die Menge zur Gewalttätigkeit anzureizen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die überhand nehmenden Beispiele unsrer Volksjustiz, denen nicht das dunkelste Rechtsgefühl, sondern bloßer Hang zur Ausschweifung zugrunde liegt, uns als ein Volk hinstellen, welches von den ersten Grundsätzen der Freiheit keinen Begriff hat.
Der weiche schwellende Mund, der diese Strafrede gehalten, erquickte sich hierauf mit der besagten Eismelonenschnitte. Die Milizoffiziere dagegen erquickten sich gar nicht. Es war ein eigentümliches Schauspiel, unter welchen Gefühlen diese glänzenden Herren in ihren koketten Uniformen dasaßen und keines Einfalls, keiner Erwiderung fähig waren, um deretwillen sie den Mund hätten öffnen können.
Die Niederlage, sah man, war vollständig auf ihrer Seite.
Endlich erhob doch Mr. Wood, der Bergschotte, seinen Blick von dem silberplattierten Korkpfropfen, mit dem er bisher gedankenlos gespielt, und sagte kleinlaut:
Aber unsre Erziehung, Doktor, unsre Schulen!
Und sogleich stimmten Schwiegersohn und Schwager des Herrn Wood mit sichtlich erleichterten Herzen ein:
Ja, ja, unsre Schulen! das ist's. Welche Nation der Welt tut soviel für sie wie wir? Unsre Schulen mehren sich täglich, und mit ihnen wächst stündlich die Hoffnung –
Unsre Schulen mehren sich täglich, antwortete Doktor Channing gelassen, aber mehrt sich der Geist, den unsre Schulen zu überliefern haben? Wie wird der junge Amerikaner erzogen? fragen wir uns vor allem das, meine Herren. Der Geist unsrer Pädagogik ist nicht der, Menschen zu bilden, sondern Rechenmaschinen zu machen. Der Amerikaner soll baldmöglichst ein Dollar erzeugender Automat werden, das allein ist's, wofür die Schule zu sorgen hat. Für sein warmes, aufquellendes Menschenherz kümmert sich kein gemieteter Lehrer, der ja selbst nur Dollars erzeugt aus dem menschlichen Rohstoff seines Schülers. Eine zartere Vorsorge findet der Amerikaner eigentlich nur in seiner frühesten Kindheit; da aber allerdings mehr als bei jedem andern Volke. Die Mühe und Sorgfalt, die auf die Wartung und Ausschmückung unsrer Kinder verwendet wird, ist in der Tat groß genug, den reichsten Mann arm zu machen, wenn ihm der Himmel der Nachkommen viele beschert. Die weichlichste Pflege entkräftet frühzeitig den Körper, die Fütterung mit süßen und starkgewürzten Sachen verdirbt den natürlichen Geschmack, die Stubenerziehung und Verhätschelung erstickt den derben Kern der Gesundheit. Freilich sind unsre Kinder dafür wahre Modells von Engeln, und ich gebe gern zu, es sei kein holderer Anblick in der Welt als ein amerikanisches Baby. Trauriger Ruhm, daß wir die schönsten Puppen erziehen zu unschönen Menschen. Denn kaum vermag nun das Kleine Händchen und Füßchen zu regen, so läßt man diesen zarten Spiegel der Volkssouveränität bereits nach Herzenslust schalten und walten. Wo sich Trotz, Mutwillen, Starrsinn und Hang zur Widersetzlichkeit kundgibt, wird sie mit Freude begrüßt als ein Zeichen künftiger Mannestüchtigkeit. Die Kinder üben vollkommene Überlegenheit gegen ihre Eltern. In die erste Schule kommen sie schon als unbeugsame Republikaner-Gamins, und die Lust, nach ihren Einfällen ihre Kraft zu versuchen, wächst mit jedem Tage. Sie lernen bereits nach ihrem Tadler mit Pistolen schießen und schieben das erste Primchen Kautabak in den verschlemmten Süßmund. Auch betrinken sie sich. Mit dem zwölften Jahre wird der Knabe in die höhere Schule geschickt, er denkt aber wenig mehr an Schulen, sondern an Dinge, welche die Natur sonst nur auf die Gedankenbahn bringt, wenn der Bart keimt. Sein Griechisch und Latein, seine Physik und Mathematik und endlich jene banausische Mischung von Denk- und Naturgesetzen, Sittenlehren und Geschichtsanekdoten, welche man Philosophie nennt – das alles nimmt ihm nur vier, oft nur zwei Jahre weg. Von einer tieferen klassischen Bildung, welche dem Jüngling die geistigen Besitztümer der Menschheit alter und neuer Zeit übermittelte, welche ebenmäßig seine Seele ausbildete und ihm ein für alle Male die Gerechtigkeit und die Schönheit, statt die Nützlichkeit zum Lebensprinzip machte – von einer solchen Bildung ist in unsern Schulen nicht die Rede. Es wird schnell und oberflächlich viel gelernt, der Unterricht in der Weltgeschichte fällt so gut wie gänzlich weg. Kann der Knabe nur die Äußerlichkeit, die Handgriffe einer Sprache oder Wissenschaft zur Schau tragen, so ist man sehr zufrieden. Bei den öffentlichen Prüfungen ein Stück her zu übersetzen, darauf allein steuert man los; gerade so wie der Musiklehrer am besten fährt, der, statt das Verständnis eines mehrstimmigen Tonsatzes zu lehren, viele neue und melodische Musikstückchen einfingern läßt. So werden die Klassen durchlaufen, die Zeugnisse darüber in die Tasche gesteckt, die Schule ist abgetan. Der junge Mann, denn Mann ist er nunmehr, und hätte er auch das sechzehnte Jahr nicht zurückgelegt – der junge Mann schlendert hierauf eine gute Weile frei und müßig umher und nennt das, die Welt kennen lernen. Diese Welt sind die Promenaden, die Austernkeller, die Kegelbahnen, die Theater, die Matrosenkneipen und – die dritte Avenue! Äußerst zufrieden mit sich selbst sieht man ihn durch die Straßen stolzieren, den Mantel malerisch, nämlich für Karikaturmaler, um die Schultern geworfen, den langen nackten Hals über den niedrigen Hemdkragen emporstreckend, das schnell verknöcherte Haupt in einer Takelage von zottigen Locken. Die ganze Welt steht ihm offen, er ist Bürger des freiesten Volkes der Erde. Die Weichheit und Keuschheit, die Begeisterung des ersten Jünglingsalters hegt schon lang hinter ihm, oder besser, er hat sie nie gekannt. Jetzt steht sein einziger Ehrgeiz darnach, der Welt zu zeigen, was er für ein Mann ist. Zu diesem Ende wird er Mitglied einer Feuerlöschkompagnie, liest die Zeitungen, entscheidet sich für eine Partei und spricht klein von großen Verdiensten. Aber das alles greift ihn fürchterlich an. Er muß bereits seine erste Gesundheitsreise machen. Gewiß, er muß nach dem Süden, oder nach den Rocky-Mountains, oder nach Baden-Baden, nach Nizza, nach Vauxhall. Ohne die letzte Suppe mit der Familie zu essen, ohne den letzten väterlichen Gruß, aber mit desto mehr väterlichen Wechseln sitzt er eines Morgens auf der Eisenbahn, im Schiffe, und durchstöbert die Erde, soweit der letzte Cent reicht. Man könnte dies Schwärmen dichterisch nennen, wäre nur etwas Gemüt dabei, etwas Lust oder Qual. Aber er langweilt sich, genießt gähnend, und im Kontrast mit der Fremde beschleicht ihn dann doch ein gewisses Bewußtsein seiner Scheinbildung. Das alles macht ihm das Reisen unbehaglich. Zu Hause aber sagt er, die Sehnsucht nach unserm freien und aufgeklärten Lande habe ihn heimwärts getrieben, denn alles übrige wäre ja doch nur Bettel. Jetzt ist er zwanzig Jahre alt und beginnt seine Bekehrung. Er überzeugt sich, daß er zu dem sham seiner Studien, zu dem sham seiner Reisebildung, zu dem sham eines weitgereisten smartmans zu guter Letzt auch den sham des Christentums nötig habe, um unter seinen Mitbürgern zu reüssieren. In dieser Stimmung trifft ihn der Prediger, der Freund seiner Mutter. Er redet auf den jungen Mann ein, er zeigt ihm, wieviel Geld das tolle Leben kostet, wie wohlfeil dagegen das Abonnement eines Kirchenstuhls sei. Er empfiehlt ihm das Sakrament der Ehe – natürlich mit einem reichen Mädchen. Er stellt ihm die Ausgaben für die dritte Avenue und die Einkünfte aus dem Vermögen einer »respektablen« Frau so faßlich gegeneinander, daß Zahlen, welche alles beweisen, in diesem Falle auch die Tugend beweisen. Zuweilen kommt es aber auch vor, daß die Bekehrung länger auf sich warten läßt. Dann ist die gewöhnliche Krisis eine heftige Szene zwischen Vater und Sohn. Der letztere verläßt noch einmal das Haus, und jahrelang hört und sieht man nichts von ihm. Fragt man den Papa, wo John sei, so heißt es: John ist gegangen, er wollte nicht gut tun, er wird eines Tags wohl wieder kommen – und im stillen setzt er hinzu: als Millionär.
Und so kommt er auch! randalierte Mr. Bennet im scherzhaften Charakter eines Yankee-Boys, indem er mit seinem Gaste jetzt vortrat – hören Sie, Doktor, die Million ist sehr gut! Aus Geld wird Geist, kein armes Volk bringt's zur Kultur. Es lebe die Million!
Die Tischgesellschaft blickte auf. Jubelnd begrüßte man den Hausherrn. Jubelnd applaudierte man seinem Impromptu zu, alle Gläser erhoben sich, und im bacchanalischen Chor scholl es von Mund zu Mund: Es lebe die Million! Man sah es den vergnügten Gesichtern der armen Milizoffiziere an, wie unendlich froh sie über diese glückliche Ausbeugung waren.
Bennet und Moorfeld nahmen ihre Plätze ein. Moorfeld fand es nicht ohne Reiz, daß in einem amerikanischen Salon Reden gehalten werden konnten, wie er zuvor von Mr. Livingstone und jetzt aus Dr. Channings Munde gehört. Diese Strafoden schienen ihm ein weit besseres Zeugnis für Amerikas Kraft und Gesundheit als seines Herrn Stauntons Bausch- und Bogen-Patriotismus. Er sah in Bennets Salon einen jener Zentralpunkte, in welchem die wahrhaft vorwärtstreibenden und idealisierenden Kräfte einer Nation pulsieren. Nicht plattes Selbstlob, sondern der aristokratische Ton der Absprechung, der Voltaireanismus, die Kritik, die Satire – horazische wie juvenalische – verrichten dieses Amt. Man erweitert die Volkssitte, indem man sie negiert; der Spott ist produktiv und der Tadel wird zum Verdienst in solchen Zirkeln, man beleidigt das Volksleben nicht, man nützt ihm. Man bricht das Herkommen, man macht Zukunft.
So war es der Yankee selbst, der sich zum lustigen Verbrauche dieses Kreises hergeben mußte. Der Ton, den Dr. Channing angeschlagen, klang fort, nur seit dem Eintritt Bennets und Moorfelds in minder tragischer Weise. Der heitere Schaumwein von der Marne moussierte, die Temperatur der Anekdotenblüte entwickelte sich. Man beutete das originelle Volkstum Onkel Sams in zahllosen Charakterzügen aus: von vielen derselben erkannte Moorfeld wohl, daß sie zu jenen gestempelten gehörten, dergleichen jede Nation als stehende Symbole ihres Begriffes aufzuweisen hat. Andere aber waren unmittelbare, rein persönliche Erlebnisse. Mr. Bennet erzählte z.B., er habe in Rom eine Partie alter kostbarer Italiener verpackt, als über dieser Arbeit ein Yankee aus Connecticut ins Bureau des Spediteurs trat. Ei, ei, Mister, rief er sogleich, ich rate, Ihr werdet da ein dickes Stück Geld Eingangszoll bezahlen; Ölgemälde bezahlen doch Zoll, das wißt Ihr. Aber was tut's? Ofenschirme bezahlen doch keinen. Nun, Mister, ich wäre meines Vaters schlechtester Sohn, rate ich, wenn ich nicht eine Auflösung aus Kalk oder Leim nähme, und den ganzen Krickelkrackel damit übertünchte. Verdammt seien meine Augen, ich importierte das Zeug wahrhaftig unter Ofenschirm-Deklaration; an Ort und Stelle ließe sich der Anstrich wieder ablösen. Das tat' ich, oder ich will nicht mehr weiß spucken, Mister. Und in der Tat begriff der smart-man aus Connecticut nicht, was mich abhielt, seinen vortrefflichen Rat zu befolgen.
Von der naiven Roheit des amerikanischen Kunstgefühls erzählte Moorfeld, der diese Seite nicht stärker berühren mochte, als er sonst wohl gekonnt, jenen artigen Zug aus der ersten Stunde seines Landens, da er ein Kinder-Träubchen in die Mitte zweier spielender Neger-Orchester sich stellen sah, weil sie »zwei Musik« hören wollten.
Der gelehrte Doktor Griswold ließ den stets verehrten Ton seiner dünnen Kinderstimme hören und sagte: Von diesem Thema können wir nicht sprechen, ohne des unsterblichen Faktums zu gedenken, daß eine ganze Nation ein Spottlied auf sich selbst in Text und Musik verkennt und es zu ihrer Nationalhymne macht. In einem satirischen Schlagworte, Parteinamen u. dgl. sich selbst zu ironisieren, ist bekanntlich ein historischer Lieblingszug der Völker: aber Satire und Ironie gar nicht zu merken, das konnte nur unserm Bruder Jonathan passieren. Ich spreche von dem Ursprung des Yankee-Doodle. Sie wissen, meine Herren, wie lange uns dieser Ursprung apokryphisch war, und heute noch weiß man im größeren Publikum nicht, welcher der vielen Versionen darüber man die historische Echtheit zusprechen soll. Authentisch aber ist folgende Version: Im Anfange des Jahres 1755 versammelten sich die Kolonialtruppen von Neu-England bei Albany, um mit den Truppen des Mutterlandes unter General Johnston gegen die Franzosen in Crownpoint zu marschieren. Die Amerikaner bildeten den linken Flügel, die Europäer den rechten der britischen Streitmacht. Von der altenglischen Truppe berichtet die Chronika nichts, wohl aber von der unsrigen. Der Aufzug der amerikanischen Milizen soll nämlich so lächerlich gewesen sein wie das Korps jener wahrhaft Unsterblichen unter Sir John Falstaff. Einige waren in langen Röcken erschienen, andere in kurzen, wieder andere in gar keinen. Einige trugen ihre Haare kurz geschoren, nach Art der Rundköpfe Cromwells, andere stolzierten in gravitätischen Puderperücken à la Louis-quatorze. Ihre Uniformen imitierten alle Farben des Regenbogens, ihre Bewaffnung spielte mitunter ins Nachtwächterliche. Von ihrer Feldmusik war das neueste Stück zweihundert Jahre alt. Letzteren Umstand benützten die englischen Offiziere, die schon längst darauf gesonnen, für das Ridikül einer solchen Kameradschaft mit einem lustigen Streich sich zu entschädigen. Dieser ganzen Pyramus- und Thisbe-Truppe, sagten sie, fehlt nichts, als daß ein Tonsetzer, so wie sie leibt und lebt, sie in Musik setzte. Die Kerls müßten offenbar nach einem travestierten Feldmarsch marschieren, der ihre militärische Lächerlichkeit auch musikalisch ausdrückte. Gesagt, getan. Die Engländer hatten einen Spaßvogel unter sich, einen gewissen Dr. Shekbourg. Dieser erinnerte sich einer Schweinetreiber-Melodie, die er einst von einem Hannoveraner gehört hatte, welcher sie von einer westfälischen Bauernhochzeit herübergebracht. (Unsre Nationalhymne ist also deutsch, schaltete der Doktor verbindlich gegen Moorfeld ein.) Dieser Dr. Shekbourg, fuhr er fort, war ein Stück von einem Komponisten, daneben Dilettant in der Poeterei, vor allem aber, wie es scheint, ein Genie in der basse-comique. Er schrieb also seine Dudelsack-Melodie al marchia nieder, verschnörkelte sie und dichtete einen spaßhaften Text dazu – d.h. spaßhaft, wie man es vor hundert Jahren war. Satirische Stupfer mit Zaunpfählen. Als ein Humorist von Takt versäumte er aber auch den eingestreuten Ernst nicht. So scheinen namentlich die zwei Verse im Refrain:
Yankee, wahr' die Küste dein –
Kehr' dich nicht an Droh'n und Schrei'n –
unsere Vorfahren dergestalt satisfaziert zu haben, daß sie darüber den burlesken Ton des ganzen Liedes, besonders aber den katzbuckelnden Bedientenstil in der fortwährenden Wiederholung des Wortes Sir, Sir, nicht im mindesten krumm nahmen. Die Chronik sagt, daß Offizierkorps soll sich halb tot gelacht haben, als Dr. Shekbourg sein Machwerk zum erstenmal produzierte. Natürlich kam alles auf die mimische Selbstbeherrschung an, womit dieser seinen Bären aufzubinden verstand. Und nun seh' ich den närrischen Kauz von den Schuhschnallen bis zur Stutzperücke mit seiner Habichtsnase und seinen kleinen klugen Augen hinter der großen Brille leibhaftig vor mir, wie er gravitätisch in unser Lager hinüberschreitet und die Yankees mit der ernsthaftesten Miene von der Welt versichert, ihre Brüder am jenseitigen Flügel hätten sich ihre veraltete Feldmusik zu Herzen genommen. Er bringe da ein neues, feines Feldstückchen, habe auch neue liebliche Verse dazu, das alles sei fine, very fine. Sie möchten sich nur bedienen, die Engländer gäben es gern. Ihr großer Händel versorge sie überflüssig mit so galanten Sachen, – dies sei freilich eins der galantesten. In Wahrheit, der alte, lustige Herr muß seine Sache gut gemacht haben, denn unsre Jugend tanzt nun für ewig nach seinem Dudelsack. Der Pfiff war vollkommen geglückt.
Unser Teezirkel erbaute sich, so harmlos, als sie erzählt war, an dieser Entstehung von Amerikas Nationalhymne. Nur die Milizoffiziere lächelten etwas säuerlich dazu, eingedenk, daß sie den Vollgenuß ihrer strahlenden Uniformen selbst nur unter den süßen Klängen des Yankee-Doodle feierten, wenn sie nämlich zweimal des Jahres, am 14. Juni, dem Gründungstage der New Yorker Feuerwehr, und am 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeste der Union, in voller Parade ihre Aufzüge hielten. Mr. Wood, der hochschottische Seifensieder, der nie ermangelte, den Direktor der Kriegsschule zu West-Point Herr Kollege zu titulieren, strengte darum schleunigst seinen Witz an, das Thema des amerikanischen Kunstgefühls mit einem dankbareren zu überbieten. Er erzählte Anekdoten aus dem Gebiete jener Nationaleigenschaft, die der Amerikaner »smart« nennt und worin seine stärkste Seite hegt. Von der Kunst, dem Gesetz eine wächserne Nase zu drehen, wollte er selbst folgende zwei Beispiele erlebt haben. In Connecticut, wo am Sonntag das Reisen verboten ist, fuhr ich mit einem Eingebornen am Sonntag spazieren. Mitten auf der Landstraße wurde die Equipage von einem Konstabler angehalten. Der Konstabler hielt uns das Gesetz vor und forderte uns auf, sofort mit ihm umzukehren. Gott bewahre, mein Freund, rief der Mann aus Connecticut ohne Anstand, wenn es bei uns Gesetz ist, am Sonntage nicht zu fahren, was ich leider nicht wußte, so kann dem Gesetze nicht prompt genug Folge geleistet werden. Ich darf die Pferde jetzt keinen Huf mehr aufheben lassen, weder vor- noch rückwärts. Es bleibt uns nichts anders übrig, als auf diesem Punkt hier stehen zu bleiben und den Montag abzuwarten. Das ist klar. Nicht wahr, Herr Major, Sie bringen unsern heiligen Institutionen dieses Opfer. Mit Vergnügen, sagte ich. Der Konstabler machte ein langes Gesicht und zog ab. Als wir ihn aus den Augen verloren hatten, fuhren wir weiter. – Ein andermal begegne ich meinem alten Freund, dem lustigen Kapitän Tim Auspice, auf der Straße von Newburyport nach Salem in Massachusetts. Der gute Alte hatte längst »beigelegt« und rauchte seine Friedenspfeife im sicheren Port, damals aber trabte er einen wahren Bräutigamstrab mit seinem hartmäuligen Cyrus; ich denke, es gilt irgendeine kapitale Wette. Wo hinaus, flotte Seele? ruf ich ganz erstaunt über den närrischen Ritt, ich rate, Ihr habt des Orts hier herum eine halbe Million aufzuheben? nicht doch, lieber Major, ich will bloß die hübschen Mädchen in Salem küssen. Gut, dann reiten wir miteinander, sag' ich lachend. Das sollt' Euch übel bekommen, ich denke, Ihr seid noch ein wenig zu jung dazu, Herr Major. Ich will verdammt sein, wenn man nicht schon einen bessern Scherz von Euch hörte, sagt' ich empfindlich, denn das werd' ich bald. Gut, dann seid Ihr verdammt, lieber Major, denn ich rate, es ist mein bester Scherz, den ich da vorhabe. Was meint Ihr? Ich lese auf meine alten Tage allerlei alten Schnack durcheinander, unter anderen auch die Geschichten und Rechtsgewohnheiten unsrer Neuenglandstaaten hier. Nun haben die Narren zu Salem heutigentags noch ein Gesetz, lieber Major, ein puritanisches Gesetz, das lautet buchstäblich wie folgt: Wenn ein junger Mann ein Mädchen ohne Zustimmung ihrer Eltern anzureden wagt oder wohl gar es küßt, so soll er das erstemal um fünf Pfund, das zweitemal um das Doppelte bestraft und das drittemal eingesperrt werden. Wie gefällt Euch der Spaß? Nicht wahr, das ist »schlechte Medizin«, wie ein Indianer sagen würde. Ihr seht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungestrafter küssen kann als in Salem. Denn das Gesetz sagt nur: wenn ein junger Mann – und die Jury möcht' ich wohl sehen, die mir beweist, daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen zu Salem einen hübschen Esel bohren, rat' ich. Darauf allein reit' ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hü Good evening, Sir! Und so ritt der alte Schelm von dannen.
Mr. Livingstone sagte: Was der Amerikaner mit dem Worte »smart« bezeichnet, scheint in unserer Luft selbst zu liegen, nicht bloß in unsrer Rasse; denn smart kann der Nigger so gut sein als der Weiße. Natürlich wird bei diesem mehr oder minder die gentlemännische Form, der Takt des Maßes und der Schicklichkeit fehlen und der Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten. Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier und stimmberechtigter Bürger der Union, seines Berufes aber Dienstmann im Hause des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Geschichtchen, von dem ich spreche, trug sich bei Gelegenheit der letzten Präsidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finanziers, zur schwarzen Kokarde, der Neger Scipio war für Jackson. Girards Charakter ist bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord und mesquin wie ein Holländer sein, und letzteres war er sicher, wenn ihm irgend etwas gegen seinen eigensinnigen Gascogner-Kopf ging. Er schämte sich dann der kleinlichsten Trakasserien nicht, sich an seinem Widersacher auszulassen. So ärgerte ihn die politische Gegnerschaft seines Hausnegers. Er war fest entschlossen, den General Jackson um die Stimme dieses einen Mannes zu bringen. Am Wahltage ersann er sich alle möglichen Arbeiten, um den armen Nigger so zu beschäftigen, daß es ihm unmöglich sein sollte, seinen Stimmzettel abzugeben. Scipio ließ sich alles gefallen. Zuletzt, als schon der Tag zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen stand, beordert ihn Girard auch noch aufs Dach hinauf, er möge den schadhaften Schieferziegeln nachsehen. Scipio tat auch das. Schon war der intrigante Franzose seines Sieges gewiß. Solch blödes Nigger-Vieh ist doch für Dollar-Klang ein willenloses Werkzeug, dachte der goldgewaltige Eigentümer von zwanzig Schiffen; – und das will Staatsbürger sein! Scipio revidiert indes seine Dachziegel. Auf einmal nimmt er die Miene an, als erblickte er vom Dachfirst herab einen Kameraden auf der Straße und ruft mit überlauter Stimme herab: Lauf, lauf, Tom, du stimmst doch für Jackson, mein Goldjunge? Dann tu mir den Gefallen und nimm deine Beine über die Achseln, und lauf was du kannst! Ein Schuft, der nicht für Jackson stimmt! Jackson for ever! fort mit dem Schwein! und so randaliert er im Nu die Straße voll Leute zusammen. Ruft mir den schwarzen Halunken herunter! stürzt der Franzose in sein Bureau, die verdammte Plattnase verführt mir ganz Philadelphia. Und als er seinen Hausmann vor sich hat – hier ist dein Lohn, ich brauche keinen Spektakelmacher in meinem Hause, mach' daß du fortkommst. – Nicht also, Mister, antwortet Scipio ruhig, wenn ich abgedankt sein wollte, so hätt' ich Euch offen Widerstand geleistet. Denkt Ihr denn, ich merkte den ganzen Tag über nicht, wo Ihr hinaus wolltet? Nun aber hat die Geschichte Aufsehen gemacht – Euer eigenes Dach war meine Kanzel – das Volk weiß, um was es sich handelt, und wenn ich wegen Jackson von Eurer Schwelle gejagt werde, so zündet es Euch das Haus an, verbrennt Eure Magazine und Schiffe, denn Ihr wißt wohl, daß das Gros der Bevölkerung überall für den alten Hickorry ist. Ich rate, Mister, Ihr laßt mich im Dienste. Du bist mein Mann, sagte Girard, du bleibst und rückst vor, Leute von solchem Charakter lieb' ich in meinem Geschäfte. Und Scipio lief schnell noch aufs Stadthaus, und gab seinen Wahlzettel ab. Ob nun der Franzose bloß staatsklug oder aus einer wirklich edlen Regung diesen Ton anschlug, bleibt bei der Doppelnatur jenes merkwürdigen Mannes ungewiß; gewiß aber ist, daß ein armer Neger diesmal smarter war als der smarteste Kaufmann der Union.
Unter solchen und ähnlichen Erzählungen waren die Zungen trocken geworden, und als Mr. Bennet die Gläser von neuem füllte, hatte Mr. Wood den Einfall, einen Toast auf die bevorstehende Saratoga-Badereise auszubringen. Bei dieser Gelegenheit nahm Dr. Channing wieder das Wort. Ein satirisches Lächeln spielte um seine vollen, üppigen Lippen, und wie in Mr. Livingstones Anekdote zuvor Stephan Girard, der großmütigste Privatmann der Welt, ein Mann, der der Stadt Philadelphia sechzig Millionen Dollars zum Geschenke gemacht, dem Witze und dem patriotischen Gewissen eines armen Negers nachstehen gemußt, so lag es ganz in der attischen Liberalität dieses Kreises, daß jetzt der Hausherr selbst von der Laune seiner Gäste nicht unberührt bleiben sollte. Denn Dr. Channing, von dem Toaste Gelegenheit zu einem seiner satirischen Streifzüge nehmend, erwiderte denselben zwar in der gebührenden Haltung, entwarf aber gleich hinterdrein folgendes Bild von der Saratoga-Saison: Ich ziehe mich mit Vorliebe nach Saratoga zurück, sagte er, wenn ich von Geschäften ausruhen will. Man ruht nirgends gründlicher aus als dort. Wie Bären einen Winterschlaf halten, so ist Saratoga gleichsam die gemeinsame Höhle, in welcher freie und aufgeklärte Bürger eine Art Sommer-Erstarrung genießen – man erlaube das paradoxe Wort. Der Saratogabrunnen schien mir von jeher das, was die Alten ihre Lethe nannten. Es ist wirklich der Hoch- und Fein-Gehalt jener Langweile dort, welche Fremde in unsrer sonstigen Geselligkeit mitunter entdeckt haben wollen – zumal an Sonntagen. Saratoga ist eine Welt voll Sonntagen. Eigentlich ist von Welt nicht wohl die Rede mehr in Saratoga; das Wort ist viel zu körperlich, Saratoga fängt erst an, wo die Welt aufhört. Saratoga ist eine Null, die Umgrenzung eines leeren Raumes mit einer Linie. Wir sind auch hierin vorzüglicher als andere Völker, welche ihre Bäder mit den lockendsten Anreizungen zur Sünde ausstatten. In Saratoga sündigt man nicht. Das Leben ist dort so rein von Flecken wie ein Mensch, dem man die Haut abgezogen hat, von Sommersprossen. Man trinkt morgens seinen Brunnen und macht eine Promenade. Die Gäste, welche natürlich alle verdauungskrank sind, unterhalten sich dabei stets von ihrem Magen und nie von ihrem Herzen. Das ist eine moralische Konversation; denn das Herz ist verderbter als der verdorbenste Magen, wie fromme Leute behaupten, in deren Munde dieser Satz seine vollste Glaubwürdigkeit hat. Zu Mittag speiset die ganze Gesellschaft in einem langen, schmalen Saal mit einer niederen Decke, der, wie ich mich erinnere, mir den Eindruck eines Sarges gemacht hat. Die Gäste unterhalten sich über Tische von ihren Verdauungsbeschwerden, was eine heilsame Reaktion auf ihren Appetit ausübt, wobei dem Laster Fraß und Völlerei ein Damm gesetzt wird. Ist abgespeist, so lehnen sich die Herren über die Balkons und rauchen eine Zigarre, die Damen sitzen in ihren Gesellschaftszimmern, lesen, stricken Filet oder quälen ein verstimmtes Piano mit falschgegriffenen Noten. Abends ist in diesem oder jenem Hotel vielleicht Ball; junge Herren, die in irgendeinem Quäker-Seminar Tanzstunden bezahlt haben, riskieren eine Ekossaise, welcher man nicht leicht anmerkt, wieviel Honorar-Marken in ihr stecken. Die Tänzerin unterhält gewöhnlich den Tänzer von ihren Verdauungsbeschwerden. Sie lenkt dadurch auf eine keusche Weise seine Phantasie von den Bahnen der Sünde zwar räumlich nur wenig, im übrigen aber desto gründlicher ab. Ich habe in Saratoga oft den Gedanken gehabt, eine Zeitung für Unverdaulichkeit herauszugeben. Bei der ungemeinen Popularität dieses Themas, welches in Saratoga von der Elite unserer Bevölkerung repräsentiert wird (die Stadt ist ein wahrer Kongreßort, ein zweites Washington dafür), könnte ich mich zu der ersten Macht des Landes dadurch emporschwingen. Ich bitte die Herren um Diskretion, denn vielleicht setze ich mir wirklich noch die Krone der Dyspepsie auf dieses Haupt. Inzwischen bin ich mit der Tagesordnung unsres reizenden Badeaufenthaltes zu Ende. Zuweilen verabredet man aber wohl auch eine Vergnügungsfahrt nach einem kleinen See, der wenige Stunden in der Nähe liegt. Dort steht die ganze Gesellschaft auf einem plattbehauenen Steine am Uferrand, wirft ihre Angeln aus und hat Geduld. Übereingekommenermaßen nennt man das ein Vergnügen. Ein Vergnügen mag es wohl sein, aber eines jener bescheidenen, von welchen Goethe sagt, daß sie von Leiden kaum zu unterscheiden. Freilich ereignet sich's fast in jeder Saison einmal, daß eine junge Lady aus dem Institute wirklich ein Schneiderlein fängt. Dieser Fisch wird dann mit großem Jubel aufgenommen, bloß weil er lebendig ist. Es ist ein Ereignis, das nicht ohne erschütternden Einfluß auf das Gleichgewicht der Alltagsstimmung bleibt. Die Geister beginnen wilder zu schwärmen. Die junge Lady, die sich überzeugt hat, daß nicht bloß in Bilderbüchern, sondern in der Natur selbst Fische vorkommen, wächst auf einmal über ihren See hinaus. Sie phantasiert vom Erie und von den »Fällen«. Der Einfall zündet, und an diesem Punkte ist es, wo wir das fashionable Saratoga aus unsern Augen verlieren. Eh' wir es uns versehen, ist die ganze Gesellschaft am Niagara. Sie ist fort, unaufhaltsam fort. Man brauchte den Gedanken nur anzuregen, um ihn auszuführen. Denn der Yankee liebt die erhabene Natur und hat einen angebornen poetischen Sinn für sie. Er macht weite Reisen und läßt sich seine geliebten Dollars nicht reuen, um einen Wasserfall, oder einen Löwen zu sehen. Freilich würde es seinen Genuß wunderbar erhöhen, wenn der Wasserfall zugleich eine Mühle triebe und der Löwe einen Bratspieß drehte.
Mr. Bennet stimmte dem Spötter lachend bei. Sein Geschmack sei Saratoga nicht, aber jeder rechtgläubige Yankee müsse einmal in Saratoga, wie jeder Mohammedaner in Mekka gewesen sein. Und in der Tat freuten sich seine drei Ladies auf das Schneiderlein im See mindestens ebenso sehr, als er, Doktor Channing, auf seine Unverdaulichkeitszeitung. Man scherzte noch weiter über dieses Thema, bis Bennet die Gläser von neuem füllte, da er es dann nicht anders als passend fand, nach Mr. Woods Toast auf Saratoga, einen Toast auf das Ohio-Projekt seines verehrten Gastes, Doktor Moorfeld, auszubringen. Die Amerikaner hörten von Moorfelds Vorhaben, wie dieser sogleich bemerken konnte, mit geschmeicheltem Selbstgefühle. Ein Europäer, der weder aus Not noch aus Spekulation, sondern – wie es hier lauten mußte, was wir nur in stiller Mondnacht einem stillen Deutschen gegenüber sinniger gehört haben, – aus Liebhaberei in den Schatten ihres Sternbanners sich begab: eine solche Erscheinung war ihnen offenbar sehr wohltuend. Es verbreitete sich jene Temperatur behaglicher Eitelkeit im Kreise, ohne die der verfeinerte Mensch nicht leben mag, und die ihn um so komfortabler im Inneren durchwärmt, je mäßiger sie durch die vornehme Kühle des äußeren Anstandes ausstrahlt. Das süße Schlürfen in Negationen ging in ein positiveres Nationalgefühl über; die Heiterkeit des Tones blieb zwar, aber sie nuancierte aus dem Humoristischen ins Pathetische. Man machte dem Gentleman-Urwäldler die Avance, seine Phantasie auf den Schauplatz seines künftigen Wirkens zu führen. Man verlegte die Unterhaltung in die Geschichte der ersten Ansiedlungen Amerikas. Das heroische Zeitalter des Landes wurde der Stoff des Gespräches. Homerische Helden tauchten aus dem Champagnerschaum empor, und blutige Skalpe und bluttriefende Tomahawks erfüllten den eleganten Teepavillon. Jene härtesten Männergestalten schritten im Geiste vorüber, die im Kampfe mit dem schlachtgierigen Indianer, im Kampfe mit Panther und Alligator, im Kampfe mit einer tausendjährigen Waldwurzelung den Boden für eine Handvoll Mais eroberten, den das Füllhorn der Kultur jetzt mit Perlen und Juwelen bedeckte. Da stürzte der Schlachtengel Whalley, der wunderbare Einsiedler von Hartford, sich zwischen die mordheulenden Indianer und das unbeschützte Christenhäuflein im Gotteshause; da wurden Michael Fink und Johann Wetzel die Märtyrer für Pennsylvaniens Anbau; da brachen Daniel Boone und Simon Kenton, der Diomedes und Odysseus Amerikas, in die pfadlosen Wildnisse Kentuckys vor, und Städte erblühten aus ihren Fußspuren. Endlos reihte sich die Iliade der Taten und Abenteuer im Munde der kundigen. Patrioten, staunend überblickte der Zuhörer mehr als ein Privatleben, das die Geschichte eines Landes war. So wuchs das Pathos der Unterhaltung aus markvollem Schafte in die Höhe und Breite, weihevoller saß die Gesellschaft da, wie unter dem Baldachin ihres Götterolymps, und als Doktor Channing mit der klangvollsten Bruststimme, die Moorfeld in Amerika gehört, jetzt in die Saiten des modernen Dichterfürsten griff und aus Byrons Don Juan jene sieben Stanzen rezitierte, welche Daniel Boones schlicht urmenschliches Kraftleben feiern: da waren Schwungfedern ausgespannt, auf welchen wohl Gemüter sich wiegen mochten, die zur Größe sich genießend, nicht aber erzeugend verhalten.
Anders Moorfeld. Für ihn ging diese Wendung über die Freiheit der Konversation hinaus. Das Spiel der Rede rührte an den vollsten, brennendsten Ernst seines Lebens. Er saß da wie ein Mensch, der sich persönlich getroffen fühlt. Eine flammende Röte durchloderte sein Antlitz, es war ihm zumute, als müßte er diesen Glaskäfig direkt durchstoßen und auffliegen den Winken ewiger Geister nach. – Er fühlte sich tief und schmerzlich vereinsamt. Das Symposion des Teepavillons hatte sich selbst aufgehoben. Mit einem Ruck seines Fauteuils wendete er sich der Aussicht nach dem Meere zu. Aber der violettne Abendschimmer darauf war erloschen, das magische Bild von zuvor nicht mehr vorhanden. Kein äußeres Symbol kam der Sehnsucht seines Innern entgegen. Er stand auf und verließ unter irgendeinem Vorwande den Pavillon. Er machte einen Gang durch die Gesellschaftssäle. Übervollen Herzens warf er sich in die Einsamkeit des dichtesten Gewühles.
All seine Kräfte trieben im Sturme. Es war eine jener Lunten an ihn gelegt, welche unmittelbar zum Handeln auffordern. Daniel Boone und Lord Byron! Und ein Name, der an die Möglichkeit glaubt, zwei solche Namen in sich zu vereinigen! Und dieser Name namenlos auf einem nichtswollenden New Yorker Rout!
Wie ein Löwe der Wüste streifte er durch die prunkvollen Appartements – die Kronleuchter brannten ihm matt – die Luft war schwül und entnervend – seine innere Staffage brandete und blitzte. Die Poesie in ihm lechzte nach Tätigkeit. Glücklich pries er den südlichen Improvisator, der in jedem Momente aus der Menge heraustritt, Markt, Wiese, Meerstrand zu seinem nie versagenden Schauplatz hat und ein Volk um sich her, das die Begeisterung versteht, wo sie auftritt. Die Gesellschaft sollte das Pathos entweder nie zu erregen wissen, oder in ihren Formen phantasievoll genug sein, ihm Raum zu geben.
In diesem Augenblicke fesselte eine Gruppe seine Aufmerksamkeit, welche auch von der trunkensten Verinnerlichung nicht leicht übersehen worden wäre. Im Fond des nächsten Salons erblickte er die Schar jener toll kostümierten Stutzer wieder, der Dandies on short allowance, wie sie Bennet genannt hatte, denen er außer dem Momente ihre Ankunft nicht weiter begegnet war. Sie standen auf einen Haufen gedrängt, wie Kaninchen nach dem Volksglauben um ein Licht sich versammeln, und das Licht war – ein blonder Mädchenscheitel – ein Antlitz.
Moorfeld sah und sah wieder.
Da kam Lord Ormond ihm in den Weg. Er sah Moorfelds beobachtende Stellung, und indem er der Richtung seiner Blicke folgte, redete er ihn an:
Gut, daß ich Sie finde, Sir. Ich werde Sie jener Dame dort vorstellen müssen. Ich habe es leider versäumt, als Mistreß Bennet mit ihren Töchtern zuvor dem Rout die Honneurs gemacht, d.h. nach hiesiger Sitte die Appartements einmal hin- und zurückpassiert. Aber wir behandelten eben, ich erinnere mich, das wichtige Thema der Tieremanzipation, ich hoffe darum auf Ihre Entschuldigung. Die beiden altern Schwestern haben sich inzwischen zurückgezogen, – ich werde mich bei denselben verantworten. Erweisen Sie mir die Ehre, Sie der jüngsten Tochter des Hauses, Miß Cöleste, jetzt zu präsentieren. Der Moment ist günstig, Sie werden die Cour des Winkels verbessern.
Die Cour des Winkels? fragte Moorfeld – was ist das? mir ist Name und Sache dieses Ausdrucks gänzlich fremd; ich muß um Erklärung bitten.
Ihnen zu dienen, Sir. Die Cour des Winkels ist eine amerikanische Form von Salongalanterie. Ein Kreis von Herren umringt eine Dame und sucht sie im Gespräche allmählich nach einer Ecke des Saales zu drängen. Natürlich wird das Gespräch angenehm, fesselnd, interessant sein müssen. Und zwar sowohl von Seite der Herren als der Dame selbst. Ist die Dame unzufrieden, so wird sie mit einer leichten Wendung den Kreis durchbrechen; sind es die Herren, so wird sich ihr Ring allmählich auflösen. Gelingt die Cour des Winkels aber, d.h. wird die Dame der Ecke glücklich zugeführt, so heißt sie »die Dame des Winkels«. Sie ist dann die Königin des Abends. Wir sehen, diese Art Huldigung spielt ein wenig auf der Grenzlinie der Equivoque. Der Grundgedanke ist frivol genug, die Ausführung aber ein Spielraum für Geist und Grazie. Man sollte die Erfindung für französisch halten, daß sie amerikanisch ist, leuchtet in der Tat nicht recht ein. Jene Dandies aber – Snobs sollte ich sagen – haben vollends keinen Begriff ihrer Aufgabe. Wie sie das arme Mädchen umdrängen! Sie ersticken sie fast in dieser Sommerschwüle. An ihrer Stelle hätte ich den Kreis längst durchbrochen. Aber sie weiß sich nicht zu helfen. Sie ist noch halb Kind. Hält auch nichts von der Perfektibilität der Tierseele. Aber kommen Sie, Sir!
Da blieb keine Wahl. Die Poesie des Augenblicks hatte jetzt ihre Muse. Dort stand sie verkörpert. Sie stand auf dem Scheidewege von Saratoga nach Ohio. Moorfeld erkannte die Göttin Gelegenheit und verzieh ihr die kapriziöse Wahl ihres Sendlings. Er nahm den Arm des Engländers an.
Die Herren promenierten die beiden Säle hinab, im Vorbeigehen an der Gruppe winkte der Engländer mit dem vertraulichen Gruß des Hausfreundes dem jungen Mädchen zu und sagte mit einer Handbewegung gegen Moorfeld: Doktor Muhrfield, a literary gentleman aus Deutschland.
Die langen Hälse der Snobs drehten sich auf ihren Wirbeln herum, den Vorgestellten neugierig musternd. Das satirische Lächeln, das sie bei der Annäherung des Lords gezeigt, verschwand sofort wieder beim Anblicke Moorfelds. Es machte dem Ausdruck eines gewissen Verdrusses Platz, einem undefinierbaren Mienenspiel von Einfalt und Naseweisheit, welches verriet, daß sie zwar zu dumm waren, ein höheres Genie als sich selbst zu erkennen und zu fürchten, aber doch auch zu feig, sich ganz behaglich und sicher dabei zu fühlen. Jedenfalls wies sich dem Ankömmling eine Galerie von übelwollenden Gesichtern. Moorfeld ließ sich das nicht anfechten. Sein Auge feierte den Anblick Cölestens. Es war zum ersten Male, daß er ihr in Front gegenüberstand. Damals hatte er sie aus einer gewissen Ferne und nur flüchtig gesehen; auch trug sie an jenem Morgen einen Peignoir und eine Coiffure von kleinen Ringellöckchen; heute war sie à l'enfant frisiert, und das glatte Leibchen ihrer eleganten Robe von indischem Musselin hob ihre feine Taille ebenso edel hervor, als jener Morgenüberwurf sie dem Blicke verhüllt hatte. Kurz, die äußere Erscheinung bot zwei ganz verschiedene Bilder, und Moorfeld erschrak fast, wie treu er das eine festgehalten. Auch die Gesichtszüge des Mädchens schienen nicht geeignet, der Imagination sich scharf einzuprägen; da sie Blondine war, so fiel der Begriff einer »markierten« oder »ausdrucksvollen« Schönheit von selbst weg. Fänden wir es nicht tadelnswert, das Lebendige durch seine eigene Nachahmung zu definieren, so würden wir mit dem schlechten, aber viel gebrauchten Behelf, unser Kunstmittel einer andern Kunst zu entlehnen, uns etwa so ausdrücken: nicht die Zeichnung, sondern das Kolorit war das Bezaubernde ihres Kopfes, sie war kein Buonarroti, sondern ein Guido Reni. Die Rose der Gesundheit war zu dem zarten Rosa der Mandelblüte auf ihren Wangen verfeinert, der Strahl ihres Auges leuchtete weich und mild wie Mondesstrahl und hatte etwas Überwachtes, einen Dämmer süßer Müdigkeit, welchen die fatigierteste Aristokratin dem kleinen verwöhnten Bürgerkinde New Yorks beneidet hätte. Es schien ungefährlich, in dieses Auge zu sehen. Es atmete einen Ausdruck von Ruhe, welche capuanisch sicher machte. Der Beschauer vertiefte sich darin mit vollkommenster Freiheit; aus dem Arsenal der Mädchenwaffen zuckte ihm keines der wohlbekannten Geschosse entgegen. Aber eine schwüle Atmosphäre, ein narkotischer Duftnimbus zitterte mit magischen Schwingungen um den ganzen Horizont dieses Mädchens und überwand alle Seelenkräfte. Die Ruhe ihres Anblicks war orientalische Ruhe. Die Phantasie fühlte sich vor ihrem Bilde wie in ihrer Urheimat und all ihre Kulturfrüchte wuchsen wild in diesem Klima. Das war das Fesselnde, das Unvergeßliche auch ihres flüchtigsten Anschauens.
Das Mädchen erwiderte die Vorstellung Moorfelds mit einer der üblichen Redensarten, woran sie die Frage reihte: Sie kommen aus dem alten Lande, Sir? Wie gefällt Ihnen New York? Die junge Amerikanerin tat diese Frage – deutsch.
Moorfeld antwortete sogleich mit einer Anspielung auf diesen Umstand: die Stadt wendet viele Kunst daran, auf ihre Weise schön zu sein; aber es sind doch nur die schönen Schöpfungen der Natur, welche uns überall heimisch ansprechen.
Cöleste schlug das Auge nieder und gab sich Mühe, ein geschmeicheltes Lächeln zu verbergen. Auch unterdrückte sie den Eindruck dieser Antwort sogleich mit der neuen Frage: Kommen Sie unmittelbar aus Deutschland, Sir?
Die Snobs vermerkten mit großem Mißvergnügen die Absicht ihrer Heldin, den Ankömmling im Gespräche festzuhalten. Sie gaben diese Seelenregung durch ein unartiges Scharren mit den Füßen zu erkennen, indem sie demselben einen Platz in ihrer Mitte einräumten. Der Engländer hatte den Takt, sich zu entfernen.
Moorfeld aber war nicht gestimmt, konventionell zu antworten. Er benutzte das Terrain der Poesie, das ihm das Gegenüber dieses reizenden Mädchens bot, und ließ den dithyrambischen Flutungen seiner Begeisterung jetzt freien Lauf.
Ich komme zunächst von Kuba, Miß, antwortete er ohne Anstand.
Von Kuba? rief Cöleste mit einem Anflug von Schwärmerei – ah, wie herrlich! Da haben Sie die Perle der Welt gesehen!
Ich gehe seitdem wie mit einem Gefolge unsichtbarer Genien. Die Bilder, die Schatten dieses Paradieses sind eine selige Begleitung auf jedem meiner Schritte. Noch umwölben mich – doch ich bin egoistisch. Warum soll sich dieser Saal nicht in einen Salon de verdure verwandeln, der die Königin der Antillen uns vergegenwärtigt? Kann die Phantasie diesen Zauber vollbringen, dann umwölben uns die Laubdome großblättriger Bignonien und Pisangs, hoher luftiger Kassien, stolzer und mächtiger Latanen, deren Blätter, an langen Schäften gerollt, einer grün glänzenden Sonne gleichen; es umschattet uns der dunkle, majestätische Lebensbaum und sein prächtiger Kontrast, der helle, glänzend belaubte Kampfer; die Magnolie, die ihre breiten Rosen hoch trägt, das ganze Gebüsch beherrscht und keine Nebenbuhlerin als die Riesenpalme hat, welche mit leichter Grazie ihre grünen Fächer in den Lüften schaukelt, der Wollbaum, bewaffnet mit ritterlichen Stacheln, der weithin die dicken Äste verbreitet und seine gefingerten Blätter in bewegliche Massen gruppiert; weißstämmige, großgeblätterte Kekropien werfen ihr phantastisch durchbrochenes Gitterwerk zwischen uns und das Himmelsblau, und ein Heer von namenlosen Waldkoryphäen erdrückt uns in seinen bilderreichen Korallenarmen. Ein Volk von buntgefiederten Papageien schwirrt über uns hin, läßt sich schreiend auf Blütengipfeln nieder und pickt in saftige Granaten. Durch undurchdringliche, tausendfarbige Schmarotzerpflanzen, Konvolven und andere Waldparasiten ziehen sich Schnüre blattloser milchiger Lianen, die mit spiralförmigen Stengeln bald von stolzwogenden Gipfeln fallen, bald freischwebende Girlanden bilden, welche von unsichtbaren Feenhänden getragen scheinen. Die Buffi des südlichen Tiertheaters, die Affen, springen humoristisch von Zweig zu Zweig, schüchtern flieht die Gazelle in tieferes Gebüsch, schmelzend erhebt die Nachtigall aus traumhaftem Walddunkel ihre Liebesklagen, während die hellen Töne der Zikaden durch ihre Monotonie die Seele in süße Melancholie versenken. Myriaden glänzender Käfer durchschwirren die Luft und blicken gleich Edelsteinen aus herrlichen Blumen. Unschädliche Schlangen wetteifern an Glanz mit den Farben des Regenbogens und schaukeln sich gleich Lianen von den Gipfeln der Bäume. Pfeilschnell durchschwirrt der Kolibri, der kleine Liebesgott der Blumen, sein immer blühendes Serail. Von Bewegung ein Vogel, von Pracht und Feuer seiner Farben ein fliegender Smaragd oder Rubin, nennen wir seine Familien ein Potosi in der Luft. Dieses Paradies umflutet uns Tag und Nacht mit Duftwellen, welche gleich Weihrauchwolken gegen den Himmel wallen, daß der kühnste Luftschiffer die Grenze ihres würzigen Bezirkes nicht erreichte. Die kleine chinesische Thuja und die königliche Magnolia vermischen nachbarlich ihr Aroma. Die zarte Vanilleblüte, der süßatmende Orangenhain, Auen von honigreichen Paullinien und die würzigen Blumenbüschel unzähliger Palmenarten unterhalten eine Ebbe und Flut von Wohlgerüchen. Wasserfälle, die sich unaufhörlich ihr eigenes Grab wühlen, kontrastieren mit natürlichen Springbrunnen, die ihren Gischt fröhlich gegen Himmel spritzen und wetteifern im Aushauch erquickender Kühle. Dort schlummert ein Wiesengrund sanft in eines Stromes traulicher Umarmung. Koloquinthen kriechen vom Fuße der Tulpenbäume bis zu ihren Gipfeln empor und bilden hundert Grotten, Tore und Dächer; sie ranken von Zweig zu Zweig über Bäche und Flüsse hinweg, und hängen Blumenbrücken zwischen den dichtbewachsenen Ufern auf. Mimosenbäume folgen den Windungen mäandrischer Flußränder und umsäumen sie malerisch mit Doppelkolonnaden: der Abend sinkt nieder auf sie; sie falten schlaftrunken ihre Blätter zusammen. Seine Blätter schließt in den abendroten Flußwellen der Lotos, die heilige Blume, die das Leben bedeutet, das keusche Mysterium der Weiblichkeit. Von den hohen Stämmen der Zedern hängt weißbärtiges Moos herab, – der Wanderer hält es für eine Geistererscheinung in Dämmerlüften, aber das Nachtgespenst hat keine Schrecken hier; denn jeder Lebendige fühlt, dieser Boden müsse noch den abgeschiedenen Geist festhalten, wie er den genießenden Sinnmenschen beglückt hat.
Moorfeld hatte im Flusse dieser Schilderung Cölesten ununterbrochen ins Auge gesehen und ein leiser, lächelnder Zug sagte das übrige. Das Mädchen erriet bald, daß Moorfeld aus diesem Auge heraus und nicht aus einer Reiseerinnerung dichtete, daß sie selbst das Motiv dieser Arabesken, daß sie selbst Kuba sei.
Gleichzeitig hatte Moorfeld einige jener bedeutungsvollen vorschreitenden Bewegungen versucht, aus welchen Cöleste erkannte, daß der Fremde mit der »Cour des Winkels« bekannt sei. Sie gab unvermerkt diesen Bewegungen nach.
Das alles war stummes Spiel. Das Mädchen erwiderte die Beschreibung von Kuba aber auch mit einigen Dankesworten. Die Dandies on short allowance gebärdeten sich dabei wie Vergiftete. Einer derselben (er mochte den Gedanken irgendwo gelesen haben) antwortete ohne weiteres: Pah, was mach' ich mir aus den Tropen! Es ist weltbekannt, die Tropen haben noch keinen großen Mann geboren.
Aber wenig große Männer gab's, die nach den Tropen sich nicht gesehnt hätten, antwortete Cöleste, das Mädchen, das der halbtolle Engländer für ein Halbkind ausgegeben.
Moorfeld machte die Gebärde eines Suchenden und erwiderte augenblicklich: War mir's doch soeben, Sie hätten einen Juwel verloren, Miß.
Zur Antwort trat Cöleste zurück, gleichsam wie man einem Suchenden Platz macht, aber es war eine Bewegung gegen den Winkel!
Unser Freund gestand sich bald, daß diese »Cour des Winkels« eine höchst liebenswürdige Nationalsitte sei und die Telegraphie des Unaussprechlichen im Schoße der Konvenienz recht anmutig und glücklich bereichere.
Cöleste indes fuhr fort: Wenn ich raten darf, Sir, so haben Sie gewiß auch den hohen Norden besucht? Bitte, erzählen Sie uns etwas Freundliches von dem Eismeer.
Etwas Freundliches von dem Eismeer! Moorfeld berichtigte sein Urteil sofort dahin, daß die Dame des Winkels ihren Pfad doch auch ein wenig epinöse machen könne, vorausgesetzt, daß sie die Kaprice geschickt zu handhaben wisse. Er blickte der kleinen Versucherin ins Auge, das so unschuldig sah, als ob es sich nicht fern seiner Schelmerei bewußt wäre. Aber auch er blieb sicher, die Phantasie war ihm bereit. Mit freudiger Rüstigkeit, wie ein Vogel die taubenetzte Schwinge schüttelnd zur Sonne auffliegt, griff er ins Füllhorn der Inspiration. Er antwortete:
Sie haben richtig geraten, teure Miß. Auch der eisstarrende Norden hat meine Reiselust in seinen strengen Bann zu zaubern gewußt. Aber wahrlich, es erlebt sich nichts Freundliches dort. Wo der Eskimo sich und seine Lampe aus ein und derselben widerlichen Tranquelle nährt; wo der überwinternde Europäer seine Hand wie einen Handschuh verliert und vor Hunger seinen Handschuh verspeist wie eine delikate Bärenklaue: dort ist die Erde nicht freundlich. Höchstens könnte ich das Nordlicht beschreiben; aber seit Lord Byron sich ein Nordlicht in Versen nannte, hat die fashionable Welt diese hehre Naturerscheinung hinlänglich studiert. – Moorfeld genoß den Triumph, daß die Snobs um ihn her bereits triumphierend und auch Cöleste zweifelnd, wenn nicht enttäuscht blickte. Aber eben das wollte er. Er machte eine kleine »Kunstpause« und fuhr dann mit einem leichten Selbstbelächeln dieser Koketterie fort: Zu glücklich preise ich mich daher, daß mich desungeachtet das Eismeer mit einem Bilde beschenkt hat, welches mir ewig als der schönste Augenblick meines Lebens vorleuchten wird. Es war in der Baffinsbai. Wir lagen an einem Eisberge vor Anker, rings um uns her große, gewaltige Eismassen, funkelnd und farbenspielend unter den Strahlen der Mittagssonne. Das Wetter war ruhig, der Himmel blau und klar. Ein Teil der Mannschaft war ans Land gegangen, um Eier von wilden Seevögeln zu sammeln, welche an den einsamen Felsen und Abgründen der Baffinsbai nisten. Die übrige Schiffsbesatzung, ermüdet von den Anstrengungen des vorhergegangenen Tages, hatte sich der Ruhe in die Arme geworfen. Ich ging allein auf dem Verdecke auf und ab, die ganze Natur um mich her feierte ein tiefes, erhabenes Schweigen. Da bemerkte ich in der offenen See einen ungeheuren Eisberg, der in der Mitte durchbrochen war, so daß er eine Art Tunnel bildete. Ich konnte mich nicht erinnern, gehört oder gelesen zu haben, daß ein Reisender in den arktischen Regionen etwas Ähnliches gesehen hätte. Die Neuheit der Sache reizte mich, ich beschloß die Fahrt durch diesen Eistunnel. Bald fand ich auch zwei Matrosen, die bereit waren, mich zu begleiten. Das kleine Boot wurde ausgesetzt, die Entdeckungsreise angetreten. Wir näherten uns dem Koloß und erkannten, daß in der Höhle Wasser genug war, dem Boote die Durchfahrt zu gestatten. So wagten wir denn das Abenteuer. Wir ruderten langsam und schweigend in die Pforten des Eisberges hinein. Es war ein feierlicher Augenblick. Ich durfte mir sagen, daß ich jetzt sah, was kein Mensch vor mir gesehen, und nach mir kaum wieder einer sehen wird. Denken Sie sich einen ungeheuren Bogengang, breit, hoch, kühn gespannt und so regelmäßig gebildet, als ob er vom geschicktesten Baumeister ausgeführt wäre, an allen Stellen so glatt und eben, wie es nur der sorgfältigste polierte Alabaster sein kann, denken Sie sich das Ganze als eine halb durchsichtige Masse von der wunderbarsten, schönsten Opalfarbe – kurz einen Broadway aus Kristallglas gegossen, und die Phantasie wird eine schwache Vorstellung jener Tempelhalle haben, der schönsten, welche je die Natur an irgendeinem Punkte der Erde sich selbst errichtet. Es war ein kühler, bläulicher Dämmerschein, zu durchsichtig für die Nacht, zu gedämpft für den Tag, ein weicher Perlenglanz, ein filtrierter Mond, ein klarer, duftig lasierter Mittelschatten, der sich wie Balsam auf das Auge legte. Ein wonnevolles Licht! Es berührte den Sehnerv so geisterhaft, so züchtig, möchte ich sagen, daß sich alle Sinne in Ruhegefühl tauchten, und doch war der Zustand Begeisterung und das ganze Dasein eine selige Aufregung.
Cöleste ließ die langen seidenen Wimpern über ihr schönes Mondauge fallen. Moorfeld hielt inne, als ertrüge er den Verlust dieser dichterischen Quelle nicht oder besänne sich, wie weit er überhaupt, ohne die Allegorie zu nahe zu legen, von seinem Zauberlichte sprechen dürfte.
Nach einer Pause fuhr er fort: Als wir ungefähr in die Mitte unsers Tunnels vorgedrungen waren, änderte sich auf einmal die Szene. Eine überirdische Helle verbreitete sich in der Grotte. Verwundert blickten wir auf, und siehe! die ganze Kuppel des Eisgewölbes entlang regnete es Sonnenstrahlen herein. An einer Stelle schossen sie in dünnen Goldfäden, an einer andern in breiten Feuergarben nieder, hier fielen sie in stumpfen, dort in spitzen Winkeln, hier direkt, dort gebrochen ein – wir ruderten unter einem Kreuzfeuer von prismatischen Raketen. Wo das Licht unmittelbar den Spiegel der Eiswände traf, loderten sie auf wie geschmolzenes Gold und Silber; Partien, die in Schatten lagen, kontrastierten mit einem tiefkräftigen Dunkelblau voll Ernst und Majestät dazwischen, und der Übergang von der blendendsten Strahlung zum vollsten Schatten belebte den Bogengang mit einer Szenerie von Schein und Widerschein, von Licht- und Farbenspielen, die sich mit jedem Ruderschlag bilderreich auflöste und bilderreicher zusammensetzte. Wir trieben in einem unermeßlichen Kaleidoskop. Unsre Sinne umspannten die Pracht dieses Schauspiels nicht mehr. Der Sinnenmensch war tot, die Erde verschwand vor mir, ich war ein seliger Geist, die Pforten des Paradieses schienen mir auf getan. Welch ein verklärender Wechsel! Die Eisgrotte, eben noch ein kühler, dämmeriger Knospenkelch, schlummerte traumblöden Zauberschlaf – ein Strahl von oben traf sie – und die Undine hatte ihre Seele empfangen!
Das Auge des Mädchens blitzte auf. Es begegneten sich sprechende Blicke. Eine Pause – Moorfeld fuhr fort:
Einige Sekunden lang berauschte diese Szene uns völlig. Allmählich kehrte der Gebrauch der äußeren Sinne wieder zurück. Und jetzt geschah uns sonderbar. Wir bemerkten, daß das Meer um uns her in einen Wellenschlag geriet. Auch die Wände des Eisberges schienen außer der Ortsveränderung unseres Bootes einer ihnen eigentümlichen Bewegung zu folgen. Der Eisberg ruhte nicht, er schwamm. Gleichzeitig zeigte sich's, daß die Lichtzugänge ins Berginnere sich abwechselnd schlössen und öffneten und zwar in ziemlich rascher Folge des einen wie des andern. Bei dieser Beobachtung wurde uns überhaupt der Grund dieses Lichtzuflusses klar. Wir entdeckten, daß der Eisblock in seiner ganzen Breite von einem Ende zum andern – zerborsten war! Dieser Riß war es, der zu Häupten uns den Himmel öffnete, indem er zu Füßen uns den Todesabgrund legte. Der schwimmende Eiskoloß konnte in jedem Augenblick in sich zusammenstürzen. Mit angehaltenem Atem flüsterte ich diese Entdeckung meinen beiden Gefährten zu. Sie nickten mir stumm zurück, und die Blässe ihrer Mienen zeigte, daß sie unsern Zustand bereits kannten. Unsre Lage war fürchterlich. Wir sahen vor und hinter uns, überall schien der Ausweg eine gleich lange Bahn von Gefahr. Wir lauschten mit wirbelnden Sinnen, in welcher Richtung die Meeresströmung treibe; aber die Wellen taumelten unregelmäßig durcheinander. Endlich legten wir instinktmäßig die Ruder ein, jeder von uns empfahl im stillen seine Seele, und pfeilschnell schossen wir die Eiswände dahin. Glücklich gelangten wir unter den freien Himmel hinaus. Ein donnerndes Hurra der Matrosen begrüßte ihn. Noch hatten wir unser Schiff nicht erreicht, da krachte die mürbe Eismasse zusammen, regte das Meer weit und breit auf und erfüllte es mit ihren Trümmern. Traurig sah ich sie treiben. Sie hatten mir einen Hochpunkt des Lebens geschenkt, und leicht vergaß ich, daß sie bald das Leben selbst dafür gefordert. Aber gibt sich die Schönheit überhaupt wohl für geringeren Preis? – Das, verehrteste Miß, ist es, was ich »Freundliches aus dem Eismeere« berichten kann.
Das junge Mädchen war mit regsamster Phantasie dieser Erzählung gefolgt. Sie hatte zuletzt vergessen, daß sie Dichtung höre, sie hatte der »Cour des Winkels« vergessen, und wie sie ihre Anerkennung innerhalb dieser Sitte ausdrücken könne. Gefesselt stand sie an ihrem Platz und erhob ihr Auge zaudernd, fast furchtsam jetzt wieder zu Moorfeld, indem sich ihr Mund zu irgendeiner Erwiderung öffnete. Aber nicht ihr Wort sollte Moorfeld vernehmen. Die Gemeinheit begehrte auch ihres Rechtes. Moorfeld sollte erinnert werden, in welcher Umgebung er stand, und daß er die Höhe dieses Augenblicks nur der Niedrigkeit abkämpfen könne. Derselbe Mensch, welcher zuvor gesprochen, trat jetzt wieder als Wortführer seines Cötus auf und sagte rasch, in der deutlichen Absicht, jedem andern Eindrucke zuvorzukommen: Wahrhaftig, Sir, Sie haben schöne Reisen gemacht, das ist ein Faktum. Reisen, will mich bedünken, ist überhaupt das Beste, wozu ein Gentleman seine Mittel und seine Muße verwenden kann. Es hilft entweder große Lebensweisheit erwerben, oder mindestens – eine große Leere ausfüllen.
Sehr wahr, Sir, antwortete Moorfeld gemessen, aber leider sehe ich viele zu Hause bleiben, welche namentlich in letzterer Beziehung das dringendste Motiv hätten, auf Reisen zu gehen.
Moorfeld begleitete diese Zurechtweisung mit einem entsprechenden Blicke. Sein Widersacher war eine echte Rowdy-Gestalt. Er handhabte eine Baguette, lang und dünn wie eine Makkaroni, und fuchtelte höchst sittsam gegen sein grotesk chiniertes Beinkleid damit. Alle Fassung aber benahm es, zu sehen, daß der Mensch in zweierlei Schuhen ging: der eine lief in eine Spitze zu, der andere war breit abgehackt. Moorfeld erfuhr bei einer spätem Gelegenheit, daß es ihm eine starke Wette gegolten, in solchem Fußzeug Bennets Salon zu besuchen. Übrigens genoß er vor seinen Kameraden die Auszeichnung einer schönen und tüchtigen Männerfigur, die ihre Verballhornierung in forcierter Frechheit und Albernheit doppelt bedauern ließ.
Der Rowdy antwortete: Wir Amerikaner kommen weniger zum Reisen als irgendein Volk der Welt. Denn erstens haben wir zu viel zu tun, und zweitens reist sich's nur als Garcon leicht; der Amerikaner aber heiratet früh, und das ist jedenfalls das Beste, was er tun kann.
Allerdings, die Ehe bessert, sagte Moorfeld.
Was wollen Sie damit sagen, Sir? Bedarf unsre Jugend in Ihren Augen der Besserung?
Ich hoffe nicht, daß ihr die Fähigkeit dazu abgeht. Beruhigen Sie sich übrigens. Die Frage geht zur Hälfte auch die Frauen an. Und ich gestehe Ihnen gern, ich kenne Amerikas Frauen wenig.
Darf ich mir ein Urteil erlauben, Sir, so sind Sie überhaupt ein Verächter des Geschlechts?
Ich bedauere, daß Sie einen so barbarischen Einfall ein Urteil nennen. Woraus schöpfen Sie dieses sogenannte Urteil?
Aus Ihren Reisen, Sir. Wo die Phantasie auf so großartige Bilderjagden auszieht, dort ist das Herz schwer zu fesseln. Sie haben zwischen Tropen und Pol viel Schönes gesehen, Sir, aber wir sind zu Hause geblieben, Sir, und sehen Sie, Sir, wir haben der Schönheit doch voller und unmittelbarer ins Auge geschaut.
Wir brauchen kaum zu bemerken, in welcher Haltung Cölesten gegenüber diese Worte gesprochen waren. Der Sprecher bemühte sich offenbar, sein Gespräch so beziehungsvoll als möglich zu wenden. Aber Moorfeld hatte kein Interesse ihn hier zu stören, sondern nur zu überbieten. Er antwortete:
Was Sie an Ihrem Platze Holdes und Vortreffliches bewundern, das gestehe ich Ihnen von ganzem Herzen zu, Sir. Ich sagte es ja: ich kenne Amerikas Frauen wenig. Und sehen Sie, Sir, daß ich selbst jetzt an diesem Platze stehe, das spricht nur für das Prinzip der Reisen: wie wäre ich sonst hergekommen? Weiber erfüllen freilich die ganze Welt; aber die ganze Welt will auch durchwandert sein, um das Weib zu finden, das Idealweib, die Blüte und den Hochbegriff ihres Geschlechts.
Cöleste blickte fragend auf. Es war fast ein kindlicher Zug von dem Mädchen, daß sie naiv zweifelte, ob solch ein hohes Wort für sie gesprochen. Moorfelds Auge aber mußte sie hinlänglich orientiert haben, denn sie schlug das ihre nieder und – gewährte als »Dame des Winkels« Raum zwischen sich und Moorfeld, den dieser sogleich einnahm.
Der Rowdy warf sich in Fechterpositur.
Nun, bei Gott, rief er emphatisch, so möchte ich mein Vaterland nicht hintansetzen! Sie werfen auf die Frauen Ihres Vaterlandes ein Licht, Sir –
Erlauben Sie, Sir. Das Wort Vaterland hat einen vollgehaltigen Begriff in der Politik. Der Amerikaner denkt sich ein lebensvolles, reichgegliedertes Gewebe von Parteiungen, Standpunkten, Interessen und Vorteilen darunter, – vielleicht denkt er sich auch Mädchenblick und Händedruck darunter. Es steht ihm das ganz frei. Ich aber bitte jeden, mich aus dem Spiele zu lassen, der so geistreich ist, eine so große und rein menschliche Sache unter einem beschränkten Horizont zu betrachten: diese Beschränkung heiße nun Vaterland oder wie immer.
Cöleste sah den Dandy mit jenem Auge an, welches sagt: was willst du darauf antworten? Zugleich näherte sie sich wieder dem »Winkel«.
Der Nebenbuhler knirschte. Aber er schien entschlossen, die Partie nicht aufzugeben. Das Idealweib! sagte er achselzuckend. Man muß das Weib auch mit seinen Schwächen lieben können.
Ich gebe Ihnen noch mehr zu, antwortete Moorfeld, nicht nur mit, sondern wegen seiner Schwächen! In den idealen Zügen der Weiblichkeit dürften die Schwächen wahrlich nicht fehlen. Nur müssen es auch wieder gewählte Schwächen sein.
Das ist unverständlich, sagte der andere.
Verzeihung, Mr. Howland, das finde ich nicht, wendete Cöleste ein. – Bei dem Namen Howland erkannte Moorfeld auf einmal seinen Mann. Er sah jenen Rowdy-Elegant wieder, den er zuerst als Kommandant eines Löschbataillons sein ritterliches aber kokettes Wesen treiben gesehen. Er verwunderte sich nicht wenig, daß man solchen Straßenhelden auf dem Parkett des Salons begegnen könne.
Howland antwortete kurz, fast rauh: Nun wohl, es ist nicht unverständlich. Sie haben recht. Ich brauche auch nur jene Geschöpfe zu sehen, die wir hier deutsche oder vielmehr hessische Mädchen heißen, so verstehe ich sehr wohl, was Sie gewählte Schwächen nennen. Es ist eine Argumentation durchs Gegenteil.
Mich dünkt, um nicht pöbelhaft zu sprechen, spreche man überhaupt von dem Pöbel keiner Nation, sagte Moorfeld nachdrücklich. Cöleste aber trat begütigend dazwischen: In der Tat, meine Herren, wir können hier unmöglich eine Gelegenheit zu Mißverständnissen haben. Der Ruf der deutschen Mädchen erfüllt ja die Welt. Ihr weiblicher Charakter ist anerkannt der liebenswürdigste, ja er wird oft für den mustergültigen selbst gehalten. Haben wir nicht Deutsch gelernt, um jener Uhlandschen Königstöchter, um jener Goetheschen Gretchens und Klärchens willen, die in der schlichten Tiefe, in der süßen Innigkeit, in der duftigsten Zartheit und gewagtesten Kraft ihrer Empfindung als reizende Typen des Geschlechtes, ja als der weibliche Genius überhaupt uns erschienen sind? Warum wollten wir diese Wahrheit leugnen, Mr. Howland?
Der leichte Seufzer, womit das schöne Kind New Yorks dieses Wort begleitete, schien unserm Freunde nicht ohne einen Anflug graziöser Koketterie. Er hätte das weibliche Herz sehr mißverstanden, wenn er diese Anerkennung nicht mit einer leichten Schattierung von Medisance erwidert hätte. Er antwortete:
Sie überzeugen mich aufs angenehmste, verehrte Miß, daß der Schönheitsadel aller Nationen mit Leichtigkeit an seinen gemeinsamen Familienzügen sich erkennt. Sie nennen glänzende Dichternamen als Träger des deutschen Frauenruhms und umgehen es mit Zartsinn, daß nur die eigene Vortrefflichkeit das Verhältnis des Vortrefflichen vermittelt und daß der goldenste Dichtermund ohne sympathische Herzen so stumm wäre, als spräche er in einem Luftballon jenseits der Grenze, wo die Atmosphäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß mich verteidigen. Nicht aus Widerspruchslust, sondern nur, damit die Imputation, welche dieser ehrenwerte Gentleman aussprach, nicht mehr Wahrscheinlichkeit gewinne, als ihr gebührt, erlaube ich mir doch zu bemerken, daß der deutsche Frauencharakter weit entfernt ist, auf der Höhe jenes Abschlusses zu stehen, welcher den, der auch andere Länder Menschen kennen lernen will, als einen Verächter des vaterländischen Ideals erscheinen ließe. Das poetische Deutschland ist nicht das wirkliche. Die Dichter sagen die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Der schöne grüne Jungfrauenkranz könnte immer noch schöner und grüner sein. Es liegt viel Mehltau darauf. Empfindung ist häufig Sentimentalität, d.h. Empfindung ohne Gegenstand oder ohne großen Gegenstand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die Abwesenheit der Sinne und jene kühle, nur deutschen Mädchen eigentümliche Schwermut, welche aus dem dunklen Bewußtsein geistiger Kraftlosigkeit kommt; durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden schleicht sich die Prüderie und pinselt die schönsten Rosen mit Zinnober an, gleichsam um mit Pferdekraft zu erröten. Es ist viel Schwächliches, viel Abgestandenes in dem blaßblonden Geschlechte Thusneldas. Man hat in Deutschland, oder überhaupt in der alten Welt, einen Niederschlag des langen geschichtlichen Lebens, welchen man Philisterei nennt und wovon Amerika gottlob keinen Begriff hat. Ich bin verlegen, Miß, wie ich Ihnen diesen Begriff definieren soll, denn Philisterei ist nicht sowohl ein Übel, als vielmehr der Inbegriff aller Übel. Philisterei ist Beschränktheit des Geistes und Herzens. Sie entsteht aus der Pflege des Hergebrachten, aus der Pflege der unveränderlichen Gewohnheit. Eine solche Pflege entwickelt stark den Detailsinn, Detailsinn aber ist nur bis zu einer gewissen Grenze gut. Innerhalb dieser Grenze macht man seine Sachen sauber, appetitlich, hat viel Empfindung fürs Formelle, einen gewissen Kunstsinn, ist in Freundschaft und Liebe ein Bienenkorb voll fleißiger Aufmerksamkeiten. Innerhalb. Drüber hinaus aber wird's schauerlich. Da hat dann der Sinn fürs Detail so überhandgenommen, daß er höckerhaft auf alle edleren Organe drückt, und Herz, Phantasie, Enthusiasmus, rasche Entschlüsse, kühne Ideen, feurige Hingebung, das alles muß elend zugrunde gehen. Detailsinn verschlingt in seiner Über- und Mißbildung den ganzen Menschen, der Mensch wird kleinlich. Diese Kleinlichkeit ist es, welche Philisterei heißt. Und ich bin leider das Geständnis schuldig: Philister und Philisterinnen sind im Hause der heiligen Germania ein sehr zahlreiches Genre.
Cöleste trat, wie verwundert, einen Schritt zurück. Es war aber nur eine Bewegung gegen den Winkel. Moorfelds Entgegnung war aufgenommen, wie er ahnte. Er fuhr fort:
Sie selbst nannten zuvor Klärchen, verehrteste Miß. Aber die Spuren der Philisterin entdecken wir auch in ihr. Wie sie ihren aufgeputzten Helden abtätschelt, seinen Samt und seine Ordenskette anstaunt, das hat mir nie gefallen. Das ist philisterhaft. Das Mädchen, das ein Bube sein will, um ihrem Auserwählten die Fahne vorzutragen, mußte ihn überhaupt nicht als Ritter vom goldenen Vließ, sie mußte ihn im Reiterkollett sehen wollen, das er in der Schlacht von Gravelingen trug. So gefällst du mir am besten! Aber solche Züge zeichnen den Charakter der deutschen Mädchen. Nur daß sie nicht die Brüsseler Bürger haranguieren und Gift nehmen, sondern zu Hause ihre vier Wände haranguieren und den Brakenburg nehmen.
Klärchens Entzücken über das goldene Vließ scheint mir so schlimm nicht, sagte Cöleste, indem sie mit einiger Verlegenheit die Augen niederschlug. Wir erinnern uns, daß sie selbst, nach den Worten ihres Vaters, in einem »Babel von Bagatells« lebte.
Schlimm! antwortete Moorfeld, was könnte das köstliche Mädchen schlimm kleiden? Ihre weibliche Größe macht vielmehr diesen Kontrast des Minutiösen notwendig. Schlimm wird das Kleinliche erst, wenn die Größe dazu fehlt, oder noch besser, wenn das Kleinliche selbst wieder zu einer Art Ungeheuerlichkeit ausartet. Schlimm war gewiß jene Herzogin von Buckingham. Der Herzog, ihr Gemahl, hatte in einem der Bürgerkriege Englands das politische Verbrechen begangen, sich besiegen zu lassen, und wurde zum Tode verurteilt. Er bestieg das Schafott. Schon schwang der Nachrichter das Schwert über sein Haupt, da erscheint ein Bote von Mylady. Mylady läßt ihrem Manne sagen – es wäre doch schade, wenn seine diamantenen Hemdknöpfchen ein Erbe des Henkers würden; er möge nicht vergessen, sie im letzten Augenblicke abzulösen und umgehend zurückzuschicken.
Welch ein Rabencharakter! rief Cöleste.
Und doch war das gute Weib, fuhr Moorfeld fort, vielleicht kein Monstrum von Herzlosigkeit, sondern nur von Kleinlichkeit. Sie war gewohnt, ihre Sachen in Ordnung zu halten. Sie war ein Krüppel des Detailsinns. Sie war eine Philisterin.
Cöleste blickte nachdenklich, fast in sich gekehrt. Sie sah ihre Vorliebe für Bijouterientand offenbar in einem neuen Lichte; sie war in diesem Augenblicke zum ersten Male über die harmlose Mädchenliebhaberei zur Reflexion gebracht.
Mr. Howland, dem der häusliche Charakter des jungen Mädchens natürlich bekannter war als unserm Fremden, der nur in flüchtiger Konversation davon gehört, wußte diesem Anflug von Bestürzung auch besser auf den Grund zu blicken und glaubte davon gewinnen zu können. Jetzt, dachte er, sei der Augenblick gekommen, den lästigen Gast aus dem Felde zu schlagen. Er ergriff die Gelegenheit, sich um das beunruhigte Kind verdient zu machen und die Ausfälle auf den Nebenbuhler zu erneuern. Mit einer Siegesgewißheit, die bereits Schadenfreude selbst war, nahm er das Wort:
Ihr Urteil drückt auf das zarte und leicht verletzliche Geschlecht mit einer Last, sagte er zu Moorfeld gewendet, die ich fast grausam nennen möchte. Sie verbinden, Sie ziehen Schlüsse, Sie kombinieren Charakterzüge der unschuldigsten und gravierendsten Art mit einer so drakonischen Logik, daß Sie den Charakter des Weiblichen eigentlich aufheben zu wollen scheinen. Wenigstens sehe ich nicht, wie vor der Methode Ihres Urteilens zwischen dem Liebenswürdigen und dem Abscheulichen noch eine Unterscheidung bestehen soll, wenn die leichteste Nuance eine Art Hängebrücke abgibt, auf welcher der kecke Fuß des Konsequenz-Kundigen schwindelfrei hin und wieder hüpft. Was Sie Detailsinn oder Sinn des Kleinlichen nennen, wurde mir übrigens dankenswert klar in Ihrer Ausführung; so klar, daß mir zumute war, ich sähe diesen minutiösen Sinn gleichsam vor meinen Augen stehen. Und nicht nur jenem Geschlechte –
Mr. Howland dachte nicht anders, als er würde die Dame des Winkels mit diesem Plädoyer der klassischen Ecke anzunähern imstande sein. Nur ein Schritt war noch zu tun. Aber Cöleste gewährte ihm diesen Schritt nicht. Sie stand vielmehr und erwartete mit unverhohlener Spannung Moorfelds Antwort.
Moorfeld unterbrach seinen Gegner in dem Augenblicke, als jener eine direkte Injurie ausgesprochen hatte und noch fortzuführen im Begriffe war. Er unterbrach ihn im Tone eines ruhigen, obgleich ernsten Verweises.
Halten Sie ein, mein Herr, sagte er. Wenn Sie für Frauen sprechen, so engagieren Sie Ihr Gespräch so, daß Sie Frauen nicht erschrecken. Sie haben herausfordernd gesprochen, und wollte ich herausfordernd antworten, so würden wir eine Dame verscheuchen, die wir zu fesseln wünschen. Also nichts mehr von diesem Genre, wenn ich bitten darf. Und mehr gegen Cöleste gewendet, fuhr er fort: Es ist wahr, ich schließe von kleinen Zügen oft auf den ganzen Charakter. Diese Mikrologie mag ihr Grausames haben, wenn der Schluß ungünstig ausfällt. Ich gebe das zu. Ich sehe aber nicht ein, warum ich den Baum nur am Stamm und nicht auch in seinen zartesten Ausspitzungen erkennen sollte. Und ist es ein edler Baum, so erkenne ich seinen Adel ebenso leicht an. So hat es einst mein günstigstes Vorurteil erregt – aber ich will mir erlauben, den kleinen Zug zu erzählen. Ich promenierte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery. In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche Begleitung – sei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt oder daß ihr Haus selbst in der Nähe lag, was das wahrscheinlichste war, denn sie gehörten, wie ich sehen konnte, jener Gesellschaftssphäre an, welche auf der Battery ihre Residenz hat. Diesen Damen kam ein Newsboy entgegen, welcher seine Zeitung ausrief. Der Junge handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und diese rief er ebenso unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht. Dicht vor den Mädchen erhob er seine Stimme zu einem obszönen Proklam, daß mir zumute war, eine moralische Pulvermine fliege vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor noch zurück, noch seitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; sie mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die eine begrub ihr Gesicht ins batistene Taschentuch, die andere wandte das Köpfchen seitwärts, als wäre sie eben geistesabwesend, die Dritte aber sah ich stille stehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörse zur Hand, winkte, und im nächsten Augenblicke flog das obszöne Portefeuille über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, sagte Moorfeld, indem er seine Stimme mit einem eigentümlichen Timbre ausklingen ließ, dieser Zug gefiel mir. Den Buben zu ignorieren, sich zu stellen, als verstände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, sogar mädchenhafter, aber in jenem Philistersinne, von dem ich zuvor sprach. Es hatte fast etwas Komisches, etwas vom Vogel Strauß, wenn er seinen Kopf in den Sand steckt. Die Dritte fühlte das und trat mit einer edlen Freimütigkeit aus der kleinlichen Modestie heraus, um nach einer größeren zu handeln. Das Unsittliche war freilich in der Welt, das konnte sie nicht hindern; aber sie ließ es nicht vorübergehen an sich. Der Moment, da es an sie herankam, war auch sein letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verschwand. Das war ästhetisch. Es lag eine so schöne Harmonie in diesem Zuge, – man nenne ihn scheinlos, wie man will, aber ich schäme mich nicht zu gestehen, ich würde nach diesem Zuge jener Dame für ewig eine gewisse Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.
Cöleste stand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie stand da in einem Momente ihrer höchsten Mädchen-Schönheit. Freude, Scham, Stolz, der tiefste Kern ihres weiblichen Bewußtseins geschmeichelt, wie es die Galanterie der Alltäglichkeit auch bei geräuschvolleren Ostentation nimmermehr in ihren Mitteln hat – der ganze Nimbus ihres Geschlechtes umspielte das reizende Mädchen. Sie wagte nicht zu Moorfeld das Auge zu erheben. Er hatte sie erkannt – der Ton seiner Stimme, der ganze Akzent seines Vortrages verriet ihr's. Und wenn sie jetzt den letzten Schritt nach dem Winkel zurücktat, so geschah es kaum noch im konventionellen Sinne, – es war der natürliche Ausdruck des Augenblicks; sie bebte zurück wie eine Venus verschämt vor ihrer eigenen Schönheit flüchtete.
Die »Cour des Winkels« war jetzt zu Ende. Aber die Snobs waren wütend. Mr. Howland sann auf eine neue Tücke, seinem Nebenbuhler beizukommen. Und isoliert wie er sich sah, fing er zu deklamieren an:
Ich steh' auf hohem Berg allein –
auf einmal blickte Cöleste auf zu ihm. Der Dandy kopierte jetzt ganz Moorfelds Attitüde von zuvor. Er warf sich in ein Air von Begeisterung, welches das Vorgeben durchschimmern ließ, den dichterischen Ausdruck allegorisch zu gebrauchen, er heftete seinen Blick schwärmerisch auf Celesten und deklamierte aus ihrem Auge heraus:
Ich steh' auf hohem Berg allein
In meinem Schmerz und denke dein;
Ein Brünnlein rinnt zu meinem Fuß
Und lispelt leis: ich muß, ich muß
Ins grüne Tal hinab von hier,
Dort grüß' ich heimlich sie von dir!
O Brünnlein, Brünnlein hell und klar,
Gleichst meinen Tränen ganz und gar:
Es weint der Berg sich stumm und still,
Weil noch sein Lenz nicht kommen will;
O riesle, riesle fort ins Tal
Und sag' ihr das viel tausendmal.
Das Gedicht heißt »Des Schäfers Botschaft« wandte er sich gegen Moorfeld, – wie gefällt es Ihnen, Herr Doktor?
Ich begreife zunächst nicht, wie es hieher gehört, antwortete Moorfeld, erzürnt über die forcierte Störung.
Mit Erlaubnis, Sir, ein gutes Gedicht gehört überall hin.
Ein gutes!
Wie, Sir, ist das Gedicht schlecht?
Ganz außerordentlich, Sir!
Hätte Moorfeld bei seiner eigenen inneren Fülle jetzt einen Blick haben können für den versteckten Geist dieses Augenblicks, so hätte es ihm auffallen müssen, daß sich eine eigentümliche Verlegenheit in Cölestens Antlitz malte, während Mr. Howland mit einer faunischen Schadenfreude sich die Lippe biß.
Ihre Gründe, Sir! Ihre Gründe! rief der Snob mit einem ungewöhnlichen Eifer.
Gründe! sagte Moorfeld wegwerfend, mein Gott, ja! sie sind wohlfeiler als Brombeeren hier.
Nun, Sir?
Moorfeld antwortete mit einer Gelassenheit, die nur die Bändigung seiner inneren Aufregung war:
Betrachten wir, um einer amerikanischen Anschauungsweise entgegenzukommen, das Gedicht zunächst nur unter der Kategorie der Zweckmäßigkeit. Das Gedicht ist eine Adresse. Es adressiert sich an die Geliebte. Wie, denken Sie sich nun, erreicht diese Adresse ihren Zweck? Der Kern des Gedichtes ist der Vergleich eines weinenden Liebhabers mit einem weinenden Berg. Ein Liebhaber und ein Berg! Der Dichter hat auch nicht den leisesten poetischen Instinkt für die Nebenbegriffe eines Bildes, sonst würde er sich nicht selbst zum Falstaff machen. Er tut es aber, und so ist der Zweck seiner Adresse verfehlt. Die Schäferin soll doch nicht einen Falstaff lieben? Dies ist der Nebenbegriff des Bildes; nun aber das Bild selbst. Ist das Quellrieseln eines Berges ein zweckmäßiges Bild für das Weinen eines Liebhabers? Warum soll der Berg weinen? »Weil noch sein Lenz nicht kommen will«? Aber der Berg hat seit tausend und mehr Jahren die Erfahrung gemacht, daß der Lenz regelmäßig kommt. Weinen denn wir, wenn einmal ein Frühling schlecht gerät? Und der Berg hat ungleich mehr Zeit zu versäumen. Sie merken also, der Gedanke des Gedichts ist Unsinn. Und dieser Unsinn soll der Geliebten vieltausendmal gesagt werden! Ich danke schön. Es liegt auf der Hand, warum der Dichter ungeliebt ist. Das Mädchen will von dem langweiligen Kauz nichts wissen. Er kann lange singen! Er wird keinen Eindruck machen. Er singt – ich wiederhole es, um Sie mit allen höheren Distinktionen zu verschonen – er singt nicht zweckmäßig.
Howland hatte Mühe, den wilden Freudenglanz seines Auges zu verbergen. Cöleste sagte schüchtern, fast bittend: Es ist ja nur erotische Poesie!
Moorfeld glaubte, das Mädchen stehe für Howland ein, und wollte ihm mit weiblichem Takte aus der Klemme helfen. Aber selbst wenn er dem Gegner dieser Gunst hätte gönnen wollen – und es wäre in diesem Augenblicke nicht gemeine Selbstverleugnung gewesen – er durfte die Interessen der Poesie nicht preisgeben. Er freute sich vielmehr, daß Cöleste selbst an dem Stoffe teilnahm; es gab ihm Gelegenheit, sich mit jener Wärme des Moments zu äußern, die er vor dem andern nur mühsam zurückdrängte.
Voll Eifer antwortete er: Warum, teuerste Miß, soll erotische Poesie zur Trivialität verdammt sein? Doch nicht, weil sie den Frauen geweiht ist? Aber in der Tat, das ist die Ursache. Die erotischen Dichter begehen alle einen Fehler. Sie glauben, die Geliebte nicht genug feiern zu können, und vergessen sich selbst. Sie raffinieren auf den forciertesten Ausdruck der Liebe, der Zärtlichkeit, der Ergebenheit, sie leisten das Möglichste und Unmöglichste, um Herz zu zeigen, und tun nichts, um Charakter zu zeigen. Das ist das Grundübel. Sie opfern alle das männliche Element dem weiblichen. So geschieht's, daß keine Kunstgattung mehr Witz aufbraucht, ihre Ausdrucksmittel stets zu erneuern und zu verstärken, und keine rettungsloser der einen und ewigen Ohnmacht verfemt ist, als die erotische Poesie. Eine paradoxe Forderung: den Frauen zu huldigen und sich selbst dabei zu bedenken, warf Howland ein.
Als ob den Frauen gedient wäre mit Männern ohne Selbstgefühl! antwortete Moorfeld. Der erotische Dichter gewöhnlichen Schlags scheint es aber fast zu glauben. Er plagt sich aufs ausgesuchteste, die Leidenschaft zu malen, und vergißt darüber, die Kraft anzudeuten, die von dieser Leidenschaft besiegt worden ist. Das ist's, was ich seinen Grundfehler nenne. Denn die Frauen wollen Männer erobert, nicht Strohhalme geknickt haben.
Howland entgegnete aufreizend: Ich finde es seltsam, Sir, welche Mühe Sie aufwenden, ein gutes Gedicht, das Sie herabsetzen wollen, nach einem Ideale zu messen, das nie existiert hat und nie existieren wird. Beispiele, Sir, Beispiele!
Endlich haben Sie recht, rief Moorfeld lebhaft. Beispiele! Dabei allein kann uns wohl werden! Ich diene mit größtem Vergnügen. Nur die Poesie selbst kann die Poesie erklären.
Howland sah mit finsterster Miene, wie wenig Verlegenheit er seinem Rivalen bereitete, vielmehr wie glücklich er ihn gemacht zu haben schien. Moorfeld war plötzlich verwandelt, aus Ton und Haltung verschwand alle Bitterkeit der Polemik, man sah, ein Geist der Freude und Befriedigung kehrte in ihm ein, der Wohllaut einer schönen, reingestimmten Empfindung zog durch seine Seele. Mit diesem Ausdruck sprach er folgende Strophen:
Hinter dem Walde
Steht ein Hüttchen
Eng und nieder
Mitten im Flieder.
Aus dem Fenster
Lang' ich das Dach,
Netz' ich den Finger
Unten im Bach.
Eine Rebe
Faßte das Ganze
Schlangenwindig
In ihrem Kranze. –
Ach, wie kam es,
Daß dieser Zoll
Die Welt des Mannes
Bedeuten soll?
Höher am Hügel
Liegt ein Stein,
Oft sitz' ich droben
Im Abendschein –
Die rote Erde
Rings um mich her,
Täler und Hügel,
Ufer und Meer:
O wie entzückt' es
Mir sonst die Brust!
Wie wogt' und drängte
Tatenlust
Hinüber, hinüber,
Hinaus, hinaus,
Und nirgend die Heimat,
Die Welt mein Haus –
Das ist nun alles.
Nun alles dahin!
Das enge Häuschen
Das bannt meinen Sinn!
Nicht spreitete drin sich
Der kleinste Baum:
O Leben, o Jugend,
Dir gibt es Raum! –
Was soll ich wünschen?
Daß es so bliebe?
Daß es einst ende?
O Liebe! Liebe!
An dieser Stelle würde ein anderer Liebhaber vielleicht zu seufzen erst anfangen, sagte Moorfeld; – der unsrige braucht es nicht. Die Empfindung an sich zu halten, ist unter allen Umständen ausdrucksvoller, als sie auszudrücken. Hier der Schauplatz der Weiblichkeit – das enge niedrige Hüttchen, – dort der Schauplatz der Mannhaftigkeit, – die weite tätige Welt – und das Hüttchen Siegerin in diesem Kontraste. Das sagt genug. Aber Sie sehen, eben dieses Kontrastes bedurft' es.
Hören Sie weiter, fuhr Moorfeld fort. Von dem Geiste der Poesie hingerissen, aufgeregt in seiner tiefsten Klangfähigkeit, war ihm Howland kaum noch etwas anderes als ein blindes, ja günstiges Zufallsspiel, das ihm erlaubte, an erwünschtester Stelle das Hochgefühl dieser Stunde auszuströmen. Er rezitierte folgendes Gedicht:
Erst baute der Mann die Hütte, den Herd,
Und fühlte nur sich und das Seine;
Sein Weib, sein Kind war ihm alles wert,
Sie umschlossen die ganze Gemeine.
Da stand vor den Laren im häuslichen Flur
Die älteste Gruppe der Natur.
Dann erwachte das mächtige Stammgefühl,
Dem Gleichen verband sich ein Gleicher,
Hetärien stürzten ins Kampfgewühl,
Es belebte die Erde sich reicher:
Das verwandte Blut, zur Menge gesellt,
Umscharte das patriarchalische Zelt.
Und die Stämme vereinten zum Volke sich,
Und ergossen sich durch die Geschichte;
Die Fehden ruhten, der Hader wich,
Und die Einheit drängte zum Lichte;
Ein Herz, eine Sprache, ein geistiges Band,
Ein teures, ein heiliges Vaterland!
Doch die Menschheit wuchs und der Geist gebar
Die großen, die letzten Gedanken;
Das Volk und das Land, wie geliebt es war,
Er zerbrach sie wie dürftige Schranken,
Er umspannte die Welt, er umarmte das All
Und erstürmte der Endlichkeit äußersten Wall! –
Der Ring ist geschlossen, der Kreis ist erfüllt,
Und zum Anfang strebet das Ende.
Des Denkers Haupt in Ideen gehüllt.
Wie er Welten zum Heile verbände:
Er sinnet und sinnt in die Ferne hinaus
Und sinnet das Glück des Lebens nicht aus!
Es erfreuet ihn nicht der begeisterte Kiel
Und die schönen, geschriebenen Träume,
Es bevölkert kein luftiges Schattenspiel
Des Hauses einsame Räume;
Der Freund der Menschheit, der Bürger der Welt,
Er weinet, daß ihm das Nächste fehlt!
Und der stolze Geist, er kehret zurück
Zu der Menschheit ältestem Triebe,
Das erste sucht er, das süßeste Glück
In des Weibes Schönheit und Liebe;
Die Hütte wird ihm, der häusliche Herd,
Die Stimme des Herzens das Höchste wert!
Wohlan denn, so klag' es und sag' es nur:
Dies Herz, es leidet und liebet!
Mit ihm ist ja ewig die Macht der Natur,
Und alles andere zerstiebet.
Es singet der Menschlichkeit sterbender Schwan,
Wenn des Weibes vergißt der vergeistigte Mann!
Hier ist der Liebe, sagte Moorfeld, nichts geringeres als die ganze Menschheitsgeschichte entgegengesetzt. Familie – Stamm – Volk – Kosmopolitismus – vier Weltalter überwindet sie und setzt sich als ihr Letztes, wie sie ihr Erstes war. So verstärkt sich das Gefühl durch die Macht der Idee. Was hilft es, den Professor zum Schäfer zu verkleiden und im Zeitalter der Reflexion das Haferrohr des Naturlauts zu blasen? Viel besser, man gesteht diese Reflexion tapfer ein, holt aber eben aus ihr die tiefere und tiefste Begründung des Naturlauts. Ist das geschehen, dann darf der Liebende wieder weinen wie das erste einfachste Menschenkind, und wahrlich, er weint dann erschütternder, als der Berg weint, »weil noch sein Lenz nicht kommen will«. Tränen, die über Gedanken rieseln, das sind Tränen! die sind des Weibes wert!
Howland antwortete auf diese Demonstration mit einem gänzlichen Abspringen von derselben: Wahrhaftig, Sir, sagte er, ich finde es wenig paßlich, in Amerika ein amerikanisches Gedicht herabzuwürdigen!
Jetzt erkannte Moorfeld die deutliche Absicht dieses Menschen, einen Eklat herbeizuführen. Hatte er so lange ihm Rede gestanden, so geschah es aus Achtung vor Ort und Umgebung; diese Achtung gebot endlich die entgegengesetzte Behandlung. Moorfeld wandte ihm schweigend den Rücken.
Aber Howland drang heftig in ihn: Was sagen Sie, Sir?
Mit dem Aufwände seiner letzten Geduld antwortete Moorfeld: Die amerikanische Lyrik teilt gegenwärtig das Schicksal aller Nachahmer; sie kopiert die schlechten Seiten ihres europäischen Originals. Wir dürfen hoffen, dieses Stadium wird vorübergehen.
Wie, Sir, also sind Sie ein für allemal entschlossen, unsern Dichter en chien zu behandeln? Ich sage Ihnen aber, eine Lady hat diese Verse gemacht; werden Sie jetzt Ihr Urteil mildern, Sir?
Moorfeld, dem der Ausdruck »Verse machen« allein schon ein Greuel war, antwortete kalt: Das ist für die Kritik ein Adiaphoron.
God damn, Sir! Miß Cöleste Bennet hat diese Verse gemacht; wie nun?
Der Dandy hatte seinen Zweck erreicht. Die Sitte ist nur für den Sittlichen und das Gesetz für den Gesetzlichen da. Wie ein Vandale eine kostbare Vase zerschlägt, so war der glänzende Augenblick jetzt in Trümmer geschlagen. Cöleste erlag unter einer Wucht von Scham, Zorn und Betrübnis; das Weinen trat ihr nahe. Howland, ihr Beleidiger, brüstete sich als ihr Ritter, Moorfeld, der ihr Blumen der zartesten Huldigung gereicht, wurde als ihr Beleidiger angegriffen, – alle Schönheitslinien liefen verwirrt durcheinander, die Roheit war Meisterin der Situation.
Cöleste flüchtete aus dem Kreise. Howland nahm sich dabei heraus, sie an der Hand zu fassen, und seine Frechheit zu krönen, wandte er sich an Moorfeld mit den Worten:
Mein Herr, ich fordere im Namen dieser Dame Genugtuung von Ihnen.
Der Herr Doktor wird sie ihr geben, erscholl eine Stimme über Howlands Achsel.
Moorfeld wandte sich um und sah mit Verwunderung, daß sich der größte Teil der Gesellschaft als Zeuge dieser Szene eingefunden hatte. Der Saal war fast vollgedrängt von Menschen. Herr Bennet und der Kreis seines Teepavillons standen unter den Vordersten.
Herr Bennet trat zwischen Moorfeld und Howland vor. Der Herr Doktor, sagte er zu Howland, werden die Saison an dem Ohio zubringen, indes ich selbst nach Saratoga gehe. Wir beide stehen auf dem Punkt der Abreise. Aber den Winter, wie ich höre, wird unser verehrter Gast New York zum Aufenthalte wählen, und dann – wandte er sich an Moorfeld – darf ich Sie vielleicht bitten, Sir, ohne dem Berufe Ihrer Privatmuse sonst nahe zu treten, die ästhetische Ausbildung meiner Tochter im Fache der schönen Redekünste vollenden zu helfen. Miß Cöleste, wie Sie hörten, versucht sich in der Poesie, und wie Sie gleichfalls hörten, sind diese Versuche noch derart, daß daran allerdings genug zu tun übrig bleibt. Das ist die Genugtuung, von welcher Mr. Howland sprach; lassen Sie mich meine Bitte mit seiner vereinigen, daß Sie diese Genugtuung zusagen wollen.
Wer zu beschreiben unternommen hat, sollte von dem Ausdrucke: eine Sache sei nicht zu beschreiben, nur den sparsamsten Gebrauch machen; an diesem Orte aber müssen wir bitten, den Ausdruck uns zu gestatten. Es ist schwer zu beschreiben, welche Wendung diese Dazwischenkunft Bennets der ganzen Situation wie auf einen Zauberschlag mitteilte. Moorfeld sah sich plötzlich an einem seiner flüchtigsten Worte gebunden, und unter anspruchlosem Namen von einem Verhältnis ergriffen, daß er eher ein Orakel als eine Menschenstimme zu hören glaubte, – Cöleste war überrascht, verwirrt, verlegen, bestürzt, erfreut, fliegende Farben wechselten widerspruchsvoll auf ihrem Antlitze, und das leichtverletztliche Mädchenherz schien vor allem nur eins zu empfinden: den Gewaltakt des Zufalls, – der Rowdy Howland stand da, blaß und zitternd vor Aufregung; Wut, Scham, Neid, ein Heer von giftigen Leidenschaften durchjagte seine ausdrucksvollen Züge, – Mr. Bennet selbst, die verkörperte Salonsitte dieses Augenblicks, konnte ein leichtes Wanken seiner Stimme nicht ganz verbergen, und der Sturm, den sein Zauberstab so plötzlich erstickt, pulsierte unter ruhiger Oberfläche in seinem Innern. Und wie die feineren Formen der Gesellschaft dem Überraschenden als solchem keinen Ausdruck gestatten, so war es ein seltsamer, ja humoristischer Kontrast, daß jeder der Beteiligten diese ungewöhnliche Bewegung in den Umgangsformeln des alltäglichen Kurses abfinden mußte. Moorfeld sprach von seiner »Bereitwilligkeit«, Cöleste stotterte von ihrem »Vergnügen«, Mr. Bennet von seiner »Freude« und selbst Howland von einem »kleinen Mißverständnisse«.
Man sei im Zirkel dieses Salons, sagte er, so sehr gewohnt, die Kunstübungen der Misses als bekannt vorauszusetzen, und namentlich »Des Schäfers Botschaft« als eine Zelebrität unter den Freunden des Hauses zu betrachten, daß der ausnahmsweise Fall mit einem Fremden ihn zu einer Übereilung verleitet. Dazu erklärte der Engländer, dessen abnormer Gesichtsvorsprung im Kreise dieser Gruppe jetzt auch bemerkt wurde, daß er das Versehen auf sich nähme, den neu eingeführten Gast über diese Punkte im Dunkel gelassen zu haben. Ein dringendes Motiv habe seine Aufmerksamkeit unterwegs auf das Thema der Tier-Perfektibilität gelenkt.
Das alles mochte nun gelten, soviel es wert war. Genug, die Roheit und die Narrheit hatten ihre Mission hier erfüllt. Ihrer bedurfte es, um den Abend zu enden, wie er endete.
Das sagte sich Moorfeld, indem der beleidigende Mißklang dieser Szene seine Seele verließ und ein Strom von goldenen Harmonien darüber herfloß.
Den weiteren Verlauf dieses Abends übergehen wir.
Es war schon tief in der Nacht, als Moorfeld unter den dunklen Bäumen der Battery das Haus hinter sich zurückließ, dem ein Rafael die Formen gegeben. Er sollte jetzt Geist hineintragen. Er sollte dem Mädchen, das ihm ein Adelswappen ihres Geschlechtes war, lehrend und bildend zur Seite stehen, sollte in der schönsten Gruppe zu ihr stehen, die in der sinnlich-geistigen Welt denkbar ist, weil sie die reinste und fließendste Bewegung gestattet, Sinn und Geist in vollwirkendem Wechselverhältnis zu erfüllen.
Auf dem späten Nachhauseweg ging der abnehmende Mond über ihm auf. Romulus und Remus! hatte ihm Moorfeld vorgestern zugerufen – gewisse menschliche Verhältnisse haben für ewig ihre Symbole – Abälard und Heloise! rief er heute.