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Katte war inzwischen auf keine Weise für seine Sicherheit besorgt gewesen. Schon verbreitete sich ein dumpfes Gerücht von der Verhaftung des Kronprinzen in Berlin. Von verschiedenen Seiten kamen ihm, dessen Verhältnisse zum Prinzen nur allzu bekannt waren, warnende Stimmen zu Ohren; aber er wartete geduldig auf die Vollendung des schönen französischen Couriersattels, den er sich bestellt hatte, um in den verborgenen Behältnissen desselben Papiere, Geld und dergleichen um so sicherer mitnehmen zu können. Endlich erbat er sich – es war am Abend vor der Nacht, in welcher sein Verhaftsbefehl ankam – von einem Vorgesetzten die Erlaubniß, am nächsten Tage Berlin verlassen zu dürfen, angeblich, um einer Jagdpartie in der Nähe beiwohnen zu können. Man zögerte mit der Ausführung des Befehles, bis man ihn genügend entfernt glaubte; als man sich endlich in seine Wohnung verfügte, fand man ihn erst im Begriffe das Pferd zu besteigen. Nun war sein Schicksal entschieden; er mußte sich gefangen geben. Eine versiegelte Kiste, welche die Papiere und Kleinodien des Kronprinzen enthielt, ließ er der Königin überbringen.
Gleichzeitig mit Katte's Verhaftungsbefehl kam ein Schreiben des Königs an die Oberhofmeisterin der Königin, worin diese gebeten wurde, die Letztere von der versuchten Desertion des Kronprinzen und von seiner Gefangennehmung zu benachrichtigen. Die Bestürzung in der königlichen Familie war groß; erhöht wurde sie durch den Empfang jener Kiste, die man nicht unterschlagen durfte, die aber sehr Bedrohliches, nicht nur für den Kronprinzen, sondern auch für die Königin selbst und namentlich für die älteste Prinzessin enthalten konnte. Man hatte ohne Wissen des Königs eine sehr ausgedehnte Correspondenz mit einander geführt, in welcher die Ausdrücke nicht immer mit genügender Ehrerbietung gegen den König abgewogen und namentlich auch die Angelegenheiten in Bezug auf England vielfach berührt waren. Endlich kam man zu dem Entschlusse, das Siegel abzunehmen, das Schloß der Kiste zu erbrechen, alle gefährlichen Schriften zu verbrennen und dafür eine bedeutende Anzahl neugeschriebener Briefe unschuldigen Inhalts mit verschiedenen älteren Daten hineinzulegen. Dann ward die Kiste wieder versiegelt, indem man ein dem vorigen ganz ähnliches Petschaft aufzufinden wußte.
Am 27. August kehrte der König nach Berlin zurück. Seine erste Frage war nach der Kiste. Als ihm dieselbe gebracht wurde, verlangte ihn mit solchem Ungestüm nach ihrem Inhalte, daß er sie, statt sie zuvor zu besichtigen, sogleich aufriß und die Briefe herausnahm. Er hatte den Verdacht, die beabsichtigte Flucht des Prinzen sei die Folge eines förmlichen Complottes, an dessen Spitze England gestanden habe und in welches seine Gemahlin und seine älteste Tochter mit verwickelt seien. Er vemuthete, daß man hiebei mehr, als nur jene alten Heirathspläne im Sinne gehabt; lag es doch im Bereiche der Möglichkeit, daß es auf seinen Thron, wenn nicht gar auf sein Leben abgesehen gewesen sei. Daß er in der Kiste keine Zeugnisse fand, machte, statt ihn zu beruhigen, seinen Zorn nur um so heftiger; er argwöhnte, daß man ihm durch eine List zuvorgekommen sei. Sein ganzer Ingrimm wandte sich nun gegen seine Familie und namentlich hatte die Prinzessin Wilhelmine auf's Schwerste zu leiden. Er schwur, daß er den Kronprinzen werde umbringen lassen und daß die Prinzessin das Schicksal ihres Bruders theilen werde. Nur die Oberhofmeisterin der Königin, Frau von Kamecke, wagte es, ihm mit heldenmüthiger Unerschrockenheit entgegenzutreten. Sie folgte ihm in sein Zimmer und beschwor ihn, der Königin zu schonen und das Unternehmen des Kronprinzen nur als das, was es sei – als einen Schritt jugendlicher Unbesonnenheit zu betrachten. »Bis jetzt,« sagte sie zu ihm, »war es Ihr Stolz, ein gerechter und frommer König zu sein, und dafür segnete Sie Gott; nun wollen Sie ein Tyrann werden – fürchten Sie sich vor Gottes Zorn! Opfern Sie Ihren Sohn Ihrer Wuth, aber sein Sie auch dann der göttlichen Rache gewiß. Gedenken Sie Peter's des Großen und Philipp's des Zweiten: sie starben ohne Nachkommen und ihr Andenken ist den Menschen ein Gräuel!« Diese Worte schienen Eindruck auf den König zu machen, aber nur auf kurze Zeit.
Inzwischen war, auf Befehl des Königs, Katte vor ihn geführt worden, um gerichtlich verhört zu werden. Die erste Begrüßung des Gefangenen bestand wiederum nur in wilder Mißhandlung. Katte beantwortete die ihm vorgelegten Fragen mit Standhaftigkeit; er erklärte, daß er allerdings an der Flucht des Kronprinzen habe Theil nehmen wollen, daß es die Absicht des Letzteren gewesen sei, nach England zu gehen, um dort vor dem Zorne des Königs geschützt zu sein, daß er, Katte, den Zwischenträger zwischen dem Kronprinzen und der englischen Gesandtschaft gemacht habe, daß aber der Prinzessin Wilhelmine dieser Plan nicht mitgetheilt worden und daß von irgend einem Unternehmen gegen die Person des Königs oder überhaupt gegen die Angelegenheiten desselben niemals die Rede gewesen sei. Im Uebrigen berief er sich auf die Papiere des Kronprinzen. Eine neue Durchsicht der Letzteren ergab natürlich nichts, was zu weiterer Anschuldigung dienen konnte. Aber der Verdacht, daß die wichtigeren Papiere unterschlagen seien, blieb rege, und die Prinzessin wurde unausgesetzt mit Strenge behandelt. Nach beendigtem Verhöre mußte Katte die Uniform ausziehen, und ward in einem leinenen Kittel auf die Hauptwache geschickt. Gegen die übrigen Freunde des Kronprinzen und die sonst seinen Interessen günstig gewesen zu sein schienen, auch wenn bei ihnen gar keine Kenntniß seines letzten Vorhabens erweislich war, wurde nicht minder mit großer Strenge verfahren; so wurde z. B. sein ehemaliger Lehrer Dühan, der jetzt eine Rathsstelle bekleidete, nach Memel verwiesen. Die Bestürzung über alle diese Ereignisse war allgemein und Alles in banger Erwartung über die ferneren Schicksale des Kronprinzen.
Dieser war unterdessen in Mittenwalde eingetroffen. Hier wurde er am 2. September zuerst verhört. Man legte ihm die Aussagen Katte's vor, und er erkannte dieselben an; auf alle weiteren Fragen indeß gab er wenig genügende Antworten. Dem General Grumbkow, der mit anwesend war und die stolze Zuversicht des Prinzen herabzustimmen suchte, sagte er, er glaube über Alles, was ihm noch begegnen könne, hinaus zu sein, und er hoffe, sein Muth werde größer sein, als sein Unglück. Jener kündigte ihm hierauf an, er werde auf Befehl des Königs nach Cüstrin gebracht werden, indem diese Festung für jetzt zu seinem Aufenthaltsorte bestimmt sei. »Es sei,« erwiederte der Kronprinz, »ich werde dahin gehen. Wenn ich aber nicht eher wieder von dort wegkommen soll, als bis ich mich auf's Bitten lege, so werde ich wohl ziemlich lange da bleiben.«
Am folgenden Tage wurde der Kronprinz nach Cüstrin geführt. Er erhielt ein Gemach auf dem Schlosse, indem der dortige Kammer-Präsident von Münchow ihm von seiner Wohnung ein Zimmer abtreten mußte. Hier wurde er, auf bestimmten Befehl des Königs, streng gehalten. Seine Kleidung bestand aus einem schlechten blauen Rocke ohne Stern. Im Zimmer standen nur hölzerne Schemel zum Sitzen. Die Speisen, die sehr einfach waren, wurden ihm geschnitten überbracht, weil den Gefangenen in der Zeit des engsten Arrestes keine Messer und Gabeln zukamen. Dinte und Papier waren ihm nicht verstattet; auch wurde ihm seine Flöte abgefordert. Das Zimmer durfte er unter keiner Bedingung verlassen; die Thür war mit Wachen besetzt und durfte nur dreimal des Tages, in Gegenwart zweier Offiziere, zur Besorgung der Bedürfnisse des Gefangenen auf kurze Zeit geöffnet werden. Alle Morgen hatten zwei Offiziere das Zimmer zu untersuchen, ob sich nicht etwa die Spur einer verdächtigen Unternehmung zeige. Jedem war streng verboten, mit dem Kronprinzen zu sprechen; jeder bloße Besuch war durchaus untersagt.
Indeß fand sich doch Gelegenheit, einige dieser strengen Anordnungen zu umgehen. Der Kammer-Präsident von Münchow, den das Schicksal des unglücklichen Königssohnes zu inniger Theilnahme bewegte, ließ in der Decke des Gefängnisses ein Loch machen, so daß er Gelegenheit bekam, den Kronprinzen zu sprechen, ihm seine Dienste anzubieten und seine Wünsche zur Verbesserung seiner gegenwärtigen Lage zu vernehmen. Der Prinz klagte über das armselige Essen und Speisegeräth und über den Mangel an geistiger Nahrung. Für Beides wußte der Präsident bald Rath. Sein jüngster Sohn, acht Jahre alt, wurde in die weiten Kinderkleider gesteckt, die schon seit Jahren abgelegt waren, und die tiefen Taschen derselben füllte man mit Obst, Delicatessen und Aehnlichem; dem Knaben verweigerte die Wache nicht den Eingang. Dann wurde ein neuer Leibstuhl mit verborgenen Fächern angeschafft, und so kamen dem Prinzen nach und nach Messer und Gabeln, Schreibgeräth, Bücher, Briefe u. s. w. zu. Die dienstthuenden Offiziere untersuchten das Zimmer nur, so weit ihre Ordre reichte.
Indeß behielt der Kronprinz gegen die Personen, die der König zu verschiedenen Malen zu ihm schickte, noch immer seine strenge Zurückhaltung bei. So namentlich gegen eine Deputation, die ihn in der Mitte Septembers auf's Neue zu verhören kam. Der General Grumbkow, der sich wieder bei derselben befand, scheute sich nicht, ihm zu sagen, daß, wenn er seinen Stolz nicht bei Seite setze, schon Mittel und Wege zu finden sein dürften, ihn zu demüthigen. »Ich weiß nicht,« erwiederte ihm der Prinz mit vornehmen Tone, »was Sie gegen mich zu unternehmen gedenken: so viel aber weiß ich, daß Sie mich nie dahin bringen werden, vor Ihnen zu kriechen!« Die Deputirten legten ihm nun die in jener Kiste gefundenen Papiere vor, mit der Frage, ob er Nichts unter denselben vermisse. Der Prinz untersuchte sie, und da er die wichtigsten nicht vorfand, so zweifelte er nicht daran, daß sie unterdrückt worden seien. Er versicherte also, es sei der gesammte Inhalt jener Kiste. Man verlangte von ihm einen Eid über diese Angabe; diesen wußte er jedoch unter dem Vorwande, daß ihn sein Gedächtniß möglicherweise betrügen könne, von sich abzulehnen. Die Commissarien waren nicht im Stande, anderweitige Bekenntnisse von ihm zu erlangen. Auch spätere Verhöre gaben keinen besseren Erfolg. Man ließ ihn unter dem Versprechen, daß er auf die Thronfolge Verzicht leiste, Gnade hoffen, aber auch jetzt ging er hierauf nicht ein. Ebenso wenig nützten die erneuten Verhöre Katte's, jener vermeintlichen Intrigue auf die Spur zu kommen. Der König hatte sogar die Absicht, Katte auf die Folter zu spannen, doch schützte ihn hievor die Verwendung seiner Verwandten, die im Staate hohe Stellen bekleideten.
So hatte man keine weiteren Zeugnisse gegen den Kronprinzen und gegen Katte in Händen, als was sich durch ihre beabsichtigte Flucht selbst und durch die bisherigen Aussagen des Letzteren ergab. Doch war auch dies dem Könige bereits genügend, um gegen die Verschuldeten mit allem Nachdruck eines strengen Gesetzes zu verfahren. Es wurde ein Kriegsgericht zusammenberufen, welches über sie nur in militairischer Rücksicht zu erkennen hatte: der Kronprinz namentlich sollte dabei nur als desertirter Militair betrachtet werden. Am 25. October trat dieses Gericht in Cöpenick zusammen und kehrte am 1. November nach Berlin zurück. Trotz jener ausdrücklichen Bestimmung des Königs erfolgte indeß kein richterlicher Spruch über den Kronprinzen; das Kriegsgericht hatte sich in diesem Punkte für inkompetent erklärt. Katte war in Betracht, daß er sich nicht vom Regiment entfernt habe und seine bösen Pläne nicht in Ausführung gekommen seien, zu Cassirung und mehrjähriger Festungsbaustrafe verurtheilt worden. Der König aber nahm die ganze Erklärung des Kriegsgerichtes sehr ungnädig auf; er sah darin nur eine Bemühung, sich dem künftigen Herrn des Landes, den er einmal als seinen entschiedenen Feind betrachtete, gefällig zu erweisen. Sein Zorn konnte nicht ohne ein blutiges Opfer gestillt werden; und so erklärte er zunächst, aus eigner Machtvollkommenheit, das Vergehen Katte's als ein Verbrechen der beleidigten Majestät, da dieser als Offizier der Garde-Gendarmerie, der Person des Königs unmittelbar verpflichtet gewesen sei und solche Verpflichtung durch einen Eid erhärtet, nichtsdestoweniger jedoch zur Desertion des Kronprinzen unerlaubte Verbindungen mit fremden Ministern und Gesandten, zum Nachtheil des Königs, angeknüpft habe. Für ein solches Verbrechen habe er verdient, mit glühenden Zangen gerissen und aufgehenkt zu werden; doch solle er, in Rücksicht auf seine Familie, nur durch das Schwert gerichtet werden. Man solle dem Katte, wenn ihm dieser Ausspruch eröffnet werde, sagen, daß es dem Könige leid thäte: es sei aber besser, daß er sterbe, als daß die Gerechtigkeit aus der Welt gehe. Alle Bitten und Fürsprachen gegen dies strenge Urtheil waren umsonst; vergebens flehte Katte's Großvater, der alte verdiente General-Feldmarschall Graf von Wartensleben, mit rührenden Worten um Gnade, nur damit ihm Gelegenheit bleibe, das Herz seines Enkels zur Buße und zur Demuth zurückzuführen. Der Sinn des Königs blieb unerweicht, und wiederholt berief er sich darauf, es sei besser, daß ein Schuldiger nach der Gerechtigkeit sterbe, als daß die Welt oder das Reich zu Grunde gehe.
Katte selbst vernahm sein Urtheil mit großer Standhaftigkeit. So leichtsinnig er sich früher betragen hatte, so würdig erschien der zwei und zwanzigjährige Jüngling in den wenigen Tagen, die ihm jetzt noch zur Vorbereitung auf den Tod vergönnt waren. Der Gram, den er seinen Eltern und seinem Großvater durch das leichtsinnig heraufbeschworene Schicksal verursachen mußte, ergriff seine Seele mit Macht; die Briefe, mit denen er von ihnen Abschied nahm, waren von innigster Reue erfüllt. Demuthvoll bekannte er es, daß er in dieses Unglück gestürzt sei, weil er des Höchsten vergessen und nur nach irdischen Ehren gestrebt habe; daß er aber hierin nur die Liebe des ewigen Vaters erkenne, die ihn durch den dunkeln Pfad zum Lichte geführt. Am vierten November wurde er nach Cüstrin abgeführt. Es geschah auf Befehl des Königs, denn dieser wollte auch das härteste Mittel nicht unversucht lassen, das Herz des Kronprinzen zu erweichen. Unter den Augen des Letzteren, so hatte es der König ausdrücklich angeordnet, sollte die Hinrichtung des Freundes statt finden. Der Morgen des sechsten Novembers war zur Hinrichtung bestimmt. Der Kronprinz wurde genöthigt, an das Fenster zu treten, und rief, als er den Freund in Mitten des militairischen Zuges zwischen zweien Predigern erblickte, hinab: »Verzeihe mir, mein theurer Katte!« – »Der Tod für einen so liebenswürdigen Prinzen ist süß!« erwiederte Jener. Dann schritt der Zug den Wall hinauf, und Katte empfing, von christlicher Tröstung gestärkt, den tödtlichen Streich. Aber die starke Natur des Kronprinzen erlag; Ohnmachten ergriffen ihn, und die Schale, die sein Herz umschlossen hielt, war gesprungen.
Aber noch schwebte das Schwert, welches Katte's Leben vernichtet, über dem Haupte des Kronprinzen; noch ließen die fortgesetzten Drohungen des Königs auch für den Letzteren das Schlimmste befürchten. Dringender und vielseitiger erhob sich, bei dem ungeheuren Aufsehen, welches seine Gefangennehmung in der ganzen Welt gemacht hatte, die Fürsprache für ihn. Schon im September hatte der König durch seine Gesandten ein Rundschreiben an die auswärtigen Höfe geschickt, um sie im Allgemeinen von dem geschehenen Schritte zu benachrichtigen und ihnen anzuzeigen, daß ihnen später, nach dem Schlusse der Untersuchungen, eine ausführliche Erklärung gegeben werden solle. Kurz darauf aber, und zum Theil schon vor der Abfassung jenes Rundschreibens, erschienen Vorstellungen von verschiedenen Höfen, welche die Absicht hatten, den König zu einer milderen Ansicht der Sache zu stimmen. Zuletzt und mit besonderem Nachdrucke trat der österreichische Hof auf, der nun, da die Verbindung Preußens mit England einen augenscheinlichen Bruch erlitten hatte und vom Kronprinzen in dieser Beziehung wenig mehr zu befürchten schien, auch ihn, wie den Vater, durch das Gewicht seiner Vermittelung an seine Interessen zu knüpfen wünschte. Von größerer Bedeutung indeß war zunächst der Einspruch, den die würdigsten und vom Könige am meisten geschätzten Führer seines Heeres gegen das Bluturtheil, mit welchem der König drohte, erhoben. Auf die Erklärung zwar, daß der König nicht befugt sei, den »Kurprinzen von Brandenburg« ohne förmlichen Proceß vor Kaiser und Reich am Leben zu bestrafen, erwiederte Jener, daß Kaiser und Reich ihn nicht abhalten dürften, gegen den »Kronprinzen von Preußen« in seinem souverainen Königreiche nach Belieben zu verfahren. Aber der Major von Buddenbrock entblößte vor dem Könige seine Brust und rief heldenmüthig aus: »Wenn Ew. Majestät Blut verlangen, so nehmen Sie meines; jenes bekommen Sie nicht, so lange ich noch sprechen darf!«
War die Stimme der Politik nicht ganz zu überhören, war die Stimme der Ehre für den kriegerischen König ein hochachtbarer Klang, so trat doch noch ein Drittes hinzu, welches mit ungleich größerer Gewalt sein Herz zur Gnade stimmte. Es war ein Wort eines geringen Dieners, aber brachte die so lang ersehnte Kunde von der Sinnesänderung des Sohnes.
Der Feldprediger Müller, der mit Katte von Berlin nach Cüstrin gegangen war und ihn zum Tode vorbereitet hatte, war zugleich durch den König beauftragt worden, nach Möglichkeit auch auf das Gemüth des Kronprinzen zu wirken und, wenn sich dieser zur Annahme seiner geistlichen Ermahnungen willfährig zeige, längere Zeit bei ihm zu bleiben. Der Kronprinz war nach jenem furchtbaren Schlage eines höheren Trostes nur zu sehr bedürftig. Der Feldprediger hatte ihm von Katte ein theures Vermächtniß überbracht, eine Reihe schriftlich abgefaßter Vorstellungen, welche dazu dienen sollten, den fürstlichen Freund auf den gleichen Weg des Heiles zu führen, als durch welchen er mit dem Leben versöhnt gestorben war. Diese Vorstellungen bestanden besonders darin, daß Katte sein Unglück als eine verdiente Strafe Gottes betrachtete, daß er den Kronprinzen beschwor, auch er möge hierin die Hand Gottes erkennen und sich dem Willen seines Vaters unterwerfen, besonders aber möge er dem Glauben an eine willkührliche Vorherbestimmung des Schicksals entsagen. Dies Letztere war der wichtigste Punkt, und auch der König hatte bereits vor Allem darauf gedrungen, daß der Prediger diese Glaubens-Ansicht des Kronprinzen mit allem Eifer bekämpfen möge. Denn der Prinz hatte sich, besonders durch Katte dazu verleitet – wie dies bereits früher angedeutet wurde – jener Prädestinationslehre ergeben, welche bekanntlich durch die Calvinisten mit einer trostlosen Strenge vertreten wurde, welche die einzelnen Menschen als von Ewigkeit her zur Seligkeit oder zur Verdammniß bestimmt darstellte, und welche somit in der Sünde keine Schuld des menschlichen Herzens anerkennen konnte. So hatte auch Friedrich Alles, was er bisher gethan, nur als die Fügung eines ihm fremden Schicksals betrachtet. Jetzt aber war sein Gemüth einer wärmeren Ansicht geöffnet: zwar stritt er noch längere Zeit mit eifrigen Gründen zur Vertheidigung seines alten Glaubens, aber endlich siegte die bibelfeste Beredsamkeit des Predigers. Er fühlte sich überwunden und klagte, daß ihn jetzt seine Gedanken verließen. Nachdem er seine Kräfte wieder zusammengerafft, war seine erste Aeußerung, daß er also selbst Schuld sei, nicht nur an seinem eigenen Unglücke, sondern auch an dem Tode seines Freundes! Der Prediger bejahte dies; er ließ ihn absichtlich die ganze Größe seiner Schuld ins Auge fassen, aber er verwies ihn zugleich auch an die göttliche Gnade, welche größer sei als alle Schuld. Aber nun meinte der Kronprinz, wenn Gott ihm auch vergeben werde, so habe er doch den König in einem Maße beleidigt, daß er von diesem keine Verzeihung hoffen könne, und gewiß sei der Prediger nur in der Absicht gesandt, auch ihn, wie Katte, zum Tode vorzubereiten. Es kostete jenem große Mühe, einen solchen Verdacht abzuwenden; nur durch ein starkes Gebet, gemeinschaftlich mit dem Kronprinzen, vermochte er dem Letztern seine Fassung wiederzugeben. Der Prinz bat den Prediger, er möge seine Wohnung auf dem Schlosse nehmen, damit er ihn möglichst viel bei sich sehen könne. Müller erhielt darauf ein Zimmer über dem des Prinzen, und dieser gab ihm, oft schon des Morgens früh um sechs Uhr, das Zeichen, daß er kommen möge. Einst hatte ihm der Prediger ein geistliches Buch mitgetheilt; als er es zurück empfing, fand er darin im Deckel einen Mann gezeichnet, der unter zwei gekreuzten Schwertern kniete, und darunter die Worte des Psalms: »Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit meines Herzens Trost und mein Theil.«
Der Prediger sandte in den ersten Tagen nach Katte's Hinrichtung täglichen Bericht an den König über die Sinnesänderung des Kronprinzen. Aber er fügte auch hinzu, daß der Prinz wegen seiner anhaltenden Traurigkeit in eine Gemüthskrankheit fallen dürfte, und er bat den König, dem Sohne das Wort der Gnade nicht mehr lange vorzuenthalten. Der König verlieh dem Prediger ein geneigtes Gehör. So durfte dieser denn schon am zehnten November dem Prinzen die Mittheilung machen, daß der König ihm zwar noch nicht gänzlich verzeihen könne, daß er aber des scharfen Arrestes entlassen werden und sich nur innerhalb der Festungsmauern halten solle, und daß er fortan als Rath in der neumärkischen Kammer zu Cüstrin werde beschäftigt werden. Die Erscheinung der väterlichen Gnade erschütterte den Kronprinzen so, daß er an der Wahrheit der Nachricht zweifelte und die Thränen nicht zurückzuhalten vermochte; nur erst der Zug des königlichen Handschreibens an den Prediger konnte ihn davon überzeugen. Zugleich aber hatte der König verlangt, der Kronprinz solle vor einer besonders dazu verordneten Deputation einen Eid ablegen, daß er seinem Willen und Befehle in Zukunft den strengsten Gehorsam leisten und Alles thun werde, was einem getreuen Diener, Unterthan und Sohne zukomme; er hatte ihn nachdrücklich auf die Bedeutung eines Eides aufmerksam machen lassen und hinzugefügt, daß, wenn er den Eid je brechen sollte, er sein Recht auf die Thronfolge, vielleicht auch das Leben verlieren würde. Der Kronprinz erklärte sich zu diesem Eide bereit; ließ aber auch den König ersuchen, ihm denselben zuvor zukommen zu lassen, damit er seinen Schwur vollkommen in Erwägung ziehen und mit wahrer Ueberzeugung aussprechen könne. Der König gewährte die Bitte.
Bis die Einrichtungen zur Aufnahme des Prinzen in das Kammer-Collegium und zu seiner künftigen Wohnung fertig waren, blieb er noch im Gefängnisse und fuhr mit dem Prediger in jenen erbaulichen Betrachtungen fort. Am 17. November kam endlich die vom König verordnete Deputation in Cüstrin an. Nachdem Friedrich vor derselben den Eidschwur abgelegt, erhielt er Degen und Orden zurück, ging zur Kirche und nahm das Abendmahl. Der Hofprediger hatte mit Beziehung auf das Schicksal seines hohen Zuhörers zum Texte der Predigt die Worte des Psalmes gewählt: »Ich muß das leiden, die rechte Hand des Höchsten kann Alles ändern.« Dann schrieb Friedlich noch einen besondern Brief an den König, in welchem er seine Unterwerfung bekannte, noch einmal um Verzeihung bat und die Versicherung gab, daß es nicht die Beraubung der Freiheit, sondern die Aenderung seines eigenen Sinnes gewesen sei, was ihm die Ueberzeugung seines Fehltritts gegeben habe. Noch aber hatte der König nur erst dem Sohne, nicht dem Oberstlieutenant Friedrich vergeben; eine Uniform durfte er noch nicht tragen, sondern nur ein einfaches bürgerliches Kleid, hellgrau, mit schmalen silbernen Tressen. Doch ließ er den König durch den Feldprediger Müller, der jetzt wieder nach Berlin zurückkehrte, bitten, er möge ihm zu dem Degen, den er ihm zurückgegeben, doch auch ein Portd'epee verstatten. Als der König diese Bitte des Sohnes vernahm, rief er in freudigster Überraschung aus: »Ist denn Fritz auch ein Soldat? Nun, das ist ja gut!«